*B_Umschlag 1-13_Magazin Umschlag 18.09.13 09:47 Seite 1

BIBLIOTHEKS M AGAZIN

MITTEILUNGEN AUS DEN STAATSBIBLIOTHEKEN 3 2013 IN UND MÜNCHEN

Haus Unter den Linden 8 10117 Berlin (Mitte) Eingang: Dorotheenstraße 27

Haus Potsdamer Straße 33 10785 Berlin (Tiergarten)

Kinder- und Jugendbuchabteilung / Zeitungsabteilung im Westhafen Westhafenstraße 1 13353 Berlin (Wedding)

www.staatsbibliothek-berlin.de

Ludwigstraße 16 80539 München

www.bsb-muenchen.de

In dieser Ausgabe Dritter e-day an der Förderer und Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin Bayerischen Staatsbibliothek Zuwachs für die Berliner Weberiana-Sammlung Internationale LIBER-Konferenz Historische und moderne türkische Bestände in Berlin Dem Andenken Dietrich „Bayern in historischen Karten“ Bonhoeffers 19 Kilo Buch aus Pergament und Gold Meisterwerke aus dem Serail Karl Friedrich Neumann – Sinologe, Armenienforscher, Besitzstempel der Paul Heyse adelt Gustav von Universalhistoriker Aschenbach Staatsbibliothek zu Berlin Stabi + ich = stabiL Schöne Menschen und schöne Bäderkunde, Schlachtenkupfer, Blumen Zu Ehren Richard Wagners buginesische Handschriften

„Silentium, oder die Angst des Die Berliner tschagataische Musikbibliothek und ISSN 1861-8375 Beamten …“ Handschriftensammlung Musikwissenschaft im Dialog *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 1

BIbliotheks m agazin

INHALT

Seite 3 „MACHTE FURORE UND GING EXELLENT“ Zur Erwerbung des Autographs von Carl Maria von Webers zweitem Klavierkonzert für die Berliner Weberiana-Sammlung Frank Ziegler

Seite 6 HISTORISCHES GOOGLE-MAPS Die App „Bayern in historischen Karten“ präsentiert bayerische Geschichte im mobilen Internet Klaus Ceynowa

Seite 11 MEISTERWERKE AUS DEM SERAIL Die Diez’schen Klebealben aus der Sammlung orientalischer Handschriften der Staatsbibliothek zu Berlin Christoph Rauch / Julia Gonnella

Seite 18 PAUL HEYSE ADELT GUSTAV VON ASCHENBACH Mit einer unbekannten Widmung Thomas Manns in einem Prachtband der Bayerischen Staatsbibliothek Dirk Heißerer

Seite 23 SCHÖNE MENSCHEN UND SCHÖNE BLUMEN Schöne Bücher restauriert mithilfe des DuMont Kalenderverlages Katrin Böhme

Seite 28 „SILENTIUM, ODER DIE ANGST DES BEAMTEN …“ 5. Werkstattkonzert: Eine Musiklesesaalerkundung Reiner Nägele

Seite 32 GEBRAUCHSANWEISUNGEN FÜR DEN DIGITALEN DSCHUNGEL Der dritte e-day der Staatsbibliothek zu Berlin Belinda Jopp

Seite 36 BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK GASTGEBER DER INTERNATIONALEN LIBER-KONFERENZ 2013 Martin Hermann

Seite 41 „DURCH DANK UND DURCH REUE“ Die Staatsbibliothek zu Berlin widmet ihren Ausstellungsraum dem Andenken Dietrich Bonhoeffers Mareike Rake *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 2

BIbliotheks m agazin

Seite 45 KARL FRIEDRICH NEUMANN ALS SINOLOGE, ARMENIENFORSCHER UND UNIVERSALHISTORIKER Ingrid Rückert

Seite 49 STABI + ICH = STABIL Eva Menasse

Seite 52 VIELFÄLTIGER VERANSTALTUNGSREIGEN ZU EHREN RICHARD WAGNERS Bayerische Staatsbibliothek feierte mit Ausstellung, Symposiumseröffnung und Buchführung Reiner Nägele

Seite 55 DIE BERLINER TSCHAGATAISCHE HANDSCHRIFTENSAMMLUNG Aysima Mirsultan

Seite 59 15 JAHRE FÖRDERER UND FREUNDE DER BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK Andrea Pia Kölbl

Seite 63 TURCICA Die historischen und modernen türkischen Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin Meliné Pehlivanian / Thoralf Hanstein

Seite 68 19 KILO BUCH AUS PERGAMENT UND GOLD … Klaus Kempf

Seite 69 DIE BESITZSTEMPEL DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN UND IHRER VORGÄNGERINNEN Martin Hollender

Seite 73 BÄDERKUNDE, SCHLACHTENKUPFER UND BUGINESISCHE HANDSCHRIFTEN Die Sammlungsgalerie der Staatsbibliothek zu Berlin Jochen Haug

Seite 76 MUSIKBIBLIOTHEK UND MUSIKWISSENSCHAFT IM DIALOG Rundgespräch zum „Fachinformationsdienst Musikwissenschaft“ an der Bayerischen Staatsbibliothek Reiner Nägele

Seite 78 KURZ NOTIERT *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 3

BIbliotheks m agazin

3

„MACHTE FURORE UND GING EXELLENT“

Zur Erwerbung des Autographs von Carl Maria von Webers zweitem Klavierkonzert für die Berliner Weberiana-Sammlung

Nach der Leipziger Erstaufführung von gut kannte: Er hatte im Januar 1812 ein Frank Ziegler Carl Maria von Webers Klavierkonzert Exemplar dieses Werks erworben. Mög - ist Mitarbeiter der Berliner Arbeitsstelle der Carl-Maria-von-Weber- Nr. 2 Es-Dur am Neujahrstag 1813 war licherweise diente es ihm, bewusst oder Gesamtausgabe in der Musikabteilung der Kritiker der Allgemeinen musikalischen unbewusst, als Anregung, keinesfalls aber der Staatsbibliothek zu Berlin. Zeitung voll der Begeisterung: Es sei ein als zu kopierendes Vorbild, zu eigenständig „Meisterwerk“, so urteilte er, das „so viel ist sein Umgang mit der Form, gänzlich per- Originalität der Ideen ohne alle Bizarrerie sönlich geprägt seine brillante Virtuosität. und phantastische Ausschweifung“ habe, „so viel gründliche Kunst ohne alle wir- Der Leipziger Kritiker bemerkte zurecht, kungslose Künsteley oder Schwerfälligkeit, dass hier der „Effect des Hauptinstru- so viel Feuer und Glanz bey so sprechen- ments“ in so ausgewogener Art und Weise den Melodien und zartem Ausdruck“, dass mit einem besonderen „Reichthum ganz es „schlechterdings unter das Herrlichste“ eigenthümlicher Instrumentirung“ verbun- gehöre, „was die neueste Instrumental - den sei, wie es „kaum in einigen wenigen musik aufzuweisen hat“. Speziell wies der Werken dieser Art von andern Meistern“ Rezensent – wohl der Herausgeber der zu finden wäre. Dabei dachte er vermut- Zeitung, Friedrich Rochlitz – auf die be - lich besonders an den langsamen Mittel- sondere Tonartenkonstellation hin: Zwei satz; speziell an dessen stimmungsvollen Es-Dur-Sätze rahmen einen Mittelsatz in Beginn mit vierfach geteilten Violinen „con H-Dur, ganz so, wie in Beethovens letz- sordini“ (mit Dämpfern) und Solo-Brat- tem Klavierkonzert von 1809, das Weber sche, die über mehr als zwanzig Takte *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 4

BIbliotheks m agazin

4

einen exquisiten Klangteppich für den So - lich das Schlussrondo fertig, das Weber listen ausbreiten, bevor nach und nach beim Auftritt kurzerhand mit den ersten die anderen Instrumente des Orchesters beiden Sätzen seines älteren Klavierkon- hinzutreten. Dieses Entrée brachte auch zerts Nr. 1 in C-Dur kombinierte. In einem August Wilhelm Ambros ins Schwärmen, Brief an den Namensvetter und Freund der sich, wie er 1860 in seinen Culturhisto- Gottfried Weber vom 15. November rischen Bildern aus dem Musikleben der zeigte sich der Komponist von seiner Gegenwart schrieb, an eine romantische, neuen Schöpfung angetan; sie habe einen „mondbeglänzte Zaubernacht“ erinnert „ganz anderen Charakter“ als der Finalsatz fühlte. des ersten Konzerts, sei „noch viel brillan- ter und schwerer […], ein wahrer über- Begonnen hatte Weber die Arbeit an die- müthiger Sturm und Drang“. sem Werk Anfang November 1811 in München. Nach etlichen Konzertauftritten Weitergeführt wurde die Arbeit erst mit als gefeierter Komponist und Pianist in der erheblicher zeitlicher Verzögerung: In bayerischen Haupt- und Residenzstadt Gotha, wo Weber im Herbst 1812 als sowie in der Schweiz erschien ihm sein Gast des Herzogs August von Sachsen- pianistisches Repertoire, das zu diesem Gotha und Altenburg weilte, entwarf er Zeitpunkt bereits ausschließlich eigene zunächst das eröffnende Allegro (12. bis Kompositionen umfasste, zu eingeschränkt. 20. Oktober) und – nach nochmaliger Un - Bei seiner Konzertakademie am 11. No - terbrechung aufgrund anderer Verpflich- vember im Münchner Redoutensaal sollte tungen – ab dem 26. November auch das daher eine neue Komposition aus der Adagio. Interessant ist, dass Weber diesen Taufe gehoben werden, allerdings wurde zweiten Satz (gemeinsam mit dem in Mün- zwischen dem 4. und 7. November ledig- chen fertiggestellten Finale) bereits am 28. November in einem Hofkonzert an - lässlich des Geburtstags von Prinz Fried- rich von Sachsen-Gotha aufführte; „aus dem Kopfe“, wie er im Tagebuch notierte, und noch ohne Orchesterbegleitung. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht einmal der schriftliche Entwurf dieses Satzes ab - geschlossen (im Tagebuch hielt Weber noch am 4. Dezember Kompositions - arbeiten fest), ganz zu schweigen von der Instrumentierung, bei der wiederum der erste Satz (7./8. Dezember) dem zweiten (9. bis 12. Dezember) vorausging. Erst am 17. Dezember, mehr als dreizehn Monate nach den ersten Ideen zum Werk, erlebte das Konzert die erste vollständige Auffüh- rung in seiner endgültigen Form in einem Hofkonzert auf dem Gothaer Schloss Frie- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 5

