SWR2 Musikpassagen
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________ SWR2 Musikpassagen Arbeit, nichts als Arbeit Irmin Schmidt und sein Solowerk Von Bernd Gütler Sendung: Sonntag, 10. Juli 2016, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2016 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Musikpassagen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 Und heute, Arbeit, nichts als Arbeit. Irmin Schmidt steht auf dem Programm der nächsten Stunde. Irmin Schmidt ist Komponist, Dirigent, Keyboarder, Sänger, Songschreiber und Mitbegründer der westdeutschen Krautrockformation Can. Mit Can wollen wir dann auch beginnen, ein Interview mit Irmin Schmidt wird ebenfalls zu hören sein. Am Mikrofon begrüßt Bernd Gürtler. (6) CAN: Spoon (3:03) CD/07 Zum Interview sind wir im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin Mitte verabredet. Direkt vor dem Gebäude verlief bis zum Herbst 1989 entlang der Spree die Berliner Mauer. Bei einem Blick aus dem Fenster entdeckt Irmin Schmidt gegenüber am anderen Ufer ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg und wird nachdenklich. (11) O-Ton: (deutsch) (0:45) (01) Da drüben steht zum Beispiel wie eine Skulptur so eine Brandmauer noch, wie sie früher überall in Berlin rumstanden. Dazwischen dann so Bombenbrachen. Die gibt es nicht mehr, Gott sei Dank. Aber das weckt Erinnerungen, und die Mauer erst recht. Wir waren in den Siebzigern viel in den Geyer Werken, für die Filmmusiken, die wir mit Can gemacht haben. Die Filme wurden bei Geyer gemischt, da war auch die Mauer. Nach der Mischung sind wir am frühen Morgen immer leicht angesoffen auf die Holztürmchen gestiegen und haben Vopos beschimpft. Berlin ist für ihn nicht nur die Stadt mit der historischen Bürde, sondern auch der Spielplatz seiner Kindheit. Irmin Schmidt wird Ende Mai 1937 in Berlin Charlottenburg geboren. O-Ton: (deutsch) (0:50) (02) Ja, wir haben die meiste Zeit an der Sensburger Allee gewohnt, das war eine schöne Gegend. Das war, wo jetzt das Corbusierhaus steht. Da war ein Kiefernwäldchen, da hatte ich in so einer Kiefer eine Höhle. Da habe ich immer gesessen. Ich konnte stundenlang in meiner Wurzelhöhle zuhören, was um mich herum an Geräuschen war. Die U-Bahn kam an der Ecke aus der Erde, das wummerte ein bisschen. Ja, da war es sehr schön. Das Olympia-Stadion ganz nah, da konnte man mit dem Tretauto wunderbar fahren, weil alles gepflastert war. Eine Eisenbahnfahrt des Nachts im Schlafwagen von Berlin nach Innsbruck, beschert ihm noch so ein Kindheitserlebnis, das sich einprägen sollte. Gespannt hat Irmin Schmidt dem monotonen Rumpeln der Eisenbahnwagons und der vorbeiziehenden Geräuschkulisse gelauscht. (19) 3 O-Ton: (deutsch) (0:27) (02) Ja, unbedingt. Mit vier, fünf, sechs Jahren gab es zu Hause ein Klavier. Mein Vater hat gespielt, meine Mutter hat gespielt. Das empfand ich als normal. Auch im Radio wurde Musik gehört. Aber Geräusche waren viel faszinierender für mich damals. Logischerweise musste ich dann Cage kennenlernen, später. Irmin Schmidt war einer der ersten John Cage-Interpreten in Deutschland, hat daneben bei György Ligeti und Karlheinz Stockhausen Musik studiert, die Wiener Philharmoniker dirigiert, das Dortmunder Ensemble für Neue Musik gegründet, als Kapellmeister am Stadttheater Aachen und als Dozent an der Schauspielschule Bochum gearbeitet, für Radio Stuttgart eigene Orchesterwerke eingespielt und 1968 Can mitbegründet, eine der bedeutendsten Rockformationen des 20. Jahrhunderts. (27) CAN: One More Night (5:35) CD/03 Seine ohnehin stolze Musikerbiographie verzeichnet zudem eine Teilnahme am Dimitri Mitropoulos-Dirigentenwettbewerb in New York. Irmin Schmidt erinnert sich gut. (30) O-Ton: (deutsch) (0:59) (04) Da bin ich aber total versackt. Gleich die dritte Probe habe ich total geschmissen, weil ich mit Terry Riley bis in den frühen Morgen Musik gemacht habe, in irgendeinem Keller in der Bowery. Da bin ich zu spät zur Probe gekommen, und das ging ja nun gar nicht. Geht auch nicht, als ich noch dirigiert habe und ein Orchestermusiker, der zur Probe erscheint und sagt, ich habe aber bis heute Morgen um vier gesumpft, das hätte ich auch nicht gelitten. Also bin ich rausgeflogen. Hat mich aber überhaupt nicht gegrämt, weil, New York war auf andere Weise so spannend. Ich