Françoise Pommaret

Edition Erde Reiseführer

Edition Temmen Vorwort

Dieser Reiseführer ist der erste Führer über ein solch unbekanntes Land wie Bhutan und daher ist es wichtig zu erklären, in welchem Kontext er bei seinem ersten Erscheinen 1990 erstellt wurde. Bhutan ist ein weitgehend von der Außenwelt abgeschlossenes Land, das alljährlich nur sehr wenige Touristen aufnimmt – rund 2000 im Jahr 1990 und um die 22.000 im Jahr 2008. Sein politischer Grundsatz ist es, den Tourismus zu kontrollieren und die traditionellen Werte zu bewahren. Dieser Band ist sowohl für Touristen geschrieben, die neugierig ein ungewöhnliches Land erkunden möchten, als auch für jene Ausländer, die nach Bhutan kommen, um an Entwicklungshilfeprojekten mitzuarbeiten. Dies erklärt auch, warum der vorliegende Reiseführer tiefer gehende Informationen gibt, als man gemeinhin in Publikationen dieser Art finden kann. Es ist weniger eine Sammlung von Reisetipps und Adressen denn eine Einführung in die Kultur und das Alltagsleben der Bhutaner­ , die eine Brücke schlägt zwischen dem Leben im Lande und den Interessen des Reisenden. Es stellt deshalb stärker die für Bhutan charakteristischen kulturellen Eigenarten heraus als jene, die auch in anderen Himalaya-Ländern vorzufinden sind. Es wäre zudem erfreulich, wenn dieser Band allen Ausländern in Bhutan, einerlei ob Touristen oder dort ansässigen, als leicht zu handhabendes Nachschlagewerk dienen könnte. Vereinfacht gesagt: Dieser Führer erfüllt schon seinen Zweck, wenn er zu einem besseren Verständnis zwischen den ausländischen Besuchern und den Bhutanern führt. Den Gastlehrern aus England, Irland und Kanada bin ich zu großem Dank verpflichtet. Während meiner Wanderungen und Reisen durch die verschiedenen Regionen Bhutans gaben sie mir ein Dach über dem Kopf. Auch möchte ich an dieser Stelle all meinen bhutanischen Freunden danken, die mir halfen, ein tieferes Verständnis für dieses Land zu entwickeln. Ich denke dabei besonders an Namgyel, Norzom, Dago, Kunga und Karma, Kunzang und an Chorten; dann auch an den verstorbenen Lopen Chencho, der mit mir zusammen im Amt für Tourismus gearbeitet und mir in größter Bescheidenheit die Traditionen seines Landes so gut vermittelt hat. Dank gilt auch meinen Kollegen des ILCS sowie den Dörflern Bhutans, deren Rauheit im Alltagsleben durch ihren Sinn für Humor und ihre Gastfreundschaft mehr als ausgeglichen wird. Dank sei auch den großen Historikern wie Lam Pemala, Lam Nado und Dasho Lama Sangnga sowie den Gelehrten wie Mynak Truklu, Yongzin Tseten Dorje und Lopen Lungtaen. Ohne sie alle wäre dieser Führer nie zustande gekommen und deshalb sei ihnen dieses Buch gewidmet.

Ihnen allen meine allerbesten Wünsche! Tashidele! Thimphu/Paris, im Frühjahr 2010 Françoise Pommaret

4 Inhalt

Vorwort...... 4

Einführung...... 10

Geographie und Bevölkerung...... 14 Bhutan auf einen Blick...... 15 Klima und Wetter...... 22 Flora und Fauna...... 23 Nationalparks und Naturschutzgebiete...... 23

Geschichte...... 27 Zeittafel...... 34

Die Monarchie und ihre nationalen Institutionen...... 38 Die nationalen Symbole Bhutans...... 39 Klostergemeinschaften und religiöse Würdenträger...... 42 Sitten und Gebräuche...... 46

Die Wirtschaft...... 49 Müller, Meier, Schmidt… – Die Namen in Bhutan...... 54 Anredeformen...... 55

Die Kunst...... 56 Chorten und Mandalas...... 63 Die Zeremonialschals und ihre Bedeutung...... 71

Die Religion...... 74

Feste, Tanz und Musik...... 82 Die religiösen Bildserien...... 90 Vom bhutanischen Lebenslauf...... 96

5 Inhalt

Reiseteil

Westbhutan...... 100 Das Paro-Tal...... 100 Kyichu-Lhakhang – Taktshang-Lhakhang – Satsam-Chorten-Kloster – Drukyel-Dzong – Dungtse-Lhakhang – Nationalmuseum – Paro-Dzong – Ort Paro – Tachogang-Lhakhang – Chuzom – Von Paro nach Thimphu – Ha-Tal Bhutanische Medizin...... 111 Thimphu...... 121 Das Zentrum von Thimphu – Erinnerungs-Chorten – Changlimithang und der Wochenmarkt – Auf dem Weg zum Dzong – Der Dzong von Thim- phu – Das Tal nördlich des Dzong – Ein Spaziergang durch Thimphu – Motithang – Changangkha – Semtokha-Dzong Reiseeindrücke in Bhutan 1783...... 130 Die Nationalsprache Dzongkha...... 141 Eine Audienz beim Desi...... 145 Tagesausflüge rund um Thimphu...... 147 Der Wangduetse-Tempel – Tala-Kloster – Phajoding-Kloster und Seengebiet – Thadra-Kloster – Trashigang-Kloster – Das Dongkola-Kloster – Auf der alten Straße von Thimphu nach Punakha Der Süden – Von Chuzom nach Phuentsholing...... 150 Von Thimphu nach Punakha und ...... 154 Der Thongdroel von Punakha...... 158 Die Straße nach Zentralbhutan...... 162 Über die Schwarzen Berge – Von Wangdue Phodrang nach – Das Phobjika-Tal und Gangtey Gompa– Das Gangtey-Kloster – Der Pelela-Pass – Chendebji-Chorten Papierherstellung und Buchkunst...... 168 Zentralbhutan...... 171 Die Umgebung von Trongsa...... 171 Der Zhemgang-Distrikt (Khyeng)...... 173 Die Täler von Bumthang...... 176 Das Chume-Tal...... 178 Die Klöster Tharpaling, Choedrak und Samtenling – Domkhar – Zugne – Prakhar (Pra) Das Choekhor-Tal...... 181 Ein Spaziergang im Tal – Tamshing-Lhakhang – Kurje-Lhakhang – Thangbi- Lhakhang – Ngang-Lhakhang – Jampa-Lhakhang – Chakhar – Wangduchoeling-­ Palast – Jakar-Dzong – Jakar-Lhakhang – Lhodrakarchu-Kloster

