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Kultur

Luxus-Hochhaus „Antilia“ von Mukesh Ambani (Modell), -Filmfestgala mit Star Deepika Padukone (M.), Bombayer Slum Dharavi: „Ich

AUTOREN Der Biker von Bombay Mit seinem Buch „Shantaram“ hat sich der australische Ex-Sträfling Gregory David Roberts neu erfunden, in einer Stadt, die aus Neuanfängen gemacht ist. Eine Motorradfahrt. Von Matthias Matussek

uf dem Couchtisch der Suite im rine Drive, die Liebespaare am Strand und der Welt-Bestseller, den er über diese Zeit 27. Stock des Oberoi-Trident-Hotels die verfaulenden Art-déco-Kulissen der geschrieben hat und der jetzt auf Deutsch Ain Bombay liegen drei Schlagringe, Promenade dahinter. Die Stadt schmückt erschienen ist*. ein Schnappmesser und Shakespeares sich in diesen Tagen, sie flicht ihre Glüh- Es ist eine dralle Literatur der Muskeln, Werke. Gregory David Roberts, der Autor, girlanden für den elefantenköpfigen Gott der Liebe, der Auflehnung und Gefahr. greift zum Schnappmesser. Ganesha unten im Straßengewirr von Co- 13 Jahre lang hat er an den tausend Seiten Es ist ein fieses Ding, der kleine Finger laba, Blumen für den schlauen, den ge- geschrieben, die ersten Fassungen wurden sitzt in einer Messingfassung, die verhin- schäftssinnigen, den Erzählergott. von Gefängniswärtern vernichtet, blut- dert, dass einem die Waffe aus der Hand Doch das Leben ist kein Poesiealbum, besudelte Manuskriptseiten, erarbeitet geschlagen werden kann. „Sie nennen es deshalb, Tino, „das Messerblatt immer „unter Tränen und Jubel“, wie er den Le- ,attra-wallah‘“, erklärt er seinen Freun- nach außen, immer nach unten, das ist am sern der englischen Ausgabe anvertraut. den Tino und Judith, „mit dem kannst du wirkungsvollsten im Nahkampf“, und er In seinem Buch erzählt Roberts sich gleichzeitig schlagen und schlitzen.“ puncht in die Nacht, und seine Muskeln selber, wie jeder zweite Romancier, doch Nicht, dass er Shakespeares Poesie nicht erinnern sich an das Todesballett aus einem er hat ein bisschen mehr erlebt als ande- schätzen würde, er kennt jede Zeile, und vergangenen Leben, und er spiegelt sich im re. Was für eine Fülle an Rollen und Neu- viele wären geeignet, die Welt dort unten Panoramafenster der Suite mit ihren gol- anfängen: junger Vater in Melbourne, zu besingen, die Übergrößen und die Elen- denen Buddhas und ist Shantaram. Dichter, Junkie, Bankräuber mit Spiel- den in diesen schrundigen Schluchten, die Shantaram, Mann des Friedens, ausge- zeugpistole, verurteilt zu neunzehn Jah- Fürsten und die Diebe, die Mächtigen und rechnet so hatten sie ihn getauft, die Dörf- die Ohnmächtigen Bombays. ler aus Maharashtra, ihn, den Kämpfer in * Gregory David Roberts: „Shantaram“. Aus dem Eng- Was für eine Bühne da ausgebreitet ist! den Straßen Bombays, das sich heute lischen von Almut Münch und Sibylle Schmidt. Gold- Die Theaterlichter des geschwungenen Ma- nennt, und „Shantaram“ heißt mann Verlag, München; 1088 Seiten; 24,95 Euro.

176 der spiegel 38/2008 BRIGITTE HISS / SINOPICTURES BRIGITTE SHRIRAM VERNEKAR / THE-TIMES-OF- SHRIRAM habe Bombay nicht gewählt, Bombay hat mich gewählt, und ich bin nie wieder davon losgekommen“

