Rechtswissenschaftliche Fakultät ______

DNA-Datenbankgesetzgebung

- Eine rechtsvergleichende Analyse unter Berücksichtigung des

Spannungsverhältnisses zwischen der Effizienz der Strafver-

folgung und den Anforderungen an den Schutz der Pri-

vatsphäre

von Qin, Jing aus Linfen, Provinz Shanxi, China

Freiburg, September 2012

1

Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der Rechtwissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Jing Qin, Freiburg Tag der mündlichen Prüfung: 19.11.2012 Dekan: Prof. Dr. Alexander Bruns Erstgutachter: Prof. Dr. Thomas Würtenberger

Zweitgutachter: Prof. Dr. Silja Vöneky

2

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im November des Wintersemesters 2012/13 von der juris- tischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation ange-nommen. Gesetze, Rechtsprechung und Schrifttum befinden sich im Wesentlichen auf dem Stand vom Mai 2012.

Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Wür- ten-berger, der die Entstehung der Arbeit durch wertvolle Anregungen sowie den nötigen Freiraum gefördert hat. Während meines LL.M-Studiums und meiner Promotion hat er stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden und ich bin davon überzeugt, dass seine Be- rufseinstellung, Nettigkeit und Geduld mein zukünftiges Arbeitsleben tief und dauerhaft prägen werden. Für die zügige Entstehung des Zweitgutachtens danke ich Frau Professo- rin Dr. Vöneky.

Besonderer Dank gilt meinen Mentor Richter Wolfgang Peuster am Landgericht Frei- burg und meiner lieben Freundin Kristin Kupfer, die die mühsame Aufgabe des Korrek- turlesens übernommen und mir sprachlich sehr geholfen haben. Für die Gewährung eines großzügigen Stipendiums möchte ich mich außerdem beim China Scholarship Council bedanken, das meine Promotion in Deutschland ermög-licht hat.

Meinen Eltern und meinem Verlobten danke ich von ganzem Herzen für ihre un-nachgiebige Liebe, Hilfe und Unterstützung, mit denen sie mein Studium in Deutschland begleitet und gefördert haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Freiburg, im November 2012 Jing Qin

3

Inhaltverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ...... 13

Einführung ...... 17

I. Ausgangspunkt ...... 17

II. Gegenstand der rechtsvergleichenden Untersuchung ...... 19

III. Zur Methode der rechtsvergleichenden Untersuchung ...... 20

1. Methode der funktionellen Rechtsvergleichung ...... 20

2. Die Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen ...... 21

3. Der Sinn der rechtsvergleichenden Untersuchung ...... 22

IV. Gang der Untersuchung ...... 25

Erster Teil: ...... 27

Die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz der DNA-Analyse in England und Wales unter Berücksichtigung des Rechtsschutzes durch die Rechtsprechung nach Art. 8 EMRK ...... 27

§ 1. Die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz der DNA-Analyse in England und Wales ...... 27

I. Zulässigkeit der Entnahme von Zellproben ...... 29

1. Im laufenden Verfahren ...... 29

2. Die Entnahme der Zellprobe als eine erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge ...... 30

2.1. Qualifizierte Anlasstaten - „recordable offense“ ...... 32

2.2. „Intimate sample“ und „non-intimate sample” ...... 34

II. Zulässigkeit der Erstellung von DNA-Profile ...... 36

III. Zusammenfassung der bisherigen Gesetzesänderungen ...... 36

IV. Vernichtung der entnommenen Zellprobe und Löschung der DNA-Profile ...... 37

1. Vernichtung der entnommenen Zellprobe nach s. 64 Abs. 1, 2 und 3 PACE a.F...... 38

1.1. Beweismittelausschluss nach Verstößen gegen ss. 63 und 64 PACE a.F. in Bezug auf genetische Fingerabdrücke ...... 38

1.2. Wichtige Entscheidungen zum Beweismittelausschlusses in Bezug auf genetische Fingerabdrücke...... 41

4

2. Criminal Justice and Police Act 2001 (CJPA) ...... 45

§ 2. Rechtsschutz der Privatsphäre auf nationaler Ebene in Großbritannien und der Einfluss der EMRK ...... 47

I. Rechtsschutz der Privatsphäre auf nationaler Ebene in Großbritannien ...... 47

II. Der Einfluss der EMRK auf die Entwicklung eines Right to Privacy im englischen Recht und der Rechtsschutz der Privatsphäre aus Art. 8 EMRK ...... 49

1. Der Schutzbereich des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK ...... 50

2. Eingriffe...... 51

3. Rechtfertigungsgründe ...... 53

III. Der Marper Fall ...... 53

1. Die Entscheidungen des Administrative Court, Court of Appeal und House of Lords ...... 54

2. Die Lösung des EGMR—Der Fall S. und Marper gegen das Vereinigtes Königreich ...... 56

2.1. Speicherung der Zellprobe ist per se ein Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Achtung des Privatlebens ...... 56

2.2. Rechtfertigung des Eingriffes ...... 58

2.3. Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft ...... 58

3. Abhilfemaßnahmen ...... 63

4. Neue Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs - R. v The Commissioner of Police of the Metropolis ...... 64

§ 3. Öffentliche Debatte und Reform der Gesetzgebung nach der Marper Entscheidung des EGMR ...... 66

I. Parlamentsdebatten in House of Commons und House of Lords ...... 66

1. Erste Frage: Die Notwendigkeit der Speicherung von DNA-Profilen nach einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung ...... 67

1.1. Das Gutachten der UK Home Office Economics and Resource Analysis Group ...... 68

1.2. Das Gutachten der Association of Chief Police Officers ...... 71 5

1.3. Kritik an den Gutachten des UK Home Office und ACPO ...... 72

1.4. Zusammenfassung ...... 76

2. Zweite Frage: Hilft die Datenspeicherung Unschuldige zu entlasten? ...... 77

2.1. Die Opposition: Es ist nicht nötig, die Daten des Unschuldigen zu speichern, um ihn dann später zu entlasten...... 77

3. Dritte Frage: warum 6 Jahre? Eine Zeitspanne auf Gutachten basierend oder einfach „stick the finger in the air and think of a number” ...... 79

3.1. Kritik an dem Gutachten und die Home Departments Reaktion ...... 80

II. Reform der Gesetzgebung - Crime and Security Act 2010 ...... 81

1. Normenadressanten ...... 81

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellproben und Löschung der DNA-Profile ...... 83

2.1. Vernichtung der entnommenen Zellprobe des Betroffenen ...... 83

2.2. Speicherungsdauer und Löschung der DNA-Profile ...... 83

Zusammenfassung zum ersten Teil ...... 85

Zweiter Teil: ...... 87

Die gesetzlichen Grundlagen bezüglich der DNA-Analyse und Speicherung in den Vereinigten Staaten unter Berücksichtigung des Rechtsschutzes nach dem vierten Verfassungszusatz ...... 87

§ 4. Die Entwicklung der Gesetzgebung bezüglich der DNA-Analyse in den USA...... 87

I. Die gestufte Struktur der Verwaltung und Koordination der DNA-Datenbanken ...... 87

II. Gesetzgebung bezüglich der Zulässigkeit der Entnahme und molekulargenetichen Untersuchung von Zellprobe auf Bundesebene und Staatenebene ...... 90

1. DNA-Analyse Backlog Elimination Act, USA Patriot Act (I & II) - Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung bei der Verurteilung ...... 91

2. Justice for All Act - Probenahme bei der Anklage ...... 93

3. Der Violence against Women Act (Title X--DNA Fingerprint Act of 2005)- DNA-Probenahme bei der Festnahme ...... 94

4. Exkurs: Gesetzgebung auf der Staatenebene ...... 94

5. Zusammenfassung ...... 96 6

III. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellproben und Löschung der DNA-Profile ....96

1. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschungspolitik der DNA-Profile auf Bundesebene ...... 96

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschungspolitik der DNA-Profile auf der Staatenebene ...... 99

IV. Die verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen ...... 100

1. Die Konsequenz der Weigerung zur Abgabe einer Zellprobe ...... 100

2. Regelungen in Bezug auf richterliche Anordnung...... 101

3. Zugang zu den Datenbanken und die Schadensersatzrechte bei Verletzung der Datenschutzpflichten ...... 102

§ 5. Rechtsschutz im Bereich der Privatsphäre in den USA ...... 102

I. Rechtsschutz im Bereich der Privatsphäre im Sinne der Verfassung ...... 104

1. Der vierte Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten ...... 104

2. Rechtschutz im Bereich der Privatsphäre aus dem vierten Verfassungszusatz ...... 105

2.1. Weeks v. United States...... 106

2.2. Olmstead v. United States ...... 107

2.3. Katz v. United States ...... 108

3. Zweistufige Prüfung für die Entscheidungsfindung bezüglich des Rechtschutzes der Privatsphäre ...... 109

II. Der Rechtschutz aus dem vierten Verfassungszusatz in Bezug auf DNA-Analyse ...110

1. Öffentlichkeitsfaktor ...... 111

2. Ausmaß des körperlichen Eingriffs ...... 112

3. Art der gewonnenen Information...... 113

§ 6. Zwei Rechtfertigungsvoraussetzungen des vierten Verfassungszusatzes bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze ...... 114

I. "Warrant clause" und "reasonableness clause" des vierten Verfassungszusatzes ...... 115

1. Die konjunktive Interpretation ...... 117

7

1.1. Notwendigkeit einer vorherigen richterlichen Überprüfung – die Anordnung-Präferenzregel (The Warrant Preference Rule) ...... 117

2. Die disjunktive Interpretation ...... 119

3. Zusammenfassung ...... 120

II. Bedarfslehre - “special needs” ...... 121

1. Beginn der Bedarfslehre und deren Anwendung in Bezug auf körperliche Untersuchungen...... 121

1.1. Urinanalyse wegen Drogentests ...... 124

1.2. Der Fall Chandler v. Miller - ein Signal, den Anwendungsbereich der Bedarfslehre einzuschränken ...... 126

1.3. Der Fall Ferguson v. City of Charleston ...... 128

2. Die Gründe für die Lockerung der Bedingung eines richterlichen Beschlusses aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts durch die Bedarfslehre ...... 130

3. Der Einsatz der Bedarfslehre bei der Überprüfung der Verfassungs- mäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze ...... 132

3.1. Bei den Federal District Courts ...... 132

3.2. Bei den Circuit Courts ...... 133

4. Kritik an der Bedarfslehre als Prüfungsmerkmal für die Rechtfertigung der DNA-Analyse und der entsprechenden Gesetze ...... 135

III. Die Abwägungslehre - „balancing test“ ...... 137

1. Der Fall United States v. Knights ...... 138

2. Neue Entwicklung der Abwägungslehre: Der Fall Samson v. California- Durchsuchung ohne richterliche Anordnung oder begründeten Verdacht ...... 139

3. Der Einsatz der Abwägungslehre bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze ...... 141

3.1. Der Fall Jones v. Murray - die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse von Gefängnisinsassen ...... 141

3.2. Der Fall United States v. Kincade - Körperzellenentnahme von bedingt Entlassenen ...... 142

8

3.3. Die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse von Festgenommenen ...143

4. Kritik an der Abwägungslehre ...... 146

5. Die Anwendbarkeit der Abwägungslehre ...... 147

Zusammenfassung zum zweiten Teil ...... 148

Dritter Teil: ...... 150

Die Entwicklung des DNA-Analysen betreffenden Rechts in Deutschland ...... 150

§ 7. Die Gesetzgebungsentwicklung im Bereich der DNA-Analyse ...... 151

I. Strafverfahrensänderungsgesetz DNA-Analyse ...... 151

II. Strafprozessordnung DNA-Identitätsfeststellungsgesetz ...... 152

III. Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 2. Juni 1999 und Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse ...... 153

§ 8. Materielle Verfassungsmäßigkeit ...... 154

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ...... 155

1. Schutzbereich ...... 156

2. Eingriffsqualität von molekulargenetischen Untersuchungen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ...... 156

3. Rechtfertigung ...... 157

II. Vereinbarkeit der materiellen Anordnungsvoraussetzungen der DNA-Identitätsfeststellung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ...... 158

1. Normadressat: Beschuldigte, Verurteilte und die ihnen gleichgestellten Personen ...... 158

2. Qualifizierte Anlasstaten (§ 81g Abs. 1 S. 1 StPO) ...... 160

2.1. Verdachtsgrad ...... 160

3. Qualifizierte Negativprognose ...... 162

3.1. Die Regelung des § 81g Abs. 1 StPO ...... 163

3.2. Gegenstand der Prognose: künftige Strafverfahren ...... 163

3.3. Kriterien für die Prognoseentscheidung ...... 163

3.4. Auf den Einzelfall bezogene Faktoren in der Rechtsprechung ...... 164 9

§ 9. Die verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen und ihre Schutzvorkehrung zur Sicherung der Rechte des Beschuldigten ...... 165

I. Verfahrensrechtliche Bestimmungen ...... 166

1. Verfahren bei Einwilligung des Beschuldigten und Belehrungsanforderungen, § 81g Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 81f Abs. 2 StPO ...... 166

2. Regelungen in Bezug auf die richterliche Anordnung ...... 167

2.1. Die Funktion des Richtervorbehalts ...... 168

2.2. Die Ausnahmekompetenzen (Gefahr im Verzug) ...... 171

2.3. In Bezug auf die Notwendigkeit des Richtervorbehalts in § 81g Abs. 3 S. 2 StPO ...... 174

3. Begründung der Anordnung ...... 174

4. Beweisverwertungsverbot als prozessuale Rechtsfolge beim Verstoß gegen die strafprozessuale Voraussetzung des 81g StPO? ...... 176

II. Datenschutzrechtliche Bestimmungen: Vernichtung der dem Beschuldigten entnommenen Zellproben und Löschung der DNA- Profile ...... 182

1. Die Vernichtung der dem Beschuldigten entnommenen Zellproben ...... 183

2. Löschung der DNA- Profile, § 81g Abs. 5 StPO ...... 184

2.1. Aussonderungsprüffrist im Sinne von §§ 32 Abs. 3 und § 34 Abs. 1 Nr. 8 BKAG ...... 185

2.2. Löschung von Datensätzen ...... 186

Exkurs: Verurteilung, allerdings nicht aufgrund eines Anfangsverdachts einer erheblichen Straftat ...... 188

Zusammenfassung zum dritten Teil ...... 190

Vierter Teil ...... 192

DNA-Gesetzgebung in Singapur und Hongkong ...... 192

§ 10. Singapur ...... 192

I. Normadressaten gemäß s. 13B RCA ...... 192

II. Vernichtung der Zellproben und Löschung der DNA-Profile ...... 193

§ 11. Hongkong (SAR) ...... 193

10

I. Normadressaten ...... 193

II. Vernichtung der Zellproben und Löschung der DNA-Profile ...... 197

III. Rechtsschutz der Privatsphäre bezüglich der DNA-Analyse in Hongkong...... 198

1. Rechtschutz im Bereich der Privatsphäre auf verfassungsrechtlicher Ebene - das Basic Law von Hong Kong (SAR) und Bill of Rights Ordinance ...... 200

2. Der Einfluss der ICCPR und EMRK auf die Entwicklung des Rechts- schutzes der Privatsphäre in Hongkong ...... 200

Fünfter Teil: ...... 204

Neue Entwicklung auf EU-Ebene – Prümer Vertrag und sein Datenschutzniveau ...... 204

§12. Prüm-Regelungen ...... 204

I. Automatisierter Abruf ...... 205

II. Automatisierter Abgleich von DNA-Profilen ...... 207

III. Übermittlung weiterer personenbezogener Daten und sonstiger Informationen ...... 207

§ 13. Das Datenschutzregime der Prüm-Regelungen ...... 208

I. Datenschutzniveau ...... 208

II. Allgemeine Pflicht zur Löschung von Daten ...... 210

III. Zweckbindung, Berichtigung und Protokollierungspflicht ...... 211

IV. Die Beschwerdemöglichkeit des Betroffenen ...... 212

Sechster Teil ...... 214

Schlussbemerkungen ...... 214

I. Rechtsvergleich der DNA-Regelungen in den o.g. Ländern ...... 214

1. Normadressaten ...... 216

1.1. Bei rechtskräftig Verurteilten ...... 216

1.2. Bei den Verurteilten gleichgestellten Personen ...... 216

1.3. Bei Angeklagten ...... 217

1.4. Bei Festgenommenen ...... 217

1.5. Zusammenfassung zur Frage der Normadressaten ...... 217

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschung der DNA-Profile ...... 221

11

2.1. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe ...... 221

2.2. Löschung der DNA-Profile ...... 221

2.3. Zusammenfassung zur Frage der Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschung der DNA-Profile ...... 222

II. Rechtsprechung als ein wichtiger Mechanismus des Rechtschutzes der Privatsphäre ...... 222

III. Differenzierter oder umfassender Rechtsschutz? ...... 224

IV. Neue Wege des DNA-Datenaustauschs und ihre Hindernisse ...... 227

Literaturverzeichnis ...... 231

Entscheidungsindex ...... 248

12

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz a.F. alte Fassung

All E. R. Rep. All England Law Reports Reprint

Am. Crim. L. Rev American Criminal Law Review

Am. J. Comp. L. American Journal of Comparative Law

AM. SOC'Y OF LAW, MED. & The American Society of Law, Medicine & ETHICS Ethics Ann. annotated

Art. Artikel

Aufl. Auflage

B.C. Int'l & Comp. L. Rev. Boston College International and Comparative Law Review Beschl. Beschluss

BGBl. Bundesgesetzblatt

Brook. L. Rev. Brooklyn Law Review

BT-Drs. Bundestagsdrucksache

BVerfG Bundesverfassungsgericht

CA civil affairs

Cal.2d/3d California Reports Second or Third Series

CORNELL J.L. & PUB.POL'Y Cornell Journal of Law and Public Policy

Cir. Circuit Court

CJA The Criminal Justice Act 2003

CJPA The Criminal Justice and Police Act 2001

CJPOA The Criminal Justice and Public Order Act 1994

CL&J Criminal Law and Justice Weekly

C.L.R. Commonwealth Law Reports

Crim. App. R. Criminal Appeal Reports

Crim.L.R. Criminal Law Review

D.C. District of Columbia

Duke L.J. Duke Law Journal

EGMR Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Emory Int'l L. Rev. Emory International Law Review 13

EMRK Europäische Konvention Zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950, BGBl. 1952 II, 685 EJC/ Eur J Criminol. European Journal of Criminology

EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EWCA Crim. Court of Appeal (Criminal Division)

EWHC High Court of England and Wales f. folgende (Seite)

FBI Federal Bureau of Investigation ff. folgende (Seiten)

Fn. Fußnote

Fordham L. Rev. Fordham Law Review

FS Festschrift

Ga. Georgia

GG Grundgesetz

Golden Gate U. L. Rev. Golden Gate University Law Review

Geo. Mason U. C.R. L.J. George Mason University Civil Rights Law Journal Ga. St. U. L. Rev. Georgia State University Law Review

Harv. C.R.-C.L. L. Rev. Harvard Civil Rights-Civil Liberties Law Review Hastings Int'l & Comp. L. Rev. Hastings International and Comparative Law Review Hastings L.J. Hastings Law Journal

HCAL Constitutional and Administrative Law List of High Court of Hongkong Hous. L. Rev. Houston Law Review

Hrsg. Herausgeber

IND. L.J. Indiana Law Journal i.V.m. in Verbindung mit

ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights vom 19.12.1966. JA Juristische Arbeitsblätter

J. Crim. L. & Criminology Journal of Criminal Law and Criminology

JHBL/ J. Health & Biomed. L. Journal of Health & Biomedical Law

14

J.L. MED. & ETHICS Journal of Law, Medicine and Ethics

J.L. & Soc'y Journal of Law and Society

J. on Telecomm. & High Tech. Journal on Telecommunications & High L. Technology Law JuS Juristische Schulung

JZ Juristenzeitung

KK Karlsruher Kommentar

LJ Lord Justice

McGeorge L. Rev. McGeorge Law Review

MICH. L. REV. Michigan Law Review

Mod. L. Rev. Modern Law Review

New Eng. L. Rev. New England Law Review n.F. neue Fassung

NILQ/N. Ir. Legal Q. Legal Quarterly

NJW Neue Juristische Wochenschrift

NLJ National Law Journal

Nw. U. L. Rev. Northwestern University Law Review

Notre Dame Law Review/ Notre Dame Law Review NTDLR NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OLG Oberlandesgericht

PACE The Police and Criminal Evidence Act 1984

Pub. L. Public Law

Q.B. (D.) Queen’s Bench Division

R. Regina

Rev. Stat. Revised Statute s. section

San Diego L. Rev. San Diego Law Review

Sci. Justice Science & Justice

Seattle J. Soc. Just. Seattle Journal for Social Justice

S.C. L. REV. South Carolina Law Review

SK Systematischer Kommentar

15 ss. sections

Stan. L. Rev. Stanford Law Review

Stetson L. Rev. Stetson Law Review

StV Strafverteidiger

StVollzG Strafvollzugsgesetz

SVR Zeitschrift für die Praxis des Verkehrsjuristen

Syracuse L. Rev. Syracuse Law Review

Tex. L. Rev. Texas Law Review

Tul. J. Int'l & Comp. L. Tulane Journal of International and Comparative Law UC Davis L. Rev. UC Davis Law Review

U. Ark. Little Rock L. Rev./ University of Arkansas at Little Rock Law UALR L. Rev. Review U. Balt. L. Rev. University of Baltimore Law Review

UKHL House of Lords

UKSC Supreme Court of the United Kingdom

U. Pa. J. Const. L. University of Pennsylvania Journal of Constitutional Law U.S.C. United States Code v. versus

VJTL/ Vand. J. Transnat'l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law

Vol. volume

Wake Forest L. Rev. Wake Forest Law Review

ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZRP Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

16

Einführung

I. Ausgangspunkt

Seit der englische Biologe Alec Jeffreys aus Leicester den genetischen Fingerabdruck erfand, wurde dieser schnell zu einem wichtigen rechtsmedizinischen Erkenntnis- mittel, insbesondere im Bereich der Aufklärung von Sexualstraftaten und Mordfäl- len.1 Um die Technik als erkennungsdienstliche Maßnahme bei der Ermittlung in künftigen Strafverfahren einzusetzen, wurden in den letzten Jahren zahlreiche natio- nale DNA-Datenbanken eingerichtet, zunächst in den USA (1994),2 später auch in europäischen und asiatischen Ländern (oder Regionen3), wie Großbritannien (1995), Deutschland (1998), Hongkong (2000) und Singapur (2004). Die Datenbanken haben eine identische Hauptaufgabe, nämlich eine schnellere Täteridentifizierung und da- mit eine bessere Aufklärung von schweren Straftaten zu unterstützen.4 Entsprechend wurden im jeweiligen Land gesetzliche Grundlagen verabschiedet, welche die Zuläs- sigkeit der Maßnahme sowie verfahrensrechtliche und datenschutzrechtliche Anfor- derungen regeln.

Auf nationaler Ebene erfuhren die DNA-Regelungen über fast zwei Jahrzehnte mehrfache Gesetzesänderungen zur Erweiterung ihres Anwendungsbereichs. Die DNA-Zellproben und Profile von über 6,5 Millionen Menschen (über 8% der Bevöl-

1 Burley, Study in Scarlet: Criminal DNA Typing Reaches the Courts and Legislatures, 6 J.L. & Pol. 755 (1989-1990), S. 764; Beeler/Wiebe, DNA Identification Tests and the Courts, R. 63 Wash. L. Rev. 903 (1988), S. 908; Callahan, Admissibility of DNA Evidence in the Unite States and England, 19 Suffolk Transnat'l L. Rev. 537 (1995-1996), S. 538; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 1; Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 16; BTDrs 15/350, S. 1. 2 Im Jahr 1989 gründete der Bundesstaat Virginia die erste DNA-Datenbank in den USA. Auf Bun- desebene wurde das CODIS Programm nach dem DNA Identification Act im Jahr 1994 aufgebaut. Vgl. Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 205. 3 Hongkong (SAR, Special Administrative Region) ist eine Sonderverwaltungszone der Volksrepub- lik China. 4 McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S. 31; Bieber, Science and Technology of Forensic DNA Profiling: Current Use and Future Directions, S. 42; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 2. 17 kerung)5 in Großbritannien werden in der NDNAD (National DNA Database) ge- speichert, inkl. derjenigen Personen, deren Strafverfahren eingestellt oder mit einem Freispruch abgeschlossen wurde. Im Jahr 2005 ließ der DNA Fingerprint Act in den USA die bis dato größte Erweiterung der Eingriffsmöglichkeit bezüglich der geneti- schen Fingerabdrücke zu: die obligatorische Abnahme einer DNA-Zellprobe bei Festnahme. In Singapur fallen alle Straftaten ungeachtet der Art oder Schwere der Straftat, derer der Betroffene verdächtig ist, in den Anwendungsbereich einer solchen DNA-Regelung. Man findet sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland Be- fürworter, die ebenfalls für eine Strafverfolgung durch DNA-Typisierung bei allen Straftaten plädieren, sogar für eine universale Datenbank der ganzen Bevölkerung.6

Auf europäischer Ebene sind mehrere nationale DNA-Datenbanken um einer effi- zienten Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration willen durch den Prümer Vertrag vernetzt, der einen Informa- tionsaustausch inkl. des genetischen Datenaustauchs ermöglicht.7 Dies ist ein Teil der polizeilichen Zusammenarbeit, die über die Jahrzehnte im europäischen Eini- gungsprozess zu einem äußerst wichtigen Tätigkeitsfeld geworden ist. Vor allem ist diese Zusammenarbeit auf den beabsichtigten Abbau der Personenkontrollen an den

5 Nach der aktuellen Statistik vom 31. März 2012 sind 5.570.284 personenbezogene DNA-Profile in der NDNAD gespeichert. Vgl. Bramble, The National DNA Database - A balance between individual privacy and public protection, S. 4; National Policing Improvement Agency, http://www.npia.police.uk/en/13881.htm (Zugriff am 20. April 2012). 6 Wagner, Effektive Strafverfolgung durch DNA-Kartei für alle Straftaten, ZRP 2004, 14 (15); Nydick, British Invasion (of Privacy): DNA Databases in the United Kingdom and United States in the Wake of the Marper Case, 23 Emory Int'l L. Rev. 609 (2009), S. 640; All UK 'must be on DNA database', BBC News, http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk/6979138.stm (Zugriff am 8 Mai 2012). 7 Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spa- nien, der Französischen Republik, dem Großherzogturn Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbe- sondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration. Zunächst war der Prümer Vertrag ein völkerrechtlicher Vertrag. Allerdings wurden die wesentlichen Regelungen auf den Rechtsrahmen der europäischen Union ausgedehnt. (Beschluss des Rates 2008/615/JI, Abl. EU 2008 Nr. L 201/1 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammen- arbeit). Vgl. Suhr, in Calliess/Ruffert, AEUV, Art. 87 Rdn. 14. 18 innergemeinschaftlichen Grenzen der EU und die damit verbundenen Befürchtungen über eine Zunahme der Kriminalität zurückzuführen. 8 Auf internationaler Ebene wurden nach dem 11. September 2001 neue sicherheitsdienliche Maßnahmen sowohl in den USA als auch in vielen anderen Staaten eingeführt.9 Im Namen des Schutzes der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung werden DNA-Datenbanken ne- ben anderen Überwachungstechnologien, beispielsweise Lauschangriffe, Video- überwachung oder Vorratsdatenspeicherung, verstärkt propagiert.10

Gegenüber der Ausweitung und Vernetzung der DNA-Datenbanken bestehen wegen einer besonderen Sensibilität gegenüber molekulargenetischen Untersuchungen Be- denken und Befürchtungen von Seiten der Bevölkerung. Diese Bedenken haben sich in zahlreichen Klagen und Verfassungsbeschwerden manifestiert und ihnen wurde teilweise von den nationalen Gerichten oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stattgegeben. Als zu schützendes Recht kommen das „right of privacy“ in Großbritannien, in den USA sowie in Singapur und Hongkong und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Deutschland in Betracht.

Dieses oben geschilderte Spannungsverhältnis zwischen effektiver Strafverfolgung und individuellen Freiheitsrechten in den o.g. Ländern gibt den Anlass für die vor- liegende rechtvergleichende Untersuchung.

II. Gegenstand der rechtsvergleichenden Untersuchung

8 Busch, Grenzenlose Polizei?-Neue Grenzen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa, S. 32. 9 Hildebrandt, Civil Liberties in Gefahr? Die innenpolitischen Sicherheitsmaßnahmen der USA nach dem 11. September 2001, S. 15; Hessel, Ein Vergleich der Eingriffsschwellen im deutschen und US-amerikanischen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des US Supreme Court bei Eingriffen in die Privatsphäre, S. 15; Hoffmann-Riem, Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, ZRP 2002, 497 (498). 10 Siehe s. 503 USA Patriot Act, Pub. L. No. 107-56, § 503, 115 Stat. 272, 364 (2001); § 7 (Automa- tisierter Abruf von DNA-Profilen) Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität (insbesondere der Terrorismus), BGBl. 2009 Teil 2, Nr. 30, S. 1010. Vgl. Würtenberger, Entwicklungslinien des Sicherheitsverfassungsrechts, S. 287. 19

Den Gegenstand der rechtsvergleichenden Untersuchung bilden die nationalen Ge- setze über die Eingriffsvoraussetzungen der Entnahme, die molekulargenetische Un- tersuchung sowie die Speicherung und (künftige) Verwendung des genetischen Fin- gerabdrucks aus Körperzellen einer Person. Da es sich dabei um eine international häufig anzutreffende Maßnahme handelt, liegt es nahe, rechtsvergleichend zu unter- suchen, wie der Rechtschutz der Privatsphäre in den zu vergleichenden Ländern durch verfahrensrechtliche und datenschutzrechtliche Bestimmungen garantiert wird. We- gen der Gründung des common law auf unterschiedlichen Rechtsquellen muss über das oben genannte Gesetzesrecht hinaus gleichermaßen auch ein Blick auf die Doktrin des englischen und US-amerikanischen Richterrechts, also das Präjudizienrecht (rule of precedents) durch die einschlägige Rechtsprechung, geworfen werden.

Zudem wird darauf eingegangen, wie die Rechtsprechung als ein wichtiger Mecha- nismus des Rechtschutzes in Bezug auf die DNA-Identifizierungsmaßnahme und DNA-Datenbanken in den dargestellten Rechtsordnungen die Verfassungsrechte des Bürgers, nämlich das Recht auf Privatsphäre oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, im jeweiligen Land verwirklicht und neben den Schutzvorkeh- rungen im Gesetz mitwirkt.

III. Zur Methode der rechtsvergleichenden Untersuchung

1. Methode der funktionellen Rechtsvergleichung

Die vorliegende Arbeit folgt der allgemein anerkannten Methode der funktionellen Rechtsvergleichung. Die Vergleichbarkeit von Regelungen verschiedener Rechts- ordnungen richtet sich danach, ob sie – unabhängig von ihrer dogmatischen und sys- tematischen Stellung in der jeweiligen Rechtsordnung – dieselbe Funktion erfüllen.11 Die hier in Frage stehenden Vorschriften weisen diese Eigenschaft auf: sie sollen die DNA-Analyse als erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge regeln und zugleich das Recht des Betroffenen durch verfahrensrechtliche und da- tenschutzrechtliche Bestimmungen schützen.

11 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, S. 26. 20

2. Die Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen

Für den Vergleich mit deutschem Recht werden die relevanten Vorschriften des eng- lischen und US-amerikanischen Rechts herangezogen sowie ein kürzerer Überblick über die Regelungen in Singapur und Hongkong gegeben.

Was die Annahme der zu vergleichenden Rechtsordnungen betrifft: Großbritannien ist die Heimat der Technik der genetischen Fingerabdrücke12 und es nimmt die Spit- zenposition im Hinsicht auf Größe und Ressourcen der NDNAD ein.13 Durch die Marper Entscheidung des EGMR wurde die Lückenhaftigkeit des Rechtsschutzes der Privatsphäre im englischen Recht aufgezeigt. 14 Aktuelle öffentliche Auseinander- setzungen bringen die mit der DNA-Identifizierungsmaßnahme und DNA-Datenbank verbundenen Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung vor staatlichen übermäßi- gen Eingriffen zum Ausdruck.15 Es ist zu beachten, dass der Rechtsvergleich sich nicht auf das gesamte Vereinigte Königreich sondern auf England und Wales16 be- zieht, weil die Maßnahme im schottischen Strafverfahrensgesetz von 1995 (Criminal Procedure Act of Scotland) anders geregelt ist als in England und Wales. Die Begriffe „Großbritannien“ oder „Vereinigtes Königreich“ werden nur im Zusammenhang mit der Darstellung der NDNAD und der Analyse der Entscheidung des EGMR verwen- det.

12 Burley, Study in Scarlet: Criminal DNA Typing Reaches the Courts and Legislatures, 6 J.L. & Pol. 755 (1989-1990), S. 764; Beeler/Wiebe, DNA Identification Tests and the Courts, R. 63 Wash. L. Rev. 903 (1988), S. 908. 13 Bramble, The National DNA Database - A balance between individual privacy and public protection, S. 4. 14 Marper v. United Kingdom, Applications nos. 30562/04 and 30566/04, [2008] ECHR 1581. 15 The Police Foundation (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009; The Foundation for Information Policy Research (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009; Gene Watch UK and Open Rights Group (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009. Dazu ausführlicher unter § 3. 16 Die nordirische Verordnung von 1989 über polizeiliche Beweismittel und Beweismittel in Straf- verfahren (Police and Criminal Evidence Order of Northern Ireland 1989) wurde 2001 auf dieselbe Weise abgeändert, wie das in England und Wales anwendbare PACE-Gesetz. 21

Die DNA-Datenbankgesetze in den USA wurden ausgewählt, weil diese bereits seit längerer Zeit in Kraft sind und über deren praktische Anwendung Erfahrungen vor- liegen.17 Das Abkommen zwischen den USA und Deutschland über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kri- minalität18 gab der Untersuchung über die Zulässigkeit der Maßnahme und deren Anordnungsvoraussetzung nach geltender Rechtslage in den USA einen praktischen und aktuellen Sinn, weil das Abkommen einen automatisierten Austausch von Fin- gerabdruck- und DNA-Daten im hit/no-hit-Verfahren zwischen Deutschland und den USA ermöglichte. Es ist daher eine entscheidende Frage, ob ein angemessenes und vergleichbares Datenschutzniveau in den USA ebenfalls gewährleistet ist.

Singapur und Hongkong als zwei ausgewählte Rechtordnungen in Asien werden in der folgenden Arbeit kurz behandelt, die zukünftige Gesetzgebung in anderen asiatischen Ländern, die den Aufbau einer nationalen Datenbank auf die politische Agenda gesetzt haben, möglicherweise beeinflussen können.

3. Der Sinn der rechtsvergleichenden Untersuchung

Der Sinn der Rechtvergleichung ist zunächst, verschiedene Rechtsordnungen zuei- nander in Bezug zu setzen, um hieraus Erkenntnisse vor allem für die Entwicklung, Anwendung und Fortentwicklung des nationalen Rechts ableiten zu können. Anhand der nationalen DNA-Datenbankgesetze wird sich hierbei zeigen, ob Grund und Ver- lauf der Entwicklung in verschiedenen Ländern ähnlich waren und ob einige ge- meinsame Standards der parallelen nationalen DNA-Regelungen daraus entwickelt werden können. Zwei Hauptelemente der Regelungen, die mit der Maßnahme in Be- zug auf die genetische Fingerabdrücke und DNA-Datenbank verbunden sind, werden hier umfasst: die Eingriffsschwelle der Maßnahme und die Vernichtung- und Lö- schungsmöglichkeit des jeweiligen Landes.

17 Roman-Santos, Concerns Associated with Expanding DNA Databases, 2 Hastings Sci. & Tech. L.J. 267 (2010), S. 387. 18 BGBl. 2009 Teil 2, Nr. 30, S. 1010. 22

Diese Untersuchung ist einerseits für die Entwicklung einheitlicher Standards bei der

Vernetzung der existierenden nationalen Datenbanken bedeutsam, weil es einen spä- teren Datenaustausch ermöglicht und erleichtert.19 Wie dargestellt, ist der Austausch von DNA-Profilen auf EU-Ebene durch die Vernetzung der nationalen DNA-Analyse-Dateien auf der Basis der Prüm-Beschlüsse für grenzüberschreitende Datenabgleiche zwischen den polizeilichen DNA-Datenbanken möglich. Wenn der Aufbau einer internationalen DNA-Datenbank mit der Zielrichtung der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und des Terrorismus realisiert würde, sind gewisse gemeinsame Maßstäbe, möglicherweise in Beachtung des Prümer Ver- tragsmodells, zu entwickeln.

Andererseits dient die Rechtsvergleichung als Hilfsmittel für den Gesetzgeber20 in denjenigen Ländern, die mit dem Aufbau einer Datenbank begonnen haben oder deren DNA-Datenbankgesetze sich im Entwurfsstadium befinden.21 Sie können auf ein existierendes Modell zurückgreifen und, soweit möglich, einige dort enthaltene posi- tive Elemente zu übernehmen.

Zugleich findet man die Unterschiede der ausgewählten nationalen DNA-Regelungen nicht nur in unterschiedlichen Bestimmungen der polizeilichen Befugnisse, in den Prinzipien des Beweismittelausschlusses und in den verfahrensrechtlichen und da- tenschutzrechtlichen Bestimmungen, sondern auch in einem unterschiedenen Recht- verständnis vom Schutz der Privatsphäre, das in einem Land vorherrscht. Im Fol- genden wird beispielsweise dargestellt, dass das entnommene körperliche Material in Deutschland unverzüglich zu vernichten ist, sobald es für das Strafverfahren nicht mehr benötigt wird, während die DNA-Zellproben in England und den USA in der

19 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 77. 20 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, S. 15. 21 Beispielsweise Chile, Costa Rica, Griechenland, Indonesien, Italien, usw. Vgl. Thibedeau, National Forensic DNA Databases 2011, S. 175-227; zur Volksrepublik China vgl. Zhao, Analysis on Policy of Constructing China's National DNA Database, Journal of Jiangsu Police Officer College, Vol. 22, S. 6. 23

Regel gespeichert werden.22 Diese gegensätzlichen Bestimmungen sind nicht ohne Grund erlassen worden.23 Die Rechtsvergleichung erlaubt einen guten Überblick über das Spektrum der Lösungen, 24 für die sich die Gesetzgeber zur Regelung der DNA-Identifizierungsmaßnahme und zum Rechtsschutz entschieden haben. Es ist ein sogenannter „Vorrat an Lösungen“,25 der durch Vergleichung Kritik an den nationa- len Regelungen in den Ländern, die eine nationale DNA-Datenbank und ein ent- sprechendes Gesetz haben, stimuliert und damit zur Fortentwicklung der eigenen Regelungen beiträgt.

Außerdem erleichtert die Vielfältigkeit der Lösungen den Entwicklungsländern nach ihren eigenen Rechtverständnissen angemessene Regelungen zu übernehmen. Bei- spielsweise haben die Gesetzgeber in Hongkong, dessen Rechtsordnung dem ang- loamerikanischen Rechtskreis angehört und somit auf prägende Einflüsse des engli- schen Rechts beruht, bei der Bestimmung der Speicherung der DNA-Profilen die vergleichbaren Regelungen in England und Australien berücksichtigt und einen relativ kleineren Personenkreis festgelegt.26

Hinsichtlich des Rechtsschutzes der Privatsphäre durch die Rechtsprechung ist zu untersuchen, wie die Gerichte in den zu vergleichenden Ländern das Spannungsver- hältnis von Verfassungsrechten der Bürger einerseits und den Aufgaben und techni- schen Möglichkeiten der Polizei andererseits im Verlauf der letzten Jahre versucht haben auszutarieren. Durch die Rechtsvergleichung wird einerseits dargestellt, wie die Rechtsprechung im jeweiligen Land durch Bejahung oder Missbilligung der Verfas- sungsmäßigkeit der DNA-Regelungen die Verfassungsrechte der Bürger schützt und

22 Dazu ausführlicher unter § 1, II, 2; § 4, III, 1 und § 9, II, 1. 23 Dazu ausführlicher unter § 2, IV, 1; § 4, III, 1 und § 9, II, 1. 24 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, S. 14. 25 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, S. 14. 26 Report of the Bills Committee on Dangerous Drugs, Independent Commission against Corruption and Police Force (Amendment) Bill 1999, Legislative Council in Hongkong, LC Paper No. CB (2) 2419/99-00, para. 14; Li/Zhang, DNA database in Hong Kong Special Administrative Region, Chinese Journal of Forensic Medicine, Vol.5, 2006, S. 291. 24 gesetzgeberische Reformen fördert. Zudem könnte die Entscheidung eines höchsten Gerichtshofs eines anderen Landes in einer identischen Sache als ein Vorrat an Ar- gumentationen dienen, welche das Gericht bei der Begründung des Urteils berück- sichtigen kann.27

IV. Gang der Untersuchung

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil der Arbeit werden zwei Haupt- themen bezüglich der DNA-Regelungen in England und Wales behandelt: ob die weitere Datenspeicherung trotz Einstellung des Strafverfahrens oder Freispruchs rechtmäßig ist und wie die gesetzgeberische Reform und Rechtsprechung des Obers- ten Gerichtshof des Großbritanniens auf die Entscheidung des Fall Marper vom EGMR reagieren haben. Die Entwickelung der bisherigen Gesetzgebung wird aus- geführt einschließlich der aktuellen Parlamentsdebatten im House of Commens und in der Öffentlichkeit. Zum Schluss des Teiles werden zwei kriminologische Gutach- ten dargestellt, sodass klar wird, auf welcher kriminologischen Basis das Parlament die zukünftigen Gesetzesänderungen beschließen sollte.

Parallel dazu wird im zweiten Teil die Entstehungsgeschichte der DNA-Datenbankgesetze in den USA dargestellt sowie die relevante verfassungs- rechtliche Regelung, nämlich der vierte Verfassungszusatz. Eine zentrale Frage bei den DNA-Datenbankgesetzen in den USA ist, ob die DNA-Identifizierungsmaßnahme ohne richterliche Anordnung aufgrund eines indi- vidualisierten hinreichenden Verdachtsgrunds verfassungswidrig ist. Der anschlie- ßende Abschnitt befasst sich mit zwei Rechtfertigungsgründen des vierten Verfas- sungszusatzes: Bedarfslehre (“Special Needs”) und Abwägungslehre (“Totality of the circumstances”), um zu überprüfen, ob die DNA-Identifizierungsmaßnahme ohne normalerweise erforderliche richterliche Anordnung und konkreten Verdacht als eine gerechtfertigte Ausnahmeregelung angesehen werden kann.

27 Die Entscheidung R v. RC, [(2005) 3 S.C.R. 99,2005 SCC 61] von dem Supreme Court of Canada wurde im Marper-Entscheidung des EGMR zitiert. 25

Der dritte Teil dient einer umfassenden Darstellung des deutschen Rechts. Zunächst enthält er Ausführungen zur historischen Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland. Daran schließt sich eine Auseinandersetzung mit den verfassungsrecht- lichen Problemen an, wobei als geschütztes Recht das Grundrecht auf informationel- le Selbstbestimmung in Betracht kommt. Zum Schluss des Teils steht die zentrale Frage: ob die verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen und ihre Schutzvorkehrung zur Sicherung der Rechte des Betroffenen ausreichend sind.

Abschießend werden die DNA-Regelungen in Singapur und Hongkong kurz behan- delt. In der Schlussfolgerung sind zwei Fragen auf der Basis der rechtvergleichend eingehend dargestellten DNA-Maßnahmen zu beantworten: Welche gemeinsame Standards der DNA-Regelungen können festgestellt werden und wie wirkt die Rechtsprechung als ein wichtiger Mechanismus des Rechtschutzes zum Schutz der Privatsphäre neben den gesetzlichen Regelungen mit?

26

Erster Teil:

Die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz der DNA-Analyse in England und Wales unter Berücksichtigung des Rechtsschutzes durch die Rechtsprechung nach Art. 8 EMRK

Das Vereinigte Königreich gilt als die Heimat der Technik des genetischen Fingerab- drucks.28 Bereits im Jahr 1995 wurde seine DNA-Datenbank (NDNAD) gemäß dem Criminal Justice and Public Order Act (CJPOA) aufgebaut.29 Zum 31. März 2012 konnte eine Zahl von 6.512.884 individuellen DNA-Profilen (subject samples) plus 386,841 Tatortspuren in der NDNAD ermittelt werden.30

§ 1. Die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz der DNA-Analyse in England und Wales

Das englische Strafverfahrensrecht ist nicht systematisch und umfassend kodifiziert, sondern beruht auf einer Vielzahl von Einzelgesetzen bzw. Codes of Practices und Richterrecht.31 Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden bei der Strafverfol- gung werden hauptsächlich durch den Police and Criminal Evidence Act 1984 (PACE) und die darunter erlassenen Codes of Practice geregelt.

Im Jahr 1981 zog die Royal Commission in Sachen Strafprozessordnung (im Phil- lips-Bericht) erstmals die Befugnis der Polizei in Erwägung, die Identitätsfeststellung von Verdächtigen und Häftlingen durch die Entnahme von „intimate samples“ (In- timbereich-Zellproben) und „non intimate samples“ (Nicht-Intimbereich-Zellproben) vorzunehmen. Der im Jahr 1984 in Kraft getretene PACE bot durch ss. 62 und 63 PACE erstmalig die Ermächtigungsgrundlage für die Entnahme von Zellproben im

28 Deray, The Double-Helix Double-Edged Sword: Comparing DNA Retention Policies of the United States and the United Kingdom, 44 Vand. J. Transnat'l L. 745 (2011), S. 750; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 1; Schneider/Rittner, Genprofile von Sexualstraftäter, ZRP 1998, 64 (65). 29 Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 78. 30 Bramble, The National DNA Database - A balance between individual privacy and public protection, S. 4; National Policing Improvement Agency, http://www.npia.police.uk/en/13881.htm (Zugriff am 20. April 2012). 31 Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 17. 27

Strafverfahren. In den nachfolgenden Jahren erfuhren die beiden Vorschriften jeweils 16-mal bzw. 19-mal Änderungen und Erweiterungen32 durch den Criminal Justice and Public Order Act 1994 (CJPOA), den Criminal Evidence Act 1997, den Criminal Justice and Police Act 2001 (CJPA) und den Criminal Justice Act 2003 (CJA). Den- noch sind sie mit ihrem jetzigen Regelungsinhalt die gesetzliche Grundlage für die Entnahme von Zellproben im anhängigen Verfahren.

Dank der methodischen Weiterentwicklungen wie z.B. der Einführung der PCR-Technik33 wurde eine weitgehende automatische Verarbeitung der bereits im Ermittlungsstadium erhobenen Zellproben ermöglicht. Im Jahr 1993 empfahl die Royal Commission of Criminal Justice im Runciman Bericht34 eine routinemäßige Entnahme von Vergleichsproben (DNA-Zellproben35, normalerweise als Speichel- probe oder Haarprobe36) bei Tatverdächtigen.37 Die daraus erlangten DNA-Profile

32 Siehe ss. 62 und 63 PACE und deren Änderungen und Erweiterungen in: www.legislation.gov.uk /ukpga/1984/60/Contents (Zugriff am 20. April 2012). 33 „Die STRs bestehen aus sehr kurzen sich wiederholenden DNA-Abschnitten von zwei bis sieben Basenpaaren, die auf allen Chromosomen eines Menschen vorkommen. Für die forensische Anwen- dung sind ungefähr 30 bis 40 STRs anerkannt, die hauptsächlich auf sich wiederholende Motive, be- stehend aus vier Basenpaaren, zurückzuführen sind. Die Zahl der Wiederholungseinheiten der Basen- paare an einem STR-Locus variiert zwischen den verschiedenen Individuen. Diese unterschiedliche Anzahl der Wiederholungseinheiten an einem STR-Locus stellt seine verschiedenen Formen dar, die für das Erstellen des genetischen Fingerabdrucks einer Person genutzt werden.“ (West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild-Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 35). 34 Die Royal Commission in Sachen Strafrechtspflege 1993 (im Runciman Bericht), http://www.official-documents.gov.uk/document/cm22/2263/2263.pdf (Zugriff am 10. Mai 2012) 35 Solche Zellprobe wurde nach 4B der Richtlinie der Code D Practice for the Identification of Persons by Police Officers 1994 als DNA-Zellprobe (DNA-Sample) genannt. In der Praxis wurde die Probenahme durch die Polizeibeamten mit einem Wattestäbchen als Abstrich von der Mundschleimhaut vorgenommen. Die entnommene Speichelprobe wurde in einem Plastikröhrchen verschlossen. Danach wird eine andere Zellprobe entnommen, damit zwei Zellproben jedes Beschuldigen zur Verfügung stehen. Ein DNA-Profil wird aus einer Zellprobe erstellt und in der NDNAD gespeichert. Das biometrisches Material und das DNA-Profil werden nach dem Gesetz dauerhaft gespeichert. Vgl. Staley, The Police National DNA Database: Balancing Crime Detection, Human Rights and Privacy, S. 15. 36 Royal Commission of Criminal Justice, Runciman Bericht, paras. 28-29. 37 Royal Commission of Criminal Justice, Runciman Bericht, para. 34: We have had proposals put to 28 waren kein Ergebnis einer molekulargenetischen Untersuchung von Zellproben im Zusammenhang mit einem laufenden Verfahren.38 Jedoch wurden sie zur Identitäts- feststellung bei künftiger Strafverfolgung erstellt. Die anschließende Gesetzgebung gestattete durch s. 56 CJPOA die Entnahme von DNA-Zellproben in einem sehr frü- hen Stadium, wobei deren DNA-Profile ausschließlich der Datenbankspeicherung von Verdächtigen bzw. verurteilten Straftätern dienten. Die DNA-Profile jedes Ver- dächtigen können unabhängig vom konkreten Tatvorwurf bereits im Ermittlungssta- dium zumindest vorübergehend in die DNA-Datenbank aufgenommen werden und ermöglichen somit Recherchen zur Feststellung eventueller Übereinstimmungen mit Spuren anderer Straftaten. 39 Diese entscheidende Gesetzesänderung wurde an- schließend in den PACE als s. 63A PACE eingefügt.

Im Folgenden wird die gegenwärtige Rechtslage dargestellt, soweit nicht ausdrück- lich hervorgehoben wird, dass bestimmte Regelungen nach der alten Fassung erläu- tert werden.

I. Zulässigkeit der Entnahme von Zellproben

1. Im laufenden Verfahren

Der PACE enthält Befugnisse zur Entnahme von „intimate samples“ und „non inti- mate samples“. Nach s. 62 Abs. 1 PACE kann ein „intimate sample“ des Betroffenen, der sich im Polizeigewahrsam befindet, entnommen werden, wenn die Genehmigung eines Polizeibeamten mit mindestens dem Rang eines Hauptkommissars („inspector“) vorliegt und die entsprechende Zustimmung des Betroffenen erteilt wurde. Gemäß s. 62 Abs. 2 PACE darf ein Polizeibeamter die Genehmigung nur erteilen, wenn er hin- reichende Verdachtsgründe hat („reasonable grounds to suspect“), dem Betroffenen eine eintragungsfähige Straftat („recordable offense“) zur Last gelegt wird oder wenn dem Betroffenen mitgeteilt worden ist, dass gegen ihn wegen einer solchen Straftat Anzeige erstattet werden wird. Außerdem soll die Zellprobe zur Feststellung oder

us by the police service for a clearer legislative approach to the taking and retention of samples for the purpose of maintaining and consulting DNA data bases. 38 Schneider/Rittner, Genprofile von Sexualstraftätern, ZRP 1998, 64 (65). 39 Die s. 63A Abs. 1 (a) und (b) PACE. 29 zum Ausschluss der Tatbeteiligung des Betroffenen dienen.40

Nach s. 63 Abs. 3 PACE kann ein „non intimate sample“ von einer Person norma- lerweise ohne deren Einwilligung entnommen werden, wenn sie sich in Folge einer Festnahme im Polizeigewahrsam befindet und die Genehmigung eines Polizeibeam- ten mit mindesten dem Rang eines Hauptkommissars vorliegt.41 Gemäß s. 63 Abs. 4 PACE ist die Voraussetzung einer Genehmigung des Hauptkommissars identisch wie die in s. 62 Abs. 2 PACE geregelt, nämlich bei Vorliegen hinreichender Verdachts- gründe. Hier ist nochmals zu betonen, dass die Entnahme einer Zellprobe nur zum Zweck der Bestätigung oder Widerlegung der Beteiligung des Betroffenen an einer Straftat verwendet werden darf.

2. Die Entnahme der Zellprobe als eine erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge

Gegenüber den beiden o.g. Vorschriften ist eine Maßnahme nach s. 63A Abs. 1 PACE zulässig, wenn eine Person bereits wegen einer eintragungsfähigen Straftat festge- nommen wurde, angeklagt war oder ihr eine Anklage wegen einer eintragungsfähi- gen Straftat drohte und ihr von der Polizei im Rahmen einer strafrechtlichen Ermitt- lung noch kein „non intimate sample“ entnommen wurde. Die Durchführung dieser Maßnahme ist von dem eigentlichen Zweck, nämlich Feststellung oder Ausschluss einer Tatbeteiligung, losgelöst, und die Voraussetzung des hinreichenden Tatver-

40 Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 120; s. 62 Abs. 2 PACE (Intimate samples): … (2) An officer may only give an authorization if he has reasonable grounds— (a) for suspecting the involvement of the person from whom the sample is to be taken in a serious arrestable offence; and (b) for believing that the sample will tend to confirm or disprove his involvement. 41 Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 121; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 210. Siehe s. 63 PACE: (1) Except as provided by this section, a non-intimate sample may not be taken from a person without the appropriate consent. …(3) A non-intimate sample may be taken from a person without the appropriate consent if— (a) he is in police detention or is being held in custody by the police on the authority of a court; and (b) an officer of at least the rank of superintendent authorises it to be taken without the appropriate consent. 30 dachts ist nicht mehr erforderlich.

Aufgrund der ergänzenden Bestimmungen, die in s. 63A Abs. 4 PACE geregelt sind, wird jemand, der sich nicht mehr im Polizeigewahrsam und auch nicht aufgrund richterlicher Anordnung in Haft befindet, aufgefordert, eine Polizeidienststelle auf- zusuchen und sein „non-intimate samples“ abzugeben, wenn derjenige früher einmal wegen einer eintragungsfähigen Straftat verurteilt oder angeklagt wurde. Die Durch- setzung dieser Maßnahme ist nach s. 63A Abs. 7 PACE durch das Recht auf Fest- nahme des Betroffenen gewährleistet.42 Wenn der Betroffene die Abgabe seiner Zellprobe verweigert, wird er ohne Haftbefehl von einem Constable festgenommen.43

Außerdem kann die Entnahme eines „non-intimate sample“ nach s. 63A Abs. 3B PACE44 gegenüber den Personen stattfinden, die wegen einer in Schedule 1 (Sexual offences and offences of indecency)45 festgestellten Straftaten vor dem 10. April 1995 verurteilt wurden oder die zum einschlägigen Zeitpunkt wegen einer solchen Straftat eine Freiheitsstrafe verbüßten. Aufgrund dieser Gesetzgebung wurde ein Prisoner Sampling-Programm von Januar bis August 2003 durchgeführt. Dadurch wurden insgesamt 3.800 DNA-Profile in die NDNAD hochgeladen.46

Der Personenkreis dieser Vorschrift bezieht sich ebenfalls auf die Personen, die auf- grund richterlichen Haftbefehls festgenommen und sodann wegen “insanity or fin- ding of unfitness to plead” freigesprochen wurden. Im deutschen parallelen Kontext

42 McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S.14. 43 Siehe s. 63A Abs. 7 PACE: Any constable may arrest without a warrant a person who has failed to comply with a requirement under subsection (4) above. 44 Die s. 63A PACE wurde durch s. 2 Criminal Evidence Act 1997 eingefügt. 45 Alle Straftaten außer s. 30 (Man living on earnings of prostitution), s. 31 (Woman exercising control over prostitute), s. 33 (Keeping a brothel) und s. 36 (Tenant permitting premises to be used for prostitution) aus Sexual Offences Act 1956. Im Wesentlichen entsprechen sie den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus dem Bereich der §174 bis 184. StGB in Deutschland. 46 UK Expands DNA Database through the Criminal Justice and Public Order Act 1994, Privacy International, https://www.privacyinternational.org/article/uk-expands-dna-database-through-criminal -justice-and-public-order-act-1994 (Zugriff am 20. Mai 2011); The National DNA Database Annual Report 2004-2005, S. 9. 31 entsprechen die gleichgestellten Personen dem § 81g Abs. 4 StPO.

Diese s. 63A PACE unterscheidet sich von den ss. 63 Abs. 4 und 62 Abs. 2 PACE, weil die entnommene Zellprobe nicht mehr der Täteridentifizierung und damit dem Überführen des Täters in einer laufenden Untersuchung dient, sondern dem Ziel, eine DNA-Datenbank aufzubauen und eine Identitätsfeststellung bei künftiger Strafver- folgung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Belloni and Hodgson haben darauf hingewiesen, „by allowing samples to be taken after a decision to charge has been made, sampling becomes a tool for DNA profiling and intelligence gathering, rather than simply as forensic evidence in establishing guilt or innocence in the immediate case.“47

2.1. Qualifizierte Anlasstaten - „recordable offense“

In der originalen Fassung der ss. 62 Abs. 2 und 63 Abs. 4 PACE waren die Anlass- straftaten „serious arrestable offense“, die in den Teil 148 und Teil 249 der Anlage 5 aufgelistet sind. Der schwerwiegende Charakter der Straftaten ergab sich aus der s. 116 Abs. 6 PACE a.F., wenn die Straftat die Gefahr eines besonders schweren Nach- teils für die Sicherheit des Staates oder die öffentliche Ordnung nach sich zieht oder einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtspflege oder bei der Untersuchung von Straftaten herbeiführt; wenn die Straftat den Tod eines Menschen, eine schwere Kör- perverletzung einer Person oder erhebliche finanzielle Verluste für eine Person ver- ursacht.50

47 Belloni/Hodgson, Criminal Injustice: An Evaluation of the Criminal Justice Process in Britain, S. 36. 48 Teil 1 der Anlage 5: Treason, Murder, Manslaughter, Rape, Kidnapping, Incest with a girl under the age of 13, Buggery with— (a) a boy under the age of 16 ; or (b) a person who has not consented, Indecent assault which constitutes an act of gross indecency. 49 Siehe s. 2 (causing explosion likely to endanger life or property) Explosive Substances Act 1883 (c. 3); s. 5 (intercourse with a girl under the age of 13) Sexual Offences Act 1956; s. 16 (possession of firearms with intent to injure) Firearms Act 1968 und so weiter. 50 Siehe s. 116 PACE a.F. http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1984/60/section/116/enacted (Zugriff am 20. April 2012). 32

Die Royal Commission in Sachen Strafrechtspflege 1993 (im Runciman Bericht) befasste sich mit den polizeilichen Befugnissen und empfahl einen neu definierten Personenkreis für diese Maßnahme.51 Die Umsetzung der empfohlenen Reformen wurden in den Criminal Justice and Public Order Act 1994 (CJPOA) aufgenommen, der der Polizei noch weitere Befugnisse als bei den Vorschlägen der Runciman Kom- mission gestattet. Der frühere Katalog der Anlasstaten der Normadressaten, nämlich „serious arrestable offense“, wurde durch „recordable offense“ (einer eintra- gungsfähigen Straftat) ersetzt.

Der Begriff “a recordable offence” ist für das Thema der hier behandelten Arbeit von entscheidender Bedeutung, weil “a recordable offence” den Umfang der Zulässig- keitsvoraussetzung der Maßnahmen erneut festlegt. Nach s. 3 Abs. 1 (b) The Natio- nal Police Records (Recordable Offences) Regulations 2000 ist eine eintragungsfä- hige Straftat diejenige, die zur Verurteilung zu einer Freiheitstrafe führt oder die in dem angegebenen Anhang der Verordnung aufgelistet ist, z.B. offence of loitering or soliciting for purposes of prostitution (im Wesentlichen entspricht die Straftat dem Tatbestand des § 184d StGB: Ausübung der verbotenen Prostitution);52 purchasing, hiring or possessing prohibited weapon (ähnlich wie unerlaubter Waffenhandel oder Waffenbesitz nach dem Waffengesetz in Deutschland);53 offence of exposing children under twelve to risk of burning (hier entspricht die Straftat im Wesentlichen dem Tatbestand des § 221 StGB: Aussetzung);54 Trunkenheit in der Öffentlichkeit

51 Royal Commission on Criminal Justice (Runciman Commission) (1993) Report (CM 2263), http://hansard.millbanksystems.com/lords/1993/oct/26/criminal-justice-royal-commission-report (Zugriff am 20. April 2011). 52 Siehe s. 1 of the Street Offences Act 1959 (offence of loitering or soliciting for purposes of prostitution), die durch das am 1. April 2010 in Kraft getretene “Policing and Crime Act” ins “Common Prostitution” hingefügt wurde. 53 Siehe s. 2 of the Crossbows Act 1987 (offence of purchasing or hiring a crossbow or part of a crossbow by person under the age of seventeen); s. 5 (6) of the Firearms Act 1968 (offence of failing to deliver up authority to possess prohibited weapon or ammunition). 54 Siehe s. 11 of the Children and Young Persons Act 1933 (offence of exposing children under twelve to risk of burning). 33

(keine Entsprechung im StGB);55 Fahrraddiebstahl,56 usw.57

2.2. „Intimate sample“ und „non-intimate sample”

Nach dem novellierten s. 65 PACE versteht man unter einem „intimate sample” eine Blutprobe, Samen - oder eine andere Gewebeflüssigkeit wie z. B. Urin. Weiterhin zählen hierzu auch Schamhaare, ein Zahnabdruck, ein Abstrich im Genitalienbereich (einschließlich Schamhaare) sowie in anderen Körperöffnungen dazu.58 Im Einklang mit der Forderung im Phillips-Bericht konnten die „intimate samples” nach s. 62 PACE nur mit Einwilligung des Betroffenen durch einen Arzt oder durch Kranken- pflegepersonal entnommen werden.59 Die Einwilligung muss gemäß s. 62 Abs. 4 PACE schriftlich erteilt werden.60 Darüber muss die Person belehrt werden. Die er- folgte Belehrung ist schnellstmöglich zu dokumentieren.61 Eine Zwangsbefugnis gegenüber dem Verdächtigen zur Abgabe eines „intimate samples“ ist nicht zuläs- sig.62 Weigert sich die Person ohne nachvollziehbaren Grund, ihre Einwilligung zu erteilen, können das Gericht und die Jury Schlüsse aus dieser Weigerung ziehen.63

55 Siehe s. 91 of the Criminal Justice Act 1967 (offence of drunkenness in a public place). 56 Siehe s. 12 (5) of the Theft Act 1968 (offence of taking or riding a pedal cycle without owner’s consent). 57 Die Liste von “Recordable offences” findet man in dem Anhang der Verordnung „National Police Records Regulations 2000“. 58 Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 120; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 212; Ward/ Davies, The criminal justice act 2003, S. 22; Taylor/Wasik/Leng, Blackstone’s guide to the Criminal Justice Act 2003, S. 152. 59 Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 120; McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S.12 60Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 213; McCartney, Forensic Identification andCriminal Justice, Forensic science, justice and risk, S.12 61 Siehe s. 62 Abs. 3 PACE. 62 Im Phillips-Bericht wurde die Durchführung der Maßnahme ohne Einwilligung des Betroffenen abgelehnt, weil die Anwendung körperlichen Zwangs ohne Einwilligung des Betroffenen „[…] seems to us to be objectionable and none of us would recommend that it should be made lawful to obtain such samples in this way“. Siehe Royal Commission on Criminal Procedure (The Phillips Commission) (1981) Report (Cnmd 8092), London: HMSO, para. 3.128. 63 Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 212; siehe s. 62 Abs. 10 PACE: Where the 34

Unter „non-intimate sample” dagegen versteht man eine Haarprobe (in der Praxis ca. 10 Haare mit Wurzel64), eine Probe eines Finger- oder Zehennagels; einen Abstrich aus einem Körperteil, ausgenommen den Teilen, aus denen nur „intimate samp- le“ entnommen werden, eine Speichelprobe oder einen Hautabdruck.65 Nach s. 63 Abs. 3 PACE kann ein „non intimate sample“ von einer Person ohne deren entspre- chende Einwilligung entnommen werden.

