SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Lichtes Dur“ und „melancholisches Moll“ (2) Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter Von Wolfgang Sandberger Sendung: Dienstag, 14. Juli 2015 9.05 – 10.00 Uhr (Erstsendedatum: 17.04.2012) Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1 Musikstunde mit Wolfgang Sandberger „Lichtes Dur“ und „melancholisches Moll“: Die Sängerin Kathleen Ferrier und der Dirigent Bruno Walter Dienstag, 14. Juli 2015 Im „lichten Dur“ erinnern wir uns auch heute wieder an Kathleen Ferrier, (deren Geburtstag sich am kommenden Sonntag zum 100. Mal jährt.) In Higher Walton im englischen Lancashire ist die Ferrier geboren – im April 1912 also. Das Repertoire der englischen Altistin ist aber vor allem deutsch gewesen, als Lied- und Oratoriensängerin hat sie die Musikwelt erobert, mit einem ganz eigenen Timbre, dunkelgold-bronzefarben und zugleich leuchtend, und doch immer auch ein wenig verhangen, selbst dann, wenn sie jauchzend vom Glück gesungen hat, wie in dem Schumann-Lied „Er der Herrlichste von allen“: Musik 1 Track 2 3.18'' Robert Schumann "Er, der Herrlichste von allen" aus op. 42 Kathleen Ferrier, Alt John Newmark, Klavier Decca 433 471-2 Mit einer für heutige Feministinnen befremdlichen Emphase: Kathleen Ferrier mit dem Lied „Er, der Herrlichste von allen“ – aus dem Zyklus „Frauenliebe und – leben“ von Robert Schumann. Am Klavier begleitete in dieser Aufnahme John Newmark. Auch Kathleen Ferrier hat, wie viele Frauen, die vor den Traualtar treten, geglaubt, den „Herrlichsten von allen“ gefunden zu haben, 2 doch – auch darin kein Einzelfall – sie hat sich geirrt. Die Ehe der Ferrier mit dem Bankdirektor Bert Wilson ist jedenfalls ein Debakel gewesen und später auch geschieden worden. Doch zumindest in einer Hinsicht hat die Ferrier ihrem Mann dankbar sein können. 1937 – da ist Kathleen gerade 25 Jahre alt – 1937 also hat sich die begabte Pianistin im Rahmen des Carlisle Festival zu einem Klavierwettbewerb angemeldet. Doch ihr Mann hat sie provoziert und gewettet, daß sie es nicht wagen würde, sich auch als Sängerin zu diesem Wettbewerb anzumelden. Nun, Kathleen Ferrier hat nicht nur den Wetteinsatz, einen bescheidenen Schilling, sondern gleich zwei erste Preise gewonnen: im Fach Klavier und im Gesangswettbewerb. Damals hat sie „To daisies“ von Roger Quilter gesungen, Musik, die sie später auch aufgenommen hat. Musik 2 CD Track 15, 16 2.12 und 2.13 Roger Quilter „To daisies“ “Over the mountains” Kathleen Ferrier, Mezzosopran Phyllis Spurr, Klavier Realisierung: 10.12.1951-12.12.1951 DECCA Bestellnummer 433475-2 To daisies und Over the mountains, zwei Lieder des englischen Komponisten Roger Quilter – Musik, mit der Kathleen Ferrier 1937 den Wettbewerb beim Carlisle Festival gewonnen hat, der Startschuss gewissermaßen zu ihrer Gesangskarriere. Wer heute die Stimme der Ferrier hört, kann nur hingerissen sein. Und doch mutet aus der historischen Distanz manches vielleicht altmodisch pathetisch an: Im Zeitalter moderner Sachlichkeit ist 3 dieses Pathos längst aus dem öffentlichen und künstlerischen Raum verdrängt, ja bisweilen als verdächtig verbannt worden. Aus dem Sprechtheater, aus dem Film und vor allem von der politischen Bühne ist dieses Pathos verschwunden – es gilt längst als unzeitgemäß. In ihrem Buch „Der wissende Sänger“ hat die legendäre Gesangspädagogin Franzsika Martienssen-Lohmann dieses Pathos einst noch verteidigt: emphatisch hat sie sich für das „Klangliche des feierlichen Ernstes“ und das „Pathos des tragischen Schmerzes“ ausgesprochen. Kathleen Ferrier hat dieses Pathos verkörpert wie kaum eine zweite: in ihren Mahleraufnahmen, wo sie den Ton des „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ so ganz unmittelbar trifft; auch in Mahler Kindertotenliedern ebenfalls nach Texten von Friedrich Rückert setzt sie das Mitfühlen ganz unmittelbar mit ihrem stimmlichen Ausdruck frei: „Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen“, und: „In diesem Wetter, in diesem Braus“ Musik 3 Track 4 und 5 9.20’’ Gustav Mahler „Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen“ und: „In diesem Wetter, in diesem Braus“ aus den „Kindertotenliedern“ Kathleen Ferrier, Alt Wiener Philharmoniker Ltg. Bruno Walter ALC 1153 4 Zwei Lieder aus den Kindertotenliedern von Gustav Mahler mit Kathleen Ferrier und den Wiener Philharmonikern unter Bruno Walter. Kathleen Ferrier und Bruno Walter – die SWR 