ren, ausgebrochen nach drei, im Gebro- Heute ist er respektierter Geschäfts- Für einen, der sich neu erfinden musste, del Bombays Mafia-Soldat, Slumdoktor, mann und Philanthrop, eine Bombay-Kult- konnte es keine bessere Wahl geben als Waffenschieber, Bollywood-Schauspieler, figur. Die Hotelsuite bewohnt er umsonst, Bombay, die Stadt, die aus Neuanfängen später -Kämpfer, rückfälliger drei bis vier Monate im Jahr. Den Rest des gemacht ist. Roberts kam wie die meisten: Junkie, Held. Jahres kann die Zimmerflucht gemietet getrieben von der vagen Hoffnung, die Dann der Bürgerkrieg in , werden, mitsamt Schlagringen, Schnapp- schlechte Vergangenheit abzustreifen und Kurier des Todes, Sänger einer Rockband, messer und Shakespeare – als „Shanta- eine Zukunft zu gewinnen. neuerlich festgesetzt. In Frankfurt-Preun- ram“-Suite. Gut 130000 Neuankömmlinge strömen gesheim, so erzählt er, sei er inhaftiert Gregory Roberts, das ist der Poet als Bi- Jahr für Jahr auf diese Halbinsel, sie rie- gewesen mit deutschen Terroristen und ker. Er hat einen geradezu albernen Brust- seln ein aus Maharashtra und den Über- Hamas-Kämpfern … aber das ist schon die umfang, ein blonder Zopf schlängelt sich schwemmungsgebieten Bihars, sie kom- Fortsetzung, an der er gerade arbeitet. über die indische Bluse. Der 56-Jährige men aus Nepal und Iran hierher, sie fliegen hält sich in Form. Jeden Morgen 45 Minu- ein aus den Emiraten und Lagos und im- ten lang Gewichte im Gym, dann fünf mer mehr auch aus New York und Paris, Zwei-Minuten-Einheiten am Sandsack. und sie machen aus dieser sumpfigen klei- Wird so jemand auf der Frankfurter Buch- nen Landzunge mit gegenwärtig rund 14 messe als Schriftsteller ernst genommen Millionen Einwohnern eine der am dichtes- werden? ten bevölkerten Städte der Welt. Man sollte es. Manches ist kitschig, vie- Täglich pressen Vorortzüge weitere Mil- les ist genau beobachtet, die miesen Ab- lionen in die Downtown, Bombay ist schie- steigen, die Dorfclans, die Asketen in ih- rer Hochdruck, und jetzt hat die Stadt den rem Haschisch-Wahn, die Sklavenmärkte ehrgeizigsten aller urbanen Pläne: Bis 2020 der Kinder, der verrückte indische Tanz sollen alle Slums verschwinden. Slums sind der Erscheinungen. Platzvergeudung. Bombay muss in die Und das Leben, ist es nicht manchmal Höhe. 2025 wird Bombay, so ist errechnet auch kitschig? Shantaram liebt eine Prin- worden, mit 26,4 Millionen die zweitgröß- zessin, Françoise von Sturdza, die mit te Stadt der Welt, nach Tokio, sein. einem rumänischen Fürsten verheiratet Bombay, ein Name wie dunkler Trom- war. Sie ist Chefin einer Indien-Charity mit melschlag, ein Moloch am Arabischen Sitz in Genf, trägt Rajasthan-Brokat. Sie ist Meer, ein Geruch aus Salz und Curry und die Prinzessin und er der Pirat mit dem Fäulnis, aus Blütenduft und dem Weih- Bierfass-Brustkorb, sie erzieht ihn bisweilen rauch an Tausenden von Altären und

DABBOO RATNANI / PICTURE PRESS / PICTURE RATNANI DABBOO mit einer fragend erhobenen Braue, und Schreinen, eine Kakophonie aus Hindi- Schriftsteller Roberts, Partnerin Sturdza er bekocht sie, wenn sie von der Arbeit Schlagern und Hupen, aus ständigem „Geschrieben mit Tränen und Jubel“ kommt, und lässt ihr ein Schaumbad ein. Hämmern und Schreien, ständigem Auf-