Es ist zu beachten, dass Speichel- oder Haarproben ursprünglich als „intimate samp- les“ angesehen, aber im Runciman-Bericht als „non intimate samples“ neu zugeord- net wurde.66 Dies ermöglichte die Durchführung einer Entnahme der Zellprobe ohne die Einwilligung der betreffenden Person. Die Kommission befürwortete die Argu- mentation der Polizei, dass angesichts der Entwicklungen im Bereich der Rechtsme- dizin und der konkurrenzlosen Leistungsfähigkeit der forensischen Wissenschaft, der Polizei gestattet sein sollte, eine Zellprobe von z.B. Haaren oder Speichel usw. auch ohne Einwilligung zu entnehmen. Diese neue Einstufung hat ebenfalls die Durch- führung einer Entnahme der Zellprobe vereinfacht, weil die Voraussetzung der s. 62 Abs. 9 PACE, dass die „intimate samples“ nur durch einen registrierten praktischen Arzt oder Berufskrankenpfleger zu entnehmen ist, nicht bei der Entnahme der „non intimate samples“ vorgesehen ist.67

appropriate consent to the taking of an intimate sample from person was refused without good cause, in any proceedings against that person for an offence— (… ) (b) the court or jury, in determining whether that person is guilty of the offence charged, may draw such inferences from the refusal as appear proper. 64 Staley, The Police National DNA Database: Balancing Crime Detection, Human Rights and Privacy, S. 15. 65 Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 345; Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 121; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 211. 66 Werrett, in „Summary of the Discussion“ (1997) Forensic Science International, 1988, S.104. Max Plank Institut für ausländisches und internationales Strafrecht: http://aleph.mpg.de/F/4VJ3EN65MCDY2FM2N68MI958H3F2JRJPYBVLCP8T72SIUCC8U1-21870 ?func=full-set-set&set_number=037101&set_entry=000065&format=999 67 Bei der Erstellung der DNA-Profile haben die Wissenschaftler damals für Blutproben plädiert, da 35

Momentan ist die Speichelprobe bei der Erstellung der DNA-Profile die gängigste Form. Auf Haarproben wurde nur dann zurückgegriffen, wenn ein Verdächtiger die Speichelprobe verweigerte (10 Prozent der Proben wurden ohne Zustimmung ent- nommen).68

II. Zulässigkeit der Erstellung von DNA-Profile

Die Zulässigkeit der Erstellung von DNA-Profilen ist nicht im PACE verankert. S. 63A Abs. 1 PACE hat nur „the information derived from samples“ ausdrücklich auf- genommen, die hinsichtlich des Runciman Berichts 69 ebenfalls die DNA-Informationen betrifft. In s. 1.4 Code D des PACE (Code of Practice for the Identification of Persons by Police Officers 1994) ist geregelt, dass ein DNA-Profil aus Blut- und Haarprobe erstellt werden darf, um es mit DNA-Spuren am Tatort und vom Opfer zu vergleichen.70 Seitdem wurde s. 63A Abs. 1 PACE, die durch s. 56 CJPOA 1993 eingefügt wurde, als Ermächtigungsgrundlage sowohl für die Entnah- me einer DNA-Zellprobe als auch für die Erstellung von DNA-Profil angesehen.71

III. Zusammenfassung der bisherigen Gesetzesänderungen

die Ergebnisse präziser sind. Diese Maßnahme erfordert jedoch den Einsatz eines Arztes oder Kran- kenpflegepersonals. Dies wäre in der Praxis jedoch schwer durchführbar. Darüber hinaus stellt dies einen stärkeren Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar. Die Zellprobe von Haaren oder Speichel schien in diesem Kontext eher akzeptabel zu sein. Der große Vorteil besteht darin, dass Polizisten unmittelbar nach einer Festnahme die Zellproben entnehmen können. Vgl. Werrett, The National DNA Database, Forensic Science International, vol. 88 (1997), S. 34. 68 Bucke/Brown, In Police Custody: police powers and suspect's rights under the revised PACE codes of practice, Home Office Research Study 174, London: Home Office, S. 42. 69 Royal Commission of Criminal Justice, Runciman Bericht, paras. 28-29. 70 Siehe s. 1.4 Code of Practice for the Identification of Persons by Police Officers: Identification by body samples and impressions includes taking samples such as blood or hair to generate a DNA profile for comparison with material obtained from the scene of a crime, or a victim. 71 Runciman Report to Criminal Justice and Public Order Act 1994, S. 14 ff.; Ozin/Norton/Spivey, PACE: a practical guide to the Police and Criminal Evidence Act 1984, S. 120; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 211; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 78; McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S.12; Ward/ Davies, The criminal justice act 2003, S. 22. 36

Bei den mehrfachen Gesetzesänderungen in zwei Jahrzehnten bleiben ss. 62 und 63 PACE immer noch die wichtigste Ermächtigungsgrundlage für die Entnahme von Zellproben in England und Wales. Der frühere Katalog der Anlasstaten nämlich „se- rious arrestable offenses“ wurde durch „recordable offenses“ ersetzt. Durch das Pri- soner Sampling-Programm vom Criminal Evidence Act 1997 wurde der Personen- kreis der Maßnahme wiederum erweitert. Die Voraussetzung, dass die Maßnahme nur zur Feststellung oder Ausschluss der Tatbeteiligung des Betroffenen dient, war bei der Reglung über DNA-Analyse als eine erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge nicht mehr erforderlich. Die Maßnahme kann somit durchgeführt werden, unabhängig davon, ob die entnommene Probe überhaupt in der späteren Untersuchung erforderlich ist. Das Wachstum der NDNAD72 spiegelte den Einfluss der neuen Befugnisse durch die Polizei im Laufe des Jahres wieder. Man kann davon ausgehen, dass die Entnahme der Zellprobe zu einer Routinemaßnahme im Polizeigewahrsam ist.73

IV. Vernichtung der entnommenen Zellprobe und Löschung der DNA-Profile

Die Vernichtung der entnommenen Zellprobe und Löschung der DNA-Profile wur- den bis zum Crime and Security Act 2010 nicht getrennt behandelt.74 Eine geson- derte Regelung für die Löschung der gewonnenen DNA-Profile gab es weder im PACE a.F. noch im CJPA. Ob die DNA-Profile gelöscht werden sollen, darüber schweigten die Gesetze. Jedoch kann man aus der s. 2 Anlage F75 Code D des PACE 1984: “The requirement to destroy fingerprints, footwear impressions and DNA samples, and information derived from samples, and restrictions on their retention

72 Das Motiv der Regierung für die Gesetzesänderung war die Erweiterung der DNA-Datenbank und führte zu einem rasanten Wachstum der NDNAD. Im Vergleich mit der Anzahl der DNA-Profile vom März 2004 gab es einen Anstieg um 32% im März 2005. Allein 2005 wurden 500.000 neue Genprofile gespeichert. 73 McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S. 14. 74 Siehe s. 14 Crime and Security Act 2010. Der Act ist jedoch aufgrund des Regierungswechsels im Mai 2010 nicht in Kraft getreten. 75 Annex F - Fingerprints, footwear impressions and samples - destruction and speculative searches. 37 and use …” entnehmen, dass die von der Zellprobe gewonnenen Informationen mit- samt der Fingerabdrücke und DNA-Zellproben zu entfernen sind. Die einschlägige gesetzliche Grundlage für die Vernichtung der DNA-Zellproben kann auf die Lö- schung der DNA-Proben übertragen werden. Demnach wird im Folgenden nur auf die Vorschriften über die Vernichtung der DNA-Zellproben eingegangen.

1. Vernichtung der entnommenen Zellprobe nach s. 64 Abs. 1, 2 und 3 PACE a.F.

Nach s. 64 Abs. 1 PACE a.F. mussten die Zellproben, die einer Person im Zusam- menhang mit strafrechtlichen Ermittlungen entnommen wurden, so bald wie möglich vernichtet wurden, wenn der Betroffene nach dem Strafverfahren freigesprochen wurde, sein Verdacht nach Abschluss der Ermittlung entfiel, oder das Strafverfahren gegen den Betroffenen eingestellt wurde. Die Zellproben sind zu vernichten, sobald dies nach Abschluss des Verfahrens praktikabel ist.76

Die Praxis sprach allerdings anders: eine genaue Anzahl der DNA-Profile, die gemäß s. 64 PACE a.F. der alten Rechtslage gelöscht werden mussten, war nicht feststellbar. Zum 31. März 2005 wurde aber geschätzt, dass rund 186.900 solcher DNA-Profile, die nach s. 64 PACE a.F. gelöscht werden sollten, illegal in der NDNAD gespeichert waren.77

1.1. Beweismittelausschluss nach Verstößen gegen ss. 63 und 64 PACE a.F. in Bezug auf genetische Fingerabdrücke

Es stellte sich daher die Problematik der Verwertungsverbote, die durch Verstöße gegen die einfachgesetzlichen Beweiserhebungsvorschriften, nämlich ss. 63 und 64 PACE a.F., durch Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden bei der Entnahme,

76 Siehe s. 64 PACE a.F.: If fingerprints or samples are taken from a person in connection with such an investigation; and it is decided that he shall not be prosecuted for the offence and he has not admitted it and been dealt with by way of being cautioned by a constable, must be destroyed as soon as is practicable after that decision is taken. 77 The National DNA Database Annual Report 2004-2005, S. 10; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 86. 38

Speicherung und Verwendung der genetischen Fingerabdrücke verursacht wurden. Grundsächlich kann ein Richter in England und Wales ein Beweismittel aufgrund seines common law-Ermessens oder seines Ermessen aus s. 78 PACE zur Gewähr- leistung der Fairness des Verfahrens ausschließen.

1.1.1. Das Ermessen des Richters, im Hinblick auf ein faires Verfahren, ein Beweismittel auszuschließen

In England und Wales ist s. 76 PACE die einzige gesetzliche Vorschrift, die ein Ge- ständnis zwingend ausschließt, wenn dieses durch Beeinflussung des Beschuldigten oder Beeinträchtigung einer Aussage oder eines Verhaltens erlangt wurden.78 Vor dem Erlass von s. 78 PACE war ein Beweismittel nur nach dem Ermessen der Rich- ters im Hinblick auf ein faires Verfahren auszuschließen.79

Das common law - Ermessen zum Ausschluss von illegal erlangten Beweismitteln ist sehr zurückhaltend.80 Im Fall Kuruma v. R ging man davon aus: “[I]n considering whether evidence is admissible, […] the court is not concerned with the method by which it was obtained or with the question whether that method was tortious but ex- cusable, but whether what has been obtained is relevant to the issue being tried.”81 Im Fall R v. Sang wurde die Auffassung vertreten, dass ein Beweismittelausschluss auch aufgrund seines rechtswidrigen Erlangens - hauptsächlich bei der Anwendung von Tricks und Täuschungen - im Ermessen der Richter stand, um dem Angeklagten ein faires Verfahren zu garantieren. Ebenso in Fall Fox v. Chief Constable of Gwent: "It is a well-established rule of English law, which was recognized in Reg. v. Sang, that any evidence which is relevant is admissible even if it has been obtained illegal- ly."82

78 Hartshorne, Defensive use of a co-accused’s confession and the Criminal Justice Act 2003, S. 165; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 50. 79 Choo, Improperly obtained evidence in the Commonwealth: lessons for England and Wales? 11 Int'l J. Evidence & Proof 75 (2007), S. 75. 80 Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 51. 81 Son of Kaniu v. R. [1955] AC 197, [1955], 1 All ER 236, at 240. 82 Fox v. Chief Constable of Gwent, [1985] 3 All ER 392, para. 397. 39

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer rechtswidrigen Beweismitteler- langung ein Beweismittelausschluss im Ermessen des Richters steht, um die Fairness des Verfahrens durch den Ausschluss des Beweismittels zu gewährleisten, was aller- dings kaum vorkommt.83

1.1.2. S. 78 PACE

S. 78 Abs. 1 PACE ermöglichte dem Gericht, jedes Beweismittel auszuschließen, wenn die Zulassung des Beweismittels in Anbetracht aller Umstände eine nachteilige Wirkung auf die Fairness des Prozesses (an adverse effect on the fairness oft he pro- ceedings) hätte.84 In dem Fall Mason war der Court of Appeal der Auffassung, dass s. 78 PACE nur ein Niederschlag des common law-Ermessens im Gesetz sei, weil der Beweismittelausschluss nach s. 78 PACE weiterhin im Ermessen der Richter stehe.85 In dem Fall Fulling hingegen wurde die eigene Bedeutung dieser Vorschrift aner- kannt.86 Choo und Nash sprechen für ein über das common law hinausgehendes Er- messen nach der s. 78 PACE, weil die Richter unter s. 78 PACE nicht nur die Fair- ness des Gerichtsverfahrens (fairness of trial), sondern auch ein einheitliches Verfah- ren inkl. Gerichtsverfahren und Ermittlungsverfahren (fairness of proceedings) zu gewährleisten haben.87

Der Richter hat bei der Ausübung seines Ermessens unter s. 78 PACE zwei Denk-

83 “The English common law tradition in regard to the exclusion of improperly obtained evidence, other than confessions, was that such evidence was basically admissible subject to a rarely exercised judicial discretion to exclude it.” Siehe Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 328; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 51ff. 84 Siehe s. 78 Abs. 1 PACE: [I]n any proceedings the court may refuse to allow evidence on which the prosecution proposes to rely to be given if it appears to the court that, having regard to all the circumstances, including the circumstances in which the evidence was obtained, the admission of the evidence would have such an adverse effect on the fairness of the proceedings that the court ought not to admit it. 85 R. v. Mason, [1988] 86 Crim. App. R., para. 349 ff. 86 R. v. Fulling,[1987] Q.B. para. 426 ff. 87 Choo/Nash, What’s the matter with s. 78 PACE? Crim.L.R. (1999), S. 940; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 322. 40 schritte zu unternehmen: alle Umstände zu berücksichtigen und die Frage zu beant- worten, ob die Zulassung des Beweismittels eine nachteilige Wirkung auf die Fair- ness des Prozesses hat.88 Generelle Grundsätze, durch welche Art von Rechtverstoß die Fairness des Verfahrens beeinträchtigt wird, sind nach englischer Auffassung nicht wünschenswert. Zulassung oder Ausschluss eines Beweismittels steht dem Er- messen des Richters zu, wie generell beim common law-Ermessen.

1.2.3. Der Human Rights Act und sein Einfluss auf den Beweismittelausschluss

Am 2. Oktober 2000 ist der Human Rights Act 1998 in England in Kraft getreten. Mit der Inkorporierung wurde der Grundrechtskatalog der EMRK (Artikeln 2 - 12 und 14) zum Bestandteil des britischen Rechts und ist direkt anwendbar.89 Seitdem ist ein Beweismittelausschluss ebenfalls möglich, wenn das Beweismittel unter Ver- stoß gegen die Menschenrechte erlangt wurde. Nach Art. 8 Abs. 1 Human Rights Act verfügt das Gericht über keinen neuen Befugnisse, sondern muss die ihm bisher zu- gestandenen Rechte im Hinblick auf die Menschenrechte anwenden. Trotz der neuen Perspektive bei der Ermessensausübung bleiben die Voraussetzungen für einen Be- weismittelausschluss dieselben: der Verstoß muss eine nachteilige Wirkung auf die Fairness des Prozesses haben.90 Aber diese Bewertung steht im Ermessen des Rich- ters wie oben geschildert.

1.2. Wichtige Entscheidungen zum Beweismittelausschlusses in Bezug auf gene- tische Fingerabdrücke

Im Fall R v. Cooke91 stellte das Gericht zunächst die Frage, ob die gegen s. 64 PACE a.F. gespeicherte DNA-Proben als Beweis in einem neuerlichen Verfahren zulässig waren.92 In diesem Fall wurde eine Zellprobe bezüglich einer Vergewaltigung von

88 Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 56. 89 Amelung, Der Schutz der Privatheit im Zivilrecht, S. 129; Markesinis/O’Cinneide/Hunter-Henin, Concerns and Ideas About the Developing English Law of Privacy (And How Knowledge of Foreign Law Might Be of Help), 52 Am. J. Comp. L. 133 (2004), S. 138. 90 May, Criminal Evidence, S. 305. 91 R v. Cooke,(1995) 1 Cr App R 318. 92 McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S. 20. 41

Cooke entnommen, für welche das DNA-Profil erstellt worden war. Ihm wurde dabei ausdrücklich zugesichert, dass die Probe nur im Hinblick auf diese Tat verwendet würde, worauf der Angeklagten zustimmte. Er wurde allerdings freigesprochen. Das DNA-Profil stimmte jedoch mit einer anderen Spur einer Vergewaltigung überein und veranlasste seine nochmalige Festnahme.

Der Tatrichter lehnte die zuerst erlangte Haarprobe auf Grund von s. 78 PACE ab, weil der Angeklagte die Haarprobe aufgrund der falschen Zusicherung der Polizei abgegeben habe, so dass deren Zulassung das Verfahren unfair mache. Der Court of Appeal bestätigte dies. Jedoch entschied der Court of Appeal weiter, dass die rechts- widrig erlangte Haarprobe nicht hindern wurde, die bei der DNA-Analyse gewonne- nen Ergebnisse für weitere Ermittlungsmaßnahmen zu verwenden. Die Polizei kann eine Verhaftung des Beschuldigten im Hinblick auf die zweite Vergewaltigung zum Anlass nehmen, um eine neue, gemäß s. 63 PACE rechtmäßige Haarprobe zu erlan- gen. Ein Beweismittelausschluss der zweiten Probe nach s. 78 PACE käme nicht in Betracht.

Der Court of Appeal stellte ebenfalls fest, dass, selbst wenn die Entnahme der zwei- ten Haarprobe nicht gemäß s. 63 PACE rechtmäßig durchgeführt worden wäre, das Beweismittel nicht unbedingt nach s. 78 PACE hätte ausgeschlossen werden müssen. Denn die Genauigkeit und Aussagekraft der Ergebnisse blieb davon unberührt.93 Die Zulassung könne keinen Einfluss auf die Fairness des Verfahrens haben.

Im Fall R v. Nathaniel94 wurde der Angeklagte der Vergewaltigung von zwei Mäd- chen im Jahr 1991 beschuldigt. Während der Ermittlungen wurde er aufgefordert, eine Blutprobe für die Erstellung des DNA-Profils abzugeben. Er wurde darüber in- formiert, dass die Zellprobe nach s. 64 PACE a.F. vernichtet werde, sobald dies nach Abschluss des Verfahrens praktikabel wäre, wenn das Verfahren mit einem Frei- spruch erfolge. Ihm wurde weiter mitgeteilt, dass, wenn er die Maßnahme ohne trif- tigen Grund verweigerte, die Jury einen ungünstigen Rückschluss aus seiner Weige-

93 R v. Cooke (1995) 1 Cr App R 318. 94 R v Nathaniel [1995] 2 Cr App Rep 565, 159 JP 419. 42 rung ziehen würde. Er lieferte daraufhin eine Zellprobe ab, und die Daten wurden in eine DNA-Datenbank eingegeben. Der Angeklagte wurde im Verfahren bezüglich der Vergewaltigung der beiden Mädchen freigesprochen. Er ging davon aus, dass die DNA-Information aus der Datenbank gelöscht wurde. In der Tat blieben die Daten allerdings gespeichert. Dabei stellte man fest, dass das DNA-Profil mit einem ande- ren DNA-Profil aus einem Vergewaltigungsfall vor drei Jahren übereinstimmte, und verwendete es im folgenden Gerichtsverfahren.

Während der ersten Instanz forderte der Angeklagte, dass das DNA-Profil nach s. 78 PACE ausgeschlossen werden sollte, weil der Grundsatz des Fair Trial beeinträchtigt sei. Der Richter lehnte diese Forderung ab und der Angeklagte wurde wegen Verge- waltigung verurteilt. In der Berufungsinstanz wies der Court of Appeal darauf hin, dass die unbefugte Speicherung und Verwendung gegen s. 64 PACE a.F. verstoßen. Außerdem habe die Polizei den Angeklagten durch die Aussage und das Versprechen, seine Daten zu löschen, getäuscht, um seine Einwilligung gemäß s. 62 PACE zu er- langen. Aufgrund eines Verstoßes gegen s. 64 PACE, der Androhung, dass die Jury einen negativen Schluss aus seiner Weigerung ziehen würde und der Irreführung der Polizei, die Probe zu vernichten, wurde nach Ansicht der Berufungsinstanz die Fair- ness des Verfahrens beeinträchtigt. Das DNA-Profil musste damit als Beweismittel zurückgewiesen werden. Dementsprechend sprach der Court of Appeal den Ange- klagten frei.

Im Fall R. v. B95 beschäftigte sich das House of Lords mit einem fast identischen Sachverhalt, zog aber eine andere Schlussfolgerung. Beim Court of Appeal waren die Richter mit der Frage befasst, ob die einschlägigen Vorschriften, nämlich der s. 64 Abs. 1 PACE (mit ein „must“ in der Regelung96) und der s. 64 Abs. 3B (b) PACE ( mit „shall not“97) obligatorisch oder nur als leitende Weisung gemeint waren. Der

95 Attorney General's Reference (No 3 of 1999), [2001] 2 AC 91. 96 Siehe s. 64 Abs. 1 PACE: If—(a) fingerprints or samples are taken from a person in connection with the investigation of an offence; and (b) he is cleared of that offence, they must be destroyed as soon as is practicable after the conclusion of the proceedings. 97 Siehe s. 64 Abs. 3B (b) PACE: the fingerprints or samples may be retained after they have fulfilled 43

Court of Appeal kam zu folgendem Schluss: […] s. 64 Abs. 3B expressly and with- out qualification forbids the use of the sample which is required to be destroyed ei- ther in evidence or for the purposes of any investigation. It is plainly mandatory and not directory. If the sample, which includes the profile, is used for the purposes of an investigation, then all evidence resulting from that investigation must be excluded.“98 Die Richter schlossen einen richterlichen Ermessensspielraum über die Beweiswür- digung aus. Der DNA-Beweis wurde abgelehnt, und das Urteil der Vorinstanz wurde bestätigt.

Lord Sedley, der das Urteil im Namen der Mehrheit des House of Lord verkündete, hat die Diskussion in eine andere Richtung geleitet, die eher den Kern des Problems berührte. Er hat diese Dichotomie kritisch betrachtet und der Auffassung Lord Woolfs in der Rechtssache R. v. Immigration Appeal Tribunal99 zugestimmt, dass es viel wichtiger sei, sich auf die Konsequenz des Verstoßes gegen die gesetzliche Ver- pflichtung ("much more important to focus on the consequences of the non-compliance") zu konzentrieren, als der Frage nachzugehen, ob die einschlägige Vorschrift obligatorisch sei oder mehr als leitende Weisung verstanden werden kön- ne.

Er war der Meinung, dass die Straftat einer schwerwiegenden Vergewaltigung eine erhebliche Straftat sei, aber der DNA-Beweis nach der Entscheidung des Court of Appeal nie der Jury hätte vorgelegt werden dürfen. Seiner Meinung nach muss be- rücksichtigt werden, dass die Achtung der Privatsphäre des Angeklagten nicht der einzige Grundwert der Gesellschaft sei. Der Zweck des Strafrechts ist der Rechts- schutz von allen Menschen, so dass jeder sein tägliches Leben ohne Furcht vor Schaden an Leben oder Eigentum führen kann. Deswegen ist es im Interesse von allen, dass ein schweres Verbrechen effektiv aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt

the purposes for which they were taken but shall not be used by any person except for purposes related to the prevention or detection of crime, the investigation of an offence. 98 Attorney General's Reference (No 3 of 1999), [2001] 2 AC 91. 99 R. v. Immigration Appeal Tribunal, ex parte Jeyeanthan [1999] 3 All.E.R.231, at 237. 44 werde. In einer Strafsache müsse das Gericht das Interessen-Dreieck berücksichtigen, nämlich die Interessen des Angeklagten, des Opfers und seiner Familie und die der Öffentlichkeit. Deswegen verkündet er das Urteil, dass das Verbot, eine unrechtmä- ßig aufbewahrte Zellprobe zu „irgendwelchen Ermittlungszwecken“ zu verwenden, keinem gesetzlichen Verbot der Verwertung eines aufgrund einer Missachtung der Vorschrift erlangten Beweismittels gleichkomme, sondern die Frage der Zulässigkeit in das Ermessen des Tatrichters stelle.

Lord Cooke of Thorndon hat Lord Sedley umfassend zugestimmt und ergänzte, dass es im Europäischen Recht keinen Grundsatz gebe, nach dem rechtswidrig erlangte Beweise auf jeden Fall für unzulässig erklärt werden müssten, wie es in den anderen Commonwealth-Ländern der Fall sei, obwohl die Ansätze zwischen den Ländern sich nur geringfügig unterscheiden, z.B. wird in Australien ein richterliches Ermessen gemäß einer Leitentscheidung eingeräumt, wenn die konkurrierenden Anforderungen des öffentlichen Interesses auf Verhütung und Bestrafung von Verbrechen auf der einen Seite und Fairness gegenüber dem Angeklagten auf der anderen Seite abgewo- gen werden.100

2. Criminal Justice and Police Act 2001 (CJPA)

Die obigen Fälle der judikativen Praxis haben Sorgen und Diskussionen in der Öf- fentlichkeit ausgelöst.101 Die Regierung brachte schnell ihre darauf reagierende Ini- tiative vor das Parlament. In “Explanatory a Notes to Criminal Justice and Police Act 2001” wurde dem Parlament ein neuer Vorschlag unterbreitet, nämlich "An addition- al measure has been included to allow all lawfully taken fingerprints and DNA sam- ples to be retained and used for the purposes of prevention and detection of crime and the prosecution of offences.”102 Es ging dabei lediglich um die Frage, dass die bis dahin bestehende Rechtslage in Bezug auf die Aufbewahrung und Verwendung

100 Bunning v. Cross (1978) 141 C.L.R. 54; Ridgeway v. The Queen (1995) 184 C.L.R. 19. 101 Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 220; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 219. 102 Regina v. Chief Constable of South Yorkshire Police, [2004] UKHL 39, Nr. 4. 45 von DNA-Profilen nach Freispruch oder Einstellung geändert werden sollte.103 In den obigen Fällen hätten eindeutige DNA-Beweise, die zwei Verdächtigen mit zwei Vergewaltigungen und einen anderen mit einem Mord in Verbindung gebracht hätten, nicht verwendet werden dürfen, denn zum Zeitpunkt des erfolgreichen Abgleichs war ein Verdächtiger bezüglich der Straftaten, für welche die Profile erstellt worden wa- ren, freigesprochen worden und bezüglich des anderen, wurde er nicht mehr weiter strafrechtlich verfolgt.104 Es bestand die Gefahr, dass die DNA-Profile, die nach da- maliger Rechtslage angesichts des Freispruchs oder der Einstellung des Verfahrens gelöscht werden mussten, da sie von einer illegal aufbewahrten Zellprobe stammten, nicht als Beweismittel vom Gericht verwertet werden durfte. Im Fall R. v. B stellte das House of Lords fest, dass die rechtswidrig erlangten Beweise nicht unbedingt zurückgewiesen werden mussten. Die Novellierung durch die s. 82 CJPA 2001 wurde in den PACE als s. 64 Abs. 1A und Abs. 1B PACE eingefügt und war letztlich eine Konkretisierung des Entscheidungsprinzips im Fall R. v. B. Dadurch hat der Gesetz- geber auf die Verpflichtung der Vernichtung der Probe von Personen, die nicht straf- rechtlich verfolgt wurden oder freigesprochen wurden, verzichtet.105 Wenn die Zell- probe im Zusammenhang mit der Aufklärung einer Straftat entnommen wurde, kann das gewonnene Material zur Prävention und Aufdeckung eines Verbrechens, Aufklä- rung einer Straftat oder zur Durchführung einer Strafverfolgung verwendet werden, auch wenn das ursprüngliche Ziel der Maßnahme sich erledigt hat. Die neue Rege- lung lässt die Speicherung aller Fingerabdrücke oder Zellproben auf unbestimmte Zeit zu.106 Kurz gesagt, wenn die Maßnahme zulässig durchgeführt wurde, sind die

103 Gale/Scanlan, The Criminal Justice and Police Act 2001, S. 157. 104 R v. Cooke, (1995) 1 Cr App R 318; R v Nathaniel [1995] 2 Cr App Rep 565, 159 JP 419; Attorney General's Reference (No 3 of 1999), [2001] 2 AC 91. 105 Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 220; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 219. 106 Siehe s. 82 Criminal Justice and Police Act 2001 (Restriction on use and destruction of fingerprints and samples): (1)Section 64 of the 1984 Act (destruction of fingerprints and samples) shall be amended as follows. . … 46

Fingerabdrücke oder Zellproben dauerhaft aufzubewahren. Gleichgültig ist, ob das Strafverfahren gegen den Betroffenen eingestellt oder er freigesprochen wurde.107 Die Anordnung zur Entnahme der Zellprobe wurde von einem mindestens „superin- tendent” auf einen „Inspektor“ herabgestuft, wenn der Betroffene die Maßnahme verweigert.108

§ 2. Rechtsschutz der Privatsphäre auf nationaler Ebene in Großbritannien und der Einfluss der EMRK

Wie oben schon festgestellt, hat Großbritannien seit der Gründung der NDNAD im Jahr 1995 den Einsatz der genetischen Technologie sowie die Einträge in die Daten- bank enorm erweitert. Die von s. 64 Abs. 1A und Abs. 1B ermächtigte Maßnahme, nämlich die Datenspeicherung trotz der Einstellung des Strafverfahrens oder Frei- spruchs, wurde erst durch eine Klage von zwei britischen Staatsbürgern in Zweifel gezogen.

Zuerst wird behandelt, wie der Rechtsschutz der Privatsphäre auf nationaler und eu- ropäischer Ebene garantiert werden kann. Anschließend wird in diesem Kontrxt die aktuelle Entscheidung des EGMR ausführlich analysiert.

I. Rechtsschutz der Privatsphäre auf nationaler Ebene in Großbritannien

Während der Schutz der Privatsphäre in den USA und Deutschland im 20. Jahrhun- dert kontinuierlich ausgebaut wurde, ist das Recht auf Privatsphäre ein sehr modernes Konzept in Großbritannien.109 Die Bill of Rights110, die vom Parlament zwar schon im

(3) …the fingerprints or samples may be retained after they have fulfilled the purposes for which they were taken but shall not be used by any person except for purposes related to the prevention or detection of crime, the investigation of an offence or the conduct of a prosecution. 107 The National DNA Database Annual Report 2004-2005, S. 9; UK DNA Database includes the innocent and wrongly accused under the Criminal Justice and Police Act 2001, Privacy International, S. 9; Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 220; Semikhodskii, Dealing with DNA evidence, S. 219; Gale/Scanlan, The Criminal Justice and Police Act 2001, S. 157. 108 Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 211. 109 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S., Hastings Int'l & Comp. L. Rev., 487 2008, S. 502. 47

Jahre 1689 verabschiedet wurde, enthielt jedoch nur einige Rechte z.B. „ due process and freedom from cruel and unusual punishment“.111 Allerdings war das Gesetz eher eine Behauptung der parlamentarischen Rechte gegen den König, als eine Behauptung der Rechte des einzelnen Bürgers gegen staatliche Eingriffe.112 Die hieraus resultie- rende Lückenhaftigkeit des Rechtsschutzes war immer wieder Gegenstand von Kri- tik.113

Ein Blick auf einen entschiedenen Fall weist in diese Richtung. Dem Fall Kaye v. Robertson114 lag eine Unterlassungsklage des englischen Schauspielers Gordon Kaye zugrunde, der sich gegen die Veröffentlichung von Video-Aufnahmen wandte. Die Richter, die zwar mit dem Verhalten der Journalisten nicht einverstanden waren, klagten über das Fehlen jeglichen Rechtsanspruchs. In der Urteilsbegründung erklärte Lord Glidewell: “It is well known that in English law there is no right to privacy. The facts of the present case are a graphic illustration of the desirability of Parliament considering whether and in what circumstances statutory provision can be made to protect the privacy of individuals”.115 Lord Bingham stimmte ebenfalls zu: “the case highlights, yet again, the failure of British law to protect in an effective way the per-

110 Bill of Rights, United Kingdom (1689). 111 Article 10 of Bill of Rights: No excessive bail or "cruel and unusual" punishments may be imposed. 112 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S., Hastings Int'l & Comp. L. Rev., 487 2008, S. 493. 113 Kaye v. Rohertson [1991] FSR 62, 66 (per Glidewell LJ) und 70 (per Bingham LJ); Clements/Young, Human Rights: Changing the Culture 26 J.L. & Soc'y 1 1999, S. 4; Foster, The Protection of human rights in domestic law: learning lessons from the European court of human rights. Northern Ireland Legal Quarterly [Vol. 53, No. 3], S. 238; Hoffman/Rowe, Human Right in the UK, S. 3:“It is important to bear in mind that the intention behind was not to make a grand statement about the equality of individuals in society. On the contrary, it was meant to protect the interests of the barons who had revolted against King John and forced him to grant the Charter, and only incidentally benefited everyone else. Nonetheless, the theme of Magna Carta is that of limiting the power of the King, which is a important statement of the idea behind the rule of law, that is, that there should be government according to the law and not according to the arbitrary wishes of the ruler. 114 Kaye v. Robertson, [1991] FSR 62.CA. 115 Lord Justice Glidewell in Kaye v. Robertson, [1991] FSR 62.CA. 48 sonal privacy of individual citizens.” 116 Kaye v. Robertson galt lange Zeit als „leading case“ für die Annahme, dass das eng- lische Recht kein Recht auf Privatsphäre anerkenne und eine beklagenswerte Rolle bei der Entwicklung eines Anspruches auf Privatsphäre spiele. Der Fall Kaye v Robertson veranschaulicht die Schwierigkeiten, denen sich die englische Rechtsordnung tradi- tionell bei Verletzungen des individuellen Anspruchs auf Privatsphäre gegenüber- sah.117 Zwar betraute der englische Gesetzgeber über die Jahre hinweg mehrfach unabhängige Kommissionen mit der Aufgabe, Reformvorschläge zu erarbeiten.118 Die betreffenden Gutachten blieben jedoch in der Regel, soweit sie überhaupt ein gesetzliches Recht auf Privatsphäre forderten, ohne nennenswerten Einfluss.

II. Der Einfluss der EMRK auf die Entwicklung eines Right to Privacy im englischen Recht und der Rechtsschutz der Privatsphäre aus Art. 8 EMRK

Großbritannien ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) am 8. März 1951.119 Bis 2000 waren alle zahlreichen Versuche, die Konvention in innerstaatliches Recht umzusetzen, gescheitert. 120 Mit der Inkorporierung des Grundrechtskatalogs der EMRK (Artikeln 2 - 12 und 14) ist der Human Rights Act

116 Lord Justice Bingham in Kaye v. Robertson, [1991] FSR 62.CA. 117 Markesinis/O’Cinneide/Hunter-Henin, Concerns and Ideas About the Developing English Law of Privacy (And How Knowledge of Foreign Law Might Be of Help), 52 Am. J. Comp. L. 133 (2004), S. 138. 118 Younger, Report on Privacy, Cmnd 5012, 1972; Calcutt, Report on Privacy and Related Matters, Cm II 02, 1990 (Calcutt (No I)); Calcutt, Review of Press Self-Regulation, Cm 2135, 1993 (Calcutt (No 2)). 119 UK Ratification Status of International Human Rights, http://www.billofrightsforum.org/uk_ratification_status_of_international_human_rights_and_echr_ins truments.pdf (Zugriff am 7. August 2012). 120 Siehe die Stellungnahme von Lord Bridge in der Phase des Spycatcher-Verfahren: „we have not adopted as part of our law the European Covention on Human Rights. (…) Many think that we should. I have hitherto not been of that persuasion, in large part because I have had the confidence in the capacity of the common law to safeguard the fundamental freedoms essential to a free society. “ Siehe Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 339. 49

1998 am 2. Oktober 2000 in England in Kraft getreten. Hierzu gehört auch Art. 8 EMRK, in dem das Recht des Einzelnen auf Schutz seines Privat- und Familienle- bens verbürgt ist. Seitdem ist die Verletzung der Europäischen Konvention wieder- holt vor nationalen Gerichten oder Verwaltungsbehörden geltend gemacht werden können.121 Die Konventionsgrundrechte sind zuerst und vor allem Abwehrrechte gegen den Staat. Die Landschaft des common law im Allgemeinen und das Verhält- nis zwischen Schutz der Privatsphäre und öffentlichem Informationsinteresse im Be- sonderen haben sich mittlerweile deutlich geändert.122 Großbritannien ist mehrmals mit Entscheidungen des EGMR wegen des Rechts auf Achtung des Privatlebens konfrontiert worden und hat viele Fälle verloren.123

1. Der Schutzbereich des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK

Art. 8 Abs. 1 EMRK enthält eine spezielle Garantie des Schutzes der Privatsphäre und gewährleistet ausdrücklich einen Anspruch auf Achtung des Privat- und Famili- enlebens, der Wohnung und ihrer Korrespondenz.124 Nach Ansicht des EGMR um- fasst er vielmehr „wesentliche Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Persön- lichkeit“.125 Der Begriff des „Privatlebens" sei weit gefasst und einer erschöpfenden

121 Markesinis/O’Cinneide/Hunter-Henin, Concerns and Ideas About the Developing English Law of Privacy (And How Knowledge of Foreign Law Might Be of Help) 52 Am. J. Comp. L. 133 2004, S. 138. 122 Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, S. 339. 123 EGMR, Wainwright v. The United Kingdom, Application no. 12350/04 (2006); Khan v. United Kingdom, Application no. 47486/06(2010); PG and JH v. United Kingdom, Application no. 44787/98(2001); Govell v. United Kingdom, Application No 27237/95 (1998); Arnott v. United Kingdom, Application no. 44866/98 (2000); Armstrong v. United Kingdom, Application no. 48521/99 (2002). 124 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 196; Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 750; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 159; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, S. 288. 125 EGMR, Dudgeon v. UK, 22.10.1981=EuGRZ 1983,488 (492); Lawson, Leading cases of the European Court of Human Rights, S. 124. 50

Definition nicht zugänglich.126 Er umfasst nicht nur die klassischen Fälle von Ver- letzungen der Privatsphäre, wie dem Abhören von Telefongesprächen127 sowie kör- perliche Eingriffe,128 die Identifizierung des Geschlechts, den Namen und die sexu- elle Orientierung und das Sexualleben.129

2. Eingriffe

Der EGMR hat zwar keinen spezifischen Eingriffsbegriff definiert, doch lassen sich gleichwohl zahlreiche Eingriffskonstellationen identifizieren. Das Vorliegen des Ein- griffs wird normalerweise vom EGMR bejaht, wenn die Maßnahmen die körperliche Integrität auch bei geringer Intensität beeinträchtigen.130 Andere Fälle sind bei- spielsweise die mit Zwang angeordnete oder durchgeführte ärztliche Untersuchung131 sowie andere staatlicherseits vorgenommene Identifikations- und Überwachungs- maßnahmen.132 Es ist zu beachten, dass die Eingriffe in den durch Art. 8 gewähr- leisteten Schutz persönlicher Daten sowohl Erhebung und Sammeln als auch die Speicherung, Verarbeitung und weitere Verwendung von personenbezogenen Daten umfassen.133

Bezüglich der Eingriffsqualität im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK sind die quan-

126 EGMR, Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.70. 127 EGMR, Klass and others v. Germany, 6.9.1978, 6.9.1978, Nr. 5029/71=EuGRZ 1979, 278ff; Lawson, Leading cases of the European Court of Human Rights, S. 54ff. 128 EGMR, X v. Germany, 7. 5. 1979=1981, 199ff; Pretty/United Kingdom, 19.4.2002, No. 2346/02, para.61. 129 EGMR, Bensaid/ United Kingdom, 6.2.2001, No. 44599/9, para.47. 130 Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 800; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 210. 131 Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 800; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 210. 132 EGMR, Uzun v. Germany, 2. 9. 2010, Nr. 35623/05; Copland v. The United Kongdom, 3. 4. 2007, No. 62617/00, [2007] ECHR 253. 133 McVeigh, O'Neill & Evans v. United Kingdom, Nos. 8022/77, 8025/77, 8027/77, 5 Eur. H.R. Rep. 71, 82 (1983); Leander v. Sweden, 26. 3. 1987, No. 9248/81, 9 Eur. H.R. Rep. 433, 450 (1987); Van der Velden v. the Netherlands, 7. 12. 2006, No. 29514/05; Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581. 51 titativen wie qualitativen Kriterien zu berücksichtigen: es sind „einerseits Dauer, Länge, Ausmaß oder Auswirkungen, andererseits Irreversibilität, materielle, physi- sche oder psychische Auswirkungen eines Eingriffs“.134 Generell gesagt enthält bei Art. 8 EMRK einen weiten Eingriffsbegriff.

Im Hinblick auf den Datenschutz entschied der EGMR einigen Fälle, bei denen es darum ging, ob die Aufbewahrung von persönlichen Daten in das Recht auf Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 eingreift. Im Fall McVeigh, O 'Neill und Evans gegen Vereinigtes Königreich135 sind drei Beschwerdeführer nach der Verordnung zur Verhütung des Terrorismus (Prevention of Terrorism Order) festgenommen und ver- haftet worden. Dabei wurden Fingerabdrücke, Fotografien und weitere Informationen gesichert. Anklage wurde nicht erhoben. Zu Art. 8 EMRK führte die Kommission aus, dass die Abnahme und Speicherung von Fingerabdrücken ein Teil verschiedener Er- mittlungsmaßnahmen waren. Dabei hat sie allerdings offen gelassen, ob die weitere Speicherung der Fingerabdrücke, Fotografien und Protokolle nach der Vernehmung in das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 eingreife,136 weil der Kampf gegen den Terrorismus die Aufbewahrung solcher Unterlagen erfordere.

Im Fall Leander gegen Schweden137 entschied der EGMR, dass die Speicherung von menschenbezogenen Daten in einem geheimen Register aufgrund der nationalen Si- cherheit gerechtfertigt sei. Obwohl der Gerichtshof die Speicherung von persönli- chen Daten erlaubte, war er jedoch der Auffassung: "[b]oth the storing and the re- lease of such information, which were coupled with a refusal to allow Mr. Leander an opportunity to refute it, amounted to an interference with his right to respect for

134 Marauhn/ Meljnik, in Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 750; 135 EGMR, McVeigh, O'Neill & Evans v. United Kingdom, Nos. 8022/77, 8025/77, 8027/77, 5 Eur. H.R. Rep. 71, 82 (1983). 136 McVeigh, O'Neill & Evans v. United Kingdom, Nos. 8022/77, 8025/77, 8027/77, 5 Eur. H.R. Rep. 71, 82 (1983). 137 EGMR, Leander v. Sweden, 26. 3. 1987, No. 9248/81, 9 Eur. H.R. Rep. 433, 450 (1987); Lawson, Leading cases of the European Court of Human Rights, S. 219ff. 52 private life as guaranteed by Article8(1).”138 Es ist offensichtlich, dass die Aufbe- wahrung der persönlichen Daten als ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Pri- vatlebens nach Art. 8 Abs. 1 anerkannt wurde.

Im Fall Friedl gegen Österreich139 fotografierte die Polizei den Bf., und seine Per- sonalien wurden ins Register eingetragen, weil er an einer Demonstration teilge- nommen hatte. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Aufbewahrung dieser Unterlagen einen „relativ geringen“ Eingriff in das Recht einer Person auf Achtung des Privatle- bens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK darstelle.

3. Rechtfertigungsgründe

So wie die anderen Konventionsgrundrechte unterliegt auch der Anspruch auf Pri- vatleben einem Schrankenvorbehalt. Die Eingriffe in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK können nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein, wenn der Eingriff ge- setzlich vorgesehen ist, einen legitimen Zweck verfolgt und zur Erreichung dieses Zwecks in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.140 Darauf soll in der konkreten Marper Entscheidung des EGMRs näher eingegangen werden.141

III. Der Marper Fall

Anfang 2001 wurden Michael Marper und S. (Minderjährige) jeweils wegen Beläs- tigung und versuchten Raubes festgenommen. Der erste Bf., Herr Michael Marper, hatte seine Lebensgefährtin belästigt, sich vor der gerichtlichen Vorbesprechung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung mit ihr aber wieder versöhnt. Deshalb wurde die Anklage wieder fallengelassen. Der zweite Bf., Herr S., wurde am 14. Juni 2001 freigesprochen. Am 11. Juni 2001 stellte die Staatsanwaltschaft (Crown Prose- cution Service) den Anwälten des Bf. eine Mitteilung über die Verfahrenseinstellung zu, und am 14. Juni wurde das Verfahren förmlich eingestellt. Beide Bf. beantragten

138 Leander v. Sweden, 26. 3. 1987, No. 9248/81, 9 Eur. H.R. Rep. 433, 450 (1987), para. 48. 139 Friedl v. Austria, 26. 1. 1995, 21 Eur. H.R. Rep. 83, 85 (1995). 140 Marauhn/Meljnik, in Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 804; Grabenwarter, Europäische Menschen- rechtskonvention, S. 196; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 159. 141 Dazu ausführlich unter § 2, IV. 53 die Vernichtung ihrer Fingerabdrücke und Zellproben, was die Polizei jedoch in bei- den Fällen ablehnte. Die Bf. beantragten die gerichtliche Überprüfung der jeweiligen Entscheidungen der Polizei.

1. Die Entscheidungen des Administrative Court, Court of Appeal und House of Lords

Am 22. März 2002 wies der Administrative Court (Lord Justice Rose und Justice Leveson) den Antrag ab, weil man die gesetzliche Grundlage der dauerhaften Spei- cherung in s. 82 CJPA 2001 fand und die Speicherung der Zellprobe und der DNA-Profile das Recht auf Privatleben nicht berühre.142

Am 12. September 2002 bestätigte der Court of Appeal die Entscheidung des Admi- nistrative Court. Das Gericht gab zu, dass ein Eingriff zwar gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK festgestellt werden könne, der jedoch nicht als signifikant gelte.143 Vielmehr könne der Eingriff durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden, weil dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen sei und eine Maßnahme darstelle, die in einer demo- kratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit und zur Verhinderung von straf- baren Handlungen notwendig sei.144 Das Ziel der Verfolgung und Verhinderung von Straftaten überwiege die Wahrung der privaten Interessen der Betroffenen.

Zur Frage, warum die DNA-Zellproben und Profile dauerhaft gespeichert werden soll, erklärte Richter Waller:

“... First the retention of samples permits (a) the checking of the integrity and future utility of the DNA database system; (b) a reanalysis for the upgrading of DNA pro- files where new technology can improve the discriminating power of the DNA matching process; (c) reanalysis and thus an ability to extract other DNA markers and thus offer benefits in terms of speed, sensitivity and cost of searches of the data-

142 S, R v. Chief Constable of South Yorkshire & Anor, [2002] EWHC 478.(Admin)], paras. 6 und 19. 143 Marper & Anor, R (on the application of) v. Chief Constable of South Yorkshire & Anor, [2002] EWCA Civ 1275, para. 33. 144 Marper & Anor, R (on the application of) v. Chief Constable of South Yorkshire & Anor, [2002] EWCA Civ 1275, paras. 31-42. 54 base; (d) further analysis in investigations of alleged miscarriages of justice; and (e) further analysis so as to be able to identify any analytical or process errors. It is these benefits which must be balanced against the risks identified by Liberty. In my view thus the risks identified are not great, and such as they are they are outweighed by the benefits in achieving the aim of prosecuting and preventing crime.”145

Drei Jahre nach den ursprünglichen Festnahmen entschied das House of Lords hin- sichtlich der Begründung des Administrative Court, dass die Speicherung der Fin- gerabdrücke und Zellproben nach Art. 8 Abs. 1 nur geringfügig in das Privatleben eingreife, wenn überhaupt.146 Für den Fall der Notwendigkeit einer Rechtfertigung des leichten Eingriffs in das Privatleben stimmte Lord Steyn mit der von Lord Sedley vertretenen Ansicht dahingehend überein, dass der Zweck der Aufbewahrung, näm- lich die Verhütung von Straftaten und der Schutz Dritter vor Kriminalität, „gesetzlich vorgesehen“ seien, wie dies Art. 8 EMRK erfordere.147

Baroness Hale of Richmond schloss sich der Mehrheitsmeinung nicht an. Sie kriti- sierte heftig die Auffassung, dass die Aufbewahrung von Fingerabdrücken und DNA-Profilen keinen Eingriff des Staates in das Recht einer Person auf Achtung ihres Privatlebens darstellten und daher keiner Rechtfertigung nach der Konvention bedürften.148 Ihre Argumentation verankerte sie im Konzept der informationellen Privatsphäre. Sie argumentierte, es könne schwerlich, wenn überhaupt, etwas Priva- teres geben als das Wissen um den eigenen genetischen Bauplan.149 Sie vertrat auch

145 Marper & Anor, R (on the application of) v. Chief Constable of South Yorkshire & Anor, [2002] EWCA Civ 1275, para. 61. 146 Consolidated Appeals, Regina v. Chief Constable of South Yorkshire Police (Respondent) ex parte LS (by his mother and litigation friend JB) (FC) (Appellant); Regina v. Chief Constable of South Yorkshire Police (Respondent) ex parte Marper (FC)(Appellant), [2004] UKHL 39. paras. 25-31. 147 [2004] UKHL 39, paras. 32-40. 148 [2004] UKHL 39, paras. 67-79. 149 [2004] UKHL 39, para. 68: “…[i]n my view, constitute an interference by the state in a person's right to respect for his private life. This is an aspect of what has been called informational privacy”; at para. 71: “…[b]ut there can be little, if anything, more private to the individual than the knowledge of his genetic make-up.” 55 die Auffassung, dass der Unterschied zwischen Fingerabdrücken und DNA-Profilen stärker betont werden solle und die jeweiligen Rechtfertigungsgründe auch sehr un- terschiedlich sein könnten. Mit der Mehrheit stimmte sie jedoch überein, dass solche Rechtfertigungsgründe in den vorliegenden Fällen vorlagen.150

2. Die Lösung des EGMR—Der Fall S. und Marper gegen das Vereinigtes Königreich151

Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen vor inländischen Gerichten haben Marper und S eine Beschwerde am EGMR angebracht. Fast neun Jahre nach ihrer damaligen Festnahme hatten sie endlich Erfolg.

Im Fall Marper v. United Kingdom distanzierte der EGMR sich von dem Urteil des House of Lords in zweierlei Hinsicht. 152 Erstens erklärten die Richter, dass die Speicherung der Zellprobe angesichts der Art und Menge der in Zellproben enthalte- nen personenbezogenen Informationen per se als Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Achtung des Privatlebens angesehen werden müsse. Dies sei unabhängig von einer späteren Verwendung der Daten.153 Zweitens stellte das Gericht fest, dass die Spei- cherung von Fingerabdrücken, Zellproben und DNA-Profilen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht gerechtfertigt sei,154 insbesondere erfülle die Maßnahme nicht das Kri- terium der Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft.

2.1. Speicherung der Zellprobe ist per se ein Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Achtung des Privatlebens

Die Regierung brachte vor, dass die Vermutung, nämlich dass die systematische Aufbewahrung von Zellmaterial angesichts der Möglichkeit der zukünftigen Ver- wendung einen Eingriff darstelle, zwar theoretisch denkbar sei, jedoch liege gegen-

150 [2004] UKHL 39, para. 78. 151 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581. 152 Swergold, To Have and to Hold: The Future of DNA Retention in the United Kingdom, 33 B.C. Int'l & Comp. L. Rev. 179, S.180. 153 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 73. 154 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, paras. 87-126. 56 wärtig kein solcher Eingriff vor.155 Der Gerichtshof betonte demgegenüber erstens, dass der Begriff des „Privatlebens" weit gefasst werde und qualifizierte die Speiche- rung von Daten, die das Privatleben einer Person betreffen, als Eingriff i.S.v. Art. 8 dar.156 Zweitens war der Gerichtshof der Auffassung, dass die Besorgnis eines Be- troffenen bezüglich der Möglichkeiten einer künftigen Verwendung legitim sei, weil man eine solche Verwendungsmöglichkeit im Hinblick auf die rasante Entwicklung im Bereich der Genetik und Informationstechnologie nicht ausschließen könne.157

Außerdem sei bei der Entscheidung der vorliegenden Rechtssache zu berücksichtigen, dass die Zellproben „highly personal nature“ haben und „sensitive information about an individual, including information about his or her health.(…) A unique genetic code of great relevance to both the individual and his relatives” enthalten.158 Ange- sichts der Art und Menge der in Zellproben enthaltenen personenbezogenen Informa- tionen sei die Aufbewahrung von Zellmaterial ein Eingriff in das Recht der Betroffe- nen auf Achtung des Privatlebens. Die nachfolgende Verwendung der gespeicherten Informationen sei für diese Feststellung unerheblich.159

Im Vergleich mit dem Zellmaterial ist das DNA-Profil eine Reihe von Zahlen, die ein Mittel zur Identifizierung keine genetischen Informationen und keine Hinweise auf Erbmerkmale einer Person anhand von Körpergewebe darstellen. Es beinhaltet weder erhebliche tiefer gehende Informationen über eine Person noch die Ausprägung des Körpers und die Bestimmung seiner Funktionen.160 Dennoch stellte der Gerichtshof fest, dass die Profile beträchtliche Mengen einzigartiger personenbezogener Daten enthalten und anhand von DNA-Profilen genetische Verwandtschaftsverhältnisse

155 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.70. 156 Dazu ausführlich unter § 2, II, 1. 157 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 70. 158 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.72. 159 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.61. 160 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 28. 57 zwischen Personen und die ethnische Zugehörigkeit festgestellt werden können.161 Die automatisierte Verarbeitung erlaubt den Behörden, über eine neutrale Identifi- zierung weit hinauszugehen und diese Technik wurde tatsächlich in einigen Fällen im Zusammenhang der Verwandtschaftsanalyse bereits eingesetzt.

In Anbetracht dieser Gründe gelangte der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Speicherung von DNA-Zellproben und DNA-Profilen i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK Eingriff in das Recht auf Schutz des Privatlebens einer Person darstellt.

2.2. Rechtfertigung des Eingriffes

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff durch die nachfolgenden drei Elemente gerechtfertigt, nämlich „gesetzlich vorgesehen“, „legitimes Ziel“ und „Notwendig- keit in einer demokratischen Gesellschaft“. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die angezweifelte Maßnahme eine gewisse innerstaatliche Rechtsgrundlage, nämlich s. 64 PACE, habe und die Regelung auch hinreichend verständlich und vor- hersehbar sei.162 Zweitens stimmte der Gerichtshof mit der Regierung überein, dass die Aufbewahrung von Zellproben und DNA-Profilen das rechtmäßige Ziel der Auf- deckung und Verhütung von Straftaten verfolgt.163 Fraglich ist nun, ob die Maßnah- me in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

2.3. Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft

2.3.1. Allgemeine Grundsätze

Ein Eingriff ist nur notwendig, wenn er „einem dringenden sozialen Bedürfnis“ ent- spricht und die Maßnahme in Bezug auf ein legitimes Ziel verhältnismäßig ist.164

161 Beispielsweise Regina v. Jeffrey Charles Gafoor [2005] EWHC 2163 (QB); Paul Kappen Fall und Craig Harman Fall, vgl. Williams/Johnson, Inclusiveness, Effectiveness and Intrusiveness: Issues in the Developing Uses of DNA Profiling in Support of Criminal Investigations, 34 J.L. MED. & ETHICS 234 (243); Suter, All in the Family: Privacy and DNA Familial Seaching, 23 Harv. J. L. & Tech. 309 (2009-2010), S. 322ff. 162 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.95. 163 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 100. 164 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 115. 58

Hinter dieser Formulierung verbirgt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.165 Bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs erfordert eine Abwägung der in Frage stellenden Rechtsgüter auf Seiten der Betroffenen und der öffentlichen Interessen. In der Regel gewährt die EMRK den zuständigen nationalen Behörden einen Ermessensspielraum. Der Spielraum wird jedoch kleiner, wenn das betroffene Recht sehr persönlich oder wichtig ist und wenn es zwischen den Mitgliedstaaten einen Konsens über einen begrenzten Spielraum gibt.166

Bei Eingriffen in das Recht auf Schutz persönlicher Daten ist im Rahmen der Ver- hältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Erhebung, Speicherung und Verwendung bestimmter Daten und dem Schutz des Pri- vatlebens zu treffen. 167 Die Verfolgung und Verhütung von Straftaten ist zwar grundsächlich als ein legitimes Ziel zur Erhebung und Verarbeitung von Daten,168 erfordert jedoch eine Abwägung der Rechtsgüter mit den verfolgten öffentlichen In- teressen. Die Art der Daten, ihre Bedeutung für den Kernbereich der Persönlichkeit des Betroffen und die Art und Schwere der in Frage stehenden Straftaten sind dabei zu berücksichtigen.169

2.3.2. Anwendung auf den vorliegenden Fall

Erstens erkannte der EGMR die Bedeutung der Technik der DNA-Analyse bei der Verbrechensbekämpfung an, insbesondere bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus.170 Fraglich ist im vorliegenden Fall nun, ob die Speicherung der Fingerabdruck- und DNA-Profile der Bf., die bestimmter Straftaten verdächtig waren, aber nicht schuldig gesprochen wurden, nach Art. 8 Abs. 2 der

165 Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 811; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 115. 166 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 102. 167 Ellger, Der Datenschutz im grenzüberschreitenden Datenverkehr, S. 131; Grabenwarter, Europäi- sche Menschenrechtskonvention, S. 119. 168 Grote/Allewedt, EMRK/GG, S. 807. 169 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 119. 170 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 105. 59

Konvention gerechtfertigt war. Der Gerichtshof prüfte diese Frage unter angemesse- ner Berücksichtigung der einschlägigen Instrumente des Europarates171 sowie des Rechts und der Praxis der anderen Vertragsstaaten. Er stellte fest, dass die meisten Vertragsstaaten die Körperzellenentnahme in Strafverfahren nur bei Personen gestat- ten, die verdächtigt werden, eine Straftat oberhalb einer bestimmten Schweregrenze begangen zu haben.172 Weiterhin müssen die Zellproben und die daraus gewonnenen DNA-Profile in den meisten Vertragsstaaten entweder sofort oder innerhalb eines bestimmten begrenzten Zeitraums nach einem Freispruch oder einer Verfahrensein- stellung vernichtet oder gelöscht werden.173

Das Modell Schottlands wird hier als Beispiel hervorgehoben. Das schottische Par- lament hatte vorgeschrieben, die Aufbewahrung der DNA nicht verurteilter Personen nur in den Fällen zuzulassen, in denen erwachsene Täter Gewalt- oder Sexualstrafta- ten verdächtig sind. Die Speicherungsdauer beträgt nur drei Jahre, und die Verlänge- rung der Speicherung der DNA-Zellprobe und ihrer Profile ist nur mit Zustimmung eines Richters am Sheriff Court für weitere zwei Jahre zulässig.174

171 Dazu ausführlich unter § 2, III. 172 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.107. 173 Mindestens 20 Mitgliedstaaten sehen die Erhebung von DNA-Daten und deren Speicherung in nationalen Datenbanken oder anderen Speichermedien vor (Belgien, Deutschland, Finnland, Frank- reich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Spanien, Schweden, die Schweiz, Tschechien und Ungarn.) In den meisten dieser Länder (Bel- gien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Nieder- lande, Norwegen, Österreich, Polen, Spanien, Schweden und Ungarn) erfolgt die Erhebung von DNA-Profilen im Zusammenhang mit Strafverfahren nicht systematisch, sondern beschränkt sich auf bestimmte Umstände. Vgl Thibedeau, National Forensic DNA Databases 2011, S. 5 ff. 174 Siehe s. 18A of the Criminal Procedure (Scotland) Act 1995, as inserted by section 83 of the Po- lice, Public Order and Criminal Justice (Scotland) Act 2006 which was commenced on 1 January 2007. (1) This section applies to any sample, or any information derived from a sample, taken under sub- section (6) or (6A) of section 18 of this Act, where the condition in subsection (2) below is satisfied. … (4) The destruction date is— (a) the date of expiry of the period of 3 years following the conclusion of the proceedings; or (b) such later date as an order under subsection (5) below may specify. (5) On a summary application made by the relevant chief constable within the period of 3 months 60

2.3.3. Die Gegenargumente des EGMR zu der britischen Regierung und den von ihr vorgelegten Statistiken

Bezüglich des vergleichenden Werts der anderen Länder führte die britische Regierung aus, dass die zum Vergleich herangezogenen Staaten keine vergleichbare Datenbank in Bezug auf die Größe und Ressourcen wie in Großbritanien besitzen und deswegen nur eine eingeschränkte Verwendung von DNA-Datenbanken haben: “[U]nited Kingdom is in the vanguard of the development of the use of DNA samples in the detection of crime and that other States have not yet achieved the same maturity in terms of the size and resources of DNA databases. It is argued that the comparative analysis of the law and practice in other States with less advanced systems is accordingly of limited importance.”

Der Gerichtshof stellte jedoch fest, dass die anderen Vertragsstaaten sich trotz der Vorteile, die eine umfassende Datenbank bietet, hinsichtlich des Schutzes des Privat- lebens für eine zeitliche Begrenzung der Speicherung der bestimmten Dateien ent- schieden haben, weil die Verwendung moderner wissenschaftlicher Techniken in der Strafrechtspflege nicht um jeden Preis zugelassen werden dürfe. Der starke Konsens, der zwischen den Vertragsstaaten herrscht, liegt darin, den zuständigen Behörden einen engen Beurteilungsraum anzubieten. In Reaktion auf die Behauptung, dass das Vereinigte Königreich eine Spitzenposition einnehme, ist der Gerichtshof der Auf- fassung: “[T]hat any State claiming a pioneer role in the development of new tech- nologies bears special responsibility for striking the right balance in this regard.”175

Die Regierung begründete weiterhin mit einigen Statistiken, dass mit Stand vom 30. September 2005 die nationale DNA-Datenbank 181.000 Profile von Personen ent- halte, die vor den gesetzlichen Änderungen aus dem Jahre 2001 das Recht gehabt

before the destruction date the sheriff may, if satisfied that there are reasonable grounds for doing so, make an order amending, or further amending, the destruction date. … (7) An order under subsection (5) above shall not specify a destruction date more than 2 years later than the previous destruction date. 175 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 112. 61 hätten, diese Profile vernichten zu lassen. Von diesen seien 8.251 später mit Tatort- spuren in Verbindung gebracht worden, in denen es um 13.079 Straftaten gegangen sei, zu denen 109 Morde, 55 versuchte Morde, 116 Vergewaltigungen, 67 Sexual- straftaten und so weiter zählten. Die Regierung führt auch konkrete Beispiele von 18 Fällen an, bei denen DNA-Zellprobe zur erfolgreichen Ermittlung und Strafverfol- gung verwendet worden seien.176 Ohne diese Informationen aufzubewahren, würden solche Fälle nicht oder nur schwer aufgeklärt werden.177

Der Gerichtshof war jedoch der Auffassung, dass die Zahlen nicht belegen, inwieweit diese „Verbindung“ auch zu Tatorten zu Verurteilungen der Betroffenen geführt hät- ten oder wie viele Verurteilungen auf die Aufbewahrung von Zellproben bisher nicht verurteilter Personen zurückzuführen seien. Diese Übereinstimmungen hätten ohne die aktuelle Regelung erzielt werden können, welche die unbegrenzte Aufbewahrung von DNA-Profilen aller einer eintragungsfähigen Straftat verdächtigten Personen zuließen. Deswegen stellte der Gerichtshof fest, dass die Erweiterung der Datenbank nicht in erheblichem Umfang zu der Aufdeckung und Verhütung von Straftaten bei- getragen habe.178

2.3.4. Schlussfolgerung des Gerichtshof über die Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft

Dem Gerichtshof ist aufgefallen, dass die in England und Wales existierenden Auf- bewahrungsbefugnisse einen sehr pauschalen und unterschiedslosen Charakter ha- ben.179 Die Anlasstaten, nämlich eintragungsfähige Straftaten, als Grund für die Entnahme von Zellproben, zu den auch geringfügigen oder nicht mit Freiheitsstrafe zu ahndende Straftaten gehören, seien zu weit gefasst. Außerdem ist die Aufbewah- rung zeitlich nicht begrenzt. Das Material wird ungeachtet der Art oder Schwere der Straftat, derer der Betroffene verdächtig war, unbegrenzt aufbewahrt. Darüber hinaus

176 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, paras. 92-93. 177 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.93. 178 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, paras. 116-117. 179 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 119. 62 hat eine freigesprochene Person nur begrenzte Möglichkeiten, die Daten aus der na- tionalen Datenbank entfernen bzw. das Material vernichten zu lassen. Die Aufbe- wahrung von Zellproben mit der Fülle der darin enthaltenen genetischen und ge- sundheitlichen Informationen erfordert bei einer derart pauschalen und unbefristeten Aufbewahrungsregelung eine sorgfältige Prüfung.

