Kuriosum der Comicgeschichte); das staatlich Stolz hergeben. Es fing doch alles so schön an … finanzierte Pamphlet wird 1949 an Studierende Kurtzman gibt sich sichtlich Mühe, liefert seine der Columbia University verteilt. elaboriertesten und detailreichsten Zeichnungen Danach muss Kurtzman ran und Kurzgeschich- ab, kommt bestens an bei der Verlagsleitung und ten schrubben: Ein Dutzend Science-Fiction- und wird mit der Redaktion eines neuen Titels be- Horrorcomics entsteht übers Jahr für EC. Oft über- auftragt: TWO-FISTED TALES soll ein sehen wird hier, dass Kurtzman sehr bald auch Abenteuerheft sein, und Kurtzman steuert seine eigenen Skripte beisteuert! die Auftaktstory Conquest! bei. Obwohl in dieser Phase von EC bald alles Die Geschichten um Schatzsucher, Pira- von Gaines und Feldstein geschrieben wer- ten und Feldherren verlieren sich rasch und den wird, nimmt sich Kurtzman frech die- TWO-FISTED wandelt sich unter Kurtz- se Freiheit heraus und lässt sich auch vom man zum reinen Kriegscomic. Denn der Editorengespann nicht mehr reinreden. Künstler will der Natur des Krieges auf Der Neue macht ganz schön Dampf, aber EC den Grund gehen und recherchiert sich weiß, was sie an ihm haben, und so geraten des- penibel durch die Weltgeschichte: Ausei- sen Komplettbeiträge wie Television Terror, Is- nandersetzungen der Antike, Schlachten land of Death, The Sounds From Another World! des Mittelalters, napoleonische Feldzüge, und Man and Superman! zu erstaunlich reifen US-Unabhängigkeitskrieg, amerikanischer Comicgeschichten. Bürgerkrieg, Erster Weltkrieg, Zweiter Welt- EC wird für den gerade 26-jährigen Kurtz- krieg und – unerhört und waghalsig – der Atmosphärisches Cover man zum Sprungbrett, von dem aus er in artis- aktuell stattfindende Koreakrieg (1950–1953), in zu TWO-FISTED TALES Nr. 26 vom Frühjahr tische Höhen abfedert. Diese rauschhaften Mo- den die USA involviert sind. Im Sommer 1951 1952. Im Innenteil nate, in denen Gaines wie eine verständnisvolle übernimmt er auch die Redaktion eines Schwes- Geschichten von der Vaterfigur wirkt, werden sechs Jahre später die terhefts: FRONTLINE COMBAT beschäftigt sich koreanischen Front. Vergleichsfolie für Entfremdung und verletzten von Anbeginn an mit Kriegserzählungen. Wenn Kurtzman spricht, haben die Krümel Pause! humor ist, wenn es harvey ist Kurtzman arbeitet sich nahe- zu kaputt über seiner Detail- Kurtzmans Jahre bei EC (1949–56), und ein bisschen was eigenes Studio. Die Kosten teilt er sich mit Will versessenheit. Er zeichnet nur davor und ein bisschen was danach, von Tillmann Courth Elder, , und (Gastauftritt noch selten selber (hauptsäch- aus Frankreich) René Goscinny. lich Cover), sondern fertigt Hinter jedem tragischen Genie steht eine pa- Harvey Kurtzman hängt das Label »tragisches Genie« Storyboards für seine Zeichner tente Frau, die dem Künstler Arbeit beschafft. an, welche Bild für Bild um- an. Wie kommt’s? Als Visionär, der im Alleingang das So auch in Kurtzmans Fall: Er lernt Adele Hasan gesetzt werden sollen. Noch Satireheft MAD erfindet, wird er geplagt von Ängsten des kennen, die beim Timely-Verlag (später Marvel) dazu erwartet er, dass Unifor- Kontrollverlusts. Er fürchtet Einmischungen in sein Werk arbeitet. Sie belatschert den jungen Redakteur men, Waffen, Ausrüstungen, von Außenstehenden, die seine künstlerischen Ansprüche Stan Lee, ihrem Harvey (den sie bald heiraten Fahrzeuge historisch akku- wird) Füller-Geschichten von einer Seite Länge weder teilen noch begreifen. Kurtzman reagiert auf rat wiedergegeben werden. zuzuschanzen. Kurtzman kreiert seine brillanten Noch 1981 moniert er sich in Widerstände sprunghaft wie ein Eigenbrötler und beginnt HEY LOOK!