Politik

Robert Winter Geschlossene Gesellschaft Die DDR-Rockmusik zwischen Linientreue und Nonkonformismus

Fachbuch

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Impressum: Copyright © 2009 GRIN Verlag, Open Publishing GmbH ISBN: 9783640487882

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Geschlossene Gesellschaft. Die DDR-Rockmusik zwischen Linientreue und Nonkonformismus

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Robert Winter

Die DDR-Rockmusik zwischen Linientreue und Nonkonformismus

Für Alexander

2 Abraxas – Abraxas (Halle) – Anonym – Automobil – B-Club 66 – Blues-Vital – Brightles – Brot und Salz – Bürkholz-Formation – City – Crazies – Diana-Show-Quartett – Dieter-Hesse-Band – Dresden- Septett – Electra-Combo – Electra – Elefant – Ekkehard-Sander- Formation – Engerling-Blues-Band – Express- – FAM – Feuer- kitt – Foel-Band – Forte-Quintett – Frachthof – Freygang – Fusion (ehemals Lenz-Big-Band) – Garage Players – German Four – G4- Combo – Gouverneurs – GP-Combo – Hansi-Biebl-Blues-Band – Ho- ermens – Hof-Blues-Band – Horst-Krüger-Band – Joco-Dev-Quartett – Joco-Dev-Sextett – Jürgen-Kerth-Quintett – Juckreiz – Karat – Ka- russell – Kellergeister – Keks – Kirsche & Co – Klaus-Lenz-Band – Klaus-Lenz-Big-Band – Klaus-Lenz-Modern-Soul-Big-Band – Klaus- Renft-Combo – Klaus-Renft-Quintett – Klosterbrüder – Kreis – Lift – Luniks – Magdeburg – Mikados – Modern-Soul-Band – Monokel – Music-Stromers – Nautiks – Pankow – Pasch – Peter-Holten-Septett – Peter-Holten-Sextett – Postel & Pötsch – Privileg – Puhdys – Puste- blume – Quintessenz – Rampenlichter – Rapunzel – Reform – Reggae Play – Reiner-Fritzlar-Combo – Satori – Silly – Simultan – Spotlights – Sputniks – Stefan-Diestelmann-Folk-Blues-Band – Stewards – Stern-Combo-Meißen – Stern-Meißen – Studio-Gruppe 72 – Team 4 – The Blackies – The Butlers – The Devils – The Herolds – The Polars – Thomas Natschinski & Band – Tornados – Trend – Ulf-Willi- Quintett – Unisonos – Vai Hu – Vital – Wanderer – Wind, Sand & Sterne – Wostoks

3 Vorwort

Ob im Fernsehen, in den Zeitungen, in der Literatur oder auf diversen Internetseiten, zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR wird er über- all mit Lobgesängen bedacht, der Ost-Rock. Über die wirklichen Tat- sachen und Hintergründe wie über viele Beteiligte aber herrscht dabei Stillschweigen. Dabei waren es gerade heute fast vergessene Bands wie KLOSTERBRÜDER, KLAUS-RENFT-COMBO, JOCO-DEV-SEXTETT, FRACHT- HOF, JÜRGEN-KERTH-QUINTETT, SATORI oder die BÜRKHOLZ-FORMATION, die den sogenannten „Ost-Rock“ prägten und maßgeblich beeinfluß- ten. Die Lieder dieser Gruppen waren eigenwillig, urwüchsig und ehr- lich, ein riesiges Publikum honorierte das mit Treue. Jedes Wochen- ende reisten Scharen von jungen DDR-Bürgern ihren Rock-Helden hinterher, per Anhalter oder –oftmals-schwarz mit der Bahn. Doch gerade als so etwas wie eine Szene im Entstehen begriffen war, schlu- gen die staatlichen Behörden zu. Es hagelte Abmahnungen, Auflagen, Spielverbote und Lizenz-Entzüge für die Bands. Fans wurden krimi- nalisiert und zu Staatsfeinden erklärt.

Unter dem Druck der Behörden spaltete sich die Rockszene: Gruppen wie TEAM 4, PUHDYS, KARAT oder CITY arrangierten sich mit der Staatsmacht – bei Fernsehauftritten wurden lange Haare hochgebun- den, auf Wunsch der Behörden Gruppennamen geändert. Als Gegen- leistung durften diese Bands Platten bei der staatlichen Firma Amiga oder sogar bei westlichen Labels produzieren, im Fernsehen auftreten und sogar ins kapitalistische Ausland reisen.

Auch in den Hitparaden des DDR-Rundfunks, mangels einer Ver- kaufsrangliste der einzige Gradmesser für den Erfolg, belegten ihre Titel vordere Plätze. Eine wirkliche Konkurrenz hatten PUHDYS & Co spätestens nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann nicht mehr zu fürchten, weil immer mehr Rockmusiker das Land ent- nervt Richtung Westen verließen. Die DDR blutete künstlerisch aus, die verbliebenen Gruppen badeten im eigenen Saft. Am Ende wurden die größten Stars von ihrem Publikum ignoriert oder sogar ausgepfif- fen wie 1988 auf der Freilichtbühne von Weißensee.