Im Ergebnis stellte der Gerichthof fest, dass die pauschale und unterschiedslose Be- fugnis zur Aufbewahrung von Fingerabdrücken, Zellproben und DNA-Profilen ver- dächtiger, aber keiner Straftat schuldig gesprochener Personen keinen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden öffentlichen und privaten Belangen erzielt. Folglich war Art. 8 der Konvention im vorliegenden Fall verletzt.180

3. Abhilfemaßnahmen

Die Entscheidung des EGMR hat die Frage offen gelassen, ob die Regierung des Vereinigten Königreichs die entsprechenden Abhilfemaßnahmen ergreifen muss. Gemäß Art. 46 (1) der EMRK verpflichten sich die Hohen Vertragschließenden Teile, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichts- hofs zu befolgen. Es gibt jedoch Fälle, in denen die Vollstreckung des Urteils grund- legende Änderungen des Gesetzes erfordert, welches gegen die EMRK in dem be- troffenen Staat verstößt. Im Marper Fall stellte der EGMR fest, “[i]n these circum- stances, the Court considers that the finding of a violation, with the consequences which will ensue for the future, may be regarded as constituting sufficient just satis- faction in this respect.”181 Somit ist klar, dass das Vereinigte Königreich die Spei- cherungspolitik entsprechend ändern muss, um die Entscheidung richtig zu befolgen. Es bleibt noch die Frage, wie weit die Gesetzesänderung gehen muss. Während eine Nichtbeachtung des Urteils durch das Vereinigte Königreich einen Ausschluss aus Europarat hervorrufen könnte, würde eine komplette Änderung der Löschungspolitik im Wesentlichen jeden Nutzen der Datenbank beseitigen.182

180 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.125. 181 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para.134. 182 Peterson, S. v. United Kingdom: The European Court of Human Rights Overturns the United 63

4. Neue Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Supreme Court of the United Kingdom)—R. v The Commissioner of Police of the Metropolis183

Im Dezember 2007 und März 2009 wurden zwei britische Bürger jeweils wegen Körperverletzung und Vergewaltigung festgenommen. Der erste Bf., Herr S., wurde an demselben Tag ohne Anklage freigelassen. Der zweite Bf. wurde angeklagt, aber das Verfahren wurde mangels Beweisen eingestellt. Beide Bf. beantragten die Ver- nichtung ihrer Fingerabdrücke und DNA-Proben, was die Polizei jedoch in beiden Fällen ablehnte, weil in ihren Fällen keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Richtlinien über die Speicherung von Fingerabdrücken und DNA-Informationen im nationalen Polizeicomputer vorlagen.184 Die Bf. beantragten die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Polizei im Licht der Marper Entscheidung des EGMR.

Letztendlich ist der Fall an den Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs

Kingdom's Procedure for Indefinite Retention of Unconvicted Person's Personal Data, 18 Tul. J. Int'l & Comp. L. 557 (2009-2010), S. 557. 183 R (on the application of GC) (FC) (Appellant) v. The Commissioner of Police of the Metropolis (Respondent) and R (on the application of C) (FC) (Appellant) v. The Commissioner of Police of the Metropolis (Respondent), [2011] UKSC 21. 184 Im Jahr 2006 hatte der Verband Leitender Polizeibeamter in England und Wales (Association of Chief Police Officers in England and Wales) Richtlinien für die Speicherung von Fingerabdrücken und DNA-Informationen im nationalen Polizeicomputer ausgearbeitet, um klarere Hinweise in Bezug auf den Zugang zu den Datenbanken von Fingerabdrücken bzw. DNA-Datensätzen zu geben. Für die Kontrolle des von ihren Mitgliedern eingegebenen Datenbestands sind leitende Polizeibeamte im PNC zuständig. Es liegt in ihrem Ermessen, unter außergewöhnlichen Umständen jedwede Löschung von Daten anzuordnen, vorausgesetzt die Daten „gehören“ ihnen. Als Hilfsmittel bei der Ausübung des Ermessens dient den Leitenden Polizeibeamten das in Anhang 2 formulierte "Verfahren zur Behandlung außergewöhnlicher Fälle". Außergewöhnliche Fälle sind nach dieser Definition jene Fälle, in denen die ursprüngliche Verhaftung oder Probenahme unrechtmäßig war oder in denen ohne jeden Zweifel nachwiesen wurde, dass keine Straftat vorlag. Der leitende Beamte ist angewiesen, vor einer Entscheidung, ob ein Fall als außergewöhnlich anzusehen ist, bei der Projektgruppe DNA-und Fingerabdruckspeicherung Rat einzuholen. (Introduction 1.3 and Appendix 2 of Retention Guidelines for Nominal Records on the Police National Computer). 64 gelangt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des EGMR in Sachen Marper von den inländischen Gerichten beachtet werden müsse und die Entschei- dung des House of Lord im Fall R. v. B dagegen nicht mehr verbindlich sei: „[I]n the light of Marper ECtHR, the indefinite retention of the appellants’ data is an interfe- rence with their rights to respect for private life protected by article 8 of the ECHR which, for the reasons given by the ECtHR, is not justified under article 8(2). It is agreed that Marper UK cannot stand. The issue that arises on these appeals is what remedy the court should grant in these circumstances.“185

Die Richtlinie über die Speicherung von Fingerabdrücken und DNA-Informationen im nationalen Polizeicomputer, die in 2006 von dem Verband leitender Polizeibeam- ten in England und Wales (Association of Chief Police Officers in England and Wa- les) ausgearbeitet wurde, ist nach der Marper Entscheidung nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar.186 Laut der Entscheidung des EGMR ist es einer Regierung erlaubt, eine “angemessene Frist” zur Neuregelung der Datenspeicherung zu haben, wenn „ one of its (ECtHR) judgments raises issues of general public importance and sensitivity“.187 Allerdings ist der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs der Auffassung, wenn das Parlament keine überarbeiteten Richtlinien innerhalb einer angemessenen Frist erlassen könne, “the appellants will be able to seek judicial review of the conti- nuing retention of their data under the unlawful ACPO guidelines and their claims will be likely to succeed. ”188

Die neue Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Vereinigten Königreich nach Marper. Es ist offensichtlich, dass die Gerichte in England und Wales den zukünfti- gen Anträgen der Betroffenen hinsichtlich der Rechtsprechung des Obersten Ge- richtshof stattgeben sollt und ihre Daten sollten ebenfalls dementsprechend gelöscht werden.

185 [2011] UKSC 21, para. 15. 186 [2011] UKSC 21, para. 46. 187 Greens and MT v. United Kingdom, 23. 11. 2010, Nos 60041/08 and 60054/08, paras. 113-115. 188 [2011] UKSC 21, para. 49. 65

§ 3. Öffentliche Debatte und Reform der Gesetzgebung nach der Marper Ent- scheidung des EGMR

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Marper Fall vom 2008 gebot der Erweiterung der Eingriffsmöglichkeit nach dem englischen DNA-Datenbankgesetz Einhalt189 und führte dazu, dass England und Wales ihre Gesetze bezüglich der Datenschutzrechte derjenigen Personen ändern mussten, deren DNA-Profile zwar in der NDNAD gespeichert sind, die jedoch nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden.190

I. Parlamentsdebatten in House of Commons und House of Lords

Der Crime and Security Act war daher eine gesetzgeberische Reaktion auf die Marper Entscheidung, und ihm wurde die königliche Zustimmung () am 8. April 2010 erteilt.191 Jedoch aufgrund des Regierungswechsels im Mai 2010 ist das Gesetz nicht in Kraft getreten. Stattdessen schlug die Koalitionsregierung eine neue Protec- tion of Freedoms Bill vor, um das DNA-Gesetz in Einklang mit den Vorschriften in Schottland zu bringen.192 Gleichwohl ist die Reform von 2010 erwähnenswert, weil der Rechtsschutz des Betroffenen in der Löschungspolitik spürbar gestärkt wurde.

Während der parlamentarischen Debatten bei der Vorbereitung des Crime and Act 2010 wurden einige Fragen zwischen dem damaligen Innenministerium und der

189 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581. 190 Nydick, The British Invasion (of Privacy): DNA Databases in the United Kingdom and United States in the Wake of the Marper Case. 23 Emory Int'l L. Rev, 609 (2009), S. 610. 191 Königliche Zustimmung (Royal Assent) am 8. April 2010. 192 The Coalition: our programme for government – Freedom, Fairness and Responsibility, S. 11, http://www.direct.gov.uk/prod_consum_dg/groups/dg_digitalassets/@dg/@en/documents/digitalasset/ dg_187876.pdf (Zugriff am 14. 5. 2012); Lord Wallace of Tankerness QC, Recent Developments in Scots law: Lessons for English lawyers, S. 2: The coalition pledged in its Programme for Government to ‘adopt the protections of the Scottish model for the DNA database’ and indeed the biometric data provisions in the Protection of Freedoms Act 2012 have their origins in the Police, Public Order and Criminal Justice (Scotland) Act 2006. “; DNA profiles to be deleted from police database, 22. 2. 2011, BBC News, http://www.bbc.co.uk/news/uk-12433116 (Zugriff am 14. 5. 2012); Nuffield Council on Bioethics, The forensic use of bioinformation: ethical issues, S. 17. 66

Opposition, die damals von der Labour Party und Conservative Party gebildet wurde, heftig diskutiert. Diese Auseinandersetzungen drehten sich darum, ob die im Straf- verfahren gewonnenen DNA-Profile nach einem Freispruch oder einer Verfahrens- einstellung überhaupt in der Datenbank gespeichert werden dürfen und, falls eine Speicherung nötig wäre, auf welcher kriminologischen Basis das Parlament die Ge- setzesänderung beschließen solle.

1. Erste Frage: Die Notwendigkeit der Speicherung von DNA-Profilen nach einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung

Im Urteil Van der Velden gegen Niederlande ist vom EGMR festgestellt worden, dass die bloße Speicherung der DNA-Profile von den durch rechtskräftige Urteile verur- teilten Personen nicht gegen die Art. 8 und Art. 14 EMRK verstößt.193 Das Marper Urteil des EGMR sprach ebenfalls nicht dafür, dass die Speicherung der DNA-Proben und der damit erstellten DNA-Profile im Falle einer Nichtverurteilung oder unbeschränkten Entlassung unbedingt rechtswidrig sei. Der EGMR hat bei- spielweise bei der Gesetzesänderung des schottischen Strafverfahrensgesetzes von 1995 (Criminal Procedure Act of Scotland) nicht beanstandet, dass nach diesem Ge- setz biologische Zellproben und Profile selbst ohne Verurteilung drei Jahre lang ge- speichert werden dürfen, wenn der Festgenommene bestimmter Sexual- oder Ge- waltstraftaten verdächtig ist. Der Gerichtshof führte weiter aus: „This position is no- tably consistent with Committee of Ministers' Recommendation R(92)1, which stresses the need for an approach which discriminates between different kinds of cases and for the application of strictly defined storage periods for data, even in more serious cases“.194

Das heißt, die Speicherung von DNA-Zellproben und der damit erstellten DNA-Profile nach einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung ist zwar unter bestimmten Umständen zulässig; zu beanstanden sind allerdings die pauschalen und unterschiedslosen Aufbewahrungsbefugnisse.

193 Van der Velden v. the Netherlands, 7. 12. 2006, No. 29514/05. 194 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581., para. 110. 67

Die UK Home Office Economics and Resource Analysis Group und die Association of Chief Police Officers stellten in ihren kriminologischen Gutachten dar, dass ein Interesse an der Strafverfolgung durch Speicherung von DNA-Profilen trotz Frei- spruchs und Verfahrenseinstellung bestehe, sodass die Speicherung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt werden könne.

1.1. Das Gutachten der UK Home Office Economics and Resource Analysis Group195

Die Marper Entscheidung des EGMR fordert für die Aufbewahrung von DNA-Zellproben und DNA-Profilen Unschuldiger eine gerechte Balance zwischen den Rechten des Einzelnen und den Erfordernissen des Gemeinwohls. Dies bedeutet, dass ein besonderes Interesse der Strafverfolgung an der Speicherung von DNA-Profilen im Falle einer Nichtverurteilung existieren muss, um die Speicherung zu rechtfertigen.

Im Gutachten der UK Home Office Economics and Resource Analysis Group ist die Begrifflichkeit „NFA-Festgenommene“ relevant, die einen Personenkreis betrifft, der zwar festgenommen wurde, aber gegen den keine weitere Verfolgung (no further action - NFA) geführt worden ist.196 Die Person ist, rechtlich gesehen, unschuldig. Wie oben bereits dargestellt ist die Entnahme der DNA-Zellprobe in der Praxis eine polizeiliche routinemäßige Maßnahme bei der Festnahme oder mit anderen Worten eine Konsequenz der Festnahme geworden. Allerdings heißt dies nicht, dass jemand automatisch als „schuldig“ angesehen werden kann, nur weil er einmal festgenom- men wurden.

Nach diesem Gutachten verringert sich mit fortschreitender Zeit die Wahrscheinlich- keit, dass ein ehemaliger Festgenommener wieder arretiert wird. Dies wird mit einem

195 UK Home Office Economics and Resource Analysis Group, DNA Retention Policy: Re-arrest Hazard Rate Analysis, http:/www.homeoffice.gov.uk/documents/cons-2009-dna-database/dna- retention-evidence-paper2835.pdf?view=Binary (Zugriff am 4. Mai 2011). 196 Pease, DNA Retention after S and Marper: Ken Pease Jill Dando Institute April 2009, in: Annex C of keeping the right people on the DNA database, Science and public protection, S. 26. 68

Hazardwert bestimmt. Das Ziel des Gutachtens ist darauf gerichtet, wie lange es dauern wird, bis die Wahrscheinlichkeit der erneuten Festnahme einer Person aus der NFA-Gruppe gleich der Wahrscheinlichkeit der Verhaftung eines normalen Bürgers ist. 197 Solange die Wahrscheinlichkeit einer wiederholten Verhaftung eines NFA-Festgenommenen höher ist als letzterer, liegen ein statistischer Beweis und ein Rechtsfertigungsgrund vor, ihre Datensätze in dieser Zeitspanne zu speichern. Sie sind kriminell aktiv, und ihre gespeicherten Daten dienen der Aufklärung und Effizienz künftiger Strafverfolgung.198

Die einschlägigen Daten beziehen sich auf alle betroffenen NFA-Festgenommenen bis April 2006. Sie bestehen aus 17.239 Personen, von denen 6748 in den folgenden Jahren zwischen 1. Mai 2006 und 1. August 2009 (das Ende des Untersuchungszeit- raums) erneut festgenommen wurden. Die Analyse behandelt das relative Risiko der Kriminalität, genauer gesagt, eine zusätzliche Wahrscheinlichkeit der Wiederfest- nahme der NFA-Festgenommenen im Vergleich zu der allgemeinen unauffälligen Bevölkerung.199

Zu jedem Datenpunkt wird die Wahrscheinlichkeit der erstmaligen Wiederfestnahme in der NFA-Gruppe berechnet. Die NFA-Festgenommenen, die aber zu jenem Zeit- punkt nicht wieder verhaftet wurden, bilden die Menge zur Berechnung dieser Wahrscheinlichkeit. In statistischer Hinsicht heißt dies das Risiko der Wiederfest- nahme. Sobald der Hazardwert der zum ersten Mal Wiederverhafteten die Verhaf- tungsrate der normalen Bevölkerung erreicht, ist das relative Risiko der Kriminalität null und die Rechtfertigung für die Speicherung der DNA-Daten erlischt.

197 In der Forschung ist das Ziel der Forschung einfach im Folgenden zusammenfasst: The risk of criminality in the “No Further Action” (NFA) group compared with the general population. 198 UK Home Office Economics and Resource Analysis Group, DNA Retention Policy: Re-arrest Hazard Rate Analysis, S. 16. 199 Houlding, Considerations on the UK Re-Arrest Hazard Data Analysis: How Model Selection can alter Conclusions for Policy Development, S. 2. 69

Abbildung 1. Der Hazardwert der Wiederfestnahme aus der NFA-Gruppe200

Der Hazardwert wird von den Datensätzen der PNC (Police National Computer) be- rechnet und graphisch (Abbildung 1) 201 dargestellt. Wenn jemand aus der NFA-Gruppe zu einem späteren Zeitpunkt wieder arretiert wird, wird er in die Risi- korate miteingerechnet. Dann müssen seine Daten aus der Analyse entfernt werden und die Größe der Stichprobe wird somit kontinuierlich verkleinert. Um eine solche Analyse durchführen zu können, wären mehr Datensätze erforderlich als die, die in den für die Forschung zur Verfügung gestellten Zeitraum 2006-2009 fielen. Aus die- sem Grund wird die Kurve durch die verfügbaren Datenpunkte mit folgender Formel extrapoliert:

Hazardwert (Zeit in Jahren) = 0,166 * Zeit-0,686

Die Extrapolation ermöglicht es, die Datenpunkte bis zu acht Jahren nach der ersten Festnahme zu erstellen. Die Kurve fällt zu Beginn sehr stark und flacht nach drei Jahren langsam ab. Mit anderen Worten, in den ersten Jahren nach der ursprüngli-

200 UK Home Office Economics and Resource Analysis Group, DNA Retention Policy: Re-arrest Hazard Rate Analysis, S. 16. 201 UK Home Office Economics and Resource Analysis Group, DNA Retention Policy: Re-arrest Hazard Rate Analysis, S. 16; Houlding, Considerations on the UK Re-Arrest Hazard Data Analysis: How Model Selection can alter Conclusions for Policy Development, S. 4. 70 chen Festnahme beginnt die Wahrscheinlichkeit der erneuten Verhaftung der NFA-Gruppe auf einem relativ hohen Niveau (knapp unter 35 Prozent). Es sinkt dann stark und ist im ersten Jahr bei ungefähr 15 Prozent gelandet. Weiter fällt sie im sechsten Jahr auf bis zu circa 5 Prozent, nämlich auf die Verhaftungsrate der allge- meinen Bevölkerung.202

1.2. Das Gutachten der Association of Chief Police Officers (ACPO)

Das Gutachten des UK Home Office wurde von der Analyse ACPO unterstützt, die versucht, einige Angaben über die Zahl und Quote der schweren Straftaten darzu- stellen, die keine DNA-Beweise zur Verfügung hätten, wenn die geltende Praxis der dauerhaften Datenspeicherung nicht in Kraft wäre.203 Der Staatssekretär im Innen- ministerium Alan Johnson hat während der Parlamentsdebatte die folgende Statistik zitiert. Allein 2008/09 lagen 79 Treffer aus der DNA-Datenbank vor, deren Dateien mit Fällen von Vergewaltigung, Mord oder Totschlag übereinstimmten. Die Daten stammen von Personen, die zwar festgenommen waaren, aber nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden. In 36 dieser Fälle, fast die Hälfte, waren die DNA-Übereinstimmungen zwischen DNA-Spuren am Tatort und DNA-Daten in der NDNAD entscheidend, eine Verurteilung herbeizuführen. In Bezug auf diese 36 Fälle wurden nur 13 Täter, die vorher wegen einer schweren Straftat festgenommen, aber nicht verurteilt worden sind, festgestellt. Das bedeutet, dass die anderen 23 Täter, deren Dateien in der Datenbank waren, nur wegen eines Vergehens festgenommen, aber später nicht verurteilt worden sind. Wenn das schottische Modell auch in England und Wales gelten würde, dann „alone these 23 victims of the most serious crimes and their families would have been denied justice und 23 killers and rapists would have remained free“.204 Unter solchen Fällen wurden der Matthew Fagan Fall205, der Mark

202 Houlding, Considerations on the UK Re-Arrest Hazard Data Analysis: How Model Selection can alter Conclusions for Policy Development, S. 4. 203 UK Home Office Economics and Resource Analysis Group, DNA Retention Policy: Re-arrest Hazard Rate Analysis, S. 1. 204 Zweite Lesung über Crime and Security Bill im House of Commons 18. Jan. 2010. 205 R v. Fagan, [2009] EWCA Crim. 2746: Matthew Fagan war in ein Büro einer Firma eingebrochen, 71

Dixie Fall206 und der Steven Wright Fall207 von dem Staatssekretär und seinem Kol- legen besonders erwähnt. Die Gemeinsamkeit der Fälle ist, dass der wesentlicher Beweis in der Hauptverhandlung ein vollständiger Abgleich zwischen den DNA-Profilen, die beim Opfer entdeckt wurden, und den DNA-Profilen, die zuvor wegen einer davon unabhängigen Straftat entnommen worden waren, in deren Ver- fahren er ohne Anklage freigelassen worden war. Ohne die Übereinstimmung wäre es schwierig oder sogar unmöglich gewesen den Täter zu überführen.208

1.3. Kritik an den Gutachten des UK Home Office und ACPO

Bezüglich der Forschungsergebnisse der UK Home Office Economics and Resource Analysis Group ist viel Kritik geäußert worden.209 Erstens hatte das Innenministe- rium nur die Datensätze von drei Jahren zur Verfügung, weil der Police National Computer die Einträge aus früheren Jahren bereits gelöscht hatte.210 Die Statistik zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines NFA-Festgenommenen höher als die der allgemeinen Bevölkerung ist, aber das Home Office hatte eigentlich keine ausrei-

um Laptops zu entwenden. Währenddessen hat er eine Mitarbeiterin brutal ermordet. Ein wesentlicher Beweis bei der Hauptverhandlung war ein vollständiger Abgleich zwischen den DNA-Profilen, die unter den Fingernägeln des Opfers entdeckt wurden, und seiner DNA-Profile, die zuvor wegen einer anderen Straftat entnommen worden waren, in deren Verfahren er ohne Anklage freigelassen worden war. 206 R v. Dixie, [2009] EWCA Crim. 188. 207 R v. Steven Wright, 21.02.2008, Crown Court, Successful FSS Cases, S. 1. 208 Killer kept friends at a distance, BBC News, http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england /7257415.stm (Zugriff am 13 April 2011). 209 Soothill/Francis, Keeping the DNA link, 159 NLJ 1021; Goldacre, Is this a joke? The Guardian, 18th July 2009. http://www.badscience.net/2009/07/is-this-a-joke/(Zugriff am 12. März 2011); Hawkes, The DNA Database: Guilty or innocent: what’s the difference? Straight Statistics, 15th June 2009. http://www.straightstatistics.org/article/dna-database-innocent-or-guilty-whats-difference (12 März 2011); The Police Foundation (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009; The Foundation for Information Policy Research (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009; Gene Watch UK and Open Rights Group (2009) Response to the Home Office Consultation, August 2009. 210 Home Office, Keeping the right people on the DNA database: Science and Public Protection, Summary of Responses Public Consultation 7 May – 7 August 2009, S. 28. 72 chenden Daten, auf denen diese Schätzungen basieren könnten.211 Das Ergebnis wurde mit Hilfe der Extrapolation bis auf das achte Jahr berechnet.212 Im Bericht des Home Office haben sich die Statistiker mit Vorbehalt geäußert, “[…] the intersection of the two [lines] around the six-year point is quite sensitive to errors in either the extrapolation or the estimated risk of criminality for the general population.”213 Mit anderen Worten, es ist nicht sicher, ob die Extrapolation oder die Schätzung exakt war.

Zweitens stellte man das Forschungsziel, nämlich die Hazardrate der Wiederfest- nahmen, in Frage. Man zweifelte daran, warum nicht die Hazardrate der Verurteilung, die einer Festnahme oder Wiederfestnahme folgte, sondern die Hazardrate der Wie- derfestnahme das Forschungsziel war. Sofern die Festnahme nicht zur Verurteilung führt, bleibt der Betroffene unschuldig.214 „In fact, arrests are useful indicators of police action but not of guilt. Re-arrests are dangerous indicators and making arrests the pivotal criterion encourages the notion that we are moving towards becoming a police state.”215

Drittens, ein Vergleich zwischen der Wahrscheinlichkeit der einmalig Festgenomme- nen in Bezug zur allgemeinen Bevölkerung als ein Komparator ist irreführend. Hier ist die Berücksichtigung von Unterschieden zwischen den demographischen Probe- datensätzen der NFA-Gruppe und der allgemeinen Bevölkerung zu beachten, weil die

211 Retention of “innocent” DNA: some figures, but too few, Straight Statistics, http://www.straightstatistics.org/article/retention-innocent-dna-some-figures-too-few (Zugriff am 13. April 2011).; Goldacre, Is this a joke? The Guardian, 18. Juli 2009. 212 The National DNA Database, Eighth Report of Session 2009–10 Volume I, S. 14; Francis/Soothill, DNA retention – the new policy and a critique of the evidence. An independent report, S.7. 213Francis/Soothill, DNA retention – the new policy and a critique of the evidence.An independent report, S. 5. 214 Soothill/Francis, Keeping the DNA link, 159 NLJ 1021, S. 1021; Retention of “innocent” DNA: some figures, but too few, Straight Statistics; Francis/Soothill, DNA retention – the new policy and a critique of the evidence. An independent report, S. 5. 215 Soothill/Francis, Keeping the DNA link, 159 NLJ 1021, S. 1022. 73

NFA-Festgenommenen im Durchschnitt jünger als die letztere Gruppe und häufiger männlich sind. Merkmale gleichen Alters und Geschlechts müssen erstellt werden, um ein exaktes und vergleichbares Ergebnis zu erhalten.216

Die statistischen Angaben der Analyse ACPO, die der Staatssekretär des Innenminis- teriumss während der Parlamentsdebatte zitierte, ist zudem irreführend, weil die Zahlen nicht belegen, inwieweit diese „Verbindung“ zu Tatorten zu Verurteilungen der Betroffenen geführt hat oder wie viele Verurteilungen auf die Aufbewahrung von DNA-Proben der NFA-Personen zurückzuführen sind.217 Denn es gab keine Erwäh- nung des Status der Einzelnen, deren Profile mit den Spuren am Tatort überein- stimmten. Der Personenkreis könnte aus einer Vielzahl von Individuen bestehen- die Opfer, die Täter, die Personen, die vor oder nach dem Tatgeschehen anwesend waren, oder die Ermittler. Alle Profile sind möglicherweise in der Datenbank. Die ACPO Analyse bezieht sich nur auf die erfolgreichen Übereinstimmungen, ohne anzugeben, wie viele solcher Übereinstimmungen einen Zusammenhang mit der weiteren Ermittlung haben; besser gesagt, wie viele davon letztlich zur tatsächlichen Verurteilung führen.

Die Angaben zeigen auch nicht auf, dass die hohe Anzahl erfolgreicher Übereinst- immungen mit Tatortspuren nur aufgrund der unbegrenzten Aufbewahrung von DNA-Informationen all dieser Personen möglich war.218 Gleichzeitig führten die DNA-Profile Verdächtiger in der Mehrzahl der von der Regierung angeführten Fälle nur in Bezug auf frühere, in der Datenbank gespeicherte Tatortspuren zu erfolgrei- chen Übereinstimmungen. Diese Übereinstimmungen hätten jedoch auch ohne die aktuelle Regelung erzielt werden können, welche die unbegrenzte Speicherung von Daten nicht verurteilter Personen erlaubt.219

216 Houlding, Considerations on the UK Re-Arrest Hazard Data Analysis: How Model Selection can alter Conclusions for Policy Development, S. 3. 217 Francis/Soothill, DNA retention – the new policy and a critique of the evidence.An independent report, S.3. 218 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581. 219 Houlding, Considerations on the UK Re-Arrest Hazard Data Analysis: How Model Selection can 74

1.3.1. Falsch mitgefahren- Ist es notwendig?

Während der Debatte zitierte die Opposition einige Beispielsfälle, um zu veran- schaulichen, wie die Maßnahme in die Privatsphäre der normalen Bevölkerung ein- greift,220 und die Schwierigkeit eines Bürgers zu zeigen, einen Zugang zum or- dentlichen Rechtsschutz zu erlangen.221

In der Debatte der zweiten Lesung zog die Abgeordnete Diane Abbott aus Hackney North und Stoke Newington einen Fall von zwei Mädchen ohne Vorstrafe im Alter von 17 und 14 Jahren heran, deren DNA-Zellproben wegen eines Irrtums entnommen und gespeichert wurden.

Die Abgeordnete Diane Abbott hatte im April 2006 an Chief Superintendent Archie Torrance, den Bezirkskommandanten der Lewisham Polizeistation, über diesen Vor- fall geschrieben, damit die einschlägigen Daten aus der Datenbank gelöscht werden. Ein Monat später antwortete dieser, dass der Polizist, der die Maßnahme durchgeführt hatte, zu der Territorial Support Group gehöre und sie solle sich dorthin wenden. Der Versuch bei der Territorial Support Group war ebenfalls erfolglos. Im Brief des Ver- treters wurde vorgeschlagen, dass die Betroffenen beim Kommissar der Metropolitan Police Service nachfragen sollten, ob es in diesem Fall nach der Richtlinien 4.32 von 2006 über die Speicherung von Fingerabdrücken und DNA-Informationen im natio- nalen Polizeicomputer222 ausreichend außergewöhnlichen Umständen gebe, damit die

alter Conclusions for Policy Development, S. 3. 220 Innocent – but battling a DNA record, DNA Database: John Cann war eine Straße entlang gegan- gen, als er einen stark Betrunkenen eine Frau in einem PKW angreifen sah. Der Betrunkene versuchte, ihre Windschutzscheibe zu zerschlagen. Unter eigenem Risiko näherte sich Herrn Cann dem Mann und zog ihn von der Frau weg. Der Betrunkene griff Herr Cann und schlug ihn mit einem heftigen Schlag nieder. Als die Polizei ankam, wurde Herr Cann festgenommen, ungeachtet von Zeugenaussa- gen seiner heldenhaften Aktion. Die Polizei nahm eine DNA-Zellprobe von ihm und speicherte sie in der Datenbank. Die Löschung des Profils fand nur nach einer Kampagne statt, die von Canns MP (member of parliament) und einer überregionalen Zeitung unterstützt wurde. BBC News, http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/8037972.stm (Zugriff 17. Apr. 2012) 221 Westminster Hall DNA database debate (9th December 2009). 222 Ausführlicher unter Fn. 184. 75

DNA-Profile aus der Datenbank entfernt werden können.223

Im Juli erhielten die Betroffenen einen Brief von Detective Inspector Tracy Sherman des Metropolitan Police Service. Es sei einfach die Rechtslage unter der Police and Criminal Evidence Act zur Anwendung gekommen, und er teilte mit, dass die Fest- nahme in diesem Fall rechtmäßig gewesen sei. Deswegen sei die Zulässigkeit der Entnahme und Speicherung der DNA-Profile gegeben. Es lägen keine außergewöhn- lichen Umstände vor.

Anfang 2008 bat die Abgeordnete den Direktor der forensischen Dienstleistungen der Metropolitan Polizeistation, Gary Pugh, den Fall erneut aufzurollen. Schließlich antwortete er ihr, dass die Dateien der beiden Mädchen im Jahr 2008 aus der Daten- bank entfernt wurden. Bis dahin waren zwei Jahre vergangen. „The police tried to hide behind Ministers, and Ministers tried to hide behind chief constables.“224 Der Fall illustriert die Schwierigkeit für die Betroffenen, ihre Daten aus der Datenbank ent- fernen zu lassen, und wie die staatliche Maßnahme in das Recht des Privatlebens der Bevölkerung eingegriffen hat.

1.4. Zusammenfassung

Bei den beiden Fällen von Steve Wright und Mark Dixie ist in der Tat zutreffend, dass die Täter auch ohne in der Datenbank gespeicherte DNA-Profile erfolgreich hätten überführt werden können. Allerdings spielten solche DNA-Profile in den erwähnten Fällen von Matthew Fagan sowie Abdirahman Ali Gudaal225 und Abdul Azad226 bei

223 4.32 Retention Guidelines for Nominal Records on the Police National Computer 2006: Chief Police Officers are the Data Controllers of all PNC records created by their force. … It is suggested that exceptional cases are rare by definition and include those where the original arrest or sampling was unlawful or where it is established beyond doubt that no offence existed. Before deciding whether a case is exceptional, the Chief Officer is instructed to seek advice from the DNA and Fingerprint Retention Project. 224 Westminster Hall DNA database debate (9. Dez. 2009). 225 Am 16. Januar 2006 war Abdirahman Ali Gudaal wegen Raubverdachts festgenommen worden, und seine DNA-Zellprobe wurde entnommen. Später wurde er ohne Anklage freigelassen. In einem anderen Verfahren wurde eineÜbereinstimmung der DNA-Profile zu Gudaal gefunden. Im Juni 2009 76 der Identifizierung des Straftäters eine entscheidende Rolle. Fraglich ist, ob der er- folgreiche Rückgriff auf die gespeicherten Daten in den vereinzelten Fällen ausreicht, einen starken Grund zu bieten, die Daten von Personen auch nach Freispruch und einer Verfahrenseinstellung zu speichern.

Obwohl die beiden Gutachten sehr fragwürdig waren, ging die Kritik hauptsächlich um die Methode, nämlich die Extrapolation oder die Bestimmung des Komparators bzw. die Präzision des Forschungsansatzes. Mit Hilfe ausreichenden Stichproben und einer besseren statistischen Forschungsmethode gibt es noch Raum, das Ergebnis zu verbessern,227 aber eine negative Prognose der NFA-Gruppe kann man nicht über- sehen. Wichtig ist, bei welchen Anlasstaten und wie lange solche Daten gespeichert werden dürfen.

2. Zweite Frage: Hilft die Datenspeicherung Unschuldige zu entlasten?

Ein anderer Standpunkt lautet, dass die dauerhafte Dateispeicherung den nicht verur- teilten Personen hilft, die Unschuldigen zu entlasten. Deswegen verstößt die Spei- cherung nicht gegen die Unschuldsvermutung, weil die Beweise nicht unbedingt den Betroffenen belasten, sondern sogar entlasten können.

2.1. Die Opposition: Es ist nicht nötig, die Daten des Unschuldigen zu speichern, um ihn dann später zu entlasten.

Es besteht keinerlei Zweifel, dass die DNA-Technik eine wichtige Rolle spielen kann, um Unschuldige zu entlasten. Fraglich ist allerdings, ob es nötig ist, die Daten von Unschuldigen in der Datenbank zu speichern, um das Entlastungsziel zu erreichen. Die Polizei kann zu jeder Zeit eine DNA-Zellprobe erlangen, wenn sie sie braucht,

wurde Gudaal vom Coventry Crown Court wegen Vergewaltigung und Freiheitsberaubung zu 10 Jahren verurteilt. Home Affairs Select Committee Inquiry on the National DNA Database, www.genewatch.org/uploads/.../GWsub_Jan10.doc. (Zugriff am 19. Apr. 2012). 226 West Midlands Poilce, Selected Cases, http://npia.police.uk/en/docs/West_Midlands_Police.pdf (Zugriff am 19. Apr. 2012). 227 Eigentlich hat das Home Office die Statistik von Apr. 2009 durch eine erneute Zahl im Nov. 2009 verbessert. 77 um sie mit den DNA-Spuren des Tatorts zu vergleichen.228

Die von dem Home Office zitierten Fälle können die Stellungnahme der Regierung nicht unterstützen. In dem Fall Hodgson229 wurde dieser schließlich wegen der neu analysierten Tatortspur freigelassen, deren festgestellte DNA-Information nicht mit der Hodgsons übereinstimmte. Es zeigte sich somit die Wichtigkeit der Datenspei- cherung von Tatortspuren, nicht aber des Betroffenen, da Hodgson zu jener Zeit im Gefängnis einsaß und sein DNA-Profil immer greifbar war. Beim Fall Kizsco230 wurde der wahre Täter zwar durch einen DNA-Vergleich ermittelt. Allerdings spiel- ten die aufbewahrten DNA-Profile von Kizsco ebenfalls kaum eine Rolle, sondern vielmehr die Datenspeicherung von Tatortspuren. Bei Kizscos Entlassung war das Gesundheitsgutachten, nämlich, dass er unter der Krankheit XYY Syndrom litt und keine Vergewältigung begehen konnte, entscheidend. Dies hätte eigentlich bei der damaligen Gerichtsverhandlung vorgelegt werden müssen. Wie oben geschildert, trugen die in der Datenbank gespeicherten DNA-Daten eines Unschuldigen weder zur Aufklärung des Falles noch zu seiner Entlassung bei.

Außerdem ist zu erwähnen, dass es, selbst wenn eine Entlastungsfunktion der ge-

228 Memorandum submitted by GeneWatch UK, ttp://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ cm200910/cmselect/cmhaff/222/222we04.htm (Zugriff am 17. Apr. 2012) 229 Regina v. Robert Hodgson (known as Sean Hodgson), [2009] EWCA Crim 490: Im Dezember 1979 wurde eine junge Frau, Teresa De Simone, im südenglischen Southampton in ihrem Auto ver- gewaltigt und erdrosselt. Aufgrund einer erfolgreichen Übereinstimmung der Blutgruppe von Ho- dgson mit der am Tatort vorgefundenen, seines Geständnisses sowie der detaillierten und exakten Schilderung des Verbrechens wurde er schließlich zu lebenslänglich verurteilt. Nach DNA-Tests an seinem Probematerial und Spuren am Tatort, die man 1979 im Auto der Ermordeten genommen und gespeichert hatte, stellte sich heraus, dass Hodgson auf keinen Fall der Täter gewesen sein konnte. Im Jahr 2009 wurde Sean Hodgson freigelassen. 230 Kiszco wurde 1976 wegen Mordes und Vergewaltigung an einer Schülerin verurteilt. Kiszco litt unter der Krankheit XYY Syndrom, daher konnte er wegen seines Gesundheitszustands keine Sper- mien produzieren, aber das Gesundheitsgutachten wurde niemals zur Verteidigung dem Gericht vor- gelegt. Vgl. Memorandum submitted by GeneWatch UK, http://www.parliament.the-stationery-office. co.uk/pa/cm200910/cmselect/cmhaff/222/222we04.htm (Zugriff am 17. Apr. 2011). 78 speicherten DNA-Daten vorliegen könnte, bis 2003 keinen Fall gab,231 in dem die Technologie eingesetzt wurde, um den Unschuldigen von der ursprünglichen Verur- teilung zu entlasten. Nunmehr ist die Verurteilung durch DNA-Beweis zwar längst ein wichtiger Bestandteil der britischen Strafjustiz geworden, aber es gibt keine verfüg- baren Ressourcen und Zugänge, mit deren Hilfe der Betroffene gegen die ursprüng- liche Verurteilung appellieren könnte. Keine offizielle Leitlinie ist vorgesehen, damit die Verwendung der DNA-Profile eingesetzt werden kann, und es gibt auch keine offiziellen Leitlinien, die bereits langfristige Freiheitsstrafen verbüßenden Häftlingen helfen, ihr Recht zu schützen. 232

3. Dritte Frage: warum 6 Jahre? Eine Zeitspanne auf Gutachten basierend oder einfach „stick the finger in the air and think of a number”

Der Hazardwert der UK Home Office Economics and Resource Analysis Group deu- tet darauf hin, dass die Anfälligkeit der NFA-Gruppe höher ist als die der allgemei- nen Bevölkerung, die niemals arretiert wurde. Die Frage, wie lange und bei welchen Altersgruppen die DNA-Daten zu speichern sind, wurde durch eine weitere Analyse des Jill Dando Institute erforscht. Als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Ge- richtshofs musste eine Zeitspanne erarbeitet werden, für die man die DNA-Profile von Unschuldigen auf bestimmte Zeit speichern konnte. Ursprünglich wurde ein Zeit- rahmen von 6 bis 12 Jahren vorgeschlagen, doch wurde dieser später aufgrund eines Gutachtens des Jill Dando Instituts für strafrechtliche Wissenschaft233 auf 6 Jahre reduziert.

Die einschlägigen Daten der Forschung des Jill Dando Instituts kommen aus Fällen

231 Johnson/Williams, “Post-Conviction DNA Testing: The UK's First 'Exoneration' Case?”, Science & Justice, Volume 44, Issue 2, S. 78. 232 Johnson/Williams, “Post-Conviction DNA Testing: The UK's First 'Exoneration' Case?”, Science & Justice, Volume 44, Issue 2, S. 78. 233 Tseloni/Pease, DNA retention after arrest: Balancing privacy interests and public protection, European Journal of Criminology, Jan. 2011,http://euc.sagepub.com/content/8/1/32; Pease, DNA Retention after S and Marper: Ken Pease Jill Dando Institute April 2009, Annex C of Home Office, Keeping The Right People on the DNA Database Science and Public Protection, S. 32. 79 des Zuständigkeitsgebiets der Metropolitan Polizeistation, die am 1. Juni 2004, 1. Juni 2005 und 1. Juni 2006 gesammelt wurden. Die Daten wurden einer umfangrei- chen und langwierigen Bearbeitung unterzogen, um die Daten von denjenigen aus- zuschließen, die vor dem 1. Juni 2004 schon mal festgenommen oder verurteilt wur- den.234

Das erste Ergebnis des Gutachtens lautete, dass die NFA-Festgenommenen genauso kriminell aktiv waren wie andere, deren Verfahren durch Verwarnung abgeschlossen oder die mit einer nicht freiheitsentziehenden Sanktion verurteilt wurden.235 Diese Schlussfolgerung stimmte mit der Statistik der Forschung des Home Office überein, nämlich dass die Anfälligkeit für erneute Festnahme der NFA-Gruppe höher ist als die der normalen Bevölkerung. Nach einer Studie von Lila Kazemian, deren Daten aus der Cambridge Längsschnittanalyse kommen, wurde die Aufbewahrungsfrist auf 6 Jahre bestimmt.236

3.1. Kritik an dem Gutachten und die Home Departments Reaktion

Im Paragraph 236 der Crime and Security Bill Explanatory Notes steht: „… [t]he Secretary of State is acting on research and the Secretary of State submits that this approach is supported by the best available evidence.“237 Ob der Entwurf des Ge- setzes tatsächlich von dem kriminologischen Gutachten unterstützt wurde, sahen die Wissenschaftler und Menschenrechtsgruppen anders: 238 eine der Anmerkungen kommt von der Direktorin des Jill Dando Instituts, Gloria Laycock selbst. Sie war der Ansicht, dass die Untersuchung wegen der unzureichenden Zeit und des indirekten

234 Pease, DNA Retention after S and Marper: Ken Pease Jill Dando Institute April 2009, Annex C of Home Office, Keeping The Right People on the DNA Database Science and Public Protection, S. 31. 235 Pease, DNA Retention after S and Marper: Ken Pease Jill Dando Institute April 2009, Annex C of Home Office, Keeping The Right People on the DNA Database Science and Public Protection, S. 32. 236 Pease, DNA Retention after S and Marper: Ken Pease Jill Dando Institute April 2009, Annex C of Home Office, Keeping The Right People on the DNA Database Science and Public Protection, S. 33. 237 Explanatory Notes to the Crime and Security Act 2010. 238 The Foundation for Information Policy Research (2009) Response to the Home Office Consultation. August 2009, S. 3; GeneWatch UK and Open Rights Group (2009) Response to the Home Office Consultation. August 2009, S. 5. 80

Zugangs der Probendaten nicht für die Gesetzesänderung verwendet werden sollte. Sie wies zum Schluss darauf hin, dass die Untersuchung im Nachhinein ein Fehler war. “We should have just said 'you might as well just stick your finger in the air and think of a number."239 Es wurde auch kritisiert, dass es zu wenig Probedaten für eine so kurze Nachlaufzeit sind, die nur am 1. Juni 2004, 1. Juni 2005 und 1. Juni 2006 ge- sammelt wurden. Nur mit Hilfe der Extrapolation ist das Ergebnis der Untersuchung wiederum sehr fragwürdig.240

Auf die Kritik hat das Home Department durch seinen Under-Secretary of State Alan Campbel zugegeben, dass die Aufbewahrungsfrist auch weniger als 6 Jahre sein könnte, beispielweise zwei Jahre oder drei Jahre. Es sei schwierig, aus einer Fest- nahme eine klare Schlussfolgerung zu ziehen, nämlich wann und welche Straftat der Festgenommene erneut begeht. "We drew a line at six years, because a line has to be drawn somewhere.”241

II. Reform der Gesetzgebung - Crime and Security Act 2010

Trotz der heftigen Debatte im Parlament wurde der Crime and Security Act erlassen. Wie oben erwähnt, ist das Gesetz aufgrund des Regierungswechsels im Mai 2010 nicht in Kraft getreten. Allerding ahnt man aus dem Gesetzestext die Umsetzung des Urteils des EGMR und eine Tendenz der Stärkerung des Schutzes der Privatsphäre.

1. Normenadressanten

Nach s. 2 Abs. 6 Crime and Security Act vom 2010 dürfen von demjenigen, der we- gen einer eintragungsfähigen Straftat angeklagt ist, ohne seine Einwilligung „non-intimate“ Zellprobe entnommen und zur Feststellung des DNA-Profils mole-

239 'Six-year limit' on innocent DNA, BBC News, http://news.bbc.co.uk/2/hi/8353824.stm (Zugriff am 4. Mai 2011). 240 The Foundation for Information Policy Research (2009) Response to the Home Office Consultation. August 2009, S. 3; Liberty’s Second Reading Briefing on the DNA provisions in the Crime and Security Bill in the House of Commons, http://www.liberty-human-rights.org.uk/pdfs/ policy10/liberty-s-2nd-reading-briefing-on-crime-and-security-bill-dna.pdf (Zugriff am 4. Mai 2011) 241 Campbel, Parliamentary Debate on the DNA Database, http://www.dianeabbott.org.uk/news /speeche/news.aspx?p=102558 (Zugriff am 4. Mai 2011). 81 kulargenetisch untersucht werden. Dies gilt auch, wenn er sich nicht in Polizeige- wahrsam oder Haft befindet.242 Die Voraussetzung “detained in consequence of his arrest for a recordable offence” wurde hier geändert.

Nach s. 3 Abs. 3 Crime and Security Act 2010 kann die Entnahme der Zellproben zu jeder Zeit durchgeführt werden, wenn die betroffene Person nach dem 10. April 1995 wegen einer eintragungsfähigen Straftat rechtskräftig verurteilt wurde. Es gilt auch bei denjenigen, gegen die das Verfahren durch Verwarnung (caution) oder Verweis (reprimand) abgeschlossen ist.243 Voraussetzung dafür ist nur, dass sein DNA-Profil nicht bereits auf den DNA-Datenbanken vorliegt. Wenn jemand vor dem 10. April 1995 wegen bestimmter schwerwiegender Straftaten verurteilt wurde, können ihm die Zellprobe und Fingerabdrücke jederzeit abgenommen werden. Voraussetzung ist ebenfalls, dass sein DNA-Profil noch nicht auf den DNA-Datenbanken vorliegt und er sich im Gefängnis oder im Gewahrsam nach dem Mental Health Act befindet.

In Anbetracht der neuen Regelungen bezüglich der Zulässigkeit der Maßnahme lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass der britische Gesetzgeber trotz Missbilligung des EGMR am Umfang der Normadressaten, deren Anlasstaten nur eine eintra- gungsfähige Straftat verlangen, zu der auch geringfügige oder nicht mit Freiheits- strafe zu ahndende Straftaten gehören,244 diese Voraussetzung für eine Zulässigkeit der Maßnahme nicht geändert hat.

242 Siehe s. 2 Abs. 6 Crime and Security Act von 2010: A non-intimate sample may be taken from a person (whether or not he is in police detention or held in custody by the police on the authority of a court) without the appropriate consent if he has been charged with a recordable offence or informed that he will be reported for such an offence. 243 Siehe s. 3 Abs. 3 Crime and Security Act 2010: […](a) he has been convicted of a recordable of- fence,(b) he has been given a caution in respect of which, at the time of the caution, he has admitted, or(c) he has been warned or reprimanded under section 65 of the Crime and Disorder Act 1998 for a recordable offence, and either of the conditions mentioned in subsection (6ZA) below is met. 244 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 119. 82

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellproben und Löschung der DNA-Profile

2.1. Vernichtung der entnommenen Zellprobe des Betroffenen

Nach s. 14 Crime and Security Act sind die Zellproben, die bei der Festnahme ent- nommen wurden und derzeit in kommerziellen Labors gespeichert sind, zu vernich- ten, sobald DNA-Profile aus ihnen gewonnen wurden.245 In der neuen Regelung bezüglich der Vernichtung der entnommenen Zellprobe wurde die Auffassung des EGMR berücksichtigt, dass die zeitlich unbegrenzte Speicherung von Zellproben und DNA-Profile ein Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Schutz des Privatlebens ist und eine Regelung anders als bei der Löschung der DNA-Profile erforderlich macht.246 Interessanterweise ist die neue Regelung in der Tat auf die s. 64 PACE in ihrer ursprünglichen Fassung zurückgekommen.247

2.2. Speicherungsdauer und Löschung der DNA-Profile

Der s. 14 Crime and Security Act enthält 8 Gruppen, für die verschiedene Speiche- rungszeiten der DNA-Profile geregelt sind können wie folgt zusammengefasst wer- den:

Tabelle 1. Speicherungsdauer der verschiedenen Altersgruppen

245 Siehe s. 14 Crime and Security Act: (1) A DNA sample to which section 64 applies must be de- stroyed—(a) as soon as a DNA profile has been derived from the sample, or (b) if sooner, before the end of the period of 6 months beginning with the date on which the sample was taken. (2) Any other sample to which section 64 applies must be destroyed before the end of the period of 6 months begin- ning with the date on which it was taken. 246 Marper v. United Kingdom, [2008] ECHR 1581, para. 73. 247 Dazu ausführlich unter § 1, IV, 1. 83

Alter Status Speicherungsdauer

unbefristete Aufbewahrung von Erwachsene verurteilt DNA-Profilen (s. 64 Abs. 2 PACE)

Festgenommen, aber Speicherung von DNA-Profilen für 6 Erwachsene nicht verurteilt Jahre (s. 64ZD);

wegen einer schwe- unbefristete Aufbewahrung von Unter 18 Jahre ren Straftat verurteilt DNA-Profilen (s. 64 Abs. 2 PACE)

wegen einer gering- Speicherung von DNA-Profilen für 5 Unter 18 Jahre fügigen Straftat ver- Jahre (s. 64ZH); urteilt

wegen einer qualifi- zierten Straftat fest- Speicherung von DNA-Profilen für 6 16 und 17 Jahre genommen, aber Jahre (s. 64ZG); nicht verurteilt

Wegen einer qualifi- zierten Straftat fest- Speicherung von DNA-Profilen für 3 Unter 16 Jahre genommen, aber Jahre (ss. 64ZE und 64ZF); nicht verurteilt

Alle anderen un- Festgenommen, aber Speicherung von DNA-Profilen für 3 ter 18-Jährigen nicht verurteilt Jahre (ss. 64ZE und 64ZF);

Aufbewahrung von DNA-Profilen für 2 einer Kontrollverfü- Alle Personen Jahre, nachdem die Kontrollverfügung gung unterworfen nicht mehr weiter wirkt.(s. 64ZC)

Nach s. 7 Crime and Security Act ist der Begriff „qualifizierte Straftat“ gesetzlich

84 definiert. Eine Liste der erheblichen Straftaten wird hier angegeben, die nacheinander aufgelistet werden: (a) Mord; (b) Totschlag; (c) Freiheitsberaubung; (d) Entführung; (e) eine Straftat nach den Artikeln 4, 16, 18, 20 bis 24 und 47 Offences Against the Person Act 1861; (f) eine Straftat nach ss. 2 und 3 Explosive Substances Act 1883; (g) eine Straftat nach dem Art. 1 of the Children and Young Persons Act 1933; und so weiter.248

Zusammengefasst stellt s. 7 Crime and Security von 2010 die Straftaten dar, die schwerwiegende gewalttätige, sexuelle oder terroristische Straftaten sind. Es ist ein Begriff im Zusammenhang mit der Regelung über biometrisches Material, der eine Tatbestandsvoraussetzung dafür ist, bei welchen Altersgruppen und wie lange jeweils die DNA-Profile gespeichert werden können.249 Zu betonen ist, dass der Begriff nichts mit der Zulässigkeit der Entnahme einer Zellprobe zu tun hat.

Zusammenfassung zum ersten Teil

In England und Wales erlebte das Gesetz in Bezug auf die DNA-Analyse mehrfach Novellierungen: Erweiterung der Normadressaten, Absenkung der Anforderungen und Ermöglichung der dauerhaften Speicherung der Zellprobe und DNA-Profile, auch wenn das Strafverfahren gegen den Betroffenen eingestellt oder mit einem Freispruch abgeschlossen wurde. Die zentrale Frage, ob die dauerhafte Datenspeicherung nach Freispruch und Verfahrenseinstellung rechtswidrig ist, ist durch die Entscheidung des EGMR in Fall Marper beantwortet. Dies hat Debatten im Parlament und in der Öf- fentlichkeit über eine erneute Gesetzesänderung ausgelöst.

Der Crime and Security Act war zwar aufgrund des Regierungswechsels im Mai 2010 nicht in Kraft getreten. Der Rechtsschutz des Betroffenen in der Löschungspolitik bezüglich der DNA-Analyse wurde jedoch spürbar gestärkt. Ohne Stichproben in einem langen Zeitraum besitzt kein kriminologisches Gutachten eine bleibende Überzeugungskraft. Die neue Koalitionsregierung hat das Protection of Freedoms Bill

248 Siehe s. 7 Crime and Security Act 2010. 249 Explanatory Notes of s. 7 Crime and Security Act 2010. 85 vorgeschlagen, um das DNA-Gesetz in Einklang mit den Vorschriften in Schottland zu bringen. Man kann davon ausgehen, dass DNA-Zellproben und die damit erstellten DNA-Profile im Falle einer Nichtverurteilung oder unbeschränkten Entlassung noch gespeichert werden könnten, wenn der Festgenommene bestimmter Sexual- oder anderer Gewaltstraftaten verdächtig ist. Die geltenden Aufbewahrungsbefugnisse werden durch einige Faktoren, beispielweise die Art oder Schwere der Straftat, das Alter des Straftäters, auf einen bestimmten Zeitraum (beispielsweise 3 Jahre in Schottland ) beschränkt.

86

Zweiter Teil:

Die gesetzlichen Grundlagen bezüglich der DNA-Analyse und Speicherung in den Vereinigten Staaten unter Berücksichtigung des Rechtsschutzes nach dem vierten Verfassungszusatz

§ 4. Die Entwicklung der Gesetzgebung bezüglich der DNA-Analyse in den USA

Die Ermittlungsbehörden in den USA haben die DNA-basierte genetische Profilie- rung in Strafverfahren erstmals im Jahr 1987 eingesetzt. Die Verwendung der DNA-Analyse nahm in den späten 1980er Jahren sichtbar zu.250

I. Die gestufte Struktur der Verwaltung und Koordination der DNA-Datenbanken

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Bundesstaat. Wie viele andere Regie- rungsfunktionen ist die nationale DNA-Datenbank eine Kombination von staatlichen und bundesstaatlichen Programmen.251 Das FBI („Federal Bureau of Investigation“) als die bundespolizeiliche Ermittlungsbehörde des Justizministeriums der Vereinigten Staaten hat eine DNA-Vergleich-Software namens CODIS („Combined DNA Index System”) entwickelt,252 das eine nationale Datenbank von DNA-Daten der Personen, die wegen einer bestimmten Straftat verurteilt, festgenommen oder angeklagt werden, ungelösten Verbrechen und vermissten Personen ermöglicht.253 Der DNA Identifica-

250 Andrews v. State, 533 SO.2d 841 (Fla. Dist. Ct.App. 1988); Revision zurückgewiesen in 542 SO.2d 1332 (Fla.1989): Der Angeklagte Tommie Lee Andrews wurde letztendlich mit Hilfe der DNA-Beweise wegen Vergewaltigung verurteilt. Vgl. Deray, The Double-Helix Double-Edged Sword: Comparing DNA Retention Policies of the United States and the United Kingdom, 44 Vand. J. Transnat'l L. 745, S. 746; Herlicat, DNA Databanks: When Has a Good Thing Gone too Far?, 52 Syracuse L. Rev. 951, S. 952. 251 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S., Hastings Int'l & Comp. L. Rev., 487 2008, S. 493. 252 Etzioni, DNA Tests and Databases in Criminal Justice: Individual Rights and the Common Good, in Lazar, DNA and the Criminal Justice System: the Technology of justice, S. 200. 253 Federal Bureau of Investigation, Combined DNA Index System (CODIS), Home Page, http://www.fbi.gov/about-us/lab/codis (Zugriff am 22. September 2011). 87 tion Act von 1994254 forderte jeden Bundesstaat255 auf, seine DNA-Datenbank mit der des FBI zu verknüpfen, damit eine nationale Datenbank erstellt werden konnte.256 Das FBI bietet den 50 staatlichen Datenbanken bzw. allen öffentlichen forensischen Laboren, die DNA-Untersuchungen durchführen, CODIS kostenlos an.

Seit dem DNA Identification Act ist das FBI dafür verantwortlich, die Daten von Straftätern, gegen die bundespolizeilich ermittelt wird, in die Datenbank einzuge- ben.257 Zugleich ist CODIS ein hierarchisches System, welches Daten aus den ein- zelnen Bundesstaaten in einen nationalen Index hochlädt. Dies ermöglicht, dass die Bundesstaaten im Rahmen ihrer eigenen Gesetze die Datenbanken verwalten, pfle- gen und zwischen bundesstaatlichen, staatlichen und örtlichen Kriminallaboren ver- gleichen können.258 Obwohl FBI Software und Schulungen für staatliche und lokale Labors anbietet,259 die sich an der CODIS-Datenbank beteiligen, ist es wichtig, da-

254 Der DNA Identification Act 1994 kodiert als 42 U.S.C. §14132ff. 255 Alle 50 Staaten haben momentan ihre eigene DNA-Gesetzgebung und eine Datenbank, die nach ihrem Landesgesetz aufgebaut ist. Die staatlichen Gesetze sind beispielsweise Cal. Penal Code § 296 (West 2006); LA.REv.STAT.ANN. § 15:609 (2006); NEB. REV. STAT. § 29-4103 (2006); N.J. STAT. ANN. §53: 1-20.20 (West 2007); TEX.Gov'T CODE ANN. § 411.1471 (Vernon 2006); VA. CODE ANN.§ 19.2-310.2: 1 (2006). Siehe Tribuiano, The Continued Expansion of the DNA Database: California's Response to September 11th, 34 McGeorge L. Rev. 406, S. 405; Manuel, State DNA Data Base and Data Bank Expansion Laws: Is It Time For California to Expand its DNA Data Base Law to Include All Convicted Felons? 31 W. St. U. L. Rev. 339, S. 340. 256 Deray, The Double-Helix Double-Edged Sword: Comparing DNA Retention Policies of the United States and the United Kingdom, 44 Vand. J. Transnat'l L. 745, S. 757; Tarricone, "An Ordi- nary Citizen Just Like Everyone else: The Indefinite Retention of Former Offenders’ DNA, 2 Stan. J. C.R. & C.L. 209, S. 216. 257 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S., Hastings Int'l & Comp. L. Rev., 487, S. 493. 258 Messner, Law Enforcement DNA Database: Jeopardizing the Juvenile Justice System under California's Criminal DNA Collection Law, 28 J. Juv. L. 159, S. 159; McCarron, Do the Crime, Serve the Time, Then Leave Your DNA Behind: United States v. Weikert, J. Health & Biomedical L. 379, S. 380; Maclin, Is Obtaining an Arrestee's DNA a Valid Special Needs Search under the Fourth Amendment - What Should (and Will) the Supreme Court Do? 33 J.L. Med. & Ethics 102 (2005), S. 103. 259 Rothstein/Talbott, The Expanding Use of DNA in Law Enforcement: What Role for Privacy, 34 J.L. MED. & ETHICS 153, S. 154. 88 ran zu erinnern, dass diese gestufte Struktur den staatlichen und lokalen Labors er- laubt, nach ihren eigenen, spezifischen Vorschriften die Datenbank zu erstellen.260 Somit ist es dem FBI zwar gestattet, die Daten, die in die NDIS (The National DNA Index System) hochgeladen wurden, zu verwalten, es können die staatlichen und lokalen Behörden jedoch darüber entscheiden, welche Daten in ihren jeweiligen LDIS (Local DNA Index System) und SDIS (State DNA Index System) Systems eingetragen und gepflegt werden.261 Das heißt, dass die Bundesstaaten die Zulässig- keit der Entnahme der Zellproben und der molekulargenetischen Untersuchung in ihren eigenen Gesetzen regeln können.

Am 30. Oktober 2004 setzte Präsident George W. Bush den Justice for All Act von 2004262 in Kraft, der dem Strafjustizsystem in den folgenden 5 Jahren ein Budget von einer Milliarde Dollar zur Verfügung stellte, um das volle Potenzial der DNA-Technologie zu realisieren, Verbrechen aufzuklären und Unschuldige vor fal- scher Verurteilung zu schützen.263 Das Ziel des Gesetzentwurfes war es, „[p]rotect the innocent and convict the guilty und move our criminal justice system into a new era of increased fairness and efficiency“, so dass keine weiteren Unschuldigen ver- urteilt wurden, insbesondere nicht zur Todesstrafe. Um dieses Ziel zu erreichen, sah das Gesetz folgendes vor: (1) $ 755 Millionen wurden eingesetzt, um in 300,000 Rückstandsfällen die Tatortspuren bei Vergewaltigungen sowie bei anderen Verbre- chen zu erfassen und in die CODIS Datenbank hochzuladen. Mehr als (2) $ 500 Mil- lionen wurden für die Programme aufgewendet, die die Untersuchungskapazität der bundesstaatlichen, staatlichen und lokalen Labors verbessern, forensische Laboranten ausbilden und vermisste Menschen durch DNA-Analyse identifizieren sollten.264

260 Ghanaat, Technology and Privacy: The Need for an Appropriate Mode of Analysis in the Debate over the Federal DNA Act, 42 UC Davis L. Rev. 1315, S. 1324. 261 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S., Hastings Int'l & Comp. L. Rev., 487, S. 490. 262 Der Justice for All Act 2004 wurde kodiert als 42 USC 13701ff. 263 Polanco, Constitutional Law - The Fourth Amendment Challenge to DNA Sampling of Arrestees Pursuant to the Justice for All Act of 2004, 27 U. Ark. Little Rock L. Rev. 483, S. 495. 264 Siehe ss. 301 bis 312 Justice for All Act von 2004( auch bekannt als DNA Sexual Assault Justice 89

Es ist erwähnenswert, dass das US-Militär ebenfalls eine DNA-Datenbank anlegt hat. Es verlangt in seiner routinemäßigen Praxis vom gesamten uniformierten Personal, entweder vor dem Einsatz oder in der Militärzeit, Blutproben, aus denen DNA-Daten extrahiert werden können.265 Die Maßnahme begann während der Operation Wüs- tensturm im Jahr 1991. Dieses war der erste Krieg mit erheblichen Verlusten, in dem alle verstorbenen US-Soldaten identifiziert werden konnten.266 Nach dem erfolgrei- chen Einsatz von DNA in dem Golfkrieg hat das Department of Defense ein DNA-Register errichtet.267 Auch wenn die Zweckbestimmung dieser Zellprobe dazu dient, menschliche Überreste im Krieg identifizieren zu können,268 lassen die Rege- lungen des Department of Defense jedoch immer wieder zu, dass diese DNA-Informationen in Verbindung mit Beweismitteln zur Verfügung gestellt werden, die an einem Tatort gesammelt wurden.269

II. Gesetzgebung bezüglich der Zulässigkeit der Entnahme und molekularge- netischen Untersuchung von Zellprobe auf Bundesebene und Staatenebene

Die Regelungen bezüglich der Zulässigkeit der Entnahme der Zellprobe und Erstel- lung des DNA-Profils findet man hauptsächlich in dem DNA-Analyse Backlog Eli- mination Act 2000,270 dem USA Patriot Act (I & II)271, in dem Justice for All Act

Act von 2004). 265 Herkenham, Retention of Offender DNA Samples Necessary to Ensure and Monitor Quality of Forensic DNA Efforts: Appropriate Safeguards Exist to Protect the DNA Samples from Misuse; Journal of Law, Medicine and Ethics, Vol. 34, Issue 2, S. 381. 266 Stevens, Arresting Crime: Expanding the Scope of DNA Databases in America, Texas Law Review 79, S. 922. 267 Bieber, Science and Technology of Forensic DNA Profiling: Current Use and Future Directions, in: Lazar, DNA and the Criminal Justice System: the Technology of justice, S. 43. 268 “The Assistant Secretary of Defense for Health Affairs is authorized to establish policies and requirements for the use of DNA analysis to aid in the identification of remains. The Assistant Secretary may establish a registry to carry out those policies and meet those requirements. The registry may include a DNA identification laboratory and an appropriate specimen repository”, vgl. Smith, The Department of Defense DNA Registry and the U.S. Government Accounting Mission, www.fas.org/irp/eprint/dod-dna.pdf (Zugriff am 6. Oktober 2011). 269 Deray, The Double-Helix Double-Edged Sword: Comparing DNA Retention Policies of the United States and the United Kingdom, 44 Vand. J. Transnat'l L. 745, S. 758. 270 Der DNA-Analyse Backlog Elimination Act wurde kodiert als 42 U.S.C. §§ 14135a (a) (1) - (2), 90 und in dem Violence against Women Act 2005.272 Die letzteren Gesetze sind im Wesentlichen keine Gesetzesänderungen, sondern Gesetzeserweiterungen. Daher stellen diese Gesetze im Gesamten das gültige Recht dar, soweit nicht ausdrücklich aufgenommen wurde, dass bestimmte Regelungen durch den nachfolgenden Act ge- ändert wurden.