der spiegel 38/2008 177 Kultur bau und ständigem Verfall, geweiht der Knast saß, 1967 in Berkeley. „14 Tage lang Kleine Jungs, die an Ampeln Bücher Mumbadevi, der dunklen Hindu-Göttin. Pritsche“, ruft er dramatisch aus. verkaufen. Von „Shantaram“ sind rund „Ich habe Bombay nicht gewählt“, sagt Gregory Roberts lächelt höflich, die Da- 60000 Raubkopien im Umlauf. Motorrad- Gregory Roberts, „Bombay hat mich ge- men schauen peinlich berührt zur Seite. fahrer rufen ihm zu. Kurzkritiken in Eng- wählt“ – er weigert sich, die Umbenen- Goldene Regel: Begib dich nie in einen lisch und Marathi folgen. „Wann kommt nung in Mumbai mitzumachen. Er wurde „pissing-contest“ mit einem Mann, der die Fortsetzung?“ „Demnächst.“ Er hustet. zum Grenzgänger zwischen Ost und West, aussieht wie Schwarzenegger und dessen Bombay hängt wie ein grauer Lappen im zum weißen Inder, und dass er der Mafia Roman so beginnt: „Viel Zeit und viel Welt Mund, im Stadtverkehr nimmt man das das Geschäft mit gefälschten Pässen re- brauchte ich, um zu lernen, was ich weiß Vergiftungsäquivalent von zwei Schachteln organisierte, ist eine hübsche Pointe für über die Liebe, über das Schicksal und Zigaretten täglich zu sich. eine globalisierte Welt der Migrationen über die Entscheidungen, die wir treffen, Die Madonna-Tour durchs mythische und der kulturellen Mimikry. doch das Wesentliche verstand ich in ei- Shantaram-Gelände also, durchs alte, in „Shantaram“, das ist ein Leben in Cine- nem einzigen Augenblick, als ich an eine die Breite wuchernde Bombay zwischen mascope, diese Qualität hat Hollywood- Wand gekettet war und gefoltert wurde.“ den neuen Hochhaus-Silhouetten mit ihren Star gespürt, und er hat Es gibt eine ganze Reihe guter Bombay- Shopping-Malls und Rolls-Royce-Show- sich die Filmrechte gesichert, und Russell Romane und überzeugender Helden, Vi- rooms. Roberts hat einen 100-Rupien- Crowe ärgerte sich, denn er war selber kram Chandras Inspektor Sartaj Singh etwa Schein unter den Ring geschoben, das ist hinter ihnen her und der Chance, in diese oder den wendigen Saladin Chamcha aus der inoffizielle Tarif für das Fahren ohne Rolle zu steigen: Shantaram, der Aben- Salman Rushdies „Satanischen Versen“, Helm. teurer des neuen Jahrtausends, der Mann, der sich immer neu erfindet. Seit „Shantaram“ ist Bombay eine Top-Adresse für die One- World-Romantik der Popkultur, so hip, dass Madonna Anfang des Jahres einflog, um sich von Roberts durch Shantarams Reich führen zu lassen, das schließlich nicht nur aus Elend und Gefahr und mächtigen Chillums mit Haschisch besteht, sondern auch aus einer Philosophie esoteri- scher Wissenschafts- und Ganz- heitslehren. Ja, eigentlich ist „Shantaram“ überhaupt kein Mafia-Buch, sondern millen- nische Erbauungsliteratur, der Durchbruch zum besseren Men- schen, ganz von heute. An diesem Abend sind Ro- berts und seine Prinzessin ein- geladen ins Restaurant des Taj Hotels am Gateway of India. Michael Bedner, Chef eines internationalen Innenarchitek- turbüros, ist neugierig auf ihn,