-Funnies, die schon alles zeigen, was einem Interview, dass Wally lieber etwas Neues, als geduldig am Ball zu bleiben. ihn ausmacht: reduzierte Grafik, absurder Humor Wood die Outfits britischer Trotzdem krempelt er den amerikanischen Humor wie und erstaunliche Dynamik. Seeleute nicht richtig hinbe- auch die Wahrnehmung von Comics grundlegend um. Nebenher entwickelt er Kinderbücher (üb- kommen hat. »Harvey hatte rigens mit diesem unbekannten Franzosen aus eine nervige Art, deine Arbeit der Studio-WG) und kann beim EC-Verlag vor- zu kritisieren. stellig werden. Ein Tag, der die Comicgeschich- Er wurde oft nie spezifisch, te verändern wird, natürlich zum Besseren. sondern ließ so ein blumiges Zu diesem Zeitpunkt (1949) steht Kurtzman im ahr ist, dass Kurtzmans zeichneri- ›Oje, das hier hast du wohl Typisch verrückte sches Œuvre schmal ist. Kaum er- richtigen Moment in der richtigen Türe. nicht erspürt‹ ab. Wie reagierst Seite Hey Look wähnenswert sind seine Handvoll du auf so was?! Ich bewunder- aus WILLIE No. 19 (Mai 1949): Frühvierziger-Fließbandcomis für Durch diese Türe wird er kommen te ihn zutiefst … aber er war Auffällig sind die Wdas an sich schon elende Ferstadt-Studio; diese auch ein Tyrann.« groteske Figuren- Geschichten tragen auch noch nicht Kurtzmans Illustriert dort als Erstes den sechzehnseitigen Co- Zudem wurmt es Kurtzman, zeichnung sowie die dezidierte Handschrift. Nach seinem Wehrdienst mic Lucky Fights It Through!, eine Aufklärungs- dass Kollege Feldstein seine ständig in Bewegung befindliche (den er als Illustrator für die Army in den USA broschüre über die Gefahren von Geschlechts- drei Horrortitel aus dem Hand- »Kamera«. absolviert), findet er keine Arbeit in der Zeit- krankheiten, erzählt am Beispiel syphilitischer gelenk zu schütteln scheint, © published by schriftenbranche und eröffnet 1947 aus Not sein Cowboys (kein Scherz, sondern ein weiteres dafür aber dasselbe Honorar Timely/Marvel

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mit Soldaten und Veteranen zu treffen, diese zu interviewen und aus diesen Tatsachenberichten seine Skripte zu erstellen. Seine Assistenten Jerry De Fucio und (die später die Hefte koloriert) schickt er los, um Modelle von Waffen zu besorgen, in tauchenden U-Booten Tonauf- nahmen zu machen oder herauszufinden, welche Schimpfworte im amerikanischen Bürgerkrieg benutzt wurden (zum Beispiel »Thunderation!«). Seine Hefte werden außerdem handgelettert, denn Kurtzman lehnt den EC-Hausstil des Leroy­ letterings ab (ein Schablonenverfahren, das dem deutschen Maschinenlettering gleicht), denn seine Comics sollen ein organisches Gesamtkunstwerk abgeben. Kurz: Dieser Bursche aus Brooklyn ist ein Pedant, der es seinen Mit- und Zuarbeitern nicht einfach macht. In den Jahren 1951-54 überraschen und scho- ckieren die beiden Serien TWO-FISTED TALES und FRONTLINE COMBAT nicht nur mit unge- schönten Darstellungen von der Schmutzigkeit und Sinnlosigkeit des Krieges, sondern auch mit einfühlsamem Verständnis für die Opfer auf der Gegenseite. Die prominenteste Geschichte ist die von Kurt- zman selbst gezeichnete 6-Seiten-Story