Der Biker Von Bombay
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Kultur Luxus-Hochhaus „Antilia“ von Mukesh Ambani (Modell), Bollywood-Filmfestgala mit Star Deepika Padukone (M.), Bombayer Slum Dharavi: „Ich AUTOREN Der Biker von Bombay Mit seinem Buch „Shantaram“ hat sich der australische Ex-Sträfling Gregory David Roberts neu erfunden, in einer Stadt, die aus Neuanfängen gemacht ist. Eine Motorradfahrt. Von Matthias Matussek uf dem Couchtisch der Suite im rine Drive, die Liebespaare am Strand und der Welt-Bestseller, den er über diese Zeit 27. Stock des Oberoi-Trident-Hotels die verfaulenden Art-déco-Kulissen der geschrieben hat und der jetzt auf Deutsch Ain Bombay liegen drei Schlagringe, Promenade dahinter. Die Stadt schmückt erschienen ist*. ein Schnappmesser und Shakespeares sich in diesen Tagen, sie flicht ihre Glüh- Es ist eine dralle Literatur der Muskeln, Werke. Gregory David Roberts, der Autor, girlanden für den elefantenköpfigen Gott der Liebe, der Auflehnung und Gefahr. greift zum Schnappmesser. Ganesha unten im Straßengewirr von Co- 13 Jahre lang hat er an den tausend Seiten Es ist ein fieses Ding, der kleine Finger laba, Blumen für den schlauen, den ge- geschrieben, die ersten Fassungen wurden sitzt in einer Messingfassung, die verhin- schäftssinnigen, den Erzählergott. von Gefängniswärtern vernichtet, blut- dert, dass einem die Waffe aus der Hand Doch das Leben ist kein Poesiealbum, besudelte Manuskriptseiten, erarbeitet geschlagen werden kann. „Sie nennen es deshalb, Tino, „das Messerblatt immer „unter Tränen und Jubel“, wie er den Le- ,attra-wallah‘“, erklärt er seinen Freun- nach außen, immer nach unten, das ist am sern der englischen Ausgabe anvertraut. den Tino und Judith, „mit dem kannst du wirkungsvollsten im Nahkampf“, und er In seinem Buch erzählt Roberts sich gleichzeitig schlagen und schlitzen.“ puncht in die Nacht, und seine Muskeln selber, wie jeder zweite Romancier, doch Nicht, dass er Shakespeares Poesie nicht erinnern sich an das Todesballett aus einem er hat ein bisschen mehr erlebt als ande- schätzen würde, er kennt jede Zeile, und vergangenen Leben, und er spiegelt sich im re. Was für eine Fülle an Rollen und Neu- viele wären geeignet, die Welt dort unten Panoramafenster der Suite mit ihren gol- anfängen: junger Vater in Melbourne, zu besingen, die Übergrößen und die Elen- denen Buddhas und ist Shantaram. Dichter, Junkie, Bankräuber mit Spiel- den in diesen schrundigen Schluchten, die Shantaram, Mann des Friedens, ausge- zeugpistole, verurteilt zu neunzehn Jah- Fürsten und die Diebe, die Mächtigen und rechnet so hatten sie ihn getauft, die Dörf- die Ohnmächtigen Bombays. ler aus Maharashtra, ihn, den Kämpfer in * Gregory David Roberts: „Shantaram“. Aus dem Eng- Was für eine Bühne da ausgebreitet ist! den Straßen Bombays, das sich heute lischen von Almut Münch und Sibylle Schmidt. Gold- Die Theaterlichter des geschwungenen Ma- Mumbai nennt, und „Shantaram“ heißt mann Verlag, München; 1088 Seiten; 24,95 Euro. 176 der spiegel 38/2008 BRIGITTE HISS / SINOPICTURES BRIGITTE SHRIRAM VERNEKAR / THE-TIMES-OF-INDIA SHRIRAM habe Bombay nicht gewählt, Bombay hat mich gewählt, und ich bin nie wieder davon losgekommen“ ren, ausgebrochen