seine Frau hat ihm von dem / DPA PICTURE-ALLIANCE Buch vorgeschwärmt und vom Bombay-Besucherin Madonna (mit Ehemann Guy Ritchie, l.): Seit „Shantaram“ gilt Bombay als hip Autor, von Folter und von Ro- senblättern, einer unwiderstehlichen Mi- doch es ist die eine Sache, von ihnen zu le- Die Tour muss beginnen vor dem Biker- schung. sen, und eine ganz andere, mit einem von Laden Happy Cycle in Colaba, genauer: vor Bedner ist gut gelaunt. Er wird Mukesh ihnen auf einer Royal Enfield Bullet 500 einer grünen Enfield, einem wunderhüb- Ambani helfen, sein neues Domizil zu ge- durch den Straßenwirrwarr zu düsen wie schen Ding mit zwei Auspufftöpfen und Ex- stalten, er muss später noch bei ihm vorbei. am nächsten Morgen mit Gregory Roberts tra-Bling. Sie sollte eigentlich an diesem Tag Muskesh Ambani, mit 43 Milliarden Dollar alias Shantaram, dem Biker mit dem Zopf. von Johnny Depp über den Marine Drive der fünftreichste Mann der Welt, hat sich Immer wieder fliegen ihm Grüße zu, gefahren werden, einmal den ganzen Bogen einen Turm aus 27 Stockwerken geneh- man kennt ihn hier in Colaba, Blicke von und zurück, aber Johnny musste wieder migt, mit Helikopter-Landeplatz, Kino und barfüßigen Frauen in Saris, die Wasserka- einmal absagen. „Bring sie zurück in die Gärten für die engste Familie und Quar- nister auf dem Kopf balancieren, und von Garage“, sagt Roberts zu Abdul, der für ihn tieren für rund 600 Angestellte. Angestellten, die in ihre Handys brüllen. diesen und zwei andere Läden schmeißt, Phallischer Kapitalismus, der Reichtum Verkommene Figuren in Lumpen vor die Erlöse wandern in die Shantaram-Stif- verschwindet in die Höhe, das Kasten- einer Diätklinik, die „natürliche Gewichts- tung zur Bekämpfung der Tuberkulose. wesen im neuen Bombay ist religionsneu- reduzierung“ garantiert, Gestalten, die Abdul wiegt bedauernd mit dem Kopf. tral, es ist strikt ökonomisch, so wie überall wieder verschwinden hinter einem Bus, Er lässt Milchtee kommen, der nach Nel- auf der Welt. Nach ein wenig Globalisie- auf dem die New Yorker Frauenriege aus ken und Vanille schmeckt, erzählt, dass am rungsgeplauder über Lamm-Curry – die „Sex and the City“ eine weitere Staffel Abend wieder in der Nähe gedreht wird, Chinesen liegen vorn, die Inder schließen ankündigt, tatsächlich, die Welt ist flach, Bollywood ist so viel schneller als Holly- auf – gesteht Bedner, dass auch er mal im überall läuft der gleiche Käse. wood, ständig spielt und singt sich die