2 Musikstunde erinnert in dieser Woche an diese beiden großen Interpreten, an die englische Altistin mit dem dunkel-melancholischen Timbre und den großen humanistischen Dirigenten, den Mozart- und Mahler- Exegeten. Begonnen hat die künstlerische Zusammenarbeit der beiden 1947 bei den Festspielen im schottischen Edingburgh, Bruno Walter ist damals immerhin schon 71 Jahre alt gewesen, die junge Ferrier gerade mal halb so alt: 35. Aus dieser Zeit hat sich ein wunderbares Tondokument erhalten, in dem wir die Stimme von Kathleen Ferrier hören, nicht die Sing-, sondern die Sprechstimme, kaum weniger zauberhaft: aufgenommen 1949 als kleine Einführung für die BBC in einen gemeinsamen Liederabend mit Bruno Walter in Edingburgh. Die Ferrier erinnert in diesem O-Ton an ihren ersten Auftritt in Edingburgh, der gewissermaßen den Startschuss ihrer Karriere bedeutet habe, zwei Jahre zuvor, 1947. Natürlich spricht sie da auch über die Zusammenarbeit mit Bruno Walter, der mit wenigen Worten und wenigen ausdrucksvollen Gesten die Interpretation eines Liedes zu formen wisse. Kathleen Ferrier: O-Ton CD Track 1 2.53’’ Kathleen Ferrier Introduction Decca 414 611-2 5 Kathleen Ferrier 1949 – flirrend, stolz und glücklich über ihre sensationellen internationalen Erfolge, Erfolge, die sie nicht zuletzt auch Bruno Walter zu verdanken hatte. In dem besagten Liederabend mit Bruno Walter stand – wie von der Sängerin erwähnt – auch das Lied „Immer leiser wird mein Schlummer“ auf dem Programm, ein Lied von Johannes Brahms, diesem Melancholiker par excellence, dem schon zu Lebzeiten nachsagt worden ist, er habe seinen Chor bei guter Laune versteht sich so schwungvolle Lieder singen lassen wie „Das Grab ist meine Freude“. Vergänglichkeit, Erinnerung, Trennung, Liebesqual, Abschied, Klage – das sind die häufigsten Motive in den Liedern von Brahms, was Friedrich Nietzsche zu dem Ausspruch provoziert hat: „Brahms sei rührend, solange er heimlich schwärmt oder über sich trauert – darin sei er ‚modern’ -; er werde aber kalt, sobald er die Klassiker beerbt.“ Der sehnsuchtsvolle Brahms, der moderne, trauernde Brahms, es ist jener Ton, den Kathleen Ferrier besonders mit ihrer Stimme getroffen hat: „Ja ich werde sterben müssen, eine andre wirst Du küssen, wenn ich bleich und kalt“, so heißt es in diesem Lied nach einem Text von Hermann Lingg: Musik 4 Track 8 4.04’’ Johannes Brahms „Immer leiser wird mein Schlummer“ Kathleen Ferrier, Alt Bruno Walter, Klavier Decca 414 611-2 6 Beifall für Kathleen Ferrier und Bruno Walter: Immer leiser wird mein Schlummer – von Johannes Brahms, ein Ausschnitt aus dem legendären Liederabend der beiden beim Edingburgh Festival 1949. Damals hat die Ferrier den Zenit ihrer Laufbahn erreicht, sie ist eine gefragte Künstlerin, die mit vielen großen Dirigenten zusammenarbeitet, nicht nur mit Bruno Walter, sondern auch mit Sir John Barbirolli, mit Sir Malcolm Sargent oder mit Clemens Krauss, mit dem sie übrigens eine sehr eindringliche Alt-Rhapsodie von Brahms produziert hat. In dem kleinen Tondokument aus dem Jahr 1949 hat die Ferrier auch das Bach-Festival in Wien erwähnt, zu dem sie eingeladen sei: im Bach-Jahr 1950, fraglos ein weiterer Höhepunkt ihrer Laufbahn - mit Aufnahmen des Magnificats und der Matthäuspassion, Bach-Aufnahmen unter Herbert von Karajan, die die Oratoriensängerin selbst als die besten ihres Lebens bezeichnet hat. Hier die Erbarme-Dich-Arie aus der Matthäuspassion: Musik 5 CD 2 Track 7 7.17’’ Johann Sebastian Bach Matthäuspassion, daraus: Erbarme Dich-Arie Kathleen Ferrier, Alt Wiener Symphoniker Herbert von Karajan Archipel 0024-3 Kathleen Ferrier am 9. Juni 1950 – ein Livemittschnitt vom Wiener Bach-Fest mit den Wiener Symphonikern unter Herbert von Karajan. Die Erbarme-Dich-Arie aus der Matthäuspassion. 7 Wenige Monate nach dieser Aufnahme ist die Sängerin schwer erkrankt: Brustkrebs. 1951 wird sie operiert, ein Jahr später steht sie, bereits vom Tod gezeichnet, noch einmal als Orpheus auf der Opernbühne. Danach muss sie alle weiteren Engagements absagen: ein Konzert in Prades, zu dem Pablo Casals sie geladen hat, ihr Debüt an der Mailänder Scala unter dem greisen Arturo Toscanini und eine geplante Aufnahme von Bachs h-moll Messe unter Herbert von Karajan. Am 22. Oktober 1953 stirbt Kathleen Ferrier an den Folgen ihrer Krebserkrankung in London – gerade mal 41 Jahre alt ist sie geworden. Auch wenn es zu der geplanten h-moll-Messe unter Karajan