BIbliotheks m agazin

5

denstein; zur vollen Zufriedenheit des üblich an den Satzenden festhielt, Komponisten, der seinem Tagebuch an - sondern gleichermaßen durch die unter- vertraute: „machte Furore und ging exel- schiedlichen Papiere, die der Komponist in lent, ich spielte es auch nicht schlecht.“ München bzw. Gotha verwendete. Durch eine Vielzahl weiterer ähnlicher Indizien Mit Gotha blieb das Werk in besonderer eröffnet das Manuskript dem Philologen Weise verbunden, bedankte sich Weber einen kaum zu überschätzenden Reichtum doch für die Gastfreundschaft des Herzogs an Informationen. Aber auch für den nicht August mit der Widmung seiner Komposi- an solchen Details Interessierten haben tion an den Souverän. Aber auch eine Ver- We bers Reinschrift-Autographen einen bindung nach Berlin ist gegeben, nicht nur ganz besonderen ästhetischen Reiz: ein weil der Komponist das Konzert dort Schriftbild von bestechender Klarheit, aber selbst am 26. August 1814 im alten Schau- doch voller Individualität und gänzlich frei spielhaus aufführte, sondern insbesondere von Pedanterie. bezüglich der Drucklegung: Nachdem der ursprünglich von Weber vorgesehene Durch die großzügige finanzielle Unterstüt- Leipziger Verleger Kühnel Anfang 1813 zung, die die Staatsbibliothek von der abgesprungen war, interessierte sich der Deutsche Bank Stiftung, der Rudolf- Berliner Adolph Martin Schlesinger für die August-Oetker-Stiftung, den Freunden der Publikation und brachte Anfang 1815 den Staatsbibliothek zu Berlin e. V., der Wüs- Erstdruck des Konzerts heraus. tenrot-Stiftung sowie der Kulturstiftung der Länder erhielt, konnte dieses Manu- Die Entstehungsgeschichte des Werks skript nun für die Berliner Weberiana- spiegelt sich auch in dessen autographer Sammlung erworben werden; und obgleich Reinschrift wider, nicht nur durch die das Autograph zuvor wohl nie in Berlin Kompositionsdatierungen, die Weber wie war (dem Verleger sandte Weber lediglich *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 6

BIbliotheks m agazin

6

eine Kopie als Stichvorlage), kommt seine der als einen der großen Pianisten seiner Erwerbung durch die Staatsbibliothek zu Generation, neben Hummel und Mosche- Berlin gewissermaßen einer Heimkehr les, und schätzten seine innovativen Kla- gleich, gehörte es doch zu jenem Werkar- vier-Kompositionen, die noch nachfolgen- chiv, das der Komponist selbst angelegt den Pianistengenerationen als vorbildhaft hatte und das über mehrere Generationen galten, allen voran Franz Liszt und Adolf hinweg von seinen Nachfahren gehütet Henselt. wurde, bis Webers Urenkelin Mathilde von Weber 1956 den größten Teil des Einen außerordentlichen Glücksfall stellt Bestandes der Berliner Musikabteilung als die Neuerwerbung auch für die Weber- Leihgabe anvertraute, die schließlich 1986 Gesamtausgabe dar, die mit einer ihrer vom Ururenkel Hans Jürgen von Weber beiden Arbeitsstellen in der Staatsbiblio- in eine Schenkung umgewandelt wurde. thek beheimatet ist. Durch den Ankauf lie- Der Ankauf der Partitur des Klavierkon- gen nun alle editorisch relevanten Quellen zerts, die in Familienbesitz verblieben war, zu diesem Werk – neben dem Autograph schließt also eine Lücke, zumal gerade auch eine von Weber korrigierte Partitur- Webers Klaviermusik in diesem sogenann- kopie sowie der Erstdruck von 1815 – ten Weber-Familiennachlass bislang unter- unter einem Dach. Beste Voraussetzungen repräsentiert war. Zwar gilt Weber heute also für eine Neuausgabe, die dazu beitra- vorrangig als wohl bedeutendster Weg - gen könnte, Webers großartiges Klavier- bereiter der deutschen Oper im ersten konzert wieder stärker im heutigen Kon- Drittel des 19. Jahrhunderts, doch seine zertrepertoire zu verankern. Zeitgenossen bewunderten ihn nicht min-

HISTORISCHES GOOGLE-MAPS

Die App „Bayern in historischen Karten“ präsentiert bayerische Geschichte im mobilen Internet

Dr. Klaus Ceynowa Die App „Bayern in historischen Karten“ der Schlössern und Kunstdenkmälern unterneh- ist Stellvertretender Generaldirektor Bayerischen Staatbibliothek, entwickelt für men. der Bayerischen Staatsbibliothek Apples iTunes Store und für Google Play, bie- tet ein digitales Erlebnis der besonderen Art: Die Bayerische Staatsbibliothek ist eine Per Tablet und Smartphone können Sie eine der international größten und renommier- faszinierende Zeitreise durch Bayerns histori- testen Universal- und Forschungsbibliothe- sche Karten antreten und zugleich eine Ent- ken. Zu ihren Beständen zählen nicht nur deckungstour zu Bayerns Städten, Burgen, weltberühmte und kostbarste Werke des *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 7

BIbliotheks m agazin

7

Apians Landtafeln

schriftlichen Kulturerbes der Menschheit, ten des Landesausbaus in Bayern, sondern sie besitzt auch eine der europaweit be - auch die zunehmende Genauigkeit der deutendsten Kartensammlungen. Mit ihrer Landesvermessung. Damit wird eine faszi- neuen App „Bayern in historischen Kar- nierende Entdeckungsreise durch die To - ten“ präsentiert die Bayerische Staats - pographie und Geschichte Bayerns mög- bibliothek nun die großen historischen Kar- lich. Zum einen können die historischen tenwerke des Freistaates in Form eines so Karten Bayerns nun erstmalig auf mobilen genannten Location-Based-Services für die Endgeräten in hochauflösender Wieder- mobile Nutzung. gabe in allen Details betrachtet werden. Zum anderen und vor allem aber können Für die App wurden fünf bedeutende Kar- sie, ausgehend vom jeweils aktuellen tenwerke mit mehr als 260 Kartenblättern Standort des Nutzers der App, interaktiv vom 6. bis 19. Jahrhundert digitalisiert und und multimedial erkundet werden. Auf- vollständig georeferenziert: die berühmten grund der Georeferenzierung der Karten- Landtafeln Phillipp Apians von 1568, die werke wird dem Nutzer der App seine Kartenwerke von Frederik de Wit (1670– jeweilige Position – dort, wo er sich gerade 1690) und Franz Ludwig Güssefeld (1782/ mit seinem Smartphone oder Tablet in der 1796), der „Topographische Atlas vom Hand aufhält – direkt in der historischen Königreich Baiern“ (1812–1867) und die Karte angezeigt: Die App funktioniert also auf Bayern bezogenen Blätter der „Karte als ein historisches Google Maps, der Be - des Deutschen Reiches“ (1876 ff.) Die trachter der digitalen Karten findet seine Karten illustrieren nicht nur das Fortschrei- gegenwärtige Position direkt im jeweils *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 8

BIbliotheks m agazin

8

Mit der App unterwegs aufgerufenen historischen Kartenwerk oder Tablet anzeigt. Unter den bei den wieder. Über eine Zeitleiste kann er zu - jeweiligen Points-of-Interest hinterlegten dem bruchlos zwischen den verschiedenen multimedialen Materialien sind besonders Karten navigieren. hervorzuheben:

Auf der jeweils angewählten Karte findet n Ortsansichten von Hartmann Schedel und der Betrachter rund um seinen aktuellen Matthäus Merian d. Ä.: Die Bayerische Standort herum vielfältige Points-of-Inte- Staatsbibliothek besitzt wertvolle Aus- rest, die Texte, Ortsdaten, historisches gaben von Hartmann Schedels (1440– Bildmaterial und Multimedia-Anwendun- 1514) „Weltchronik“ und von Matthäus gen zu Gemeinden, Klöstern, Burgen, Merians (1593–1650) „Topographia Schlössern und Kunstdenkmälern in der Germaniae“. Die darin enthaltenen An - näheren Umgebung anzeigen. Diese Points- sichten von Orten, Klöstern und Bur- of-Interest, von denen die App insgesamt gen Altbayerns, Bayerisch-Schwabens mehr als 2.500 bietet, werden durch und Frankens sind in die App eingebun- „Stecknadelköpfe“ (Pins) visualisiert, die den und können in hoher Auflösung be - je nach Objektkategorie (Burg, Schloss, trachtet werden. Denkmal, Gemeinde etc.) unterschiedlich n Ortsportraits: Fünfzehn Orte aus allen gestaltet sind; die dort jeweils hinterlegten Regierungsbezirken Bayerns wurden Informationen können per Touch auf das ausgewählt, um exemplarisch einen ver- Display aktiviert werden. Die App stellt tieften Einblick in die Entwicklungen von damit einen Location-Based-Service dar, Siedlungen zu geben, wie sie typisch für der Informationen relativ zum Standort den bayerischen Kulturraum sind. Die des App-Nutzers auf dem Smartphone Portraits werden angereichert u. a. um *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 9