nach drei, im Gebro- Heute ist er respektierter Geschäfts- Für einen, der sich neu erfinden musste, del Bombays Mafia-Soldat, Slumdoktor, mann und Philanthrop, eine Bombay-Kult- konnte es keine bessere Wahl geben als Waffenschieber, Bollywood-Schauspieler, figur. Die Hotelsuite bewohnt er umsonst, Bombay, die Stadt, die aus Neuanfängen später Afghanistan-Kämpfer, rückfälliger drei bis vier Monate im Jahr. Den Rest des gemacht ist. Roberts kam wie die meisten: Junkie, Held. Jahres kann die Zimmerflucht gemietet getrieben von der vagen Hoffnung, die Dann der Bürgerkrieg in Sri Lanka, werden, mitsamt Schlagringen, Schnapp- schlechte Vergangenheit abzustreifen und Kurier des Todes, Sänger einer Rockband, messer und Shakespeare – als „Shanta- eine Zukunft zu gewinnen. neuerlich festgesetzt. In Frankfurt-Preun- ram“-Suite. Gut 130000 Neuankömmlinge strömen gesheim, so erzählt er, sei er inhaftiert Gregory Roberts, das ist der Poet als Bi- Jahr für Jahr auf diese Halbinsel, sie rie- gewesen mit deutschen Terroristen und ker. Er hat einen geradezu albernen Brust- seln ein aus Maharashtra und den Über- Hamas-Kämpfern … aber das ist schon die umfang, ein blonder Zopf schlängelt sich schwemmungsgebieten Bihars, sie kom- Fortsetzung, an der er gerade arbeitet. über die indische Bluse. Der 56-Jährige men aus Nepal und Iran hierher, sie fliegen hält sich in Form. Jeden Morgen 45 Minu- ein aus den Emiraten und Lagos und im- ten lang Gewichte im Gym, dann fünf mer mehr auch aus New York und Paris, Zwei-Minuten-Einheiten am Sandsack. und sie machen aus dieser sumpfigen klei- Wird so jemand auf der Frankfurter Buch- nen Landzunge mit gegenwärtig rund 14 messe als Schriftsteller ernst genommen Millionen Einwohnern eine der am dichtes- werden? ten bevölkerten Städte der Welt. Man sollte es. Manches ist kitschig, vie- Täglich pressen Vorortzüge weitere Mil- les ist genau beobachtet, die miesen Ab- lionen in die Downtown, Bombay ist schie- steigen, die Dorfclans, die Asketen in ih- rer Hochdruck, und jetzt hat die Stadt den rem Haschisch-Wahn, die Sklavenmärkte ehrgeizigsten aller urbanen Pläne: Bis 2020 der Kinder, der verrückte indische Tanz sollen alle Slums verschwinden. Slums sind der Erscheinungen. Platzvergeudung. Bombay muss in die Und das Leben, ist es nicht manchmal Höhe. 2025 wird Bombay, so ist errechnet auch kitschig? Shantaram liebt eine Prin- worden, mit 26,4 Millionen die zweitgröß- zessin, Françoise von Sturdza, die mit te Stadt der Welt, nach Tokio, sein. einem rumänischen Fürsten verheiratet Bombay, ein Name wie dunkler Trom- war. Sie ist Chefin einer Indien-Charity mit melschlag, ein Moloch am Arabischen Sitz in Genf, trägt Rajasthan-Brokat. Sie ist Meer, ein Geruch aus Salz und Curry und die Prinzessin und er der Pirat mit dem Fäulnis, aus Blütenduft und dem Weih- Bierfass-Brustkorb, sie erzieht ihn bisweilen rauch an Tausenden von Altären und DABBOO RATNANI / PICTURE PRESS / PICTURE RATNANI DABBOO mit einer fragend erhobenen Braue, und Schreinen, eine Kakophonie aus Hindi- Schriftsteller Roberts, Partnerin Sturdza er bekocht sie, wenn sie von der Arbeit Schlagern und Hupen, aus ständigem „Geschrieben mit Tränen und Jubel“ kommt, und lässt ihr ein Schaumbad ein. Hämmern