6 Inhalt

Das Tang-Tal...... 199 Mebartsho – Kunzandra-Kloster – Ogyenchoeling-Palast – Thowadra-Kloster Volksdroge Doma...... 199 Das Ura-Tal...... 205 Ostbhutan...... 207 Von Ura nach Mongar...... 207 Von Mongar nach Lhuentse...... 209 Von Mongar nach Trashigang...... 210 Nationalsport Bogenschießen und andere Sportarten...... 213 Trashigang...... 216 Der Trashigang-Dzong – Gom Kora Trashi Yangtse...... 221 Der Kora-Chorten und Trashi Yangtse – Neuer Dzong und Kunstschule – Das Radhi-Phongme-Tal Der Südosten – Von Trashigang nach Samdrup Jongkhar...... 223 Pemagatshel – Deothang – Samdrup Jongkhar Anhang

Reiseinformationen von A bis Z...... 226 Kleiner Sprachführer...... 256 Glossar und Literaturtipps...... 258 Historische Persönlichkeiten und Heilige...... 258 Buddhistische­ Gottheiten in Bhutan...... 262 Dzongkha- und Sanskritbegriffe...... 264 Kulinarisches Glossar...... 273 Weiterführende Literatur...... 274 Musik...... 275 Orts-, Personen- und Sachregister...... 276

Folgende Doppelseite: Die spektakuläre Landschaft beim Lingshi Dzong. Im Hintergrund Jichudrake und Tshering Geng, beide über 7000 Meter hoch.

Links: Ein stolzer bhutanischer Vater.

7 8 9 Bhutan Einführung

»Bhutan? Wo ist denn das?« Das ist die übliche Reaktion, wenn man äußert, man reise nach Bhutan. Die meisten Menschen haben noch nie von diesem Land gehört. Bhutan macht keine Schlagzeilen; kaum alle zehn Jahre wird ihm in einer westlichen Zeitung eine Notiz gewidmet. Hin und wieder erscheint ein längerer Artikel über Bhutan, der aber nur einen kleinen Leserkreis erreicht. Und auch wenn sich feststellen lässt, dass Bhutan in den letzten Jahren als Reiseziel in Mode gekommen ist, verfolgt nur eine Hand voll Menschen auf der ganzen Welt, die eine Art »Club der Eingeweihten« bilden, aufmerksam die dortigen Ereignisse, indem sie sorgfältig die Wochenzeitung Kuensel lesen, die inzwischen auch über das Internet verfügbar ist, oder durch Austausch von Neuigkeiten. Einige von ihnen haben Bhutan auf einer Geschäftsreise besucht, andere kamen als offizielle Gäste und wieder andere als Touristen. Und alle kehrten bezaubert von diesem geheimnisvollen Land zurück. Versteckt im östlichen Himalaya zwischen Indien und China () und so groß wie die Schweiz – allerdings mit weniger als 700.000 Einwohnern sehr dünn besiedelt –, strahlt dieses Bhutan einen Zauber aus, den einige treue Freunde als magisch bezeichnen! Die Berge dort sind großartig, die Wälder dicht, die Menschen freundlich, die Luft ist rein und kristallklar, die Architektur imposant, die Religion aufregend und die Kunst prächtig. Bettler gibt es nicht, auch nur wenige Diebe und fast keine Verbrechen; die persönliche Sicherheit des Reisenden ist also gewährleistet. Das sind werbewirksame Klischees, mag sicher manch einer einwenden, und Reiseführer übertreiben gern. Aber erstaunlicherweise sind all diese Dinge Tatsache. Für den Bhutan-Besucher ist es das wirkliche Shangri-La, ein mythisches Land, tief versteckt in den Bergen. In den 1990er Jahren sind im Süden des Königreichs Konflikte wegen der Staatszuge- hörigkeit einiger Menschen nepalesischer Abstammung ausgebrochen. Seine Majestät der König arbeitet seitdem zusammen mit der gesamten Regierung an einer Lösung. Sie sind in Gesprächen mit der Regierung von Nepal, doch hat diese in ihrem Land selbst genug Probleme mit aufständischen Maoisten. Auch wenn sich die Bhutaner durchaus bewusst sind, dass sie in einem privilegierten Land leben, das von anderen Nationen umgeben ist, die mit erschreckenden ökonomi- schen und sozialen Problemen zu ringen haben, wissen sie dennoch, dass sie nicht in Shangri-La leben. Ihr Alltag lässt ihnen keine Zeit zum Träumen. Das harte Leben der Bauern ist bestimmt von den Arbeiten im Haus, auf den Feldern und mit den Tieren, mechanisiert ist die Landwirtschaft bis auf wenige Ausnahmen noch nicht. Religiöse Feste, Pilgerfahrten und weltliche Feiertage bieten die einzige Möglichkeit zur Erholung, sind ersehnte Pausen, die den landwirtschaftlichen Zyklus unterbrechen. Mit einer Bevölkerung, die zu 65 Prozent von der Landwirtschaft oder der Viehzucht lebt, hat sich Bhutan, abgesehen vom Süden des Landes, einen bäuerlichen Charakter ohne Industrieanlagen bewahrt. Die Schönheit der ländlichen Szenerien erscheint dem Reisenden aus Industrieländern oft unwirklich: Häuser mit farbenprächtigen Fens-

