Stuttgarter Nachrichten
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10 Nummer 135 • Donnerstag, 14. Juni 2012 Panorama Schaulaufen Lady Ein Mann als Marke in Pink Designer Michael Michalsky spricht im Interview über Mode, Marken als Ersatzfamilie und seinen Kleiderschrank Am 3. Juli startet wieder die Fashion Kleider machen Leute. Oder auch Zur Person Week in Berlin. Als Höhepunkt gilt die nicht. Um das herauszufinden, Style-Nite von Michael Michalsky. Der ist Michael Michalsky unterziehen wir den Kleidungsstil nach Meinung von Karl Lagerfeld „das bekannter Persönlichkeiten aus ¡ Der 45-jährige Designer wurde in Göttin- Symbol der Berliner Mode“. Politik, Wirtschaft und Kultur einem gen geboren, wuchs in Schleswig-Holstein auf und studierte am London College of Stresstest – und zwar regelmäßig an Von Liane Rapp Fashion. dieser Stelle. Heute: Katrin Müller-Ho- aus Berlin ¡ Seine Karriere begann er als Produktmana- henstein. ger bei Levi Strauss, machte sich einen Namen als Creative Director bei Adidas Von Tomo Pavlovic Welche Rolle spielt Berlin in Ihrem Leben? und gründete 2006 sein eigenes Model- Für mich ist Berlin die inspirierendste Stadt, und Lifestyleunternehmen in Berlin. Die achtziger Jahre waren anstrengend, die es momentan gibt. Das Herz von Europa. ¡ Michalskys Style-Nite ist mehr kulturelles zumindest für alle, die nicht unabhängig Ich glaube, es gibt keine andere Stadt, in der Ereignis als Modenschau. Lady Gaga gab von Tages- und Jahreszeiten mit einer man so frei sein kann . dort ihr Europa-Debüt. (lir) Sonnenbrille durchs Leben gestolpert sind. Die Menschen trugen damals schril- Das heißt, es gibt kein Zurück nach Nürnberg, le Frisuren und Farben, die gefährliche nach New York oder nach Rümpel in Schles- Augenentzündungen hervorrufen konn- wig-Holstein, wo Sie aufgewachsen sind? ich etwas zu kreieren, das tragbar ist. Dass ten, ganz zu schweigen von den Atemweg- Es gibt definitiv kein Zurück nach Rümpel, meine Mode „tragbar“ ist, wird mir zwar reizungen nach dem unsachgemäßen außer wenn ich meine Eltern besuche. Nürn- auch oft vorgeworfen, aber für mich ist das Dauer-Einsatz von Haarspray.Im Fernse- berg ist eine schöne Stadt, aber ich habe dort ein großes Kompliment, denn das ist genau hen lief eine sonderbare amerikanische nur gelebt, weil ich für Adidas gearbeitet ha- das, was ich möchte. Es hat auch damit zu Serie namens „Miami Vice“, in der Poli- be. New York finde ich interessant, aber tun, dass hier viele Frauen arbeiten, die zum zisten unter kokainweißen Anzügen Ach- mehr als Tourist. Ich möchte da nicht leben. Beispiel auf dem Weg zum Atelier ihre Kin- selhemden in Neonpink oder grellem Ich werde immer eine Basis in Berlin haben, der in die Kita bringen, hier dann acht Stun- Petrolblau trugen. Dazu trank man Blue weil ich mich hier einfach wohlfühle. Außer- den arbeiten – danach noch kurz in den Curaçao mit Hohem C, wackelte zu Mo- dem sagt man ja auch, Berlin sei das „neue Supermarkt. Die wollen bequeme Klamot- dern Talking oder machte Aerobic. Un- New York“. ten tragen, aber trotzdem klasse aussehen. fassbar. Wer diese Zeit schwer traumatisiert Mögen Sie Deutschland? Welcher zeitgenössische Künstler hat den überlebt hat, meidet zweifelhafte Spiritu- Deutschland ist ein tolles Land. Eine Zeit größten Einfluss auf unseren Lebensstil? osen, künstliche