178 der spiegel 38/2008 Stadt etwas vor mit ihren Hindi-Filmen, çoise möchte nichts mit Gerard zu tun genommen und dort gelassen, und auf dem während die „Shantaram“-Verfilmung auf haben, das wird schnell klar, doch Ro- Weg zurück warst du bereit zu allem, auch 2009 verschoben wurde. berts fachsimpelt gern. Über Messerwun- zu sterben.“ Gerard nickt, das macht Sinn, Nasir kommt hinzu, weißes Hemd, dunk- den und F. Scott Fitzgerald, und biswei- spirituelle Reinigung – Wettkämpfe wer- le Sonnenbrille, Roberts rechte Hand. len ist nicht klar, ob die beiden über die den im Kopf entschieden. Früher Haschischdealer und Messerstecher Literatur oder das Kickboxen reden. Ein Auf dem Weg zum Slum am Fischmarkt und Shantarams Gegner. Jetzt ist Nasir klassischer Dialog. führt Roberts ihm das kleinste Fitnessstudio fromm und hat drei Töchter. Er weiß im- „Du musst die Regeln erst mal kennen, der Welt vor. Eine einzige Kraftmaschine mer noch, wo man die fiesen Messer be- dann kannst du sie brechen.“ mit verschiedenen Funktionen, die Flügel sorgen kann, doch heute ist Nasir ein „Rushdie kennt die Regeln genau, und fürs Armpressen enden Millimeter vor der Mann des Friedens und der Aussöhnung. er schreibt gut.“ Wand. Kenner unter sich, auch Madonna Mit einer Ausnahme: Pakistan. In der „Fitzgerald war zu betrunken, um sie zu war beeindruckt, die Workout-Internatio- Pakistan-Frage muss endlich etwas passie- beherrschen.“ nale weiß: 80 Kilo auf der Pressbank sind ren, sagt Nasir. Sie geben keine Ruhe in Sie sprechen über das Training mit Ge- überall 80 Kilo, ob im Zuchthaus, im Slum Kaschmir. Sein Vorschlag: Alle Inder soll- wichten und narrative Techniken, und oder im Reebok-Studio auf der Upper West ten sich an der Grenze aufstellen und dann Roberts stampft Hemingway in Grund und Side. Auch die Arbeit am Körper ist Tem- nach drüben pissen und alle wegschwem- Boden. „Gegen den trete ich jederzeit an“, pelarbeit, ist Arbeit am Werk. men. „Pakistanische Muslime schauen auf sagt er. Wer der Champ ist? „Lawrence Mit Madonna im Frühjahr ging es dann uns indische Muslime herab, als wären wir Durrell mit dem ,Alexandria-Quartett‘, weiter zum Slum, und 150 Fotografen haben nur halbe Menschen.“ geguckt, wie Madonna auf den Françoise will nun weiter ins Café Leo- Slum geguckt hat, auf den Ba- pold, mal das Gesicht in Ordnung bringen, basaheb Ambedkar Nagar im Ruß klebt überall. Im Leopold beginnt Schatten des World Trade Centre jeder vernünftige Bombay-Trip, beginnt Mumbai. Jetzt ist weniger los, auch „Shantaram“. und der Slum ist sowieso seit Jah- Das Restaurant, britisch-kolonial, ist ren keiner mehr. Keine Ratten- ohne Türen. Propeller an den Decken, schwärme mehr, keine Überflu- die Crew serviert Globetrottern und Ge- tungen und Feuersbrünste. schäftsleuten ein gutes Tandoori Chicken Die Karton- und Plastikpla- oder Mutton Tikka. Hippies mit Latschen nen sind geziegelten Behausun- und Perlen im Haar. Einer von ihnen steht gen gewichen, überdachte Räu- vor der Toilettentür und putzt sich die Zäh- me, manche zweistöckig, Klei- ne am Waschbecken. ne-Leute-Gegenden, die man in „Würde ich nicht machen“, sagt Roberts. Brasilien Favelas nennt. „Ich reise schon seit drei Monaten, ohne Kisan, der Bidi-Verkäufer, lädt krank zu werden“, sagt der Hippie lässig. seinen alten Freund Shantaram „Der hat ein paar schlimme Tage vor sich“, auf sein Dach ein. Dort oben weht sagt Roberts später am Tisch. Die Truppe tatsächlich eine leichte Brise, zwi- ist ein wenig melancholisch. Die Mafia al- schen den freischwingenden ille- ten Stils gibt es nicht mehr. „Sie hatte so galen Stromleitungen kann man was wie Ehre“, meinte Roberts. Nasir einen trüben grauen Streifen nickt. Heute geht es nicht mehr um Ha- Meer erkennen. Die Tochter hat schisch, sondern um religiösen Terroris- Tee gebracht, die Männer spre- mus, der alles vergiftet, um Korruption, chen über die Hochzeiten und und um Immobilien, das vor allem. Todesfälle in der Bekanntschaft, Heute warten auf Roberts im Leopold und Nasir erklärt Gerard seine keine deutschen Prostituierten und fran- Philosophie: „Freunde können

zösischen Lebemänner und afghanischen AFP dich verraten, aber dein Messer, Mafiosi mehr, sondern Autogrammjäger: Ganesha-Prozession in Bombay: Gott der Anfänge das bleibt immer bei dir.“ Fran- Schüchtern tritt eine Lady aus Melbourne çoise verdreht die Augen. an den Tisch und bittet, ihr „Shantaram“- ganz klar.“ Gerard nickt. „Shakespeare ist Dann kommt die Sprache auf die Typen Exemplar zu signieren. Es sind vorwiegend auch nicht schlecht“, meint er. In seiner des Baukonsortiums, die in letzter Zeit hier Ladys, die Roberts um Autogramme bitten. Geschichte kommt King Lear vor. Und ein auftauchen. Sonnenbrillen, Geldkoffer und Doch da ist noch eine zweite Gruppe, die Rad aus Flammen. schweres Geschütz, um die Koffer zu si- Shantaram verehrt: Kickboxer. Sie klingt so wunderbar, diese Fach- chern. Die Siedlung soll verschwinden, soll Gerard streckt Roberts die Pranke ent- simpelei, bunt wie Kühlergrill-Malerei, Hochhäusern weichen, und die Männer gegen. Er hat eine seiner Lesungen in Au- aber auch nicht weniger kenntnisreich als bieten Geld und Gratiswohnung. stralien erlebt, mit Freunden und ein paar die Gruppe 47, nur dass es hier eher um Der große Bombay-Umbau-Plan läuft. tausend anderen Leuten. Es war wie ein die Kriegserlebnisse der Komfortgesell- Einige haben ihre Buden bereits verkauft, Erweckungsgottesdienst. Auch Gerard hat schaft geht, um Drogen, Dealer und ver- der Preis für Kisans Hütte liegt mittlerwei- einen Roman geschrieben, und auch der ratene Liebe. le bei rund 30000 Dollar, aber er wartet dreht sich um Liebe und Erlösung. Es ist Weiter zur Haji-Ali-Moschee auf dem noch ab. Der Preis wird steigen, sie brau- die männliche Antwort auf weibliche Be- Pier, ein wichtiger „Shantaram“-Schau- chen sein Grundstück, seines und die übri- kenntnisliteratur, Karen Duves „Taxi“ auf platz. Die Moschee, die draußen im Meer gen, für ihre ehrgeizigen Stadtentwick- Testosteron, der Plot: Ein Rausschmeißer schimmert, ist in diesen Stunden schwer lungspläne. „In gut zehn Jahren sollen die verliebt sich in eine Stripperin. Ob Roberts erreichbar, Wellen brechen über den Pier Slums beseitigt sein?“ Er schüttelt den eine gute Agentin empfehlen könne? herein. Vor jedem größeren Mafia-Gefecht Kopf. „Das glaubt doch keiner.“ Zum ersten Mal sind Risse spürbar zwi- sind sie hier rausgefahren. „Auf dem Weg Roberts wird respektiert, er wird geliebt, schen Roberts und seiner Prinzessin. Fran- nach draußen hast du deine Sünden mit- und es hat eine große Poesie, zu erleben,