10 Einführung terrahmen und Schindeldächern, ein Flickwerk von grünen Reisfeldern, Flecken von lohfarbenem Buchweizen, Eichenwälder, eine holzgedeckte Brücke, Zäune aus kunstvoll geflochtenem Bambus; ein Mann, der sich an eine hölzerne Brüstung lehnt und mit den Füßen seine Ernte zerstampft; eine Frau, die im Freien webt; ein Säugling, der fest verschnürt in einer Pferdesatteltasche steckt; Yaks, die in einem Hain von riesigen Rhododen­ dr­ onbüsc­ hen weiden. Derartige Szenen haften dem Bhutan-Besucher für immer im Gedächtnis. Doch die nachhaltigsten Eindrücke hinterlassen jene Bilder, die mit der bhutanischen Religion zusammenhängen: die Chorten (Schreine zur Erinnerung an Verstorbene), welche die Landschaft wie Wegmarken übersäen, die flatternden Gebetsfahnen, die Gebetsmüh- len, die sich durch das schnell fließende Wasser der Gebirgsbäche drehen, und die Klöster. Der Buddhismus ist allgegenwärtig; seine Grundsätze bestimmen die Einstellungen der Menschen, formen ihre Gedanken. Rotgekleidete Mönche, hochstehende Lamas, die religiösen Männer im Dorf – eigentlich ist sich jedermann darüber im Klaren, welchen moralischen und geistigen Einfluss sie auf die Bevölkerung ausüben. Sie beaufsichtigen alle wichtigen Ereignisse: Hochzeiten, den Aufbruch zu einer Reise, offizielle Zeremoni- en, Beförderungen, ganz abgesehen von der grundlegenden Rolle, die sie bei religiösen Initiationsritualen, bei Massensegnungen oder Festlichkeiten spielen. Ihre Bedeutung wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass Bhutan das einzige Land der Welt ist, in dem die tantrische Form des Mahayana-Buddhismus offizielle Staatsreligion ist. Der Kulturabteilung des Ministeriums für Innenangelegenheiten und Kultur wurde die Aufgabe übertragen, die kulturelle Identität des Königreichs zu bewahren. Die Kom- mission arbeitet zusammen mit der sämtlichen Bevölkerung – ländlich und städtisch –, um sicherzustellen, dass der spezielle Geist Bhutans in der gleichen Weise weitergepflegt wird wie schon tausend Jahre zuvor. Religion, Tradition und Jenseitsbrauchtum bestimmen maßgeblich die bhutanische Etikette: Driglam Namsha. Ihre wichtigsten Merkmale sind der Respekt vor den Gläu- bigen und vor allen religiösen Einrichtungen sowie das Tragen der Nationaltracht. Die Betonung der traditionellen Werte ist genauso Ausdruck einer wohl überlegten Regie- rungspolitik wie das Bemühen um sozialen und ökonomischen Fortschritt. Hieraus entsteht die Basis für das Konzept des »Bruttosozialglücks«, wie König Jigme Singye Wangchuck es einmal – als Gegenentwurf zum Bruttosozialprodukt – bezeichnet hat. Bhutans berühmtes Konzept des »Bruttosozialglücks« basiert auf vier Grundprinzipen: gutes Regieren, dauerhaftes Wachstum, Umweltschutz und Schutz der Kultur.Tradition und Fortschritt, zwei Werte, die zunächst unvereinbar scheinen, lassen sich durchaus harmonisch miteinander verquicken, indem einheimische Ressourcen entwickelt werden und zugleich die Eigenständigkeit gefördert wird: Ein Mönch etwa fotokopiert die Seiten eines Textes, den er für ein bestimmtes Ritual benötigt, und ein hoher Beamter, der ein schweres, rohseidenes Gewand mit einem Schwert am Gürtel trägt, erörtert einen Bericht über die gestiegene Reisproduktion oder die Erfolge in der Yakzucht. Der Bericht wurde natürlich auf einem Computer verfasst, der in einem dunklen Büro einer Burgfestung steht, während Mönche auf der anderen Seite des Innenhofs eine Zeremonie für die Schutzgottheiten Bhutans vollziehen. Die Bhutaner geben ihr eigenes kulturelles und geis-

11 Bhutan tiges Erbe keineswegs zugunsten moderner, importierter Werte auf. Da sie nie kolonisiert wurden, immer leidenschaftlich ihre Unabhängigkeit verteidigt haben und stolz auf ihre Traditionen waren, sehen sie auch heute keinen Nutzen darin, nur deshalb bestimmte Ideen zu übernehmen, weil diese aus einem Land stammen, das weiter entwickelt und mächtiger ist als ihr eigenes. Vernünftigerweise übernehmen sie nur, was ihnen hilft, den Lebens­standard zu verbessern, und dazu beiträgt, das Land im Rahmen seiner eigenen Traditionen zu entwickeln, ohne dabei die Umwelt zu zerstören. Unbekümmert leben sie weiterhin nach ihren für andere fast archaischen Sitten und Gebräuchen. Die Bhu- taner haben nicht den Wunsch, sich kulturell anzugleichen. Sie sind anders und wollen es auch bleiben. Das Konzept des »Brutto-Nationalglücks«, wie es König Jigme Singye Wangchuck (1972–2006) ausdrückte, ist beileibe keine leere Worthülse. Aber vielleicht sind es – mehr noch als die Schönheit des Landes und der Architektur oder die menschliche Freundlichkeit – gerade dieses gelassene Selbstvertrauen, der Stolz dieses Volkes auf seine alten Werte und das Vertrauen in die Religion, die das eigentliche Geheimnis von Bhutans Zauber ausmachen und jenes unbeschreibliche Gefühl hervor- rufen, das den Reisenden immer wieder von neuem fasziniert.

Religiöse Tänze spielen eine wichtige Rolle in Bhutan.

12 Einführung

13 Geographie Geographie und Bevölkerung

Bhutans Abgeschiedenheit von der westlichen Welt ist zum größten Teil auch durch seine geographische Lage bedingt. Bhutan liegt zwischen Indien und der Autonomen Region Tibet (China), ungefähr zwischen 88°45’ und 92°10’ östlicher Länge und 26°40’ und 28°15’ nördlicher Breite und bedeckt eine Fläche von 38.398 Quadratkilometern. Im Jahr 2005 fand eine Volkszählung statt. Demnach hat Bhutan 634.972 Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von etwa 16 Menschen pro Quadratkilometer entspricht. Das Bruttosozialprodukt von etwa 1400 US-Dollar pro Einwohner im Jahre 2008 ist ein beträchtlicher Sprung gegenüber den 51 Dollar von 1961 — die jährliche Zuwachsrate beträgt 5,5 Prozent. Das Land Bhutan stellt gewissermaßen eine gewaltige Treppe dar, die von einem schmalen, auf einer Höhe von 300 Metern liegenden Landstreifen im Süden bis zu den Gipfeln des Himalaya im Norden auf über 7000 Meter ansteigt.

Zugang nach Bhutan Die am dichtesten besiedelten und fruchtbarsten Regionen befinden sich im südlichen Grenzland, im Vorgebirge des eigentlichen Himalaya mit Höhenlagen zwischen 300 und 1600 Metern, und in den zentralen Tälern zwischen 1100 und 2600 Metern, die bis in die sechziger Jahre hinein vom Süden her nur sehr schwer zugänglich waren. Denn aus der Ebene ragt eine gewaltige, bis zu 2000 Meter hohe Gebirgswand empor, die von tiefen, dschungelbewachsenen Schluchten durchfurcht ist und das Reisen langwierig und gefährlich gestaltete. Man benötigte fünf Tage für die hundert Kilometer lange Wegstrecke zwischen der Stadt Buxa Duar an der indischen Grenze und der Hauptstadt Thimphu. Bis zur Schließung der Grenze zu Tibet im Jahr 1959 ermöglichte paradoxerweise gerade der Hochhimalaya den Zugang zu bestimmten Gegenden, und zwar über einige Pässe, die auch im Winter offen waren. Es bestand ein reger kultureller und wirtschaftlicher Austausch zwischen den beiden Ländern, der bis ins 7. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden einige leichter zugängliche Gebiete Bhutans von Menschen nepalesischer Herkunft besiedelt. 1962 wurde eine Autostraße gebaut, die den Nord–Süd–Verkehr zwischen Thimphu und dem südwestlichen Phuentsho­ling bewältigen sollte, und 1963 war eine zweite Straße, die Trashigang mit Samdrup Jongkhar im Südosten verband, fertig gestellt.