habe La Monte Young und Fluxus-Leute, Cage kannte ich schon, den habe ich auch wiedergetroffen. Und dann habe ich bei denen rumgehangen, das war viel spannender. Kurz darauf gründen Irmin Schmidt, Jaki Liebezeit, Michael Karoli und Holger Czukay in Köln die Gruppe Can. Das Sensationelle an Can war die Arbeitsweise. Auf einen Bandchef, der die Richtung vorgibt, wurde verzichtet, das Komponieren und das Spielen in einem Schritt zusammengefasst, das Üben zu etwas anderem umfunktioniert. O-Ton: (deutsch) (0:55) (04) Bei uns war das Zusammenspielen die Übung, bis man gewissermaßen ein Organismus wurde, das war die Übung. Das ist in erster Linie Disziplin. Das ist mehr auf andere hören als selber produzieren. Deswegen meide ich immer diesen Begriff Improvisation, das hört sich nach Jammen 4 fröhlich in der Garage an. Das war es bei uns nicht. Das hatte immer ein Ziel, und das Ziel war, ein Stück entstehen zu lassen, einen Groove, der perfekt war, dass alles wie ein Instrument wurde. Und es gibt den Begriff, den Stockhausen in späteren Jahren geprägt hat. Intuitive Musik hat er das genannt. Bei den besten Can-Stücken hört man das, wie die Band ein Organismus wird und wie ein Instrument spielt. Und zwischen 1968 und 1977 gibt es kaum ein schlechtes Can-Stück. (38) CAN: Half Past One (4:40) CD/02 Der Verzicht auf einen Bandchef, das Komponieren beim Spielen, woher kam die Idee? Von Karlheinz Stockhausen?! (40) O-Ton: (deutsch) (1:21) (05) Nein, das war gar nicht so sehr Stockhausen. Wir waren alle aus verschiedenen Richtungen. Das war das, was ich wollte. Ich wollte Leute zusammenbringen, einer aus dem Jazz, ein wirklicher Jazzmusiker, der auch schon dreißig Jahre alt war, der sich durch die gesamte Jazzmusikgeschichte getrommelt hat, von Dixieland bis Free Jazz. Und ebenso jemand wie ich, der in der Neuen Musik ganz zu Hause war, weil er eben von Maschou bis Strawinsky alles studiert hatte. Und ein ganz junger Rockmusiker, der noch gar nix studiert hatte, der die Gitarre auf eine ganz eigene, spontane, unstudierte Weise benutzte, was ja Rock ist. Das wollte ich zusammenbringen. Ja, und dann ist es Can geworden. Neben Can entsteht ein umfangreiches Solowerk, das auf keinen Fall zwischen ihn und die Band treten darf. Lieber betont Irmin Schmidt die Gemeinsamkeiten. (43) O-Ton: (deutsch) (0:36) (06) Ich kann das gar nicht so sehr voneinander trennen, weil, ich habe mit Can im Kollektiv gearbeitet, aber es ist die Musik geworden, die ich machen wollte. Also diesen Wechsel, mit tollen Musikern und dann wieder alleine, das finde ich wunderbar, das mache ich weiter so. Obwohl der Solist Irmin Schmidt doch bestimmt stärker an seine Zeit vor Can anknüpfen und Vorstellungen umsetzen wollte, für die im Kontext der Band kein Platz gewesen ist?! (46) O-Ton: (deutsch) (0:26) (07) Nein, Can hat mich so entscheidend geprägt. Außerdem sind auf den beiden reinen Soloplatten Michael und Jaki wieder drauf, und man wird die 5 Verwandtschaft zu dieser Musik, die da entstanden ist, in jedem Moment, in dem ich Musik mache, irgendwie spüren können. Dennoch gibt es Unterschiede, Facetten, die bei Can schlecht gepasst hätten. Eine Oper zum Beispiel. Oder die beiden reinen Soloplatten, „Musk At Dusk“ von 1987, sowie „Impossible Holidays“, veröffentlicht 1991, zwei Alben mit Songs zu Songtexten des englischen Schriftstellers und Journalisten Duncan Fallowell. (51) IRMIN SCHMIDT: Le Weekend (4:46) CD/02 Die beiden Solo-Songalben sind zugegebenermaßen dann doch nicht so ganz dasselbe wie Can. (53) O-Ton: (deutsch) (0:26) (08) Nein, da wollte ich dann, und das ist, was mir so Spaß machte, immer wieder was Neues, da wollte ich dann wirklich die Songs schreiben und also eine ganz wirkliche Soloplatte machen, also ich schreibe keine Texte, die hat Duncan geschrieben, mit dem ich seit Anfang Can eng befreundet war, und dann habe ich es auch noch gesungen. Was den Gesang angeht, sind Can zu Anfang mit Malcolm Mooney und Damo Suzuki hervorragend besetzt gewesen. Später übernahm Michael Karoli den Sängerpart, selten Irmin Schmidt. Erst seine Solokarriere bietet seinem Gesang Raum zur Entfaltung, mit gewissen Einschränkungen, bei idealen Voraussetzungen eigentlich, dank des musikalischen Elternhauses. (59) O-Ton: (deutsch) (0:58) (09) Ich habe ja keine solche Sängerstimme. Auf