und Schreien, ständigem Auf- der spiegel 38/2008 177 Kultur bau und ständigem Verfall, geweiht der Knast saß, 1967 in Berkeley. „14 Tage lang Kleine Jungs, die an Ampeln Bücher Mumbadevi, der dunklen Hindu-Göttin. Pritsche“, ruft er dramatisch aus. verkaufen. Von „Shantaram“ sind rund „Ich habe Bombay nicht gewählt“, sagt Gregory Roberts lächelt höflich, die Da- 60000 Raubkopien im Umlauf. Motorrad- Gregory Roberts, „Bombay hat mich ge- men schauen peinlich berührt zur Seite. fahrer rufen ihm zu. Kurzkritiken in Eng- wählt“ – er weigert sich, die Umbenen- Goldene Regel: Begib dich nie in einen lisch und Marathi folgen. „Wann kommt nung in Mumbai mitzumachen. Er wurde „pissing-contest“ mit einem Mann, der die Fortsetzung?“ „Demnächst.“ Er hustet. zum Grenzgänger zwischen Ost und West, aussieht wie Schwarzenegger und dessen Bombay hängt wie ein grauer Lappen im zum weißen Inder, und dass er der Mafia Roman so beginnt: „Viel Zeit und viel Welt Mund, im Stadtverkehr nimmt man das das Geschäft mit gefälschten Pässen re- brauchte ich, um zu lernen, was ich weiß Vergiftungsäquivalent von zwei Schachteln organisierte, ist eine hübsche Pointe für über die Liebe, über das Schicksal und Zigaretten täglich zu sich. eine globalisierte Welt der Migrationen über die Entscheidungen, die wir treffen, Die Madonna-Tour durchs mythische und der kulturellen Mimikry. doch das Wesentliche verstand ich in ei- Shantaram-Gelände also, durchs alte, in „Shantaram“, das ist ein Leben in Cine- nem einzigen Augenblick, als ich an eine die Breite wuchernde Bombay zwischen mascope, diese Qualität hat Hollywood- Wand gekettet war und gefoltert wurde.“ den neuen Hochhaus-Silhouetten mit ihren Star Johnny Depp gespürt, und er hat Es gibt eine ganze Reihe guter Bombay- Shopping-Malls und Rolls-Royce-Show- sich die Filmrechte gesichert, und Russell Romane und überzeugender Helden, Vi- rooms. Roberts hat einen 100-Rupien- Crowe ärgerte sich, denn er war selber kram Chandras Inspektor Sartaj Singh etwa Schein unter den Ring geschoben, das ist hinter ihnen her und der Chance, in diese oder den wendigen Saladin Chamcha aus der inoffizielle Tarif für das Fahren ohne Rolle zu steigen: Shantaram, der Aben- Salman Rushdies „Satanischen Versen“, Helm. teurer des neuen Jahrtausends, der Mann, der sich immer neu erfindet. Seit „Shantaram“ ist Bombay eine Top-Adresse für die One- World-Romantik der Popkultur, so hip, dass Madonna Anfang des Jahres einflog, um sich von Roberts durch Shantarams Reich führen zu lassen, das schließlich nicht nur aus Elend und Gefahr und mächtigen Chillums mit Haschisch besteht, sondern auch aus einer Philosophie esoteri- scher Wissenschafts- und Ganz- heitslehren. Ja, eigentlich ist „Shantaram“ überhaupt kein Mafia-Buch, sondern millen- nische Erbauungsliteratur, der Durchbruch zum besseren Men- schen, ganz von heute. An diesem Abend sind Ro- berts und seine Prinzessin ein- geladen ins Restaurant des Taj Hotels am Gateway of India. Michael Bedner, Chef eines internationalen Innenarchitek- turbüros, ist neugierig auf ihn, seine Frau hat ihm von dem / DPA PICTURE-ALLIANCE Buch vorgeschwärmt und vom Bombay-Besucherin Madonna (mit Ehemann Guy Ritchie, l.): Seit „Shantaram“ gilt Bombay als