1. DNA-Analyse Backlog Elimination Act, USA Patriot Act (I & II) - Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung bei der Verurteilung

Im Jahr 2000 ermächtigte der Kongress nach s. 3 (a) DNA-Analyse Backlog Elimi- nation Act den Direktor des Bundesamtes für Gefängnisse und Bewährungshelfer zu einer obligatorischen Entnahme der DNA-Zellproben von bedingt Entlassenen, Per- sonen unter Bewährungsaufsicht und Gefangenen, die wegen bestimmter qualifizier- ter Straftaten verurteilt wurden.273 Außerdem wurden die Bundesstrafverfolgungs- behörden (The Attorney General) mit der Befugnis ausgestattet, in Zukunft ohne richterliche Anordnung die DNA-Zellproben von sog. Bundesstraftätern, die wegen qualifizierter Straftaten verurteilt wurden, zu sammeln.274 Dazu zählten „qualifying federal offenses“ (qualifizierte Bundesstraftaten)275, „military offenses“ (militärische Vergehen oder Verbrechen) und „District of Columbia offenses“ (der District of Co- lumbia bezeichnet diese Vergehen im “Districtof Columbia Code“).276 Eine Liste der

(c) (1) (2000). 271 Der USA Patriot Act 2001, Pub. L. No. 107-56, § 503, 115 Stat. 272, 364 (2001). 272 Der Violence Against Women and Department of Justice Reauthorization Act von 2005 wurde kodiert in einigen Sections in 8 U.S.C., 18 U.S.C., and 42 U.S.C. (Pub. L. No. 109-162, 119 Stat. 2964). Der DNA Fingerprint Act von 2005 war der Titel X des Gesetzes. 273 Clarke, Justice and science - trials and triumphs of DNA evidence, S. 142; Gregorie, Federal Probation Joins the World of DNA Collection, 66 Fed. Probation 30, S. 30. 274 Thompson, United States v. Weikert: Enforcing the DNA Analysis Backlog Elimination Act of 2000 by Applying the Totality of Circumstances Test to Supervised Releasees, 31 Am. J. Trial Advoc. 675, S. 675. Siehe s. 2 DNA-Analyse Backlog Elimination Act (42 U.S.C. § 14135 U.S.C): (a) Au- thorization of Grants- The Attorney General may make grants to eligible States for use by the State for the following purposes: (1) To carry out, for inclusion in the Combined DNA Index System of the Federal Bureau of Investigation, DNA analyses of samples taken from individuals convicted of a qualifying State offense (as determined under subsection (b) (3). 275 Siehe s. 3 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000 (42 U.S.C. § 14135a). 276 Siehe s. 4 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000 (42 U.S.C. § 14135b). 91 qualifizierten Bundesstraftaten wurde in s. 3 (d) DNA-Analyse Backlog Elimination Act angegeben: Mord gemäß 18 U.S.C. § 1111; Totschlag gemäß 18 U.S.C. § 1112; Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung gemäß 18 U.S.C. §§ 2241 bis 2245; Straftaten in Bezug auf Leibeigenschaft oder Sklaverei, die in Title 18 Chapter 77 United States Code beschrieben werden; Entführung gemäß 18 U.S.C. § 3559(c) (2) (E); Straftaten in Bezug auf Raub nach 18 U.S.C. §§ 2111 bis 2114 oder Körperver- letzung nach 18 U.S.C. §§ 2118 bis 2119; jeder Versuch oder jede Mittäterschaft bei einem der o. g. Verbrechen.277

Der als Reaktion auf den Anschlägen vom 11. September 2001 am 25.10.2001 erlas- sene USA Patroiot Act hat zusätzliche qualifizierte Straftaten in s. 503 USA Patriot Act aufgenommen: 1. Jede Gewalttat, die in Title 16 United States Code beschrieben wird; 2. Jede terroristische Straftat im Sinne vom § 2332b (g) (5) (B) in Titel 18 Uni- ted States Code; 3. Der Versuch oder die Mittäterschaft bei einem der o. g. Verbre- chen.278 Es ist zu beachten, dass diese Maßnahme nur den Personenkreis erfasste, der wegen der oben genannten Straftaten verurteilt wurde.279

277 Siehe s. 3 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000: (d) Qualifying federal offenses: (A) Murder (as described in section 1111 of such title), voluntary manslaughter (as described in section 1112 of such title), or other offense relating to homicide (as described in chapter 51 of such title, sections 1113, 1114, 1116, 1118, 1119, 1120, and 1121). (B) An offense relating to sexual abuse (as described in chapter 109A of such title, sections 2241 through 2245), to sexual exploitation or other abuse of children (as described in chapter 110 of such title, sections 2251 through 2252), or to transportation for illegal sexual activity (as described in chapter 117 of such title, sections 2421, 2422, 2423, and 2425). (C) An offense relating to peonage and slavery (as described in chapter 77 of such title). (D) Kidnapping (as defined in section 3559 (c) (2) (E) of such title). (E) An offense involving robbery or burglary (as described in chapter 103 of such title, sections 2111 through 2114, 2116, and 2118 through 2119). (F) Any violation of section 1153 involving murder, manslaughter, kidnapping, maiming, a felony offense relating to sexual abuse (as described in chapter 109A), incest, arson, burglary, or robbery. (G) Any attempt or conspiracy to commit any of the above offenses. 278 Siehe s. 503 USA Patriot Act, Pub. L. No. 107-56, § 503, 115 Stat. 272, 364 (2001). 279 Hotter, Privatsphäre, S. 159; Gregorie, Federal Probation Joins the World of DNA Collection, 66 Fed. Probation 30, S. 32; Campbell, Non-Conviction DNA Databases in the United States and Eng- land: His-torical Differences, Current Convergences, 15 Int'l J. Evidence & Proof 281, S. 289. 92

Im Februar 2003 wurden Pläne des Justizministeriums bekannt, den Patriot Act durch ein neues Gesetz, den sog. Domestic Security Enhancement Act von 2003 (Patriot Act II), zu erweitern.280 In dem diskutierten Entwurf war vorgesehen, dass eine DNA-Datenbank für mutmaßliche Terroristen und Sympathisanten eingerichtet wer- den sollte.281 Andere Regelungen betrafen z.B. Vereinfachungen bei Wohnungs- durchsuchungen und Lauschangriffen durch Geheimdienste und US Strafverfol- gungsbehörden.282

Zwar war der Patriot Act II nach dessen Durchsickern im Februar 2003 nicht in Kraft getreten, aber seit August bzw. September 2003 lagen dem Repräsentantenhaus und dem Senat konkurrierende Gesetzentwürfe zur Verschärfung des Patiot Act I vor. Die unter Druck geratene Bush-Regierung benutzte weiterhin die Anschläge vom 11.9., um den Strafverfolgungsbehörden größere Kompetenzen zu gewähren, die zugleich die Bürgerrechte weiter einschränken sollten.283

2. Justice for All Act - Probenahme bei der Anklage

Im zweiten Teil des Justice for All Act, auch bekannt als Debbie Smith Act,284 wurde die DNA-Zellprobe nach s. 203 Justice for All von 2004 von demjenigen entnommen, der wegen Verbrechen verurteilt oder wegen einer schwerwiegenden Straftat ange- klagt war. Es ist zu beachten, dass der Katalog der Anlasstaten der Probenahme bei

280 Taylor, Storing DNA Samples of Non-Convicted Persons & (and) the Debate over DNA Database Expansion, 20 T. M. Cooley L. Rev. 509, S. 544. 281 Siehe ss. 301 bis 306 Domestic Security Enhancement Act von 2003: These sections would authorize creation of a DNA database on "suspected terrorists," expansively defined to include association with suspected terrorist groups, and noncitizens suspected of certain crimes or of having supported any group designated as terrorist. 282 Hildebrandt, Civil Liberties in Gefahr? Die innenpolitischen Sicherheitsmaßnahmen der USA nach dem 11. September 2001, S. 15. 283 Saito, For "Our" Security: Who is an "American" and What is Protected by Enhanced Law Enforcement and Intelligence Powers? 2 Seattle J. Soc. Just. 23 (2003), S. 23. 284 Leahy, Using DNA and Forensic Science to Catch the Guilty and Protect the Innocent, Federal Sentencing Reporter, Vol. 20, Issue 5, S. 355; Williams/Johnson, Genetic Policing - The use of DNA in criminal investigations, S. 141. 93 der Verurteilung letztendlich auf „alle Verbrechen“ („any felony“) erweitert wurde.285

Der Debbie Smith Act verbot die Aufnahme von DNA-Daten von Personen in die Datenbank, die freiwillig ihre DNA abgegeben hatten oder die zwar festgenommen, aber anschließend nicht angeklagt wurden. Das Gesetz 2004 schloss ebenfalls die Daten von jugendlichen Straftätern und Tätern eines Vergehens aus, obwohl deren DNA-Zellprobe rechtmäßig erhoben wurde.286

3. Der Violence against Women Act (Title X--DNA Fingerprint Act of 2005)- DNA-Probenahme bei der Festnahme

Die größte Erweiterung der Eingriffsmöglichkeit bezüglich der DNA-Analyse kam im Jahr 2005. Das Gesetz berechtigte die Bundesermittlungsbehörde (Attorney Ge- neral) zur Abnahme einer DNA-Zellprobe bei US-Bürgern, die festgenommen wer- den, sowie bei Ausländern, die sich in den USA aufhalten und verhaftet sind.287 Die DNA-Daten werden in CODIS hochgeladen. Die Bundesstaaten haben entweder das Gesetz zur „DNA-Probenahme bei der Festnahme (sample in arrest law)“ übernom- men oder ein ähnliches Gesetz erlassen.288

4. Exkurs: Gesetzgebung auf der Staatenebene

In den Vereinigten Staaten unterscheiden sich die Regelungen für die Probenahme

285 Siehe s. 203 (b) Justice for All von 2004: (A) persons convicted of crimes; (B) persons who have been charged in an indictment or information with a crime. Siehe Deray, The Double-Helix Dou- ble-Edged Sword: Comparing DNA Retention Policies of the United States and the United Kingdom, 44 Vand. J. Transnat'l L. 745, S. 757; Campbell, Non-Conviction DNA Databases in the United States and England: Historical Differences, Current Convergences, 15 Int'l J. Evidence & Proof 281, S. 289. 286 Siehe s. 203 (a) (1) (C) Justice for All of 2004: other persons whose DNA samples are collected under applicable legal authorities, provided that DNA profiles from arrestees who have not been charged in an indictment or information with a crime, and DNA samples that are voluntarily submitted solely for elimination purposes shall not be included in the National DNA Index System. 287 Siehe s. 1004 Violence against Women Act von 2005: The Attorney General may collect DNA samples from individuals who are arrested under the authority of the United States. The Attorney General may collect DNA samples from non-United States persons who are detained under the authority of the United States. Vgl. McCarthy, Am I my brother’s keeper? Familial DNA searches in the twenty-first century, Notre Dame Law Review - Nbr. 861, S. 390. 288 Haines, Embracing the DNA Fingerprint Act, Journal on Telecommunications & High Technology Law , Vol. 5, Issue 3 (Spring 2007), S. 645. 94 von Bundesstaat zu Bundesstaat. In allen Staaten ist es inzwischen die Regel, dass verurteilten Sexualstraftätern eine DNA-Zellprobe entnommen wird.289 Seit Februar 2010 dürfen DNA-Zellproben in 47 Staaten auch von Straftätern, die wegen Kapital- verbrechen verurteilt wurden, erhoben werden.290 Mindestens 15 Staaten haben den Personenkreis darüber hinaus auf diejenigen erweitert, die wegen bestimmter Verge- hen verurteilt worden sind, die in der Regel im Zusammenhang mit Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung oder gegen Missbrauch von Kindern stehen.291

Im Jahr 2002 war Virginia einer der ersten Staaten, der die Ermittlungsbehörde be- rechtigte, Zellprobenahmen bei der Festnahme wegen Verbrechen oder anderen spe- zifizierten Straftaten durchzuführen, einschließlich Körperverletzung und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.292 Bis dahin wurden die DNA-Zellroben nur erhoben, wenn die Betroffenen wegen bestimmter Verbrechen, z.B. häusliche Gewalt, sexuelle Nötigung oder Kindesmissbrauch, festgenommen und anschließend deswe- gen auch verurteilt wurden.293 Später haben sich Louisiana und Texas294 der Rege- lung von Virginia angeschlossen.295

Die drei Staaten vertraten den neusten Trend in Richtung einer Ausweitung der DNA-Datenbanken.296 Nunmehr wurden auch DNA-Zellproben von dem Personen- kreis einbezogen, der wegen einer Reihe von Verbrechen über sexuelle Straftaten

289 Maclin, Is Obtaining an Arrestee's DNA a Valid Special Needs Search under the Fourth Amendment - What Should (and Will) the Supreme Court Do? 33 J.L. Med. & Ethics 102 (2005), S. 102. 290 National Conference of State Legislatures, State Laws on DNA Data Banks Qualifying Offenses, www.ncsl.org/programs/cj/dnadatabanks.htm (Zugriff am 6. Oktober 2011). 291 Axelrad, Survey of State DNA Database Statutes, www.aslme.org/dna_04/grid/guide.pdf (Zugriff am 6. Oktober 2011). 292 Va. Code Ann. § 19.2-310.2:1 (1996). 293 Hibbert, State and Federal DNA Database Laws Examined, www.pbs.org/wgbh/pages/frontline /shows/case/revolution/databases.html (Zugriff am 6. Oktober 2011). 294 La. R.S. § 15:609(A)(1) (2004); Tex. Gov't Code Ann. § 411.1471. 295 Rothstein/Talbott, The Expanding Use of DNA in Law Enforcement: What Role for Privacy, 34 J.L. MED. & ETHICS 153, S. 153. 296 Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 211. 95 hinaus festgenommen worden war.297 Im Juni 2004 haben vier weitere Staaten (Delaware, Illinois, New Jersey und New York) sich Texas, Virginia und Louisiana angeschlossen.298 Bis zum September 2011 hatten 24 Bundesstaaten Gesetze erlas- sen, um die DNA-Zellproben von wegen Mordes und Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung Festgenommenen zu entnehmen und die DNA-Daten zu speichern. In dreizehn Staaten dürfen die DNA-Zellproben von allen erhoben werden, die Ka- pitalverbrechen begangen haben.299

5. Zusammenfassung

Durch die mehrfachen Gesetzesänderungen bezüglich der Zulässigkeit der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Zellproben erfuhr die Regelung im letzten Jahrzehnt mehrfache Erweiterungen. Der frühere Katalog der qualifizierten Straftaten im DNA-Analyse Backlog Elimination Act wurde durch den USA Patriot Act, Justice for All Act sowie den DNA Fingerprint Act immer wieder erweitert. Die Personenkreise, die wegen einer bestimmten Straftat festgenommen wurden oder unter Anklage standen, waren nach dem Justice for all Act und dem DNA Finger- print Act Normadressaten der Maßnahme geworden. Die Gesetzgebungen auf Staa- tenebene haben sich ähnlich entwickelt.

III. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellproben und Löschung der DNA-Profile

1. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschungspolitik der DNA-Profile auf Bundesebene

In der Regel sind die erhobenen DNA-Zellproben und DNA-Profile dauerhaft in CODIS zu speichern.300 Der Grund dafür fand sich in den früheren Debatten in der

297 Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 211. 298 Lane, Applied Biosystems, 2004 DNA Database Expansion Legislation, http://www.dnaresource. com/documents/2004DNAExpansionLegislation.pdf (Zugriff am 9. Jan. 2012). 299 State Laws for Arrestee DNA Databases, DNARESOURCE.COM. http://www.dnaresource.com/documents/ArresteeDNALaws-2010.pdf (Zugriff am 6. Oct. 2011). 300 Herkenham, Retention of Offender DNA Samples Necessary to Ensure and Monitor Quality of Forensic DNA Efforts: Appropriate Safeguards Exist to Protect the DNA Samples from Misuse, 34 J.L.MED. & ETHICS 380, S. 381 (2006); Rothstein/Talbott, The Expanding Use of DNA in Law 96

National Commission on the Future of DNA Evidence, als die Errichtung des CODIS noch in der Planung war: “At present, there is no clear overall policy as to what hap- pens to the DNA sample after profiles are added to the database, but the majority of States now have sample storage policies. It can be argued that saving the DNA per- mits retesting and inclusion of additional loci, particularly newly discovered ones.”301 Das heißt, dass die DNA-Zellproben aufbewahrt werden sollen, um in Zu- kunft ein von einer neuen DNA-Technologie unterstütztes Abgleichsverfahen zu er- möglichen. Die Zellproben können mit der neuen Technik erneut analysiert werden, obwohl das System STRs (Short Tandem Repeats) für die absehbare Zukunft das Kernsystem bleibt. In der Praxis ist das System SNPs (Single Nucleotide Polymor- phism) bereits in manchen forensischen DNA-Labors als ein Nebensystem imple- mentiert.302

Die National Commission on the Future of DNA Evidence hat ebenfalls weitere Gründe aufgelistet: (a) eine aufbewahrte Zellprobe könnte auf Antrag eines zustän- digen Staatsanwalts oder Rechtsanwalts in einem von ihm ausgewählten Labor er- neut analysiert werden, um eine Untersuchung angeblicher Justizirrtümer zu ermög- lichen; (b) weitere Analysen zur Ermöglichung der Aufdeckung etwaiger analytischer oder verfahrenstechnischer Fehler; (c) Unschuldige zu entlasten; (d) Überprüfung der Unversehrtheit und des künftigen Nutzens des DNA-Datenbanksystems,303 nämlich „[t]he more compelling and certainly the most immediate reason for the retention of the offender DNA samples is their role in a laboratory's quality assurance program.

Enforcement: What Role for Privacy, 34 J.L. MED. & ETHICS 153, S. 154. 301 National Commission on the Future of DNA Evidence, The Future of Forensic DNA Testing: Predictions of the Research and Development Working Group, para. 36, http://www.ojp.usdoj.gov/nij/pubs-sum/183697.htm (Zugriff am 7. April 2012). 302 Herkenham, Retention of Offender DNA Samples Necessary to Ensure and Monitor Quality of Forensic DNA Efforts: Appropriate Safeguards Exist to Protect the DNA Samples from Misuse, 34 J.L.MED. & ETHICS 380, S. 380; Gaensslen, Should Biological or DNA be Retained by Forensic Science Laboratories after Profiling - No, Except under Narrow Legislatively-Stipulated Conditions, 34 J.L. Med. & Ethics 375, S. 375. 303 Recommendations for Laboratory Personnel, Retention of Samples for Future Testing, http://www.dna.gov/postconviction/handling-requests/laboratory/sampleretention/ (Zugriff am 7. April 2012). 97

Maintaining the offender sample for reanalysis is similar to the need to retain a por- tion of the evidentiary sample.”304

Nur zwei Personengruppen sind von der Löschungspolitik der DNA-Profile in der CODIS betroffen. Nach s. 1 (d) DNA Identification Act soll der Direktor des FBI, als Leiter des CODIS die DNA-Profile aus der Datenbank löschen, wenn der Fall des Festgenommenen oder Inhaftierten nachträglich von der Staatsanwaltschaft einge- stellt oder wenn der Angeklagte von der Anklage rechtskräftig vom Gericht freige- sprochen wurde.305 Die s. 6 (d) DNA-Analyse Backlog Elimination Act und s. 1002 Violence against Women Act haben die Kernregelung von dem Act von 1994 über- genommen.306 Die gesetzliche Verpflichtung zur Löschung mildert den Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen.307 Ob die Zellproben, aus denen die DNA-Profile hergestellt sind, von den o.g. Personenkreisen demzufolge vernichtet werden sollen, bleibt in den Gesetzen unerwähnt.

Es bleibt zu erklären, warum die s. 1 (d) DNA Identification Act die Personen betraf, die nur festgenommen wurden, deren DNA-Profile aber bereits ins CODIS eingetra- gen sind. Eine DNA-Probenahme bei der Festnahme als Standardmaßnahme der Strafverfolgungsvorsorge war vor dem Violence against Women Act noch nicht zu-

304 Herkenham, Retention of Offender DNA Samples Necessary to Ensure and Monitor Quality of Forensic DNA Efforts: Appropriate Safeguards Exist to Protect the DNA Samples from Misuse, 34 J.L.MED. & ETHICS 380, S. 380. 305 Siehe s. 1 (d) DNA Identification Act von 1994: (A)The Director of the Federal Bureau of Investigation shall promptly expunge from the index de- scribed in subsection (a) of this section the DNA analysis of a person included in the index— (i) on the basis of conviction… if the Director receives, for each conviction of the person of a qualify- ing offense, a certified copy of a final court order establishing that such conviction has been over- turned; or (ii) on the basis of an arrest under the authority of the United States, if the Attorney General receives, for each charge against the person on the basis of which the analysis was or could have been included in the index, a certified copy of a final court order establishing that such charge has been dismissed or has resulted in an acquittal or that no charge was filed within the applicable time period. 306 Haines, Embracing the DNA Fingerprint Act, Journal on Telecommunications & High Technology Law , Vol. 5, Issue 3 (Spring 2007), S. 645. 307 Haines, Embracing the DNA Fingerprint Act, Journal on Telecommunications & High Technology Law , Vol. 5, Issue 3 (Spring 2007), S. 645. 98 gelassen. Es bezog sich auf die Fälle, in denen die Maßnahme in einem früheren Sta- dium im Strafverfahren, beispielsweis bei der Festnahme oder Anklage, zum Zweck der Feststellung oder Ausschluss der Tatbeteiligung des Betroffenen durchgeführt wurde. Ähnliche Regelungen findet man im deutschen Kontext im § 81 e StPO.

Das konkrete Vernichtungs- und Löschungsverfahren ist nach s. 1 (d) DNA Identifi- cation Act vom FBI als Richtlinie geregelt. Es handelt sich um die Gruppe, deren DNA-Profile wegen einer Verurteilung einer qualifizierten Bundesstraftat entnommen und gespeichert wurden. Sie können einen Antrag auf Löschung der DNA-Zellprobe und –Profile stellen. Dabei ist ein rechtskräftiges Urteil oder Gerichtsbeschluss not- wendig, um nachzuweisen, dass das ursprüngliche Urteil aufgehoben worden ist. Zum anderen ist die Gruppe, deren Antrag für Löschung von DNA-Profilen aufgrund einer Festnahme in den Vereinigten Staaten stattgefunden hat, betroffen. Diese müssen eine beglaubigte Kopie eines von einem Richter unterschriebenen, endgültigen Gerichts- beschlusses für jede Anklage vorweisen. Die Kopie muss nachweisen, dass die An- klage zurückgewiesen wurde oder zu einem Freispruch führte.308 Die Löschungspo- litik von CODIS gilt nur für die Datensätzen, die wegen Bundesstraftaten in die CO- DIS Datenbank eingestellt wurden. Deswegen müssen die Betroffenen sich an die zuständigen staatlichen Behörden oder das Department of Defense wenden, wenn Datensätze von ihnen entnommen und gespeichert wurden.309

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschungspolitik der DNA-Profile auf der Staatenebene

Auf staatlicher Ebene haben die meisten Staaten in ihrem Gesetz nicht geregelt, ob die erhobenen Zellproben aufbewahrt oder vernichtet werden sollen. In der Praxis werden sie dauerhaft gespeichert. 310 Nur in Wisconsin sind die Zellproben

308 CODIS-Expungement Policy, http://www.fbi.gov/about-us/lab/codis/codis_expungement (Zugriff am 6. Oktober 2011). 309 CODIS-Expungement Policy, http://www.fbi.gov/about-us/lab/codis/codis_expungement (Zugriff am 6. Oktober 2011). 310 Axelrad, Survey of State DNA Database Statutes, AM. SOC'Y OF LAW, MED. & ETHICS, http://www.aslme.org/dna_04/grid/statute_grid.html (Zugriff am 7. April 2012). 99 unverzüglich zu vernichten, sobald die DNA-Profile daraus gewonnen sind. 311 Dagegen werden die Zellproben in Nebraska 312 dauerhaft und in Arizona für mindestens 35 Jahre gespeichert.313 In Connecticut, Georgia und Virginia werden nur die noch nicht verwendeten Zellproben aufbewahrt.314

Bei der Löschungsregelung von den erlangten DNA-Profilen unterscheiden sich die Staaten ebenfalls voneinander. In den meisten Staaten, wie z.B. North Carolina, gilt die Löschungsregelung nur für diejenigen, die ein rechtskräftiges Urteil oder einen Gerichtsbeschluss haben, um nachzuweisen, dass das ursprüngliche Urteil aufgeho- ben worden ist.315 In Texas können DNA-Profile nach Freispruch, Zurückweisung der Anklage und Einstellung des Prozesses auf Antrag der Betroffenen aus der Da- tenbank entfernt werden. Das gleiche gilt auch in sechzehn anderen Staaten. In Cali- fornia beispielsweise steht die Löschungsentscheidung im Ermessen der Richter, weil sie "[h]as the discretion to grant or deny the request for expungement. The denial of a request for expungement is a nonappealable order.”316

In acht Staaten ist eine automatische Löschung der DNA-Profile möglich.317 Trotz- dem steht die Löschung in einigen Fällen im Ermessen der Strafverfolgungsbehör- den.318

IV. Die verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen

1. Die Konsequenz der Weigerung zur Abgabe einer Zellprobe

Wenn sich in England und Wales sich ein Betroffener ohne nachvollziehbaren Grund

311 Wis. Stat. Ann. § 165.77. 312 Neb. Rev. Stat. § 29-4105. 313 Ariz. Rev. Stat. § 13-610. 314 Conn. Gen. Stat. Ann. § 54-102i, Ga. Code Ann. § 24-4-62, and Va. Code Ann. § 19.2-310.4. 315 N.C. GEN. STAT. ANN. § 15A-148 (2005). 316 CAL. PENAL CODE § 299(b) (2005). 317 Alaska, Maryland, South Carolina, Missouri, Tennessee, Vermont, Virginia und so weiter. In Minnesota soll eine Löschung nach Feststellung der Unschuld automatisch oder auf Antrag des Be- troffenen vorgenommen werden, wenn die Anklage abgewiesen oder zurückgenommen ist. 318 State Laws for Arrestee DNA Databases, http://www.dnaresource.com/documents/Arrestee DNALaws-2010.pdf (Zugriff am 6. Oktober 2011). 100 weigert, seine Einwilligung zur Abgabe der DNA-Zellprobe zu erteilen, können das Gericht und die Jury gegeüber dem Betroffenen Schlüsse aus dieser Weigerung zie- hen.319 In den USA allerdings war die Weigerung nach s. 3 (a) (5) DNA-Analyse Backlog Elimination Act320 strafbar. Der Betroffene, der die Abgabe seiner Zellpro- be verweigerte, wurde wegen eines Klasse A Vergehens (Class A misdemeanor) an- geklagt, das mit einer bis zu einjährigen Freiheitsstrafe oder mit einer Geldstrafe bis zu $100,000 strafbar war.321

2. Regelungen in Bezug auf richterliche Anordnung

Nach s. 3 DNA-Analyse Backlog Elimination Act war es zugelassen, dass Direktoren des Bundesamtes für Gefängnisse, Bewährungshelfer sowie die Bundesstrafverfol- gungsbehörden (The Attorney General) ohne richterliche Anordnung aufgrund eines konkreten Verdachtsgrunds von den jeweiligen Personenkreisen Zellproben entnah- men und anschließend DNA-Profile herstellten. Die Voraussetzung, nämlich eine richterliche Anordnung für die Entnahme der Zellprobe, spielte im USA Patriot Act, Justice for All Act und DNA Fingerprint Act ebenfalls keine Rolle. Im Folgenden wird ausführlich dargestellt, ob diese Ermächtigungsgrundlagen gegen den vierten Verfassungszusatz verstoßen.

319 Zander, The police and criminal evidence act 1984, S. 212; siehe s. 62 Abs. 10 PACE: Where the appropriate consent to the taking of an intimate sample from person was refused without good cause, in any proceedings against that person for an offence — (… ) (b) the court or jury, in determining whether that person is guilty of the offence charged, may draw such inferences from the refusal as appear proper. 320 Siehe s. 3 (a) (5) DNA-Analyse Backlog Elimination Act kodiert als 42 U.S.C. 14135a (a) (5). 321 Gregorie, Federal Probation Joins the World of DNA Collection, 66 Fed. Probation 30, S. 31; Siehe s. 3 (a) (5) DNA-Analyse Backlog Elimination Act: An individual from whom the collection of a DNA sample is authorized under this subsection who fails to cooperate in the collection of that sample shall be— (A) guilty of a class A misdemeanor; and (B) punished in accordance with title 18, United States Code; Siehe, 18 U.S.C. §§ 3571&358: A convicted felon's failure to cooperate constitutes a class A misdemeanor and may be punished by up to one year in prison and a fine of as much as $100,000. 101

3. Zugang zu den Datenbanken und die Schadensersatzrechte bei Verletzung der Datenschutzpflichten

Der DNA Identification Act enthält einige Regelungen in Bezug auf den Zugang zu den Datenbanken von DNA-Datensätzen. Nach den rechtlichen Vorgaben haben die Polizei bei der Strafverfolgung und die Gerichte im Strafprozess die Befugnis, auf die Datenbanken zuzugreifen. Ferner gewährt der Act betroffenen Personen das Recht auf Einsichtnahme der über sie gesammelten Daten.322

In s. 2 (c) (2) DNA Identification Act323 finden sich die Schadensersatzrechte bei Verletzung der Pflichten der datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Wer vorsätzlich einer anderen Person eine Mitteilung über die personenbezogenen DNA-Informationen macht, deren Zugang zur DNA-Datenbank nicht berechtigt ist; oder wer eine DNA-Information ohne Befugnis erhält, wird mit einer Geldstrafe bis zu $100,000 bestraft.324 Die Regelung wurde von der s. 10 (c) (1) DNA-Analyse Backlog Elimination Act325 übernommen und der Betrag wurde im Justice for All Act auf $250,000 erhöht.326

§ 5. Rechtsschutz im Bereich der Privatsphäre in den USA

Wie oben dargestellt, können die DNA-Zellproben und DNA-Profile auf Bundes-

322 Siehe s. 1 (b) (3) DNA Identification Act von 1994, kodiert als 42 U.S.C. 14132(b) (3). 323 Siehe s. 2 (c) (2) DNA Identification Act von 1994 kodiert als 42 U.S.C. 14133(c) (2). 324 Gregorie, Federal Probation Joins the World of DNA Collection, 66 Fed. Probation 30, S. 31; Webster, DNA Database Statutes & (and) Privacy in the Information Age, S. 131; Lawson, Personal Does Not Always Equal Private: The Constitutionality or Requiring DNA Samples From Convicted Felons and Arrestees, S. 666. 325 Siehe s. 10 (c)(1) DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000, 42 U.S.C. 14135e(c). 326 Herkenham, Retention of Offender DNA Samples Necessary to Ensure and Monitor Quality of Forensic DNA Efforts: Appropriate Safeguards Exist to Protect the DNA Samples from Misuse; Journal of Law, Medicine and Ethics, Vol. 34, Issue 2, S. 382; Haines, Embracing the DNA Fingerprint Act, Journal on Telecommunications & High Technology Law , Vol. 5, Issue 3 (Spring 2007), S. 651; Polanco, Constitutional Law - The Fourth Amendment Challenge to DNA Sampling of Arrestees Pursuant to the Justice for All Act of 2004: A Proposed Modification to the Traditional Fourth Amendment Test of Reasonableness, 27 U. Ark. Little Rock L. Rev. 483, S. 493; s. 203 (a)(5) Justice for All Act von 2004, kodiert als 42 U.S.C. 14135a (a)(5). 102 ebene und Staatenebene normalerweise nach Freispruch, Zurückweisung der Anklage oder Einstellung des Prozesses entweder automatisch oder auf Antrag der Betroffe- nen aus der Datenbank entfernt werden. Daher ist die zentrale Frage in England und Wales bezüglich der dauerhaften Speicherung der DNA-Zellprobe und den Profilen von Personen nach Freispruch und Verfahrenseinstellung im amerikanischen Kontext nicht so wichtig. “[I]n contrast to the UK, which is bound by EU protections similar to the spirit and effect of the Fourth Amendment, the US has not seriously focused on issues of retention.”327

In den USA allerdings beschäftigt sich der Schwerpunkt des Rechtsstreits vor den US-Gerichten eher mit der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze und Rechtmäßigkeit der Entnahme von DNA-Zellproben ohne richterliche Anordnung wegen eines individualisierten hinreichenden Verdachtsgrunds („probable cause“)328 als mit der Speicherungsregelung. Seit Einführung der genetischen Fingerabdrücke als erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge ermächtigte der Kongress die zuständigen Behörden zu einer obligatorischen Entnahme der DNA-Zellproben von den Personenkreisen, die irgendeiner konkreten Straftat ver- dächtig waren. Die Zellprobe und das DNA-Profil werden nicht in dem anhängigen Verfahren als Beweismittel, sondern in einem künftigen Verfahren als Erkenntnis- mittel verwendet.329 Die US-Gerichte aller Instanzen, abgesehen vom Obersten Ge- richtshof, sind mit zahlreichen Fällen konfrontiert,330 in denen die Verfassungsmä-

327 Auslander, Comparative Policies: DNA Collection and Retention in the US and UK, JURIST - Dateline, 19 September 2011, http://jurist.org/dateline/2011/09/gil-auslander-pre-conviction-dna -collection.php (Zugriff am 6. Oktober 2011). 328 Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Teil I: Englisch-Deutsch, S. 644. 329 Maclin, Is Obtaining an Arrestee's DNA a Valid Special Needs Search under the Fourth Amendment - What Should (and Will) the Supreme Court Do? 33 J.L. Med. & Ethics 102 (2005), S. 108. 330 Green v. Berge, 354 F.3d 675 (7th Cir. 2004); United States v. Kincade, 379 F.3d 813; A.A. v. Attorney General of New Jersey, Civil Action No.MER-L-0346-04, Dec.22, 2004 (N.J. Super. Ct. Law Div.) ; Johnson v. Quander, 370 F. Supp. 2d 79 (D.D.C. 2005); Anderson v. Commonwealth Of Virginia, 48 Va. App. 704 (Va. 2006); Commonwealth v. Rice, Supreme of Massachusetts, Urt. v. 24. 03. 2004; People v. Ayler, Supreme Court, Kings County, New York, No. 3217/2003, Urt. v. 09. 22. 103

ßigkeit der DNA-Gesetze in Zweifel gezogen wurde.

I. Rechtsschutz im Bereich der Privatsphäre im Sinne der Verfassung

Die Bedeutung des Rechts auf Privatsphäre ist in den USA ebenso wie in Europa anerkannt. Unter Beteiligung der USA wurde der Internationale Pakt über bürgerli- che und politische Rechte oder die OECD-Empfehlung zum Schutz des Persönlich- keitsbereichs und den grenzüberschreitenden Verkehr personenbezogener Daten auf den Weg gebracht.331 Als terminus technicus ist das Recht auf Privatsphäre weder ausdrücklich als Recht noch als deskriptiver Begriff in der Bill of Rights oder in der US-Verfassung genannt.332 Trotzdem ist dieses Recht ein integraler Teil des ameri- kanischen Verfassungsrechts333 und wurde in dem Fall Katz v. United States aus dem vierten Verfassungszusatz abgeleitet. 334 Der vierte Verfassungszusatz wurde der Verfassung im Jahre 1791 hinzugefügt und gilt mittlerweile als die direkteste Quelle für den Schutz der Privatsphäre.335

1. Der vierte Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten

Der vierte Verfassungszusatz fordert, dass das Recht der Menschen auf "Sicherheit ihrer Person, Häuser, Unterlagen und Eigentum gegen unbegründete Durchsuchun- gen („search“), Festnahme und Beschlagnahmen" nicht verletzt werden darf; Haus-

2004; State v. Christian, Court of Appeals of Iowa, No. 04-0900, Urt. v. 8. 23. 2006; Commonwealth v. Ewing, Appeals Court of Massachusetts, Barnstable, No. 05-P-442, Urt. v. 10. 06. 2006. 331 OECD Dokument C (80) 58 (Final); vergl. Kapitel I, III. 332 Genz, Datenschutz in Europa und den USA - Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter be- sonderer Berücksichtigung der Safe-Harbor-Lösung, S. 39. 333 O'Brien, Reasonable Expectations of Privacy: Principles and Policies of Fourth Amendment-Protected Privacy, S. 664; Campbell, Defining a Fourth Amendment Search: A Critique of the Supreme Court's Post-Katz Jurisprudence, 61 Wash. L. Rev. 191, S. 191; Protecting Privacy under the Fourth Amendment, 91 Yale L.J. 313, S. 313. 334 Dazu ausführlich unter § 5, I, 2.3. 335 O'Brien, Reasonable Expectations of Privacy: Principles and Policies of Fourth Amendment-Protected Privacy, S. 664; Campbell, Defining a Fourth Amendment Search: A Critique of the Supreme Court's Post-Katz Jurisprudence, 61 Wash. L. Rev. 191, S. 191; Protecting Privacy under the Fourth Amendment, 91 Yale L.J. 313, S. 313. 104 suchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Ört- lichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.336

Das Wort „search“ im vierten Verfassungszusatz ist ein zentraler Begriff. Dabei wurde die in der Entscheidung Katz v. United States entwickelte Definition zugrunde gelegt: “[a] search occurs when the government invades the privacy of an individual who has an actual subjective expectation of privacy that society objectively recog- nizes as reasonable.”

Das Rechtinstitut „search“ deckt eine weite Spanne von Maßnahmen ab, die im deutschen Recht in einer ganzen Reihe verschiedenen Normen der StPO und auch des Polizeirechtes geregelt sind.337 Im Wesentlichen entspricht es in hier behandelter Arbeit der „Durchsuchung“ nach § 102 ff. StPO oder der „körperlichen Untersu- chung“ nach § 81 StPO.338 Im Folgenden wird je nach Konstellation „Untersu- chung“ oder „körperliche Durchsuchung“ verwendet: wenn es nur die allgemeinen Grundsätze des vierten Verfassungszusatzes betrachtet, wird „Durchsuchung“ ver- wendet; wenn es um ein körperliches Eindringen behandelt, wird „search“ als „kör- perliche Untersuchung“ übersetzt. Es ist zu beachten, dass die aus dem Präjudiz zu Durchsuchungen abgeleiteten Lehrauffassungen und Grundsätze ebenfalls für die „körperliche Untersuchung“ sowie für die DNA-Analyse gelten.

2. Rechtschutz im Bereich der Privatsphäre aus dem vierten Verfassungszusatz

Die Abneigung der Kolonisten gegen die britische willkürliche Durchsuchung und

336 The Fourth Amendment of the Constitutional Law of United States: The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. 337 Arzt, Polizeiliche Überwachungsmaßnahmen in den USA, S. 21. 338 Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Teil I: Englisch-Deutsch, S. 749. 105

Beschlagnahme hat zu der Geburt des 4. Verfassungszusatzes geführt.339 Mehr als 100 Jahre ist man wegen des Rechtsschutzes aus dem vierten Verfassungszusatz von einer wörtlichen Auslegung des Artikels in Bezug auf die Eigentumsrechte des Common Law ausgegangen. Der gesetzliche Wortlaut "their persons, houses, papers and effects" wurde einheitlich als Bezugnahmen auf das Eigentum oder Besitz inter- pretiert, und der Eigentümer oder Besitzer war der einzige Berechtigte, der den ver- fassungsrechtlichen Schutz beanspruchen konnte.340 Das Suchen nach Möglichkei- ten zum Schutz der Privatsphäre in der Verfassung wird wesentlich durch den für moderne Verfassungen rudimentären Charakter der im Jahre 1791 erlassenen Vor- schriften erschwert. Die in der Verfassung enthaltenen Rechte wurden erst bei der Anwendung der Verfassung in ausreichendem Maße konkretisiert.

2.1. Weeks v. United States341

Die Ausrichtung auf die Eigentumsrechte bezüglich des Rechtsschutzes aus dem vierten Verfassungszusatz ist im 19. und frühen 20. Jahrhunderts durchgesetzt wor- den. Im Fall Weeks v. United States hatte der Oberste Gerichtshof nicht nur das durch rechtswidrige Beschlagnahme erlangte Beweismittel abgelehnt, sondern zugleich entschieden, dass die Regierung diese Beweise dem Angeklagten zurückgeben musste. Die Begründung dafür war, dass die Regierung die Beweise durch einen Hausfriedensbruch beschlagnahmt habe und gegen das Eigentumsrecht des Ange-

339 Damals ermöglichte eine allgemeine Anordnung ("general warrant " oder “Writs of Assistance") uneingeschränkte Durchsuchungen in den Häuser und dem Eigentum der Kolonisten. Solche Anordnungen wurden in der Regel eingesetzt, um Durchsuchungen von Personen, die wegen Schmuggels, Steuerhinterziehung oder anti-britischer politischer Aktivität verdächtigt waren, durchzuführen, in Mickenberg, Fourth Amendment Standing After Rakas v. Illinois: From Property to Privacy and Back, 16 New Eng. L. Rev. 197(1980-1981), S. 199. 340 Mickenberg, Fourth Amendment Standing After Rakas v. Illinois: From Property to Privacy and Back, 16 New Eng. L. Rev. 197, S. 200; siehe Boyd v. United States, 116 U.S. 616 (1886), at 622: It is our opinion, therefore, that a compulsory production of a man's private papers to establish a criminal charge against him, or to forfeit his property, is within the scope of the fourth amendment to the constitution, in all cases in which a search and seizure would be, because it is a material ingredient, and effects the sole object and purpose of search and seizure. 341 Weeks v. United States, 232 U.S. 383 (1914). 106 klagten verstoße.342 Dieses ist die sog. „Lehre vom Hausfriedensbruch“ ("trespass doctrine") oder die Eigentumsprüfung (property test), die in einer Agrargesellschaft ausreichend waren, das individuelle Recht aus dem vierten Verfassungszusatz zu schützen, weil bei solchen Durchsuchungen jener Zeit immer irgendeine Form von physischem Eingriff erforderlich war.343

2.2. Olmstead v. United States344

Ab 1880 begann die Eigentumsprüfung ihre Bedeutung zu verlieren.345 Der Oberste Gerichtshof fing an, seine bestehende Lehre langsam aufzugeben. Im Jahr 1928 hatte Richter Brandeis eine bisherige Interpretation des vierten Verfassungszusatzes in seiner zustimmenden Meinung (concurring opinion346) in Fall Olmstead abgeändert. Olmstead wurde verurteilt, weil er zu Zeiten der Prohibition in illegale Geschäfte mit Alkohol verwickelt war. Das Urteil erfolgte aufgrund von Beweisen, die von FBI-Beamten mittels Telefonüberwachung ohne richterliche Anordnung erlangt wurden. Richter Brandeis war der Auffassung, dass die Abhöreinrichtung (Wanze) im Fall Olmstead zeige, dass eine Ära der elektronischen Überwachung ohne physi- schen Eingriff möglich sei, wofür die Auslegung des vierten Verfassungszusatzes in

342 Weeks v. United States , 232 U.S. 383(1914), at 398: We therefore reach the conclusion that the letters in question were taken from the house of the accused by an official of the United States, acting under color of his office, in direct violation of the constitutional rights of the defendant; that having made a seasonable application for their return, which was heard and passed upon by the court, there was involved in the order refusing the application a denial of the constitutional rights of the accused, and that the court should have restored these letters to the accused. In holding them and permitting their use upon the trial, we think prejudicial error was committed. 343 Katz, In Search of a Fourth Amendment for the Twenty-first Century, 65 IND. L.J. 549, S. 557. 344 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438 (1928). 345 Drei Entwicklungen, die im späten 19. Jahrhundert stattfanden, haben die Kommunikations- und Überwachungsmöglichkeiten rasant erweitert: (1) Erfindung des Telefons in den 1870er Jahren, (2) Erfindung des Mikrofons in den 1870er Jahren, und (3) Erfindung der Fotografie in den 1880er Jah- ren. Vgl. Olmstead v. United States, 277 U.S. 438, note 41, S. 557. 346 “A concurring opinion an additional opinion written in support of the majority judgment, but adding or subtracting reasoning to reach that judgment. It is used to explain the reasoning of a particular judge. A concurring opinion may agree with the outcome decided in the court's opinion, but would have reached the same result for a different reason.” (Ledebur, Plurality Rule: Concurring Opinions and a Divided Supreme Court, 113 Penn St. L. Rev. 899, S. 903); Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Teil I: Englisch-Deutsch, S. 152. 107

Bezug auf die Eigentumsrechte nicht mehr ausreichend sei, das Recht der Bürger zu schützen. Er hat dabei betont:

“[T]he progress of science in furnishing the Government with means of espionage is not likely to stop with wire-tapping. … [The makers of the Constitution] conferred, as against the Government, the right to be let alone - the most comprehensive of rights and the right most valued by civilized men. To protect that right, every unjusti- fiable intrusion by the Government upon the privacy of the individual, whatever the means employed, must be deemed a violation of the Fourth Amendment.”347

Dieser in der amerikanischen Rechtsgeschichte berühmt gewordene Ansatz "[T]he right to be let alone"348 wurde im Common Law zur am häufigsten verwendeten De- finition des Rechts auf Privatsphäre.349 Brandeis votierte ferner dafür, dass das Recht auf Privatsphäre die wertvollste Freiheit unter allen Freiheiten in einer Demokratie sei und sich diese Freiheit in der Verfassung der USA widerspiegeln sollte.350

2.3. Katz v. United States351

40 Jahre später hat der Oberste Gerichtshof in dem Fall Katz v. United States seine ständige Rechtsprechung seit dem Fall Olmstead aufgehoben und die von Richter Brandeis vertretene Auslegung als Mehrheitsmeinung anerkennt. Die damals vertre- tene Auffassung sah ein verfassungsrechtliches Problem in einer technologisch hochentwickelten Gesellschaft voraus, das gerichtliche Reaktionen erforderte.352 Der wichtigste Inhalt der Entscheidung war, dass der Rechtsschutz durch den vierten

347 Olmstead v. United States, 277 U.S. 438 (1928), at 474. 348 Cooley, Cooley on Torts, S. 29; Warren/Brandeis, The Right to Privacy, 4 HARV. L. REV. 193, S. 195. 349 Warren/Brandeis, The Right to Privacy, 4 HARV. L. REV. 193, S. 193; Glennon, Personal Au- tonomy in Democracy and Distrust, 1 Const. Comment. 229, S. 229; Karst, Privacy and Freedom, 53 Cornell L. Rev. 744, S. 744. 350 Warren/Brandeis, The Right to Privacy, 4 HARV. L. REV. 193, S. 195; Genz, Datenschutz in Europa und den USA - Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Safe-Harbor-Lösung, S. 40 . 351 Katz v. United States, 389 U.S. 347(1967). 352 Katz, In Search of a Fourth Amendment for the Twenty-first Century, 65 IND. L.J. 549, S. 559. 108

Verfassungsatz nicht mehr in Bezug auf das Eigentumsrecht, sondern auf das Recht auf Privatsphäre gewährt werden sollte. Der Gerichtshof hat schließlich eingeräumt:

"[t]he Fourth Amendment protects people, not places. What a person knowingly ex- poses to the public, even in his home or office, is not a subject of Fourth Amendment protection. . . . But what he seeks to preserve as private, even in an area accessible to the public, may be constitutionally protected." 353

Dadurch wurde die Rechtsschutzmöglichkeit vom Schutz der Eigentumsrechte auf das Recht auf Privatsphäre erweitert.

3. Zweistufige Prüfung für die Entscheidungsfindung bezüglich des Rechtschutzes der Privatsphäre

Außerdem hat Richter Harlan im Fall Katz v. United States eine zweistufige Prüfung entwickelt, die später überwiegend als ein Paradigma für die Entscheidungsfindung akzeptiert wurde, ob eine Maßnahme das Recht des Betroffenen aus dem vierten Verfassungszusatz tangiere:

“[a] search or seizure occurs when the government invades the privacy of an indi- vidual who has an actual subjective expectation of privacy that society objectively recognizes as reasonable. ”354

Im Laufe der Jahre hat der Gerichtshof immer die zweite Stufe der Prüfung betont und den Schwerpunkt auf ein objektiv-soziales Merkmal, nämlich ein "berechtigtes Vertrauen auf den Schutz der Privatsphäre"355 gesetzt. Das heißt, dass die Gerichte den Rechtsschutz aus dem vierten Verfassungszusatz auch ohne subjektive Erwar- tung der Betroffenen gewähren, weil “[c]onstitutional rights are generally not defined by the subjective intent of those asserting ther rights.”356 Im Fall United States v. White war Richter White der Auffassung:

“Our problem is not what the privacy expectations of particular defendants in partic-

353 Katz v. United States, 389 U.S. 347(1967), at 351. 354 Katz v. United States, 389 U.S. 347(1967), at 361. 355 Solove, Fourth Amendment Pragmatism, 51 Boston College Law Review 1511, S. 1151. 356 United States v. White, 401 U.S. 745 (1971), at 786; Smith v. Maryland, 442 U.S 735, at 740-741. 109 ular situations may be or the extent to which they may in fact have relied on the dis- cretion of their companions . . . . Our problem, in terms of the principles announced in Katz, is what expectations of privacy are constitutionally ‘justifiable’ . . . . ”357

II. Der Rechtschutz aus dem vierten Verfassungszusatz in Bezug auf die DNA-Analyse

Der vierte Verfassungszusatz schützt den Bürger vor willkürlicher Durchsuchung (search), Festnahme und Beschlagnahme. In der Regel ist eine Durchsuchung recht- mäßig, wenn sie aufgrund einer richterlichen Anordnung wegen eines individuali- sierten hinreichenden Verdachtsgrunds (probable cause) 358 durchgeführt wird.359 Fraglich ist zuerst, ob die Erhebung der DNA-Zellprobe und Erstellung eines DNA-Profils als körperliche Untersuchung im Sinne des vierten Verfassungszusatzes angesehen werden können.360

Um festzustellen, ob eine staatliche Maßnahme eine körperliche Untersuchung dar- stellt, muss man nach der von Richter Harlan im Fall Katz v. United States entwi- ckelten Prüfung zwei Fragen stellen, ob der Betroffene subjektiv ein Vertrauen auf den Schutz der Privatsphäre hat, wenn vom Staat Informationen erhoben werden; und ob dieses Vertrauen von der Gesellschaft als objektiv schützenswert akzeptiert wird.361 Wegen der Objektivität sind drei Merkmale gesondert zu prüfen: wieweit ist die DNA-Zellprobe der Öffentlichkeit ausgesetzt; das Ausmaß des etwaigen körper- lichen Eingriffs durch die Körperzellenentnahme; und die Art der Informationen, die

357 United States v. White, 401 U.S. 745 (1971), at 752. 358 Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Teil I: Englisch-Deutsch, S. 644. 359 Skinner v. Ry. Labor Executives' Ass'n, 489 U.S. 602(1989); Chandler v. Miller, 520 U. S. 305(1997); Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 219; Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165, S. 170. 360 Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 219; Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, S. 170. 361 California v. Greenwood, 486 U.S. 35, at 39. 110 aus einer DNA-Zellprobe extrahiert werden.362

1. Öffentlichkeitsfaktor

Die Informationen, die der Öffentlichkeit kontinuierlich ausgesetzt sind, sind in der Regel nicht von dem vierten Verfassungszusatz geschützt, weil man kein berechtigtes Vertrauen auf den Schutz der Privatsphäre hat, wenn die Informationen in der Öffent- lichkeit schon offenbart worden sind.363 Eine Stimmenprobe zum Beispiel ist keine körperliche Untersuchung, weil die physikalischen Eigenschaften der Stimme einer Person ständig der Öffentlichkeit ausgesetzt sind.364 Wenn man dieses Grundprinzip im Großen und Ganzen konstruiert, hat die DNA-Zellprobe ähnliche physikalische Eigenschaften, die auch kontinuierlich der Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Jeder hin- terlässt seine DNA-Zellproben überall, wohin er geht: Haarausfall, Speichel auf ei- nem Trinkglas in einem Restaurant oder die abgestoßenen Hautpartikel. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Erlangung einer DNA-Zellprobe nicht als eine körperliche Untersuchung angesehen werden kann. Allerdings kann man mit Hilfe des entschei- denden Kriteriums aus dem Fall Kyllo v. United States365 einen anderen Schluss zie- hen. Im Fall Kyllo v. United States hatten Beamte der DEA (Drug Enforcement Administ- ration) ein Privathaus ohne konkreten Verdacht aus einiger Entfernung mit einer Wärmebildkamera nach einer Hanfplantage untersucht. Als sie schließlich vermute- ten, einen konkreten Hinweis auf eine Hanfplantage gefunden zu haben, führten sie

362 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, S. 168. 363Kaye, Who Needs Special Needs? On the Constitutionality of Collecting DNA and Other Biometric Data from Arrestees, 34 J.L. Med. & Ethics 188 (2006), S. 189. 364 United States v. Dionisio, 410 U. S. 1(1973), at 14: The physical characteristics of a person's voice, its tone and manner, as opposed to the content of a specific conversation, are constantly exposed to the public. Like a man's facial characteristics, or handwriting, his voice is repeatedly produced for others to hear. No person can have a reasonable expectation that others will not know the sound of his voice, any more than he can reasonably expect that his face will be a mystery to the world. 365Kyllo v. United States, 533 U.S. 27 (2001). 111 eine Hausdurchsuchung ohne richterliche Anordnung durch. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Einsatz des Wärmebildgeräts vor einem Haus ein „search“ im Sinne des vierten Verfassungszusatzes darstelle. Obwohl die Informationen der Wärme des Hauses ständig der Öffentlichkeit ausgesetzt seien, können sie nur mit „sense-enhancing technology“, wenn auch ohne Hausfriedensbruch, erhoben werden. Das heißt, dass diese Informationen „normalen“ Menschen nicht durch einfache Wahrnehmung zugängig seien und sie nur „technisch“ der Öffentlichkeit kontinuier- lich ausgesetzt seien.366

Wenn die Entscheidung Kyllo v. United States nicht nur auf das Haus beschränkt wird - wo der vierte Verfassungszusatz am häufigsten zutrifft - kann man sicherlich argu- mentieren, dass die Entnahme der DNA-Zellprobe und die Erstellung eines DNA-Profils ebenfalls nur durch eine „sense enhancing“ Technologie erledigt wer- den können. Nach dem Entscheidungsprinzip in Katz v. United States schützt der vierte Verfassungszusatz Menschen den bestimmten Ort, z.B. das Haus - "[t]he Fourth Amendment protects people, not places.”367 Der Schutz des Privathauses aus dem vierten Verfassungszusatz sollte auf das Recht auf Privatsphäre übertragen wer- den. Deswegen ist der Grundsatz der Entscheidung Kyllo v. United States ebenfalls bei der DNA-Analyse anwendbar.368

Demzufolge schreibt Maclin zum Öffentlichkeitsfaktor der DNA-Analyse, dass "DNA testing of arrestees would constitute a search, even if DNA, like heat emana- tions, is technically exposed to the public."369

2. Ausmaß des körperlichen Eingriffs

Im Fall Schmerber v. California wurde festgestellt, dass die Entnahme der Blutprobe

366 Kyllo v. United States, 533 U.S. 27 (2001), at 34. 367 Katz v. United States, 389 U.S. 347 (1967), at 351. 368 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, S. 170. 369 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, S. 169. 112 im Strafverfahren wie ein „search“ sei,370 obwohl bei der Blutentnahme keine Ge- fahr, kein Trauma oder Schmerz bestehe371 und das körperliche Eindringen als nicht signifikant bezeichnet wurde.372 Die Entscheidung Skinner v. Railway Labor Execu- tives' Association erweiterte dieses Prinzip, um die Erfassung von Atemproben ein- zuschließen:

„The collection and subsequent analysis of the biological samples required or au- thorized by the regulations constitute searches of the person subject to the Fourth Amendment. This Court has long recognized that a compelled intrusion into the body for blood to be tested for alcohol content and the ensuing chemical analysis consti- tute searches. Similarly, subjecting a person to the breath test authorized by Subpart D must be deemed a search, since it requires the production of "deep lung" breath and thereby implicates concerns about bodily integrity.”373

Bis jetzt stellt der Oberste Gerichtshof der USA fast jedes physische Eindringen in den Körper einer Untersuchung („search“) im Sinne des vierten Verfassungszusatzes gleich.

3. Art der gewonnenen Information

Schließlich ist das dritte Merkmal, nämlich die Art der vom Staat erhaltenen Infor- mationen, entscheidend, ob die Entnahme der DNA-Zellprobe als eine körperliche Untersuchung anerkannt werden kann.374 Im Fall Skinner entschied der Gerichtshof, dass eine obligatorische Urinanalyse ebenfalls eine körperliche Untersuchung dar- stelle, obwohl die Entnahme einer Urinprobe und die nachfolgende Analyse keinen chirurgischen Eingriff in den Körper vornimmt,375 weil die medizinische Analyse

370 Schmerber v. California, 384 U.S. 757(1966), at 767: Such testing procedures plainly constitute searches of "persons," and depend antecedently upon seizures of "persons," within the meaning of that Amendment. 371 Schmerber, v. California, 384 U.S. 757(1966), at 771. 372 Skinner v. Railway Labor Executives' Association,489 U.S. 602 (1989), at 625. 373 Skinner v. Railway Labor Executives' Association,489 U.S. 602 (1989), at 603. 374 Kaye, Needs Special Needs? On the Constitutionality of Collecting DNA and Other Biometric Data from Aresstees, 34 J.L. Med. & Ethics 188 (2006), S. 191. 375 Skinner v. Railway Labor Executives' Association,489 U.S. 602 (1989), at 603. 113 von Urin, wie von Blut, eine Vielzahl medizinischer Fakten über jemanden offenba- ren kann, beispielweise ob die Person schwanger oder Diabetiker ist, oder ob sie an Epilepsie leidet.376

Ob die Entnahme der DNA-Zellprobe als eine körperliche Untersuchung im Sinne des vierten Verfassungszusatzes zu verstehen ist, könnte die Rechtsprechung mit der Begründung aus dem Fall Skinner bejahen, weil die ungestörte Privatsphäre des Be- troffenen potenziell gefährdet ist: denn die DNA-Zellprobe könnte noch mehr per- sönlich sensitive Informationen, sogar den eigenen genetischen Bauplan, verra- ten.377 Die individuelle DNA-Zellprobe enthält eine Fülle von einzigartigen persön- lichen Informationen. Selbst das DNA-Profil in den nicht-kodierenden Regionen kann eine Menge von Informationen offenbaren, z.B. die Verwandtschaft eines Be- troffenen.378 Zugestandenermaßen sind DNA-Profile in der Datenbank, verwaltet von dem CODIS, Reihen von Ziffern, die vergleichbar mit Sozialversicherungs- nummern oder den Nummern des Reisepasses sind.379 Kaye hat darauf hingewiesen, dass “[t]he most powerful argument for Fourth Amendment protection is that the DNA strands have the potential to reveal a host of private facts.”380

Zusammenfassend kann gesagt werden, obwohl die Entnahme einer DNA-Zellprobe in einer minimal invasiven Art und Weise erfolgen kann, stellt die Maßnahme ein „search“ im Sinne des vierten Verfassungszusatzes dar.381

§ 6. Zwei Rechtfertigungsvoraussetzungen des vierten Verfassungszusatzes be- züglich der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze

376 Skinner v. Railway Labor Executives' Association,489 U.S. 602 (1989), at 617. 377 Carling, Less Privacy Please, We're British: Investigating Crime with DNA in the U.K. and the U.S. 31 Hastings Int'l & Comp. L. Rev. 487 (2008), S. 489. 378 Kaye, "Two Fallacies About DNA Data Banks for Law Enforcement, Brooklyn Lw Review 67, S. 187. 379 Kaye, "Two Fallacies About DNA Data Banks for Law Enforcement, Brooklyn Law Review 67, S. 192. 380 Kaye, Needs Special Needs? On the Constitutionality of Collecting DNA and Other Biometric Data from Aresstees, 34 J.L. Med. & Ethics 188(2006), S. 191. 381 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165, S. 169. 114

Wenn die DNA-Analyse eine körperliche Untersuchung ist, darf sie um des vierten Verfassungszusatzes willen nicht willkürlich durchgeführt werden. Wie oben festge- stellt, ist eine körperliche Untersuchung normalerweise rechtmäßig, wenn sie auf- grund einer richterlichen Anordnung bei Vorliegen eines individualisierten hinrei- chenden Tatverdachts durchgeführt wird, ansonsten ist die Untersuchung ein „suspi- cionless search“, vor dem der vierte Verfassungszusatz den Bürger schützt.382 Aller- dings sind die zuständigen Behörden gemäß den o.g. DNA-Datenbankgesetzen auf Bundesebene und Staatenebene zu einer obligatorischen DNA-Analyse von den Per- sonenkreisen berechtigt, die irgendeiner konkreten Straftat verdächtig waren. 383 Streng genommen, ist die DNA-Analyse i.S.d. vierten Verfassungszusatz eine ver- dachtlose Untersuchung („suspicionless search“). In den letzten Jahren wurden die Gesetze deswegen mit einer Reihe verfassungsrechtlicher Anforderungen konfron- tiert.384 Die jüngsten Entscheidungen der Federal District Courts, Circuit Court of Appeals und der Obersten Gerichtshöfe der einzelnen Bundesstaaten bejahten in den meisten Fällen die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Gesetze. Außerdem unterschie- den sie sich in der Frage, welche und wie die von dem Obersten Gerichtshof entwi- ckelte Rechtfertigungslehre angewendet werden soll.

I. "Warrant clause" und "reasonableness clause" des vierten Verfassungszusatzes

Diese unterschiedlichen Ansichten der genannten Gerichte ergeben sich aus den zwei unterschiedlichen interpretativen Ansätzen über die Beziehung zwischen der ersten und zweiten Hälfte des vierten Verfassungszusatzes, bekannt als die "warrant clause" und die "reasonableness clause". Die erste Klausel des Artikels sieht eine gültige richterliche Anordnung als Bedingung vor, die aufgrund eines notwendigen Maßes an

382 Samson v. California, 547 U.S. 843 (2006), at 857: (“[T]he suspicionless search is the very evil the Fourth Amendment was intended to stamp out.”). 383 Ausführlich dazu unter § 4, II. 384 The Office of the Denver District Attorney, Fourth Amendment DNA Cases, Denver DA, http://www.denverda.org/DNA/Surreptitious_Collection_and_Abandoned_DNA_Cases.htm. (Zugriff am 10. Jan. 2012). 115

Verdachtsgrad (probable cause) erteilt werden soll.385 Nach dieser Ansicht sind Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung aufgrund eines hinreichenden Ver- dachtsgrunds per se unbegründet („unreasonable“). 386 Laut der „reasonableness clause“387 sind unbefugte Durchsuchungen nicht per se rechtswidrig, wenn sie unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sind.388 Das heißt, dass die reasonableness der letzte Standard bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist ("reasonableness is the ultimate standard.").389 Die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen i.S.d. vierten Verfassungszusatz wird nach der reasonableness clause beurteilt und richtet sich grundsätzlich nach den Umstanden des Einzelfalles, wobei eine Abwa- gung aller Interessen erfolgt.390 Die Verfassung schweigt über die Beziehung zwi- schen diesen beiden Klauseln. Der aktuelle Stand der Rechtsprechung bezüglich der Durchsuchung spiegelt einen anhaltenden Widerstreit zwischen beiden Interpretati- onsansätzen wieder.391 Deswegen diskutieren die Wissenschaftler und Gerichte der- zeit, ob die beiden Klauseln sich gegenseitig ergänzen (die „konjunktive Interpreta-

385 Kerr, Modest Role of the Warrant Clause in National Security Investigations, 88 Tex. L. Rev. 1669, S. 1670; Luna, Sovereignty and Suspicion, 48 Duke L.J. 787, S. 790; Saltzburg/Capra, Ameri- can criminal procedure, S. 68. 386 Saltzburg/Capra, American criminal procedure, S. 68; Mebane, Rediscovering the Foundation of the Special Needs Exception to the Fourth Amendment in Ferguson v. City of Charleston, 40 Hous. L. Rev. 177, S. 178. Im Fall Katz v. United States, 389 U.S. 347, at 357: "[S]earches conducted outside the judicial process, without prior approval by judge or magistrate, are per se unreasonable under the Fourth Amendment". 387 Obwohl hat der Oberste Gerichtshof bis jetzt keine festen Kriterien für eine Verhältnismaßigkeitsprüfung herausgearbeitet hat, wurde die unreasonableness clause in der Literatur mit dem Verhältnismäßkeitsprinzip des deutschen Rechts verglichen, das ebenfalls im konkreten Fall die Geeignetheit eines Eingriffs, Tatschwereelemente und Auswahl des geringstmöglichen Eingriffes berücksichtigt, vgl. Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 146. 388 Robbins v. California, 453 U.S. 420, at 438 (1981) (Rehnquist, J., dissenting) ("The terms of the Amendment simply mandate that the people be secure from unreasonable searches and seizures, and that any warrants which may issue shall only issue upon probable cause."); Steagald v. United States, 451 U.S. 204, at 224 (1981) (Rehnquist, J., dissenting) (arguing that reasonableness, not the existence of a warrant, is the ultimate standard). 389 Camara v. Municipal Court of San Francisco, 387 U.S. 523, at 539. 390 Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 136. 391 Luna, Sovereignty and Suspicion, 48 Duke L.J. 787, S. 790. 116 tion“) oder ob sie zwei unabhängige Anforderungen darstellen (die „disjunktive In- terpretation“).392

1. Die konjunktive Interpretation

Die konjunktive Interpretation geht von einer Verknüpfung393 der reasonableness clause zu der warrant clause aus, dass nämlich die beiden Klauseln zusammen gele- sen werden sollten, sodass ein Eingriff nur dann gerechtfertigt ist, wenn zuvor eine ordnungsgemäße richterliche Anordnung ergangen ist.394 Abgesehen von einigen sorgfältig bezeichneten Ausnahmen verstoßen die nicht von richterlichen Anordnun- gen gedeckten Durchsuchungen (und körperlichen Untersuchungen) gegen den vier- ten Verfassungszusatz, und ihre Verwertung ist in den nachfolgenden Verfahren ab- zulehnen.395 Die gerichtliche Überprüfbarkeit unter dieser Klausel ist relativ einfach: Gerichte sollten nur prüfen, ob die Maßnahme gemäß einer Anordnung durchgeführt wurde oder in den anerkannten Ausnahmenkatalog fällt. Wenn nicht, dann liegt ein Verstoß gegen den vierten Verfassungszusatz vor.