Corpse on the Imjin (TWO-FISTED TALES Nr. 25): Am Ufer des koreanischen Flusses Imjin sitzt ein ein- samer GI und isst seine Mittagsration. Er beobach- tet einen vorübertreibenden Leichnam und gerät ins Grübeln, wie der arme Kerl wohl gestorben sein mag. Da springt ihn ein feindlicher Soldat an, beide liefern sich einen Nahkampf auf Leben und Tod. Am Ende treibt ein neuer Leichnam den Imjin hinunter … Kurtzman ist offensichtlich Moralist, was gut einstreicht. Natürlich ist das ein Denkfehler, denn zu seinen hohen Ansprüchen passt. »Krieg im niemand hat ihn gebeten, so viel Arbeit in seine Comic war bis dato glorifiziert worden, niemand Hefte zu stecken. Kurtzman wird übrigens aus hatte die deprimierenden Aspekte beschrieben … diesem rein monetären Motiv MAD ins Leben Das empfand ich als unverantwortlich den Lesern rufen: ein schnell produzierter Humor- und Pa- gegenüber. Wie kann man Kindern Geschichten rodiencomic! (Lesen Sie unseren umfassenden vorsetzen, in denen Soldaten fröhlich hasenzähni- Bericht in der COMIXENE #122.) ge Asiaten mit ihren Gewehrstutzen totprügeln?! Das war der geile, Bezeichnend auch Kurtzmans Kritik an der Furchtbar, absolut grauenvoll. Also habe ich mich geile Westen. Das Geständnis des paternalistischen Art von Gaines. Der Verleger in die Abgründe echten Kriegsgeschehens gekniet. syphilitischen ruft im Jahre 1951, kurz vor Weihnachten, die Ich wollte Wahrheiten über den Krieg verbreiten.« Cowboys in Lucky EC-Bonus-Partys ins Leben: Gaines macht sei- Fights It Trough, nen Zeichnern geldwerte Geschenke. Kurtzmans Debüt Staatsverrat liegt in der Luft für EC Es gibt Fotoapparate für die ganze Mann- © Educational schaft. Kurtzman fühlt sich ungut verhätschelt: Höchst erstaunlich ist, dass die Regierungsbe- Comics, Inc.. »Gaines verschaffte dir Absicherung, aber gleich- hörden der Kriegskritik keinen Riegel vorschie- zeitig musstest du immer zu Daddy laufen.« In ben. Denn genau das passiert zehn Jahre später Seite rechts: klaren Worten: »Ich wollte keinen Fotoapparat, mit Warrens BLAZING COMBAT (einer Hom- Das schaurige ich wollte mehr Geld!« mage an die EC-Kriegsserien). Finale der wilden Allerdings findet 1952 eine Untersuchung durch und dynamisch ein- gefangenen Nah- Der Vater, der Sohn das FBI statt. Die Inhalte von TWO-FISTED TA- kampfszene aus und das heilige Geld LES und FRONTLINE COMBAT werden auf Corpse on the Im- »Aufwiegelung, Subversion und Unterminierung jin aus Aber verweilen wir noch einige Momente im der Truppenmoral« abgeklopft. FBI-Chef Hoover TWO-FISTED TALES Schützengraben der monatlichen Comicproduk- persönlich interessiert sich für die Affäre und lässt Nr. 25, 1952. tion von Kriegstiteln. Kurtzman geht soweit, sich den Hintergrund von Kurtzman und Gaines durch-

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zum Lachen reizen. Also sog ich Inspirationen Nach ungelenken Versuchen im Horror- und Sci- erst Schmuddelheftchen, dann die Evil Co- von allen Seiten auf.« ence-Fiction-Genre kommt Elder zur Entfaltung mics auf den Markt wirft (»Bringt mir Sto- Als Hauptquelle gelten die College-Blätter und und Blüte, als er seiner absurden Komik in MAD rys über Sadismus, Masochismus, Pyroma- Hochschul-Zeitungen, die eine lange Tradition in freien Lauf lassen darf. Berühmt werden seine nie, Schlangen, Fetischismus, Nekrophilie, den USA haben und anarchischen Spaß für einen »Wimmelbilder«: Die Hintergründe führen bei Schlangen, Phallussymbole und noch mehr Insiderkreis betreiben (man bedenke, dass in Eng- Elder ein komisches Eigenleben, ausgemalt mit Schlangen!