. W. STECHE HSV-Rückkehrer Stein: „Mit dem Uli ein positives Reizklima schaffen“

Fußball DIE MILDE REIZFIGUR SPIEGEL-Reporter Hans-Joachim Noack über die späte Weisheit des Hamburger Torhüters Uli Stein

ine Momentaufnahme am Strand rer Egomane, dessen Kräche in fast zwei Benno Möhlmann kühlen Herzens mit von Hvidbjerg, unweit Vejle, dem Jahrzehnten kaum noch aufzulisten sind. ihm verfolgt. Dem ist sein Team nämlich Edänischen HSV-Trainingsquartier: Vom DFB verhängte Geldstrafen en zu lau, wie es sich ja in der Schlußphase Mit Wohlgefallen betastet der Torhüter masse belasten sein sportliches Konto, der letzten Saison gezeigt hat, weshalb er des Bundesligaklubs, Uli Stein, seinen aber auch Rausschmisse. Der vorläufig dringend „das Aggressionspotential“ straffen Oberkörper, und er scheint sich letzte Eklat datiert von Anfang April, als steigern möchte. „Mit dem Uli“, heißt auch sonst gut in Schuß zu fühlen. sich des Heißsporns seine Parole, müsse ein „positives Reiz- Journalisten, die sich erkundigen, wie entledigte. „Wichser“ und „Arschloch“ klima“ geschaffen werden – ein pikanter es um seine Form bestellt sei, unterhält nannte er da Kollegen. Einfall. der bald 40jährige Crack mit einem Griff Und nun also spielt er beim HSV (oder Kann es so verwundern, daß den Kri- in die Marlboro-Schachtel. Er kriegt es um es genauer zu sagen: wieder dort)–ei- senhelfer „ein schwer beschreibbares, ir- hin, eine in die Luft geworfene Zigarette ne aus mehreren Gründen ziemlich er- gendwie komisches Gefühl“ ansprang, so geschickt wieder einzufangen, das sie staunliche Geschichte. Hatte den Tor- als bei ihm das Telefon klingelte? Die Of- ihm wie angeleimt auf den gespreizten steher nicht gerade in Diensten der Ham- ferte elektrisierte ihn; doch er hütet sich Fingern liegenbleibt. „Die Reflexe stim- burger der bislang erregendste seiner noch, seine tiefe Genugtuung darüber in men noch“, sagt er rauchend und grinst. „Blackouts“ ereilt? starke Sprüche umzusetzen. Natürlichsolldas ein Jux sein,aberdar- So geschah es, anno ’87, als ihm im Nach Jahren der Aushäusigkeit ist statt um geht es ihm ja. Vorgeführt wird auch Strafraum-Gewühl eine „mißliche Dreh- dessen ein Fußball-Veteran in seine Va- der zur Selbstironie fähige Kumpeltyp – bewegung“ (Stein) unterlief – in Wahr- terstadt zurückgekehrt, der sich einstwei- der exzentrische Altstar, der sich als heit ein klassischer Faustschlag. Der len Bescheidenheit auferlegt. Nur in der „einer der größtenStinkstiefel“ der Bran- streckte den Stürmer der Münchner Bay- ersten Woche, sagt der Masseur Her- che gebrandmarkt sieht, möchte am ern, Jürgen Wegmann, zuBoden, und die mann Rieger, habe er „in den Augen der Image arbeiten. Er könnte das nötig ha- feinen Hanseaten trennten sich von ih- Spieler Nervosität gespürt“. Da bewegte ben. Denn obschon Stein noch immer zu rem Klopper. sich der skandalumwitterte Neue noch, den besten Keepern Deutschlands zählt, Den Choleriker heimzuholen, der wie wenn man mit Stollenschuhen auf ro- überwiegeninseinerlangenProfi-Karrie- auch in Frankfurt zumindest verbal ent- hen Eiern läuft. re die Eskapaden. gleiste, ist an sich schon verblüffend. Sei- Inzwischen akzeptieren die Kombat- Der in geborene Sohn eines ne wirkliche Pointe gewinnt der Transfer tanten den „HSV-Leitwolf“ (Hamburger leitenden Angestellten gilt als unbeirrba- erst aus der Absicht, die der HSV-Coach Morgenpost), und der gibt sich Mühe.