1.1. Notwendigkeit einer vorherigen richterlichen Überprüfung – die Anordnung-Präferenzregel (The Warrant Preference Rule)396

Die durch die konjunktive Interpretation entwickelte Anordnung-Präferenzregel hat der Oberste Gerichtshof kontinuierlich bis in die 1950er Jahre in seinen Entschei- dungen angewendet.397 Die Anordnung-Präferenzregel weist auf den Vorteil hin, wenn eine Durchsuchung aufgrund einer vorherigen richterlichen Anordnung erfolgt,

392 Luna, Sovereignty and Suspicion, 48 Duke L.J. 787, S. 790. 393 „Zwingende Verknüpfung der Klauseln“ in Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 136. 394 Johnson v. United States, 333 U.S. 10, at 14 (1948); Connally v. Georgia, 429 U.S. 245, at 250 (1977). Siehe Annual Review of Criminal Procedure, Vol. 10, S. 228. 395 Saltzburg/Capra, American criminal procedure, S. 68; Luna, Sovereignty and Suspicion, Duke Law Journal, Vol. 48, S. 791. 396 Steinberg, The Uses and Misuses of Fourth Amendment History, 10 U. Pa. J. Const. L. 581, S. 584. 397 Katz v. United States, 389 U.S. 347, at 357 (1967). 117 die von einem neutralen Magistrat ausgestellt ist,398 weil es den Schutz des Bürgers verbessert, wenn ein sorgsam abwägender Richter die Entscheidung über die Durch- suchung trifft. Der Oberste Gerichtshof war der Ansicht, dass die Verfasser des vierten Verfassungszusatzes ursprünglich festgestellt haben, eine Reihe der Anforderungen der richterlichen Beschlüsse mit wenigen Ausnahmen zu schaffen, wenn es das „se- arch“ betrifft.399

Der Gerichtshof hat über lange Zeit in seiner Rechtsprechung die Anord- nung-Präferenzregel in Bezug auf Durchsuchungen mehrfach ausdrücklich angeführt. Beispielsweise im Fall Jones v. United States haben die Richter festgestellt, dass “[i]n a doubtful case, when the officer does not have clearly convincing evidence of the immediate need to search, it is most important that resort be had to a warrant, so that the evidence in the possession of the police may be weighed by an independent judicial officer, whose decision, not that of the police, may govern whether liberty or privacy is to be invaded.”400 Zur Begründung für die Notwendigkeit einer vorheri- gen richterlichen Überprüfung bekannte der Oberste Gerichtshof im Fall Johnson v. United States:

„Any other rule would obliterate one of the most fundamental distinctions between

398 Buffaloe, "Special needs" and The Fourth Amendment: An Exception poised to swallow the warrant preference rule, 32 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. 529, S. 529; Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 432. 399 U.S. GOVT Printing Office, Analysis and Interpretation of the Constitution: Annotations of Cases Decided by the Supreme Court of the United States, S. Doc. No. 108-17, at 1285 (2002), http://www.gpoaccess.gov/constitution/pdf2002/022.pdf (Supreme Court held "view that warrantless searches are per se unreasonable, with a few carefully prescribed exceptions"); Davies, Recovering the Original Fourth Amendment, 98 MICH. L. REV. 547, S. 724; Nerko, Assessing Fourth Amendment Challenges to DNA Extraction Statutes After Samson v. California, 77 FORDHAM L. REV. 917, S. 921 (explaining that "[h]istorically, the Supreme Court interpreted [Fourth Amendment]" in manner that "would deem a search reasonable only if based on individualized suspicion sufficient to constitute probable cause and executed pursuant to a warrant with the requisite specificity"); Buffaloe, "Special needs" and The Fourth Amendment: An Exception poised to swallow the warrant preference rule, 32 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. 529, S. 529; Steinberg, The Uses and Misuses of Fourth Amendment History, 10 U. Pa. J. Const. L. 581, S. 584. 400 Jones v. United States, 362 U. S. 257 (1960), at 270. 118 our form of government, where officers are under the law, and the police-state where they are the law. “401

Allerdings wurde die Anordnung-Präferenzregel trotz der mehrfachen Erklärungen des Gerichtshofs in seiner Rechtsprechung eingeschränkt.402 Die Richter haben eine lange Liste von Ausnahmen gebilligt, bei denen die Präferenzregel nicht galt.403 Bei einer genaueren Betrachtung der zahlreichen Ausnahmefälle wird offensichtlich, dass die Verbindlichkeit der Interpretationsweise des Gerichtshofs nicht mehr als ein Lip- penbekenntnis ist.404

2. Die disjunktive Interpretation

Der vorherige Interpretationsansatz wandelte sich jedoch in sein Gegenteil mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall United States v. Rabinowitz405 im Jahre 1950. Man bejahte nun auch die Zulässigkeit einer Handlung i.S.d. vierten Verfassungszusatzes ohne richterliche Anordnung wegen eines individualisierten hinreichenden Tatverdachts und entschied sich damit für die disjunktive Interpretati- on. Dieser Interpretationsansatz besagt, dass die beiden Klauseln voneinander losge- löst zu betrachten sind. Die reasonableness clause umschreibt nur die Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße richterliche Anordnung, ohne die Erforderlichkeit der rich- terlichen Anordnung zu bestimmen. Wie geschildert, ist eine unbefugte Durchsuchung

401 Johnson v. United States, 333 U.S. 10 (1948), at 17. 402 Saltzburg/Capra, American criminal procedure, S. 68: “Actually, the vision of a tough, sweeping per se rule yielding only to the most demanding claims for exceptions is at odds with reality.” 403 Als eine der wichtigsten Ausnahmen des 4. Zusatzartikels hat der Gerichtshof entschieden, dass die Durchsuchung eines Fahrzeugs normalerweise keinen Durchsuchungsbeschluss erfordert, in California v. Carney, 471 U.S. 386, at 390–95 (1985) und Chambers v. Maroney, 399 U.S. 42, at 47–52 (1970); außerdem haben die Betroffenen in folgenden Konstellationen auch nur ein begrenztes Vertrauen auf den Schutz der Privatsphäre, z.B. bei einer Durchsuchung des Mülls eines Verdächtigen in California v. Greenwood, 486 U.S. 35, at 39-44 (1988), oder bei einer unbefugten Überwachung aus einem Flugzeug oder Hubschrauber in Florida v. Riley, 488 U.S. 445, at 449-52 (1989). Siehe Steinberg, Original Misunderstanding: Akhil Amar and Fourth Amendment History, 42 San Diego Law Review 227 (2005), S. 231. 404 Smiley, Rethinking the "Special Needs" Doctrine: Suspicionless Drug Testing of High School Students and the Narrowing of Fourth Amendment protection, 95 Nw. U. L. Rev. 811, S. 813. 405 United States v. Rabinowitz, 339 U.S.56 (1950). 119 nicht zwangsläufig rechtswidrig, wenn sie unter bestimmten Umständen gerechtfer- tigt werden kann. Gemäß der disjunktiven Interpretation müssen die Gerichte eine kontextbezogene Analyse durchführen und die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Dies erfordert eine gerichtliche Abwägung zwischen dem individu- ellen Interesse am verfassungsrechtlichen Schutz und dem staatlichen Interesse an der Effizienz der Strafverfolgung.406 Dieser Interpretationsansatz hat die Rechtspre- chung bezüglich der Durchsuchung i.S.d. vierten Verfassungszusatzes erheblich be- einflusst.407

3. Zusammenfassung

Es ist für die hier behandelte Fragestellung ausschlaggebend, welcher interpretative Ansatz angewendet wird, weil das Fazit unter verschiedenen Auslegungen dramatisch anders sein würde. Der Oberste Gerichtshof der USA hat zwar bis jetzt noch keine Entscheidung bezüglich der DNA-Datenbankgesetze gefällt, doch ist aus den zahl- reichen Urteilen der Federal District Courts, Circuit Courts und obersten Gerichtshöfe einiger Bundesstaaten herauszulesen, dass die Gerichte die disjunktive Interpretation bevorzugten, um die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze, die ver- dachtlose Untersuchung („suspicionless search“) ohne richterliche Anordnung zulas- sen, zu bejahen.408 Die durch diese Interpretation aus der reasonableness clause ent- wickelten Rechtfertigungslehren, nämlich die Bedarfslehre409 und Abwägungsleh-

406 Skinner v. Railway Labor Executives'Ass'n, 489 U.S. 602, at 619 (1989): "[W]hether a particular search meets the reasonableness standard 'is judged by balancing its intrusion on the individual'sinter- estsagainstitspromotionoflegitimategovernmentalinterests." 407 Steinberg, Original Misunderstanding: Akhil Amar and Fourth Amendment History, 42 San Diego Law Review 227 (2005), S. 231. 408 Skinner v. Ry. Labor Executives' Ass'n, 489 U.S. 602, at 619 (1989); Chandler v. Miller, 520 U. S. 305, at 308 (1997); Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199 (2005-2006), S. 219; Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amendment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. &Ethics 165 2006, S. 170. 409 Roe v. Marcotte, 193 F.3d, at 78-79(2d Cir.1999); United States v. Kimler, 335 F.3d 1132, at 1146 (10th Cir.2003); Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, at 667 (2d Cir. 2005); United States v. Amerson, 483 F.3d 73, at 79 (2d Cir. 2007); United States v. Hook, 471 F.3d 766, at 773 (7th Cir. 2006); Green v. Berge, 354 F.3d (7th Cir. 2004). 120 re410, werden von den Courts und Gerichtshöfen vertreten.

II. Bedarfslehre - “special needs”

Die Bedarfslehre wurde ursprünglich im Fall New Jersey v. T.L.O.411 von dem Obersten Gerichtshof der USA entwickelt. Sie bedeutet, dass ein richterlicher Be- schluss aufgrund eines individualisierten hinreichenden Tatverdachts bei einer Durchsuchung (oder körperlichen Untersuchung) nicht mehr erforderlich sei, wenn eine besondere Notwendigkeit (“special need”) vorliege, die von den normalen staat- lichen Aufgaben der Strafverfolgung (normal law enforcement) nicht erfasst wer- de.412 Mit anderen Worten wird ein „suspicionless search“ ohne richterliche Anord- nung durch die besondere Notwendigkeit gerechtfertigt. Kaye hat die sog. besondere Notwendigkeit schlicht so beschrieben, dass “[u]sing ‘special needs’ to denote any system of inspections designed to effectuate goals other than or in addition to catch- ing criminals.”413

1. Beginn der Bedarfslehre und deren Anwendung in Bezug auf körperliche Untersuchungen414

Die zustimmende Meinung von Richter Blackmun im Fall New Jersey v. TLO415 markierte den offiziellen Beginn der Bedarfslehre. Der Entscheidung des Obersten

410 Jones v.Murray, 962 F.2d 302, at 307 (4th Cir. 1999); United States v.Sczubelek, 402 F.3d 175, at 184 (3d Cir. 2005); Groceman v. U.S. Dep'tof Justice, 354 F.3d 411, at 413-14 (5th Cir. 2004); United States v. Kraklio, 451 F.3d 922, at 924 (8th Cir. 2006); United States v. Kincade, 379 F.3d 813, at 832 (9th Cir. 2004); Padgett v. Donald, 401 F.3d 1273, at 1280(11th Cir. 2005); Johnson v. Quander, 440 F.3d 489, at 496 (D.C. Cir. 2006); United States v. Weikert, 504 F.3d 1 (1st Cir. 2007). 411 New Jersey v.T.L.O., 469 U.S. 325 (1985). 412 Griffin v. Wisconsin, 483 U.S. 868, at 873 (1987). 413 Kaye, Who Needs Special Needs? On the Constitutionality of Collecting DNA and Other Bio- metric Data from Arrestees 34 J.L. Med. & Ethics 188 (2006), S. 191; Ghanaat, Technology and Privacy: The Need for an Appropriate Mode of Analysis in the Debate over the Federal DNA Act, 42 UC Davis L. Rev. 1315 (2009), S. 1318. 414 Dodson, Ten Years of Randomizing Jurisprudence: Amending the Special Needs Doctrine, 51 S.C. L. REv. 258, S. 271; Vaughn/Carmen, “Special Needs' in Criminal Justice: An Evolving Excep- tion to the Fourth Amendment Warrant and Probable Cause Requirements, 3 Geo. Mason U. C.R. L.J. 203, S. 211. 415 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985). 121

Gerichtshofs der USA lag folgender Sachverhalt zugrunde: in einer staatlichen Schule wurde der Geldbeutel einer 14–jährigen High-School-Schülerin von einem Assistent Vize-Prinzipal durchsucht. Eine kleine Menge Marihuana und einige Beweise für den Handel mit Marihuana wurden während der Durchsuchung entdeckt und der Polizei übergeben. Die Staatanwaltschaft hat anschließend die Schülerin angeklagt.

Die mehrheitliche Auffassung von sechs Stimmen betonte, dass die Durchsuchung rechtmäßig sei, weil der verbeamtete Lehrer der staatlichen Schule aufgrund eines hinreichenden Verdachts die Maßnahme durchführe, wenn Schüler das Gesetz oder die Schulordnung verletzten.416 Richter White hat die Entscheidung im Namen der Mehrheit mit der Begründung verkündet, dass die Anwendung des Vierten Verfas- sungszusatzes im Rahmen der Durchsuchung in einer staatlichen Schule eine gewisse Lockerung der Anforderungen erfordere, weil die Durchsuchten normalerweise der Leitung der staatlichen Schulen unterworfen seien. Deswegen „[s]chool officials need not obtain a warrant before searching a student who is under their authority“.417 Richter White erklärte, dass die Erforderlichkeit einer richterlichen Durchsuchungs- anordnung das schnelle und informelle Disziplinarverfahren in den Schulen störe. Er zitierte auch die Abwägungslehre (balancing test) aus dem Fall Camara418, dass es dem öffentlichen Interesse am besten diene, wenn eine gewisse Reduzierung der gel- tenden Anforderung an den hinreichenden Tatverdacht möglich sei.419

Während die Mehrheitsmeinung auf die Abwägungslehre abstellte, erarbeitete Rich- ter Blackmun jedoch in seiner zustimmenden Meinung die Parameter der Bedarfs- lehre und prägte schließlich den Begriff der besonderen Notwendigkeit („special need“):

416 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985), at 343. 417 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985), at 340. 418 Camara v. Municipal Court of The City of San Francisco, 387 U.S. 523 (1967). 419 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985), at 341: [T]he accommodation of the privacy interests of schoolchildren with the substantial need of teachers and administrators for freedom to maintain order in the schools does not require strict adherence to the requirement that searches be based on probable cause .... Rather, the legality of a search of a student should depend simply on the reasona- bleness, under all the circumstances, of the search. 122

„[I] believe the Court omits a crucial step in its analysis. The Court correctly states that we have recognized limited exceptions to the probable-cause requirement ‘where a careful balancing of governmental and private interests suggests that the public interest is best served’ by a lesser standard. I believe that we have used such a bal- ancing test, rather than strictly applying the Fourth Amendment's Warrant and Proba- ble-Cause Clause, only when we were confronted with ‘a special law enforcement need for greater flexibility.’"

Richter Blackmun stimmte zwar mit der Mehrheitsmeinung überein, war allerdings der Auffassung, dass der Gerichtshof sich nicht mit der Abwägungsprüfung zwischen staatlichen und privaten Interessen befassen solle. Die mehrheitliche Meinung über- springe einen entscheidenden Schritt zur Anwendung der Abwägungsprüfung, unter welchen Umständen die Abwägungslehre überhaupt in Betracht gezogen werden dürfe. Richter Blackmun fuhr fort:

"[O]nly in those exceptional circumstances in which special needs, beyond the nor- mal need for law enforcement, make the warrant and probable-cause requirement impracticable, is a court entitled to substitute its balancing of interests for that of the Framers."420

Das bedeutete, ob die Interessenabwägung überhaupt eingesetzt werden dürfe, hänge von dem Vorliegen einer besonderen Notwendigkeit im zu beurteilenden Fall ab.421 Die Anwendung der Bedarfslehre solle sich auf Situationen beschränken, in denen die Durchsuchungen nicht im Kontext der Strafverfolgung vorgenommen werden und die Flexibilität und Praktikabilität unter den konkreten Umständen eine Locke- rung der Anforderungen an den richterlichen Beschluss erforderten.422

Nach dem Fall New Jersey v. TLO wurde die Lehre weiter entwickelt. In der Ent-

420 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985), at 351. 421 Mebane, Rediscovering the Foundation of the Special Needs Exception to the Fourth Amendment in Ferguson v. City of Charleston,40Hous. L. Rev. 177 (2003-2004), S. 190. 422 Vaughn/Carmen, “Special Needs' in Criminal Justice: An Evolving Exception to the Fourth Amendment Warrant and Probable Cause Requirements, 3 Geo. Mason U. C.R. L.J. 203, S. 211. 123 scheidung O'Connor v. Ortega423 wurde die Bedarfslehre von der Mehrheit des Obersten Gerichthofs akzeptiert und in der Rechtsprechung übernommen,424 eben- falls in den Fällen New York v. Burger425 und Wisconsin v. Griffin.426 Im Folgenden werden drei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Bezug auf körperliche Untersuchungen betrachtet, um die konzeptionellen Grundgedanken der Bedarfslehre darauf zu befragen, ob die Grundsätze auf die Maßnahme bezüglich der DNA-Analyse ebenfalls übertragen werden können.

1.1. Urinanalyse wegen Drogentests

Der Oberste Gerichtshofs befasste sich erstmalig mit der Bedarfslehre in den Kons- tellationen der körperlichen Untersuchung, nämlich Urinanalyse wegen Drogentests, in den Fällen Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc427 und National Treasury Employees Union v. von Raab.428 Richter Kennedy verkündete im Name der Mehr-

423 O'Connor v. Ortega, 480 U.S. 709 (1987): In diesem Fall wurde eine Durchsuchung im Büro eines Mitarbeiters des öffentlichen Dienstes wegen einer arbeitsbezogenen Kontrolle durchgeführt. Die Richterin O'Connor stellte fest, dass bei einem öffentlichen Arbeitgeber kein richterlicher Beschluss für eine arbeitsbezogene Durchsuchung im Büro eines Mitarbeiters erforderlich sei. Sie kam zu diesem Schluss mit dem Hinweis auf den effizienten und ordnungsgemäßen Betrieb des Arbeitsplatzes. Daher lag eine besondere Notwendigkeit vor. 424 Maclin, Is Obtaining an Arrestee's DNA a Valid Special Needs Search under the Fourth Amend- ment - What Should (and Will) the Supreme Court Do? 33 J.L. Med. & Ethics 102 (2005), S. 109. 425 New York v. Burger, 482 U.S. 691 (1987): Das Geschäft des Auto-Schrottplatzes von Joseph Burger bestand zum Teil aus der Ausschlachtung von Fahrzeugen und dem Verkauf der Einzelteile. Am 17. November 1982 waren mehrere New York Polizisten auf seinem Schrottplatz und durchsuchten den Platz ohne Anordnung. Einige gestohlene Autos und Autoteile wurden entdeckt. Im Namen der Mehrheit erklärte Richter Blackmun, dass der Anspruch auf Beachtung der Privatsphäre in einem staatlich reglementierten Industriezweig nicht mit einem privaten Haus verglichen werden kann. Denn sie haben eine reduzierte Privatsphäre und das Erfordernis einer Durchsuchungsanordnung aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts sei ebenfalls nicht notwendig: Durchsuchung in den staatlich reglementierten Industriezweigen (closely-regulated businesses). 426 Griffin v. Wisconsin, 483 U.S. 868 (1987): Im Fall Griffin v. Wisconsin hat der Oberste Gerichtshof den Anwendungsbereich der Bedarfslehre auf die Durchsuchung von Personen erweitert, die unter Bewährungsaufsicht gestellt sind, weil die Proband unter Bewährungsaufsicht nur eine bedingte Freiheit hat, die von den speziellen Bewährungsvorschriften abhängig ist. Er erklärte, dass das staatliche Bewährungssystem "a 'special need' beyond normal law enforcement that may justify departures from the usual warrant and probable-cause requirements” präsentiere. 427 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989). 428 National Treasury Employees Union v. von Raab, 489 U.S. 656 (1989). 124 heit jeweils die Entscheidungen.

Er war im Fall Skinner der Auffassung, dass das besondere Interesse des Staates an einer durchorganisierten Arbeitsweise der Eisenbahn-Angestellten zur Gewährleis- tung der öffentlichen Sicherheit eine Ausnahmeregelung rechtfertige.429 Die Situati- on sei anders als bei einer Strafverfolgung und erlaube eine Abkehr von der traditio- nellen verfahrensrechtlichen Schutzvorkehrung des Richtervorbehalts, weil der Per- sonenkreis sich mit sicherheitsrelevanten ("safety-sensitive")430 Aufgaben beschäf- tige. Richter Kennedy stellte fest, dass das Interesse des Staates an der Sicherheit der Reisenden sowie der Angestellten die Einschränkung der Verwendung von Betäu- bungsmitteln unter Eisenbahn-Angestellten rechtfertigen könne. Das Erfordernis eines richterlichen Beschlusses vor der Untersuchung sei mit dem Ziel der Verwal- tung der Eisenbahn, nämlich ihre Angestellten effizient zu beaufsichtigen, nicht ver- einbar.431 Darüber hinaus wies Richter Kennedy darauf hin:

"[R]ailroad supervisors, like school officials, and hospital administrators, are not in the business of investigating violations of the criminal laws or enforcing administra- tive codes, and otherwise have little occasion to become familiar with the intricacies of this Court's Fourth Amendment jurisprudence. They are not designed to assist in the prosecution of employees but rather 'to prevent accidents and casualties in rail- road operations that result from impairment by alcohol or drugs."432

In seiner abweichenden Meinung zweifelte Richter Marschall die mehrheitliche Meinung an, dass der Drogentest nur ein Vorwand sei, um die Erhebung von Bewei- sen für Zwecke der Strafverfolgung zu ermöglichen. Dagegen erwiderte Richter Kennedy, wenn es keinen überzeugenden Hinweis gebe, dass der Drogentest nur als ein Vorwand diente, bei dem das wahre Motiv jedoch die Erhebung von Beweisen für die Strafverfolgung sei, sei der Drogentest als eine administrative Tätigkeit anerkannt:

429 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), at 619. 430 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), at 620. 431 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), at 621. 432 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), at 623. 125

“Absent a persuasive showing that the federal testing program is pretextual, we as- sess the federal scheme in light of its obvious administrative purpose.” Die Frage, ob die Beweise, die nach administrativen Regelungen erlangt werden, routinemäßig für die Strafverfolgung verwendet werden dürfen, hat Richter Kennedy schließlich offen gelassen.433

Die Anwendung der Bedarfslehre im Fall Skinner schien mehr Fragen aufzuwerfen als Antworten zu geben, wo der Gerichtshof bereit war, die Grenze zwischen einer besonderen Notwendigkeit im administrativen Kontext und der normalen Strafver- folgung zu ziehen. Die Frage bezüglich der Zulässigkeit der Beweisverwertung der im administrativen Kontext erlangten Beweismittel blieb ebenso ungeklärt. Im Ge- gensatz dazu hat die Entscheidung im Fall Raab die zwei oben genannten Fragen behandelt. In diesem Fall wurde routinemäßig eine Urinanalyse zur Überprüfung des Drogenkonsums vorgenommen, wenn jemand zur Zollbehörde (United States Customs Service) versetzt wurde oder sich um eine bestimmte sensible Position in der Behörde bewarb.434 Im Fall Raab wurde eine klare Grenze zwischen einer be- sonderen Notwendigkeit im administrativen Kontext und der normalen Strafverfol- gung gezogen, und die Ergebnisse der Urinanalyse sollten weder der Ermittlungsbe- hörde übergeben noch im Rahmen der Strafverfolgung gegen den Angestellten ver- wendet werden. 435 Daher war die administrative Natur der Maßnahme evident.

1.2. Der Fall Chandler v. Miller - ein Signal, den Anwendungsbereich der Bedarfslehre einzuschränken

Im Jahr 1997 hat der Oberste Gerichtshof im Fall Chandler v. Miller436 nach fast zwölf Jahren Praxis, in denen überwiegend der Bedarfslehre entsprechende Ent- scheidungen ergingen, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes des Staates Georgia missbilligt, das von allen Bewerbern einen Drogentest verlangte, wenn sie sich bei

433 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), Fn. 5. 434 National Treasury Employees Union v. von Raab, 489 U.S. 656 (1989), at 656. 435 National Treasury Employees Union v. von Raab, 489 U.S. 656 (1989), at 656. 436 Chandler v. Miller, 520 U.S. 305 (1997). 126 staatlichen Stellen bewarben.437 Der Gerichtshof entschied, dass diese unberechtig- ten Untersuchungen gegen den vierten Verfassungszusatz verstießen, weil die Be- gründung aufgrund der Bedarfslehre im zu beurteilenden Fall nicht substantiell ge- nug sei.438

Der Gerichtshof hat Chandlers Sachverhalt von den früheren Fällen in Bezug auf die Durchführung von Drogentests unterschieden und erklärt, dass die Regierung keine überzeugenden Gründe vorbringen könne, dass die von ihr ausgeschriebenen Stellen mit hohen risiko- oder sicherheitssensiblen Aufgaben im Zusammenhang stehen, sodass ein Bewerber mit Drogenproblemen dafür untauglich sei. Der Gerichtshof stellte fest, dass diese Anforderung eher „symbolisch“ als „besonders“ im Sinne der Bedarfslehre sei, weil die in Frage stehende Regelung überwiegend nicht beabsichti- ge, den Drogenkonsumenten von der Bewerberliste auszuklammern, sondern die Entschlossenheit der Regierung widerzuspiegeln, den Drogenkonsum in der Verwal- tung zu bekämpfen:

“[T]he requirements signify that candidates, if elected, will be fit to serve their con- stituents free from the influence of illegal drugs. But Georgia asserts no evidence of a drug problem among the State's elected officials, those officials typically do not per- form high risk, safety sensitive tasks, and the required certification immediately aids no interdiction effort. The need revealed, in short, is symbolic, not ‘special’".439

Bemerkenswerterweise hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich vor "opening broad vistas for suspicionless searches" gewarnt.440 Dies zeigte ein klares Signal, den An-

437 Ga. Code Ann. § 21-2-140: Georgia requires candidates for designated state offices to certify that they have taken a drug test and that the test result was negative. 438 Chandler v. Miller, 520 U.S. 305 (1997), at 318 ("Our precedents establish that the proffered spe- cial need for drug testing must be substantial-important enough to override the individual's acknowl- edged privacy interest, sufficiently vital to suppress the Fourth Amendment's normal requirement of individualized suspicion.... Georgia has failed to show.., a special need of that kind."). 439 Chandler v. Miller, 520 U.S. 305 (1997), at 321-323. 440 Chandler v. Miller, 520 U.S. 305 (1997), at 321. 127 wendungsbereich der Bedarfslehre in Zukunft einzuschränken.441

1.3. Der Fall Ferguson v. City of Charleston

Vier Jahre später hat der Oberste Gerichtshof die Bedarfslehre im Fall Ferguson v. City of Charleston442 wieder aufgegriffen. In diesem Fall beschäftigte sich ein staat- liches Krankenhaus, Medical University of South Carolina (MUSC), mit einer alar- mierenden Zunahme von schwangeren Patientinnen, die Kokain konsumierten. Das Krankenhaus verfolgte zuvor eine Praxis, nach der die Patienten untersucht werden mussten, die des Drogenmissbrauchs verdächtig waren. Die überführten Drogenkon- sumentinnen wurden zur Beratung und Behandlung weitergeleitet. Trotz Beratung und Behandlung war der Kokainkonsum jedoch nicht zurückgegangen.443

Wegen der erfolglosen Praxis entschied sich MUSC, die Ergebnisse der Urintests der schwangeren Drogenkonsumentinnen der Strafverfolgungsbehörde (City Solicitor) abzuliefern. Allerdings hat die Praxis eine Änderung erfahren, weil ihre ursprüngli- che Idee war, alle Kokain-positiven Ergebnisse an die Strafverfolgungsbehörde wei- terzuleiten. Nach der Novellierung waren nur noch Testergebnisse abzugeben, wenn die Mitwirkung der Patienten an einer Entgiftungsbehandlung gescheitert war. Die Frauen wurden wegen Vernachlässigung von Kindern angeklagt. MUSC behauptete, dass der Zweck der Praxis sei "[t]o use the threat of arrest and prosecution in order to force women into treatment, and given the extensive involvement of law enforce- ment officials at every stage of the policy".444 Die Patienten wurden jedoch nie dar- über informiert, dass ihre Urintests ebenfalls im Zusammenhang mit Kokainkonsum ausgewertet wurden.

In einer nicht einheitlichen Entscheidung urteilte der Oberste Gerichtshof, dass die

441 Mebane, Rediscovering the Foundation of the Special Needs Exception to the Fourth Amendment in Ferguson v. City of Charleston, 40 Hous. L. Rev. 177, S. 194. 442 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001). 443 Smith, Special Needs Doctrine after Ferguson v. City of Charleston, 32 U. Balt. L. Rev. 265 (2002-2003), S. 273. 444 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 84. 128

Untersuchung der schwangeren Frauen auf Kokainkonsum ohne ihr Wissen nicht durch die Bedarfslehre gerechtfertigt sei und die Praxis des Krankenhauses gegen den vierten Verfassungszusatz verstieß.

Die mehrheitliche Meinung war der Auffassung, dass der Fall über den Einsatz des Drogentests anders zu beurteilen sei als alle früheren Fälle des Gerichtshofs bezüg- lich der Bedarfslehre. Richter Stevens erklärte, dass der Eingriff in diesem Fall auf eine erheblich umfangreichere Art und Weise das Recht der Betroffenen berühre als in früheren Fällen. In den früheren Drogentestfällen "[t]here was no misunderstand- ing about the purpose of the test or the potential use of the test results, and there were protections against the dissemination of the results to third parties."445Im Fall Fer- guson jedoch legte das Krankenhaus vorsätzlich eine Praxis fest, um belastende Be- weise zu erheben und diese anschließend der Polizei und Staatsanwaltschaft abzuge- ben.

Noch wichtiger war, dass der Zweck der Urintests im Fall Ferguson sich nicht klar von dem Interesse an der Strafverfolgung unterschied.446 In den früheren Fällen war die Rechtfertigung für das Fehlen einer richterlichen Anordnung aufgrund eines indi- vidualisierten Verdachtsgrunds durch die Bedarfslehre möglich, weil ein eigenes In- teresse im administrativen Kontext vorlag, völlig losgelöst von der Strafverfol- gung.447 Im Fall Ferguson jedoch war das ursprüngliche und zentrale Ziel der Praxis die Mitwirkung und Beteiligung von Strafverfolgungsbehörden, um die Patienten zu einer Entgiftungsbehandlung zu zwingen. 448 Richter Stevens stellte fest, dass "[w]hile the ultimate goal of the policy may well have been to get patients into sub- stance abuse treatment and off of drugs, the immediate objective of the searches was to generate evidence for law enforcement purposes in order to reach that goal”.449

445 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 78. 446 Mebane, Rediscovering the Foundation of the Special Needs Exception to the Fourth Amendment in Ferguson v. City of Charleston, 40 Hous. L. Rev. 177, S. 190. 447 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 84. 448 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 85. 449 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 82-83. 129

Die Bedarfslehre galt daher nicht länger als Rechtfertigungsgrund; auf einen Durch- suchungsbeschluss konnte nicht verzichtet werden.

2. Die Gründe für die Lockerung der Bedingung eines richterlichen Beschlusses aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts durch die Bedarfslehre

Die Bedarfslehre hat sich aufgrund der ständigen Rechtsprechung des Obersten Ge- richtshofs der USA über zwei Jahrzehnte entwickelt. Richter Blackmun hat ganz am Anfang im Fall New Jersey v. TLO ein entscheidendes Merkmal der Lehre definiert, nämlich wenn eine besondere Notwendigkeit im administrativen Kontext anders als bei der normalen Strafverfolgung vorliegt, dann erfordert sie eine Lockerung der Bedingung eines richterlichen Beschlusses bei hinreichendem Tatverdacht. Die Gründe dafür sind offensichtlich, weil diese Durchsuchung (oder körperliche Unter- suchung) die Effizienz der administrativen Tätigkeiten der Behörde fördert und es der zuständigen Behörde an der entsprechenden Ausbildung fehlt, den hinreichenden Verdachtsgrund festzustellen.

In allen Beispielsfällen wog der Oberste Gerichtshof die Erforderlichkeit einer rich- terlichen Anordnung mit der zweckmäßigen internen Verwaltung der staatlichen Be- hörden ab und entschied, dass man das effiziente Management von Schulen, öffent- lichen Krankenhäusern, staatlich reglementierten Industriezweigen450, dem Bewäh- rungssystem,451 der Eisenbahnverwaltung und der Zollbehörde beachten muss. Die Bedarfslehre gilt im Kontext der administrativen Tätigkeiten. Im Fall New Jersey v. TLO, wo es darum ging, eine ordnungsgemäße und effiziente Schulverwaltung zu gewährleisten, wurde die Bedarfslehre bei Durchsuchungsmaßnahmen in staatlichen Schulen angewandt,452 weil "[e]vents calling for discipline require immediate, effec-

450 Siehe Fn. 42 in New York v. Burger, 482 U.S. 691 (1987). 451 Siehe Fn. 43 in Griffin v. Wisconsin, 483 U.S. 868 (1987). 452 New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985), at 339: Even in schools that have been spared the most severe disciplinary problems, the preservation of order and a proper educational environment requires close supervision of schoolchildren, as well as the enforcement of rules against conduct that would be perfectly permissible if undertaken by an adult. Events calling for discipline are frequent occurrences and sometimes require immediate, effective action. 130 tive action."453

Im Fall Burger bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift, um den Automobil-Diebstahl zu bekämpfen.454 Im Fall Ortega stellte der Gerichtshof fest, dass es unangemessen wäre, dass die Ar- beitgeber vor der Durchführung einer Durchsuchung einen richterlichen Beschluss erwirken müssten, wenn sie nur routinemäßig ihre Aufsicht wahrnehmen.455 Im Fall Griffin ergab sich bei der Bewährungsaufsicht eine besondere Notwendigkeit, näm- lich die wirksame Überwachung von Probanden („efficient supervision of probatio- ners“), die eine Abweichung von den üblichen Erfordernissen der Anordnung auf- grund eines hinreichenden Tatverdachts rechtfertigte.456 Im Fall Skinner entschied der Gerichtshof, dass das Interesse an der Sicherheit der Reisenden sowie der Ange- stellten selbst einen Drogentest ohne richterliche Anordnung rechtfertigen könne.457 Im Fall Raab hielt der Gerichtshof es für unmöglich, von Zollbeamten zunächst eine richterliche Anordnung für einen Drogentest zu verlangen, weil „requiring a warrant in this context would serve only to divert valuable agency resources from the Service's primary mission“.458 Mit anderen Worten würde diese Anforderung nur zum Verlust von Einsatzkräften in der Behörde führen.

Der Gerichtshof hat die Ausnahmenfälle aufgrund der Bedarfslehre ebenfalls gebil- ligt, weil diejenigen, die in den o.g. Beispielsfällen die Durchsuchung (und Untersu- chung) durchgeführt hatten, keine juristische Ausbildung für die Komplexität der Bestimmung des hinreichenden Tatverdachts haben. Sie sind z.B. verbeamtete Lehrer in der Schule, Beamte in staatlichen Krankenhäusern, Bewährungshelfer oder Mitar-

453 Der Richter White hat hier Goss v. Lopez zitiert. Goss v. Lopez, 419 U.S. 565 (1975), at 580. 454 New York v. Burger, 482 U.S. 691 (1987), at 709: Second, regulation of the vehicle-dismantling industry reasonably serves the State's substantial interest in eradicating automobile theft. It is well established that the theft problem can be addressed effectively by controlling the receiver of, or mar- ket in, stolen property. 455 O'Connor v. Ortega, 480 U.S. 709 (1987), at 722. 456 Griffin v. Wisconsin, 483 U.S. 868 (1987), at 873. 457 Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989), at 623. 458 National Treasury Employees Union v. von Raab, 489 U.S. 656 (1989), at 666. 131 beiter bei der Eisenbahn sowie Zollbehörde. Bei normalen Durchsuchungen stehen Polizeibeamte und Verdächtige in einem kontradiktorischen Verhältnis, jedoch stimmt diese Beziehung in den Fällen der Bedarfslehre nicht.

3. Der Einsatz der Bedarfslehre bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze

Seit der Einführung der Bedarfslehre war das Ziel oder die Motivation der jeweiligen Durchsuchung (oder körperlichen Untersuchung) der wichtigste Faktor bei der Ab- wägung, ob die Durchsuchung einem berechtigten besonderen Ziel im administrati- ven Kontext, anders als bei der Strafverfolgung dient.459 Mit anderen Worten, ob das Ziel der Durchsuchung "ultimately indistinguishable from the general interest in cri- me control" ist.460 Dieser Faktor spielt eine wichtigste Rolle bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze.

3.1. Bei den Federal District Courts

Manche Federal District Courts sowie Circuit Courts haben sich bemüht, eine be- sondere Notwendigkeit im Sinne der Bedarfslehre bei der DNA-Analyse anzuerken- nen,461 weil der Einsatz der CODIS die Rückfallkriminalität wirksam verringern und Unschuldige entlassen könne. Beispielsweise im Fall Reynard462 argumentierte der Federal District Court von Southern District California nach einer Prüfung des Ge- setzgebungsverfahrens, dass das DNA-Analyse Backlog Elimination Act 2000 zwei besondere administrative Ziele abweichend vom normalen Strafverfolgungszweck enthalte: Entlastung von Unschuldigen und Aufbau einer vollständigeren DNA-Datenbank, die die Strafverfolgungsbehörden unterstütze, um die Verbrechen,

459 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amend- ment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, S. 178. 460 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 81. 461 Roe v. Marcotte, 193 F.3d, at 78-79(2d Cir.1999); United States v. Kimler, 335 F.3d 1132, at 1146 (10th Cir.2003); Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, at 667 (2d Cir. 2005); United States v. Amerson, 483 F.3d 73, at 79 (2d Cir. 2007); United States v. Hook, 471 F.3d 766, at 773 (7th Cir. 2006); Green v. Berge, 354 F.3d (7th Cir. 2004). 462 United States v. Reynard, 220 F. Supp. 2d 1142 (S.D. Cal. 2002). 132 die noch nicht aufgeklärt seien, zu ermitteln.463 Die Verfassungsmäßigkeit des Ge- setzes wurde bejaht.

Zwei Monate nach dem Fall Reynard landete ein Fall mit fast identischem Sachver- halt am Federal District Court von Eastern District California.464 Ein Angeklagter wurde zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung unter Auflagen verurteilt und seine DNA-Zellprobe wurde nach s. 3 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000 erhoben. Das Gericht war der Auffassung, dass es intellektuell unredlich („intellectu- ally dishonest“) sei zu versuchen, den Strafverfolgungszweck aus dem DNA-Datenbankgesetz zu entfernen,465 weil die ursprüngliche Absicht der Gesetz- gebung eindeutig gewesen sei:

"The purpose of this database is to match DNA samples from crime scenes where there are no suspects with the DNA of convicted offenders. Clearly, the more sam- ples we have in the system, the greater the likelihood we will come up with matches and solve cases."466

Das Gericht stellte fest, dass der DNA-Analyse Backlog Elimination Act 2000 mit den Merkmalen der Bedarfslehre, vor allem mit der Voraussetzung des Vorliegens einer besonderen Notwendigkeit im Kontext der administrativen Tätigkeiten, nicht übereinstimme, weil der Hauptzweck des Gesetzes der Aufklärung von Straftaten und der Effizienz der Strafverfolgung diente. Demzufolge verkündete das Gericht, dass der DNA-Analyse Backlog Elimination Act 2000 gegen das Recht des Ange- klagten aus dem vierten Verfassungszusatz verstoße.467

3.2. Bei den Circuit Courts

Im Fall Green v. Berge468 am Seventh Circuit stellten die Richter fest, obwohl die

463 United States v. Reynard, 220 F. Supp. 2d 1142 (S.D. Cal. 2002), at 1161. 464 United States v.Miles, 228 F. Supp. 2d 1130 (E.D. Cal. 2002). 465 United States v.Miles, 228 F. Supp. 2d 1130 (E.D. Cal. 2002), at 1138. 466 146 Congressional Record of House of Representatives. H8572-01, at *H8575-6. 467 United States v.Miles, 228 F. Supp. 2d 1130 (E.D. Cal. 2002), at 1141. 468 Green v. Berge, 354 F.3d 675 (7th Cir. 2004). 133

DNA-Analyse von Inhaftierten der Strafverfolgung diene, bestehe eine besondere Notwendigkeit dafür. Die Maßnahme sei nicht für die Beweiserhebung in einem konkreten Verfahren vorgenommen worden, sondern es gehe darum, die Identität eines Schwerverbrechers in Zukunft nachzuweisen.

“The primary purpose of the Wisconsin DNA law, on the other hand, is not to search for ‘evidence’ of criminal wrongdoing. Its purpose is to obtain reliable proof of a felon's identity.469

Im Fall Nicholas v. Goord470 wurde diese Auffassung ausführlicher erklärt. Zuerst räumte der Court ein, dass kein Zweifel bestehe, dass die DNA-Analyse und der Aufbau einer DNA-Datenbank grundsätzlich der Strafverfolgung dienen. 471 Die Rückfallkriminalität zu reduzieren sei zwar ein administratives Ziel des Gesetzes, gab der Court zu und betonte, dass es kein primärer und unmittelbarer Zweck sei, der für die Annahme einer besonderen Notwendigkeit nach dem Entscheidungsprinzip des Falles Ferguson entscheidend sei. Das bedeutete allerdings nicht, dass die An- wendung der Bedarfslehre automatisch im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden müsse.

Der Court zitierte den Fall Lidster,472 in dem der Oberste Gerichtshof der USA die eine Information suchende Durchsuchung (information-seeking search) von einer

469 Green v. Berge, 354 F.3d 675 (7th Cir. 2004), at 16. 470 Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, 667 (2d Cir. 2005) 471 N.Y. Exec. Law § 995 :"DNA record" means DNA identification information prepared by a foren- sic DNA laboratory and stored in the state DNA identification index for purposes of establishing identification in connection with law enforcement investigations or supporting statistical interpreta- tion of the results of DNA analysis. 472 Illinois v. Lidster, 540 U.S. 419 (2004): Kurz nach Mitternacht am 23. August 1997 wurde ein 70-jähriger Mann getötet, als ein vorbeifahrendes Auto ihn überfuhr. Eine Woche später zur gleichen Tageszeit und am selben Ort errichtete die Polizei eine Straßensperre. Sie hielt vorbeifahrende Autofahrer an und überreichte ihm oder ihr einen Flyer und bat um Informationen über den Vorfall. Robert Lidster näherte sich dem Kontrollpunkt in seinem Auto und war betrunken. Er wurde gestoppt und ein Alkolhol-Test wurde durchgeführt. Anschließend wurde er angeklagt und wegen Fahrens unter Einfluss von Alkohol verurteilt. Lidster bestritt die Rechtmäßigkeit seiner Festnahme, da seine Überprüfung sein Recht aus dem vierten Verfassungszusatz verletzt habe. 134 gewöhnlichen Ermittlung (detecting evidence of ordinary criminal wrongdoing) un- terschied. Die Gerichte aller Instanzen müssen diese Unterscheidung bei den polizei- lichen Aufgaben in Betracht ziehen.

Der Court kam demzufolge zu dem Schluss, dass die DNA-Analyse eher ein „infor- mation-seeking search“, die Identität eines Schwerverbrechers für die Zukunft fest- zustellen und die Effizienz von zukünftigen Strafverfolgungen zu verbessern,473 als einen aktuellen Fall aufzuklären. „Because the state's purpose in conducting DNA indexing is distinct from the ordinary ‘crime detection’ activities associated with normal law-enforcement concerns, it meets the special-needs threshold.”474 Auf- grund der Bedarfslehre wurde die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme und des Ge- setzes bejaht.475

4. Kritik an der Bedarfslehre als Prüfungsmerkmal für die Rechtfertigung der DNA-Analyse und der entsprechenden Gesetze

Obwohl der Oberste Gerichtshof über zwei Jahrzehnte mehrere Entscheidungen auf- grund der Bedarfslehre gefällt hatte, fehlt es noch an einem klaren Anwendungsbe- reich und einem einheitlichen Verständnis, wie o.g. Entscheidungen veranschaulicht haben. Als diese Lehre in die Rechtsprechung eingeführt wurde, kritisierte Stuntz, dass der Umfang und die Grenze der besonderen Notwendigkeit sehr unklar seien und die Lehre entpuppe sich als nicht mehr als ein Etikett, da die bisherigen Voraus- setzungen, nämlich die Anordnung-Präferenzregel, aufgeweicht würden.476 Außer- dem geschah es nicht selten, selbst wenn die Mehrheit der Richter sich auf einen be- stimmten Tenor einigen konnte, dass die Mitglieder der Mehrheitsmeinung über das

473 Smith, let’t Make the DNA Identification Database as inclusive as possible, 34 J.L. Med. & Ethics 385, S. 387. 474 Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, 667 (2d Cir. 2005), at 47. 475 Smith, let’t Make the DNA Identification Database as inclusive as possible, 34 J.L. Med. & Ethics 385, S. 387; Isom, Determining the Proper Test for Analyzing Statutes Allowing the Taking of DNA Samples from Felons in Nicholas v. Goord: Special Needs Test or General Balancing Test, S. 383. 476 Stuntz, Implicit Bargains, Government Power, and the Fourth Amendment, Stanford Law Review 44, at 554. 135

Vorliegen der besonderen Notwendigkeit im zu beurteilenden Fall nicht überein- stimmten.477 In der Praxis kam es dazu, dass die Entscheidungen in Bezug auf die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze der unteren In- stanzen, inkl. der Federal District Courts, Circuit Courts und obersten Gerichtshöfe der einzelnen Bundesstaaten oft im Widerspruch zueinander stehen.

Selbst wenn beim DNA-Analyse Backlog Elimination Act 2000 zwei besondere ad- ministrative Ziele abweichend vom normalen Strafverfolgungszweck vorliegen: Ent- lastung von Unschuldigen und Aufbau einer vollständigeren DNA-Datenbank, wären diese mittelbaren und ultimativen Ziele der Maßnahme.478 Diese stimmen jedoch nicht mit der Schlussfolgerung im Fall Ferguson überein, dass nur der primäre und unmittelbare Zweck einer Maßnahme das Vorliegen einer besonderen Notwendigkeit bestimmen kann.479

In der Entscheidung Ferguson wurde der Anwendungsbereich der Bedarfslehre da- hingehend definiert, dass das Ziel der angezweifelten Maßnahme "ultimately indis- tinguishable from the general interest in crime control" ist.480 Die Differenzierung im Fall Nicholas v. Goord, ob die Maßnahme ein „information-seeking search“ für die zukünftige Strafverfolgung oder eine Ermittlung in einem gewöhnlichen Straffall ist, spielt gegenüber der umfangreichen Formulierung „general interest in crime control" keine Rolle. Deswegen lässt sich schwer begründen, dass man den Strafverfol- gungszweck aus dem DNA-Datenbankgesetz entfernen und nur eine rein administra- tive Tätigkeit annehmen will.

Daher haben die meisten Circuit Courts aufgrund des erheblichen staatlichen Inte- resses an CODIS einen anderen Weg eingeschlagen und die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes aufgrund der Abwägungslehre bejaht.

477 Beispielsweise Richter Blackmun in New Jersey v. T.L.O., 469 U.S. 325 (1985); Richter Marschall in Skinner v. Railway Labor Executives'Assoc., 489 U.S. 602 (1989). 478 Maclin, Is Obtaining an Arrestee’s DNA a Valid Special Needs Search Under the Fourth Amend- ment? What Should (and Will) the Supreme Court Do? 34 J.L. Med. & Ethics 165 2006, p. 178. 479 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 82-83. 480 Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001), at 81. 136

III. Die Abwägungslehre - „balancing test“

Die Abwägungslehre ist keine neue Entscheidungsfindungsmethode in der Recht- sprechung des Obersten Gerichtshof der USA. Im Fall Camara v. Municipal481 wur- de sie zum ersten Mal in Bezug auf „search“ im Sinne des vierten Verfassungszusat- zes eingesetzt. Anders als die Bedarfslehre besteht die Abwägungslehre nur aus einer einstufigen Prüfung: wenn ein durch den vierten Verfassungszusatz geschütztes Recht beeinträchtigt wird, kann eine Abwägung zwischen dem Recht des Bürgers auf Privatsphäre und Bewegungsfreiheit gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit auf Ergreifung von Straftätern in Betracht gezogen werden. Die Voraussetzung bei der Bedarfslehre, unter welchen Umständen die Interessenabwägung überhaupt berück- sichtigt werden darf, wenn die polizeiliche Maßnahme ohne vorherige Einholung der richterlichen Anordnung erfolgt ist, kommt bei der Abwägungslehre nicht in Be- tracht.482 In Bezug auf die DNA-Analyse wurde die Abwägungslehre mit der Formel verwendet, dass "evaluate the totality of the circumstances by balancing the degree to which DNA profiling interferes with the privacy interests of qualified federal offend- ers against the significance of the public interests served by such profiling.”483

Wie dargestellt, haben einige Federal Courts und die meisten Circuit Courts die Ab- wägungslehre als Rechtfertigungslehre vertreten, um die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze zu bejahen. Bei der Überprüfung wurde häufig die Entscheidung United States v. Knights von den Courts zitiert,484 in der der Oberste Gerichtshof der USA die Abwägungslehre weiter entwickelt hat.485

481 Camara v. Municipal Court of San Francisco, 387 U.S. 523. 482 Isom, Determining the Proper Test for Analyzing Statutes Allowing the Taking of DNA Samples from Felons in Nicholas v. Goord: Special Needs Test or General Balancing Test, p. 394. 483 United States v. Kincade, 345 F.3d 1095 (9th Cir.2003), at 832. 484 Jones v. Murray, 962 F.2d 302, at 307 (4th Cir. 1999); United States v.Sczubelek, 402 F.3d 175, at 184 (3d Cir. 2005); Groceman v. U.S. Dep'tof Justice, 354 F.3d 411, at 413-14 (5th Cir. 2004); United States v. Kraklio, 451 F.3d 922, at 924 (8th Cir. 2006); United States v. Kincade, 379 F.3d 813, at 832 (9th Cir. 2004); Padgett v. Donald, 401 F.3d 1273, at 1280 (11th Cir. 2005); Johnson v. Quander, 440 F.3d 489, at 496 (D.C. Cir. 2006). 485 Skrmetti, The Keys to the Castle: A New Standard for Warrantless Home Searches in United 137

Die Lehrauffassungen und Grundsätze, die aus den Entscheidungen in Sachen Durchsuchungen entwickelt wurden, gelten ebenfalls für die „körperliche Untersu- chung“ sowie für die DNA-Analyse.

1. Der Fall United States v. Knights486

Knights wurde wegen Drogenmissbrauchs zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Die Auflagen dieser Bewährung waren ihm bekannt, und er hatte auch unterschrieben, dass er bereit sei, mit oder ohne Durchsuchungsbeschluss von jedem Bewährungshelfer oder Vollzugsbeamten jederzeit sich selbst, sein Vermögen, Woh- nort, seine Wohnung und seine Fahrzeuge durchsuchen zu lassen.487 Nach der Be- obachtung durch einen Detektiv wurde Knights einer Seriensachbeschädigung ver- dächtigt, und der Detektiv durchsuchte seine Wohnung ohne Durchsuchungsbe- schluss. Dabei wurden Materialien zum Bau einer Rohrbombe aufgefunden.

Der Oberste Gerichtshof der USA zitierte zuerst die bekannte Formel, die im Fall Wyoming v. Houghton488 angewandt worden ist: „[b]y assessing, on the one hand, the degree to which it intrudes upon an individual's privacy and, on the other, the degree to which it is needed for the promotion of legitimate governmental inter- ests.“489

Der Gerichtshof war der Auffassung, dass einige Freiheiten des Angeklagten durch die Bewährungsbedingungen eingeschränkt würden, was ihm auch bekannt gewesen sei, weil die schriftlichen Bedingungen der Bewährungsauflagen dies deutlich zum Ausdruck gebracht haben und der Angeklagte auch darüber informiert wurde. Daher hat das Gericht festgestellt, dass die berechtigte Erwartung auf den Schutz der Pri- vatsphäre des Angeklagten durch die Bewährungsbedingungen stark eingeschränkt

States v. Knights, 25 Harv. J.L. & Pub. Pol'y 1201, S. 1201. 486 United States v. Knights, 534 U.S. 112 (2001) 219 F.3d 1138. 487 The terms of this probation: “[s]ubmit his . . . person, property, place of residence, vehicle, per- sonal effects, to search at anytime, with or without a search warrant, warrant of arrest or reasonable cause by any probation officer or law enforcement officer.” 488 Wyoming v. Houghton, 526 U. S. 295, at 300 (1999). 489 United States v. Knights, 534 U.S. 112 (2001) 219 F.3d 1138, at 119. 138 wurde.490

Bei der Betrachtung der staatlichen Interessen betonte der Gerichtshof in Bezug auf das Rechtsinstitut der Bewährung, dass der Betroffene „is more likely than the ordi- nary citizen to violate the law.“491 Eine vom United States Department of Justice veröffentlichte Rückfallquote wurde zitiert, wonach 62,5% der damaligen Inhaftier- ten in elf Bundesstaaten, die im Jahr 1983 entlassen worden sind, wieder wegen eines Verbrechens oder schweren Vergehens innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung festgenommen wurden.492Außerdem war der Gerichtshof der Auffassung, dass die Verurteilten, deren Strafen zur Bewährung ausgesetzt wurden, einen höheren Anreiz haben, ihre Straftaten zu verschleiern und belastende Beweismittel schneller zu ver- nichten als normale Straftäter, weil ihnen bewusst sei, dass sie sich unter Bewäh- rungsaufsicht befänden und mit dem Widerruf der Bewährung durch das Gericht und einer zukünftigen Inhaftierung konfrontiert würden.493

Aufgrund einer Abwägung zwischen dem eingeschränkten Schutz der Privatsphäre des Angeklagten und dem staatlichen Interesse hat der Gerichtshof die Verfassungs- mäßigkeit der Bewährungsbedingungen bejaht.

2. Neue Entwicklung der Abwägungslehre: Der Fall Samson v. California494- Durchsuchung ohne richterliche Anordnung oder begründeten Verdacht (suspicionless search)

Obwohl die Bewährungshelfer und Vollzugsbeamten im Fall Knights keinen Durch- suchungsbeschluss vor Durchführung der Maßnahme erhalten hatten, lag zumindest ein hinreichender Tatverdacht vor. Im Fall Samson kam eine neue Frage an den

490 United States v. Knights, 534 U.S. 112 (2001) 219 F.3d 1138, at 120. 491 Griffen v. Wisconsin, 483 U.S. 868 (1987). 492 Jones v. Murray, 962 F. 2d 302, para. 5. 493 United States v. Knights, 534 U.S. 112 (2001) 219 F.3d 1138, para. 119: probationers have even more of an incentive to conceal their criminal activities and quickly dispose of incriminating evidence than the ordinary criminal, because probationers may be subject to supervision, revocation of proba- tion, and possible incarceration. 494 Samson v. California, 547 U.S. 843. 139

Obersten Gerichtshof, ob nämlich eine ungenehmigte Durchsuchung ohne einen konkreten Verdacht bei jemandem vorgenommen werden durfte, der auf Bewährung entlassen war.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: ein Polizist stoppte Samson, weil er aus einer früheren Begegnung darüber informiert war, dass Samson derzeit unter Bewährung stand. Der Polizist durchsuchte ihn nach Cal. Penal Code Ann. § 3067(a)495 und entdeckte bei ihm Methamphetamin in einer Zigarettenschachtel.

Um die Verfassungsmäßigkeit des § 3067(a) und die Rechtmäßigkeit der ungeneh- migten Durchsuchung ohne konkreten Verdachtsgrund zu rechtfertigen, hat der Ge- richtshof die Abwägungslehre eingesetzt. Wie im Fall Knights hat der Gerichtshof ein außerordentliches Gewicht auf den Status von Samson gelegt und festgestellt, dass derjenige, dessen Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde, bereits deswegen keinen Anspruch auf normalen Schutz der Privatsphäre wie bei die allgemeine Be- völkerung haben könne.496 Hinsichtlich der staatlichen Seite stellte der Gerichtshof fest, dass der Staat ein "wesentliches" und "überwiegendes" Interesse an der Effizi- enz der Aufsicht über diese Personenkreise habe. Das Erfordernis einer richterlichen Durchsuchungsanordnung darf daher entfallen:

"[A] requirement that searches be based on individualized suspicion would under- mine the State's ability to effectively supervise parolees and protect the public from criminal acts by reoffenders."

495 Cal. Penal Code Ann. § 3067(a) (West 2000): "the parolee shall agree in writing to be subject to search or seizure by a parole officer or other peace officer at any time of the day or night, with or without a search warrant and with or without cause." 496 Cal. Penal Code Ann. § 3067(a): including the plain terms of the parole search condition, we con- clude that petitioner did not have an expectation of privacy that society would recognize as legitimate. 140

3. Der Einsatz der Abwägungslehre bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse und der DNA-Datenbankgesetze

3.1. Der Fall Jones v. Murray - die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse von Gefängnisinsassen497

Nach § 19,2-310,2 Virginia Code darf bei den wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilten Personen eine DNA-Analyse durchgeführt werden, um in zukünftigen Strafverfahren die Identität feststellen zu können und eine DNA-Datenbank aufzu- bauen.498 Sechs Inhaftierte haben die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes angezwei- felt, weil die DNA-Analyse an einem individualisierten Verdacht mangele und daher eine verdachtlose Untersuchung („suspicionless search“) sei.

Der vierte Circuit Court bestätigte die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes von Virgi- nia unter Bezugnahme auf die Abwägungslehre. Das Gericht stellte fest, dass der vierte Verfassungszusatz bei dem Personenkreis der Gefangenen auch gelte; daher müsse die Untersuchung mangels einer richterlichen Anordnung aufgrund eines indi- vidualisierten Verdachts gerechtfertigt sein.

Erstens stellte der Court fest, dass der Bluttest eine routinemäßige Maßnahme sei und das Eindringen in den Körper nicht als "signifikant" bezeichnet werden könne,499 weil es bei dieser Entnahme „keine Gefahr, ein Trauma oder Schmerz" gebe.500 In Bezug auf das Recht auf Privatsphäre der Betroffenen fuhr der Court fort, dass der Staat ein berechtigtes öffentliches Interesse an der absoluten Gewissheit über die

497 Jones v. Murry, 962 F.2d 302, at 306-308 (4th Cir. 1992). 498 VA. CODE. ANN. § 19.2-310.2:1 (2004). Every person arrested for the commission or attempted commission of a violent felony as defined in § 19.2-297.1 or a violation or attempt to commit a viola- tion of § 18.2-31, 18.2-89, 18.2-90, 18.2-91, or 18.2-92, shall have a sample of his saliva or tissue taken for DNA (deoxyribonucleic acid) analysis to determine identification characteristics specific to the person. After a determination by a magistrate or a grand jury that probable cause exists for the arrest, a sample shall be taken prior to the person's release from custody. 499 Skinner v. Railway Labor Executives' Association,489 U.S. 602 (1989), at 625. 500 Schmerber v. California, 384 U.S. 757, at 771 (1966). 141

Identität eines Verdächtigen habe.501 Im Fall Skinner bestätigte der Oberste Ge- richtshof der USA die Verfassungsmäßigkeit eines Programms, das eine ganze Klasse von Eisenbahnern zu obligatorischen Bluttests aufforderte.502 Diese Entscheidung indiziert, dass der Bluttest i.S.d. vierten Verfassungszusatz gerechtfertigt ist, selbst bei bisher unauffälligen Personen, wobei der geringe Eingriff gegenüber dem Inte- resse des Staates überwiegt. Gegenüber den rechtskräftig verurteilten Strafgefange- nen wird die Rechtfertigung noch offensichtlicher, weil es immer dann einen hinrei- chenden Grund gibt, wenn der Betroffene mit einem Strafprozess überzogen wur- de.503

Unter Berücksichtigung der Staatsinteressen an der Einrichtung einer DNA Daten- bank und das Eindringen in die Privatsphäre der Inhaftierten billigte das Gericht zu, dass die Entnahme von Blutproben und die DNA-Analyse unter diesen Umständen gerechtfertigt sei.

3.2. Der Fall United States v. Kincade - Körperzellenentnahme von bedingt Entlassenen504

Kincade wurde 1993 wegen bewaffneter Raubüberfälle zu einer Freiheitsstrafe ver- urteilt. Im Jahr 2000 wurde er bedingt aus dem Gefängnis entlassen und von ihm wurde im Jahre 2002 von dem Bureau of Prisons eine Blutprobe gemäß nach s. 3 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000 verlangt. Als er sich weigerte, klagte ihn die Staatsanwaltschaft wegen eines Vergehens an.505 Der District Court entschied, dass Kincade gegen die Bewährungsanordnung verstieß.

501 Jones v. Murry, 962 F.2d 302, at 307 (4th Cir. 1992). 502 Skinner v. Railway Labor Executives' Association, 489 U.S. 602, at 634 (1989). 503 Jones v. Murry, 962 F.2d 302, at 308 (4th Cir. 1992). 504 Unted States v. Kincade I, 345 F.3d, at 1098. 505 Siehe s. 3 (a) (5) DNA-Analyse Backlog Elimination Act: An individual from whom the collection of a DNA sample is authorized under this subsection who fails to cooperate in the collection of that sample shall be—(A) guilty of a class A misdemeanor; and (B) punished in accordance with title 18, United States Code; Siehe, 18 U.S.C. §§ 3571&358: A convicted felon's failure to cooperate consti- tutes a class A misdemeanor and may be punished by up to one year in prison and a fine of as much as $100,000. 142

Die Mehrheitsmeinung des Neunten Circuit Courts stellte fest, dass die Blutentnah- me eine verdachtlose Untersuchung (suspicionless search) im Sinne des vierten Ver- fassungszusatzes sei, weil die Entnahme der Blutprobe ohne hinreichenden Verdacht gegen den Betroffenen vorgenommen werden sollte. Die Bedarfslehre käme hier nicht in Betracht, die Maßnahme zu rechtfertigen, weil die Körperzellenentnahme von bedingt Entlassenen die Effizienz der Strafverfolgung und Aufklärung der Straf- taten förderte, die von den normalen staatlichen Aufgaben der Strafverfolgung (nor- mal law enforcement) erfasst seien. Das DNA-Gesetz 2000 sei daher verfassungs- widrig.