BIbliotheks m agazin

9

Artikel aus dem Online-Angebot „His- torisches Lexikon Bayerns“, die die Ge - schichte Bayerns genauer beleuchten. n Wappen der bayerischen Gemeinden: „Bayerns Gemeinden“ ist ein Online- Angebot des Hauses der Bayerischen Geschichte. Die Abbildungen der darin aufgeführten Wappen sind in die App eingebunden und durch Beschreibungen zu ihrer Entstehung und zur Bedeutung ihrer bildlichen Elemente erläutert. n Schwerpunkt Nürnberg: Als größte Stadt Frankens bildet Nürnberg einen beson- deren Schwerpunkt der App. Begin- nend mit Matthäus Merians Nürnber- ger Stadtplan aus seiner „Topographia Franconiae“ (1648) kann der Nutzer anhand fünf historischer, georeferen- zierter Stadtpläne aus vier Jahrhunder- schichte der Kartographie aus der Zeit Historisches Nürnberg ten in die Geschichte und Topographie vor der satellitengestützten Landver- der alten Reichsstadt eintauchen. Ne - messung und zur umfangreichen Karten- ben reichem Text- und Bildmaterial ist sammlung der Bayerischen Staatsbiblio- auch ein Audioguide zu den wichtigsten thek bieten Video-Experteninterviews Sehenswürdigkeiten der Stadt in die und fachkundige Texte. App integriert. n Ortsansichten Michael Wenings: Der Als Location-Based-Service präsentiert Kupferstecher Michael Wening (1645– sich die App „Bayern in historischen Kar- 1718) bereiste im Auftrag des Kurfürs- ten“ auch als virtueller Reiseführer, der ten Altbayern und fertigte Ansichten dem Bayern-Interessierten relativ zu sei- von Ortschaften, Schlössern, Burgen, ner jeweiligen geographischen Position Klöstern und Landsitzen. Von diesen interessante Orte und Stätten in seiner über 800 Darstellungen, die Anfang Nähe zeigt und sich damit auch für touris- des 18. Jahrhunderts in der „Historico- tische Zwecke eignet. Zugleich ist die App topographica descriptio Bavariae“ ver- aber auch für die Nutzung von zu Hause, öffentlicht wurden, hat das Landesamt also gewissermaßen vom heimischen Sofa für Vermessung und Geoinformation aus, bestens geeignet. Hier kann der Nut- neue Drucke anfertigen und digitalisie- zer in den hochauflösend digitalisierten ren lassen. Die Ortsansichten Wenings Karten „blättern“ und auf eine virtuelle sind in die App integriert und laden zum Erkundungstour durch Bayern gehen. Zoomen in ihre hochauflösend digitali- sierten Details ein. Mit der Location-Based-Services-App n Techniken und Geschichte der Kartogra- „Bayern in historischen Karten“ setzt die phie in Bayern: Informationen zur Ge- Bayerische Staatsbibliothek ihre erfolgrei- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:41 Seite 10

BIbliotheks m agazin

10

che Reihe mobiler Applikationen fort – Website als Distributionsform digitaler nach den „Famous Books – Schätze der Information hinausgehen. Die neuen, mo - Bayerischen Staatsbibliothek“, den „Orien- bilen Nutzungsszenarien dagegen kon- tal Books“ und der Augmented-Reality- textualisieren digitale Inhalte situativ, per- App „Ludwig II.“. Für diese Angebote sonalisiert und passgenau ausgerichtet auf bringt die Bayerische Staatsbibliothek eine die jeweils individuelle Lebenssituation. Mit langjährige Erfahrung auf dem Felde der der neuen App „Bayern in historischen Digitalisierung und digitaler Technologien Karten“ lässt die Bayerische Staatsbiblio- mit. Mit aktuell knapp 960.000 digitali - thek erneut ihre einzigartigen Bestände in sierten Werken und Objekten aus ihren den innovativen Nutzungsszenarien des Sammlungen (Stand: Juli 2013) verfügt die mobilen Internets lebendig werden. Bayerische Staatsbibliothek gegenwärtig über den größten digitalen Datenbestand Die App wurde in Zusammenarbeit mit aller deutschen Kultureinrichtungen, und dem Haus der Bayerischen Geschichte, mit einer Scannerflotte von 26 Geräten, der Bayerischen Verwaltung der staatlichen unter anderem für anspruchsvolle 3D- Schlösser, Gärten und Seen und dem Lan- Digitalisierung, nimmt sie die Spitzenstel- desamt für Vermessung und Geoinforma- lung unter allen deutschen Bibliotheken tion erstellt. Die technische Umsetzung ein. erfolgte durch die Internet-Agentur Bo - kowsky + Laymann. Die Entwicklung der Mit der wachsenden Bedeutung des mobi- App wurde vom Bayerischen Staatsminis- len gegenüber dem stationären Internet terium der Finanzen und vom Bayerischen bieten sich neue und faszinierende Mög- Staatsministerium für Wissenschaft, For- lichkeiten der Aufbereitung und Präsenta- schung und Kunst gefördert. „Bayern in tion dieser reichhaltigen digitalen Ange- historischen Karten“ steht weltweit für bote – Möglichkeiten, die weit über das Tablets und Smartphones im Apple iTunes traditionelle Szenario des stationären In - Store und im Google Play Store kostenfrei ternetarbeitsplatzes mit der klassischen zur Verfügung.

Launch der App am 29. April 2013: Generaldirektor Dr. Rolf Griebel, Finanzstaatssekretär und IT-Beauftrag- ter der Bayerischen Staatsregierung Franz Josef Pschierer, Stellv. General- direktor Dr. Klaus Ceynowa *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 11

BIbliotheks m agazin

11

MEISTERWERKE AUS DEM SERAIL

Die Diez’schen Klebealben aus der Sammlung orientalischer Handschriften der Staatsbibliothek zu Berlin

Zusammen mit der einzigartigen Bücher- Seine Bücherliebe war selbst in Palastkrei- Christoph Rauch sammlung des Gelehrten und Diplomaten sen bekannt, was es ihm erleichterte, im ist Leiter der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin Heinrich Friedrich von Diez gelangten im Zuge eines Machtwechsels des Sultans Jahre 1817 mehrere Alben mit orientali- 1789 neben anderen Handschriften auch Dr. Julia Gonnella schen „Gemälden“ in die Berliner König - die Alben des Haremspersonals zu erwer- ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin liche Bibliothek. Heinrich Friedrich von ben. Nach seiner Abberufung aus Kon- am Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin – Diez, seit 1772 als Ministerialrat in Magde- stantinopel im Jahre 1791 lebte Diez zu - Preußischer Kulturbesitz burg tätig, hatte sich 1784 erfolgreich bei rückgezogen als Privatgelehrter in Berlin, Friedrich dem Großen um das Amt des zuletzt in seiner Villa in Stralau. Gesandten an der Hohen Pforte in Kon- stantinopel beworben. In den sechs Jahren Die Alben enthalten etwa 450 Miniaturen, seines Aufenthaltes erwarb er dort zahlrei- Zeichnungen, Skizzen und Kalligraphien, che wertvolle orientalische Handschriften. die zum überwiegenden Teil im 14. und

Drache im Kampf mit zwei Phönix- Vögeln, Iran, um 1400 (Ausschnitt) (Diez A fol. 73, S. 58 Nr. 2) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 12

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 13

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 14

BIbliotheks m agazin

14

Sitzender vornehmer Mann, Iran, 15. Jh. 15. Jahrhundert im persischen und zentral- (Diez A fol. 73, S. 9 Nr. 1) asiatischen Raum unter der Herrschaft der mongolischen Il-Khane und der Timuriden entstanden sind. Die äußerst hohe Quali- tät wie auch die bemerkenswerte Vielfalt der Kunstwerke machen sie zu einer der bedeutendsten Sammlungen persisch- mongolischer Buchkunst überhaupt. Wäh- rend der Sammlung seiner Bücher und den Handschriften rasch die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde, fielen die fünf Alben jedoch zunächst in einen „Dorn- röschenschlaf“. Sie wurden erst 1956 wie- derentdeckt, als eine kleine Auswahl der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Diese Ausstellung in Tübingen, wo sich Teile der Berliner Handschriftensammlung nach dem Zweiten Weltkrieg im „Exil“ befan- den, lenkte sofort die Aufmerksamkeit der islamischen Kunsthistoriker auf sich. Man erkannte sogleich, dass es sich bei den Alben um außerordentliche Werke han- delte, die in enger Verbindung mit Mate- rialien im Topkapı-Palast in Istanbul stehen.

Die Idee, Illustrationen aus Handschriften, Skizzen und Zeichnungen sowie Kalligra- Bereits im Jahre 1980 kam während einer phien schön arrangiert in Alben einzukle- Konferenz zu den Istanbuler Alben in Lon- ben, stammt nicht von Diez. Schon einige don der Wunsch auf, sich auch der Berli- Jahrhunderte vor ihm wurde dies an isla- ner Sammlung eingehend zu widmen. Es mischen Herrscherhäusern getan. Sie dien- sollten nochmals 33 Jahre vergehen, bis ten dort zur Unterhaltung bei Hofe, aber eine solche Konferenz mit Unterstützung auch als Musterbücher in den Werkstät- der Fritz-Thyssen-Stiftung zustande kom- ten. Im Orient heißen die Alben Muraqqa’, men konnte. Die Resonanz war enorm. ein aus dem Arabischen entlehntes Wort Etwa 120 führende Vertreterinnen und für Flickenkleidung oder Patchwork. Wie Vertreter der islamischen Kunstwissen- ein Patchwork sich aus verschiedenen schaft aus allen Teilen der Welt trafen sich Stoffteilen und Mustern zusammensetzt, vom 2. bis 5. Juni an der Staatsbibliothek, so bestehen die einzelnen Albenblätter aus um den insgesamt 22 Vorträgen über ver- Bildern unterschiedlicher Herkunft und schiedene Aspekte der Diez’schen Alben Seiten 12/13: Formate, deren Anordnung zumeist kei- zu folgen. Ein besonderer Höhepunkt war Eroberung Bagdads durch die Mongo- len, Iran, Anfang 14. Jh. nen inhaltlichen oder stilistischen Bezug die so genannte Hands-on-Session, in wel- (Doppelbild, Diez A fol. 70, S. 7 und 4) erkennen lässt. cher einem begrenzten Teilnehmerkreis *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 15