Aufregungen, psychede- lang konnte ich mir nicht vorstellen, wieder Andy Warhol. Der hat vor 25, 30 Jahren so lische Farbkontraste und das ZDF.Denn hier zu leben. Aber ich finde, wir leben heute vieles prognostiziert, was heute Realität ist, dort lauert neuerdings wieder Katrin in einem ganz anderen Land als in den 90er zum Beispiel, dass jeder danach strebt, für Müller-Hohenstein, die so tut, als würde Jahren. Multikulti funktioniert hier. Auch 15 Minuten berühmt zu sein. Das ist spätes- sie mit Oliver „Titan“ Kahn über Fußball wenn es Probleme gibt. Manche Deutsche tens seit dem Castingshow-Wahn traurige sprechen, heimlich aber eine Ü-40-Steh- haben ein Problem damit, wenn Menschen Realität. Mit dem kleinstmöglichen Talent bluesparty für den Thomas-Anders-Fan- anders sind. Weil wir Deutschen es gern ha- und Aufwand kann da jeder auf der Bühne club in Wanne-Eickel moderiert. Ob Bla- ben, wenn alle gleich sind. stehen. Denen geht es nur ums Berühmtsein. zer in Pink zu weißen Jeans oder Pseudo- Weil wir in einem Zeitalter leben, in dem Bikerjacken mit asymmetrischen Hatten Sie Probleme damit, „anders“ zu sein? prominent sein alles ist. Weil viele denken, Reißverschlüssen, die ja in den achtziger Nö, ich war ja nicht bewusst anders. Ich habe dass man als Prominenter keine Sorgen hat. Jahren ausgesprochen beliebt waren – nur relativ früh gemerkt, dass das Umfeld, in beim Anblick von Katrin Müller- dem ich aufgewachsen bin, nicht das ist, wo Und wie lebt es sich als Berühmtheit? Hohensteins Gardero- ich bleiben will. Weil ich mich für Dinge in- Ich sehe mich nicht als Berühmtheit. Für be scheitert jeder teressiere, die dort keine Rolle spielen. Ich mich sind Berühmtheiten Menschen wie Verdrängungsver- habe das Abitur gemacht – und damit das, Karl Lagerfeld und Madonna. Gut, ich wer- such. Man leidet. was von mir erwartet wurde. Aber ab diesem de auf der Straße schon mal erkannt, aber Da hilft nur eins: Zeitpunkt wollte ich ein selbstbestimmtes ich habe mir das erarbeitet. Und ich habe das sich in die Gegen- Leben leben. Auch in Sachen Mode: Mein bewusst gemacht, weil ich mit meinem Label wart wegzappen Ziel war es von Anfang an, Mode anders zu in Konkurrenz zu großen Konzernen stehe, oder bis zum Fina- präsentieren, nämlich im Zusammenhang die Millionenbudgets für Werbung ausge- le die Sonnenbrille mit Populärkultur. Ich wollte keine Haute- ben. Das können wir als 30-Mann-Laden auflassen. Couture-Show – alle auf goldenen Stühl- nicht, daher habe ich mich als Person be- chen, zwölf Minuten Tamtam, und dann ist wusst selbst inszeniert. Damit die Leute alles vorbei. Ich möchte, dass möglichst viele überhaupt erfahren, dass es uns gibt, was Interessierte daran Anteil haben. Deshalb wir machen. Also, ich leide nicht unter mei- gibt es einen Livestream im Internet und ner Bekanntheit, wenn Sie das meinen . zum Beispiel beim letzten Mal eine Übertra- gung auf Arte. Ich finde, dass Mode eine Ge- Wo können Sie am besten arbeiten? samtheit ist und sich vieles gegenseitig Hier,im Atelier.Ich brauche meine Leute um inspiriert. mich. Ich bin ein Mannschaftsspieler. Gut, ich gebe die Richtung vor. Aber Karin (er Was passiert, wenn die Style-Nite vorbei ist? zeigt durch die Glaswand auf eine junge Dann bin ich erst mal glücklich. Und er- Frau) zeichnet alles, und wir stimmen uns Leute schöpft, weil viele Wochen