Interessanterweise hat der Ninth Circuit Court durch Rehearing en banc506 seine vorherige Entscheidung zurückgenommen und eine Kincade Entscheidung II getrof- fen,507 in der die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes durch die Abwägungsprüfung bejaht wurde,508 weil der Kläger wegen der Aufsicht des Staates nur auf ein drastisch reduziertes Mindestmaß an Privatsphäre Anspruch haben könne.

Die anderen Circuit Courts haben danach ähnliche Überlegungen angestellt und die Verfassungsmäßigkeit der obligatorischen DNA-Analyse von den bedingt Entlasse- nen oder den Probanden unter Bewährungsaufsicht mit der Hauptbegründung bestä- tigt, dass der Schutz der Privatsphäre erheblich reduziert sei, wenn sich jemand unter irgendeiner staatlichen Aufsicht befinde.509

3.3. Die Verfassungsmäßigkeit der DNA-Analyse von Festgenommenen

Wie oben erörtert, erweiterte sich der Personenkreis der DNA-Analyse bis zum Jahr 2011 auf Bundesebene und in 24 Bundesstaaten auf diejenigen, die wegen bestimm-

506 “En banc is used to refer to the hearing of a legal case where all judges of a court will hear the case (an entire "bench"), rather than a panel of them. It is often used for unusually complex cases or cases considered to be of greater importance.” (McFeeley, En Banc Proceedings in the United States Courts of Appeals, 24 Idaho L. Rev. 255 (1987-1988), S. 255). 507 U.S. v. Kincade II, 379 F.3d 813 (9th Cir. 2004). 508 U.S. v. Kincade II, 379 F.3d 813 (9th Cir. 2004), at 839. 509 Velasquez v. Woods, 329 F.3d 420,421 (5th Cir. 2003); Green v. Berge, 354 F.3d 675,679 (7th Cir. 2004); Shaffer v. Saffle, 148 F.3d 118o, 1181 (10th Cir. 1998). 143 ter Straftaten festgenommen worden sind.510 Bei der Festnahme muss der Betroffene ohne Anordnung eines Richters oder konkreten Verdacht seine DNA-Zellproben ab- geben. Es ist zu beachten, dass „ohne konkreten Verdacht“ nicht bedeutet, dass die Festnahme ohne Haftbefehl aufgrund eines hinreichenden Verdachts gestützt ist, sondern dass die DNA-Analyse in keinem Zusammenhang mit der Straftat steht, für die er gerade festgenommen worden ist.511

Bis dahin waren die Normadressaten die DNA-Analyse immer unter irgendeiner Form von Haft oder Aufsicht, weswegen die meisten verfassungsrechtlichen Klagen scheiterten, weil die Gerichte aller Instanzen feststellten, dass die Kläger oder Be- schwerdeführer wegen ihrer Inhaftierung oder staatlichen Aufsicht nur auf einen deutlich reduzierten Schutz der Privatsphäre Anspruch haben.512 Das DNA Finger- print Act 2005 und die staatlichen Vorschriften über „die DNA-Analyse bei Fest- nahme“ wurden hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit angezweifelt, weil die Be- troffenen weder unter staatlicher Aufsicht standen noch je wegen einer Straftat ver- urteilt wurden. Daher wären die traditionellen rechtlichen Begründungen in dieser Konstellation nicht mehr ausreichend überzeugend.

Im Jahr 2001 war Angel Anderson in Stafford County wegen Vergewaltigung festge- nommen worden. Nach Code Virginia § 19.2-310.2:1 513 musste er eine

510 State Laws for Arrestee DNA Databases, DNARESOURCE.COM, http://www.dnaresource.com/documents/ArresteeDNALaws-2010.pdf (Zugriff am 6.Oct.2011). 511 McCarron, Do the Crime, Serve the Time, Then Leave Your DNA Behind: United States v. Weikert, J. Health & Biomedical L. 379 (2007), S. 380; Molko, Perils of Suspicionless DNA Extrac- tion of Arrestees under California Proposition 69: Liability of the California Prosecutor for Fourth Amendment Violation - the Uncertainty Continues in 2010, S.185. 512 United States v. Kincade, 379 F.3d 813, 831 n.25 (9th Cir. 2004) (noting that DNA collection statutes have been invalidated only three times); United States v. Kincade, 345 F.3d io95 (9th Cir. 2003); United States v. Miles, 228 F. Supp. 2d 1130, 1135-40 (E.D. Cal. 2002); Maryland v. Raines, 857 A.zd 19 (Md. 2004); United States v. Weikert, 504 F.3d 1, 6, 9 (1st Cir. 2007). Nähere Betrachtung siehe in I. 513 § 19.2-310.2:1 Code Virigina. Saliva or tissue sample required for DNA analysis after arrest for a violent felony: Every person arrested for the commission or attempted commission of a violent felony as defined in § 19.2-297.1 or a violation or attempt to commit a violation of § 18.2-31, 18.2-89, 144

DNA-Zellprobe unmittelbar nach der Festnahme abgeben. Als sein von dem Kör- permaterial erstelltes DNA-Profil in die Datenbank eingegeben wurde, stimmte es mit einer anderen Tatortspur einer ungeklärten Vergewaltigung überein.514

Vor dem Obersten Gerichtshof Virginias argumentierte Anderson, dass die DNA-Zellprobe, die bei seiner Festnahme in Stafford County 2001 erhoben worden war, einen "Cold Hit"515 herbeiführte. Er berief sich darauf, dass die Entnahme sei- ner DNA-Zellprobe nach seiner Festnahme sein Recht aus dem vierten Verfassungs- zusatz verletzt habe, weil die Probenahme eine "verdachtlose Untersuchung" („sus- picionless search“) gewesen sei, die in keinem Zusammenhang mit dem Verbre- chen gestanden habe, für das er gerade festgenommen worden sei.

Der Höchste Gerichtshof Virginias stellte zuerst fest, dass der Festgenommene nach seiner Festnahme einem routinemäßigen Eintragungsprozess unterzogen worden sei, einschließlich der Abnahme von Fingerabdrücken. Eine DNA-Zellprobe des Be- troffenen enthält zwar mehr Informationen, doch sei der Eingriff im Wesentlichen nicht größer als bei den traditionellen Fingerabdrücken. Die analoge Maßnahme werde von der Praxis weithin akzeptiert.516

Selbst wenn es ein geringfügiger Eingriff sei, betonte der Oberste Gerichtshof von Virginia mit der Begründung aus dem Fall Jones v. Murray, habe der Staat das legi- time öffentliche Interesse an der absoluten Gewissheit über die Identität des Verdäch-

18.2-90, 18.2-91, or 18.2-92, shall have a sample of his saliva or tissue taken for DNA (deoxyribonu- cleic acid) analysis to determine identification characteristics specific to the person. 514 Anderson v. Commonwealth, 48 Va.App. 704, 718, 634 S.E.2d 372, at 379 (2006). 515 Haines, Embracing the DNA Fingerprint Act, Journal on Telecommunications & High Technolo- gy Law , Vol. 5, Issue 3 (Spring 2007), S. 631. 516 State v. O'Hagen, 189 N.J. 140, 914 A.2d 267, at 280 (2007) (“We harbor no doubt that the taking of a buccal cheek swab is a very minor physical intrusion upon the person․ [T]hat intrusion is no more intrusive than the fingerprint procedure and the taking of one's photograph that a person must already undergo as part of the normal arrest process.”); and State v. Brown, 212 Or.App. 164, 157 P.3d 301, at 303 (2007) (“Because [using a swab to take a DNA sample from the mucous membrane of an ar- restee's cheek] is akin to the fingerprinting of a person in custody, we conclude that the seizure of defendant's DNA did not constitute an unreasonable seizure under [the Constitution.]”). 145 tigen. Aufgrund der Aussagekraft der DNA-Analyse werde diesem Interesse durch die Maßnahme sogar besser gedient als durch die herkömmlichen Fingerabdrücke. 517

4. Kritik an der Abwägungslehre

In seiner abweichenden Meinung widersprach Richter Stevens im Fall Samson der mehrheitlichen Meinung, dass

“[T]he suspicionless search is the very evil the Fourth Amendment was intended to stamp out. […] the requirement has been dispensed with only when programmatic searches were required to meet a 'special need'.”518

Er vertrat die Auffassungen des Second und Seventh Circuit Courts und der Litera- tur,519 die die Abwägungslehre ablehnen, weil die Gefahr bestehe, dass weitere Durchsuchungen oder körperliche Untersuchungen sogar gegen die normale Bevöl- kerung ohne richterliche Anordnung und ohne hinreichenden Verdacht wegen des Prüfungsstandards gerechtfertigt würden und der Rechtsschutz aus dem vierten Ver-

517 United States v. Sczubelek, 402 F.3d 175, at 185-86 (3d Cir.2005) wurde in Anderson v. Com- monwealth Of Virginia zitiert, ([t]he governmental justification for [DNA] identification ․ relies on no argument different in kind from that traditionally advanced for taking fingerprints and photographs, but with additional force because of the potentially greater precision of DNA sampling and matching methods.” ) 518 Samson v. California, 547 U.S. 843 (2006), S. 857. 519 Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, at 667 (2d Cir. 2005) (applying special needs test); United States v. Amerson, 483 F.3d 73, at 79 (2d Cir. 2007); United States v. Hook, 471 F.3d 766, 773 (7th Cir. 2006). Maclin, Is Obtaining an Arrestee's DNA a Valid Special Needs Search under the Fourth Amendment - What Should (and Will) the Supreme Court Do? 33 J.L. Med. & Ethics 102 (2005), S. 109; Cacace, Samson v. California: Tearing Down a Pillar of Fourth Amendment Protections, 42 Harv. C.R.-C.L. L. Rev. 223, S. 223. „[T]he Court in Samson used the wrong analysis (balancing test) to come to a questionable conclusion.[…] The Samson Court did not turn to this special needs doc- trine, as it should have; instead it looked at a suspicionless police search and asked if its crime preven- tion aims outweighed a parolee's interest in being free from unwarranted police investigation. […]Without being anchored by a right to undergo only searches accompanied by individualized sus- picion, this individual -interest side of the balance stood little chance against the government interest in preventing parolee recidivism.” 146 fassungszusatz deswegen untergraben werde. Im Schrifttum wird vertreten, dass die Bedarfslehre einen stärkeren Rechtsschutz als die Abwägungslehre biete,520 weil sie eine Voraussetzung vor der Interessenabwägung erfordere, nämlich ob eine besonde- re Notwendigkeit abweichend von den normalen staatlichen Aufgaben der Strafver- folgung (normal law enforcement) in administrativem Kontext vorliege. Die einzige Lehre, eine ungenehmigte Durchsuchung zu rechtfertigen, sei und bleibe die Be- darfslehre.521 Wenn eine Maßnahme das Rechtfertigungsmerkmal der Bedarfslehre nicht erfüllt, ist eine richterliche Anordnung aufgrund eines hinreichenden Verdachts nicht entbehrlich.

5. Die Anwendbarkeit der Abwägungslehre

Wie oben geschildert ist die Bedarfslehre in Bezug auf die DNA-Analyse sehr um- stritten, weil die Maßnahme vor allem der Strafverfolgung dient. Einige administra- tive Zwecke findet man zwar in der Gesetzgebung, doch sind sie eher mittelbare Zwecke, die nicht mit dem aus dem Fall Ferguson abgeleiteten Entscheidungsprinzip übereinstimmen. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs allerdings würde dazu führen, die Prüfungsmerkmale der Bedarfslehre aufzuheben und das Recht aus dem vierten Verfassungszusatz wegen der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Be- darfslehre zu beeinträchtigen. Vor dieser Tendenz hat der Oberste Gerichtshof der USA in den Fällen Edmond und Ferguson gewarnt.522

Es ist allerdings berechtigt, dass die Interessen des Betroffenen in den meisten Kons-

520 Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, at 664(2d Cir. 2005): We find puzzling the Third Circuit's comment in Sczubelek that the special-needs inquiry is less rigorous than the general balancing test. The special needs exception requires the court to ask two questions. …A general balancing test, on the other hand, only requires the court to balance the government's interest in conducting the search against the individual's privacy interests. See, Nerko, Assessing Fourth Amendment Challenges to DNA Extraction Statutes After Samson v. California, 77 Fordham L. Rev. 917 2008-2009, S. 948; Isom, Determining the Proper Test for Analyzing Statutes Allowing the Taking of DNA Samples from Felons in Nicholas v. Goord: Special Needs Test or General Balancing Test, S. 395. 521 Nerko, Assessing Fourth Amendment Challenges to DNA Extraction Statutes After Samson v. California, 77 Fordham L. Rev. 917 2008-2009, S. 948. 522 Dazu ausführlicher unter § 6, II, 1.3. 147 tellationen bezüglich einer DNA-Maßnahme gegenüber dem Staat überwiegen kön- nen. Doch wurde im Fall Samson betont, dass die Abwägungslehre nur in einigen begrenzten Fällen anwendbar sei,523 nämlich wenn der Betroffene einen kriminellen Status habe, egal ob er Gefangener sei oder auf Bewährung entlassen sei. Nur in sol- chen Fällen könne die Maßnahme durch die Abwägungslehre gerechtfertigt werden. Nichts im Fall Samson lasse vermuten, dass der gleiche Prüfstandard bei der geset- zestreuen Bevölkerung gelten könne.524

Zusammenfassung zum zweiten Teil

Wie in England und Wales erfuhr die Regelung bezüglich der Zulässigkeit der Ent- nahme und molekulargenetischen Untersuchung von Zellprobe in den USA seit dem Erlass DNA Identification Act von 1994 mehrfach Erweiterungen. Die erhobenen DNA-Profile können nach Freispruch, Zurückweisung der Anklage oder Einstellung des Prozesses entweder automatisch oder auf Antrag der Betroffenen aus der Daten- bank entfernt werden. Die Löschungspolitik bezüglich der DNA-Profile in den USA gibt keinen Anlass zur Kritik, anders als die Regelung in England und Wales, wo eine dauerhafte Speicherung der DNA-Profile trotz Freispruchs und Verfahrenseinstellung zulässig ist.

Allerdings beschäftigen sich die US-Gericht mit einer anderen zentralen Frage, näm- lich ob die DNA-Datenbankgesetze, die einer DNA-Analyse ohne richterliche An- ordnung wegen eines individualisierten hinreichenden Verdachtsgrunds („probable cause“) berechtigen, verfassungsmäßig ist. In den letzten Jahren wurden die Gesetze mit einer Reihe verfassungsrechtlicher Argumente angezweifelt. Die meisten verfas- sungsrechtlichen Klagen wurden jedoch zurückgewiesen und die Verfassungsmäßig- keit der Gesetze wurde entweder durch Rückgriff auf die Bedarfslehre oder auf die

523 United States v. Martinez-Fuerte, 428 U.S. 543 at 561 (1976). Siehe Nerko, Assessing Fourth Amendment Challenges to DNA Extraction Statutes After Samson v. California, 77 Fordham L. Rev. 917, S. 947. 524 Nerko, Assessing Fourth Amendment Challenges to DNA Extraction Statutes After Samson v. California, 77 Fordham L. Rev. 917, S. 948. 148

Abwägungslehre bestätigt.

149

Dritter Teil:

Die Entwicklung des DNA-Analysen betreffenden Rechts in Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland hat man sich frühzeitig mit den neuen Untersu- chungsmöglichkeiten der DNA-Analyse beschäftigt. Die Einführung der DNA-Analyse in den deutschen Strafprozess wurde von einer intensiv geführten ju- ristischen Diskussion begleitet. Die zentrale Frage war, ob molekulargenetische Un- tersuchungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten im Strafverfahren als Mittel der Sachverhaltsaufklärung überhaupt zulässig sind. Damit verbunden wurde diskutiert, ob aufgrund des Fehlens einer speziellen Rechtsgrundlage die Vorschrift des § 81a StPO, welche die Eingriffsgrundlage für körperliche Untersuchungen und die Entnahme von Blutproben darstellt, als Ermächtigungsgrundlage für die Anord- nung molekulargenetischer Untersuchungen angesehen werden konnte.525

Die Rechtsprechung der Fachgerichte hat bis Anfang 1997 den auf der Grundlage von § 81a StPO angeordneten Einsatz der DNA-Analyse als ein im Strafverfahren grundsätzlich zulässiges Beweismittel angesehen.526 Zu der Thematik hat der BGH erstmals im Jahre 1990 in einem Beschuss Stellung genommen.527 Im Jahre 1995 ist die Zulässigkeit molekulargenetischer Untersuchungen im Strafverfahren durch das BVerfG bestätigt worden. Es bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, eine aufgrund einer Anordnung gemäß § 81a StPO oder auf freiwilliger Basis erlangte Blutprobe eines Beschuldigten einer DNA-Analyse zu unterziehen, soweit dadurch keine Erbinformationen offengelegt werden.528 Das BVerfG sah zwar einen Eingriff in das in seinem "Volkszählungsurteil" entwickelten Recht auf informationelle Selbstbestimmung an, war jedoch der Auffassung, dass § 81a StPO für die Anordnung der Entnahme von Zellproben und für die anschließende moleku-

525 Keller, Die Genomanalyse im Strafverfahren, NJW 1989, 2289ff; Steinberg-Lieben, "Genetischer Fingerabdruck" und § 81a StPO, NJW 1987, 1242 (1244 ff.) 526 LG Berlin, NJW 1989, 787 ff; LG Darmstadt, NJW 1989, 2338 ff.; LG Heilbronn, NStZ 1990, 353 ff. Vgl. Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 16. 527 BGH, NJW 1990, 2328ff. 528 BVerfG, NJW 1996, 771ff. 150 largenetische Untersuchung des Körpermaterials im nicht-codierenden Bereich der menschlichen DNA eine verfassungsrechtlich zureichende Ermächtigungsgrundlage sei.529

Der Gesetzgeber befasste sich ebenfalls frühzeitig mit der Frage der gesetzlichen Grundlage für die DNA-Analyse.530 Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Genomana- lyse“ wurde im Jahr 1989 eingesetzt. Zwar kam sie zu dem Schluss, dass §§ 81a und 81c StPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Ent- nahme einer Blutprobe und die Anordnung einer DNA-Analyse sei, doch befürwor- tete die Arbeitsgruppe die Einführung einer spezialgesetzlichen Regelung.531 Der Gesetzgeber griff diese Anregung auf und drückte dies in der Begründung des Ge- setzentwurf aus: „Die in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffenden, mit der Gentechnik ganz allgemein verbundenen Ängste und Befürchtungen vor übermäßi- gen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen, legen aber eine besondere gesetzliche Regelung der DNA-Analyse für die strafprozessuale Nutzung nahe.“532

§ 7. Die Gesetzgebungsentwicklung im Bereich der DNA-Analyse

I. Strafverfahrensänderungsgesetz DNA-Analyse

In der 13. Legislaturperiode wurde am 28.02.1995 ein Gesetzentwurf eines Strafver- fahrensänderungsgesetzes in den Bundesstag eingebracht.533 Zentrale Vorschrift des Gesetzes war § 81e StPO a. F., welcher Eingriffsvoraussetzungen und Beschränkun- gen molekulargenetischer Untersuchungen regelte.534 § 81e Abs. 1 StPO a. F. er- möglichte die Durchführung von molekulargenetischen Untersuchungen, soweit die- se zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spuren- material von dem Beschuldigten oder dem Verletzten stammt, erforderlich sind. §

529 BVerfG, NJW 1996, 771 (773). 530 Kimmich, Das DNA-Profiling in der Kriminaltechnik und der juristischen Diskussion, NStZ 1990, 318 (322 f.). 531 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 35. 532 BT-Drs. 13/667, S. 1. 533 Senge, Strafverfahrensänderungsgesetz – DNA–Analyse, NJW 1997, 2409 (2409 ff.). 534 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 36. 151

81e Abs. 1 StPO a.F. enthielt ein Verbot weitergehender Feststellungen und erklärte darauf gerichtete Untersuchungen für unzulässig. Die Zulässigkeit der DNA-Analyse beschränkte sich auf den nicht kodierenden Bereich der DNA, da ein Zugriff auf den kodierten Bereich der Erbanlagen „in die Gefahr der Ermittlung schutzbedürftiger Persönlichkeitsmerkmale“ geraten würde.535

§ 81e StPO a. F. wurde ergänzt durch Verfahrensvorschriften in § 81f StPO a. F., wonach die Untersuchung nur durch den Richter angeordnet werden durfte. Damit lehnte der Bundestag den Vorschlag des Bundesrates ab, bei Gefährdung des Unter- suchungserfolges durch Verzögerung auch die Staatsanwaltschaft zur Anordnung der Untersuchung zu ermächtigen. Das entnommene Material ist unverzüglich zu ver- nichten, sobald es für das Strafverfahren nicht mehr benötigt wird. Aufgrund der en- gen Verwendungsklausel schied eine Verwendung der Blutprobe z.B. zur Anlegung einer DNA-Datenbank aus.536

II. Strafprozessordnung DNA-Identitätsfeststellungsgesetz

Nachdem zunächst in den USA (1994),537 später dann auch in einigen europäischen Ländern wie Großbritannien (1995), den Niederlanden (1997) und Österreich (1997) DNA-Datenbanken eingerichtet wurden, löste dies in Deutschland ebenfalls eine öffentliche Diskussion aus.538Anfangs stand man dem Aufbau einer DNA-Datenbank aus datenschutzrechtlichen Gründen sehr skeptisch gegenüber. Dann änderte sich aber die Erstellung, als sich die Technik zu einem wichtigen rechtsmedizinischen Erkenntnismittel, insbesondere auch im Bereich der Aufklärung von Sexualstraftaten und Mord, entwickelte.539 Am 17.04.1998 wurde auf Veranlassung des damaligen Bundesinnenministers eine DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt einge-

535 BT-Drs 15/350, S. 12. 536 BT-Drs. 15/350, S. 12. 537 Lew, Next Step in DNA Databank Expansion - The Constitutionality of DNA Sampling of Former Arrestees, 57 Hastings L.J. 199, S. 205. 538 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 17. 539 BT/Drs. 15/350, S. 1. 152 richtet.540 Am 25.05.1998 brachte die Bundesregierung ihren „Entwurf eines Geset- zes zur Änderung der Strafprozessordnung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz)“ ein.541 Es sollten „gesetzliche Regelungen zur Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Zellproben allein zum Zwe- cke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren (. . .)“ geschaffen werden.542 Seitdem wurde der sog. genetische Fingerabdruck als erkennungsdienstliche Maß- nahme angesehen. Das „DNA-Identitätsfeststellungsgesetz“ ist am 07.09.1998 in Kraft getreten.543

III. Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 2. Juni 1999 und Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse

Seit Einführung des genetischen Fingerabdrucks als erkennungsdienstliche Maß- nahme der Strafverfolgungsvorsorge erfuhr die Regelung zwei bedeutende Änderun- gen und die Anforderungen an die Anlasstaten wurden dabei gesenkt. Zum einem geschah dies durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften (SexStrÄndG vom 27.12.2003), in dem der Gesetzgeber darauf hingewiesen hat, dass die Hürden für die Erhebung von DNA-Analysen zum Zweck künftiger Strafverfol- gung zu hoch sind. Eine Anlasstat, die selbst noch nicht von erheblicher Bedeutung ist, könnte jedoch die Negativprognose ergeben, dass von dem Betroffenen künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung zu befürchten sind. Man braucht nicht abzu- warten, bis tatsächlich Straftaten von erheblicher Bedeutung geschehen sind.544 Die konkreten Erweiterungen weisen darauf hin, dass eine DNA-Analyse bei Bestehen einer „qualifizierten Negativprognose“ auch zukünftig genutzt werden kann, obwohl die hier in Betracht kommende Anlasstat i.S. der §§ 174 bis 184 StGB nicht von er-

540 Lemke, in: Julius/Krehl, Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, § 81g StPO Rdn. 25. 541 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 58. 542 BT-Drs. 13/10791, S. 4. 543 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 58. 544 BT-Drs. 15/350, S. 1. 153 heblicher Bedeutung ist.

In der nachfolgenden Gesetzesänderung wurden die bisherigen Anforderungen des § 81 StPO durch die am 1.11.2005 in Kraft getretene Novellierung des Gesetzes nochmals herabgesenkt. Der Gesetzgeber hat insoweit berücksichtigt, dass „ auch die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten dem Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen kann“,545 weil die Straftaten – für sich genom- men nicht erheblich – in ihrer Häufung einen Unrechtsgehalt erreichen können.546 Der Gesetzgeber hat hier auch den wiederholten Hausfriedensbruch in Fällen des Stalking als ein Beispiel erwähnt. Wie oben dargestellt heißt das, dass das Anlassta- tenkriterium eine Rechtfertigungsfunktion bei der weiteren Prüfung zur Annahme einer Negativprognose beiträgt. Daher erweitert die Gleichstellungsklausel insofern die Entscheidungsbefugnisse des Gerichts,547 als dass es bei einer Gesamtwürdigung der Wiederholungstaten im Einzelfall eine Gleichbehandlung mit einer Straftat von erheblicher Bedeutung legitimiert, nämlich eine Anordnung einer DNA-Analyse zu Zwecken künftiger Strafverfolgung zu erlassen.548

Trotz der zweimaligen Novellierung des Gesetzes und Forderungen nach einer Er- weiterung im Bereich der Anlasstaten bis hin zu allen Straftaten549 hat der deutsche Gesetzgeber bis jetzt nicht auf eine qualifizierte Anlasstat verzichtet, sondern aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine angemessene Eingriffsschwelle festgelegt.550

§ 8. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Literatur und Rechtsprechung gehen nicht davon aus, dass die Untersuchung der nicht kodierenden Bereiche der DNA in die Menschenwürde und in das Recht auf

545 BT-Drs. 15/5674, S. 9. 546 BT-Drs. 15/5674, S. 9. 547 BT-Drs. 15/5674, S. 9. 548 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 26; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 66; Meyer-Goßner, StPO Kom- mentar, § 81g Rdn. 8; Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 15. 549 Wagner, Effektive Strafverfolgung durch DNA-Kartei für alle Straftaten, ZRP 2004, 14 (15). 550 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 26. 154 körperliche Unversehrtheit eingreift.551 Als geschütztes Recht kommt daher allein das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG

Ebenso wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Grundgesetz keine ausdrückliche Erwähnung. Es ist eine Aus- prägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wurde vom Bundesverfassungs- gericht im so genannten Volkszählungsurteil von 1983 als Grundrecht anerkannt.552 Auf verfassungsrechtlicher Ebene wurde der Grundstein für die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der „Elfes-Entscheidung“ des BVerfG gelegt, in der erklärt wurde, dass dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschli- cher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist.553 In den folgenden Jahren wurde das Recht durch mehrere Entscheidungen konkretisiert: Der Einzelne soll - ohne Beschränkung auf seine Privatsphäre - grund- sätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit ge- genüber darstellen will, ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit ver- fügt werden kann.554

Die auf diesem Grundgedanken basierende Entwicklung des Rechts auf informatio- nelle Selbstbestimmung geschah vor dem Hintergrund der modernen Techniken der Datenspeicherung, Datenvernetzung und Datenverarbeitung, denn die neuen Techni- ken bedrohen die Integrität des davon betroffenen Grundrechtsträgers.555 Es besteht die Gefahr der totalen Registrierung und Katalogisierung und die Gefahr der Abruf- barkeit eines umfassenden Persönlichkeitsprofils einer betroffenen Person, bzw.

551 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 52f; West, Genetischer Finger- abdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 156ff. 552 BVerfGE 65, 1 (41, 43). 553 BVerfGE 6, 32 ff. 554 BVerfGE 54, 148 (154). 555 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 173ff. 155 mögliche Fehler im Ergebnis eines Datenverarbeitungsprozesses, wenn die einge- speisten Daten inhaltlich unrichtig sind.556 Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, einen riesigen Datenbestand für eine beliebige Vielzahl von abrufenden Stellen stän- dig verfügbar zu halten und im Bedarfsfall innerhalb kürzester Zeit abzurufen.557 Das BVerfG hat als Befürchtung zu bedenken gegeben: obwohl die möglichen Emp- fänger der Volkszählungsdaten in der Regel nur über ihre eigene Datenbanken ver- fügten, könnten sie allerdings durch den Einsatz sog. „integrierter Datensysteme“ das Zusatzwissen, das mit den Volkszählungsdaten verknüpft werden könnte, erlangen. Demzufolge würde die Schwelle der Re-identifikation weiter herabgesetzt.558

1. Schutzbereich

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönli- chen Daten zu bestimmen.559 Es gewährt Schutz gegen Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe der auf den jeweiligen Grundrechtsträger bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten.560 Entsprechend der datenschutz- rechtlichen Definition des § 3 Abs. 1 und 2 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Die automatisierte Verarbeitung ist die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverar- beitungsanlagen.

2. Eingriffsqualität von molekulargenetischen Untersuchungen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Zwar ist umstritten, ob die Untersuchung des Spurenmaterials unbekannter Herkunft einen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte

556 Di Fabio in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 173 ff. 557 BVerfGE 65, 1 (42). 558 BVerfGE 65, 1 (17). 559 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, Art. 2 Rdn. 26. 560 BVerfGE 65, 1 (43). 156

Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bildet,561 doch sind das Bundes- verfassungsgericht562 und die Literatur563 einstimmig der Auffassung, dass die Fest- stellung, Speicherung und (künftige) Verwendung des genetischen Fingerabdrucks aus Zellproben einer Person, deren Identität zum Zeitpunkt der molekulargenetischen Untersuchung bekannt ist, in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein- greift.564

3. Rechtfertigung

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird nicht uneingeschränkt ge- währleistet. Nach der Rechtsprechung darf das Recht im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.565 Der Einzelne als ge- meinschaftsbezogenes, soziales Wesen566 muss Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinneh- men.567 Allerdings darf die Einschränkung nicht weiter gehen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.568

Das BVerfG geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine in die soziale Ge- meinschaft eingebundene Person nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, unein- schränkbaren Herrschaft über „seine Daten“ hat; er ist eine innerhalb der sozialen Gemeinschaft auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Die personenbezo- genen Informationen stellen ein Abbild sozialer Realität dar, das nicht ausschließlich

561 Die umstrittene Frage ist in der vorliegenden Arbeit nicht relevant. Vgl. Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 92 ff. 562 BVerfGE 103, 21= NJW 2001, 879. 563 Sánchez, Das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung und seine Geltung im Strafverfahren am Beispiel der neuen Ermittlungsmethoden in der Strafprozessordnung, S. 185 ff. 564 BVerfGE 103, 21 (33). 565 BVerfGE 65, 1 (44, 46). 566 BVerfGE 4, 7 (15); 8, 274 (329); 27, 1 (7); 27, 344 (351 f); 33, 303 (334); 50, 290 (353); 56, 37 (49). 567 BVerfGE 65, 1 (44). 568 BVerfGE 65, 1 (44); 67, 100 (143); 103, 21 (33). 157 dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann.569 „Das Grundgesetz hat, wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach hervorgehoben ist, die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden.“570

In Bezug auf die DNA-Analyse haben die höchstrichterliche Rechtsprechung als auch das Schrifttum vor diesem Hintergrund die Untersuchung der nicht kodierenden Bereiche der DNA als gerechtfertigt angesehen, weil der genetische Fingerabdruck als erkennungsdienstliche Standardmaßnahme den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit, wie dargestellt, nicht berührt. Die Ermächtigungsgrundlage findet man in § 81g StPO. Sie bezweckt die „Erleichterung der Aufklärung künftiger Straf- taten von erheblicher Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt“.571

II. Vereinbarkeit der materiellen Anordnungsvoraussetzungen der DNA-Identitätsfeststellung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Die vorangegangenen Erörterungen haben gezeigt, dass die Durchführung einer mo- lekulargenetischen Untersuchung zum Zwecke der Erstellung eines DNA-Profils einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und dass § 81g StPO die gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Entnahme von Zell- proben und der molekulargenetischen Untersuchung schafft.

1. Normadressat: Beschuldigte, Verurteilte und die ihnen gleichgestellten Personen

Nach § 81 g Abs. 1 StPO darf die Maßnahme sich nur gegen Beschuldigte eines der hier näher umschriebenen Strafverfahren richten. Zu den Beschuldigten i.S.d Abs. 1

569 BVerfGE 65, 1 (43 f.). 570 BVerfGE 65, 1 (43 f.); unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, 7 (15); 8, 274 (329); 27, 1 (7); 27, 344 (351f); 33, 303 (334); 50, 290 (353); 56, 37 (49). 571 BVerfGE 103, 21=NJW 2001, 879 (880). 158 gehören auch die Angeschuldigten und Angeklagten.572 Mit Abs. 4 ist der Personen- kreis darüber hinaus auf Verurteilte sowie ihnen gleichgestellte Personen erweitert.573 Für diesen Personenkreis gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend. Wenn es in den folgenden Anführungen nicht speziell erwähnt wird, steht hier nur der Beschuldigte für den Normadressaten.

Im Grundsatz geht die herrschende Meinung von einem formell-verfahrensrechtlich ausgerichteten Beschuldigtenbegriff der StPO aus, dass also Beschuldigter derjenige ist, gegen den ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren betrieben wird.574 Nicht die objektive Lage, das heißt die Stärke des Verdachts, sondern allein die Einleitung ei- nes solchen Verfahrens, ein subjektiver Entschluss, ein Willensakt der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, macht den ursprünglichen Verdächtigen zum Beschuldig- ten.575 Allerdings ist die objektive Lage auch von Bedeutung; denn der Ermessens- spielraum der Strafverfolgungsbehörden wird begrenzt durch die objektive Stärke des Tatverdachts.576 Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verdacht einer Straftat sich konkret gegen den Beschuldigten richtet, beginnt die Beschuldigteneigenschaft. Zu der Frage, ob für die Begründung der Beschuldigteneigenschaft noch ein objektives Element hinzutreten muss, wird zudem die Meinung vertreten, dass die Manifestation eines Willensakts nicht förmlich sein muss, sondern auch kongruent zum Ausdruck kom- men kann.577 Wegen der materiellen Strafbarkeitsbeschränkung nach § 19 StGB und § 1 JGG ist eine Strafverfolgung von Kindern ausgeschlossen. Irrtümlich in Un- kenntnis der Strafunmündigkeit eingeleitet, wird das Strafverfahren je nach Verfah- rensstadium gemäß §§ 170 Abs. 2, 204 und 206a StPO eingestellt.578 Der Ange-

572 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 16. 573 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 11. 574 Graf, Strafprozessordnung, § 163a Rdn. 5. 575 Volk, Grundkurs StPO, S. 32. 576 Volk, Grundkurs StPO, S. 32. 577 Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einleitung, Rdn. 76; Volk, Grundkurs StPO, S. 36 (mit dem Beispiel: Wenn jemand nach seinem Eingeständnis, die Leiche gefunden zu haben, von der Polizei festgenommen wird und man ihm erklärt, morgen werde er dem Haftrichter vorgeführt, liegt darin die Behandlung als Beschuldigter.) 578 Krause, Großkommentar zur StPO, § 81g Rdn. 11; Schöch, Strafgesetzbuch, § 19 Rdn. 3. 159 schuldigte ist der Beschuldigte, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist (§ 157 StPO). Der Angeklagte ist der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen den die Er- öffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist (§ 157 StPO). Die den Verurteilten gleichgestellten Personen sind diejenigen, die nur wegen feststehender oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit bzw. bei fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verantwortlichkeit nicht verurteilt werden können.

2. Qualifizierte Anlasstaten (§ 81g Abs. 1 S. 1 StPO)

Der Beschuldigte muss gemäß § 81g StPO verdächtig sein, entweder eine Straftat von erheblicher Bedeutung oder aber eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestim- mung begangen zu haben, bzw. eine wiederholte Begehung sonstiger Straftaten, die im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen. Hier ist zu beachten, dass dieses Kriterium nur die Funktion hat, die weitere Prüfung zur An- nahme einer „Negativprognose“ zu führen und zu legitimieren.579 Die spätere Phase, nämlich eine einzelfallbedingte Prognose, ist in der Gesetzesanwendung entschei- dender. Darauf soll im Folgenden näher eingegangen werden.

2.1. Verdachtsgrad

Die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung setzt voraus, dass der Beschuldigte der in § 81g Abs. 1 S. 1 StPO genannten Straftaten „verdächtig“ sein muss. Im Ge- gensatz zu anderen prozessualen Vorschriften spricht diese Vorschrift weder von ei- nem dringenden noch von einem hinreichenden Tatverdacht. Nach der Rechtspre- chung und Literatur ist ein einfacher Tatverdacht in Form eines „Anfangsverdachts“ genügend, der bei Anordnung der Entnahme und zum Zeitpunkt der Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung der Zellproben bestehen muss.580

579 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO, Rdn. 17. 580 LG Freiburg, NStZ 2000, 165; OLG Hamm, StV 2000, 606; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO, Rdn. 17; Graalmann-Scheerer, Kriminalistik 2000, 328 (333); Rackow, Das DNA-Identifitätsfeststellungsgesetz und seine Problem, S. 82; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 66; Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 134. 160

Der Anfangsverdacht ist die am wenigsten intensive Stufe des Verdachts.581 Nach der in der Rechtspraxis gebräuchlichen Formel muss aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit des Vorliegens einer verfolgbaren Straftat bestehen.582 Bloße Vermutungen und Möglichkeiten, die nicht durch konkrete tatsächliche Hinweise gestützt werden, reichen für die Begründung eines Tatverdachts nicht aus.583 Für schwerwiegende Eingriffe muss der Verdacht dringend oder hinreichend sein. Aus dem Gesetzestext geht hervor, dass ein erhöhter Grad der Wahrscheinlichkeit bezüglich der Probenahme und molekulargenetischen Untersuchung nicht verlangt wird.

Es gab Debatten, ob aufgrund des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbst- bestimmung, der mit der molekulargenetischen Untersuchung verbunden ist, eine erhöhte Eingriffsschwelle in Form eines hinreichenden oder dringenden Tatverdachts zu fordern ist.584 Zugunsten einer erhöhten Eingriffsschwelle (Anfangsverdacht) könnte argumentiert werden, dass die Verwendung des DNA-Profils nach § 81e Abs. 1 StPO auf ein anhängiges Strafverfahren begrenzt ist, wenn die nach § 81g Abs. 1 StPO erstellten DNA-Profile zum Zwecke der Identitätsfeststellung in einem künfti- gen Strafverfahren dienen. Wegen der künftigen Verwendungsmöglichkeit der DNA-Profile bestehe die Gefahr, dass der Grad der Grundrechtsbeeinträchtigung erhöht werde.585 Deswegen sollte doch für die Anordnung einer Zellprobenahme und molekulargenetischen Untersuchung eine besondere Eingriffsschwelle in Form eines dringenden oder hinreichenden Tatverdachts erforderlich sein. Im Strafprozessrecht verlangen die mit intensiven Grundrechtseingriffen verbundenen freiheitsentziehen- den Maßnahmen der Untersuchungshaft (§§ 112 und 112a StPO)586 oder der einst-

581 Volk, Grundkurs StPO,S. 32. 582 BVerfG NJW 1984, 783 (784); BGH NJW 1989, 96 (97). 583 Volk, Grundkurs StPO, S. 32; OLG Hamburg, NJW 1984, 1635 (1636); LG Offenburg, StV 1997, 626 (627). 584 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 135. 585 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 136. 586 Ein dringender Tatverdacht bei §§ 112, 112a, Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 112 Rdn. 5. 161 weiligen Unterbringung (126a StPO)587 einen dringenden Tatverdacht. Ein bloßer Anfangsverdacht reicht für die Einleitung des Strafverfahrens bzw. die Anordnung verschiedener strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen aus. Allerdings brauchen die Erhebung der Anklage (§ 170 Abs. 1 StPO)588 oder der gerichtliche Eröffnungsbe- schluss (§ 203 StPO)589 einen gesteigerten Verdachtsgrad in Form des hinreichenden Tatverdachts. Die unterschiedliche Eingriffsschwelle der grundrechtsrelevanten Maßnahmen wird festgesetzt, um den Bürger vor konkreten formulierten, etwa er- heblichen staatlichen Eingriffen zu schützen.

Die Notwendigkeit eines qualifizierten Tatverdachts wird allerdings nicht von der Rechtsprechung590 sowie der Literatur591 vertreten, weil der Wortlaut des § 81g Abs. 1 StPO keinen Hinweis auf einen solchen Verdachtsgrad enthält. Auch die Befürch- tung eines unzureichenden Rechtsschutzes besteht nicht. Hier ist die Anforderung zu beachten, die Prüfung weiter zur Annahme einer „Negativprognose“ zu führen und dort einzelfallbedingt zu entscheiden. Für die Negativprognose des § 81g Abs. 1 StPO im Vergleich zum Verdachtsgrad des bloßen Anfangsverdachts wird eine stär- kere Gewissheit verlangt.592

3. Qualifizierte Negativprognose

Den oben entwickelten Überlegungen kann man entnehmen, dass es im deutschen Recht sehr stark betont wird, ein einzelfallbezogenes Tatunrecht um des Verhältnis- mäßigkeitsgrundsatzes willen zu berücksichtigen. Die Zulässigkeit der DNA-Identifizierungsmaßnahme hängt ferner davon ab, ob die zur Anordnung der Maßnahme befugten Strafverfolgungsorgane die künftige Entwicklung des Beschul-

587 Ein dringender Tatverdacht bei § 126a, Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 126a Rdn. 4. 588 Ein hinreichender Tatverdacht bei § 170, Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 170 Rdn. 1. 589 Ein hinreichender Tatverdacht bei § 203a, Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 203 Rdn. 2. 590 OLG Hamm StV 2000, 606. 591 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 17; Senge: Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz), NJW 1999, 253 (254); Krause, DNA-Identitätsfeststellung gemäß § 81g StPO, § 2 DNA-IFG, in: Rieß-FS 2002, S. 276. 592 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 93. 162 digten prognostizieren,593 dass gegen den Beschuldigten künftig Strafverfahren we- gen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Eine qualifi- zierte Negativprognose ist hier erforderlich.

3.1. Die Regelung des § 81g Abs. 1 StPO

Die Maßnahmen nach § 81g Abs.1 S.1 StPO sind möglich, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnis- se Grund zu der Annahme besteht, dass gegen den Beschuldigten künftig Verfahren wegen Straftaten der in Abs. 1 beschriebenen Art zu führen sind.594

3.2. Gegenstand der Prognose: künftige Strafverfahren

Weil der Gesetzeswortlaut von künftigen Strafverfahren und nicht von künftigen Straftaten spricht, hat die Prognose offensichtlich künftige Strafverfahren zum Ge- genstand. Eine Abgrenzung zwischen den beiden ist schwierig.595 Der Gesetzgeber hat in den einschlägigen Gesetzesbegründungen die künftige Straftatbegehung im Auge,596 die den Hauptanwendungsfall des § 81g StPO bildet. Die Maßnahmen sind aber auch dann zulässig, wenn es um den Nachweis einer bereits begangenen, noch nicht aufgeklärten Straftat geht.597 Obwohl dies nicht neue Straftaten sind, sind aber künftige Strafverfahren gegen den Beschuldigten wegen alter Straftaten zu erwar- ten.598 Solche Fälle werden von der Gesetzesanwendung zweifellos nicht ausge- schlossen.599

3.3. Kriterien für die Prognoseentscheidung

Die Prognose ist durch den Gesetzeswortlaut auf Grund der Art oder Ausführung der

593 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 28. 594 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 15. 595 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 32. 596 BT-Drs15/350, S. 1. 597 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 8. 598 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 68. 599 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 32; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 68. 163

Tat, Persönlichkeit des Beschuldigten und sonstiger Erkenntnisse zu treffen. In einer Prognose wird analysiert, ob die Gefahr zu erwarten ist, dass der Beschuldigte zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begeht.600 Hierzu bedarf es der Dar- legung von auf den Einzelfall bezogenen Gründen.

Die Vorschrift verweist zunächst auf die Art oder Ausführung der Tat (kriminelle Energie; Rückfallgeschwindigkeit; Vortatverhalten, nämlich Planung, Auskund- schaften, Beschaffen, Herstellen und Mitführen von speziellen Tatmitteln zur Tatbe- gehung oder Verhinderung der Entdeckung und der Identifizierung; Tatschwere der Anlasstat; Nachtatverhalten: Vorbereiten und Sichern der Flucht, des Abtransportes, nachträgliches Einwirken auf Zeugen oder Opfer, Einschüchtern);601 bei dem Krite- rium der Persönlichkeit kommen einerseits äußere Tatsachen wie kriminelle Karriere, einschlägige Vorstrafen und Umgang mit Vorstrafen, der Zeitraum zwischen mehre- ren Taten, die Rückfallgeschwindigkeit, Prägung in Richtung bestimmter Delikte, psychische Erkrankungen, soziale Beziehungen, Arbeits- und Wohnverhältnisse so- wie seine finanzielle Lage,602 andererseits innere Tatsachen wie Motivationslage bei früheren Straftaten, die aus der Tat sprechende Gesinnung, die Beweggründe und Ziele des Täters (z.B. fremdenfeindliche, politische Motivierung)603 zum Tragen. Als „sonstige Erkenntnisse” sind kriminalistisch und kriminologisch anerkannte Erfah- rungsgrundsätze wie ein „Steigerungsverhalten” des Täters einschlägig.604

3.4. Auf den Einzelfall bezogene Faktoren in der Rechtsprechung

In der Rechtsprechung hat sich zur Frage der Negativprognose eine reiche Kasuistik

600 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn 37. 601 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 41; Markwardt/Brodersen, Zur Progno- seklausel in § 81g StPO, NJW 2000, 692 (696); Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 8; West - Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 68. 602 Die Methodik der Trennung von inneren und äußeren Tatsachen vom Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 41; Markwardt/Brodersen, Zur Prognoseklausel in § 81g StPO, NJW 2000,692 (696); Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 8; LG Frankenthal, StV 2000, 609. 603 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 41; Markwardt/Brodersen, Zur Progno- seklausel in § 81g StPO, NJW 2000, 692 (696). 604 Markwardt/Brodersen, Zur Prognoseklausel in § 81g StPO, NJW 2000,692 (696). 164 entwickelt. Das BVerfG hat allgemein darauf hingewiesen, dass die Prognoseent- scheidung aufgrund der Verfassung voraussetzt, dass „ihr eine zureichende, insbe- sondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des Be- währungsheftes und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister vorausge- gangen ist und die für sie bedeutsamen Umstände nachvollziehbar abgewogen wer- den.“605 Die Aussage indiziert dabei eine auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen basierende einzelfallbezo- gene Entscheidung.606

Hier ist zu beachten, dass die Gerichte auf Landesebene die Gegenfaktoren neben den dargestellten Maßstäben für eine negative Prognoseentscheidung richterrechtlich entwickelten: wenn die Anlasstat lange Zeit zurückliegt,607 der Verurteilte seitdem familiär, sozial und beruflich eingeordnet lebt608 und seine gegenwärtigen Lebens- umstände gegen eine erneute Tatbegehung sprechen609 oder wenn sich die frühere Tat als eine „bewältigte Episode“ pubertärer Krisen,610 als „einmalige Tat im Rahmen eines Beziehungskonflikts“611 oder eine finanzielle Notsituation herausstellt, die Lebensverhältnisse sich seitdem positiv verändert,612 sowie eine soziale Integra- tion des Täters stattfindet.613 Kurzum, die zu der Annahme einer Wiederholungsge- fahr vorliegenden Gründe sind nicht mehr positiv und es besteht keine Veranlassung für eine Negativprognose zugewiesen werden könnte.

§ 9. Die verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen und ihre Schutzvorkehrung zur Sicherung der Rechte des Beschuldigten

605 BVerfG, NJW 2008, 281=StV 2009, 80. 606 BVerfG, NJW 2008, 281=StV 2009, 80. 607 LG Darmstadt, StV 2001, 107; LG Bamberg, StV 2003, 155; LG Bielefeld StV 2005, 78. 608 LG Bamberg, StV 2003, 155. 609 LG Berlin, StV 2000,303; LG Bremen, StV 2000,303. 610 BVerfG, NJW 2008, 281=StV 2009,80. 611 LG Bamberg, StV 2003, 155. 612 LG Traunstein, StV 2001,391. 613 Pfeiffer/Höynck/Görgen, Ausweitung von DNA-Analysen auf Basis einer kriminologischen Ge- fährlichkeitsprognose, ZRP 2005, 113 (114); Wagner, Effektive Strafverfolgung durch DNA-Kartei für alle Straftaten, ZRP 2004, 14 (16). 165

I. Verfahrensrechtliche Bestimmungen

1. Verfahren bei Einwilligung des Beschuldigten und Belehrungsanforderungen, § 81g Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 81f Abs. 2 StPO

Einwilligung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die „freiwillige, ernstliche und in Kenntnis der Sachlage und des Weigerungsrechts erteilte ausdrück- liche Zustimmung des Rechtsgutsträgers zu einer bestimmten Rechtsgutsverlet- zung.“614 In Bezug auf eine Zellprobenahme als auch auf eine molekulargenetischen Untersuchung kann der Beschuldigte nach § 81g Abs. 3 S. 4 i.V.m. § 81f Abs. 2 StPO durch Einwilligung bei der Durchführung der Maßnahmen mitwirken. Vorausgesetzt ist dabei, dass der Beschuldigte einwilligungsfähig ist und umfassend in einer seiner Person angemessenen Weise über die Art der Zellprobenahme belehrt worden ist.615

Mit dem Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse hat der Gesetzge- ber eine anordnungsersetzende Einwilligung eingeführt.616 Daher ist zu beachten, dass die Einwilligung des Beschuldigten die richterliche Anordnung sowohl der Zellprobenahme als auch molekulargenetischen Untersuchung entbehrlich macht.617 Die Einwilligung muss schriftlich erteilt werden, um Zweifel darüber auszuräumen, ob der Betroffene tatsächlich eine Einwilligungserklärung abgegeben hat; zudem soll gewährleistet werden, dass er sich auch der Bedeutung seiner Entscheidung bewusst ist.618

In § 81g Abs. 3 S. 4 StPO gilt bei einer molekulargenetischen Untersuchung zusätz- lich eine erweiterte Belehrungspflicht.619 Die einwilligende Person ist darüber zu belehren, für welche Zwecke die zu erhebenden Daten verwendet werden. Im Fall des § 81g StPO ist eine Belehrung darüber erforderlich, dass das gewonnene

614 BGH, NJW 1964, 1177 (1177); Senge, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 81c Rdn. 8. 615 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 51; Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungs- gesetz und seine Probleme, S. 134. 616 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S.250. 617 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 51; Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungs- gesetz und seine Probleme, S. 134. 618 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 52. 619 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 74. 166

DNA-Profil zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren beim Bundeskri- minalamt gespeichert werden soll.620 Damit soll gewährleistet werden, dass der Be- troffene eine bewusste Entscheidung über die freiwillige Mitwirkung bei der DNA-Analyse erteilen kann.621 Darüber hinaus muss dem Betroffenen bekannt sein, dass er seine Mitwirkung verweigern darf.622 Eine Belehrung muss nicht unbedingt schriftlich erteilt werden, sollte aber dokumentiert werden, um eine ordnungsgemäße Belehrung nachzuweisen.623

2. Regelungen in Bezug auf die richterliche Anordnung

Für die USA ist die Erhebung der DNA-Zellprobe ohne richterliche Anordnung als zentrale Frage bezüglich der DNA-Analyse bereits behandelt worden.624 Das Gebot der richterlichen Anordnung aufgrund eines individualisierten hinreichenden Ver- dachtsgrunds (a judicial warrant based on individualized probable cause) im Sinne des vierten Verfassungszusatzes in den USA bezeichnet man im deutschen Recht als Richtervorbehalt. Im Grundgesetz sind die verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte, welche für das Strafprozessrecht relevant sind, in Art. 13 Abs. 2 hinsichtlich der Durchsuchung von Wohnräumen und Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hinsichtlich der

Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer von Freiheitsentziehungen aus- drücklich verankert.625 Sie sind eng an bestimmte Grundrechte, nämlich an das Grundrecht der Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 GG626 und der Unver-

620 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g, Rdn. 53. 621 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 66. 622 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 218. 623 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 78. 624 Dazu ausführlich unter § 5. 625 Herzog in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 92 Rdn. 40; Müller, Der strafprozessuale Ricbtervor- behalt, S. 114; Voßkuhle, Der präventive Richtervorbehalt : "Königsweg" für den präventiven Grund- rechtsschutz oder "rechtsstaatliches Trostpflaster"?, S. 443. 626 Dreier, in: Dreier/Schulze-Fielitz, GG, Art. 104 Rdn. 21; Schmahl, in Schmidt-Bleibtreu/Hoffmann/Hopfauf, GG, Art. 104 Rdn. 6; Müller, Der strafprozessuale Ricbtervor- behalt, S. 114. 167 letzlichkeit der Wohnung in Art. 13 GG627 gebunden. Der Richtervorbehalt als Insti- tut und Instrument des grundrechtsschützenden Verfassungsstaates hat im Gefüge des Grundgesetzes im Wesentlichen zwei Funktionen, auf die später noch eingegangen wird. Abgesehen von den verfassungsrechtlichen Richtervorbehalten findet sich der Richtervorbehalt verstreut in verschiedenen Bestimmungen der StPO. In Bezug auf die DNA-Analyse in künftigen Strafverfahren ist der Richtervorbehalt in § 81g Abs. 3 S. 2 StPO geregelt.

2.1. Die Funktion des Richtervorbehalts

Es gibt zwei Formen richterlicher Kontrolle: die nachträgliche Kontrolle durch ein Gericht und die vorbeugende Einschaltung des Richters im Rahmen des Strafverfah- rens durch Richtervorbehalte, anders formuliert, das „letzte Wort“ sowie auch das „erste Wort“.628 § 81 g Abs. 3 S. 2 StPO ist eine einfach-gesetzliche Vorschrift, in der zum Ausdruck gebracht wird, dass die Exekutive nur nach vorheriger Billigung eines Gerichts, nämlich durch eine richterliche Anordnung, eine Maßnahme vorneh- men darf.629 Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass die Richtervorbehalte „präventiven Rechtsschutz“ gegenüber der Exekutive gewährleis- ten sollten und das Individuum vor dem Missbrauch staatlicher Maßnahmen ge- schützt werden soll.630 Das BVerfG hat mehrfach in verschiedenen Zusammenhän- gen die Funktion des Richtervorbehalts dargelegt. „Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter auf Grund ihrer persönlichen und sachli- chen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz, die Rechte

627 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 309; Hoffmann, in Schmidt-Bleibtreu/Hoffmann/Hopfauf, GG, Art. 13 Rdn. 13ff.; Dreier, in: Dreier/Schulze-Fielitz, GG, Art. 13 Rdn. 31f. und 49ff. 628 Herzog in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 92 Rdn. 36ff; Voßkuhle, Der präventive Richtervor- behalt : "Königsweg" für den präventiven Grundrechtsschutz oder "rechtsstaatliches Trostpflaster"?, S. 443. 629 Herzog in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 92 Rdn. 36ff. 630 Lüdemann, Richtervorbehalte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, DÖV 1996, 872 (872). 168 der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können“.631

Kühlewein setzt nach einer ausführlichen Darstellung der unterschiedlichen Meinun- gen voraus, dass keine einzige Funktionstheorie in der Lage ist, den Zweck der Richtervorbehalte umfassend zu erklären.632 Deswegen werden außer der schon an- gesprochenen „präventiven Funktion“, die „gewaltenteilende Funktion“ und „geset- zeswahrende Funktion“ näher betrachtet.

2.1.1. Gewaltenteilende Funktion

Art. 20 Abs. 2 S. 2 und 92 GG haben die Begriffe "Gesetzgebung", "vollziehende Gewalt" und "Rechtsprechung", also drei Staatsfunktionen, vorgesehen und sie nach bestimmten Themenbereichen bzw. Sachinhalten der staatlichen Tätigkeit aufgeteilt und anschließend besonderen Organen zugeordnet.633 Historisch betrachtet lag ein gesetzgeberisches Motiv für die Schaffung der Richtervorbehalte vor, weil der Ge- setzgeber ein besonderes Misstrauen gegenüber der Exekutive hatte, dass sie durch willkürliche Handhabung exekutiver Eingriffsmaßnahmen wie insbesondere Durch- suchungen, Beschlagnahmen und Freiheitsentziehungen in die Rechte des Individu- ums eingreife.634

Der Richtervorbehalt durchbricht eigentlich das Gewaltenteilungsprinzip und bewirkt eine vorbeugende richterliche Mitwirkung, eine Kontrolle und Hemmung der exeku- tiven Eingriffsbefugnis durch die Verschiebung der Kompetenz auf den weisungsun-

631 BVerfGE 109, 279=NJW 2004, 999 (1014). 632 Die in seiner Arbeit dargestellten Funktionen sind präventive Rechtsschutzfunktion, Kompensati- onsfunktion, Gewaltteilungsfunktion und gesetzeswahrende Funktion. Vgl. Kühlewein, Der Richter- vorbehalt im Polizei - und Strafprozessrecht, S. 410-416. 633 Herzog in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rdn. 66ff. 634 Es ist nicht umstritten, dass § 81a StPO in diesen Fällen auch die gesetzliche Grundlage für die Verbringung des Beschuldigten zu einem Arzt oder zu einer Polizeiwache, auf der die Blutprobe ent- nommen werden soll, bildet, zumal auch die Blutentnahme selbst mit einer kurzfristigen Beeinträch- tigung der Freiheit des Beschuldigten verbunden ist. Deshalb ist eine vorübergehende Einschränkung der Freiheit dem § 81a StPO immanent. Jedoch ist es keine freiheitsentziehenden Maßnahme, die schon wegen der Regelung in Artikel 104 Absatz 2 GG unter einem Richtervorbehalt steht, sondern eine freiheitsbeschränkende Maßnahme (z.B. vorübergehende Verbringung zur Polizeiwache); vgl. Blum, Neue Fragen zum Richtervorbehalt bei der Entnahme einer Blutprobe, SVR 2009, 172 (172). 169 abhängigen Richter.635 Dadurch wird die Verantwortung der Exekutive für die Ein- griffsmaßnahme auf den Richter verlagert. Daher tragen sowohl die Judikative als auch die Exekutive die Gesamtverantwortung für die Anordnung des strafprozessua- len Grundrechtseingriffs.636 Eine gute Illustration des „Vier Augen-Prinzips“.637

Kühlewein hat darauf hingewiesen, dass der vielfach verwendete Begriff „richterliche Kontrolle“ bei der Betrachtung der Richtervorbehalte irreführend ist, weil noch keine exekutive Tätigkeit vorliegt, wenn der Richter die Anordnungsentscheidung trifft, „[…]der Richter schlägt hier lediglich die Pflöcke ein, in deren Rahmen sich die Exekutive zukünftig bewegen muss.“638 Diese Kompetenzverlagerung wirkt dabei auf die Exekutive hemmend, nicht kontrollierend.

2.1.2. Gesetzeswahrende und grundrechtssichernde Funktion

Das Bundesverfassungsgericht und ein Teil der Literatur gehen schließlich davon aus, dass es Zweck der Richtervorbehalte sei, dass der Eingriff in die subjektiven Rechte des Betroffenen unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen erfolge. Voßkuhle ist ebenfalls der Auffassung, dass dies eine Funktion der Grundrechtssicherung durch Verfahren ist.639 Sie berufen sich zuerst auf die Unabhängigkeit und die strikte Ge- setzesunterwerfung nach Art. 97 Abs. 1 GG.640 Anders als Staatsanwaltschaft und Ermittlungsperson hat der Richter kein unmittelbares Interesse an der Durchführung einer Maßnahme im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, und er entscheidet frei

635 Lisken/Mokros, Zu Richter- und Behördenleitervorbehalten im Polizeirecht, NVwZ 1991, 610 (612); Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, S. 414; Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 61. 636 Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, S. 420; Brüning, Der Rich- tervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 112. 637 Paeffgen, Amtsträgerbegriff und die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, NJ 1996, 454 (460); Voßkuhle, Der präventive Richtervorbehalt : "Königsweg" für den präventiven Grundrechts- schutz oder "rechtsstaatliches Trostpflaster"?, S. 445. 638 Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, S. 429. 639 Voßkuhle, Der präventive Richtervorbehalt : "Königsweg" für den präventiven Grundrechtsschutz oder "rechtsstaatliches Trostpflaster"?, S. 445. 640 Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 112. 170 von Weisungen als unbeteiligter Dritter und somit als neutrale Instanz.641 Deswegen wird der Richter als besonders vertrauenswürdige Person angesehen. Zum anderen ist der Richter wegen seiner juristischen Ausbildung am besten geeignet, Eingriffe in die Rechte des Betroffenen in den Grenzen des Gesetzes zu halten.642 Bei Staatsanwalt- schaft und Polizei wird allerdings, trotz ihrer strikten Bindung an das Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG, auf Grund ihres Auftrages, eine Maßnahme gegen einen Verdäch- tigen durchzuführen, der Anschein der Parteilichkeit erweckt.643

2.2. Die Ausnahmekompetenzen (Gefahr im Verzug)

Der Gesetzgeber ist zum Schutz der Bürger verfassungsrechtlich verpflichtet, be- stimmte einfach-gesetzliche strafprozessuale Eingriffsbefugnisse mit Richtervorbe- halten auszugestalten. Allerdings verlangt der Rechtsstaat gem. Art. 20 GG auch eine funktionsfähige und effektive Strafrechtspflege. 644 Die bisherige Geschichte der Richtervorbehalte zeigt überwiegend eine Geschichte ihrer Einschränkungen zu- gunsten der Exekutive.645 Eine der Ausnahmekompetenzen ergibt sich aufgrund der vielfach vorgesehenen exekutiven Eilzuständigkeit bei Gefahr im Verzug. Bei der Maßnahme der Zellprobenahme schreibt der Gesetzgeber der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen ebenfalls eine Eilkompetenz zu, um den Erfolg der Maß- nahme sicherzustellen, dass sich der Betroffene, in dessen Person die Voraussetzun- gen für eine freiheitsentziehende Maßnahme nicht vorliegen, der Entnahme von Zellproben entzieht, bevor ein richterlicher Beschluss eingeholt werden kann.646 Sofern der Beschuldigte nicht zwangsläufig in persona zu Verfügung gehalten wer-

641 Ostendorf/Heribert/Brüning, Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug” - BVerfG, JuS 2001, 1063 (1065). 642 BVerfGE 103, 142= NJW 2001, 1121 (1122); BVerfGE 87, 68 (85); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 97 Rdn. 14; Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 112; Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, S. 417. 643 Ostendorf/Heribert/Brüning, Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug” - BVerfG, JuS 2001, 1063 (1065). 644 BGHSt 42, 139 = NJW 1996, 2940 (2945); Landau, Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funk- tionstüchtigen Strafrechtspflege, NStZ 2007, 128f.. 645 Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei - und Strafprozessrecht, S. 441. 646 BT-Drs. 15/5674, S. 12. 171 den kann, kann in den Fällen mit den Zellprobenahmen nicht mehr gewartet werden, ohne den Erfolg der Maßnahme zu gefährden.647

Eine statistische Angabe der exekutiven Anordnungsquote bei der Entnahme der DNA-Zellprobe in der Praxis gibt es zwar nicht, doch zeigen die empirischen Daten eine sehr hohe Quote bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen (über 90%) und bei Blutproben sogar fast 100%.648 Hier drängt sich die Frage auf, ob eine bestehende Eilkompetenz den Richtervorbehalt in diesem Fall generell leerlaufen lässt.

2.2.1. Der Grund der Eilkompetenz generell

In der Literatur wird teilweise davon gesprochen, dass der Staatsanwalt als sog. „Notrichter“649 fungiere, wenn er die unter einem Richtervorbehalt stehenden straf- prozessualen Grundrechtseingriffe bei Gefahr im Verzug anordnet. Dabei liegt Ge- fahr im Verzug immer dann vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen An- ordnung den Erfolg der jeweiligen strafprozessualen Maßnahme vereiteln könnte.650 Manchmal kann die Gefahr einer Verdunkelung bzw. Veränderung eines kurzfristig ermittelten Zustandes ebenfalls eine Rolle spielen, z.B. zeitliche Verzögerungen durch den körpereigenen Alkoholabbau bei der Blutprobe in den Fällen der Trun- kenheit im Verkehr,651 Zufallsfunde bei Beschlagnahmen, Aufgriffe auf frischer Tat bei Durchsuchungen im Rahmen von Eigentumsdelikten. Zusammenfassend soll die Ausnahmekompetenz die Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzen, die Ge- fahr eines Beweismittelverlustes abzuwenden.