Südbhutan Durch den Straßenbau konnten die schmale südliche Ebene, früher Duars, »die Tore«, genannt, und die Vorgebirge des Himalaya bis auf eine Höhe von 1700 Metern wirtschaftlich genutzt werden. Die Nähe zu den Absatzmärkten in Nordindien und in Bangladesh begünstigte die Entwicklung dieser Region, und so entstanden kleine Handelszentren: Phuentsholing, Geylegphug und Samdrup Jongkhar. Kleinindustrien, die Produkte wie Alkohol, Backsteine, Kleider, Zündhölzer, Fruchtsäfte und Marmeladen herstellen, kamen plötzlich in dieser

14 Überblick

■ Bhutan auf einen Blick

Gesamtfläche Bevölkerung Dichte Kaufkraftparität/ Einwohner (PPP) Bhutan* 38.398 km² ca. 0,7 Mio. 17 EW/km² ca. 1400 US$ Indien 3.278.263 km² 1030 Mio. 320 EW/km² ca. 2930 US$ Tibet (zu China) 1.228.000 km² 2,5 Mio. 2,03 EW/km² (China) 6549 US$ Nepal 147.181 km² 23,4 Mio. 159 EW/km² ca. 1144 US$

Deutschland 349.270 km² 82,16 Mio. 235 EW/km² 35.539 US$ Österreich 83.858 km² 8,07 Mio. 97,6 EW/km² 39.887 US$ Schweiz 39.550 km² 7,10 Mio. 172 EW/km² 43.195 US$

Bevölkerung: Die Mehrheit der Bewohner des Landes sind Bhutaner. Die im Land ansässig gewesenen Nepalesen und Tibeter sind teilweise nach Nepal und Indien geflüchtet (Bevöl- kerungsstand 1980 noch rund 1,2 Millionen). Die Bewohner leben in kleinen ländlichen Siedlungen, inzwischen wohnen aber ca. 35 % in Städten, von denen die Hauptstadt Thimphu mit etwa 80.000 Einwohnern die größte ist. Trotz des geringen Pro-Kopf-Jahreseinkommens ist die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sichergestellt. Sprache: Nationalsprache ist Dzongkha, daneben werden zahlreiche weitere tibeto­birmanis­ che Sprachen gesprochen, im Süden auch Nepali und andere indoarische Sprachen. Religion: Der Buddhismus ist Staatsreligion, rund drei Viertel der Bevölkerung bekennen sich zu ihm, daneben gibt es rund 20 % Hindus und eine muslimische Minderheit im Süden. Politik: Konstitutionelle Monarchie, Staatsoberhaupt ist König Jigme Khesar Namgyal Wang- chuck. 2008 unterzeichnete der König die neue Verfassung und schloss damit die demokrati- schen Reformen ab. Im März 2008 wurde eine neue demokratische Regierung für fünf Jahre gewählt. Teil dieser Regierung ist die Nationalversammlung. Sie besteht aus 47 Abgeordneten die 47 Wahlbezirke repräsentieren und aus zwei Parteien gewählt werden. Das Kabinett besteht aus gewählten Ministern sowie dem Ersten Minister. Wirtschaft: 65 % der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft und Viehzucht, die etwa 25 % zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt (Industrie 36 %, Dienstleistungen 39 %). Exportiert werden vor allem Zement, Holz, Strom und landwirtschaftliche Produkte, Haupthandelspartner ist Indien.

*Mit den im April 2006 veröffentlichten Ergebnissen der 2005 stattgefundenen Volkszählung wurde endgültig Klar- heit geschaffen – zuvor variierten die Einwohnerzahlen je nach Quelle zwischen 0,5 und 2 Millionen. Die Daten der anderen Länder sind dem Fischer Weltalmanach 2002 entnommen, die Wirtschaftsdaten dem World Fact Book 2003.

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Überblick

Grenzregion auf. Zwei große Zementfabriken, eine im Westen, in Panden, und eine im Osten, in Naglam, sowie eine Kalziumkarbid-Fabrik in Pasakha exportieren den Großteil ihrer Produktion. Außer Reis, der für Bhutan selbst bestimmt ist, gehen alle anderen Landwirtschaftsprodukte, einschließlich Orangen und Kardamom, ins Ausland. Die südlichen Regionen sind hauptsächlich von Bauern nepalesischer Herkunft besiedelt, von Angehörigen höherer Kasten (Brahmanen = Bahuns und Kshatnias = Chetris) und von Stämmen wie Rai, Gurung, Sherpa, Tamang und Limbu, die aus dem Nepal und Regionen von Darjeeling und Sikkim stammen und die seit Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1950 kontinuierlich in diese Gegend immigriert waren. Heute sind sie bhutanische Staatsbürger und offiziell als Südbhutaner, »Lhotsampa«, registriert. Sie haben dennoch ihre Bräuche und ihre Sprache bewahrt – Nepalesisch, das zur Gruppe der indoeuropäischen Sprachen gehört, und sie sind zum überwiegenden Teil Hindus. Auch wenn sie damit nicht der politisch-religiösen Hauptströmung Bhutans angehören, wird ihre Bedeutung für das Land von der Regierung anerkannt. Eine dezidierte nationale Integrationspolitik beginnt schon an den Grundschulen Bhutans, in denen sowohl die offizielle Sprache Englisch als auch die Nationalsprache Dzongkha gelehrt wird.

