Löberitzer Schachchronik/1986/1.Auflage
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Löberitzer Schachtage Der Löberitzer Schachclub Das Jahr 1871 ist das Geburtsjahr des Löberitzer Schachclubs, obwohl eigentlich schon einige Jahre vorher mehr oder weniger regelmäßig in Löberitz Schach gespielt wurde. Der Hauslehrer Johann Mel- chior Kirsch1 brachte das königliche Spiel ins Dorf. Über die Person des Lehrers Kirsch ist uns wenig bekannt, da er bald wieder den Ort verließ. Er wirkte später um die Jahrhundert- wende als Pastor in Ammendorf bei Halle, hielt aber immer postalischen Kontakt mit den Löberitzer Schachspielern. Dieser Mann, der als eigentlicher Gründer des Schachclubs gilt, fand natürlich mit seinen Ideen beim unternehmungslustigen Franz Ohme, von dem kein Bild existiert, Unterstützung. Johann Melchior Kirsch Zu diesen beiden gesellten sich noch eine Handvoll Leute, von denen vor allem der Landwirt Friedrich Gustav Krause2 als starker Spieler galt. Der Gasthof „Zur Weintraube“ war der Ort der Zusammenkünfte. Die allgemeine Euphorie zur damaligen Zeit wurde durch die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches ausgelöst. Nach Gründung des Schachclubs im Juni 1871 wurden Franz Ohme als Clubleiter und Gustav Krause als Schriftführer in den Vorstand ge- wählt. Friedrich Gustav Krause 1 Johannes Melchior Kaspar Baltharsar Kirsch, so sein vollständiger und sich wegen seines Geburts- tages auf die Hl. Drei Könige beziehende Name, wurde am 6. Januar 1844 in Leuth geboren. Er besuchte das Gymnasium Gütersloh und Cleve und studierte von 1868 bis 1872 an der Universität zu Halle. Zur Finanzierung des Studiums war er in Löberitz bei Zörbig als Privatlehrer tätig. Dabei brachte er das Schachspiel nach Löberitz und begründete gemeinsam mit dem Gashofbesitzer Friedrich Fanz Ohme 1871 den „Löberitzer Schachclub“. Kirsch starb nach einem beruflichen Wer- degang als Lehrer in einer Privatschule in der Schweiz und als Rektor in Neutomischel / Wartheland und Pfarrer am 7. Mai 1913 in Naumburg. 2 1846 - 1929 1 Löberitzer Schachtage Der erste schriftliche Nachweis des Löberitzer Schachclubs findet sich allerdings erst ein Jahr später im Juni 1872 als Inserat im „Zörbiger Boten“, der lokalen Zeitung für Zörbig und der umliegenden Dörfer. Hier wurden „Freunde des Schachspiels in Löberitz und Umgebung zu einer ge- meinsamen Besprechung am Donnerstag, den 20. Juni, ins Ohmsche Lokal“ einge- laden. Doch auch in der Mai-Ausgabe der „Deutschen Schachzeitung“ des Jahres 1874 wird auf den Seiten 140 und 141 in der Rubrik „Vermischte Mitteilungen“ aus- führlich über das Löberitzer Schachgeschehen der damaligen Zeit berichtet. Folgen wir also diesem Bericht: Schach auf dem Lande Es ist uns immer eine besondere Freude gewesen, wenn wir die Wahrnehmung machten, daß das Schachspiel in einem Kreise Pflege fand, in dem man nur Liebe zu leichterer, aber auch gefährlicherer Zerstreuung (Kartenspiel!) zu finden ge- wöhnt ist. Wir berichten heute mit Vergnügen, daß sich in nicht sehr weiter Ent- 2 Löberitzer Schachtage fernung von Leipzig ein zweites Ströbeck aufgetan hat. Vor ein paar Monaten machte C. Schwede im Café Hanisch die Bekanntschaft des Herrn Franz Ohme, Gasthofbesitzer in Löberitz