4 Doch sie alle kamen wieder, PUHDYS, KARAT und CITY. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurden aus den Staatsrockern die Erbver- walter des „Ost-Rock“, denen die Fans nun plötzlich wieder zujubel- ten.

Dieses Buch will die wahre Geschichte des Ost-Rock erzählen, die Geschichte der Musik, die in kleinen Sälen in Sachsen und in Probe- räumen in Thüringen und Sachsen-Anhalt geschrieben wurde. Von Glitzer und Glamour der bunten „rund“-Sendungen und der im Wes- ten zusammengeborgten Coolness der großen Stars bleibt in der Nah- aufnahme wenig übrig. Das unverfälschte der DDR-Rockmusik ist düster; ein Bild, gekennzeichnet von Repressionen, Willkür und Verboten.

Robert Winter Erfurt im November 2009

5 Inhaltsverzeichnis

Einführung

1. Im Osten nichts Neues und Verklärung der DDR-Geschichte

2. Die Beatentwicklung in der DDR

Wie alles begann Die Rockrebellen der 60er Die Zerschlagung der DDR-Beatbewegung

3. Von Fichtelberg bis Kap Arkona

Was angesagt war Die ostdeutsche Life-Szene in den 70er und 80er Jahren Auslandsreisen und Gastspiele – Die DDR-Künstler-Agentur macht Politik

4. Ich bau euch ein Lied Die DDR-Rockmusik und das DDR-Rundfunklektorat

5. Amiga Ignoranz und Willkür der staatlichen Schallplattenfirma

6. Abmahnungen, Spielverbote, Zwangsauflösungen Der real existierende „Ost-Rock“ in Zeitzeugenberichten (1969- 1989)

7. Der systemkonforme Ost-Rock

Anhang

Band-Lexikon

Texte umstrittener und verbotener Lieder

6 In den Westen übergesiedelte DDR-Musiker

Verzeichnis der Abkürzungen

Verzeichnis der verwendeten Quellen

Über den Autor

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1.

Im Osten nichts Neues Ostalgie und Verklärung nach der Wende

Fast zwanzig Jahre nach der Wende ist vieles wie früher. Der Ost- Rock lässt sich feiern und er wird gefeiert, ob im Fernsehen, im Rundfunk, in der Presse, oder im Internet. Nie gegeben zu haben scheint es die schweren Jahre, als Rockmusik die fünfte Kolonne des Klassenfeindes war. Überall herrscht eitel Sonnenschein, der Planet DDR-Rock leuchtet im Nachglühen wie ein Paradies für Kreative. Je- der Künstler durfte problemlos im Rundfunk oder bei der einzigen staatlichen Plattenfirma Amiga produzieren, Repressionen wegen kri- tischer Texte, wegen langer Haare oder anderer Lappalien sind ver- gessen. Auftritts- und Berufsverbote von Gruppen oder Interpreten hat es nie gegeben und von privilegierten Bands und Stasi-Seilschaften wollen nicht einmal mehr die Medien im Osten etwas wissen. Die Stars, die es aus den DDR-Rundfunkhitparaden und aus den Konzert- sälen zwischen Greifswald und Zwickau bis hierher geschafft haben, sind Teil der Identität der Menschen, nicht Teil der mit dem Mauerfall untergegangenen realsozialistischen Realität. Wertfrei klingen die al- ten Lieder, Evergreens aus einer Zeit, als Fans und Musiker dieselben waren wie heute, nur eben jung.

Die wenigen noch verbliebenen Vertreter des echten, nicht von staats- bürokratischen Interventionen verfälschten DDR-Rock wie die KLOS- TERBRÜDER, MONOKEL, SCIROCCO oder die KLAUS-RENFT-COMBO muss- ten nach der Wende bei Null anfangen und kleine Brötchen backen. Sie tingeln wie eh und je über die Dörfer und treten in kleinen Sälen und Clubs auf. Die zu DDR-Zeiten privilegierten Bands hingegen sind wieder groß im Geschäft, spielen in Stadthallen und auf Open-Air- Bühnen und beschwören die untergegangene Zeit als heile Welt. Nicht

8 weil sie künstlerisch besser sind als die anderen. Nein, sie besitzen wieder und immer noch die bessere Lobby, die größere Gelenkigkeit im Umgang mit den Medien und einen heißen Draht zu den Leuten, die damals schon Posten bei Rundfunk und Platte inne hatten. „Ich bin heute pleite“, gestand Renft-Gründer Klaus Jentzsch der Zeitschrift „Super Illu“, „während geldgeile Duckmäuser wie Puhdys und Karat die Millionen scheffelten.“1