Der Zentralhimalaya Im Zentralhimalaya, wo der größte Teil Bhutans liegt, werden in den Tälern der Regionen Paro, Thimphu, Punakha, Wangdue Phodrang, Lhuentse und Teilen von Trashigang Som- merreis und Winterweizen angebaut. In Ha und Bumthang, die über 2600 Meter hoch liegen, werden dagegen Buchweizen und Weizen geerntet. Mit Beginn der achtziger Jahre hat sich der Kartoffelanbau in Gegenden, die zu hoch liegen oder zu unfruchtbar für den Reisanbau sind, erstaunlicherweise rasch durchgesetzt. Im südlich von Thimphu gelegenen Chapcha, in Bumthang, dem Gletschertal von Gantey (Phobjika) unweit des Pelela-Passes und in der Region von Kanglung ist dank dieser mittlerweile in Bhutan heimisch gewordenen Knollen- frucht ein wirtschaftlicher Boom zu beobachten. Im Osten, wo die Erde nicht so fruchtbar ist, wird hauptsächlich Mais geerntet und auf geeignetem Boden Reis angepflanzt. Hirse wächst überall und wird zur Alkoholherstellung verwendet. Seit 2006 wird Reis mit Erfolg in der Region Bumthang angebaut. In der Umgebung von Thimphu und Paro gibt es zwar Pfirsiche und Pflaumen, doch hat man sich dort auf Apfel- und Spargelanbau spezialisiert, deren Erträge größtenteils exportiert werden. Die von den Einheimischen konsumierten Orangen und Bananen wachsen in Punakha, Wangdue Phodrang, Mongar, Lhuentse und Trashigang. Viehzucht – insbesondere von Schweinen, Rindern und Hühnern – ist sowohl in den zentralen Tälern als auch im Süden weit verbreitet. Doch wird eher für den Eigen- als für den Massenbedarf produziert. In Bumthang hält man Schafe vornehmlich wegen ihrer Wolle und nicht wegen ihres Fleisches: Die Bhutaner mögen nämlich kein Hammelfleisch. Darüber hinaus verbietet ihr Glaube, Tiere wegen ihres Fleisches zu töten. Der Zentralhimalaya ist die Heimat der Drukpa, die im Wesentlichen Bauern und Viehzüchter sind. Sie gehören zur mongolischen Rasse und ihre Sprache zur tibeto- burmesischen Sprachfamilie. Ursprünglich lebten sie übers Land verstreut, doch inzwi-

Fasziniert betrachten diese jungen Mönchsnovizen die religiösen Tänze.

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Überblick schen lassen sie sich vermehrt um die Dzong (Klosterburgen) herum nieder, die früher in jedem Tal zur Verteidigung und Verwaltung errichtet waren. Die Entstehung dieser neuen Siedlungen hängt unmittelbar mit dem verbesserten Kommunikationsnetz, der Entwicklung einer funktionierenden Verwaltung und dem Aufkommen eines Mittelstandes von Beamten und kleinen Händlern zusammen. Außer dem Hochhimalaya, der von Ost nach West verläuft, erstrecken sich von Nord nach Süd das Land quer durchlaufende Bergketten, die mit ihrer Höhe von 4000 bis 5000 Metern regelrechte Barrieren zwischen den einzelnen Regionen bilden. Jedes ein- zelne der zentralen Täler ist daher eine in sich geschlossene kleine Welt, die nur über einen durchschnittlich 3000 Meter hohen Pass mit dem benachbarten Tal verbunden ist. Für das Landesinnere bedeutet das große Kommunikationsprobleme. Heute verbindet eine Hauptstraße alle zentralen Täler miteinander, doch braucht man selbst unter den günstigsten Wetterbedingungen immer noch drei Tage, um die Strecke zwischen Ha und Trashigang zurückzulegen. Die Schwarzen Berge (Jowo Durshing, 5000 Meter) bilden die Hauptwasserscheide zwischen den westlichen und östlichen Flusssystemen. Die Flüsse verlaufen von Norden nach Süden und bewässern die Täler. Ihre turbulenten Wassermassen zwängen sich durch etliche Schluchten, bevor sie sich in Form großer Zuflüsse – Torsa, Raidak, Sankosh und Mansa – in der indischen Tiefebene in den Brah- maputra ergießen. Ihre hydroelektrische Kapazität wird auf insgesamt 30.000 Megawatt geschätzt. Mit der Hilfe von Indien und Österreich sind mehrere groß angelegte Stati- onen entweder schon fertig oder im Bau (Chukha, Tala, Kurichu und Bosochu). Das von Drukpas bewohnte Zentral-Himalaya kann vertikal in drei Teile unterteilt werden, wobei jeder Teil seine Eigenarten hat, was vor allem daran liegt, dass jeder Teil seine eigene Sprache besitzt und die der anderen Teile nicht versteht.

Westbhutan Westbhutan besteht aus den Tälern von Ha (2700 m), Paro (2200 m) und Thimphu (2300 m). Punakha und Wangdue Phodrang, auf 1300 Meter gelegen, bilden ein einziges langes Tal. Außer dem Tal von Ha, das sich klimatisch eher für Viehzucht eignet und einst sehr gute Handelsbeziehungen zu Tibet unterhielt, ist Westbhutan eine Region der Reisfelder und der Obstgärten. Der Reichtum der Bewohner lässt sich an den großzügigen Häusern ablesen, die mehrere Generationen einer Familie beherbergen. Die Wände sind aus gestampfter Erde und Stroh, und die oberen Stockwerke weisen beachtenswerte Holzschnitzereien und häufig auch Malereien auf den Rahmen der dreiteiligen Fenster und den Balkenenden auf. Holzschindeln, die traditionellerweise zum Dachdecken benutzt wurden, sind heute schon vielerorts durch Wellblech ersetzt. Eine Schiefermine sollte eine Alternativlösung bieten, wurde allerdings aus Kostengründen aufgegeben. Die Berghänge sind mit herrlichen Koniferen- und Laubwäldern bewachsen; der Holz- schlag wird von der Regierung streng kontrolliert. All diese Täler zeugen mit ihren

Frühling im Paro-Tal: Gebetsfahnen rund um knospende Büsche senden ihre Botschaften an die Götter.

19 Geographie unzähligen Klöstern, Tempeln und Festungen von einer sehr reichen Vergangenheit, und die Landeshauptstadt wurde erst Anfang der 1950er Jahre nach Thimphu verlegt. Die fünf Täler Westbhutans sind die Heimat der Ngalong, »der Ersten, die aufgestiegen sind«, was so viel heißt wie »die Ersten, die zum Buddhismus übergetreten sind«. Sie sprechen Dzongkha, die »Sprache der Dzong«, heute Bhutans Nationalsprache. Obgleich dem Tibetischen eng verwandt, unterscheidet es sich doch in vielerlei Hinsicht, besonders durch die Aussprache der Endsilben und die Beugung der Verben. Die Schwarzen Berge (Durshing) mit einer Höhe von 5000 Metern kennzeichnen die eigentliche Grenze zwischen West- und Zentralbhutan. Die Hauptstraße von Paro nach Trashigang führt über dieses Gebirge und über seinen 3300 Meter hohen Pelela-Pass.