«). Der Verleger verhökere Hasch, land Monty Python aus Uni-Theater hervorgegan- schrägen Miniaturen und ulkigen Beschilderun- betreibe ein Bordell, sammle Schlangen, sei gen ist). Kurtzmans Leistung besteht darin, diesen gen. Kurtzmans Lob für den langjährigen Mitar- zurzeit Single, aber schon 69-mal geschieden. spinnerten spirit in Comicgeschichten einzufangen. beiter : »Die Magie zwischen Willie Was heute erheitert, geht damals fürch- Zunächst ist MAD auch alles andere als ein Er- und mir bestand darin, dass er weit über meine terlich nach hinten los. Nicht nur Kurtzman folg. Doch in Heft Nummer 4 nimmt sich Kurt- Vorschläge hinausging: Er nahm meine Skizzen schäumt vom Krankenbett aus über diesen zman DIE amerikanische Comic-Ikone schlecht- und packte 20 weitere Gags in den Hintergrund. Eingriff in seine Redaktionshoheit (»Sie woll- hin zur Brust: Superman! Die MAD-Version heißt Er war komischer als ich, hat aber auch hart da- ten mich in den Wahnsinn treiben«), sondern Superduperman! (gezeichnet von ), für gearbeitet.« die Herausgeberkollegen sehen sich getroffen schildert respektlos ein schmutziges Duell der und – schlimmer noch – die Vertriebsleiter und Giganten Superman und Captain Marvel – und Ein Comicheft wird zur Großhändler. EC muss zu Kreuze kriechen und trifft einen Nerv. Satireschule sich bei der Branche tausendfach entschuldigen. Die Aufmacherseiten mit Clark Bent als krieche- Noch sind wir in der Mitte der Fünfziger, und rischem, notgeilem Elendswurm kreieren dermaßen Sehr früh schon, 1953, etabliert MAD auch zum Jahresanfang 1954 verhandelt Kurtzman viel absurde Fallhöhe, dass nach der Lektüre eigent- Running Gags, die Rubrizierung in »Abteilungen« seinen Vertrag mit Gaines neu: Er bekommt nun lich niemand mehr (ohne zu kichern) das Secret-Iden- (wie wir das auch vom deutschen MAD kennen) knapp 10.000 Dollar jährlich für zwölf Ausgaben

© Panini tity-Konzept der Superhelden ernst nehmen dürfte. sowie die wundervollen Parodien realer Reklame. von MAD. Die Popularität wächst, im Frühjahr An Superduperman leuchten. Das Verfahren wird jedoch stillschwei- Nach MAD Nr. 7 ist der Titel auf dem Weg zur Im Sommer 1953 landet der überarbeitete Kurt- sitzt Kurtzman als TV-Gast in der Steve Allen ist garantiert nichts gend eingestellt, weil kein Beteiligter vorbestraft Millionenauflage und verweist ECs profitable Hor- zman mit Hepatitis für einige Wochen im Kranken- Show (nur in New York ausgestrahlt), im Sommer heldenhaft, im Gegenteil! ist oder Verbindung zu kommunistischen Organi- rorhefte auf die Plätze (sie verkaufen sich im Ver- haus. Gaines und Feldstein wollen ihn mit einem erscheint ein mehrseitiges Feature über MAD in (aus MADs Meister- sationen unterhält. gleich nur halb so gut). Das auf neue Weise komi- Streich erheitern und gestalten eine einzigartige der Hochglanzzeitschrift PAGEANT. werke: Superhelden Kurtzman demontiert allerdings mit Verve sche Comicheft stößt in Regionen vor, die zuvor nur »Artist of the Issue«-Biografie (wie sie bei EC Die Freundschaft zum Verleger Bill Gaines (der Band 1 von Panini) amerikanische Ikonen: George Washington ist andere Trendsetter wie SUPERMAN, DONALD üblich waren und Hauskünstler porträtierten) für oft gern gesehener Gast zum