bei Zörbig. Dieser, ein warmer Freund des Schach- spiels, erzählte, daß es ihm gelungen sei, die Landleute seines Wohnungsortes zu einem Schachclub zu vereinigen, und knüpfte an seine Mitteilung die freundliche Bitte, daß ihn einige „Leipziger Herren“ besuchen möchten. Schwede, sowie ferner die Herren J. A. Metger und E. Hoffmann beschlossen, die Einladung zu akzeptie- ren und fuhren alsbald wohlgemut nach der Station Stumsdorf (unweit Halle) ab. Dort angelangt, wurden sie zu Wagen nach Löberitz gebracht. Alle drei hatten sich, wie natürlich darauf gefaßt gemacht, außer Herrn Ohme nur wenige und „erschreckliche“ Schachspieler zu finden, sahen sich aber zu ihrer Freude in der Folge sehr getäuscht. Sie wurden von Herrn Ohme sehr liebenswürdig empfangen, und nachdem sie sich etwas restauriert hatten, begann das Spiel. Schwede spielte ohne Vorgabe gegen Herrn Ohme eine Partie blindlings und gewann sie nur mit viel Mühe. Später glaubte der Leipziger, obschon er bereits viel im Vertilgen des Gerstensaftes geleistet hatte, das Experiment im verdoppelten Maßstabe wieder- holen zu dürfen. Da war er aber schön angekommen. Seine Gegner „vermöbelten“ ihn schließlich recht gründlich. Gegen Abend waren alle Schachspieler versam- melt, und das in der Zahl von ca. 15 (!) Personen. Es wurde weidlich gekämpft und der Ernst und die Liebe, womit die schlichten Landleute die Sache behandelten (sie wollten während des Blindlingsspiels nicht einmal laut reden) hinterließ auf die Leipziger Gäste einen höchst angenehmen Eindruck. In später Stunde trennte man sich endlich, nicht ohne daß die Leipziger versprochen hatten, im Sommer ihren Besuch zu wiederholen. Und sie werden gern Wort halten, wenigstens zwei von ihnen. (Herr Metger hat Leipzig nach halbjährlichem Aufenthalt vor einigen Wo- chen verlassen). Bleibt noch nachzutragen, dass einer der Besucher, Dr. Constantin Schwede, 1878 die Deutsche Schachzeitung redigierte und J. A. Metger später als Meister- spieler von sich Reden machte. Natürlich verwenden wir gern diese Textstelle, denn welch kleiner Dorfverein erhält in der ruhmreichen „Deutschen Schachzeitung“ eine fast zweiseitige Aufmerksamkeit. Doch auch in der näheren Umgebung fand der „Löberitzer Schachclub“ Aner- kennung. Viele Schachfreunde aus den Nachbargemeinden fanden den oft be- schwerlichen Weg nach Löberitz, um der Einladung zum Schachspiel zu folgen. Dennoch reichte die innerbetriebliche Konkurrenz nicht aus, und so war es nicht verwunderlich, wenn die Löberitzer auch in anderen Orten ihren Einfluss geltend machten und ihre Erfahrungen weitergaben. Der Funke sprang über, und es kam nach und nach zu neuen Vereinsgründungen in Möhlau (heute Großzöberitz), Quellendorf, Jeßnitz, Bitterfeld und der Stadt Zörbig. 3 Löberitzer Schachtage Der Zörbiger Schachclub wurde 1875 im Zörbiger „Ratskeller“ gegründet. Bis zu den achtziger Jahren stand dieser mehr bürgerliche Verein auf wackligen Füßen, ehe er dann von Maurer- und Zimmermeister Carl Enke (1834 - 1905) als Vorsit- zender übernommen und gefestigt wurde. Stärkster Spieler war hier der Bank- besitzer August Lederer, der auch das Amt des Schriftführers versah. Mehrere Vergleichskämpfe zwischen beiden Orten folgten in dieser Zeit. Am Samstag, dem 