Zentralbhutan Zentralbhutan setzt sich aus verschiedenen Regionen zusammen, in denen jeweils eine eigene Sprache (Kha) mit verschiedenen lokalen Ausprägungen gesprochen wird: Bum- tangkha, Khyengkha, Kurtoekha. Aufgrund ihrer archaischen Form sind sie – linguistisch gesehen – der östlichen proto-bodischen Untergruppe zuzurechnen. Der südlichste Teil Zentralbhutans heißt Khyeng, eine Gegend, die mit halbtropischem Klima gesegnet und für ihren dichten Dschungel bekannt ist. Die Bewohner von Khyeng sind mit dem Wald sehr vertraut und beziehen alle möglichen Sorten von wild wachsenden Pflanzen in ihre Nahrung mit ein: Jams, Orchideen, Farne, Rattansprossen, winzige wilde Man- gos, Bananenblüten, ja sogar giftige Wurzeln und Samen, die sie so zubereiten, dass sie genießbar werden. Die dort lebenden Menschen fertigen hervorragende Bambus- und Rattankorbflechtarbeiten. Nördlich von Khyeng, an der Hauptstraße, liegt Trongsa in einer durch den Mangde- Fluss geschaffenen Schlucht, die einige terrassierte Felder auf den Steilhängen aufweist. Hier stößt man auch auf Bhutans eindrucksvollsten Dzong: den auf einem strategisch wichtigen und exponierten Punkt stehenden Trongsa-Dzong. Ein 3300 Meter hoher Pass, der Yutong La, führt nach Bumthang, das aus vier Tälern besteht, die alle auf einer Höhe zwischen 2700 und 4000 Metern liegen: In Chume und Choekhor wird im Wesentlichen Landwirtschaft, in Tang und Ura Yak- und Schafzucht betrieben. Die Berghänge sind mit dichten Koniferenwäldern bedeckt; anstelle von Reis wird hier Buchweizen kultiviert. Die Häuser werden bevorzugt aus Stein, nicht aus gestampfter Erde gebaut und sind auch meist nicht so schmuck wie in Westbhutan. Bumthang ist stolz auf seine reichhaltige Kultur und Geschichte. Die religiösen Traditionen sind hier noch sehr lebendig, und an jedes Kloster, jeden heiligen Ort knüpfen sich ausführliche Geschichten, in denen Mythos und Wirklichkeit ineinander greifen. Das Gebiet von Kurtoe (Lhuentse) im Nordosten ist von Bumthang durch einen 4000 Meter hohen Pass, den Rodong La, abgetrennt. Kurtoe ist mit Bumthang durch Sprache und Verwandtschaftsbeziehungen eng verbunden, gehört geographisch allerdings zu Ostbhutan. In seinen niedrigeren Lagen, auf einer Höhe von 1600 bis 2500 Metern, wird Reis und Mais angebaut. Doch wirklich bekannt ist diese Gegend für die Herstellung von erlesenen Stoffen mit den verschiedensten und kompliziertesten Mustern.

20 Überblick

Ostbhutan Von Bhumthang aus geht die Autostraße in östlicher Richtung über einen noch weiter südlich als der Rodong La gelegenen Pass, den 4100 Meter hohen Thumsing La. Ostbhutan setzt sich zusammen aus den Gebieten von Mongar, Trashigang und einem südlichen Teil, der Pemagatshel (die historische Region Dungam) einschließt und sich bis nach Samdrup Jongkhar an der indischen Grenze erstreckt. Der Osten ist das Land der Sharchopa, der »Leute des Ostens«, die sich selbst Tsangla nennen und eine eigene Sprache, Tsanglalo, sprechen. Im Vergleich zu Westbhutan ist das Klima hier gewöhnlich wärmer und trockener, die Wälder sind lichter und die Berge weniger hoch. Tief sind die V-förmigen Täler, und Felder und Häuser kleben größtenteils an den nackten Hängen. Hauptsächlich wird Mais angepflanzt, doch Reis und Weizen gedeihen ebenfalls. Unzähliges Vieh, besonders der Mithun, ein einheimischer Bulle mit ausladenden Hörnern, grast entlang der Straßen und durchstreift ungehindert das Land, da die Tiere in dieser Region nur selten in Ställen gehalten werden. Obwohl die meisten Häuser im traditionellen bhutanischen Stil gebaut sind, kann man auch viele Pfahlbauten sehen, die aus Bambusmatten konstruiert sind, was dem Betrachter in Erinnerung ruft, dass er sich hier schon fast in Südostasien befindet. Man weiß von den Sharchopa, dass sie sehr gläubig sind, und das ganze Land ist übersät mit kleinen Tempeln, wo Gomchen – Laien, die für religiöse Handlungen ausgebildet sind – mit ihren Familien abseits der klösterlichen Gemeinschaften leben. Wie in Kurtoe haben auch hier die Frauen ein außerordentliches handwerkliches Geschick und weben herrliche Stoffe aus Rohseide und Baumwolle. Die Täler Radi und Phongme sind für ihre Wildseidenwebarbeiten und Reisfelder berühmt. Im östlichsten Zipfel des Landes, einen Dreitagesmarsch von Trashigang entfernt, liegen die Hochtäler von Merak und Sakteng, die bewohnt sind von halbnomadisier­enden Viehzüchtern, den Brogpa, die zur besonderen ethnischen Gruppe der Dakpa gehören und auf der anderen Seite der indischen Grenze, um das Kloster von Tawang in Aruna- chal Pradesh herum, Monpas genannt werden. Die Reisfeldregion Trashiyangste befindet sich im Norden von Trashigang. Im nördlich liegenden Tal von Bumdeling sammeln sich Schwarzhalskranichen, die dort überwintern. Das Tal befindet sich auf der ehemaligen Kommerzstraße von Kuroe nach Trashigang. Dort werden mehrere Sprachen gesprochen, wobei die wichtigste Dzalakha ist.

Nordbhutan Im über 3500 Meter hoch gelegenen Nordbhutan beginnt der eigentliche Hochhimalaya.­ Die Täler von Lingshi, Laya und Lunana sind mit den Hochtälern von Merak und Sakteng im Osten und Sephu in den Schwarzen Bergen vergleichbar. Die hohe Lage erlaubt nur den Anbau von Gerste und Wurzelgemüsen und die Nahrung besteht hauptsächlich aus Milch, Butter, Käse und Yakfleisch. Die Bewohner sind halbnomadische Yakzüchter und werden je nach Dialekt Bjops oder Brogpa genannt, was schlicht »Hirten« bedeutet. Sie verbringen die meiste Zeit des Jahres in schwarzen, aus Yakhaar gewebten Zelten, doch bauen sie sich auch Häuser aus Trockenziegeln, die ihnen in der kältesten Jahreszeit als Unterkunft und gleichzeitig als Vorratslager dienen. Mit den Bewohnern der zentralen Täler treiben sie mit Getreide Tauschhandel und der Schmuggel mit Tibet ist zu einer einträglichen Quelle geworden.