Festzustellen ist, dass bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft nach den entsprechenden Vorschriften zur Anordnung der entsprechenden Grundrechtseingrif- fe befugt ist, z.B. noch §§ 81a Abs. 2, 98 Abs. 1, 98b Abs. 1 S. 1, 100 Abs. I, 105 Abs.

647 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 24; BVerfGE 51, 97 (106). 648 Einmahl, Gefahr im Verzug und Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen, NJW 2001, 1393 (1393); Krumm, Richtervorbehalt bei der Blutprobe: Weg damit!, ZRP 2009, 71 (71). 649 Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung: zur organisations- rechtlichen Funktion des Begriffs 'Gefahr im Verzug' im Strafverfahrensrecht, S. 69. 650 BVerfGE 51, 97 = NJW 1979, 1539 (1540), BVerfGE 103, 142= NJW 2001, 1121 (1124). 651 BVerfG, NJW 2007 1345. 172

1, 163d Abs. 2 S. 1 StPO. Danach eröffnet das Vorliegen von Gefahr im Verzug den nichtrichterlichen Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, selbständige und ab- schließende Entscheidungen zu treffen.

2.2.2. Der Begriff „Gefahr im Verzug“ und gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzungen von Gefahr im Verzug

Wenn man die Frage beantworten will, in welchem Umfang die Gerichte die An- nahme von Gefahr im Verzug überprüfen können, ist zunächst festzustellen, was un- ter dem Begriff „Gefahr im Verzug“ zu verstehen ist. Gefahr im Verzug bedeutet Ge- fährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung.652 Als Voraussetzung auf der Tatbestandsseite eröffnet das Vorliegen von Gefahr im Verzug den nichtrichterli- chen Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, strafprozessuale Grundrechtsein- griffe im eigenen Namen anzuordnen.653

Das BVerfG und der inzwischen überwiegende Teil im Schrifttum sind der Meinung, dass der Begriff "Gefahr im Verzug" eng auszulegen sei.654 Liegt Gefahr im Verzug vor, verliert der Betroffene sein subjektiv-öffentliches Recht auf richterliche Anord- nung und eine vorbeugende richterliche Mitwirkung.655 Das BVerfG hat durch sein Urteil vom 20. 2. 2001 die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen nichtrichterlich ange- ordnete Durchsuchungen gem. Art. 13 GG, § 102 ff. StPO gestärkt und erklärt, dass die Entscheidung über die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug der nichtrichterli- chen Strafverfolgungsorgane einer unbeschränkten gerichtlichen Kontrolle unter- liegt.656 Dadurch wurde die Frage beantwortet, in welchem Umfang die Feststellung der Strafverfolgungsorgane, Gefahr im Verzug liege vor, im Rahmen einer Be-

652 Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung: zur organisations- rechtlichen Funktion des Begriffs 'Gefahr im Verzug' im Strafverfahrensrecht, S. 108; Peglau, Rich- tervorbehalt bei Blutprobenentnahme – Anforderungen des BVerfG, NJW 2010, 2850 (2851). 653 Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung: zur organisations- rechtlichen Funktion des Begriffs 'Gefahr im Verzug' im Strafverfahrensrecht, S. 108. 654 BVerfGE 103, 142= NJW 2001, 1121; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 309. 655 Nelles, Kompetenzen und Ausnahmekompetenzen in der Strafprozessordnung: zur organisations- rechtlichen Funktion des Begriffs 'Gefahr im Verzug' im Strafverfahrensrecht, S. 57. 656 BVerfGE 103, 142=NJW 2001,1121; Ostendorf/Brüning, Die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzungen von „Gefahr im Verzug” - BVerfG, JuS 2001, 1063 (1063). 173 schwerde gerichtlich überprüfbar ist.

2.3. In Bezug auf die Notwendigkeit des Richtervorbehalts in § 81g Abs. 3 S. 2 StPO

§ 81g Abs. 3 S. 2 StPO ist Rechtsgrundlage für Anordnung der Entnahme von Zell- proben eines Beschuldigten und der sich daran anschließenden Erstellung eines DNA-Profils. Allerdings ist zwischen der Anordnung der Zellprobenahme und der Anordnung der Durchführung der molekulargenetischen Untersuchung zu differen- zieren: Die Anordnungskompetenz für die Entnahme der Zellproben richtet sich nach § 81a Abs. 2 bzw. § 81c Abs. 5 StPO.657 Danach ist grundsätzlich der Richter an- ordnungsbefugt. Liegt Gefahr im Verzug vor, dürfen jedoch auch die Staatsanwalt- schaft und deren Ermittlungspersonen die Untersuchung anordnen. Jedoch unterliegt die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung dem ausschließlichen Rich- tervorbehalt des § 81g Abs. 3 S. 2 StPO. Der Richter muss seine Entscheidung schriftlich gem. § 81g Abs. 3 StPO begründen.658 Trotz unterschiedlicher Anord- nungsvoraussetzungen bilden beide Maßnahmen - Zellprobenahme und die moleku- largenetische Untersuchung - eine einheitliche Untersuchungshandlung im Rechts- sinne.659 Der Richtervorbehalt gewährleistet ein Instrument zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs.

Die Entscheidung der nichtrichterlichen Strafverfolgungsorgane über die Vorausset- zungen von Gefahr im Verzug i.S.d § 81g StPO unterliegt nach h.M. einer unbe- schränkten gerichtlichen Kontrolle. Die Konsequenz der fehlerhaften Annahme von Gefahr im Verzug durch die StA oder eine ihrer Ermittlungspersonen und der Miss- achtung des Richtervorbehalts i.S.d. § 81g Abs. 3 StPO wird im Folgenden behandelt.

3. Begründung der Anordnung

Eine weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrung zur Sicherung der Rechte des

657 Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 61. 658 BT-Drs. 13/10791, S. 5. 659 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S. 79. 174

Beschuldigten ist in § 81g Abs. 3 S. 4 und 5 festgelegt. Demzufolge muss die Unter- suchungsanordnung bei § 81g sich in Form und Inhalt nach den dortigen Maßgaben, z.B. Schriftlichkeit, Bestimmung des Sachverständigen, richten. Im Folgenden wird die Anforderung an die Begründung der Anordnung näher betrachtet.660

Die Anforderungen, die an die Begründung eines Beschlusses über die Anordnung der DNA-Identitätsfeststellung zu stellen sind, werden in § 81g Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 3 StPO festgelegt. Verlangt wird zunächst, die Erheblichkeit der die Straftat bestim- menden Umstände (Nr. 1), dann die Erkenntnisse, aufgrund derer die Erwartung be- steht, dass gegen den Beschuldigten künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden (Nr. 2) und schließlich die Abwägung der jeweils maßgeblichen Umstände (Nr. 3) einzelfallbezogen darzulegen. Dies ist eine Spezifizierung der vom BVerfG aufgestellten Anforderung an die Begründung der gerichtlichen Anordnung.661

In Kammerbeschlüssen hielt das BVerfG eine Anordnungsbegründung für nicht aus- reichend, wenn diese lediglich aus „formelhaften Zügen“ besteht oder als eine bloße Wiedergabe des Gesetzwortlautes erstellt worden ist.662 Eine richterliche Anordnung muss mit einer tragfähigen Begründung versehen sein, der eine aus allen Umständen des Einzelfalls bestehende Darlegung aller Erkenntnisse, aus denen die sog. Nega- tivprognose abgeleitet wird, zugrunde liegt.663 Eine unzureichende Begründung ver- letzt den verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.664 Beispielhaft nennt das Gericht die Annahme "minder schwe- rer Fälle" oder die Strafaussetzung zur Bewährung. Es genügt auch nicht, wenn die Kriterien lediglich abstrakt genannt werden, sondern es erfordert vielmehr eine Erör- terung, warum diese Merkmale im konkreten Einzelfall in Betracht kommen und

660 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 56; Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 31. 661 BVerfG NJW 2001, 2321. 662 BVerfG NJW 2001, 2321 (2323); NJW 2001, 879 (882). 663 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 200. 664 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 131f. 175 bejaht werden.665 In gleichem Maße ist auch die Anordnung unter Berücksichtigung der zu den gesetzlich genannten Prognosekriterien der „Art und Ausführung der Tat“, der „Persönlichkeit des Beschuldigten“ sowie der „sonstigen Erkenntnisse“ entwi- ckelten Grundsätze in Bezug zu nehmen.666

Das BVerfG hob alle Beschlüsse der Amtsgerichte und der höheren Instanzen auf, weil durch sie die Bf. in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt wurden.667

4. Beweisverwertungsverbot als prozessuale Rechtsfolge beim Verstoß gegen die strafprozessuale Voraussetzung des 81g StPO?

4.1. Beweisverwertungsverbot allgemein

Beweisverwertungsverbot bedeutet, dass bestimmte ermittelte Tatsachen von Rich- tern nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht wer- den dürfen.668 Es schließt die Berücksichtigung bestimmter Beweisergebnisse und Sachverhalte aus, und der Richter muss derartige Kenntnisse gleichsam „ausblen- den“.669

Dieses kann ausdrücklich gesetzlich normiert sein, z.B. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO und § 51 BZRG. Wenn das Gebot nicht gesetzlich vorgesehen ist, hat die fehlerhafte Be- weiserhebung nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot zur Folge.670 Es bedarf nach der von der Rechtsprechung vertretenen Abwägungslehre einer Einzelprüfung, die hierbei zwei Fallgruppen von Verfahrensfehlern unterscheidet: Wiegt die Beein-

665 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 200. 666 Dazu ausführlich unter § 8, II, 3. 667 BVerfG NJW 2001, 2321 (2322). 668 BGHSt 31, 296; 31, 304; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, Einleitung, Rdn. 55; Pfeiffer/Hannich, KK, Einleitung, Rdn. 120ff. 669 Eisenberg, StPO, Erster Teil: Beweisgrundsätze, Beweisantrag, Beweisverbote, Rdn 109. 670 BGHSt 19, 325 (331); BGHSt 44, 243 (249); OLG Frankfurt, NJW 1997, 2964; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, Einleitung, Rdn. 55; Senge, in: KK, § 81c Rdn. 8; Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 66. 176 trächtigung individueller Rechtsgüter so schwer, dass „dadurch das Ermittlungsver- fahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird“, muss ein Verwertungsverbot greifen,671 z.B. polizeiliche Anord- nung bei der Telefonüberwachung, weil den handelnden polizeilichen Ermittlungs- personen i.S.d. § 152 Abs. 2 GVG keine Ausnahmekompetenz zur Anordnung einer Telefonüberwachung nach § 100b StPO gestattet und die Anordnung durch die Polizei also verboten war. 672 Die zweite Fallgruppe sieht der Senat in „Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweili- gen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind“;673 in diesem Fall sind Beweismittel ebenfalls unverwertbar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Richter unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßig- keitsgrundsatzes das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individua- linteresse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abwägen muss, ob der Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot ein Verwertungsverbot nach sich zieht.674

Diese Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Individualinteresse soll im Folgenden durchgeführt werden. 675

4.2. Exkurs: Beweisverwertungsverbote bei der Entnahme der Zellprobe und molekulargenetischer Untersuchung im anhängigen Verfahren

671 BGHSt 31, 304 (Vernehmung; Verwertungsverbot); BGHSt 34, 39 (Vernehmung; Heimliche Tonbandaufnahme); BGHSt 31, 296 (FM-Überwachung; Verwertung); BGHSt 42, 372 (Technische Maßnahmen; Einsatz in Wohnungen; Vereinsbüro); BGHSt 50, 206 (Wohnraumüberwachung; Selbstgespräch; Krankenzimmer). 672 BGHSt 31, 304= NJW 1983, 1570 (1570). 673 BGHSt 31, 304 = NJW 1983, 1570 (1571). 674 BGHSt 44, 243 (249); Meyer-Goßner, StPO Kommentar, Einleitung, Rdn. 55; Senge, in KK StPO, Einleitung, Rdn. 27; Röger, Die Verwertbarkeit des Beweismittels nach § 81 a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung, S. 88. 675 Hier wird nur die Abwägungslehre in Betracht gezogen. Ausführlicher zur strengen Beweisverbotslehre, der Rechtskreistheorie und der Schutzzwecktheorie in Janicki, Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess, S. 61ff.; Talaska, Der Richtervorbehalt: Ein sinnvolles Element des Grundrechtsschutzes?, S. 229ff.; Röger, Die Verwertbarkeit des Beweismittels nach § 81 a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung, S. 81ff. 177

Nach § 81a Abs. 1 StPO dürfen eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten und die Entnahme von Blutproben und andere körperliche Eingriffe zur Feststellung von Tatsachen in einem konkreten Strafverfahren vorgenommen werden, wenn diese für das Verfahren von Bedeutung sind. Angeordnet muss die Untersuchung dann werden, wenn der Beschuldigte in die Untersuchung nicht einwilligt; die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu. § 81c Abs. 1 StPO gestattet die körperliche Untersuchung und die Blutentnahme von Personen, die als Zeugen in Betracht kommen. Anschließend darf das nach §§ 81a Abs. 1 und § 81c Abs. 1 StPO erlangte Material in einem konkreten Strafverfahren gemäß § 81e StPO molekulargenetisch untersucht werden, soweit es zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzten stammt, erforderlich ist.

Darüber, ob ein Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot der §§ 81a, 81c und 81e StPO zu einem Beweisverwertungsverbot führt, bestehen heute weitgehend einheit- liche Vorstellungen.676 Im Sinne einer Faustregel lässt sich formulieren, dass ein Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot der o.g. Vorschriften nicht zwangsläufig zu einem Beweisverwertungsverbot führt.677 Das heißt, dass die rechtswidrig er- langten Beweismittel oder Beweisergebnisse regelmäßig verwertbar sind,678 es sei denn, die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensver- stöße gegen das Gesetz oder gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens wurden

676 BGHSt 24, 125, 128; Krause, in Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, § 81a Rdn. 93; Paulus, in Müller/Sax/Paulus, Kommentar zur Strafprozessordnung, Rdn. 61; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81a Rdn. 83 und § 81e Rdn. 9; Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14 und § 81e Rdn. 7; Röger, Die Verwertbarkeit des Beweismittels nach § 81a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung, S. 91ff. 677 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81a Rdn. 83 und § 81e Rdn. 9; Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14 und § 81e Rdn. 7. 678 BGHSt 24, 125, 128; Krause, in Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Rdn. 93; Paulus, KMR, Rdn. 61; Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14 und § 81e Rdn. 7. 178 bewusst oder willkürlich begangen,679 beispielsweise durch die bewusste Täuschung des Beschuldigten über die Arzteigenschaft des beigezogenen Sachverständigen.680

4.2.1. Beweisverwertungsverbot bei fehlender Einwilligung und Belehrung

Ob ein durch unwirksame Einwilligung und unterlassene Belehrung bei der Entnahme der Zellprobe und molekulargenetischer Untersuchung erlangtes Beweismittel in diesen Fällen verwertbar ist, ist nach der „Abwägungslehre“ zu ermitteln. Einerseits sind „das Gewicht des Verfahrensverstoßes und die Bedeutung der Verfahrensvor- schrift für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen“681 zu berücksichtigen. Andererseits ist zu beachten, dass das Interesse des Staates an Wahrheitserforschung und die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht beeinträchtigt werden. 682 Nach der h.M. begründen die unwirksame Einwilligung und die unterlassene Beleh- rung des Beschuldigten über die Freiwilligkeit der Mitwirkung kein Verwertungs- verbot,683 weil weder ein bedeutender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen noch ein Verstoß gegen die Menschenwürde vorliegt.684

4.2.2. Beweisverwertungsverbot aufgrund der Missachtung des Richtervorbe- halts i.S.d. §§ 81a, § 81c und § 81e StPO

679 OLG, Hamm NJW 1967, 1524. 680 OLG, Hamm NJW 1967, 1089 (1090); BGHSt NJW 1971, 1097; Wedemeyer, Verwertbarkeit einer durch einen Medizinalassistenten entnommenen Blutprobe, NJW 1971, 1902 (1903); Krause, in Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, § 81a Rdn. 97; Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81a Rdn. 84. 681 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 79. 682 BGHSt 42, 139=NJW 1996, 2940 (2945), Landau, Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, NStZ 2007, 128f.. 683 OLG, Hamm NJW 1967, 1524 (1525); Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81a Rdn. 88; Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 8; Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 32; Röger, Die Verwertbarkeit des Beweismittels nach § 81 a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung, S. 105. 684 OLG Hamm NJW 1967, 1524 (1525); Röger, Die Verwertbarkeit des Beweismittels nach § 81 a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung, S. 107; krit. Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81a Rdn. 88. 179

Unter der Missachtung des Richtervorbehalts erlangte Beweismittel haben grund- sätzlich nicht ihre Unverwertbarkeit zur Folge.685 Das ist nur dann der Fall, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend sind oder bewusst oder willkürlich begangen wurden.686 Die Ent- scheidung des BGH aus dem Jahr 2007 hat dies wieder bestätigt,687 in der der Verstoß wegen bewusster Missachtung - bzw. gleichgewichtig grober Verkennung des Rich- tervorbehalts im Zusammenhang mit einer Durchsuchung zu einem Beweisverwer- tungsverbot führte.688

Es stellt sich damit die Frage, ob diese Entscheidungsgrundsätze, die insb. im Zu- sammenhang mit einer Durchsuchung entwickelt wurden, auch auf andere Richter- vorbehalte der Strafprozessordnung beispielsweise bei der Blutentnahme und mole- kulargenetischer Untersuchung übertragbar sind. Es gibt die Auffassung, dass dieses Prinzip bei anderen Eingriffen nicht geltend gemacht werden dürfe: die Besonderheit in dem der BGH-Entscheidung in Bezug auf eine Durchsuchung zugrunde liegenden Fall sei darin zu sehen, dass die Entscheidung zu einer strafprozessualen Maßnahme ergangen sei, die nicht nur einfachgesetzlich in § 105 Abs. I StPO, sondern auch durch Art. 13 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geregelt sei. Im Gegensatz dazu beruhe der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO lediglich auf einer einfachgesetzlichen Rege- lung. Außerdem habe der Verfassungsgeber durch die Regelung in Art. 13 Abs. 2 GG zum Ausdruck gebracht, dass er Eingriffe in Grundrechte abgestuft schützen wolle. Deswegen dürfe das Urteil nicht auf Blutentnahmen und andere körperliche Eingriffe übertragen werden, weil Art. 13 GG vom Bundesverfassungsgericht als besonders hochrangiges Grundrecht angesehen werde - ein „grundsätzliches Gebot unbedingter Achtung der Privatsphäre des Bürgers“.689 Jedem Einzelnen müsse das Recht zuge-

685 Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14. 686 BVerfG NJW 2005, 1917 (1923), NJW 2006, 2684 (2686); BGHSt NStZ 2007, 601 (603), NJW 1995, 1974 (1974), NJW 2003, 368; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238. 687 BGHSt 51, 285=NJW 2007, 2269 (2271). 688 BGHSt 51, 285=NJW 2007, 2269 (2271). 689 BVerfGE 51, 97 (107). 180 billigt werden, in seinem „elementaren Lebensraum“690 „in Ruhe gelassen zu wer- den“.691

Dieser Argumentation kann allerdings nicht gefolgt werden, weil der Begründung der Entscheidung des Senats nicht zu entnehmen ist, dass das Rechtsgut des Bürgers durch die unbefugte Durchsuchung massiv beeinträchtigt wird. Hingegen stellt der Senat ausdrücklich klar, dass die Verletzung des Richtervorbehalts aus objektiver Sicht geringeres Gewicht hat.692 Wie oben bereits geschildert, geht der Senat davon aus, dass die Missachtung des Richtervorbehalts bei der Durchsuchung eine schwerwie- gende Rechtsverletzung ist, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verlet- zungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt ist.693 Vielmehr ent- stünde sogar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne den Richter effizienter zu gestal- ten.694

„Die Sorge um einen Effektivitätsverlust wird vorliegend (…) schon deshalb relati- viert, weil bei der Duldung eines bewussten oder gleichgewichtig schweren Rechts- bruchs durch Ermittlungsbeamte ein Ansehensverlust des rechtsstaatlichen Ermitt- lungsverfahrens bei der rechtstreuen Bevölkerung zu befürchten wäre, den es zu ver- hindern gilt und der seinerseits etwa durch verändertes Anzeige- oder Aussagever- halten infolge schwindenden Vertrauens in die Lauterkeit der Ermittlungsorgane zu Effektivitätsverlusten führen könnte.“695

Die Entscheidung ist zu einer reinen strafprozessualen Maßnahme ergangen und die Arten der Grundrechte, welche die unbefugte Maßnahme beeinträchtigt, spielen keine Rolle. Daher kann man davon ausgehen, dass eine bewusste Missachtung oder eine grobe Verkennung der Voraussetzungen des für die Blutentnahme und molekularge-

690 BVerfGE 51, 97 (110). 691 BVerfGE 27, 1 (6). 692 Roxin, BGH: Anwesenheit von Fernsehen und Rundfunk, Durchsuchung ohne richterliche An- ordnung, NStZ 1989, 376 (379). 693 BGHSt 51, 285=NJW 2007, 2269 (2269). 694 Roxin, Nemotenetur: die Rechtsprechung am Scheideweg, NStZ 1995, 465 (467 f.). 695 BGHSt 51, 285=NJW 2007, 2269 (2271). 181 netische Untersuchung bestehenden Richtervorbehalts rechtswidrig ist. Das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, ist für das Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass der zuständige Staatsanwalt oder dessen Ermittlungspersonen den Richtervorbehalt nicht ignorieren bzw. objektiv willkürlich handeln können.696 In diesem Sinne ist festzuhalten, dass bewusste Rechtsverletzungen durch staatliche Organe im Bereich des § 81a StPO zu einem Verwertungsverbot führen müssen. Abgesehen davon be- gründet eine unzutreffende Annahme von Gefahr im Verzug durch die StA oder eine ihrer Ermittlungspersonen bei der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe oder molekulargenetischen Untersuchung im Regelfall kein Beweisverwertungsverbot.697

4.3. Beweisverwertungsverbote bei der DNA-Analyse als erkennungsdienstliche Standardmaßnahme

In Bezug auf die Maßnahme des § 81g StPO als erkennungsdienstliche Standard- maßnahme ist der Grundsatz des Beweisverwertungsverbots nicht anwendbar, weil die Maßnahme nicht der Beweisführung in der anhängigen Strafsache dient, sondern auf die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung abzielt.698 Es hat mit der Erhebung des Beweismittels nichts zu tun. Daher spielt das Beweisverwertungsverbot als eine Sanktion bei der Erhebung der DNA-Zellprobe kaum eine Rolle. Ob die von den rechtswidrig erlangten DNA-Zellproben gewonnenen DNA-Profile in die Datenbank eingetragen werden dürfen, wird im folgenden Abschnitt, nämlich bei den daten- schutzrechtlichen Bestimmungen behandelt.699

II. Datenschutzrechtliche Bestimmungen: Vernichtung der dem Beschuldigten entnommenen Zellproben und Löschung der DNA- Profile

Nach § 81g Abs. 2 S. 1 StPO werden die entnommenen Zellproben nur für die in Absatz 1 genannte molekulargenetische Untersuchung verwendet, die nach der

696 Brüning, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des BGH vom 18. April 2007 (5 StR 546/06 = BGH HRRS 2007 Nr. 463), HRRS 6/2007, S. 252. 697 Senge, in: KK, § 81a Rdn. 14. 698 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 48. 699 Dazu ausführlich unter § 9, II, 2.1. 182 zweckgebundenen Untersuchung (Abs. 2 S. 2) unverzüglich zu vernichten sind, so- bald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind. Nach § 81g Abs. 5 S. 1 StPO dürfen die erhobenen Daten beim BKA gespeichert werden.

1. Die Vernichtung der dem Beschuldigten entnommenen Zellproben

Die Regelungen über die Verwendung und Vernichtung der dem Beschuldigten ent- nommenen Zellproben sind im deutschen Kontext knapp und klar. Die entnommenen Zellproben sind nach § 81g Abs. 2 S. 1 StPO unverzüglich zu vernichten. Unverzüg- lich bedeutet, dass die Vernichtung sofort nach der Feststellung zu erfolgen hat, dass das Material nicht mehr benötigt wird.700 Nach § 81g Abs. 2 S. 1 StPO ist die Ver- wendung der entnommenen Zellproben nur für die in Absatz 1 genannte molekular- genetische Untersuchung erlaubt, nämlich für den Zweck der Feststellung des gene- tischen Fingerabdrucks und des Geschlechts. Die weiteren DNA-Analysen, vor allem im kodierenden Bereich, sind daher ausgeschlossen.701

Diese Vernichtung bezieht sich auf das gesamte entnommene Probematerial und die im Verlauf einer Untersuchung entnommenen Blutproben oder sonstigen Körper- bzw. Gewebezellen, die angefallenen Zwischenprodukte und aufbereitetes Probema- terial.702 Der Grund für die Vernichtung liegt darin, dass die zu einem späteren Zeit- punkt möglichen Missbräuche hermit verhindert werden können.703 Die Staatsan- waltschaft muss aufgrund ihrer Leitungsbefugnis die Vernichtung überwachen und soll in wichtigen Fällen von ihrem Aufsichtsrecht Gebrauch machen.704

Im Gegensatz zu den USA705 und Großbritannien706 ist es nach geltendem deut- schem Recht deshalb nicht möglich, das von einem Beschuldigten entnommene Un-

700 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 39. 701 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Ana- lyse, S.77; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 61. 702 BT-Drs. 13/10791, S. 5; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 13. 703 BT-Drs. 13/10791, S. 5; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 61. 704 BT-Drs. 13/667, S. 5; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine ver- fassungsrechtliche Analyse, S.77; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 61. 705 Dazu ausführlich unter § 4, III, 1. 706 Dazu ausführlich unter § 1, IV. 183 tersuchungsmaterial für eine spätere Nachuntersuchung einzulagern.707

2. Löschung der DNA- Profile, § 81g Abs. 5 StPO

Anders als bei den Vernichtungsregelungen bezüglich der Zellproben dürfen die DNA-Profil dagegen nach den Vorschriften des BKAG beim Bundeskriminalamt gespeichert und verwendet werden. Die Daten aus einem im Rahmen des Erhe- bungsverfahrens gewonnenen DNA-Profil können grundsätzlich beliebig lange auf- bewahrt werden,708 auch noch nach dem Tod des Beschuldigten; dadurch können Unschuldige mittels möglicherweise später aufgefundener Spuren entlastet wer- den.709 Der bundeseinheitlich verwendete standardisierte Meldebogen enthält neben den Daten zur Person noch die Vorgangs-, Verwaltungs- und Erfassungsdaten, sowie die Deliktsbezeichnung der jeweiligen Anlasstat.710

Nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 5 S. 2 Nr. 5 BDSG ist Löschen „das Unkennt- lichmachung gespeicherter personenbezogener Daten“. Eine bloße Kennzeichnung als „gelöscht“ bzw. die Aufforderung „nicht mehr verwenden“ reicht hier nicht, weil eine weitere Kenntnisnahme von diesen Daten weiterhin möglich ist.711 § 81g Abs. 5 StPO verweist bezüglich der Löschung von DNA-Daten auf § 32 BKAG.712 Das Bundeskriminalamt prüft nach § 32 Abs. 1 S. 1 BKAG bei einer Einzelfallbearbeitung und turnusgemäßen Überprüfung713 in der Errichtungsanordnung (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 BKAG), ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder wegen Wegfalls des Tatverdachts zu löschen sind.

707 Neuser, Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren, S. 204. 708 Joecks, Studienkommentar StPO, § 81g Rdn. 11; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 12. 709 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 13. 710 Schneider, Bäumler-Polizei und Datenschutz, S. 222. 711 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30. 712 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 13. 713 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30. 184

2.1. Aussonderungsprüffrist im Sinne von §§ 32 Abs. 3 und § 34 Abs. 1 Nr. 8 BKAG

Für die Löschung entscheidend sind die Aussonderungsprüffristen, die gemäß §§ 32 Abs. 3 und 34 Abs. 1 Nr. 8 BKAG bei Erwachsenen zehn Jahre und bei Jugendlichen fünf Jahre nicht überschreiten, wobei nach dem Zweck der Speicherung und nach Art und Schwere der Straftat zu unterscheiden ist. Bei den Fristen handelt es sich um Höchstfristen, die aber unterschritten werden dürfen.714 Nach § 32 Abs. 5 BKAG beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das letzte Ereignis eingetreten ist, das zur Speicherung der Daten geführt hat. Deswegen ist hier von der Anlasstat keine Rede, sondern es geht entweder um die richterliche Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung der Zellproben oder die schriftliche Einwilligung des Beschuldigten oder gleichgestellter Personen, die nach der Tatbegehung erfolgt und die unmittelbare Ursache der Speicherung ist.715

Nach Ablauf der Frist und bei jeder Einzelfallbearbeitung ist zu prüfen, ob die Ge- fahrenprognose gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 1 BKAG weiterhin bestätigt wird.716 Eine Speicherung über die Aussonderungsprüffrist nach § 32 Abs. 3 BKAG hinaus ist nach § 32 Abs. 5 S. 2 BKAG zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass wegen Art und Ausführung der Tat, die der Betroffene begangen hat oder deren er verdächtigt war, die Gefahr der Wiederholung besteht oder die Aufbewahrung der Unterlagen aus anderen schwerwiegenden Gründen717 zur Aufgabenerfüllung wei-

714 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30; Busch, Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei, NJW 2002, 1754 (1758); Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 87. 715 Busch, Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei, NJW 2002, 1754 (1758). 716 Bergmann/Hornung, Die DNA- Analyse nach den Änderungen der Strafprozessordnung – Speicherung bis auf Widerruf?, StV 2007, 164 (168). 717 Eine Entscheidungshilfe fand sich in den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen vom 26. 2. 1981 (KpSRL), wenn der Personenkreis Gewalttäter, gefährliche Intenstivtäter, Serientäter, Triebtäter, Bandentäter, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung und Straftäter, die eine den besonderen kriminalpolizeilichen Meldediensten Staatsschutz, Terrorismus, Rauschgift, Waffen und Sprengstoff, Falschgeld unterliegende Straftat begangen haben, betrifft. Der Katalog ist jedoch durch die Novellierung der KpSRL am 05. 04. 2001 185 terhin erforderlich ist.718 In solchen Fällen ist die Verlängerung zulässig, die nicht über 3 Jahre hinausgehen darf. Die Gründe für die Verlängerung sind aktenkundig zu machen.719

Der Tod des Betroffenen macht die weitere Speicherung nicht unbedingt unzulässig, denn auch noch nach dem Tod des Beschuldigten können somit Unschuldige mittels möglicherweise später aufgefundener Spuren entlastet werden.720

2.2. Löschung von Datensätzen

Die Löschung von Datensätzen richtet sich materiell-rechtlich nach § 32 Abs. 2 S. 1 BKAG. Die nach § 81g StPO gewonnenen personenbezogenen Daten sind zu löschen, wenn die Speicherung der Daten unzulässig oder ihre Kenntnis für die Aufgabener- füllung nicht mehr erforderlich ist. Die Unzulässigkeit liegt vor, wenn die Voraus- setzungen der einschlägigen Vorschrift, die bei der Datenerhebung die Rechtsgrund- lage der Anordnung der Maßnahme war, nicht vorlagen.721

Als erstes nennt das Gesetz die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit der Speiche- rung. Die Speicherung ist in diesem Fall weder durch eine Rechtsnorm noch durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt.722 Die Rechtswidrigkeit kann bereits zum Zeitpunkt der Speicherung vorliegen, wenn z.B. die materiell-rechtlichen Vorausset- zungen des § 81g StPO Abs. 1 nicht vorliegen,723 oder es fehlt im Sinne des § 81 g Abs. 3 StPO eine schriftliche Begründung des Gerichts, die erforderlich ist, falls der Beschuldigte die schriftliche Einwilligung bei der molekulargenetischen Untersu-

aufgehoben. 718 Hessischer VGH Urteil vom 23. 05. 2007; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 13; Bergmann/ Hornung, Die DNA- Analyse nach den Änderungen der Strafprozessordnung – Speiche- rung bis auf Widerruf?, StV 2007, 164 (168); Joecks, Studienkommentar StPO, § 81g Rdn. 11; Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 32. 719 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 32. 720 Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 13. 721 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30 722 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30. 723 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 48. 186 chung der Zellproben nicht gegeben hat oder eine wirksame Einwilligung fehlt.724 Zweitens sind die Daten zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist (Alt. 2),725 beispielsweise ist die Aufgabe erledigt oder liegt die Negativprognose des Beschuldigten im Sinne von § 81g StPO Abs. 1 nicht mehr vor.726 In diesem Fall besteht keine Notwendigkeit mehr, Vorsorge für die künftige Strafverfolgung in der Weise zu treffen, dass sein DNA-Profil in einer Datei zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten gespeichert wird.

Darüber hinaus ist eine weitere Speicherung nach § 8 Abs. 3 BKAG unzulässig, so- weit der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfah- rens gegen ihn unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig einge- stellt wird, wenn sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat.727 In anderen Fällen, bei denen die genannten drei Entscheidungsvarianten nicht vorliegen, gilt die Löschungspflicht nicht,728 weil die Polizei im Gegensatz zur Justiz die Informationen noch brauchen kann, die von den sog. „Freisprüchen 2. Klassen“ herrühren.729

Aus einem Umkehrschluss zu der Formulierung „die Tat nicht oder nicht rechtswid- rig begangen hat“ ergibt sich: wenn die Annahme eines verbleibenden Restverdachts nicht ausgeschlossen ist, Schuldausschließungsgründe vorliegen oder Strafaufhe- bungs- bzw. Strafausschließungsgründe zum Freispruch geführt haben, ist eine Fort-

724 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 77 725 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 88; Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungs- gesetz und seine Probleme, S. 205. 726 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 32 Rdn. 30; Busch, Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei, NJW 2002, 1754 (1757). 727 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 8 Rdn. 6; Busch, Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei, NJW 2002, 1754 (1758); Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 12. 728 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 8 Rdn. 6. 729 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 8 Rdn. 6. 187 dauer der Speicherung zulässig.730 Rackow hat es so formuliert, dass § 8 Abs. 3 BKAG die fortdauernde Speicherung für den Fall erlaubt, dass die verfahrensbeen- dende Entscheidung noch Raum für die Annahme eines verbleibenden Restverdachts bietet.731 Darüber hinaus ist, wenn eine Negativprognose oder Wiederholungsgefahr des Beschuldigten weiterhin vorhanden ist, eine fortdauernde Speicherung durch § 8 Abs. 3 BKAG möglich.732

Das BVerfG hat ebenfalls in einem Beschluss darauf hingewiesen, dass die weitere Speicherung und Verwendung in Strafermittlungsverfahren gewonnener Daten zur Verhütung oder Verfolgung künftiger Straftaten der Unschuldsvermutung grundsätz- lich nicht entgegensteht, wenn der Betroffene rechtskräftig freigesprochen worden ist, „[…] sofern die Verdachtsmomente dadurch nicht ausgeräumt sind. Bei der Verfah- rensbeendigung durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO oder bei einem Freispruch, der ausweislich der Gründe aus Mangel an Beweisen erfolgt, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt. “733 Die fortdauernde Speicherung von personenbezo- genen Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung rechtmäßig erhoben wurden, ist nicht automatisch aufgrund eines Freispruchs unzulässig.

Exkurs: Verurteilung, allerdings nicht aufgrund eines Anfangsverdachts einer erheblichen Straftat

Umstritten ist der Fall, wenn der Beschuldigte zwar verurteilt wird, sich diese Verur- teilung jedoch lediglich auf die nicht erhebliche Straftat bezieht. Rogall befürwortet eine fortdauernde Speicherung,734 obwohl der Beschuldigte nur wegen einer nicht erheblichen Straftat verurteilt worden ist. Er geht davon aus, dass entscheidend sei, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Maßnahme nach § 81g StPO einer erhebli-

730 Ahlf/Daub/Lersch/Störzer, BKAG, § 8 Rdn. 6; Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 203. 731 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 203. 732 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 203; BVerfG, Beschluss vom 16.05.2002 - 1 BvR 2257/01, NJW 2002, 3231(3232); Beschluss VGH Mannheim: Speicherung personenbezogener Daten, NVwZ 2001, 1289 (1289). 733 BVerfG, 1 BvR 2257/01, NJW 2002, 3231 (3231). 734 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 32. 188 chen Straftat verdächtig gewesen ist. Wenn die DNA-Informationen des Beschuldig- ten nicht nach § 8 Abs. 3 BKAG gelöscht worden sind, ist die Verwertbarkeit des DNA-Profils in künftigen Strafverfahren rechtmäßig.735

Die Gegenmeinung vertritt allerdings, dass die gespeicherten Daten des Beschuldig- ten zu löschen sind, wenn der Restverdacht von dem ursprünglichen Tatverdacht ge- gen den Beschuldigten den materiellen Voraussetzungen des § 81g Abs. 1 StPO nicht mehr entspricht.736 In der Praxis ist die Entscheidung, ob eine Straftat sich auf eine der in § 81g Abs. 1 StPO genannten Anlasstaten bezieht, üblicherweise von der Poli- zei zu treffen. Dies geschieht oft unter erheblichem Zeitdruck in einem frühen Ver- fahrensstadium. Das kann dazu führen, dass später die Staatsanwaltschaft und das Gericht die polizeiliche Bewertung korrigieren.737 Wenn man § 8 Abs. 3 BKAG be- trachtet, behauptet Rackow, dass die Regelung „unter engen Voraussetzungen die fortdauernde Speicherung, Veränderung und Nutzung vorhandener Daten nur ermög- lichen soll“.738 Deswegen sind die DNA-Profile in der fraglichen Konstellation zu löschen, wenn die Straftat nach der Entscheidung des Gerichts nicht mehr nach § 81g Abs. 1 StPO qualifiziert ist.739

Wenn man den Sinn und Zweck des § 81g StPO betrachtet, dient die Regelung einer schnelleren Identifizierung des Täters und ermöglicht damit eine bessere Aufklärung von schweren Delikten.740 Falls der Anfangsverdacht nicht mehr besteht und der Restverdacht den materiellen Voraussetzungen für die schweren Delikte des § 81g Abs. 1 StPO nicht mehr entspricht, kommt der § 32 Abs. 2 S. 1 BKAG in Betracht, nach dem die Speicherung der Daten unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen der

735 Senge, Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung (DNA-Identitätsfeststellungsgesetz), NJW 1999, 253 (255); Senge, in: KK, § 81g Rdn. 13. 736 West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 89. 737 Pfeiffer/Höynck/Görgen: Ausweitung von DNA-Analysen auf Basis einer kriminologischen Gefährlichkeitsprognose, ZRP 2005, 113 (117). 738 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 205. 739 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 205. 740 BT-Drs. 13/10791, S. 4. 189 einschlägigen Vorschrift, die bei der Datenerhebung die Rechtsgrundlage der Anord- nung der Maßnahme war, nicht vorlagen. Demzufolge sind die einschlägigen DNA-Datensätze zu löschen.

Zusammenfassung zum dritten Teil

Die Kriminaltechniken der Bundesrepublik Deutschland haben sich frühzeitig mit der neuen Untersuchungsmöglichkeit der DNA-Analyse beschäftigt. Bei der Einfüh- rung der Untersuchungsmöglichkeiten der DNA-Analyse wirkte die Rechtsprechung bereits mit. Die Regelungen in Bezug auf die DNA-Analyse in künftigen Strafver- fahren erfuhren zwei bedeutende Änderungen, insbesondere die Anforderungen an die Anlasstaten wurden gesenkt: Die Erweiterung auf alle Straftaten gegen die sexu- elle Selbstbestimmung wurde im Jahr 2003 durch das Gesetz über die Änderung der Vorschriften über die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vor- schriften eingeführt. Die Maßnahmen können durch die Novellierung der forensi- schen DNA-Analyse vom 12. 08. 2005 auch bei solchen Beschuldigten getroffen werden, die wiederholt Straftaten auch von nicht erheblicher Bedeutung begangen haben oder diese voraussichtlich begehen werden.

Die Normenadressaten nach § 81 g StPO sind die Beschuldigten, die einer der in § 81g Abs. 1 S. 1 StPO genannten Straftaten „verdächtig“ sein müssen. Es genügt der einfache Anfangsverdacht. Mit Abs. 4 ist der Personenkreis darüber hinaus auf Ver- urteilte sowie ihnen gleichgestellte Personen erweitert. Eine qualifizierte Anlasstat ist bei dieser Maßnahme erforderlich. Allerdings hat dieses Anlasstatenkriterium nur die Funktion, die weitere Prüfung zur Annahme einer „Negativprognose“ zu führen und zu legitimieren. Dies ist eine der Besonderheiten im deutschen Recht in Bezug auf die Verwendung von DNA-Analysen in künftigen Strafverfahren. Die Prognose ist auf Grund der Art oder Ausführung der Tat, Persönlichkeit des Beschuldigten und sonstiger Erkenntnisse zu treffen; ein einzelfallbezogenes Tatunrecht ist zu berück- sichtigen. Bei ihr handelt es sich um eine individuelle Gefahrenprognose („Wieder- holungsgefahr“ oder „Rückfallwahrscheinlichkeit“), in deren Abwägungsvorgang sämtliche Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. Die Gefahrenprognose wird 190 durch den Richter getroffen, um den Betroffenen durch eine zusätzliche Kontrol- linstanz vor unverhältnismäßigen Eingriffen zu schützen. Im Lauf der Zeit hat sich in der Rechtsprechung zur Frage der Negativprognose eine reiche Kasuistik entwickelt. Solche auf den Einzelfall bezogenen Faktoren schützen den Betroffenen vor willkür- lichen, pauschalen und unterschiedslosen Maßnahmen.

In Bezug auf eine Zellprobenentnahme als auch auf eine molekulargenetische Un- tersuchung ist eine anordnungsersetzende Einwilligung nach § 81g Abs. 3 S. 4 StPO erforderlich. Die Anordnungskompetenz für eine Zellprobenentnahme steht grund- sätzlich dem Richter zu. Liegt Gefahr im Verzug vor, dürfen jedoch auch die Staats- anwaltschaft und deren Ermittlungspersonen die Untersuchung anordnen. Allerdings unterliegt die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung ausschließlich dem Richtervorbehalt. Eine weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrung zur Si- cherung der Rechte des Beschuldigten findet sich in § 81g Abs. 3 S. 4 und 5, nämlich die Anforderung an die Begründung der Anordnung. Ein Verstoß gegen die verfah- rensrechtlichen Bestimmungen des § 81g StPO führt zwar zu keinem Beweisverwer- tungsverbot, jedoch sind die Datensätze aufgrund der Unzulässigkeit nach § 32 Abs. 2 S. 1 BKAG zu löschen.

Anders als in den USA und Großbritannien ist es nach deutschem Recht nicht mög- lich, das von einem Beschuldigten entnommene Untersuchungsmaterial für eine spä- tere Nachuntersuchung zu speichern. Die Speicherungsdauer und Löschung des DNA-Profils findet sich in § 81g Abs. 5 StPO. Unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat, streng befristeten Speicherungsdauer, Kontrolle der Aussonde- rungsprüffrist sind die datenrechtlichen Regelungen in Deutschland mit der Empfeh- lung des Ministerkomitees Nr. R (92)1 im Einklang.

191

Vierter Teil DNA-Gesetzgebung in Singapur und Hongkong

Zur weiteren Rechtsvergleichung werden zwei Rechtordnungen in Asien, nämlich Singapur und Hongkong, kurz behandelt. Diese können die zukünftige Gesetzgebung von anderen asiatischen Ländern möglicherweise beeinflussen.

§ 10. Singapur

Die DNA-Identifizierungsmaßnahme in Singapur findet ihre gesetzliche Grundlage in dem Criminal Act (Temporary Provisions) Law [Cap. 67, ss. 27 bis 27C] und dem Registration of Criminals (Amendment) Act (RCA) [Cap. 268, ss. 13A bis 13H]. Zudem wirken der Intoxicating Substances Act [Cap. 146A, s. 26D] und der Misuse of Drugs Act [Cap. 185, s. 40D] mit identischem Regelungsgehalt mit.741 Diese defi- nieren die Rahmenbedingungen für den Aufbau einer DNA-Datenbank und erläutern die Voraussetzungen, unter denen eine DNA-Zellprobe entnommen werden kann bzw. wie lange eine Zellproben und die daraus gewonnenen Informationen gespeichert werden können.

I. Normadressaten gemäß s. 13B RCA

Nach s. 13B Abs. 1 RCA kann eine Zellprobe für die molekulargenetische Untersu- chung zur Identifizierung bei künftiger Strafverfolgung entnommen werden, wenn jemand nach dem Inkrafttreten des Gesetzes aufgrund einer Straftat festgenommen, angeklagt oder rechtskräftig verurteilt ist oder die Person zu dieser Zeit im Gefängnis eine Freiheitstrafe verbüßt.742 Eine weitere Voraussetzung einer qualifizierten An- lasstat, z.B. „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ in Deutschland oder „recordable offense“ in England und Wales, ist nicht gegeben. Das heißt, dass jedes beliebige Strafverfahren Anlass sein kann, bei einem Betroffenen eine DNA-Analyse zu Zwe-

741 Thibedeau, National Forensic DNA Databases, Council for responsible genetics, S. 12. 742 Siehe s. 13B Abs. 1 RCA: Subject to the provisions of this Part, a body sample may be taken for forensic DNA analysis from any person who, on or after the date of commencement (the act of starting something) of the Registration of Criminals (Amendment) Act 2002 — (a) is arrested and accused of a crime; (b) is convicted of a crime; or (c) is serving his term of imprisonment in connection with a crime of which he has been convicted. 192 cken der Beweisführung in künftigen Strafverfahren zu entnehmen. Die nachfolgende s. 13E Abs. 4 RCA gestattet über die Entnahme der Zellprobe hinaus deren moleku- largenetische Untersuchung und jede gemäß s. 13B RCA entnommene Zellprobe wird zu einer autorisierten Analyse für forensische DNA-Analyse geschickt und die In- formationen werden nach s. 13F Abs. 2 RCA gespeichert.743

II. Vernichtung der Zellproben und Löschung der DNA-Profile Über die Vernichtung der Zellproben schweigt der Registration of Criminals (Amendment) Act. Ein nach s. 13E Abs. 4 RCA erstelltes DNA-Profil ist gemäß s. 13G RCA zu löschen, wenn die Ermittlung ergibt, dass die betroffene Person an keiner Straftat beteiligt war, das Strafverfahren gegen sie eingestellt worden ist oder sie wegen einer Straftat oder mehrerer Straftaten in der ersten Instanz oder in der Beru- fung freigesprochen worden ist. Der für diesen Fall zuständige Polizist soll den Frei- spruch unverzüglich dem Registrierbeamten mitteilen und das einschlägige DNA-Profil soll sofort aus der DNA-Datenbank gelöscht werden.744

Der Registrierbeamte soll das DNA-Profil einer Person nach 13H RCA ebenfalls löschen, wenn deren Tod bereits in der Registratur des Births and Deaths Act (Cap. 267) aufgenommen worden ist oder wenn der Betroffene 100 Jahre alt ist.

§ 11. Hongkong (SAR)

I. Normadressaten

Eine besondere gesetzliche Grundlage für die Entnahme der Zellprobe und für die molekulargenetische Untersuchung zur Identitätsfeststellung bei künftiger Strafver- folgung ist in Hongkong nicht gegeben. Die DNA-Analyse als eine erkennungs- dienstliche Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge ist in s. 59G (1) (a) PFO i.V.m. ss. 59A und 59C PFO geregelt. Die s. 59G (1) (a) PFO gestattet nicht die Entnahme der Zellprobe und die molekulargenetische Untersuchung, sondern die Speicherung der

743 Siehe s. 13E Abs. 4 RCA: (4) every body sample taken under this Part shall be sent to an authorised analyst for forensic DNA analysis. 744 Siehe s. 13G (a) bis (f) RCA. 193

DNA-Profile zum Zweck künftiger Strafverfolgung. Die letzteren zwei Vorschriften befugen den Hauptkommissar zur Entnahme der Zellprobe und zur DNA-Analyse im laufenden Verfahren und sind mit dem § 81e StPO in Deutschland vergleichbar.

Nach s. 59A Abs. 1 PFO kann ein „intimate sample“ von einer Person, die eine Straftat begangen hat oder einer Straftat verdächtig ist, entnommen werden, wenn die Ge- nehmigung eines Polizisten mit mindestens dem Rang eines Hauptkommissars („su- perintendent“) vorliegt, die entsprechende Zustimmung des Betroffenen abgegeben wurde oder wenn ein Magistrat745 die polizeiliche Genehmigung bestätigt.746 Gemäß s. 59C Abs. 1 PFO kann ein „non intimate sample“ von einer Person, die eine Straftat begangen hat oder einer Straftat verdächtig ist, entnommen werden,747 wenn sie sich in Polizeigewahrsam befindet und wenn die Genehmigung eines Polizisten mit min- destens dem Rang eines Hauptkommissars („superintendent“) vorliegt. Aus dem Vergleich der beiden Vorschriften ergibt sich, dass eine Einwilligung des Betroffenen und eine richterliche Zustimmung bei der Entnahme der „non intimate samples“ nicht notwendig sind. Die entnommenen Zellproben können nach ss. 59A Abs. 4 (e) und 59C Abs. 4 (f) PFO748 analysiert werden. Die durch die Analyse erlangten Informa-

745 Gemäß dem Long Title Magistrates Ordnance (Cap 227) ist Magistrate Court in Hongkong grundsätzlich in Strafsachen zuständig, wenn eine Geldstrafe bis zu HKD 100,000 (s. 97 Magistrates Ordnance) oder eine Freiheitsstrafe nicht über drei Jahre (s. 57 Magistrates Ordnance) zu erwarten ist. 746 Die s. 59A Abs. 1 PFO lautet: In any investigation in respect of an offence committed or believed to have been committed, an intimate sample may be taken from a person for forensic analysis only if - (a) a police officer of or above the rank of superintendent ("authorizing officer") authorizes it to be taken; (b) the appropriate consent is given; and (c) a magistrate gives approval under section 59B for it to be taken. 747 Die s. 59A Abs. 1 PFO lautet: (1) In any investigation in respect of any offence committed or believed to have been committed, a non-intimate sample may be taken from a person with or without his consent for forensic analysis only if - (a) that person is in police detention or is in custody on the authority of a court; and (b) a police officer of or above the rank of superintendent ("authorizing officer") authorizes it to be taken. 748 Die s. 59A Abs. 4 (e) und s. 59C Abs. 4 (f) PFO sind über molekulargenetische Untersuchung identisch geregelt: that the sample will be analysed and the information derived from such analysis may provide evidence that might be used in criminal proceedings for such offence or any other offence; 194 tionen werden bei der Ermittlung dieser Straftat oder bei anderen Straftaten verwen- det.

Die nach ss. 59A Abs. 4 (e) und 59C Abs. 4 (f) PFO im laufenden Verfahren erho- benen DNA-Profile sind gemäß s. 59G (1) (a) PFO dauerhaft in der DNA Datenbank zu speichern, wenn die Betroffenen wegen „serious arrestable offence“ verurteilt worden sind. Außerdem sind die DNA-Profile von denjenigen nach 59E PFO eben- falls zu speichern, wenn er wegen „serious arrestable offence“ verurteilt worden ist, bei dem die Entnahme einer Speichelprobe und die molekulargenetische Untersu- chung vor Verurteilung nicht vorgenommen wurden.749

Die Definition von „serious arrestable offence” findet sich in s. 3 PFO. Diese bezieht sich auf die Straftaten, deren Höchstmaß des Regelstrafrahmens mit nicht weniger als 7 Jahren Freiheitstrafe angesetzt ist.

Es ist allerding zu beachten, dass die Voraussetzung sich nicht an die tatsächlich ver- urteilte Freiheitsstrafe, sondern abstrakt an der Obergrenze des Regelstrafrahmens orientiert. Als das Gesetz sich noch im Entwurfsstadium befand, fand eine Ausei- nandersetzung über Anforderungen an die Anlasstaten als Voraussetzung der Maß- nahme im Legislative Council statt. Mitglieder des Legislativrats haben ihre Beden- ken geäußert und den Ladendiebstahl als ein Beispiel angeführt: Nach s. 16A Theft Ordnance könnte der Täter höchstens zu 14 Jahren Freiheitstrafe verurteilt werden. Gemäß s. 3 PFO ist die Straftat daher eine “serious arrestable offence”. Die Konse- quenz von einem Bagatellfall, z.B. ein Diebstahl einer Tafel Schokolade aus einem Supermarkt, kann einerseits nur zu einer Geldstrafe von ein paar hundert Hong Kong Dollar verurteilt werden. Andererseits wird eine Speichelprobe von dem Verurteilten

749 (1) Where a person- (a) has been convicted of a serious arrestable offence on or after the commencement* of this section; and (b) either- (i) has not had an intimate sample or a non-intimate sample taken from him before the conviction; … then a police officer of the rank of superintendent or above may authorize the taking of a non-intimate sample of a swab from the mouth of the person for the purposes of data banking. 195 entnommen und die daraus gewonnenen DNA-Profile dauerhaft in der DNA-Datenbank gespeichert.750

Die Regierung hat darauf geantwortet, dass die Einsatzschwelle für die Probenahme aufgrund einer rechtsvergleichenden Untersuchung über ihr Pendant in England für angemessen gehalten werden könne: Die Anlasstaten in England sind alle eintran- gungsfähigen Straftaten, gleichgültig davon, ob der Betroffene tatsächlich verurteilt ist. Aus dem Höchstmaß des Regelstrafrahmens ergibt sich nur, welche Straftaten grundsätzlich schwerwiegenden Charakter haben. Ob der Betroffene tatsächlich mit nicht weniger als 7 Jahren Freiheitstrafe verurteilt ist, spielt hier jedoch keine Rolle.

Trotzdem sind die Hürden für die Speicherung von DNA-Analyse zum Zweck künf- tiger Strafverfolgung in Hongkong sehr hoch und die Normadressaten, deren DNA-Profile in der DNA-Datenbank zur Vorsorgefunktion der Strafverfolgung ge- speichert werden, sind im Vergleich mit denen in England, in den USA und in Deutschland äußerst begrenzt.

Ferner gehören die Straftaten, die im Straftatenkatalog (Anlage 2 PFO) angegeben sind, ebenfalls zur “serious arrestable offences”:

750 Legislative Council, LC Paper No. CB (2)2419/99-00, S. 4, para.16. 196

Straftat in Crimes Tatbestand(parallele Straftaten in Deutschland) Ordinance (Cap. 200)

s. 24 Nötigung (criminal intimidation)

s. 25 Erpressung (Any person who beats or uses any violence or force to any person with intent in any such case to cause such person or any other person to do any act which he is not legally bound to do, or to omit to do any act which he is legally entitled to do, shall be guilty of an offence)

s. 118F Sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit (homosexual buggery committed otherwise than in private)

s. 120 Betrug (procurement by false pretences)

s. 124 Sexuelle Handlungen mit einem Mädchen unter sechzehn Jahren (intercourse with girl under 16)

s. 132 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger (procu- rement of girl under 21)

II. Vernichtung der Zellproben und Löschung der DNA-Profile

Alle Zellproben, die nach s. 59A Abs. 1 und 59C Abs. 1 PFO in einem anhängigen Strafverfahren erhoben worden sind, sollen nach s. 59H Abs. 1 PFO vernichtet werden, sobald dies praktikabel ist. 751 Die daraus erstellten DNA-Informationen der Be- troffenen sind zu löschen, mit Ausnahme derer, die wegen einer “serious arrestable

751 Siehe s. 59H Abs. 1 PFO: The Commissioner shall take reasonable steps to ensure that-(a) an intimate sample or a non-intimate sample taken pursuant to section 59A or 59C; and (b) a record to the extent that it contains information about the sample and particulars that are identifiable by any person as particulars identifying that information with the person from whom the sample was taken, which may be retained by him or on his behalf are destroyed as soon as practicable. 197 offence” verurteilt worden sind. Die Löschung der DNA-Profile in Bezug auf diesen Personenkreis kann nur stattfinden, wenn die Verurteilung in der Berufungsinstanz aufgehoben ist.752

III. Rechtsschutz der Privatsphäre bezüglich der DNA-Analyse in Hongkong

Bis jetzt gibt es nur eine einzige Entscheidung vom Hongkong High Court, nämlich Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police753 aus dem Jahr 2007, die die Maßnahme in Bezug auf die DNA-Analyse im Sinne der s. 59E PFO betraf. Gemäß s. 59E PFO sind die DNA-Profile eines Straftäters zu speichern, wenn er wegen „seri- ous arrestable offence“754 verurteilt worden ist und wenn bei ihm die Entnahme ei- ner DNA-Zellprobe und deren molekulargenetische Untersuchung vor seiner Verur- teilung nicht vorgenommen wurden. Der Beschwerdeführer Tsoi wurde vom Magist- rates’ Court gemäß s. 8 (1) (a) Dangerous Drugs Ordinance wegen Besitzes von gefährlichen Drogen (possession of a dangerous drug) zu 15 Monaten Freiheitstrafe mit Bewährung verurteilt.755 Das Höchstmaß des Regelstrafrahmens für diese Straftat beträgt 7 Jahre Freiheitsstrafe. Der Beschwerdeführer wurde danach aufgefordert, eine Speichelprobe abzugeben. Die daraus gewonnenen DNA-Informationen wurden dauerhaft in der Datenbank gespeichert. Er behauptete, dass die Entnahme der Spei- chelprobe einen Eingriff in sein Recht auf Privatsphäre darstelle und es nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein könne, dass die Maßnahme gegenüber denjenigen vorgenommen werde, bei denen nur eine Freiheitsstrafe mit Bewährung verhängt worden sei.756

Der Hongkong High Court hat sich auf die Marper Entscheidung des House of Lords

752 Siehe s. 59H Abs. 5 PFO: the Commissioner shall take reasonable steps to ensure that any DNA information derived from the sample which may be retained by him or on his behalf is destroyed as soon as practicable after the conviction is quashed. 753 Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police,HCAL37/2007, 20. Nov. 2007. 754 Die Definition von “serious arrestable offence” findet sich in s. 3 PFO. Diese bezieht sich auf die Straftaten, deren Höchstmaß des Regelstrafrahmens mit nicht weniger als 7 Jahren Freiheitstrafe angesetzt ist. 755 Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police, HCAL37/2007, para.2. 756 Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police,HCAL37/2007, para. 34. 198 des Vereinigten Königreichs berufen757, die “applies with full force to the present case”.758 Die Richter neigten zu der Auffassung, selbst wenn die bloße Entnahme von DNA-Zellproben einen Eingriff in das Recht auf Privatsphäre darstelle, sei die- ser sehr gering und könne von dem legitimen Zweck, nämlich Verfolgung der Kri- minalität, gerechtfertigt werden.759

Zur Frage, ob die Maßnahme denjenigen betreffe, dessen tatsächliche Verurteilung weniger als 7 Jahre betrage, hat der High Court festgestellt, dass der Begriff „serious arrestable offence“ sich auf die Erheblichkeit der Straftat bezieht und weniger auf die tatsächliche Höhe der Verurteilung: „The emphasis therefore on the serious arrestabi- lity of the offence and not on what sentence it may attract at the sentencing stage.“760 Der High Court ist der Stellungnahme des Commissioner of Police gefolgt, dass das Wesen einer „serious arrestable offence“ bei der Begehung der Straftat bereits vorlag und sich während des Ermittlungsverfahrens oder Gerichtsverfahrens nicht geändert hatte.

Die Bedeutung der Entscheidung des High Court ist sehr begrenzt, weil die Richter eine Entscheidung des House of Lords zitierten, die zurzeit selbst im Vereinigten Königreich nicht mehr verbindlich ist.761 Eine eigene Begründung erfolgte nicht. Im Folgenden wird darauf eingegangen, ob es in Hongkong ein allgemeines Rechts- schutzregime gibt, den Rechtsschutz im Bereich der Privatsphäre sicherzustellen.

757 Consolidated Appeals, Regina v. Chief Constable of South Yorkshire Police (Respondent) ex parte LS (by his mother and litigation friend JB) (FC) (Appellant); Regina v. Chief Constable of South Yorkshire Police (Respondent) ex parte Marper (FC)(Appellant), [2004] UKHL 39. paras. 25-31. 758 Art. 84 Basic Law von Hongkong: “The courts of the Hong Kong Special Administrative Region shall adjudicate cases in accordance with the laws applicable in the Region as prescribed in Article 18 of this Law and may refer to precedents of other common law jurisdictions.” 759 Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police, HCAL37/2007, para.36. 760 Tsoi Man Hung and Another v. Commission of Police, HCAL37/2007, para. 27. 761 R (on the application of GC) (FC) (Appellant) v. The Commissioner of Police of the Metropolis (Respondent) and R (on the application of C) (FC) (Appellant) v. The Commissioner of Police of the Metropolis (Respondent), [2011] UKSC 21, para. 15. 199

1. Rechtschutz im Bereich der Privatsphäre auf verfassungsrechtlicher Ebene - das Basic Law von Hong Kong (SAR) und Bill of Rights Ordinance

Das Basic Law Hongkongs (SAR) ist das geltende Verfassungsdokument in Hong- kong, das am 4. Apr. 1990 durch den Nationalen Volkskongress Chinas erlassen wurde und am 1. Juli 1997 in Kraft getreten ist.762 Das Basic Law räumt der Son- derverwaltungsregion weitgehende exekutive, legislative und judikative Unabhän- gigkeit ein.763 Daher kann Hongkong sich als ein eigenständiges Mitglied in einer Reihe von internationalen Organisationen sein und völkerrechtliche Verträge ab- schließen. Diese besondere Konstruktion folgt dem Prinzip „Ein Land - Zwei Syste- me“.764

Art. 28 Abs. 2 S. 1 und 2 Basic Law gewährleistet jedem Einwohner in Hongkong das Recht auf Sicherheit seiner Person gegen willkürliche und rechtswidrige Fest- nahme, Verhaftung bzw. Durchsuchung.765 Anders als die Entwicklungsgeschichte des Vierten Verfassungszusatzartikels in den USA, wurde in Hongkong kein Recht auf Privatsphäre durch die Rechtsprechung entwickelt.

2. Der Einfluss der ICCPR und EMRK auf die Entwicklung des Rechtsschutzes der Privatsphäre in Hongkong

Der Rechtsschutz der Privatsphäre findet sich allerdings im Art. 23 Abs. 1 ICCPR766,

762 Amtsblatt des Ständigen Ausschusses der Nationalen Volkskongress Chinas 1990, S. 97-123. 763 Art. 2 Basic Law von Hongkong: The National People's Congress authorizes the Hong Kong Spe- cial Administrative Region to exercise a high degree of autonomy and enjoy executive, legislative and independent judicial power, including that of final adjudication, in accordance with the provisions of this Law. 764 Senger, Einführung in das chinesische Recht, S. 299; Ahl, Justitielle und legislative Auslegung des Basic Law von Hongkong, ZaöRV 2000, 511 (511). 765 Art. 28 Basic Law von Hongkong: No Hong Kong resident shall be subjected to arbitrary or un- lawful arrest, detention or imprisonment. Arbitrary or unlawful search of the body of any resident or deprivation or restriction of the freedom of the person shall be prohibited. 766 International Covenant on Civil and Political Rights vom 19.12.1966, UNTS 999, S. 302, BGBl. 1992 II, S. 1246. 200 der mit der Inkorporierung als Hong Kong Bill of Rights Ordinance die Sonderver- waltungsregion bindet,767 da gemäß Art. 39 Abs. 1 Basic Law die Bestimmungen des Menschenrechtspaktes so in Kraft bleiben sollen, wie sie vor dem 1. Juli 1997 gal- ten.768 Die einschlägigen Regelungen des ICCRP und die entsprechenden Bestim- mungen der Hong Kong Bill of Rights Ordinance haben durch Art. 39 Abs. 1 Basic Law die gleiche verfassungsrechtliche Verbindlichkeit wie das Basic Law.769 Nach Art. 17 Abs. 1 ICCPR770 darf niemand willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.