BIbliotheks m agazin

15

Original-Albenblätter präsentiert wurden. name. Von überragender Qualität und Am Ende einer langen Konferenz Dieses informelle Beisammensein ermög- voller Rätsel ist eine weitere Gruppe von wartet das Gruppenfoto der Chairs und der Speakers lichte besonders angeregte Fachgespräche farbig leuchtenden Illustrationen mit leben- in entspannter Atmosphäre. Auf einem digen Figurengruppen – Szenen von un - vom Verein der Freunde der Staatsbiblio- terschiedlichen Epen, Abenteurer- und thek ausgerichteten Abendempfang am Seefahrergeschichten, deren Inhalt erst ersten Konferenztag übergab Prof. Klaus ansatzweise identifiziert werden konnte. G. Saur der Generaldirektorin Barbara Ergänzt wird alles durch eine wahrlich ein- Schneider-Kempf ein besonderes Ge - zigartige Sammlung von Zeichnungen, Stu- schenk für die Bibliothek: einen vom Freun- dienblättern und Entwürfen, darunter des- und Förderverein anläßlich der Ta - Musterzeichnungen, die für die Übertra- gung jüngst erworbenen Brief von Diez an gung auf andere Materialien (wie Textilien den Verleger Friedrich Nicolai aus dem oder Wände) bestimmt waren, sowie de - Jahre 1772. korative Zeichnungen ostasiatischer Prä- gung mit Phönix, Drache und anderen Was erklärt nun neben der Qualität der Fabelwesen. Gerade an diesen unfertigen Kunstwerke die besondere Faszination, Werkstatt-Materialien lässt sich die Ent- die von den Alben ausgeht? Es ist vor allem wicklung der islamischen Malerei, der ver- die Vielfalt der enthaltenen Materialien schiedenen Mal- und Zeichentechniken hervorzuheben: Illustrationen aus einer sowie der besonders im 14. und 15. Jahr- „Weltchronik“ des ilkhanidischen Minis- hundert sichtbare ostasiatische Einfluss ters Raschid ad-Din Fadlallah (ca. 1250 bis auf die islamische Kunst nachvollziehen. 1318), die Einblicke in die höfische Welt, Außerhalb dieser seltenen Klebealben aber auch in das Alltagsleben vermitteln. haben sich derartige Materialien in der Dazu kommen zahlreiche Illustrationen Regel nicht erhalten können. aus dem persischen Heldenepos Schah- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 16

BIbliotheks m agazin

16 *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 17

BIbliotheks m agazin

17

Die Alben wurden kürzlich in den Werk- den sie aus restauratorischen Gründen Seite 16: stätten der Staatsbibliothek zu Berlin digi- zerteilt, die einzelnen Blätter wurden in Vom Freundes- und Förderverein für die Bibliothek erworben: Brief Heinrich talisiert. Anschließend erfolgte – im Rah- den Jahren 1970/71 in einem aufwändigen Friedrich von Diez’ am 1. April 1782 men des Projekts „Digitalisierung der Prozess voneinander gelöst und einzeln in Magdeburg an den Berliner Verleger islamischen Miniaturhandschriften“ in der unter Passepartouts gelegt. Lediglich das und Aufklärer Friedrich Nicolai. Das orientalischen Handschriftendatenbank fünfte sogenannte Kalligraphie-Album Schreiben behandelt einerseits das Thema der Zensur unter Bezug auf (www.orient-digital.de) – ihre Erschlie- (Diez A. Fol. 74) ließ man unangetastet. eine damals nicht auffindbare Schrift ßung, basierend auf dem gedruckten Kata- Auch dieses war nun in der Ausstellung zu mit Lebensbeschreibungen branden- log aus dem Jahre 1964. Ab Herbst 2013 sehen. Da rüber hinaus wurde der Besu- burgischer Minister sowie andererseits werden die Meisterwerke aus dem Serail cherschaft die Person des Heinrich Fried- eine Frage zu Urkunden über den Kornhandel zwischen der Mark Bran- über diese Datenbank bzw. über die Digi- rich von Diez anhand zeitgenössischer denburg und der Stadt Magdeburg. tale Bibliothek der Staatsbibliothek kom- Dokumenten, seiner Schriften und Über- Abgebildet die erste Seite plett im Internet kostenfrei einsehbar sein. setzungen nahegebracht. Mithin waren auch andere Kostbarkeiten seiner umfang- Diez’ Porträt aus dem Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin „Meisterwerke aus dem Serail“ – dies ist reichen Bibliothek zu sehen, darunter ein auch der Titel einer Ausstellung, die vom osmanischer Seeatlas aus der ersten Hälfte Museum für Islamische Kunst und der des 17. Jahrhunderts, eine prächtig be - Staatsbibliothek zu Berlin gemeinsam orga- bilderte persische Anthologie aus dem nisiert wurde und die vom 3. Juni bis zum 15. Jahrhundert und der von ihm selbst 1. Sep tember 2013 im Pergamonmuseum geschriebene Katalog seiner Handschrif- zu sehen war. Die Ausstellung wurde im ten. Besonders eindrucksvoll wirkten auch Mschatta-Saal des Museums für Islamische die berühmten großformatigen Konstan - Kunst mit einem Festvortrag von Dr. Julian tinopel-Stiche von Anton Ignaz Melling Raby, Direktor der Freer Galery of Art/ (1763–1831), der sich kurze Zeit nach Sackler Gallery in Washington, eröffnet. Diez in der Stadt am Bosporus aufhielt. Dieser Vortrag bildete zugleich den Auf- takt des Symposiums. Präsentiert wurden Man kann sicher sein, dass Digitalisierung, in der Ausstellung neben hervorragenden Ausstellung und Konferenz weiteres Inte- Einzelseiten auch einige der jetzt eigens resse an den Alben geweckt und neue Fra- wieder nach den Diez’schen Vorlagen gen aufgeworfen haben. Die Tür für die rekonstruierten Albenblätter. Als die zwi- Forschung wurde weit geöffnet; die Förde- schenzeitlich in Tübingen aufbewahrten rung eines ersten wissenschaftlichen Ein- Alben mit dem Neubau der Staatsbiblio- zelprojekts wurde kürzlich von der Deut- thek nach West-Berlin zurückkamen, wur- schen Forschungsgemeinschaft bewilligt. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 18

BIbliotheks m agazin

18

PAUL HEYSE ADELT GUSTAV VON ASCHENBACH

Mit einer unbekannten Widmung Thomas Manns in einem Prachtband der Bayerischen Staatsbibliothek

Dr. Dirk Heißerer Das Jubiläum „100 Jahre Thomas Manns Novelle, erschienen 1912 als 13. „Hun- ist Literaturwissenschaftler und „Der Tod in Venedig“ hat im Winter 2012/ dertdruck“ im Münchener Hyperionverlag Autor 2013 zu einer Ausstellung im Literaturhaus Hans von Weber (BSB-Signatur: 4 L.sel.I München, zu einem begleitenden Vortrag 6-13). Gesetzt in einer Kursivschrift von über „Die Masken des Gustav von Aschen- Walter Tiemann, wird bereits im ersten bach“ und bei den Recherchen dafür zu Satz, viertes Wort, der Adelstitel des einer besonderen Spurensicherung in der Helden „Gustav Aschenbach oder von Der Katalog zur Ausstellung, erstellt von Sigrid von Moisy Bayerischen Staatsbibliothek geführt. Dort Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten unter Mitarbeit von Karl Heinz befindet sich, wohl als seinerzeitiges Pflicht- Geburtstag amtlich sein Name lautete“, Keller, ist in der BSB erhältlich exemplar erhalten und in Leder gebunden, auffällig betont. Mit diesem „von“ haben (www.bsb-muenchen.de -> Die sogar noch ein unnummeriertes Exemplar sich die Deuter der Novelle bislang eher Bayerische Staatsbibliothek -> Publikationen -> Ausstellungs- (mit leichten Brandflecken) der auf 100 schwer getan, wenn sie es nicht gleich ganz kataloge und mehr) Exemplare limitierten Erstausgabe der vernachlässigten. Dabei lässt sich als Maske für Gustav von Aschenbach nach Thomas Mann selbst, der im Mai/Juni 1911 in Ve - nedig die Geschichte weitgehend selbst erlebt hatte, und dem damals im Alter von 51 Jahren in Wien verstorbenen Kompo- nisten Gustav Mahler gerade wegen des Adelstitels ein drittes, bislang unbekanntes Vorbild erkennen. Es ist, so Albert Soergel in seinem Werk „Dichtung und Dichter der Zeit“ aus dem Jahr 1911, der unter den damaligen Dichtern „berühmteste von allen: der als Meister der deutschen No - velle überall gefeierte Paul Heyse“, seit 1910 Paul von Heyse (1830–1914).

Kein Autor war in München um 1910 be - rühmter und gefeierter als der aus Berlin gebürtige Schriftsteller und promovierte Romanist Paul Heyse. Er war der „Münch-

Paul Heyse, um 1910 ner Dichterfürst im bürgerlichen Zeitalter“, (BSB) wie ihn 1981 eine Ausstellung in der Baye- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 19