Abendessen bei Kurt- bei ihm ein Wüterich mit künstlichen Zähnen aus DUCK, YOUNG ROMANCE und CRIME DOES Ausgabe Nummer 5. zmans ist) jedoch erhält Risse. In lebhaften Dis- Auf der Cover-Innenseite prangt prominent eine Die ersten Titel- Holz, Trapper Jim Bowie wird im Bett erschos- NOT PAY erreicht haben. Kurtzman beweist ein kussionen wettert Harvey gegen ECs Horrorhefte, bilder für MAD sen, und General Custer, der Indianerkämpfer, Händchen für die Auswahl der Zeichner für sei- Parodie dieses Features: »Publisher of the Issue – Bill hält ihm entgegen, dass nur deren Erfolg auch Der Comicentwurf gestaltete Kurtzman ist ein suizidaler Narr, der aus Verblendung ins ne Persiflagen: Wally Wood und ent- William M. Gaines alias Melvin«, daneben eine sein Überleben garantiere. Immer wieder bringen Women zeigt ein- persönlich. drücklich Kurtzmans Verderben rennt. puppen sich als geniale Grafikclowns, aber über- Gaines-Karikatur mit Heiligenschein, darunter ein finanzielle Nicklichkeiten Kurtzman auf die Palme wilde Pinselführung Unten: ein kolorier- Text, in dem Gaines als analphabetischer Straßen- ter Entwurf und das Zum Jahresanfang 1954 wird FRONTLINE ein- strahlt werden sie von den Mann, der stilbildend (so zum Beispiel ein ausbleibender Lohn für die und sein Umgang mit druckfertige Heft gestellt, der beendete Koreakrieg hat die Verkaufs- für MAD sein wird: Will Elder. junge beschrieben wird, der aus reiner Profitgier Nachdrucke von 12 HEY LOOK!-Seiten, die in Schwarz. Nummer 1. zahlen sacken lassen; General Kurtzman widmet sich mit Feuereifer einem neuen Projekt. Was die Erfindung von MAD angeht, hat Kurtzman­ stets behauptet, das Heft im Allein- gang erfunden zu haben. Gaines und Feldstein jedoch erinnern sich, Kurtzman ein »komi- sches Comicheft« vorgeschlagen zu haben, damit der ohne Recherchearbeit besser ver- dienen könne. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte (die Idee machte die Runde), auf jeden Fall muss man es EC hoch anrechnen, dass sie es wagen, MAD auf den Markt zu werfen. 1952 boomt die Branche wie nie zuvor (je- den Monat strömen über 200 verschiedene Titel an den Kiosk), und nichts deutet dar- auf hin, dass ein Funnybook sich verkaufen ließe. Wir halten fest: Gaines tut Kurtzman einen Gefallen, für den dieser keine Dank- barkeit zeigen wird. Das ist doch verrückt: MAD! Der Meister selber geht die Sache hemdsär- melig an: »Ich hatte keinen Schimmer, was ich da eigentlich trieb. Ich machte einfach

auf komisch. Lustig musste es sein, mich © Kurtzman

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MAD Nr. 7 und 8 platziert werden). »Harvey hat nie akzeptiert, dass MAD mir gehörte. Ich war der Mensch, der die Geschäftsentscheidungen traf.« Kurtzman treibt Gaines dazu, ein erstes MAD- Taschenbuch beim Ballantine-Verlag auflegen zu lassen. Gaines hat kein Interesse an dem Deal (der EC jedoch im Lauf der Jahre eine Menge Geld in die Kasse spülen sollte). Der MAD REA- DER erlebt sieben Auflagen und bricht Bahn für neues MAD-Marketing. Das alles hat Kurtzman vorausgesehen, der bitter beobachtet, dass sein Gewinnanteil wieder mal nur die Hälfte der des Verlegers beträgt. Ein nächster Schritt ist die Umwandlung MADs vom Comicheft für 10 Cent zum Satiremagazin für 25 Cent. Ein gewaltiges verlegerisches Risiko für Gaines, der mit der Ankunft des Comics Codes seine bisherigen »New-Trend«-Hefte einstellen muss und alles auf eine Karte setzt. Willkommener Prestigegewinn für Kurtzman, der aus dem schmuddeligen Comicsegment hin- auswill und damit bessere Gehälter für sich und seine Mitarbeiter kassiert. In einer Vorankündi- gung des Formatwechsels witzelt er im Mai 1955: »Junge, Junge, was sind wir aufgeregt! Wir haben Bauchschmerzen vor Aufregung – weil es für uns im Bankrott enden kann.