intensive Arbeit eng ab. darin stecken. Ich falle in ein emotionales Loch. Während der Fashion Week ziehe ich Designer Michael Michalsky und eines seiner Models nach der StyleNite 2011 Foto: dpa Hat der Tag genug Stunden für all das, was Sie immer in ein Hotel, obwohl ich ja in Berlin machen möchten? Beller und die Karriere wohne. Sozusagen als Manifestierung der sehr glücklich, dass ich das machen kann, abzugrenzen von anderen. Ich bin grund- Ja, ich bin gut organisiert. Da bin ich sehr Für Model Jana Beller (21) war die Teil- außergewöhnlichen Style-Nite-Tage. Am was ich schon immer machen wollte, quasi sätzlich für Marke, weil Marke für etwas deutsch. Zwischen Viertel vor neun und spä- nahme an „Germany’s Next Topmodel“ Tag nach der Show gehe ich wieder nach meinen Traum verwirklichen, den ich als steht. Ich persönlich versuche mich ja auch testens halb zehn sitze ich am Schreibtisch. ein guter Start ins Modelgeschäft. Die Hause, und die neue Saison kann beginnen. Teenager hatte. Mode beziehe ich nicht nur als Marke zu inszenieren. Weil Marke auch Ich arbeite effizient, aber nicht so viel, wie Show sei „ein tolles Sprungbrett“, sagte auf den Wandel von Kleidung, sondern es be- ein Versprechen ist, das man gibt. manche denken. Ich habe eine gute Balance. sie der „Bunten“. Enttäuscht sei sie von Sind Sie vor der Style-Nite aufgeregt? trifft unser ganzes Lebensgefühl – welches den ersten Angeboten gewesen. „Modeln Die paar Stunden vorher schon. Dann ist das Buch wir lesen, wohin wir im Urlaub fahren, Welche Gefahren drohen, wenn Marken zur Wie groß ist Ihr Kleiderschrank? bedeutet für mich, dass du auf interna- wie so ein Tanker, den man nicht mehr an- welches Handy wir haben. Ich finde ja sogar, Ersatzfamilie mutieren? Der ist nicht so groß, etwa vier Meter lang. tionalen Laufstegen läufst.“ Sie habe halten kann. An den Tagen davor kann man dass manche Künstler Mode sind. Die Zyk- Keine. Wenn jemand genügend Erziehung Seit fünf Jahren miste ich nämlich rigoros Jurorin Heidi Klum (39) viel zu verdan- noch vieles ändern, aber dann hat es eine len in anderen Produktkategorien sind nur und Bildung erhalten hat – und dazu hat er in aus, wenn ich neue Sachen bekomme, also ken. „Aber ich kann nicht aus lauter Eigendynamik, die man nicht mehr selbst länger als bei der Kleidung. Das ist eben ein diesem Land die Möglichkeit –, ist er in der am Anfang der Saison. Früher habe ich viele Dankbarkeit darauf warten, bis ich wie- steuern kann. saisonales Geschäft. Letztlich ist heute alles Lage zu entscheiden. Und dann sind Marken Sachen aufgehoben, dann habe ich einen der in der Versenkung verschwinde. Je- Mode. Und das Tolle daran ist, dass dadurch cool, weil sie für etwas stehen – für Qualität, Schnitt gemacht. Und seitdem hebe ich nur der muss schauen, wo er bleibt.“ (dapd) Darf man Ihnen gegenüber Kritik äußern? alles in Bewegung bleibt. Historie oder ein gutes Handwerk etwa. Man noch besondere Einzelstücke auf. Es gibt keinen objektiven Bewertungsmaß- sollte sie halt nicht benutzen, um sich selbst stab für Mode. Manches wird gehypt, aber zu definieren, weil man keine eigene Persön- Wie lange haben Sie heute Morgen vor dem am nächsten Tag können dich und deine Kol- Sind Marken Ersatzfamilien? lichkeit hat. Kleiderschrank gestanden? Moss und die Absätze lektion auch schon wieder alle doof finden.