BIbliotheks m agazin

19

rischen Staatsbibliothek vorstellte, die Hey - bach lebt schon seit langem in München ses Nachlass verwahrt. und ist dort ein Repräsentant geworden: „Nach einigen Jahren der Unruhe […] Von König Maximilian II. im Jahre 1854 wählte er frühzeitig München zum dauern- nach München berufen, avancierte Paul den Wohnsitz und lebte dort in bürger - Heyse zum Haupt des Münchener Dich- lichem Ehrenstande, wie er dem Geiste terkreises in der zweiten Hälfte des in besonderen Einzelfällen zuteil wird.“ 19. Jahrhunderts. Sein auf eigenen Über- (GKFA, Bd. 2.1, S. 515). Das traf auf nie- setzungen beruhendes „Spanisches Lieder- mand besser zu als auf Paul Heyse! Die buch“ (1852, mit Emanuel Geibel) und Stadt München ehrte den berühmten sein „Italienisches Liederbuch“ (1860) ver- Mann 1900 zum 70. Geburtstag ebenso tonte Hugo Wolf. Er schrieb 180 Novel- wie 1904 zum 50. Jahrestag seiner Über- len, für die er jeweils einen neuen Plot, siedlung nach München (!) mit kostbar Thomas Mann: Der Tod in Venedig. einen sogenannten „Falken“, erfand, 60 gestalteten Glückwunschadressen. Zum Titelseite des Exemplars der BSB Theaterstücke und neun Romane. Auch 75. Geburtstag im Jahr 1905 ernannte die (4 L.sel.I 6-13) nach seinem Rückzug aus den königlichen Stadt den prominenten Dichter zu ihrem Diensten blieb er an seinen beiden Wohn- Ehrenbürger und benannte die Paul-Heyse- orten in München und Gardone Riviera Straße in der Ludwigsvorstadt nach ihm. am Gardasee hoch geehrt und geachtet. (Die gesundheitsgefährdende Paul-Heyse- Das in seinem Auftrag errichtete Wohn- Unterführung am Bahnhof erhielt ihren haus an der Luisenstraße 22 (1830, 1873 Namen allerdings erst 1957). umgebaut von Gottfried von Neureuther), eine in einem Garten gelegene spätklassi- Spektakulärer Höhepunkt dieses ruhmvol- zistische Villa, die nach Kriegsschäden ver- len Lebens war das Jahr 1910: Mit dem einfacht wurde, steht heute zwar unter 80. Geburtstag des Dichterfürsten im Denkmalschutz, ist aber dennoch, wie zu März, der Nobilitierung durch den Prinz - hören ist, aufgrund einer Immobilienspe- regenten im Juni und der Verleihung des kulation vom Abbruch bedroht! Eine Bür- Nobelpreises für Literatur im November. gerinitiative bemüht sich derzeit intensiv Dieses ehrenvolle Treiben um Paul Heyse um den Erhalt des Hauses. Gehörte doch in München hat Thomas Mann keineswegs das Haus Paul Heyses hinter der Glypto- bloß von außen distanziert-amüsiert beob- thek einst mit dem soeben erst aufwän- achtet, sondern er hat sich daran auch mit dig renovierten Lenbachhaus, der längst einer aufschlussreichen bislang unbekann- verschwundenen Schackgalerie (damals ten Widmung beteiligt. an der Brienner Straße) und dem durch die Nationalsozialisten zerstörten Palais Die Bayerische Staatsbibliothek bewahrt Pringsheim (der Schwiegereltern Thomas im Nachlass Paul Heyses ein prächtiges, in Manns) zu den ersten Adressen in der rotes Leder gebundenes Album, das aus noblen Maxvorstadt. 301 Grußadressen „von Freunden und Verehrern“ zusammengestellt wurde (BSB Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Dich- Heyse-Archiv V.103a; online lesbar im terfürsten Paul Heyse und Gustav von Handschriftenlesesaal unter Heyse-Archiv Aschenbach sind deutlich. Auch Aschen- V.103a). Jeder von ihnen bekam ein Blatt *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 20

BIbliotheks m agazin

20

Der Prachtband der Heyse-Festschrift bedeutend zu sein.“ (Ebd.). Und in eben (BSB Heyse-Archiv V.103a) diesem Stil schreibt Thomas Mann, der damals 34-jährige Autor des Eheromans „Königliche Hoheit“ (1909), im Frühjahr 1910 dem betagten Münchener Dichter- fürsten auf Blatt 185 ins Ehren-Album:

An Paul Heyse / zum 15. März 1910. / Dem ruhmreichen, vielgeliebten Meister / bittet seine Huldigung, seine ehrerbietigen / Glückwünsche darbringen zu dürfen / Tho- mas Mann / München

Kurz, gütig und bedeutend. Gustav von Aschenbach hätte es nicht besser treffen können. Wie sehr Thomas Mann aber mit dreifachem Goldrand und einem Qua- schon zu diesem Zeitpunkt Paul Heyse als drat in der Mitte zugesandt, um hand- démodé angesehen haben dürfte, verrät schriftlich einen Beitrag für das Unikat zu er in einem Brief an Maximilian Harden leisten. Es finden sich darin Grußworte u.a. vom 30. August 1910, worin er Heyse von Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent als „den sonnigen und fast unanständig Luitpold, von den Malerfürsten Franz von fruchtbaren Epigonen“ kritisiert, „der dem Defregger, Friedrich August Kaulbach, Neuen gegenüber so vollkommen versagte Franz von Stuck, von den Schriftstellerkol- und noch heute auf Wagner und Ibsen wie legen Elsa und Max Bernstein, Hermann ein Dummkopf schimpft“ (GKFA, Bd. 21, Bahr, Hedwig Dohm, Max Halbe, aber S. 459). Zu holen war daher im Sommer auch von jüngeren Kollegen wie Hermann 1911, als Thomas Mann mit dem Schrei- Hesse, Alfred Kerr, Ricarda Huch, und, ben der Novelle begann, bei Heyse ein neben vielen weiteren, eben auch von Jahr nach dessen Nobilitierung in Felix Tho mas Mann sowie von dessen Schwie- Krull’scher Hochstapler-Manier schlicht- gervater Alfred Pringsheim. weg nur noch das „von“. Wie zur Bestäti- gung überwiegen in dem Prachtband für Und was schreibt Thomas Mann? Er den 80-jährigen Paul Heyse die Lieder von schreibt einen Text, der von seinem Hel- den tempi passati. So singt die nur wenig den Gustav von Aschenbach stammen jüngere Hedwig Dohm (1833–1919), Katia könnte. Von ihm, dessen „ganzes Wesen Manns Großmutter: „Aus meiner Jugend auf Ruhm gestellt war“ (Bd. 2.1, S. 508), längst versunknen Träumen / Tönt mir heißt es, dass er gelernt habe, „von seinem Dein Name wie ein Zauberklang. / Wo ist Schreibtische aus zu repräsentieren, sei- die Zeit, wo unter Lindenbäumen / In mir nen Ruhm zu verwalten, in einem Brief- gelebt, was Deine Muse sang? / Doch satz, der kurz sein mußte (denn viele konnte Zeit Dir auch den Scheitel bleichen Ansprüche dringen auf den Erfolgreichen, / Verblaßten Jugendstürmen zur Erinne- den Vertrauenswürdigen ein) gütig und rung: / Was kümmern Dich des Alters *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 21

BIbliotheks m agazin

21

äuß’re Zeichen, / Des Paradieses Kinder bleiben ewig jung.“ [Bl. 75]. Ernst Rosmer (alias Elsa Bernstein) (1866–1949) sagt das in einem Haiku: „Der Schnee im Lorbeer zeigt / Wie frisch er grünt.“ [Bl. 229]. Der junge Hermann Hesse (1877-1962) fasst sich kurz: „Den verehrten Meister / grüßt in alter Hochschätzung / vom Bodensee her / Hermann Hesse“ [Bl. 134]. Der Ber- liner Theaterkritiker Alfred Kerr (1867– 1948) hat immerhin einen Wunsch: „An Paul Heyse. / Es wandeln die Jahre, es wechseln die Moden, / Die einen erblü- hen, die andern erblassen, / Doch in den verschiedenen Perioden / Wünscht ich: mal deine Hand zu fassen.“ [Bl. 153]. Einen originellen Vergleich zum Verhältnis von Poesie und Mathematik stellt der Münche- ner Mathematik-Professor Dr. Alfred Pringsheim (1850–1941), Thomas Manns Schwiegervater (vgl. BM 2/2012), auf Blatt 216 an:

Daß zwischen Poesie und Mathematik eine unüberbrückbare Kluft liege, wird wohl ziem- lich allgemein angenommen. Und doch steckt in jedem ordentlichen Mathematiker (nicht in jedem ordentlichen Professor der Mathema- geschichtliche Bedeutung Paul Heyses hält Thomas Manns Widmung für Paul tik) ein gutes Stück vom Poeten. So darf wohl dennoch weiter an. Sein Nachlass in der Heyse zum 15. 3. 1910 (BSB Heyse-Archiv V.103a, Bl. 185) auch der Mathematiker den achtzigsten Bayerischen Staatsbibliothek ermöglicht Geburtstag des vielgefeierten Dichters zum weiterhin lohnende Forschungen zu den Anlaß nehmen, ihm seine besten Wünsche Beziehungen mit den Zeitgenossen Theo- und seine aufrichtige Verehrung auszuspre- dor Fontane, Emanuel Geibel, Gottfried chen. / München, im Januar 1910. / Alfred Keller und Ludwig Ganghofer, dessen Pringsheim. Briefwechsel mit Paul Heyse Aufschlüsse zur „Literaturpolitik“ in München bietet Die Vielfalt an Stimmen verstärkt nur den (vgl. den Beitrag von Walter Hettche in: Eindruck, dass die Zeit des großen Poeten ZBLG, Bd. 55, 1992, H. 3). Dazu kommen längst abgelaufen war. Paul von Heyse nun die Absetzbewegungen damals „neue- starb am 2. April 1914 in München und rer“ Autoren wie Hermann Hesse und wurde auf dem Waldfriedhof in einem besonders Thomas Mann. Erst in jüngerer prächtigen, säulenumstandenen Ehrengrab Zeit wurden erstaunliche Verbindungen der Stadt München bestattet. Die literatur- zwischen einer Venusberg-Novelle Paul *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 22

BIbliotheks m agazin

22

Alfred Pringsheim: Widmungsblatt für Paul Heyse, Januar 1910 (BSB Heyse-Archiv V.103a, Bl. 216.)

Heyses, „Barbarossa“ (1871), und Thomas Den Abdruck der Widmung Thomas Manns Manns Epochenroman „Der Zauberberg“ erlaubten freundlicherweise Prof. Dr. Frido (1924) aufgezeigt (vgl. den Beitrag von Mann, München, und die S. Fischer Verlag Alexander Weber in: ZfdPH, Bd. 129, GmbH, Frankfurt a. M. 2010). Zum Heyse-Jahr 2014 plant die Der Satz Elsa Bernsteins wird zitiert mit Bayerische Staatsbibliothek eine Ausstel- freundlicher Erlaubnis von Ruth I. Shimondle, lung auf der Grundlage des Nachlasses. Edmonds (WA); der Gruß Hermann Hesses Der Prachtband mit den 301 Albumblät- mit freundlicher Genehmigung der Suhrkamp tern sollte darin einen Ehrenplatz erhalten. Verlag GmbH und Co. KG, Berlin, und die Widmung Alfred Kerrs mit freundlicher Zustimmung von Judith Kerr-Kneale, . *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 23

BIbliotheks m agazin

23

SCHÖNE MENSCHEN UND SCHÖNE BLUMEN

Schöne Bücher restauriert mithilfe des DuMont Kalenderverlages

Ist das nun schön? Darüber kann man Dr. Katrin Böhme geteilter Meinung sein. In jedem Fall haben ist wissenschaftliche Referentin in der Abteilung Historische Drucke die Bücher, von denen hier die Rede sein der Staatsbibliothek zu Berlin soll, ihre Spuren in der Kunst- und Kultur- geschichte hinterlassen. Albrecht Dürers Proportionenlehre mit ihren wohlpropor- tionierten Menschen gehört ebenso dazu wie die Plantae selectae von Christoph Jacob Trew, in denen ausgewählte Pflan- zen in ausgewählten Illustrationen zusam- mengestellt worden sind. Diese und an - dere Bände konnten mit Unterstützung des DuMont Kalenderverlages nun restau- riert werden.