170 DER SPIEGEL 33/1994 .

SPORT

Vorweg sucht er die Leiden des langen schrieb die Frankfurter Allgemeine über Gewiß erwecken solche schlagzeilen- Richard Golz zu lindern, den er nun bis ihn, und der notorische Rebell bestätigt trächtigen Ausfälle den Verdacht, daß auf weiteres aus dem Tor gedrängt hat. das. Hat er nicht selbst immer wieder sich hier ein kaltschnäuziger Querulant „In behutsam geführten Gesprächen“ gegen Instanzen und Institutionen zum über alle Benimmregeln hinwegsetzt, tröstet der Oldieden 26jährigen, er werde Angriff geblasen, deren Einfluß seiner doch das reicht wohl nicht. In einer im „gestärkt“ aus dieser Konkurrenzsituati- Karriere nachhaltig schadeten? Beinahe vergangenen Jahr erschienenen Biogra- on hervorgehen. schon zu geflügelten Worten wurden so phie („Halbzeit“) zeugen zumindest ei- Zwar sieht sich Stein („Ich in meinem die aus der Wut geborenen Verbalinju- nige Passagen von einer durchaus be- Alter“) in weiser Selbstbeschränkung rien „Gurkentruppe“ für das deutsche merkenswerten Eigenanalyse. nurmehr als „Mann des Übergangs“, WM-Team ’86 oder „Suppenkasper“ für Der Fußballstar räumt „Fehler“ ein, doch nagt zugleich das Mißtrauen. Unter den Kaiser Franz. um dann allerdings rasch die Außenwelt den Vereinsfunktionären, die den Zwei- Jahres-Vertrag pflichtgemäß mit be- schlossen haben, flüchtet sich insbeson- dere Co-Trainer in sein be- rühmtes Dauerlächeln. Er kennt den Teure Bengel Torwart-Vulkan, mit dem er 1983 den Europacup der Landesmeister gewann. Die Fußballbundesliga setzt auf den Risiko-Transfer Von stiller Liebe kann da kaum die Re- de sein – eine Kategorie, die dem har- ie -Manager zeigen nicht allein von guten Fußballern, die schen Bundesliga-Geschäft ohnehin unternehmerischen Wagemut. den Spannstoß beherrschen und 90 nicht angemessen wäre. Illusionslos DÜber100MillionenMarkhaben Minuten rennen können. nennt Manager Heribert Bruchhagen sie für neue Spieler ausgegeben. Be- Die Trainer setzen auf einen Im- den eigentlichen Grund für den Kon- sonders in Mode ist der Transfer, puls, den Stars bei den Kollegen aus- trakt. Ein Klub, der aus einem Etat von der auf den ersten Blick riskant er- lösen: Mit Spielern wie Stein, Möller, lediglich 19,5 Millionen Mark schöpfe, scheint. Effenberg oder auch dem Neu-Karls- habe sich nach der Decke zu strecken: Den Anfang machte der Hambur- ruher Thomas Häßler wird den „Der muß auch mal in Außenseiter und gerSV, alser den inFrankfurt suspen- Mannschaften Selbstbewußtsein ein- Desperados investieren.“ dierten Uli Stein – allerdings preis- geimpft. Eine gute Elf soll den letzten Im Klartext heißt dies, daß die HSV- günstig – zurückholte. Rund 10 Mil- Kick zur Titelreife bekommen, einer Hiwis Magath und Bruchhagen zwar mit- lionen Mark ließ sich Dortmund die schwächeren der Unterlegenheits- ziehen, aber dem Cheftrainer die Verant- Heimkehr Andreas Möllers kosten, Komplex ausgetrieben werden. wortung zuschanzen. Soll „der Benno“ der vor Jahren von enttäuschten Bo- Auch für die Manager sind diese beweisen, ob er den wilden Wolf ins Ge- russia-Fans mit „Judas“-Rufen ver- Risiko-Transfers weitgehend vom schirr zu zwängen vermag. abschiedet worden war. Und vorige Markt diktiert. Um dem Zuschauer Und gerade darin scheint ja dessen Woche nahm Mönchengladbach Ste- das Gefühl zu geben, er sehe Topfuß- Kernmotiv zu liegen. Als der renitente fan Effenberg wieder auf, obwohl der ball, muß in Fußballer mit klangvol- Stein in Frankfurt flog, durchzuckte den Stinkefinger der Nation nach seinen lenNameninvestiert werden. „Es war biederen Möhlmann zunächst der Ab- Ausfällen bei der Weltmeisterschaft wichtig, mal was Großes zu bewe- wehr-Impuls: „Nee, das läßte lieber“, als nicht mehr gesellschaftsfähig galt. gen“, kommentierte Gladbachs Ma- reagierte der Hamburger Coach, um sich Doch gerade diese emotionale nager Rolf Rüßmann den Effenberg- danach seine Gedanken zu machen. Was Komponente ist es, die jedem Trans- Coup. Auch Bremen hätte den blon- wäre, wenn es ausgerechnet ihm, dem fer Sinn gibt. Die Bundesliga lebt den Bengel seinen Kunden gern ange- gleichsam weichen Wasser, gelänge, den boten. Trainer Otto Rehhagel: „Ef- harten Stein zu schleifen? * Mit Borussia Mönchengladbachs Vize-Prä- sident Günther Claßen, Präsident Karl-Heinz fenberg, das wäre was fürs Showge- Daß ihn einer derart als Herausforde- Drygalsky, Manager Rolf Rüßmann. schäft gewesen.“ rung empfindet, gefällt dem Torhüter. Wie der Trainer in Stein zur Zeit den „hundertprozentigen Profi“ schätzt, er- geht sich auch jener in freundlichen Wor- ten über den ehrgeizigen Benno. Der sei doch „im Grunde genauso versessen“, sagt er anerkennend. Für Möhlmann ist das Risiko über- schaubar. Löst der zähe Kämpfer zwi- schen den Pfosten ein, was der Coach von ihm erwartet, wird sich der HSV stabili- sieren; flippt der Uli aus, bleibt ihm der Riese Richard. Vermutlich ist das auch eine Konstella- tion,ausder Stein zusätzlicheImpulse be- zieht. Von Rivalen umstellt zu sein, ge- gen die er seinen Platz (und Strafraum) zu verteidigen hat, istfürihnseit eh und je so etwas wie der höchste Daseinszweck ge- wesen. „Unter Strom“ spielen zu müssen entspricht dem Steinschen Pathos vom FIRO Fußball als Lebensschule. Bundesliga-Heimkehrer Effenberg (2. v. r.)*: „Etwas Großes bewegen“ Er sei halt ein Typus, der „Frieden“ dort finde, „wo die Stolpersteine liegen“,