der spiegel 38/2008 179 Kultur wie er eingewoben ist in diese Siedlung, in dieses Leben. Er steckt dem Bügler über seine Theke Malaria-Tabletten zu, er schä- MUSIKINDUSTRIE kert mit der Mutter seines Patenkindes, schaut in der Casino-Höhle bei den Car- rom-Spielern vorbei, spricht hier ein paar Große Namen, großes Geld Worte, gibt dort einen Klaps, er hat sich in diesen Ort, in diese Familien eingeschrie- ben, hier lebt er als Shantaram. Immer mehr und immer berühmtere Künstler: Mit ihrer aggressi- Schließlich setzt sich der Shantaram- ven Einkaufspolitik und einem neuen Managementkonzept Konvoi wieder in Bewegung, hinaus zur krempelt die Plattenfirma Universal derzeit den Klassikmarkt um. Afghanischen Kirche, in der sich die Mafia- Bosse früher zu ihren Konferenzen trafen, Die Berliner, längst Marktführer, wollen Monopolist werden. und danach in den Park Colaba Woods, wo Roberts auf den Bollywood-Star Rahul s waren vier schöne und harte Jahre, Schon jetzt laufen die Geschäfte wie ge- Bose trifft, einen alten Freund und See- in denen aus einer nahezu unbe- schmiert. Von den im Moment 20 best- lenverwandten. Ekannten Violinistin aus Deutschland verkauften Klassikalben stammen 17, dar- An diesem Nachmittag dreht Bose für ein international anerkanntes Geigenwun- unter die ersten 14, von Universal. die britische Hilfsorganisation Oxfam ei- der wurde – von Publikum und Kritik hoch Für Künstler ist die Kooperation mit dem nen Clip mit Kindern, auf einem Cricket- geschätzt. Eine Anne-Sophie Mutter des Marktführer, der das Marketing für seine Feld. Mit Scarlett Johansson und anderen 21. Jahrhunderts. Stars perfekt beherrscht, natürlich ver- ist er ehrenamtlicher „Botschafter“ der Or- Das winzige niederländische CD-La- lockend. Neuzugang Julia Fischer erhofft ganisation. Er hilft, wie Roberts, wie die bel Pentatone hatte viel Geld inves- sich beim Universal-Label Decca eine Zu- Prinzessin, das Helfen ist überhaupt die tiert, um aus Julia Fischer, 25, einen Plat- sammenarbeit mit renommierten „Orches- Sache im neuen Millennium, es macht tenstar zu machen. Acht CDs hat Fischer tern und Dirigenten“ (siehe Interview Sei- glücklicher als jede Droge. in diesen Jahren aufgenommen, einige te 182). Sein Geld verdient sich Bose als Action- wurden mit renommierten Preisen be- Bei Pentatone war Fischer die einzige, Figur. Abends muss er auf die Gala seines dacht. gehätschelte Geigerin. Bei der Universal neuen Films auf den roten Teppich. trifft sie nun auf harte „Hast du Lust mitzukommen?“ Konkurrenz. Da geigt Roberts schüttelt den Kopf. die Elite: Anne-Sophie „Mallika Sherawat ist auch da.“ Roberts Mutter, Daniel Hope, lacht. Sherawat ist Bollywoods Antwort Vadim Repin, Hilary auf Angelina Jolie, nur vollbusiger. Hahn, Janine Jansen, „Ich rette die Nation in dem Film“, sagt Gidon Kremer – fast ein Bose. eigenes betriebsinter- „Wird Zeit, dass es einer tut“, sagt Ro- nes Streichorchester mit berts und lacht. den besten Solisten der Sie reden über das heimlich aufgenom- Welt. mene Video, das in diesen Tagen ständig Aber auch an ande- ausgestrahlt wird, in dem einem Politiker ren Instrumentalisten al- ein geradezu albern hoher Stapel von Ru- ler Art und vor allem an pien zugeschoben wird. „Wir hätten keinen Pianisten von Weltruf Hunger, keine Kindermortalität, keinen hat die Universal kei- Analphabetismus, wenn die Korruption nen Mangel: Klavier- nicht so verbreitet wäre“, sagt Bose. Altmeister wie Maurizio Was er an Roberts schätzt? „Er hält, was Pollini, Alfred Brendel