21 Geographie

■ Klima und Wetter

Man kann keine allgemeine Beschreibung des Klimas in Bhutan geben, denn das Ge- birgsklima unterscheidet sich von Region zu Region beträchtlich. Es hängt von der Höhenlage ab, ist aber auch innerhalb derselben Höhenlage äußerst variabel. Südbhutan ist tropisch und wird vom Monsun bestimmt. Der Osten ist wärmer als der Westen. Die zentralen Täler von Punakha, Wangdue Phodrang, Mongar, Trashigang und Lhuentse haben ein halbtropisches Klima mit sehr kalten Wintern. Ha, Paro, Thimphu, Trongsa und Bumthang werden von einem raueren Klima geprägt, und im Winter gibt es gelegentlich Schneefall. Der Norden Bhutans ist im Sommer bis zu einer Höhe von 5000 Metern bewohnt. Dort ist das Klima rau, mit Monsunregen in den Sommer- und starkem Schneefall in den Wintermonaten, so dass die Pässe, die in die zentralen Täler hinabführen, nicht passierbar sind. In den Tälern Zentralbhutans sind die Winter (von Mitte November bis Mitte März) trocken, und die Tagestemperaturen variieren zwischen 16 und 18 Grad Celsius, sobald die Sonne scheint. Abends und frühmorgens ist es dagegen kalt, und die Nachttempe- raturen sinken unter den Gefrierpunkt. Obwohl es auf den Bergen schneit, kommt es in den Tälern höchstens zwei- oder dreimal im Jahr zu Schneefall. Der Frühling dauert von Mitte März bis Anfang Juni, dann steigen die Temperaturen allmählich auf 27 bis 29 Grad am Tage und sinken bis 18 Grad in der Nacht. Allerdings ist bis Ende April durchaus mit Kälteperioden oben in den Bergen zu rechnen und mit erneutem Schneefall. Starke, böige Winde kommen dann fast täglich zwischen mittags und sechs Uhr abends auf und wirbeln große Staubwolken auf – während dieser Jahreszeit werden viele Dächer abgedeckt! Dann brechen auch die ersten Stürme herein und treten zusehends häufiger auf bis zum Beginn des Monsuns, der gewöhnlich Mitte Juni einsetzt. Es folgt die Regenzeit. Bhutan erlebt jetzt lang anhaltende und heftige Regenfälle, insbesondere im Süden, wo sich die geballte Kraft des Monsuns zeigt, der vom Golf von Bengalen heraufzieht und sich an den aufsteigenden Berghängen, die eine Barriere bilden, entlädt. Nur in den ersten Monsuntagen regnet es ununterbrochen, danach fallen Niederschläge hauptsächlich spätabends und nachts. Die Temperatur sinkt auf 23 bis 24 Grad bei Tage und 15 bis 16 Grad in der Nacht. Trotzdem kommt recht häufig die Sonne hinter den Wolken hervor, und die Tage sind dann recht angenehm. In dieser Zeit, also von Ende März bis Ende September, hat man äußerst selten – und nur mit ungewöhnlichem Glück – eine klare Sicht auf den Hochhimalaya. Ende September, nach dem letzten der großen Regenfälle, setzt plötzlich der Herbst ein. Der Himmel reißt auf, eine steife Brise kommt hin und wieder auf, und die Tem- peraturen sinken nachts unter null; tagsüber scheint allerdings weiterhin die Sonne, und es ist warm. Der Herbst ist eine großartige Jahreszeit, die bis Mitte November andauert.

22 Klima, Flora, Fauna, Nationalparks

■ Flora und Fauna

Den drei Reliefzonen (Vorgebirge, zentrale Himalayatäler und Hochhimalaya) entsprechen auch drei Klimazonen: eine tropische, eine gemäßigte mit Monsun und eine alpine mit Monsun. Diese klimatischen Unterschiede bestimmen im Zusammenwirken mit den gewaltigen Höhenunterschieden den ungewöhnlichen Pflanzenreichtum Bhutans: In der Gegend von Punakha, in 1300 Meter Höhe, sieht man auf einer Strecke von siebzig Kilometern Reisfelder, Bananenstauden und Orangenhaine und gelangt durch Laubwälder schließlich bei Gasa in alpinen Hochwald, um dann im Gebiet von Laya, wo nur Gerste und Winterweizen gedeihen, auf grasende Yaks zu stoßen. Der Reichtum an Pflanzenarten (bisher sind 5400 bekannt) umfasst 17 Arten Nadelbäu- me, 46 Arten Rhododendron, Wacholder und meterhohe Magnolien, fleischfressende Pflanzen, seltene Orchideen, Blauen Mohn, Edelweiß, Enzian, Primeln, Seidelbast, Riesenrhabarber, Hochgebirgspflanzen, tropische Bäume und Heilpflanzen. Bhutan ist ein wahres botanisches Paradies, und daher lautet eine alte Bezeichnung auch »Südliche Täler der Heilpflanzen«. Da die Mehrheit der Bhutaner aus religiösen Gründen weder jagt noch fischt, existiert eine ebenso reiche und – je nach Vegetation – gemischte Fauna. Elefanten, Tiger, Büffel, Nashörner und Leoparden sind nur einige der 160 vorkommenden Arten und bevöl- kern die dichten Wälder im Süden; der in den Flüssen des Südens vorkommende Fisch Masheer wird manchmal mit einem tropischen Lachs verglichen. Der Zentralhimalaya ist das Reich der Fasane und der Monals (Tragopan satyra und Lophoporus impejanus), der Kleinen Pandas (Ailurus fulgens), der Goldlangur-Affen (Presbytis geei), der Wildschweine (Sus scrofa), der Damhirsche und vor allen der furcht- erregenden weißkragigen Schwarzbären (Selenarctos thibetanus). Tigerspuren wurden noch in einer Höhe von 3400 Metern gefunden. Der majestätische Schwarzhalskranich (Grus nigricollis) kommt aus Tibet, um in den einsamen Tälern von Phobjika und Bumdeling zu überwintern. Der Rabe (Corvus corax) ist der Nationalvogel des Landes. Die einsamen Hochflächen gehören den Yaks (Bos gruniens), den ziegenähnlichen Thars (Hemitragus jemahicus) und Gorals (Naemorhedus goral) und dem scheuen Blauschaf (Pseudonis nayaur). Ganz selten kann man auch Schneeleoparden (Panthera uncia) und Takine (Budorcas taxicolor) sehen.

■ Nationalparks und Naturschutzgebiete

Bhutan ist sich der Notwendigkeit des Umweltschutzes stark bewusst und ist Teil der weltweiten Liste der »wichtigen Orte« für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Weil Bhutan die Chance bekommen hat, seine Entwicklung später als andere Länder zu beginnen, konnte das Land von Fehlern anderer profitieren. Der Schwerpunkt wird auf die Erhaltung des Waldes und der seltenen Tier- und Pflanzenarten gesetzt.