Die „Vier Bücher von menschlicher Pro- portion“ von Albrecht Dürer (1471–1528)

oben links: Arctotis acaulis, Tafel XCIII aus: Chris- toph Jacob Trew: Plantae Selectae … Augsburg: Haid 1750–1792 (Signatur: gr. 2° Ma 8475 : R)

Rückenansicht von Mann und Frau aus: Albrecht Dürer: De Symmetria partium in rectis formis humanorum corporum. Nürnberg 1532 (Signatur: 4° Nu 760 : R) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 24

BIbliotheks m agazin

24

erschienen postum 1528 zuerst in deut- mus Andreae (gest. 1556) angefertigt und scher Sprache. Die lateinische Ausgabe in zeigen höchste handwerkliche Qualität. der Übersetzung des mit Dürer befreun- Überhaupt ist dieses Werk das erste zum deten Humanisten Joachim Camerarius Thema menschlicher Proportionen, das (1500–1574) folgte 1532/34. Auf der derart zahlreiche Abbildungen aufweist. Basis dieser lateinischen Ausgabe wurde Es veranschaulicht damit die Arbeitsweise das Buch europaweit bekannt; es folgten Dürers, der sich durch zeichnerisches Übersetzungen ins Französische 1557, ins Verstehen dem Thema näherte. Die zahl- Italienische 1591 und ins Niederländische reichen überlieferten Skizzen und Zeich- 1622. Das Besondere an diesem Werk nungen verdeutlichen, dass er ungefähr sind seine Illustrationen. Sie zeigen insge- 20 Jahre lang Figurenstudien nach der Na - samt 29 Figuren, wobei im Unterschied zu tur anfertigte. Aus diesen Beobachtungen früheren Darstellungen neben dem Mann entwickelte Dürer dann eine arithmeti- auch die Frau sowie ein Kind dargestellt sche, auf Größen- bzw. Zahlenverhältnis- werden. Die schlichten Umrisszeichnun- sen basierende Methode der Körperkon- gen der menschlichen Figuren zeigen je - struktion, quasi Musterfiguren, die im weils eine Rücken-, Seiten und Vorderan- künstlerischen Schaffen durch vielfältige sicht. Seitlich aufgelistete Benennungen der Gestaltungsmöglichkeiten variiert werden Körperteile sind durch Verweislinien dem können. Körper zugeordnet. Außerdem werden, entweder neben oder in den Körper ge - schrieben, Messzahlen angegeben. Diese als sogenannte Linienholzschnitte gearbei- teten Illustrationen wurden von dem Nürn- berger Drucker und Verleger Hierony-

Gesichterkonstruktionen aus: De varietate figurarum et flexuris partium ac gestibus. imaginum, libri duo. Nürn- berg 1534 (Signatur: 4° Nu 760 : R)

rechts: „La Frayeur“, Charles Le Brun: Methode Pour apprendre A Dessiner Les Passions. Amsterdam 1702 (Signatur: 4° Nu 819 : R) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 25

BIbliotheks m agazin

25

Auch vom Menschen, wenn auch auf ganz andere Weise, handelt das erstmals 1667 erschienene Werk von Charles Le Brun (1619–1690), dem bekannten französi- schen Maler am Hofe Ludwigs XIV., in dem die verschiedenen Gesichtsausdrücke menschlicher Leidenschaften zeichnerisch dargestellt werden. Unterschied man im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts zwischen Gefühl und Leidenschaft, so wur- den entsprechend dieser Unterscheidung die feinsinnlichen Gefühlsäußerungen aus- gespart und vor allem die starken Gefühle wie Hass, Erschrecken, äußerste Verzweif- lung oder grenzenlose Liebe gezeigt. Die Gesichter sind im Kupferstich auf verein - fachend-schematisierende Weise dar - gestellt. So eignete sich dieses Werk be - sonders für die Ausbildung angehender Künstler, die es zum Studium der Gesichts- ausdrücke verwendeten. Der Name Le Brun wurde dafür zum Synonym; sein Buch war europaweit verbreitet, erschien in vielen verschiedenen Ausgaben und diente bis ins 19. Jahrhundert hinein als Musterbuch zur Darstellung von ausdrucks- starkem Mienenspiel. Das vorliegende Konservierung und Darstellung der Lymph- Paolo Mascagni : Anatomia Per Uso Exemplar ist eine 1702 in Amsterdam gefäße bekannt geworden. Er hatte die Degli Studiosi Di Scultura E Pittura: Opera Postuma. Florenz 1816 erschienene Ausgabe im Duodez-Format Professur für Anatomie in Siena inne und (Signatur: sgr. 2° Nu 925 : R) (9,5 x 16 cm). Auf dem fliegenden Vor- gab dort Unterricht in Anatomie für Medi- satzpapier sind nicht nur ein Besitzeintrag zinstudenten. Die vorliegende Künstler- in Form eines gereimten Gedichtes, son- anatomie basiert auf seinen anatomischen dern auch Zeichnungen zweier Köpfe Forschungen und wurde 1816 postum von im Profil zu finden – ein Indiz dafür, dass seinen Erben herausgegeben. Die Tafeln wohl tatsächlich ein Zeichenschüler dieses zeigen, wie auch in modernen Künstler- Exemplar mit sich führte. anatomien üblich, den Menschen aus ana- tomischer Perspektive. Zum Verständ- Weniger zum Mitführen in der Tasche ge - nis der menschlichen Gestalt sollten die eignet ist die Künstleranatomie im Groß- Kunststudenten und Zeichenschüler den Folio-Format (66 x 53 cm) von Paolo Aufbau des Körpers, die Lage und Be - Mascagni (1755–1815). Der bekannte ita- zeichnungen der Knochen und Muskeln lienische Anatom war vor allem durch genau kennenlernen. Im Unterschied zum sein besonderes Präparationsverfahren zur Beispiel zu Dürers Herangehensweise, der *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 26

BIbliotheks m agazin

26

die Anatomie aus seiner Proportionen- seiner Anatomie für Künstler dar, auf den lehre vollkommen ausnahm, ermöglicht folgenden Tafeln ergänzt von anatomi- die anatomische Perspektive ein besseres schen Detailstudien u. a. von Kopf, Schul- Verständnis von Bewegung und damit eine ter, Gelenken und den sichtbaren Blutgefä- bessere zeichnerische Umsetzung von ßen der Extremitäten. Die Illustrationen Bewegungsabläufen. Dazu dienten nicht wurden von dem Zeichner und Kupfer - nur anatomische Studien von Medizinern, stecher Antonio Serantoni (1780–1837) sondern auch während des 18. Jahrhun- meisterhaft ausgeführt und sind von außer- derts zunehmend Verbreitung findende gewöhnlicher Genauigkeit und hoher Papaya, Tafel VII aus: Christoph Jacob Figuren, welche ausschließlich Skelett und künstlerischer Qualität. Mit dem übergro- Trew: Plantae selectae … Augsburg: Haid 1750–1792 Muskulatur zeigen. Solch einen „Muskel- ßen Format und den Abbildungen in neo- (Signatur: gr. 2° Ma 8475 : R) mann“ (Écorché) stellt auch Mascagni in klassizistischer Manier entspricht das Werk dem Geschmack der Zeit und belegt auf eindrückliche Weise den hohen Standard der anatomischen Buchillustration in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.

Eine ähnliche Symbiose von Kunst und Natur findet sich in den Pflanzenbildnissen von Georg Dionysius Ehret (1708–1770), einem der berühmtesten Pflanzenmaler seiner Zeit. Ehret fertigte im Auftrag des Nürnberger Arztes und Gelehrten Chris- toph Jacob Trew (1695–1769), welcher die „Plantae selectae“ in Lieferungen zu je 10 Blättern herausgab, Zeichnungen von besonders attraktiven und seltenen Pflan- zenarten an. Ehret war ursprünglich Gärt- ner, ehe er zum Zeichnen der Pflanzen kam. Sein botanisches Wissen und sein zeichnerisches Können versetzten ihn wie kaum einen anderen in die Lage, das Spezi- fische einer Pflanzenart zu erkennen und im Bild festzuhalten. Dabei bilden die Dar- stellungen nicht ein Individuum ab, son- dern fassen alle typischen Merkmale in der Zeichnung zusammen, zeigen quasi den Grundtypus der entsprechenden Art. So kommt es zum Beispiel, dass Blüten neben Früchten zu sehen sein können, obwohl dies in der Natur nicht vorkommt. Die so idealisierten Pflanzenbilder zeigen also eine Summe von typischen Eigenschaften, und *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 27

BIbliotheks m agazin

27

in dieser Gesamtheit wurden sie schon dung des Verlags konnten dieses und die von den Zeitgenossen Ehrets als schön anderen genannten Werke sowie weitere empfunden. Auch in der Gegenwart gelten drei Bände aus den Sondersammlungen die „Plantae selectae“ als eines der schöns- der Abteilung Historische Drucke restau- ten und prachtvollsten Pflanzenwerke riert werden. Die Einbände dieser Bücher überhaupt. waren zum Teil so stark beschädigt, dass eine Benutzung nur noch eingeschränkt Die bezaubernden Tafeln aus den „Plantae möglich war. Die Ledereinbände waren selectae“ dienen nun im laufenden Jahr schadhaft, die Buchrücken teilweise gelöst 2013 als Vorlage für die Kalenderblätter und einzelne Seiten gelockert. Durch eine des im DuMont Kalenderverlag erschei- aufwändige Restaurierung sind diese Schä- nenden „Botanischen Kabinetts“, einem den jetzt behoben. Wir möchten daher an großformatigen Kunstkalender, der bereits dieser Stelle dem DuMont Kalenderverlag seit 2008 in Kooperation des Verlags und ausdrücklich danken: Zum einen für die der Staatsbibliothek zu Berlin entsteht und langjährige gute Zusammenarbeit, die dessen Vorlagen aus wertvollen naturhis- immer wieder schöne Kalender hervor- torischen, reich bebilderten Werken stam- bringt. Zum anderen danken wir für die men. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit finanzielle Hilfe, die es uns ermöglichte, hat sich nun in besonderer Weise bezahlt diese schönen Bücher wieder in einen gemacht. Durch eine großzügige Zuwen- schönen Zustand zu versetzen.