Ein Urteil, das hart klingt. Doch Jentzsch, mit seinen Bands zu DDR- Zeiten „länger verboten als erlaubt“, hat seine Erfahrungen gemacht. So traten die Puhdys vor einigen Jahren im Rahmen einer Ostalgie- Veranstaltung im thüringischen Erfurt auf. Auch die KLAUS-RENFT- COMBO nahm an diesem Open-Air teil. Auf Grund einer verkehrsbe- dingten Verspätung trafen die Musiker um Klaus „Renft“ Jentzsch eine halbe Stunde später zu ihrem Auftritt ein. Wegen der Verzöge- rung gestanden die Organisatoren der Gruppe – unter Protest der zahl- reichen Renft-Fans – nur eine halbe Stunde Spielzeit zu. Alle anderen Bands durften eine Stunde auf der Bühne stehen, als letzte Gruppe des Abends traten dann die PUHDYS auf die Bühne; die dank einer Son- dergenehmigung der Stadt Erfurt auch noch eine halbe Stunde dran- hängen durften. 2

Wie sein ehemaliger Bandchef Klaus Jentzsch nimmt auch Renft- Sänger Thomas Schoppe Bands wie den PUHDYS, mit denen Renft Anfang der 70er Jahre um den DDR-Rockmusik-Thron rangelte, nichts übel. „Sie sind ihren Weg gegangen, wir unseren“, sagt Schop- pe, „das muss jeder mit sich selbst ausmachen.“ Nur dafür, dass die Geschichte heute wieder nur einseitig dargestellt und verklärt wird, hat auch Schoppe kein Verständnis. In einem Interview ließ sich der gebürtige Eislebener tief ins Herz schauen: „Nun – wir als Renft sind halt damals verboten worden, und die Puhdys haben nicht dagegen protestiert, sondern in der DDR groß abgesahnt“, glaubt Schoppe. „Wir haben uns im Westen irgendwie durchgeschlagen, die haben sich hier eingerichtet. Das ist vielleicht nicht gerecht, aber so laufen die Dinge in der Welt. Da kannst du nichts gegen machen. Ich habe im

1 Super Illu, 1995 2 Der Autor des Buches war Zeuge der Ereignisse.

9 Leben genug durch, um zu wissen, dass es keinen Sinn hat, sich dar- über aufzuregen. Aus unserer Sicht war es damals logisch, sich ver- bieten zu lassen, und ich bedauere das auch heute noch nicht. Andere sehen das sicher anders.“3

Ähnlich ungehalten kommentiert die Erfurter Blueslegende Jürgen Kerth die verklärende Geschichtsschreibung etwa im Buch „Bye, Bye Lübben City“, das der DDR-Bluesszene gewidmet ist. „Zu dem Buch wurde ich ja auch persönlich befragt“, erinnert sich Kerth. Schon des- halb finde er sich in einigen Passagen durchaus wieder. Längst aber nicht in allen. „In vielen, speziell auch Erfurt betreffenden Teilen, ist es nicht mein Buch. Da kommen Leute zu Wort, die uns das Leben vor der Wende recht schwer machten. Heute möchten sie die großen För- derer gewesen sein und vergessen schon mal, dass sie uns Auftritte verweigerten, weil man den Erfurtern auch mal Reis-, statt nur Kar- toffeln bieten wollte. Wir waren für diese Leute ‚Kartoffeln‘ ...Derartige Kleinigkeiten hat der eine oder andere Schreiber verges- sen zu erwähnen.“ Dass das nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt so- gar ein Artikel aus Vorwendezeiten, wo man diese Argumente nach einem grandiosen Konzert auf der IGA in der Erfurter Zeitung in Fra- ge stellte. Mutig damals. „Vergessen hab ich das alles nicht, auch wenn man diese Geschichten nicht vor sich her tragen muss.“ Auf die Repressalien und Verbote bezogen, erinnert sich der Musiker heute an „wirklich schwere Zeiten.“ 4

Doch auch in der wiederbelebten DDR-Musikzeitschrift Melodie & Rhythmus (M&R) sind so offene Worte eine Seltenheit. „Von Bands wie Karat oder City ist alles gesagt und geschrieben und der normale Bürger fühlt sich schnell gelangweilt, über Bands zu lesen, welche es doch so schwer in der DDR hatten und die nie ihre wahren Gedanken äußern durften“, kritisiert ein Leser des Blattes. Musikgruppen kamen nur in das Plattenregal, welche einen ‚guten‘ Draht zum Politbüro hatten und politisch sehr korrekt waren. Ganz so unfreiwillig kann das nicht geschehen sein [...].“ Sein Anliegen sei es, dafür zu werben, mehr über die wahren Helden wie die Gruppe SCIROCCO oder CÄSARS

3 Das Interview mit Thomas Schoppe führte Steffen Könau 2005. 4 Privatarchiv Jürgen Kerth.

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