« Die Sorgen erweisen sich als unbegründet: Das neue MAD verkauft sich aus, wird sogar in © Panini Zweitauflage nachgedruckt (ein bis dato nahezu unerhörter Vorgang im Magazingeschäft). Kurtz­ vierteljährlich. Dann geht auch noch der Vertrieb Sound Effects aus man und sein bewährtes Team aus Wally Wood, Leader News pleite und bleibt EC ca. 100.000 MAD Nr. 20: Kurtz- man und Zeichner Jack Davis und Will Elder können nichts falsch Dollar schuldig. Gaines kann MAD an American Wally Wood machen. Zudem wird nach Talenten Ausschau News weitergeben, den Profigrossisten im Land, erzählen einen gehalten, die das Heft bereichern: , die Leserzahlen steigen, Besserung ist abzusehen, Comic ausschließ- Phil Interlandi, helfen aus, ab aber jetzt ist Kurtzman wieder unzufrieden. Er lich mit Laut- malereien. der dritten Ausgabe ist Al Jaffee an Bord, ab der träumt von Hochglanz und Farbe und Prestige … sechsten Don Martin, ab der siebten Bob Clar- ke und Norman Mingo, ab der neunten George Woodbridge und Mort Drucker. Läuft! Vor einem Jahr ist TRUMP – the Complete Collection erschienen Kurtzman ist im siebten Himmel, ein Höhen- (bei Dark Horse/ Kitchen Sink) und schließt damit in der Kurt- flug, der nur kurz währen wird. Denn ein nächster zman-Forschung die Lücke zu HUMBUG und JUNGLE BOOK, Streit schwelt um die Honorare für Textbeiträge. Harveys weiteren Unternehmungen der 1950er-Jahre. In einer hochwertigen Hardcover-Ausgabe präsentiert Denis Kitchen die Kurtzman will hochklassige, externe Beiträge für beiden existenten TRUMP-Nummern mit je- MAD gewinnen, Gaines ist nicht bereit, mehr als der Menge Bonusmaterial. die comicbranchenüblichen 25 Dollar pro Seite In den 1960er-Jahren kam Kurtzman zu zahlen. Harvey schießt eigenes Geld zu und beim Warren-Verlag unter und publizierte fühlt sich vertröstet auf zukünftige Lohnerhöhun- dort 26 Augaben einer Satirezeitschrift na- gen bei steigender Auflage. mens HELP! (von 1960-65). Im Frühjahr 1956 gerät EC in die Krise: Die Schließlich schrieb er noch für Hefners PLAY- Experimente mit den gefloppten New-Direction- BOY den Comic LITTLE Comics und Picto-Fiction-Heften haben ein Loch ANNIE FANNY, den von 1962 in die Kasse gerissen. Gerüchte machen die Run- bis 1988 hauptsächlich sein de, Gaines wolle den Verlag abwickeln und einen Ko-Genie Will Elder zeichne- Fotoladen eröffnen. MAD verstolpert sein Erschei- te (1972 auf Deutsch bei Zweitausendundeins). nungsdatum und wechselt von zweimonatlich auf Wer den ganzen Abriss über Kurtzmans Leben möchte, besorge sich die exzellente Biografie Seite links: von Bill Schelly: The Man Who Created MAD and Revolutionized Kurtzmans original art dieses Titels aus dem Jahr 1952 Humor in America (erschienen 2015). Schelly hat vier Jahre lang beweist eindrucksvoll, dass er »niemals einen gera- sämtliche Infos über Kurtzman frisch gesichtet, neu bewertet, den Strich« gezogen habe. Dynamik entsteht durch ge- mit eigenen Recherchen verknüpft und daraus ein ultimatives schwungen Formen. © Kurtzman 650-Seiten-Werk gestrickt.