Anzeige

DuMonts Botanisches Kabinett: Redoutés Rosen C. J. Trew 2014 (42,5 x 52,0 cm) Das Naturalienkabinett des Taschenkalender 2014 978-3-8320-2511-3 · 25,00 € Albertus Seba 2014 (68,5 x 49,5 cm) (11,3 x 16,3 cm) 978-3-8320-2550-2 · 40,00 € 42 508096 6 · 9,99 €

DUMONT Kalender Diese und viele weitere DuMont-Kalender fi nden Sie in Mehr als nur Ihrer Buchhandlung und unter www.dumontkalender.de 12 Bilder *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 28

BIbliotheks m agazin

28

„SILENTIUM, ODER DIE ANGST DES BEAMTEN …“

5. Werkstattkonzert: Eine Musiklesesaalerkundung

Dr. Reiner Nägele Er klopft an die Regalwände, an Scheiben, Werkstattkonzert in 2013 aus einer kunst- ist Leiter der Musikabteilung der kratzt über Tischplatten, zieht Schubladen widrigen Einmischung heraus geboren: Bayerischen Staatsbibliothek auf und wirft sie lärmend wieder zu, streicht „Silentium, oder die Angst des Beamten vernehmlich über Buchrücken, zupft an vor dem Präzendenzfall. Eine Musiklese- den Stahlseilen des Treppengeländers zur saalerkundung für Fortgeschrittene und Galerie. Professor Cornel Franz, Leiter Anfänger“. des Studiengangs Regie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding, lauscht Eine eigentümliche Idee begann sich an immer wieder versonnen den verschiede- diesem Abend zu konkretisieren: Der Plan nen Klängen und Geräuschen, die in unse- zu einer künstlerischen Raumerkundung, rem Lesesaal Musik, Karten und Bilder einer Expedition, inspiriert durch das Lese- hörbar sind (Aufzug, Drucker, Telefon, saal-Junktim der Abteilung Musik mit der Schritte) oder die er selbst durch seine Abteilung Karten und Bilder, mit musikali- Aktionen provoziert. Ein dreirädriger Bü - scher Ausrüstung freilich. Dabei hatte alles cherwagen weckt seinen Spieltrieb. Un - zunächst ganz unverdächtig begonnen. ermüdlich schiebt er das antike Vehikel über die Türschwelle am Eingang zum Anschließend an den Besuch des 3. Werk- Lesesaal hin und her, es holpert und klap- stattkonzerts mit dem Jazztrompeter Claus pert, die innen liegenden Bücher schlagen Reichstaller im November 2011 (Biblio- gegen den Wagenboden und die Wände. theksmagazin 3/2011) schlug Joachim Prof. Franz ist sichtlich beglückt und zu - Tschiedel vor, „Irgendetwas“ gemeinsam gleich traurig: „Das ist wohl die einzige mit der Theaterakademie in diesem Raum Schwelle im Raum?“ Sein Bedauern ist tief zu veranstalten. Tschiedel, Leiter der Stu- empfunden, wenn auch rein künstlerisch dienrichtung Musiktheater an eben dieser motiviert, dass hier alles so „behinderten- und von der Presse gefeierter Dirigent, gerecht“ gestaltet sei. Als er anfängt, das hatte die besondere Atmosphäre bei Geländer zu manipulieren, um die Stahl- dem multimedialen Konzert, die effektvoll seile Gitarrenseiten gleich „zu stimmen“, zwischen konventionellem Lesesaal und wage ich einzuschreiten, werde aber vom konzerttauglichem Veranstaltungssaal Assistenten zurück gehalten. Man dürfe, so changiert, begeistert, jene eigentümliche sein Famulus mit Nachdruck, Herrn Pro- Mischung aus bibliothekarisch geforder- fessor in seiner Inspirationsphase – bitte- tem Mobiliar wie hölzernen Bücherrega- schön! – nicht stören. Und so wurde der len, alten Tischen, einer Sammlung von Titel der Veranstaltung für unser erstes Globen, antiquierten Mikrofichegeräten, *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 29

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 30

BIbliotheks m agazin

30

lung, gemeinsam mit Joachim Tschiedel als musikalischem Ideengeber und dem Leiter der Musiksammlung als bibliothekarischem Berater ein eigenes Stück zu entwickeln.

Bei einer der vielen nächtlichen Treffen, in denen das Projekt im gemeinsamen Gespräch, im Befragen und Diskutieren zunehmend Gestalt annimmt, erzählt mir Prof. Franz von seinem Dorf im Allgäu, in dem er zeitweilig wohnt. Dort hat er mit den Dörflern auf ihren Wunsch hin Thea- ter gemacht, und zwar nicht im herkömm- lichen Sinne eines Bauerntheaters. Er ließ im Wald Musikapparate und Lautsprecher modernen Computern, zweier eindrucks- verteilen; und beim anschließenden Gang voller Galerien, einem Selbstabholer - durch die Natur wurde dem Publikum das bereich und einer raumgreifenden Ausleih- so Vertraute plötzlich mysteriös, der all- theke einerseits, und künstlerischen: einer täglich gedankenlos bewirtschaftete Raum Bühne, einem Bösendorfer-Flügel, spe - – der profane Ort – war verzaubert, in zieller Beleuchtungsinstallation und der gewisser Weise sogar geheiligt. Kunst, so Möglichkeit zur Umwidmung des Galerien- verstehe ich Cornel Franz, darf nicht als aufgangs zur Showtreppe andererseits. Apologie missbraucht werden, zur Beruhi- Cornel Franz ließ sich ebenso rasch über- gung, um Gewissheit zu schaffen und das zeugen, ein Textbuch für eine moderne längst Vertraute zu bestätigen, sie soll statt- Kammeroper wurde zur Begutachtung dessen kreativer Anlass für neue Erfah - vorgelegt, fand jedoch keinen Fürsprecher. rungen sein, soll für Überraschung sorgen, Und so reifte in Cornel Franz die Vorstel- für Verzücken, Erstaunen und Erschre- cken, und sie soll dem scheinbar Zufälli- gen, nicht zu Erwartenden, der Epiphanie eine Chance geben, zumindest für den kurzen Moment der künstlerischen Perfor- mance. Poetisches Assoziieren statt plum- pem Erklären: Unser repräsentatives Lite- ratur- oder Interpretationstheater könnte nicht ferner sein.

Entsprechend entwickelte sich auch das Stück „Silentium“ in der Entstehungsphase, ja, noch in den Proben bis zur Premiere am 12. April aus einer scheinbar willkür - lichen Reihung assoziativer Momente zu einem dramaturgisch geschlossenen Gan- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 31

BIbliotheks m agazin

31

zen. Auch das Thema, sofern man davon erheischen akustischen Eintritt. Wie kann sprechen kann, fand den Weg von dem der Saal sich dieser Geister erwehren, ursprünglich spielerischen Konzept, die die versuchen sich durch geheime Türen, Klänge des Raumes zu erkunden, hin zu schlecht schließende Fenster, über Gale- einem grundsätzlich kreativen Nachden- rien, Treppen und mit Hilfe eines rumpeln- ken über die Unvereinbarkeit gleichzeiti- den Aufzugs akustischen Eintritt zu ver- gen Musikstudierens und Musikmachens. schaffen?“

Die Antagonie von Verpflichtung zur Stille Auf diese Weise erlebten die Besucher in einem Lesesaal und der realen, nicht sel- der Premiere und der beiden folgenden ten phongewaltigen Musik als Ausdruck Aufführungen am Samstag und Sonntag von Lebensfreude motivierte die monate- eine Art „szenisches Konzert“, das den lange künstlerische Genese. Schließlich ist gesamten Raum als Spielstätte nutzte; mit es die Musik in ihrer vitalen Form, die in Tableaus auf der Bühne, surrealen Aktio- lautloser Gestalt der dort studierten No - nen auf den Galerien und der Treppe, tenblätter den Lesesaal erst eigentlich zu Aufzugfahrten, einer Magazinbegehung per dem macht, was er ist: Zu einem Musik- Videoeinspielung, Rezitationen, Tanz und (Fotos: Regine Heiland) saal nämlich, mit Betonung auf Musik, und Pantomime und vor allem mit zahlreichen nicht primär zu einem Lesesaal, mit Beto- musikalischen Elementen: gesungenen nung auf Lesen. Gäbe es keine Noten, Arien, Liedern, Gitarrenkompositionen, bräuchte es auch keinen solchen Lesesaal. Streichquartettmusik (u. a. Paul Hinde- Doch ist ein Notenblatt schon Musik? Sind miths „Ouvertüre zum ‚Fliegenden Hollän- Partituren, die nicht zum Erklingen führen, der‘, wie sie eine schlechte Kurkapelle überhaupt als Musik zu bezeichnen? Er - morgens um 7 Uhr am Brunnen vom Blatt setzt ein Bauplan schon das Bauwerk, eine spielt“), Posauneneinwürfen aus dem Flur, Gebrauchsanleitung bereits das zu Gebrau- Ernst Tochs „Fuge aus der Geographie chende? für sprechenden Chor“, und zahlreiche Musikstücke und Musikelemente mehr. Mit den Worten von Cornel Franz: „Es Regie führte Clara Hinterberger. Es sangen geht zum Einen darum, die vorhandenen und spielten Studierende der Bayerischen Klänge des Musiklesesaals der Bayerischen Theaterakademie August Everding sowie Staatsbibliothek zu entdecken, zu erkun- der Hochschule für Musik und Theater den, zu extrahieren, anders zusammen zu München (Studiengang Regie und Studien- setzen und dadurch einen Teil des uns gang Musiktheater). Allen bekannten Gebäudes so kennen zu lernen, wie wir es bis dahin noch nicht Wollen und sollen die Werkstattkonzerte gehört haben. Zum anderen ist gerade der in erster Linie auf unentdeckte oder ver- Musiklesesaal im Jahre 2013 umzingelt von schollene Bestände unserer reichen Musik- Jubilaren: John Dowland (* 1563), Franz sammlung aufmerksam machen, so konn- Danzi (* 1763), Richard Wagner (* 1813), ten wir mit diesem einmaligen Projekt in Giuseppe Verdi (* 1813), Franz Schubert eindrucksvoller Weise den Lesesaal Musik, († 1828), Ernst Toch (* 1887), Benjamin Karten und Bilder selbst thematisieren. Britten (* 1913), Paul Hindemith († 1963) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 32