er verspricht“, sagt Bose. Nicht schlecht BILD / ULLSTEIN ASLU und Krystian Zimerman für einen ehemaligen Junkie, der ein neu- Jugendtreffpunkt „Yellow Lounge“: Klassik im Club stehen auf der Liste ne- er Mensch geworden ist. ben Jungstars wie den Aber auch der ist erledigt, abends, zu- Doch nun, in dem Moment, in dem die Chinesen Lang Lang und Yundi Li. Die rück im Hotel. Roberts fiebert unter einer Mühsal sich auszuzahlen beginnt, hat Fi- Französin Hélène Grimaud ist ebenso Malaria-Attacke. Françoise ist besorgt. Ro- scher den Niederländern die Treue gekün- bei Universal unter Vertrag wie auch neu- berts lässt sich im Sofa am Panoramafens- digt. Sie wechselt vom Mini-Label zur tra- erdings ihr Landsmann Pierre-Laurent ter nieder, neben den Schlagringen, den ditionsreichen Decca, einer Firma, die – Aimard. Messern, den Shakespeare-Bänden, und er ebenso wie die Deutsche Grammophon Bei Sängern sieht es beinahe noch bes- schaut hinunter auf den Marine Drive mit und Philips – unter dem Dach von Uni- ser aus. Die erfolgreichste Sopranistin der seinem Gewimmel. Dann lächelt er. versal Music agiert, dem Marktführer für vergangenen Jahre, die Russin Anna Ne- Das Leben ist manchmal doch ein Poe- klassische Musik. trebko, nimmt für Universal auf, genauso siealbum: Die hohen Ganesha-Figuren Zielstrebig hat das Unternehmen mit wie Erwin Schrott, der Vater ihres neu- werden ins Meer getragen in fröhlichen Sitz in Berlin seine beherrschende Stel- geborenen Sohnes. Und Medien-Tenor Prozessionen zwischen Blumen und Weih- lung ausgebaut. Die prominentesten Rolando Villazón ist natürlich auch dabei rauch. Ganesha, der Gott der Künstler und Künstler aller Sparten musizieren für Uni- sowie die lettische Mezzosopranistin Elina der Kaufleute. Roberts mag ihn. Für jede versal. Die Firma ist – bei einem ins- Garanc˘a oder Deutschlands derzeit bester neue Unternehmung wird Ganesha um gesamt schrumpfenden Klassikmarkt – Bass René Pape. Hilfe angefleht. dabei, ihren Anteil von rund 30 Prozent bis Viele dieser Künstler waren vorher bei „Er ist ein optimistischer Gott“, sagt Ro- zur Monopolstellung auszubauen. Kon- anderen Labels und sind übergelaufen. berts. „Er ist der Gott Bombays.“ Und kurrenz? Bald wohl kaum noch der Rede Die Massenflucht zur mächtigen Universal ganz sicher der Shantarams. wert. hat manche ohnehin schon angeschlagene

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