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Harvey und der Herr der Hasenfrauen jekt zu folgen. Harvey kontert ungewohnt def- tig: »Was willst du von mir? Nach fünf Jahren Ein schicksalhaftes Business-Rendezvous beschleu- Freundschaft bin ich Hypnotiseur und werde als nigt den Gang der Ereignisse. Hugh Hefner ist seit Laus dargestellt?! Wir haben geschäftlich gut an- Gründung des PLAYBOY 1953 der König der Hoch- einander verdient, und ich verlange nichts, was glanzmagazine – und ein Fan von Kurtzman. Hefner dir gehören würde!« (übrigens ein verhinderter Comiczeichner!) trifft sich Das Magazin mit dem Arbeitstitel »X« (es mit dem MAD-Mastermind, schindet größten Eindruck gibt sogar solches Briefpapier) heißt schließlich und sichert seinem Gegenüber ein eigenes Magazin zu, TRUMP (Trumpf), eine Idee, die von Hefner sollte er bei EC abspringen. In Kurtzmans Erinnerung: kommt. Und wieder verfummelt sich Kurtzman »Hefner bestürmte mich mit seinem Optimismus, er in Detailarbeiten: Obwohl er diese Phase in sei- beeindruckte mich über alle Maßen. Seine hohe Mei- nem Leben genießt, zieht sich die Produktion des nung von mir katapultierte mein Ego in die richtige Piloten über ein halbes Jahr hin. Stimmung, bei meinem Verleger vorstellig zu werden.« TRUMP Nummer 1 ist hochqualitativ produ- Dieses Treffen jedoch geht tüchtig in die Hose. ziert und wartet – wie sein berühmtes Schwester- Kurtzman verlangt Kapitalanteile am heft – mit einem Centerfold auf: eine komische EC-Verlag, Gaines bietet 10 Prozent. Apokalypse von Will Elder, das in seiner Mach- Kurtzman will 51 Prozent, um herausge- art schon auf das spätere LITTLE ANNIE FAN- berische Kontrolle zu haben. Ein scho- NY hinweist. ckierter Gaines lehnt ab und beendet das Gaines sendet ein vergiftetes Kompliment: Gespräch; vielleicht ahnt er, dass Kurtz- »TRUMP gesehen. Teils tolles Artwork. Fantas- man auf diese Weise kündigt. »Ich sah für tischer Druck. Wünsche Dir Erfolg. Aber offen mich keine Perspektive mehr, ich wollte gesagt, zweifle ich dran. Nicht für nen halben weg von EC, von Gaines und MAD. Für Dollar. Bin nicht allzu beeindruckt. Eigentlich den unwahrscheinlichen Fall, dass man waren wir alle erleichtert hier.« mir die Kontrolle gewährt hätte, wäre Das Konzept eines erwachsenen Satireblatts ist ich geblieben.« schwammig, manche Beiträge wirken wie Füller, Nach nur fünf Ausgaben des Magazin- vieles zündet nicht richtig. Kurtzman hat sich die MAD ist Harvey Kurtzman nicht mehr Latte selber zu hoch gelegt. dabei. übernimmt, setzt Die nächste Ernüchterung folgt auf dem Fuße. Kurtzmans Spät- clever auf Kurtzmans Konzept auf und treibt MAD Während der Produktion der Nummer 2 verkün- werk besteht in weiter, von Erfolg zu Erfolg. Der Rest ist Geschichte, det Hefner das Aus. Eine dritte Ausgabe wird seiner Autoren- wie man so schön sagt. nicht mehr erscheinen. PLAYBOY ist wegen schaft für den PLAYBOY- Kurtzman und Gaines waren immer auch ein »odd ausbleibender Bankkredite in einer vorüberge- Comic LITTLE couple«, intellektuell nicht auf Augenhöhe, was sich henden Krise und muss sparen. Hefner wählt die ANNIE FANNY, nun ändert: Hefner ist gleich alt und ein Bruder im bequemste Variante und schickt das riskante und ein verdichtetes Geiste. Das Angebot eines Magazins im Playboy-Stall teure TRUMP in den Orkus. Und tritt noch nach Zeitgemälde der 1970er-Jahre. ist zu verlockend. Es ist der Mai 1956, und alles läuft mit süffisantem Bonmot: »Ich gab Harvey ein wie am Schnürchen. Hefner überlässt Kurtzman freie unbegrenztes Budget – und er hat’s überzogen!« Hand (auch finanziell!) für ein neues Satiremagazin, Das, sagt Kurtzman, sei sein »schwärzester Tag »ein aufgemöbeltes MAD«. Hochglanz, 50 Cent, alle im Leben« gewesen. »Anderen kürzte man das zwei Monate. Gehalt, mich machte man um den Kopf kürzer.« Eine Schlammschlacht entbrennt um die wertvol- So endet eines der tragischen Kapitel im Leben len Künstler (Davis und Elder folgen Kurtzman, Wood des Genies. Doch angesichts der Tatsache, dass bleibt bei Gaines, der die beiden Renegaten jederzeit Harvey Kurtzman Comics zu Seriosität verhol- wieder aufnehmen wird, wie er betont). Kurtzman fen und eine ironische Popkultur aus der Taufe ruiniere sein Geschäft, spuckt Gaines, und habe die gehoben hat, kann man sich »tragisch« als zwei- Zeichner »hypnotisiert«, ihm in ein unsicheres Pro- ten Vornamen aber gefallen lassen!