22. Februar 1879, fand im „Bettmannschen Hotel“, in dem der Zörbiger Schachclub seit dem Jahre 1877 spielte, solch ein Wettkampf statt. Über den Ausgang ist leider nichts mehr überliefert. Die Löberitzer hatten nach ihrer Gründung freitags Training, ab 1876 mittwochs und ab 1877 wieder freitags. Auch das 9. Stiftungsfest fand am Freitag, den 2. April 1880 statt. Neben den vereinsinternen oder lokalen Schachvergleichen spielten die Löberitzer in den Anfangsjahren mehrere Fernschachwettkämpfe. Gegen den Apoldaer Schachclub (1879) ist das Ergebnis nicht mehr bekannt, doch vom Wettkampf gegen Dessau (ca. 1885) sind uns sogar noch die Partien erhalten. Hier wurde 1,5 : 0,5 verloren. Diese Vergleiche reichten natürlich nicht aus und konnten nur einen Ersatz für ein sportliches Wettkampfsystem sein. So ging es auch anderen Vereinen. Die Gründung eines allgemeinen Schachbundes wurde unumgänglich, denn nur dadurch konnten einheitliche Wettkampffor- men und ein organisiertes Schachleben geschaffen werden. Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts war die Messestadt Leipzig neben Berlin und Breslau eine der Schachhochburgen in Deutschland. Der dortige Schachclub „Augustea“ bestimmte schon mehrere Jahre das Niveau. So war es fast selbstverständlich, als die Leipziger 1877 den Auftrag erhielten, zu Ehren von Adolf Anderssen, dem Vorkämpfer des Deutschen Schachs, einen Kongreß auszurichten. Während dieses Kongresses, wo auch die Löberitzer Schachfreun- de anwesend waren, kam es am 18. Juli zur Gründung des „Deutschen Schach- bundes“. Für die Löberitzer Schachgeschichte war das natürlich ein bis zum heutigen Tag wichtiges Ereignis. Schon wenige Jahre nach der 1877 in Leipzig erfolgten Gründung des Deutschen Schachbundes gab es ernsthafte Bestrebungen, das schachliche Leben auf den lokalen Ebenen zu verbessern. Dabei waren die im Halleschen Raum existieren- den Vereine am schnellsten. Die gemeinsamen Ziele beflügelten die Ideen. Am Sonntag, den 8. Oktober 1882 trafen sich in Zörbig die Vertreter dreier Vereine, um in „Bettmann’s Hotel“ einen Schachbund zu gründen. Diese Vereinigung erhielt den Namen „Saale-Schachbund“ und wurde somit der erste Landesverband des Deutschen Schachbundes. Gründungsmitglieder waren 4 Löberitzer Schachtage die Schachclubs aus Halle, Löberitz und Zörbig. Die Interessen ihrer Vereine vertraten dabei Kaufmann Otto Hensel vom Halleschen Schachclub, Ziegeleibe- sitzer Franz Ohme vom Löberitzer Schachclub und vom Zörbiger Schachclub der Maurer- und Zimmermeister Carl Enke. Des Weiteren war neben anderen Vertretern der Eisenbahnsekretär Felix Krauser aus Halle anwesend. Hensel, der später nach Berlin verzog, schrieb 1897 an den damaligen Bundessekretär des Saale-Schachbundes F. Tempel über die vollzogene Gründung: „Krauser ist aber der Vater des Bundes, Franz Ohme seine Mutter, und ich war die Hebamme.“ Im Saale-Schachbund waren die Löbe- ritzer dann über 30 Jahre aktiv. In dieser Zeitspanne wurden fünf Bun- deskongresse in Löberitz abgehalten. Der wichtigste Kongress dürfte wohl der des Jahres 1883 sein, denn da spielte der in Halle / Saale Medizin studierende Siegbert Tarrasch mit. Medizinstudent Siegbert Tarrasch Ehrenpreisturnier am 10. Juni 1883 im „Gasthof