DER SPIEGEL 33/1994 171 .

SPORT

anzuklagen, sie habe ihn mit diesen wachsen, etwa „den Stefan Effenbergs – Schwierigkeiten „stets allein gelassen“. trotz des Stinkefingers – oder den Mario Aufsteiger Geschildert wird vor allem eine als Baslers“, möchte er Mut machen. Elend erlebte Jugend, während sich der Aber andererseits holt ihn nun unwi- Vater unvermittelt von seiner kinderrei- derruflich das Alter ein – und „mit 40“, chen Familie trennte. Für den damals sagt er auffallend sanftmütig, „spürst du Bayerischer 13jährigen Uli war das offenbar der ent- die Verschleißerscheinungen nicht nur scheidende Bruchpunkt. in den Kniegelenken“. Auch im Kopf Noch heute heult er „Rotz und Was- könnte sich peu a` peu eine Milde aus- Machiavelli ser“, wenn er in einschlägigen Fernseh- breiten, die ihm zwar noch nicht angst filmen dem unvermeidlichen Happy- macht, aber deren Vorboten sich bereits Die alte „Löwen“-Gemütlichkeit ist End zusieht – ein bei seinen ansonsten ankündigen. Verräterisch zieht er in Er- dahin: Präsident Wildmoser hat zur Schau gestellten Härtegraden sicher wägung, er werde in Zukunft „wenig- überraschendes Geständnis. Aber gera- stens außerhalb des Spielfelds ein biß- aus dem TSV 1860 München eine de darin liegt ja „die Botschaft“ des Ul- chen diplomatischer“ zu Werke gehen. schnöde Fußballfirma gemacht. rich Stein: Er weiß sich im letzten unver- Und er stellt sich Aufgaben. Mit Ben- standen; was in ihm an dauerhaften Ver- no Möhlmann ist die klare Absprache letzungen rumort und nach Kompensati- getroffen worden, daß „ein Stein nur so nmitten der barackenähnlichen Ge- on schreit, könne von einer „leichen- lange im Kasten bleibt, wie er Leistung schäftsstelle wirkt die Nabelschau des fleddernden Regenbogenpresse“ nicht bringt: Alles andere wäre Selbstbetrug“. IKarl-Heinz Wildmoser, 55, stimmig. mal in Ansätzen erfaßt werden. Schleichen sich Schwächen ein, soll der „Ich bin ein ganz ein natürlicher Mensch“, behauptet der Präsident des TSV 1860 München, der „mit ganzem Herzen einem Arbeiterverein voran- steht.“ Naturmensch Wildmoser, zweiein- halb Zentner schwer und nicht nur vom Sternzeichen her Stier, hat allen Grund zur Koketterie mit der eigenen Schlichtheit, wird er doch als Reanimator der alten Löwen-Herrlichkeit gefeiert. Fußball-Deutschland ist entzückt, München leuchtet: Der TSV 1860 Mün- chen, Lordsiegel-Bewahrer des wahren, ursprünglichen bayerischen Fußballs ist aus der Bayernliga zurückgekehrt ins Oberhaus. Nun macht sich der volksnahe Klub daran, den Parvenüs vom FC Bay- ern die prallen Pfründen zu beschneiden. Es tritt an: Leidenschaft gegen Kalkül, Anarchie gegen Konformismus, Giesings Proletariat gegen die Geldscheffler aus dem noblen Harlaching. Doch die Polarisierung in Gut/Arm und Böse/Reich existiert nur noch in den Köpfen verträumter Altsechziger. Als habe CSU-Anhänger Wildmoser sich