23 Geographie

Bisamdamhirsch, Takin, Roter Panda, Schwarzhalskranich, Schneeleopard, Goldlangur, Katli Masheer (Fisch), Himalaya-Glanzfasan usw. sind mittlerweile geschützt. Die Königliche Gesellschaft zum Schutz der Natur wurde 1986 gegründet und arbeitet mit der Abteilung für den Schutz der Natur des Ministerium für Landwirtschaft und dem WWF (World Wildlife Fund For Nature) zusammen. Letzterer hilft mit Geld und technischem Beistand bei der Entwicklung von Parks und Naturreserven sowie der Verbreitung des Umweltbewusstseins von Kindern. Für mehr Informationen, siehe www.rspn-bhutan.org, www.wwf.org und www.tourism.gov.bt/about-bhutan/ national-parks.

Parks und Naturschutzgebiete (35% des Landes wurde zum »Nationalpark« deklariert und 9% zum »ökologischen Gürtel«): 1 Der Nationalpark von (4349 km2, 1974 gegründet). Er umfasst die größte geschützte Fläche Bhutans die ebenfalls, aus biologischer Sicht, eines der reichsten Gebiete des orientalischen Himalayas darstellt. Sie deckt eine Re- gion ab, die von tropischem Wald – durch die Regenzeit in bis zu 1000 Metern Höhe begossen – bis zu den Gletschern an der nord-westlichen Grenze des Landes – auf über 7000 Metern Höhe – geht und die eine große Vielfalt an Tieren und Pflanzen beherbergt. In der alpinen Region findet man unter anderem die Nationalblume, den blauen Mohn, das Edelweiß, Rhododendrons und verschiedene Orchideen. Seltene Tiere wie der Schneeleopard, der Takin, der Tiger, der Schwarzbär und der rote Panda bevölkern die Wälder und Berge des Parks. Zudem ist es wahrscheinlich der einzige Ort auf der Welt, wo der Schneeleopard und der Königstiger im gleichen Territorium zusammenleben. 2 Der Nationalpark Jigme Singye Wangchuck, mit 1300 km2 der zweitgrößte National- park des Landes. Er spannt sich über eine Fläche, die von eingeschneiten Gipfeln bis zu Tannen- und Laubwäldern reicht. Ehemals unter dem Namen »Nationalpark der schwarzen Berge« bekannt, ist er verschiedensten klimatischen Bedingungen ausgesetzt und beherbergt daher eine große Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Vögeln. Er besitzt ebenfalls eine der größten intakten Waldflächen des orientalischen Himalayas. Man trifft dort den Bisamdamhirsch und den Schwarzbären des Himalayas an. Der Gold- langur, eine endemische Art des Bhutans, der gefleckte Leopard, der rote Panda und der Königstiger leben ebendalls dort. Der orientale Teil des Parks beherbergt 20% der Tiger Bhutans. Auch 391 Vogelarten leben in dem Park, darunter 7 vom Aussterben bedrohte Arten. Das Tal von Phobjikha ist der Überwinterungort von ungefähr 260 Schwarzhalskranichen. 3 Der Nationalpark von Trumshingla (786 km2, 1998 gegründet). Er reicht vom Ura-Tal – mit subtropischen Wäldern – bis Sengor, wo alpines Klima herrscht. Die Präsenz des Schneeleoparden, des roten Panda und seltener Pflanzen machen aus dem Gebiet einen außergewöhnlichen Park von großer Bedeutung. Mit Höhen von

24 Nationalparks

1000 bis 4000 Metern und Temperaturen zwischen -21 und 28 Grad hat der Park weltweit eine der spektakulärsten klimatischen Unterschiede. 4 Das Naturgebiet von Bumdeling befindet sich im Nord-Osten Bhutans. Es deckt eine Fläche von 420 km2 in der Pufferzone zwischen den Landesteilen von Trashiyangtse, Lhuentse und Mongar auf der indischen Grenze im Osten und der tibetischen Grenze im Norden ab. Das Naturschutzgebiet beherbergt 100 Arten von Säugetieren, unter ihnen vom Austerben bedrohte Arten wie den Schneeleoparden, den Königstiger sowie den roten Panda. Ungefähr 150 Schwarzhalskraniche überwintern in Bumdeling zwischen November und März. Das Naturschutzgebiet ist ebenfalls ein Paradis für Schmetterlinge. Bis zum heutigen Tag wurden mehr als 130 Arten gezählt und man schätzt, dass man noch mehr als 100 Arten hinzukommen werden. 5 Das Naturschutzgebiet von Sakteng (650 km2) liegt an der Grenze zum indischen Arunachal Pradesh und ist das neueste und östlichste Naturschutzgebiet (2003 gegründet). Es ist eine Welt mit einer erstaunlichen biologischen Vielfalt, die sehr wahrscheinlich durch die verschiedenen Ökosysteme – von alpinen Wiesen bis zu tropischen Wäldern – noch schöne Entdeckungen bereithält. Man findet dort den Schneeleoparden, den roten Panda, den Schwarzbären des Himalaya, den Muntjak (auch »bellender Hirsch« genannt), den roten Fuchs des Himalayas, eine Art Eich- hörnchen des Himalayas (Callosciurus pygerythrus) und vielleicht sogar den Yeti, der sagenumworbenen Schneemenschen. Bei den Vögeln kann man den assamesischen Ara, den Blutfasan, den Grauspecht, den Wiedehopf, die Rotbrustmeise und den Dünnschnalbelgimpel beobachten. Bei den Pflanzen findet man den blauen Mohn, Rhododendrons, Primeln und Enziane, welche den Park im Frühjahr in einen riesigen Garten verwandeln. 6 Der königliche Nationalpark von Manas (1023 km2, 1966 gegründet). Er führt den Nationalpark Jigme Singye Wangchuck in den Süden weiter bis nach Assam, einer Region in welcher er mit dem Mana Tiger Reserve verbunden ist, einer im unesco Weltkulturerbe aufgenommenen indischen Reserve. Diese Zone beherbergt eine sehr reiche Fauna, in welcher der sehr bedrohte Königstiger von Bengalen, der asiatische Elefant, das indische Rhinoceros, der gefleckte Leopard, der Schwarzbär des Himalayas, der Delfin des Ganges, der Pangolin sowie die Goldlangur, eine Art Affe den man an keinem anderen Ort auf der Welt mehr findet, leben. Mehr als 365 Vogelarten wurden dort entdeckt und man schätzt, dass 200 weitere Arten dort ebenfalls leben. 7 Das Naturschutzgebiet von Phibsoo (278 km2, 1974 gegründet). Es befindet sich an der Grenze zu Indien und schützt den Salbaumwald (Shorea robusta). 8 Das Naturschutzgebiet von Khaling/Neoli (273 km2) wurde 1984 zum Schutz der Tierarten der subtropischen Zone gegründet. 9 Die Reserve von Torsa, 644 km2, befindet sich im Westen des Landes an der Grenze zu Chumbi in Tibet.

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