Art. 39 Basic Law stellt eine Verbindung zwischen den verfassungsrechtlichen Re- gelungen in Hongkong und dem ICCPR her, die den internationalen Standard im Bereich des Rechtschutzes der Privatsphäre sicherstellen.771 Der Hong Kong Court of Final Appeal (CFA)772 hat darauf hingewiesen, dass die Auslegung der General

767 Die Bill of Rights Ordinance vom 8. 6. 1991 transformierte den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte in Hongkonger Recht. Vgl. Klein, Some Thoughts on the Legal Status of the Peoples Republic of China Relating to the International Covenant on Civil and Political Rights, in: FS für Günther Jaenicke, 1998, S. 165 -176. 768 Art. 39 Basic Law von Hongkong: The provisions of the International Covenant on Civil and Po- litical Rights, the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, and international labour conventions as applied to Hong Kong shall remain in force and shall be implemented through the laws of the Hong Kong Special Administrative Region. The rights and freedoms enjoyed by Hong Kong residents shall not be restricted unless as prescribed by law. 769 Chen, International Human Rights Law and Domestic Constitution Law: Internationalization of Constitution Law in Hong Kong, National Taiwan University Law Review, S. 246. 770 Art. 14 Abs. 1 Bill of Rights Ordinance von Hongkong. 771 Chan/Kaufmann, The Protection of Human Rights under the Hong Kong Basic Law, S. 6 /www.ivr.uzh.ch/institutsmitglieder/kaufmann/archives/hs08/seminare/Furrer_Nicole.pdf (21.Aug. 2012) 772 Der Court of Final Appeal ist nach Hong Kong Court of Final Appeal Ordinance das höchste Gericht in Hongkong und setzt sich aus „permanent and non-permanent„ Richter aus Hongkong und anderen Ländern des common law (s. 9) zusammen, welche vom Chief Executive ernannt werden. Ihm obliegt die Auslegung aller Gesetze mit Anwendung in Hongkong, bis auf das Basic Law. 201

Comments of the Human Rights Committee über ICCPR 773 von Gerichten in Hongkong zitiert werden darf: „despite the General Comments being not binding on the Hong Kong courts, they are a valuable jurisprudential resource and provide in- fluential guidance as to how the ICCPR is applied and will be applied by the Human Rights Committee when sitting as a judicial body in making determinations.“774

Darüber hinaus wurde die Rechtsprechung des EGMR für die Hongkong Gerichte eine entscheidende Quelle in der Auslegung und Anwendung des ICCPR und Hong Kong Bill of Rights Ordinance.775 Zwischen dem Jahr 1991 und dem Jahr 2009 haben die Hongkong Gerichte in 150 Entscheidungen die Rechtsprechung des EGMR als Begründungsquelle zitiert.776 Der Hong Kong Court of Final Appeal hat in Koon Wing Yee v. Insider Dealing Tribunal hervorgehoben: “the decisions of the Strasbourg Court on provisions of the Convention (ECHR) which are in the same, or substantially the same terms, as the relevant provisions of the Hong Kong Bill of Rights Ordinance, though not binding on the courts of Hong Kong, are of high per- suasive authority and have been so regarded by this Court.”777 In anderen Worten wäre es richtig zu sagen, dass die Marper Entscheidung des EGMR ebenfalls als eine überzeugende und einflussreiche Quelle dienen könnte, wenn die Hongkong Gerichte mit einer identischen Rechtssache bezüglich der Erhebung bzw. der Speicherung und Verwendung von DNA-Zellproben und deren Profile konfrontiert würden.

Nicht zu vergessen ist, dass die Gerichte in Hongkong nach der Wiedervereinigung mit der VR China gemäß Art. 84 Basic Law noch befugt sind, das Präjudizienrecht in

773 Zwischen 1991 und 2009 wurden 46 Dokumente der General Comments of the Human Rights Committee über ICCPR von Hongkong Gerichten als Begründungsquelle zitiert. Vgl. Chen, Interna- tional Human Rights Law and Domestic Constitution Law: Internationalization of Constitution Law in Hong Kong, National Taiwan University Law Review, S. 247. 774Koon Wing Yee v. Insider Dealing Tribunal, [2008] 3 HKLRD 372, para.101. 775 Chen, International Human Rights Law and Domestic Constitution Law: Internationalization of Constitution Law in Hong Kong, National Taiwan University Law Review, S. 247. 776 Chen, International Human Rights Law and Domestic Constitution Law: Internationalization of Constitution Law in Hong Kong, National Taiwan University Law Review, S. 247. 777 Koon Wing Yee v. Insider Dealing Tribunal, [2008] 3 HKLRD 372, para.27. 202 anderen common law Ländern in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. Zusam- menfassend lässt sich sagen, dass das Recht auf Privatsphäre in Hongkong von einem regionalen und internationalen Rechtsschutzregime gewährleistet wird, das aus den einschlägigen Regelungen aus Basic Law, Hong Kong Bill of Rights Ordinance und ICCPR besteht. Die Richter in Hongkong können sich auf die Rechtsprechung der common law Länder und des EGMR berufen, um das Recht auf Privatsphäre zu schützen.

203

Fünfter Teil:

Neue Entwicklung auf EU-Ebene – Prümer Vertrag und sein Datenschutzniveau

§12. Prüm-Regelungen

Nicht nur die Regelungen auf nationaler Ebene, sondern auch eine wichtige grenz- überschreitende Regelung hat in den letzten Jahren zu Änderungen im Umgang mit dem DNA-Datenaustausch geführt. Am 27. 05. 2005 wurde der Prümer Vertrag zu- erst als völkerrechtlicher Vertrag von sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen Uni- on zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Be- kämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration unterzeichnet. In Deutschland wurde das entsprechende Umsetzungsgesetz am 18. 07. 2006 im Gesetzblatt verkündet.778 Wesentliche Regelungsinhalte des Ver- trages konnten zwei Jahre später nach entsprechendem Beschluss des Rates der In- nen- und Justizminister in den Rechtsrahmen der Europäischen Union überführt werden.779 In Deutschland wurde der Ratsbeschluss Prüm durch das „Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2008/615/JI vom 23. 06. 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Ter- rorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität“ innerstaatlich umgesetzt und am 05. 08. 2009 in Kraft gesetzt.780

Der Hauptzweck des Vertrags ist der effiziente Informationsaustausch mit dem Zweck einer wirksamen Strafverfolgung. 781 Es sollen automatisierte

778 BGBl. 2006 II, S. 626ff; Sensburg, Europarecht, S. 223. 779 Beschluss des Rates 2008/615/JI vom 23. 6. 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. 2008 Nr. L 210 S. 1ff.; Prainsack/Toom, The Prüm Regime, Empowerment in Transnational DNA Profile Exchange, 50 Brit. J. Criminology 1117, S. 1121; Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 60; Heid, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rdn. 127; Zerdick, in Lenz/Borchardt, EU-Verträge Kommentar, Art. 87 AEUV, Rdn. 8. 780 Heid, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rdn. 130. 781 Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?, EuR 2007, 517 (521). 204

DNA-Datenbanken, automatisierte daktyloskopische Identifizierungssysteme sowie ein Fahrzeugregister eingerichtet werden.782 Zugriff auf diese Dateien soll jeder Ver- tragsstaat bzw. nach Überführung in den Rechtsrahmen der EU jeder EU-Mitgliedstaat haben. Es wird ein System vernetzter nationaler Datenbanken er- richtet in dem Bestreben, einen einfachen und wirksamen Zugriff auf die „Informa- tion“ zum Zwecke der Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration über die Grenzen zwischen den Vertrags- staaten hinweg zu ermöglichen.783

In den Art. 2 bis 7 des Ratsbeschlusses Prüm geht es um die DNA-Daten. Alle Ver- tragsstaaten verpflichten sich nach Art. 2 Abs. 1 zur Einrichtung von forensischen DNA-Datenbanken. Die nach den entsprechenden innerstaatlichen Gesetzen der Ver- tragsparteien gewonnenen genetischen Daten dürfen nur für Zwecke der Strafverfol- gung ausgetauscht werden, aber nicht für präventive Polizeizwecke oder Verwal- tungszwecke.784

I. Automatisierter Abruf

Art. 3 regelt die Voraussetzungen und das Verfahren beim automatisierten Abruf von DNA-Daten. Ebenso wie bei den Fingerabdrucksystemen werden die digitalen DNA-Daten mit Namensangaben einer bestimmten Person oder bei Spuren mit An- gaben zu einem bestimmten Sachverhalt oder einer bestimmten Straftat in einer Da- tenbank gespeichert.785 Die entsprechenden DNA-Datenbanken werden den anderen Vertragsstaaten zugänglich gemacht, nämlich eine Zugriffsmöglichkeit auf die Fundstellendatensätze bei den nationalen Kontaktstellen nach Art. 6 Abs. 1 Ratsbe-

782 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 34; Heid, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rdn. 122. 783 Pressemitteilung (10267/07. Presse 125) des Rates der Europäischen Union über die 2807. Tagung des Rates Justiz und Inneres am 12./13. 06. 2007 in Luxemburg unter deutschem Vorsitz; Papayannis, Die Polizeiliche Zusammenarbeit und der Vertrag von Prüm, Zeitschrift für Europarechtliche Studien, 2008 Heft 2, S. 231. 784 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 72. 785 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 72. 205 schluss Prüm, sofern dies zur Verfolgung einer Straftat erforderlich ist.786 Dieses Zugriffsrecht ist auf die Fundstellendatensätze nach Art. 2 Abs. 2 beschränkt. Nach dem so genannten hit-/no-hit-Verfahren787 erhält die abfragende Polizeidienststelle nur die Mitteilung, ob zu dem gesuchten DNA-Profil ebenfalls Daten bei anderen Mitgliedstaaten vorhanden sind. Es ist wegen des Datenschutzes zu betonen, dass dem ersuchenden Staat bei Vorliegen eines Treffers Informationen übermittelt wer- den, die den Betroffenen nicht unmittelbar identifizieren788 Um weitergehende In- formationen, etwa zur Identität der Person, zu erhalten, müssen die Dienststellen in Kontakt treten bzw. ein Rechtshilfeersuchen einleiten. Darauf wird später noch ein- gegangen.

Eine weitere Einschränkung wird in Satz 2 formuliert, dass es sich bei der Anfrage um einen Einzelfall handele, in dem die Informationserhebung nach Maßgabe des nationalen Rechts des anfragenden Vertragsstaats zulässig sein muss. Ein Abruf durch die deutschen nationalen Kontaktstellen müsste also in einem vergleichbaren innerdeutschen Fall zulässig sein. Dies richtet sich gemäß § 81g Abs. 5 der Strafpro- zessordnung (StPO) nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundeskriminal- amtsgesetzes (BKAG).789

Gemäß Art. 8 S. 2 Ratsbeschluss Prüm dürfen Fundstellendatensätze lediglich aus den daktyloskopischen Daten sowie einer Kennnummer bestehen. Fundstellendaten-

786 BT-Drs. 16/1108, S. 34. 787 Im Prüm ist das Hit/ No-Hit –System beim Austausch von DNA-Daten eingeführt. Dies „bedeutet im Einzelnen, dass der Datenaustausch in zwei Stufen gegliedert wird. Auf der ersten Stufe erfolgt der Trefferabgleich in einem Verfahren des automatisierten Abrufs bzw. Abgleichs. Dabei werden nur Datensätze abgeglichen, die keinerlei die Person identifizierenden Daten enthalten. Diese Datensätze werden den Vertragspartnern in einem direkten Online-Zugriff zur Verfügung gestellt… wurde auf der ersten Stufe im Rahmen des automatisierten Abrufs bzw. Abgleichs ein Treffer erzielt, erfolgt auf der zweiten Stufe die Übermittlung der weiteren personenbezogenen Daten, die im dateiführenden Staat zu dem Datensatz vorhanden sind. Dies richtet sich nach nationalem Recht des ersuchenden Staats, wobei ausdrücklich die Regelungen zur Rechtshilfe Erwähnung finden.“ (Würtenberger/Mutschler, Der Vertrag von Prüm, S. 140). 788 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 176. 789 BT-Drs. 16/1108, S. 34. 206 sätze dürfen keine den Betroffenen unmittelbar identifizierenden Daten enthalten. Fundstellendatensätze, die keiner Person zugeordnet werden können, sind wie offene Spuren.

II. Automatisierter Abgleich von DNA-Profilen

Die Fundstellendatensätze werden vollständig zum Abgleich zur Verfügung gestellt. Anders als die im Art. 3 geregelte Einzelfallanfrage erlaubt Art. 4 den Vertragspar- teien, über ihre nationalen Kontaktstellen die DNA-Profile ihrer offenen Spuren zur Verfolgung von Straftaten mit allen DNA-Profilen aus Fundstellendatensätzen der anderen nationalen DNA-Analyse-Dateien abzugleichen. Auch der Abgleich ist nur zur Verfolgung von Straftaten zulässig. Im Fall eines "Treffers" erhält die anfragende nationale Kontaktstelle automatisch eine Meldung mit Hinweis auf die Kennung, ansonsten kann der ersuchende Mitgliedstaat nicht nachvollziehen, auf welches DNA-Profil sich der Treffer bezieht. Die weitere Kommunikation bzw. der weitere Datenaustausch erfolgt über die nationalen Kontaktstellen.790

III. Übermittlung weiterer personenbezogener Daten und sonstiger Informationen

Art. 5 beschäftigt sich mit einer Übermittlung der zu den Fundstellendatensätzen vorhandene personenbezogenen Daten und sonstiger Informationen. Diese richtet sich nach dem innerstaatlichen Recht einschließlich der Vorschriften über die Rechtshilfe der ersuchten Vertragspartei.

Nach der Durchführungsvereinbarung zwischen Deutschland und Österreich wurden im Dezember 2006 und Januar 2007 95.000 Spuren von deutscher Seite und 12.600 Spuren von österreichischer Seite in den Vergleich eingestellt. Dabei wurden in den deutschen Datenbeständen 1.788 und in den österreichischen 1.833 Treffer erzielt.791 Im Februar 2007 haben die deutschen Behörden in mehr als 1500 Fällen eine Über- einstimmung festgestellt. In diesem Zusammenhang konnten mehr als 700 ungeklärte

790 BT-Drs. 16/1108, S. 34; vgl. Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S. 35. 791 Würtenberger/ Mutschler, Der Vertrag von Prüm, S. 151. 207

Spuren aus Deutschland Personen zugeordnet werden, die den österreichischen Strafverfolgungsbehörden bekannt sind. Darunter gab es 14 Treffer in Tötungs- oder Morddelikten, 885 bei Diebstahl und 85 bei Raubüberfällen oder Erpressung.792

§ 13. Das Datenschutzregime der Prüm-Regelungen

Sowohl der Prümer Vertrag als auch der Ratsbeschluss zu seiner Überführung zeich- nen sich u. a. durch ein umfangreiches Regelwerk zur Sicherstellung eines hohen Datenschutzniveaus aus. Dabei wird ein ganzes Kapitel dem Datenschutz gewidmet.

I. Datenschutzniveau

In Hinblick auf den Datenschutz sind die Vertragsstaaten nach Art. 25 Ratsbeschluss Prüm verpflichtet, einen allgemeinen Standard in Bezug auf die Verarbeitung perso- nenbezogener Daten zu gewährleisten, der den einschlägigen Vorgaben, die im Rah- men des Europarates ausgearbeitet worden sind, entspricht,793 wobei vor allem das Übereinkommen vom 28. Januar 1981 über den Schutz des Menschen bei der auto- matischen Verarbeitung personenbezogener Daten (Datenschutzkonvention) zu er- wähnen ist. Die am 17. September 1987 verabschiedete Empfehlung Nr. R (87) 15 zur Regelung der Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich muss eben- falls beachtet werden.794

Die Datenschutzkonvention hat allgemeine Grundsätze für den Datenschutz festge- legt.795 In Art. 2 definiert die Konvention zuerst „personenbezogene Daten“ als jede Information über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person;796 Art. 5 b

792 Pressemitteilung (10267/07. Presse 125) des Rates der Europäischen Union über die 2807. Tagung des Rates Justiz und Inneres am 12./13. 06. 2007 in Luxemburg unter deutschem Vorsitz. 793 Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?, EuR 2007, 517 (521); Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, S. 44. 794 Recommendation No.R (87) 15, Regulating the Use of Personal Data in the Police Sector. 795 Henke, Datenschutzkonvention, S. 96; Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 176; Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?,EuR 2007, 517 (525). 796 Henke, Datenschutzkonvention, S. 69. 208 verankert den Grundsatz des „use limitation principle“797, das heißt, dass die perso- nenbezogene Daten nicht so verwendet werden, dass dies mit den festgelegten Zwe- cken unvereinbar ist. Nach Art. 5 c des Übereinkommens müssen personenbezogene Daten, die automatisch verarbeitet werden, so aufbewahrt werden, dass der Betroffe- ne nicht länger identifiziert werden kann, als es die Zwecke, für die sie gespeichert worden sind, zulassen. Dies ist das „storage limitation principle“.798 In Art. 6 geht es um eine spezielle Regelung über besondere Arten von Daten, welche die rassische Herkunft, politische Anschauungen oder religiöse oder andere Überzeugungen er- kennen lassen oder die Gesundheit und das Sexualleben betreffen. Die Daten dürfen nur automatisch verarbeitet werden, wenn das innerstaatliche Recht einen geeigneten Schutz gewährleistet. Darüber hinaus befasst sich der Art. 7 der Konvention mit dem Grundsatz der Datensicherung. Die geeigneten Sicherungsmaßnahmen müssen ge- troffen werden, die gegen die zufällige oder unbefugte Zerstörung, gegen zufälligen Verlust sowie unbefugten Zugang, unbefugte Veränderung oder unbefugtes Bekannt- geben wirken.

In der Empfehlung Nr. R (87) 15 sind grundsächliche Regelungen im Umgang mit personenbezogenen Daten im Polizeibereich festgelegt. Ihr Anwendungsbereich um- fasst die Sammlung, die Speicherung, die Nutzung und die Weitergabe automatisch verarbeiteter Daten für polizeiliche Zwecke. Gemäß Grundsatz 2 sollte die Erhebung personenbezogener Daten nur stattfinden, wenn sie auf die Abwendung einer realen Gefahr oder die Verhinderung einer bestimmten Straftat abzielt. In den Grundsätzen 3 und 7 sind die Speicherung und die Dauer der Speicherung geregelt. Sie betreffen nur die personenbezogenen Daten, die für polizeiliche Stellen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Rahmen des nationalen Rechts und ihrer Verpflichtungen aus dem Völkerrecht notwendig sind. Die Datensätze müssen gelöscht werden, wenn sie zu den Zwecken, zu denen sie gespeichert wurden, nicht mehr benötigt werden.

Exkurs: Die Empfehlung Nr. R (92) über die Anwendung der DNA-Analyse im

797 Henke, Datenschutzkonvention, S. 69. 798 Henke, Datenschutzkonvention, S. 69. 209

Rahmen der Strafrechtspflege

Obwohl sich in Art. 25 Ratsbeschluss Prüm kein Verweis auf die Empfehlung Nr. R (92) über die Anwendung der DNA-Analyse im Rahmen der Strafrechtspflege findet, hat der EGMR sie im Fall Marper als einen der Europaratstexte zitiert, so dass sie daher ebenfalls in der hier behandelten Arbeit relevant ist.

Nach § 8 der Empfehlung Nr. R(92) 1 sollen die Zellproben, die den Betroffenen zur DNA-Analyse entnommen worden sind, nach Ergehen der endgültigen Entscheidung in der Rechtssache, für die sie verwendet wurden, nur noch aufbewahrt werden, wenn es zu den Zwecken erforderlich ist, die unmittelbar mit denen zusammenhän- gen, zu denen sie gewonnen wurden. Es sollen Maßnahmen getroffen werden, die sicherstellten, dass die Ergebnisse der DNA-Analyse vernichtet werden, wenn sie für die Zwecke, zu denen sie verwendet wurden, nicht mehr aufbewahrt werden müssen. Die Ergebnisse der DNA-Analyse und die daraus gewonnenen Informationen dürfen jedoch aufbewahrt werden, wenn der Betroffene wegen schwerer Straftaten gegen das Leben, die Unversehrtheit oder die Sicherheit von Menschen verurteilt worden ist. In solchen Fällen soll die Speicherungsdauer im innerstaatlichen Recht streng befristet und die Speicherung gesetzlich definiert und geregelt werden.799 Außerdem muss die Speicherung einer Kontrolle durch das Parlament oder einer unabhängigen Aufsichtsbehörde unterliegen.800

II. Allgemeine Pflicht zur Löschung von Daten

Art. 28 Abs. 1 S. 1 Ratsbeschluss Prüm regelt die Berichtigung und Aktualität der Daten der Mitgliedstaaten. Der Empfänger ist nach Art. 28 Abs. 3 S. 1 Ratsbeschluss Prüm verpflichtet, die personenbezogenen Daten zu löschen, die unrichtig sind oder nicht hätten übermittelt werden dürfen. Die rechtmäßig übermittelten und empfan- genen Daten sind jedoch gemäß Abs. 3 S. 2 Ratsbeschluss Prüm zu löschen, wenn sie

799 Explanatory Memorandum to Recommendation (92) 1 The Use of Analysis of Deoxyribonucleic Acid (DNA) within the Framework of the Criminal Justice System, para. 49. 800 Explanatory Memorandum to Recommendation (92) 1 The Use of Analysis of Deoxyribonucleic Acid (DNA) within the Framework of the Criminal Justice System, para.50. 210 zu dem Zweck, zu dem sie übermittelt worden sind, nicht oder nicht mehr erforder- lich sind. Solche Daten sollen nach Art. 28 Abs. 3 Nr. 2 Ratsbeschluss Prüm eben- falls gelöscht werden, sobald die im innerstaatlichen Recht des übermittelnden Mit- gliedsstaats vorgesehene Höchstfrist für die Aufbewahrung der Daten abgelaufen ist.

Eine Einschränkung der Löschungsverpflichtung ist in Art. 28 Abs. 3 insoweit vor- gesehen, dass die Daten nur nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts gesperrt werden sollen, wenn es Grund zu der Annahme gibt, dass die Löschung ein schutz- würdiges Interesse des Betroffenen beeinträchtigen würde. Die gesperrten Daten dürfen nicht zu anderen Zwecken übermittelt oder genutzt werden, als für den Zweck, für den die Löschung verhindert wurde.

III. Zweckbindung, Berichtigung und Protokollierungspflicht

Art. 26 Ratsbeschluss Prüm statuiert für sämtliche ausgetauschten personenbezoge- nen Daten das Gebot der strikten Zweckbindung.801 Die empfangende Vertragspartei darf die personenbezogenen Daten ausschließlich zu den Zwecken verarbeiten, zu denen diese nach diesem Vertrag übermittelt worden sind. Allerdings gilt diese Zweckverbindung nicht absolut, weil eine Verarbeitung nach vorheriger Zustimmung des die Datei führenden Mitgliedsstaats und nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des empfangenden Mitgliedsstaats ebenfalls zulässig sein kann (Art. 26 Ratsbeschluss Prüm). Dieselbe Zweckbindung gilt für den automatisierter Abruf und den automatisierten Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 und Art. Abs. 1 S. 1 Ratsbeschluss Prüm.

Nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 Ratsbeschluss Prüm sind die unrichtig übermittelten Daten zu berichtigen. Bei Zweifeln an der Richtigkeit sind die Daten auf Verlangen des Betroffenen nach Art. 28 Abs. 1 Ratsbeschluss Prüm zu kennzeichnen. Zudem hat der Betroffene nach Art. 31 Abs. 1 das Recht auf Berichtigung unrichtiger Daten.

Eine wirksame Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Datenübermittlungen durch Pro-

801 Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?, EuR 2007, 517 (525); Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 1. 211 tokollierungspflicht802 ergibt sich aus Art. 30 Ratsbeschluss Prüm. Abs. 2 regelt die Pflichten im Rahmen des automatisierten Abrufs, die für die Übermittlung von DNA-Profilen relevant sind. Jeder Mitgliedsstaat muss gewährleisten, dass jede Übermittlung und jeder Empfang von Daten von der Datei führenden Stelle und der abrufenden Stelle protokolliert wird. Dies umfasst die übermittelten Daten, das Da- tum und den genauen Zeitpunkt der Übermittlung sowie die Bezeichnung oder Ken- nung der abrufenden Stelle und der Datei führenden Stelle. Es wird dabei eine „Voll- protokollierung“803 angeordnet, die die Rückverfolgbarkeit von automatisierten Ab- rufen bis hin zu jedem Beamten, der den Abruf durchgeführt hat, sowie des Beamten, der die Anfrage oder Übermittlung veranlasst hat. Die Protokolldaten müssen durch geeignete Vorkehrungen gegen zweckfremde Verwendung und sonstigen Missbrauch geschützt werden. Die Protokolldaten sind zwei Jahre aufzubewahren und danach unverzüglich zu löschen (Art. 39 Abs. 4).

IV. Die Beschwerdemöglichkeit des Betroffenen

Die Rechte des Betroffenen werden in Art. 31 Ratsbeschluss Prüm geregelt. Über den Berichtigungsanspruch hinaus müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass der Betroffene ein Recht auf Zugang zu einem Gericht im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder zu einer unabhängigen Kontroll- stelle im Sinne des Artikels 28 der Richtlinie 95/46/EG und des Rates vom 24. Ok- tober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr hat, wenn sein Datenschutzrecht verletzt ist. Das Gericht muss ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht sein,804 und die Kontrollstellen müssen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen, nämlich die Anwendung der von den Mitgliedsstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem

802 Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?, EuR 2007, 517 (525). 803 Hummer, Der Vertrag von Prüm - "Schengen III"?, EuR 2007, 517 (526). 804 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 197; Meyer-Ladewig, Handkommentar EMRK, S. 118. 212

Hoheitsgebiet überwachen. Nach Art. 31 Abs. 1 S. 3 Ratsbeschluss Prüm wird dem Betroffenen ebenfalls die Möglichkeit eröffnet, einen Schadensersatzanspruch oder Abhilfe anderer Art gerichtlich durchzusetzen.

213

Sechster Teil Schlussbemerkungen

Der genetische Fingerabdruck als erkennungsdienstliche Maßnahme der Strafverfol- gungsvorsorge steht - ohne dies auf einen Staat beschränken zu wollen - im Span- nungsverhältnis zwischen der Effizienz der Strafverfolgung und der Anforderung an die Wahrung der Grundrechte von Betroffenen. Die für die hier behandelte Arbeit ausgewählten Länder haben die Problematik zwar auf eigene landesspezifische Art und Weise gelöst, aber es sind doch einige gemeinsame Standards in Bezug auf die DNA-Datenbankgesetze in den jeweiligen Rechtsordnungen zu erkennen. Diese Ver- gleichung der DNA-Regelungen ist nicht nur für den Datenaustausch zwischen den vernetzen nationalen Datenbanken sinnvoll, sondern auch für die Übertragbarkeit der Regelungen in jene Länder, die sich den Aufbau einer Datenbank auf die politische Agenda gesetzt haben, wichtig. Im Nachfolgenden soll anhand einer Gegenüberstel- lung der nationalen DNA-Datenbankgesetze mit Hilfe von Tabellen ein zusammen- fassender Vergleich erfolgen.

Außerdem wird verdeutlicht, wie die Rechtsprechung in den dargestellten Rechts- ordnungen als ein wichtiger Mechanismus des Rechtschutzes der Privatsphäre neben den Schutzvorkehrungen im Gesetz wirkt. Anschließend wird die Art dieses Rechts- schutzes in Deutschland und in den USA in Bezug auf DNA-Identifizierungsmaßnahme verglichen.

I. Rechtsvergleich der DNA-Regelungen in den o.g. Ländern

Zunächst soll im Rahmen des Vergleichs die Frage gestellt werden, ob es für die DNA-Identifizierungsmaßnahme, den sogenannten genetischen Fingerabdruck, eine gesonderte Ermächtigungsgrundlage anders als diejenige für den Fingerabdruck und für die übrigen körperlichen Untersuchungen überhaupt geben soll.

In England und Wales ist s. 63A PACE die wichtigste Ermächtigungsgrundlage für die DNA-Identifizierungsmaßnahme. Allerdings gibt sie streng genommen Befug- nisse zur Abnahme von klassischen Fingerabdrücken, zur Entnahme von „intimate

214 samples“ oder „non intimate samples“ und zur Erhebung der Informationen der Zell- proben. Obwohl der Crime and Security Act von 2010 aufgrund des Regierungs- wechsels im Mai 2010 nicht in Kraft getreten ist, findet eine Differenzierung zwi- schen der DNA-Identifizierungsmaßnahme und anderen körperlichen Untersuchun- gen statt.805

In Deutschland war der Gesetzgeber anfangs der Meinung, dass §§ 81a StPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Entnahme einer Blut- probe und die Anordnung einer DNA-Analyse sei.806 Dies wurde durch das BVerfG bestätigt.807 Die spätere Gesetzgebung ging davon aus, dass eine gesteigerte Sensibi- lität im Rahmen der molekulargenetischen Untersuchung erhobener Daten besteht und eine besondere gesetzliche Regelung der DNA-Analyse für die strafprozessuale Nutzung erforderlich sei.808 Die USA, Singapur und Hongkong folgten ebenfalls dem gesetzgeberischen Trend und haben eine gesonderte gesetzliche Grundlage für die DNA-Maßnahme geschaffen.

Im Folgenden werden im Wesentlichen zwei Aspekte der DNA-Regelungen in den genannten Rechtsordnungen zum Vergleich herangezogen, nämlich die Normadres- saten der Maßnahme und die Vernichtung- und Löschungsregelung des jeweiligen Landes, weil die Zulässigkeit der Maßnahme und die Entfernung der Zellproben und Profile den Umfang der Datenbanken bestimmen und das Recht der Betroffenen auf Privatsphäre (oder informationelle Selbstbestimmung) direkt betreffen.

805 Dazu ausführlicher unter § 3, II. 806 Hasselbach, Die Novellierung der forensischen DNA-Analyse, S.35. 807 BVerfG, NJW 1996, 771 (773). 808 BT-Drs. 13/667, S. 1. Dazu ausführlich unter § 7, I. 215

1. Normadressaten

1.1. Bei rechtskräftig Verurteilten

England und Staat USA809 DE SIN HK Wales

s. 13 B Reg- s. 203 istration of gesetzliche s. 63A Abs. 4 Justice §81g Abs. 4 s. 59G (1) (a) Criminals Grundlage PACE for All StPO PFO (Amendment) 2004 Act 2002

Qualifizierte Anlasstaten “serious ar- „recordable „any im Sinne Anlasstaten „any crime“ restable of- offense“ felony“ des § 81g fence”810 Abs. 1 S. 1 StPO

1.2. Bei den Verurteilten gleichgestellten Personen

England und Staat USA DE SIN HK Wales

gesetzliche s. 63 Abs. 3B Nicht §81g Abs. 4 Nicht gere- Nicht geregelt Grundlage PACE geregelt StPO gelt

Qualifizierte Anlasstaten Qualifizierte „recordable Nicht Nicht gere- im Sinne Nicht geregelt Anlasstaten offense“ geregelt gelt des § 81g Abs. 1 S. 1.

809 Hier werden nur die Gesetzgebungen auf Bundesebene in Betracht gezogen. 810 Es ist hier zu beachten, dass die “serious arrestable offence” die Eingriffsschwelle für die Spei- cherung von DNA-Analyse zum Zweck künftiger Strafverfolgung in Hongkong ist. 216

1.3. Bei Angeklagten

England und Staat USA DE811 SIN HK Wales

s. 13 B Regis- s. 203 tration of gesetzliche s. 63A Abs. 1 Justice §81g Abs. 1 Nicht Criminals Grundlage PACE for All StPO geregelt (Amendment) 2004 Act 2002

Qualifizierte Anlasstaten Qualifizierte „recordable „any Nicht im Sinne des „any crime“ Anlasstaten offense“ felony“ geregelt § 81g Abs. 1 S. 1 StPO

1.4. Bei Festgenommenen

England und Staat USA DE SIN HK Wales

s. 1004 s. 13 B Regis- Violence tration of gesetzliche s. 63A Abs. 1 §81g Abs. 1 Nicht against Criminals Grundlage PACE StPO geregelt Women (Amendment) Act 2005 Act 2002

Qualifizierte Anlasstaten „recordable „any Nicht Anlasstaten im Sinne des „any crime“ offense“ felony“ geregelt § 81g Abs. 1 S. 1 StPO

1.5. Zusammenfassung zur Frage der Normadressaten

Aus diesen Tabellen ergibt sich, dass die DNA-Identifizierungsmaßnahme in allen o.g. Ländern erhoben werden dürfen, wenn die Betroffenen wegen einer bestimmten Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind. In England und Deutschland kann die Maßnahme ebenfalls gegenüber Personen durchführt werden, die wegen erwiesener

811 Zu den Beschuldigten i.S.d Abs. 1 gehören damit auch die Angeschuldigten und Angeklagten. Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 16. 217 oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar fehlender Verant- wortlichkeit nicht verurteilt worden sind.812 Abgesehen von Hongkong ermächtigten die DNA-Datenbankgesetze in den anderen Ländern die Verfolgungsbehörden zu einer obligatorischen Entnahme der DNA-Zellproben von Personen, die wegen einer Straftat angeklagte oder festgenommen worden sind.

Der Umfang der qualifizierten Anlasstaten ist in o.g. Ländern nicht identisch festge- legt. In Singapur fallen alle Straftaten ungeachtet der Art oder Schwere der Straftat, derer der Betroffene verdächtig ist, in den Anwendungsbereich dieser Regelung. Al- lerdings ist Singapur unten den zu vergleichenden Ländern eher eine Ausnahme. Normalerweise wird die Maßnahme auf den Bereich konkret zu bezeichnender Straftaten mit besonderer Schwere beschränkt, beispielsweise „recordable offence“ in England oder „any felony“ in den USA, Straftaten von erheblicher Bedeutung in Deutschland oder “serious arrestable offence” in Hongkong.

In England und in Hongkong ist eine Generalklausel mit einer katalogartigen Auflis- tung vorgeschrieben. Auf diese Art hat Deutschland durch die Neufassung des § 81 g Abs. 1 S. 1 StPO um der Ausweitung des Normbereichs willen verzichtet,813 so wie in den USA.814 Gemeinsamkeiten der abstrakten Generalklauseln in den verschie- denen Rechtsordnungen sind aufgrund ihrer spezifischen Regierungstechnik und Rechtsprechung815 zwar schwer festzustellen. Einige Kriterien bei der Bestimmung

812 Dies wird allerdings in Literatur kritisiert, weil man an der Notwendigkeit von Maßnahmen bei Schuld- und Verhandlungsunfähigen zweifelt, ob sie überhaupt kriminologisch belegt ist. Vgl. Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g Rdn. 70. 813 Die Regelbeispiele fand man in der Anlage zu § 2c DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes vom 7. 9. 1998 (BGBl I 2646). Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 10; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrechtliche Analyse, S. 65. 814 Es hat in den USA zunächst einen Straftatkatalog gegeben (s. 3 DNA-Analyse Backlog Eliminati- on Act von 2000 und s. 503 USA Patriot Act), aber dieser wurde später durch den Oberbegriff „all felonies“ ersetzt. 815 Nach der vom BVerG entwickelten Formulierung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung mindesten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich 218 der Anlasstaten können mit Hilfe der Straftatenkataloge, obwohl manche bereits ge- strichen sind, jedoch aufgestellt werden. Denn diese bieten, trotz ihrer Aufhebung, Anhaltspunkte dafür, welche Straftaten grundsätzlich schwerwiegenden Charakter haben.816

Dies lässt sich am Beispiel der Straftaten, die zur Verurteilung zu einer Freiheitstrafe führen, zeigen. Nach s. 3 Abs. 1 (b) The National Police Records (Recordable Of- fences) Regulations 2000 in England ist eine eintragungsfähige Straftat diejenige, die zur Verurteilung zu einer Freiheitstrafe führt.817 Nach s. 3 Police Force Ordinance in Hongkong bezieht sich eine „serious arrestable offence“ auf eine solche Straftat, de- ren Höchstmaß des Regelstrafrahmens mit nicht weniger als 7 Jahren Freiheitstrafe angesetzt ist.818 In Deutschland wird vertreten, dass bei Verbrechen stets eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt.819 Nach § 12 Abs. 1 StGB misst der Gesetzge- ber einer Straftat aufgrund einer an sie geknüpften Mindestfreiheitstrafe von einem Jahr erhebliche Bedeutung bei.

Bei einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist die Untersuchung in allen o.g. Rechtsordnungen zulässig. 820 Ursprünglich war die Effizienz der

stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit in der Bevölkerung erheblich zu beein- trächtigen. (BVerfG Beschluss v. 14. 12. 2000 = NJW 2001, 879, 880). 816 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 10. 817 Ausführlich dazu unter § 1, I, 2.1. 818 Ausführlich dazu unter § 11, I. 819 Senge, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 81g Rdn. 3; Meyer-Goßner, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 7a; West, Genetischer Fingerabdruck und genetisches Phantombild - Eine verfassungsrecht- liche Analyse, S. 13. 820 Nach s. 3 Abs. 2 DNA-Analyse Backlog Elimination Act von 2000 in den USA: An offense relating to sexual abuse (as described in chapter 109A of such title, sections 2241 through 2245), to sexual exploitation or other abuse of children (as described in chapter 110 of such title, sections 2251 through 2252), or to transportation for illegal sexual activity (as described in chapter 117 of such title, sections 2421, 2422, 2423, and 2425); §§ 174 bis 184f. StGB in Deutschland; in Hongkong fallen nicht alle Sexualstraftaten in den Anwendungsbereich der Regelung, sondern nur diejenigen, deren Höchstmaß des Regelstrafrahmens mit nicht weniger als sieben Jahren Freiheitstrafe angesetzt ist. Beispielsweise s. 118 B Non-consensual buggery (imprisonment for life), s. 118 B Assault with intent 219

DNA-Identifizierungsmaßnahme im Bereich der Aufklärung von Sexualstraftaten ein wichtiger Anlass für die DNA-Datenbankgesetzgebung.821 Dies beruhte auf der Er- wägung, dass Sexualstraftäter häufig eine kriminelle Vorgeschichte als Mehrfachtäter aufweisen822 und dass die Speicherung seiner DNA-Daten die Aufklärung bei zu- künftiger Strafverfolgung erleichtert.

Gewalttaten,823 Diebstähle824 und die Straftaten, die gewerbs-, gewohnheits-, serien- oder bandenmäßig bzw. in anderer Weise organisiert begangen wurden825 und bei denen der Täter bei der Tatbegehung deliktstypisch das Identifizierungsmaterial möglicherweise hinterlässt,826 sind (oder waren) ebenfalls Regelbeispiele der An- lasstaten. Auch terroristische Straftaten, insb. nach den Anschlägen des 11. Septem- ber 2001, fallen in den Anwendungsbereich der Regelung.827

to commit buggery (zehn Jahre), 118C Homosexual buggery with or by man under 21 (imprisonment for life), s. 118 E Buggery with mentally incapacitated person (zehn Jahre), usw. 821 BT/Drs. 15/350, S. 1; Leahy, Using DNA and Forensic Science to Catch the Guilty and Protect the Innocent, Federal Sentencing Reporter, Vol. 20, Issue 5, S. 355; Williams/Johnson, Genetic Policing - The use of DNA in criminal investigations, S. 141. 822 Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 17; 823 In den USA nach s. 503 Abs. 1 USA Patriot Act: Jede Gewalttat, die in Title 16 United States Code beschrieben wird; in Deutschland nach Nr. 17-28 der Anlage zu § 2c DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes: Totschlag (§ 212 StGB), gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), usw.; in Hongkong nach § 25 Crimes Ordinance (Cap 200): Erpressung (Any person who beats or uses any violence or force to any person with intent in any such case to cause such person or any other person to do any act which he is not legally bound to do, or to omit to do any act which he is legally entitled to do, shall be guilty of an offence). 824 In England und Wales nach s. 3 Abs. 1 (b) The National Police Records (Recordable Offences) Regulations 2000: Fahrraddiebstahl; In Deutschland: Nr. 29-31 der Anlage zu § 2c DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes): besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 StGB), Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl (§ 244 StGB), schwerer Bandendiebstahl (§ 244a StGB). 825 Walther, StPO Kommentar, § 81g Rdn. 10; Rogall, in: Rudolphi/Wolter, SK-StPO, § 81g StPO Rdn. 18. 826 Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, S. 110. 827 Criminal Justice Act 1988 in England hat der Polizei der Befugnis gewährt, Zellproben im Zuge der Strafverfolgung zu entnehmen. Der Einsatz der Speichelprobe bei der DNA- Analyse und die 220

2. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschung der DNA-Profile

2.1. Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe

England Staat und Wa- USA DE SIN HK les828 s. 64 Abs. Gesetzliche 1A und Nicht § 81g Abs. 2 s. 59H Abs. Nicht geregelt Grundlage Abs. 1B geregelt S. 1 StPO 1 PFO PACE Zeitpunkt dauerhaft In der unverzüglich sobald dies der Ver- zu spei- Regel zu zu vernich- Nicht geregelt praktikabel nichtung chern. speichern. ten ist

2.2. Löschung der DNA-Profile

England Staat und Wa- USA DE SIN HK les s. 64 § 32 Abs. 2 Abs. 1A s. 1 (d) DNA s. 13 G The Gesetzliche S.1 BKAG, § und Abs. Identification Registration of s. 59H PFO Grundlage 8 Abs.3 1B Act Criminals Act BKAG PACE Ausschluss der grds. nach Ver- Tatbeteiligung Aufhebung Zeitpunkt dauerhaft Nach den o.g. fahrenseinstel- des Betroffenen; der Verur- der Lö- zu spei- Vorschriften lung oder Frei- nach Verfah- teilung der schung chern. zu löschen.829 spruch renseinstellung Erstinstanz oder Freispruch

folgende Identifikation von Terroristen war der Grund für diese Gesetzesänderung, obwohl der An- wendungsbereich dieser Befugnisse nicht nur auf terroristische Verdächtigte beschränkt blieb, in McCartney, Forensic Identification and Criminal Justice, Forensic science, justice and risk, S. 12; in Deutschland nach Nr. 1 der Anlage zu § 2c DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes: Bildung terroristi- scher Vereinigungen (§ 129a StGB); in den USA s. 503 Abs. 2 USA Patriot Act von 2001: Jede terro- ristische Straftat im Sinne vom § 2332b (g) (5) (B) in Titel 18 United States Code. 828 S. 64 Abs. 1A und Abs. 1B PACE ist nicht mehr die geltende Regelung, aber nach der Mar- per-Entscheidung des EGMR ist noch kein neues Gesetz verabschiedet worden. 829 Dazu ausführlicher unter § 9, II, 2. 221

2.3. Zusammenfassung zur Frage der Vernichtung der entnommenen DNA-Zellprobe und Löschung der DNA-Profile

Abgesehen von England und Wales sind die Vernichtung der DNA-Zellproben und die Löschung der DNA-Profile getrennt geregelt. Grundsächlich sind die DNA-Zellproben zu vernichten, sobald das DNA-Profil aus dem Körpermaterial er- stellt ist und die Zellprobe nicht mehr benötigt wird. Die Vernichtung in Singapur erfolgt allerdings nur nach Verfahrenseinstellung und Freispruch.

Außer in England und Wales sind die DNA-Profile in den zu vergleichenden Ländern zu löschen, wenn das Verfahren gegen den Betroffenen von der Staatsanwaltschaft eingestellt oder wenn er rechtskräftig freigesprochen wurde. In Deutschland soll das DNA-Profil ebenfalls gelöscht werden, wenn die Speicherung der Daten schon bei der Erhebung unzulässig war. In Singapur betrifft die Löschungsregelung noch zwei Personengruppen, deren Tod unter der Registrierung von Births and Deaths Act (Cap. 267) registriert worden ist oder sie 100 Jahre alt geworden sind.

Erwähnenswert ist, dass s. 64 Abs. 1A und Abs. 1B PACE in England und Wales eine zeitlich unbegrenzte Aufbewahrung von Zellproben und DNA-Profilen zuließ, auch wenn das Strafverfahren gegen den Betroffenen eingestellt oder mit einem Frei- spruch abgeschlossen wurde. Im Marper-Fall entschied der EGMR, dass diese pau- schale und unterschiedslose Befugnis zur Speicherung gegen Art. 8 EMRK verstoße. Die undifferenzierten und zeitlich unbegrenzten Aufbewahrungsregelungen müssen durch grundlegende Novellierungen des Gesetzes geändert werden.

II. Rechtsprechung als ein wichtiger Mechanismus des Rechtschutzes der Privatsphäre

Der Rechtsschutz der Betroffenen in Bezug auf die DNA-Identifizierungsmaßnahme ist im Namen der Achtung des Privatlebens im Human Rights Act in England und Wales, durch den Schutz vor willkürlicher Untersuchung aus dem vierten Verfas- sungszusatz in den USA und durch den Recht auf informationelle Selbstbestimmung

222 in Deutschland gesichert.830 Im Folgenden wird zusammenfassend entwickelt, wie die Rechtsprechung als ein wichtiger Mechanismus des Rechtschutzes der Pri- vatsphäre die Grundrechte des Bürgers im jeweiligen Land verwirklicht und neben den Schutzvorkehrungen im Gesetz am Rechtschutz wirkt.

Im Fall Marper hatten die Beschwerdeführer zwar vor inländischen Gerichten keinen Erfolg. Die Entscheidung des EGMR jedoch hat der Menschenrechtsbescherde statt- gegeben und gebot der Expansion der englischen Gesetzgebung bezüglich der DNA-Datenbankgesetze Einhalt. Das Urteil führte ein neues Entscheidungsprinzip beim Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs und einige Gesetzesrefor- men herbei,831 in denen der Rechtsschutz des Betroffenen spürbar gestärkt wurde.832

In den USA diskutieren die Federal Courts und Circuit Courts, ob die DNA-Datenbankgesetze, die zur Untersuchung von Unverdächtigen ohne richterli- che Anordnung berechtigen, gegen den vierten Verfassungszusatz verstoßen, und wenn nicht, welche der von dem Obersten Gerichtshof entwickelten Rechtferti- gungslehren, nämlich die Bedarfslehre oder Abwägungslehre, angewendet werden soll. Beide Rechtfertigungslehren sind sehr umstritten, weil sie unbefugte Maßnah- men durch laxe Prüfstandards rechtfertigen und der Rechtsschutz aus dem vierten Verfassungszusatz untergraben wird. Allerdings haben alle Gerichte ein klares Signal gegeben, dass es unmöglich sei, eine universale DNA-Datenbank in den USA aufzu- bauen, weil die Normadressaten der DNA-Regelung auf einen Personenkreis be- schränkt werden müssen, die zumindest einen kriminellen Status haben und die daher keinen Anspruch auf normalen Schutz der Privatsphäre wie die allgemeinen Bevöl- kerung haben könne.833

Seit dem Volkszählungsurteil hat das BVerfG in Deutschland das Recht auf informa-

830 Um einen Rechtsvergleich zu ermöglichen werden sie in Folgenden einheitlich unter dem Oberbe- griff „Recht auf Privatsphäre“ behandelt. 831 Nydick, The British Invasion (of Privacy): DNA Databases in the United Kingdom and United States in the Wake of the Marper Case. 23 Emory Int'l L. Rev, 609 (2009), S. 610. 832 Dazu ausführlicher unter § 2, IV, 4 und § 3. 833 Dazu ausführlicher unter § 6, II und III. 223 tionelle Selbstbestimmung als eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeits- rechts anerkannt und diesem Recht verfassungsrechtliche Konturen verliehen. An der Einführung der Untersuchungsmöglichkeiten der DNA-Analyse war die Rechtspre- chung beteiligt. Die Maßnahme als ein im Strafverfahren grundsätzlich zulässiges Beweismittel im Sinne des § 81e StPO wurde von einem Beschluss des BGH bejaht. Im Jahre 1995 ist die Zulässigkeit molekulargenetischer Untersuchungen im Straf- verfahren durch das BVerfG bestätigt worden. In der früheren Rechtsprechung wur- den bereits einige Merkmale entwickelt, beispielweise dass die molekulargenetische Untersuchung des Körpermaterials auf den nicht-codierenden Bereich der menschli- chen DNA beschränkt werden muss, sodass der genetische Fingerabdruck als erken- nungsdienstliche Standardmaßnahme den absolut geschützten Kernbereich der Per- sönlichkeit nicht berührt. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Erhebung, Speicherung und (künftige) Verwendung des genetischen Fingerabdrucks aus Zell- proben einer Person, deren Identität zum Zeitpunkt der molekulargenetischen Unter- suchung bekannt ist, in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift.

Im Lauf der Zeit hat sich in der Rechtsprechung zur Frage der Negativprognose und Begründung der Anordnung eine reiche Kasuistik entwickelt. Solche auf den Einzel- fall bezogenen Faktoren schützen den Betroffenen vor willkürlichen, pauschalen und unterschiedslosen Maßnahmen.

III. Differenzierter oder umfassender Rechtsschutz?

Im Folgenden wird der Rechtsschutz der Privatsphäre in den USA und Deutschland in Betracht gezogen, weil dies im englischen Recht ein relativ modernes Konzept ist und es Zeit braucht, hieran orientierte Entscheidungen zu fällen und eine eigene Dogmatik zu entwickeln, um die bestehende Rechtsschutzlücke zu schießen.834

834 Trotz der Inkorporierung des Grundrechtskatalogs der EMRK in den Human Rights Act ist Groß- britannien mehrmals mit Entscheidungen des EGMR wegen des Rechts auf Achtung des Privatlebens konfrontiert worden und hat viele Fälle verloren. Im Fall Marper z.B. haben die inländischen Gerichte aller Instanzen bis zum House of Lords zugunsten der in England und Wales existierende zeitlich nicht begrenzte DNA-Speicherungsregelung entschieden. 224

Weder in den USA noch in Deutschland ist das Recht auf Privatsphäre im Grund- rechtekatalog explizit als Verfassungsrecht verankert. Historisch betrachtet wurde es bei seiner Entstehung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung durch die Obers- ten Gerichte im jeweiligen Land entwickelt.835 In Bezug auf die Art des Rechts- schutzes jedoch unterscheiden sich die beiden Länder stark voneinander.

Es ist ein deutsches Konzept, dass unterschiedliche Eingriffsschwellen der grund- rechtsrelevanten Maßnahmen festgesetzt werden, die Ausdifferenzierung eines Grundrechts durch eine Verfassungsbeschwerde zu ermöglichen836 und den Bürger vor differezierten staatlichen Eingriffen zu ermöglichen. Die US-Verfassung konden- siert alle polizeilichen Zwangs- und Überwachungsmaßnahmen in einem einzigen Grundrecht aus dem stark komprimierten vierten Verfassungszusatz.837 In den USA bietet der vierte Verfassungszusatz ein umfassendes „Recht auf Privatsphäre“ an.838 Dies kennt das deutsche Recht demgegenüber nicht. Beispielweise wird der durch den vierten Verfassungszusatz vermittelte Schutz im Kontext von „search“ im deut- schen Grundgesetz vielmehr durch viele verschiedene Einzelgrundrechte gewährt: Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 2 Abs. 2 GG (körperliche Integri- tät) und dem als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die DNA-Identifizierungsmaßnahme verbindet mit dem Oberbegriff „search“ und allen

835 In den USA ist das Recht durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshof Katz v. United States als ein integraler Teil in die amerikanischen Verfassung aufgenommen worden und in Deutschland durch die Volkszählungsentscheidung. Siehe Bartsch, Rechtsvergleichende Betrachtung präven- tiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA, S. 51. 836 Würtenberger, Entwicklungslinien des Sicherheitsverfassungsrechts, S. 286. 837 Hessel, Ein Vergleich der Eingriffsschwellen im deutschen und US-amerikanischen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des US Supreme Court bei Eingriffen in die Pri- vatsphäre, S. 59; Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 434; Arzt, Polizeiliche Überwachungsmaßnahmen in den USA, S. 20. 838 Hessel, Ein Vergleich der Eingriffsschwellen im deutschen und US-amerikanischen Recht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des US Supreme Court bei Eingriffen in die Pri- vatsphäre, S. 59; Markwordt, Die Einleitung der Untersuchungshaft, S. 434. 225 davon abgeleitete Lehrauffassungen. Gleichgültig ob sie ursprünglich im Kontext der Durchsuchung oder anderen körperlichen Untersuchungen entwickelt wurden, könn- ten sie auf die DNA-Identifizierungsmaßnahme übertragen werden, weil für den vierten Verfassungszusatz keine übersichtliche Verfassungsdogmatik besteht, die unterschiedliche Eingriffe auch tatsächlich unterschiedlich behandelt. Außerdem, während in Deutschland aufgrund der Intensität des Schutzes einzelner Lebensberei- che unterschiedliche Einschränkungen angelegt sind,839 weist der vierte Verfas- sungszusatz dem einheitlichen Schutzkonzept entsprechend eine einheitliche Schranke auf: nur wenn eine berechtigte Erwartung auf den Schutz der Privatsphäre besteht.

Mangels einer Aufspaltung in differenzierte Einzelgrundrechte, Eingriffsschwellen und Einschränkungen legen die amerikanischen Gerichte ein außerordentliches Ge- wicht auf die Rechtfertigungslehren, welche einen unbestimmten Grenzen der An- wendungsbereich beruhen und sehr umstritten sind. Trotz der Entwicklung über zwei Jahrzehnte hinweg fehlt es der Bedarfslehre noch an einem klaren Anwendungsbe- reich und einem einheitlichen Verständnis, damit die Gerichte der unteren Instanzen folgen konnten. Wegen ihrer Widersprüche und Unklarheiten ist es in der Praxis dazu gekommen, dass die Entscheidungen in Bezug auf die Überprüfung der Verfas- sungsmäßigkeit der DNA-Datenbankgesetze der unteren Instanzen, inkl. der Federal District Courts, Circuit Courts und obersten Gerichtshöfe der einzelnen Bundesstaa- ten, oft im Widerspruch zueinander stehen.

Im Gegensatz dazu erfahren die deutschen grundrechtlichen Schutzbereiche eine ständige Ausweitung, die durch ihre klare Differenzierung in Einzelgrundrechten fest im einfachgesetzlichen Bereich verankert sind. Die einfachgesetzliche Vorschriften mit ihrer Regelungsfülle, beispielsweise die hier relevante Regelung § 81 g StPO mit konkreten Voraussetzungen, verfahrensrechtlichen und datenschutzrechtlichen Best-

839 Beispielsweise haben das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Schutz der Wohnung un- terschiedliche Einschränkungen. Siehe Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 266, 309; Jarass /Pieroth, GG, Art. 2 Rdn. 95f. und Art. 13 Rdn. 16. 226 immungen für die DNA-Identifizierungsmaßnahme, und die verfassungsrechtlichen Restriktionen aufgrund der Verfassungsbeschwerden durch das BVerfG, gewähren dem Bürger einen effizienten Rechtsschutz vor staatlichen Eingriffen.

IV. Neue Wege des DNA-Datenaustauschs und ihre Hindernisse

In der Präambel des Prümer Vertrages stellen die Vertragsparteien expressis verbis fest, dass sie eine "Vorreiterrolle" bei der Erreichung eines möglichst hohen Standards in der Zusammenarbeit, vor allem durch einen verbesserten Austausch von Informatio- nen, einnehmen. Im Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität zwischen den USA und Deutschland wird hervorgehoben, dass die beiden Vertragsparteien dem Beispiel des Vertrags von Prüm folgen.

Dieser völkerrechtliche Vertrag bzw. das Abkommen haben neue Möglichkeiten des Datenaustauschs eröffnet und gleichzeitig Kritik hervorgerufen: der Prümer Vertrag bzw. der Ratsbeschluss Prüm habe zwar eine umfassende Protokollierungspflicht, eine Zweckbindung der Datenbankabrufe und eine Löschungspflicht vorgeschrieben, die aufgrund uneinheitlicher nationaler Datenschutzregelungen unzureichend sei;840 gegen das am 19. 4. 2011 in Kraft getretene deutsch-amerikanische Abkommen hat ein deutscher Bürger Beschwerde beim EGMR mit der Behauptung eingelegt,841 dass er bei seiner Einreise in die Vereinigten Staaten Nachteile infolge eines positi- ven Fingerabdruckabgleichs erleide,842 weil die Mindestgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention in den USA nicht gelten und deren Datenschutzniveau

840 Heid, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rdn. 131. 841 Die Beschwerdeschrift D-USA-Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität: www.daten-speicherung.de/data/Beschwerdeschrift_D-USA-Abkommen_EGMR_anon.pdf (Zugriff am 27. August 2012). 842 Die Beschwerdeschrift D-USA-Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, S. 7. 227 nicht mit dem in der EU vergleichbar sei.843 Darüber hinaus sähe das Abkommen nicht vor, dass ein Betroffener sein Recht im Fall einer Verletzung vor einem unab- hängigen Gericht anrufen könne. Der Gerichtshof hat den Eingang der Beschwerde bestätigt (Beschwerdenummer 5095/12).844

Es ist im Gesetzestext offensichtlich, dass viele Regelungen in Hinblick auf den Da- tenschutz im Prümer Vertrag (Art. 34 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 und 2, Art. 39 Abs. 5, Art. 40 Abs. 1 und 2) auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten zurückgreifen. Mutschler ist der Auffassung, dass dies nicht unbedingt zu Kritik führen muss, weil „die Prüm-Reglungen eine Form der vertieften Kooperation darstellen und keine Integration im Sinne einer Harmonisierung der Rechtsordnungen intendieren“,845 denn die nationalen Widerstände und Vorbehalte erschweren die Rechtanglei- chung,846 wenn sie überhaupt möglich ist. Es ist jedoch zu beachten, dass die Ver- tragsparteien des Prümer Vertrags einen generellen Datenschutzstandard aus der Da- tenschutzkonvention, Empfehlung Nr. R (87) 15 anerkennen. Zugleich ist dem Be- troffenen bei Verletzung seines Datenschutzrechts eine Beschwerdemöglichkeit ge- mäß Art. 31 Abs. 1 Ratsbeschluss Prüm eingeräumt.

Dies ist allerdings beim deutsch-amerikanischen Abkommen nicht der Fall, weil das Datenschutzregime, das ausschließlich für Mitgliedsstaaten der Europäischen Men- schenrechtskonvention bzw. Datenschutzkonvention konzipiert worden war, in den USA fehlt. Eine wirksame Beschwerde, die gegenüber einem unabhängigen, unpar- teiischen Gericht erhoben werden kann, wurde nicht garantiert. Es ist bereits ausge- führt worden, dass das Recht auf Privatsphäre durch die innerstaatliche Verfassung

843 Die Beschwerdeschrift D-USA-Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, S. 7. 844 Klage gegen US-Zugriff auf deutsche Fingerabdrücke und DNA, http://www.daten-speicherung.de/index.php/klage-gegen-us-zugriff-auf-deutsche-fingerabdrucke-und- dna/ (Zugriff am 29. 08. 2012). 845 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 302. 846 Mutschler, Der Prümer Vertrag: neue Wege der Kriminalitätsbekämpfung auf europäischer Ebene, S. 302. 228 im Vergleich mit dem Zustand in Deutschland nicht hinreichend geschützt ist. Die USA haben die Amerikanische Menschenrechtskonvention bis heute nicht ratifi- ziert.847 Zudem ist der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte in den USA nicht unmittelbar anwendbar („not self-executing“), weil sie das Überein- kommen mit einem Vorbehalt ratifiziert haben.848

Am 26. 08. 2008 ist der Ratsbeschluss Prüm in Kraft getreten, und der Überfüh- rungsprozess des Beschlusses hat auf die Initiative Deutschlands innerhalb kürzester Zeit zu einer Einigung aller 27 Mitgliedsstaaten geführt.849 Allerdings ist eine end- gültige Antwort über das Schicksal des deutsch-amerikanischen Abkommens noch nicht erfolgt. Auf diesem Experimentierfeld stellt sich einerseits die Frage, wie die vorhandenen Kapazitäten zur effektiven Strafverfolgung der grenzüberschreitenden Kriminalität effektiver genutzt werden und die Zusammenarbeit zwischen den Staa- ten intensiviert wird. Andererseits ist bei der Entwicklung mit Bedenken und Wider- ständen zu rechnen. Dies ist das Spannungsverhältnis zwischen der Anforderung an die Wahrung der Grundrechte von Betroffenen und den technischen Möglichkeiten der Polizei, das eine demokratische Gesellschaft mittels öffentlicher Diskussionen, Entwicklung der Gesetzgebung und abwägender Rechtsprechung zu einem interes-

847 U.S. has not ratified the American Convention on Human Rights, http://www.oas.org/dil/treaties_B-32_American_Convention_on_Human_Rights_sign.htm (Zugriff am 27. Aug. 2012); Diab, United States Ratification of the American Convention on Human Rights, Duke J. Comp. & Int'l L., Vol.2 (1992), S. 324; Dirk, Should the United States Ratify the American Convention on Human Rights?, Revista IIDH, Vol.14 (1991), S. 82. 848 U.S. Reservations, Declarations, and Understandings, International Covenant on Civil and Politi- cal Rights, 138 Cong. Rec. S4781-01 (April 2, 1992), para. III(1); Martin/Schnably/Wilson, Interna- tional Human Rights and Humanitarian Law: Treaties, Cases, and Analysis, S. 28; Fox, Implications of the United States' Reservations and Non-Self-Executing Declaration to the ICCPR for Capital Of- fenders and Foreign Relations, 11 Tul. J. Int'l & Comp. L. 303, S. 306; Genugten, The United States’ Reservations to the ICCPR, in Baehr/Castermans-Holleman, The Role of the Nation-state in the 21st Century: Human Rights, International Organizations and Foreign Policy, S. 36. 849 Heid, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, Rdn. 128, Töpfer, Nadelsuche im wachsenden Heuhaufen, http://www.heise.de/tp/artikel/29/29013/1.html (Zugriff am 25. 08. 2012). 229 senoptimierenden Ausgleich bringen muss.

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Florida v. Riley, 488 U.S. 445, 449-52 (1989). National Treasury Employees Union V. von Raab, 489 U.S. 656 (1989). Skinner v. Railway Labor Executives'Ass'n, 489 U.S. 602, 619 (1989). Michigan Dep't of State Police v. Sitz, 496 U.S. 444 (1990). Jones v.Murray, 962 F.2d 302, 307 (4th Cir. 1992). Chandler v. Miller, 520 U. S. 305, 308 (1997). Shaffer v. Saffle, 148 F.3d 118o, 1181 (10th Cir. 1998). Wyoming v. Houghton, 526 U. S. 295, 300 (1999). People v. Woods, 21 Cal. 4th 668, 681, 981 P. 2d 1019, 1027 (1999). United States V. Knights 534 U.S. 112 (2001). Ferguson v. City of Charleston, 532 U.S. 67 (2001). Kyllo v. United States, 533 U.S. 27 (2001). United States v. Reynard, 220 F. Supp. 2d 1142 (S.D. Cal. 2002). United States v.Miles, 228 F. Supp. 2d 1130 (E.D. Cal. 2002). Velasquez v. Woods, 329 F.3d 420,421 (5th Cir. 2003). Green v. Berge, 354 F.3d 675 (7th Cir. 2004). United States v. Kincade, 379 F.3d 813, 832 (9th Cir. 2004). Groceman v. U.S. Dep't of Justice, 354 F.3d 411, 413-14 (5th Cir. 2004). Padgett v. Donald, 401 F.3d 1273, 1280(11th Cir. 2005). Nicholas v. Goord, 430 F.3d 652, 667 (2d Cir. 2005). Johnson v. Quander, 370 F. Supp. 2d 79 (D.D.C. 2005). United States v.Sczubelek, 402 F.3d 175, 184 (3d Cir. 2005). United States v. Hook, 471 F.3d 766, 773 (7th Cir. 2006). Anderson v. Commonwealth Of Virginia, 48 Va. App. 704 (Va. 2006). Samson v. California, 547 U.S. 843.(2006). United States v. Hook, 471 F.3d 766, 773 (7th Cir. 2006). Johnson v. Quander, 440 F.3d 489, 496 (D.C. Cir. 2006). United States v. Kraklio, 451 F.3d 922, 924 (8th Cir. 2006). United States v. Amerson, 483 F.3d 73, 79 (2d Cir. 2007). United States v. Weikert, 504 F.3d 1 (1st Cir. 2007). 250

Entscheidungen des EGMRs

Armstrong v. United Kingdom, Application No. 48521/99(2002).

Arnott v. United Kingdom, Application No. 44866/98(2000).

Bensaid/ United Kingdom, Application No. 44599/98(2001). Dudgeon v. United Kingdom, Application No. 7525/76 (1981).

Govell v. United Kingdom, Application No 27237/95(1998).

Greens and MT v. United Kingdom, Application Nos 60041/08 and 60054/08 (2010).

Khan v. United Kingdom, Application No. 47486/06(2010).

Klass v. Germany, Series A No 28, (1979-1980) 2 EHRR 214. Leander v. Sweden, Application No. 9248/81(1987). McVeigh, O'Neill & Evans v. United Kingdom, App. Nos. 8022/77, 8025/77, 8027/77 (1981). PG and JH v. United Kingdom, Application No. 44787/98(2001). Pretty/United Kingdom, Application No. 2346/02(2002). Van der Velden v. the Netherlands, Application No. 29514/05(2006).

Wainwright v.The United Kingdom, Application No. 12350/04(2006).

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