F. HARTUNG Oppositionsführer Scharpings Taktik zu Heißsporn Stein*: „Mißliche Drehbewegung“ eigen gemacht, verweigert der schwerge- wichtige Bayer den großen Gegenent- Soll ihm das als Stilisierung vorwerfen, in seiner Mentalität etwas pomadige Ri- wurf zur herrschenden Fußballmoral. wer will: Auf alle Fälle durchzieht seine chard Golz ihn unverzüglich ablösen, auf Das Programm lautet: Wir sind wie der Laufbahn ein unbezähmbarer Zwang, den Stein schon jetzt die eigene Unerbitt- FC Bayern – wir heißen nur anders. sich nicht nur selbst zu behaupten, son- lichkeit zu übertragen verspricht. „Ich habe die jahrelang studiert“, sagt dern für eine bedrohte Norm zu siegen: Dem nachfolgenden Mann gleichsam Wildmoser. Nun kopiert er sie –und setzt Es geht ihm um den Triumph der ehrli- als Erbe auszuliefern, was er sich in den an, den ruhmreichen Konkurrenten zu chen Underdogs über die verwöhnten Jahren erarbeitet, mag tatsächlich dem überholen: „In drei Jahren schlagen wir „Laumänner“ und „Weicheier“, die nach Ich-Ideal des Uli Stein entsprechen. den FC Bayern 4:1!“ seiner Ansicht einen ganzen Berufsstand Aber schafft der diesen Abgang wirk- Wildmoser hat in zweijähriger Ägide um seinen Charakter bringen. lich? Es gibt Momente in der Vorberei- den ehemals volkstümlichen TSV 1860 in UliSteininder Pose desletztenRecken tungsphase des gezügelten Enfant terri- ein streng hierarchisches Fußballunter- aus ruhmreicher Zeit: Zum Start der neu- ble, in denen hervorbricht, daß der „wei- nehmen verwandelt. Statt einer Berei- en Bundesliga-Saison sieht er überall die se“ Stein zugleich auch immer seine ande- cherung für die Liga, die Bundestrainer Angepaßten herumwuseln, während die re Möglichkeit in sich trägt. Da hält er von der kreativen Kraft pro- Widerspenstigen mit ihm dahinzugehen sich dann ungeniert für den „nach wie vor letarischen Fußballs aus München erwar- scheinen. Den wenigen, die noch nach- besten Torhüter Deutschlands“, der mit tet, liefern die Löwen lediglich einen wei- Hohn und Spott übergießt, was er bei der teren stromlinienförmigen und markt- Weltmeisterschaft gesehen hat. orientierten Klub. „Nur der Verein des * Bei seinem Faustschlag als HSV-Torwart gegen den Bayern-München-Stürmer Jürgen Wegmann „Das bringe ich mit 50 noch“, sagt Uli Volkes zu sein, das geht nicht mehr“, sagt im Juli 1987. gefährlich friedlich. Y Wildmoser und windet sich ins Mercedes-

172 DER SPIEGEL 33/1994