Conquest (Text und Zeichnungen: Harvey Kurtzman) ist die Eröffnungsgeschichte der neuen EC-Heftserie TWO-FISTED TALES vom November 1950. Die fiktive Plünderergeschichte um den spanischen Hauptmann Juan Alvorado dürfte inspiriert sein vom realen Pedro de Alvarado, der unter dem Kommando von Cortés mit 150 Mann im Jahre 1533 nach dem sagenumwobenen Eldorado suchte. Alvarado verwüstete Tenochtitlán und metzelte die Teilnehmer eines azteki- schen Frühlingsfestes nieder. Kurtzman verdichtet die historischen Grausamkeiten auf acht Seiten zu einer Parabel auf Gier und Großmannssucht. Dieses Frühwerk wird in seinem Schaffen immer vergessen und aus- › geblendet, überzeugt jedoch bis heute durch seine straffe Komposition, wilde Action und gra- fische Bravour. Conquest (Eroberung) ist ein Abenteuercomic, wie er besser nicht sein kann. © Fables Publishing Co., Inc. • Übersetzung: Tillmann Courth • Lettering: Rene Lehner Tillmann Courth • Lettering: Publishing Co., Inc. • Übersetzung: © Fables

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52 53 harvey kurtzman info szene © DC Comics Darin zeichnen zwölf Zeichner/innen mit ENRICO MARINI VERSUNKEN & Stift und Pinsel ihre Geschichten, Re- ZEICHNET BATMAN ENTSPRUNGEN portagen und Eindrücke über die Stadt. Erhältlich ist das 112-seitige Buch im Schon Moebius zeichnete Silver Surfer, Barbara Yelin, Comiczeichnerin und Wissner-Verlag, Augsburg. Milo Manara zeichnete X-Men (beide Max und Moritz-Preisträgerin, hatte vor bei Panini) Trondheim und Cosey zeich- Jahren die Idee, eine Zeichenwerkstatt FRANKREICH AN DER neten Micky Maus (beide bei Ehapa zu gründen, in der sich Künstler in den BUCHMESSE 2017 CC) und jetzt Städten Deutschlands treffen und die macht sich der jeweilige Stadt in einem Comic wider- Frankreich ist Ehrengast der Frankfur- Schweizer Enri- spiegeln. Gesagt, getan! 2014 erschien ter Buchmesse im Oktober. Dazu sind co Marini (Die Gestrandet & Verwurzelt in München, verteilt über das ganze Jahr Lesungen Adler Roms, 2015 Verweht & Verwachsen in Freiburg von Comiczeichnern auf Kulturfestivals, Der Skorpion) und nun aus der Fuggerstadt Augsburg ein Comicwettbewerb und Wanderaus- an Batman. DC Versunken & Entsprungen. stellungen geplant, die die Vielfalt der und der fran- 9. Kunst aufzeigen sollen. Einer der zösische Ver- Höhepunkte ist das Projekt Ping Pong. lag Dargaud Deutsche, französische, belgische haben sich auf und schweizerische Comickünstler be- eine Zusammenarbeit für zwei Alben schreiben dort ihre Sicht der französi- geeinigt. sche Kultur oder zeichnen Hommagen an Die Wahl ist gut getroffen, denn Ma- französischsprachige literarische Werke. rini ist einer der besten Künstler seiner Der erste Beitrag von Mawil ist auf Branche, seine darstellerische Kraft, www.frankfurt2017.com/pingpong im die dynamischen Schnitte, Licht und Netz. Es folgen weitere Beiträge von Dunkel, Dramatik und Farbgebung sind Catherine Meurisse, Pénélope Bagieu, einmalig. Die ersten Bilder zu Batman Boulet, Guy Delisle und vielen anderen. lassen denn auch auf neues Meister- werk hoffen. Noch stellt Marini die letzte Folge seiner Adler Roms fertig, dann geht's ans Werk. Das Drehbuch zur ersten Geschichte hat er bereits er-

halten (siehe Foto). Anzeige

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