BIbliotheks m agazin

32

GEBRAUCHSANWEISUNGEN FÜR DEN DIGITALEN DSCHUNGEL

Der dritte e-day der Staatsbibliothek zu Berlin

Belinda Jopp Kurz vor neun am Morgen des 16. April cher durch die weitläufige ehemalige Ka - ist Fachreferentin für 2013 in der Eingangshalle des Hauses an taloghalle des Gebäudes, die an diesem Geschichte und Koordinatorin für der Potsdamer Straße in Berlin: Zahlreiche Tag endlich wieder einmal richtig mit Le - Fachinformation emsige Helferinnen und Helfer treffen die ben gefüllt ist. Im Zentrum des Gesche- letzten Vorbereitungen. Rechner werden hens liegt eine ansonsten stillgelegte Aus- hochgefahren, Leinwände und Beamer kunftstheke; sie dient an diesem Tag als positioniert, Plakate und Hinweisschilder „Leitzentrale“: Hier laufen alle Fäden zu - geklebt, Programmhefte und Handouts sammen, hier findet das Publikum An - ausgelegt. Eine hochmoderne Kaffee - sprechpersonen für Fragen und Wünsche, maschine wird installiert und Tische wer- von hier gehen alle los, um sich auf die den mit geheimnisvollem buchbinderi- diversen Veranstaltungsräume zu vertei- schem Gerät bestückt. Staub gewischt und len. gefeudelt ist auch. Kurz vor zehn ist alles bereit für den Start des dritten e-day an Denn in vier Räumen unterschied licher der Staatsbibliothek. Größe und Ausstattung findet am e-day das Hauptprogramm statt: Zeitgleich wer- Lebendiger Wegweiser: Markus Ybañez an der alten Katalog- Schon seit der Öffnung des Hauses schlen- den jeweils vier Kurzvorträge zu diversen auskunft dern zahlreiche Besucherinnen und Besu- Themen und Fachgebieten angeboten. Das Publikum hat unter anderem die Wahl zwischen „Lost and found? – Wege zur wissenschaftlichen Information im Netz“ oder „Schneller in die Vergangenheit: E-Ressourcen für die Geschichtswissen- schaft“ bzw. „Musikwissenschaft in bits and bytes – digitale Recherchemöglichkei- ten im World Wide Web“.

Die insgesamt 32 Präsentationen haben nur eines gemeinsam: Sie dauern nicht län- ger als 30 Minuten. Ansonsten haben die Kolleginnen und Kollegen weitgehend freie Hand, wenn es darum geht, die Zuhörer- schaft zu überzeugen, ganz überwiegend auch zu begeistern von der Fülle des elek- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 33

BIbliotheks m agazin

33

tronischen Angebotes dieser Bibliothek. In diesen 30 Minuten geht es darum, neugie- rig zu machen auf die Inhalte von Daten- banken oder Suchmaschinen, deren Na - men zumeist nicht vermuten lassen, wie viel unentbehrliche Information in ihnen steckt: Da gibt es zum Beispiel BASE, die Bielefeld Academic Search Engine, mit deren Hilfe Suchende Zugriff auf fast 50 Millionen frei im Netz verfügbare Dokumente ha - ben. Oder das riesige Web of Science, in dem man mit wenigen Klicks feststellen kann, wie oft und von wem ein Aufsatz zitiert wurde oder was die darin zitierten Autorinnen und Autoren sonst noch alles geschrieben haben – alles ganz ohne das Durchblättern dicker Zeitschriftenbände ab und zu eines der zahlreichen fachspezi- Belinda Jopp präsentiert Datenbanken oder Bibliographien. Es gibt aber auch Pro- fischen elektronischen Nachschlagewerke zur Geschichte metheus, ein riesiges Bildarchiv, das es For- nutzen. Es kommen Masterstudierende, schenden ermöglicht, eigene Sammlungen die erkennen, dass sie mit Hilfe der pas- von Objekten anzulegen, um diese dann senden Aufsatzdatenbank so schnell eine gemeinsam mit anderen zu bearbeiten Vielzahl von aktuellen Publikationen für ihr oder zu präsentieren sowie auch ganz spe- Referat finden, dass sie mit dem Lesen zielle Systeme, die Expertinnen und Exper- nicht mehr nachkommen werden. Und es ten dabei helfen, den Einband eines alten kommen Doktorandinnen und Doktoran- Buches zu datieren oder ein Wasserzei- den, die begeistert feststellen, wie bequem chen zuzuordnen. sie mit digitalisierten Zeitungen oder Bü - chern zu Hause am eigenen Schreibtisch Für jeden ist etwas dabei an diesem Tag, arbeiten können. für Datenbank-Neulinge ebenso wie für alte Häsinnen und Hasen auf dem Gebiet Nicht weniger willkommen sind am e-day der elektronischen Recherche. Am Ende auch die zahlreichen Kolleginnen und geben alle zu, (wieder) etwas Neues dazu- Kollegen aus anderen Berliner und Bran- gelernt zu haben, einen neuen Weg zu denburger Bibliotheken, die sich oft den kennen, um schnell an Literatur zu kom- ganzen Tag Zeit nehmen, um ihr Wissen men oder eine neue Quelle aufzutun. aufzufrischen oder Neues zu erfahren, um es dann am Arbeitsplatz für die eigenen Es kommt der Lehrkörper mit der Schü- Recherchen zu verwenden oder ihrer lerschaft, damit diese endlich einsieht, dass „Kundschaft“ später noch kompetenter eine Suche bei Google nicht immer zum weiterhelfen zu können. Der e-day vermit- Ziel führt. Es kommen Erstsemester, die telt also nicht nur Informationskompetenz, vielleicht von nun an nicht mehr blind der sondern er hat sich zunehmend auch als Wikipedia vertrauen, sondern wenigstens Fortbildungsveranstaltung etabliert. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 34

BIbliotheks m agazin

34

Denn nichts anderes ist die Aufgabe des e-days: in einem etwas anderen Format die Möglichkeiten elektronischer Ange- bote aufzuzeigen und für deren Nutzung zu werben. Er soll die Zuhörerschaft da - von überzeugen, dass es sich lohnt, etwas intensiver zu recherchieren, tiefer einzu- tauchen in die Welt der Datenbanken, Suchmaschinen und Portale, um am Ende eine prall gefüllte Literaturliste, aktuelle Aufsätze oder neue Forschungsdaten auf einem USB-Stick zu speichern oder mit einem gerade eingerichteten persönlichen Account die Gewissheit zu haben, von nun an wöchentlich über die neuen Publikatio- nen des eigenen Faches informiert zu wer- Gut besuchte Vorträge in allen Räumen: Und eine weitere Personengruppe sei hier den. Überzeugen will der e-day aber auch Sabine Teitge schult Web of Science besonders erwähnt: Die zahlreichen Aus- Bibliothekarinnen, Bibliothekare und Ent- zubildenden und Studierenden des eigenen scheidungsträger, dass es sich lohnt, wei- Berufsstandes, die, ob nun aus freien Stü- ter in elektronische Ressourcen zu inves- cken oder nach wohlwollender Ermunte- tieren, Lizenzen für den virtuellen Zugriff rung, am e-day im Schnelldurchlauf viel zu finanzieren, sich für Repositorien und Neues kennenlernen und sich anschauen Forschungsumgebungen zu engagieren, um können, wie die Fachreferentinnen und so das Dienstleistungsangebot der Biblio- Fachreferenten der Wissenschaftlichen thek gerade im elektronischen Bereich Dienste der Staatsbibliothek, aber auch weiter auszubauen. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen in einer „Tour de Force“ prä- Doch der e-day hat auch eine andere Seite: sentieren und erklären, quasi einer Dauer- Er ist ein Event, das dazu beitragen soll, die

Herkunft der teilnehmenden Personen werbesendung gleich ihre elektronischen Staatsbibliothek für Menschen weiterhin in der grafischen Darstellung Schätze anpreisen. attraktiv zu halten, die heute schon über- wiegend in der virtuellen Welt zu Hause sind, für die Smartphones und Tablets so selbstverständlich sind wie Kühlschrank und Dusche, und die nur noch dann eine Bibliothek aufsuchen, wenn sie dort aus- nahmsweise mal ein echtes Buch ausleihen müssen. Am e-day wird die Staatsbiblio- thek im besten Sinne zu einem Marktplatz, zu einem sozialen Raum, in dem nicht nur Wissen und Information vermittelt werden, sondern der auch ein Forum für den Aus- tausch über Inhalte und Methoden bietet. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 35

BIbliotheks m agazin

35

Auch in diesem Jahr ergänzte wieder ein vielfältiges Rahmenprogramm die Vor- träge: Kleine Rundgänge durch die Maga- zine und den Lesesaal ermöglichten Ein - blicke hinter die Kulissen des „Bücher- schiffes“, eine Online-Dauerpräsentation zeigte die frei im Netz recherchierbaren Kostbarkeiten der Bibliothek.

Doch auch die Freundinnen und Freunde des klassischen Buches kamen diesmal auf ihre Kosten: Buchbinder-Auszubildende der Staatsbibliothek verlegten für diesen Tag ihren Arbeitsplatz in die Kataloghalle und führten traditionelle buchbinderische Arbeitstechniken vor. Sie erläuterten, wie jeweiligen Nähkästchen plaudern. Dabei Die Auszubildende zur Buchbinderin Einbände hergestellt werden, wie viel ging es weniger um bestimmte Forschungs- Lisa Specht zeigt, wie eine Präge- maschine funktioniert Handarbeit immer noch in einer guten fragen, sondern vielmehr um das „Wie“ Bindung steckt, und wie aufwändig und des wissenschaftlichen Arbeitens: Wie zeitintensiv die Restaurierung von Büchern gehe ich bei der Recherche vor, wie nutze ist. Obwohl sich beim e-day eigentlich alles ich welche Quellen und Datenbanken, wie um elektronische Recherchemöglichkei- komme ich sonst noch an wichtige Infor- ten, Datenbanken und Zeitschriften dreht, mationen? Zum Abschluss des e-days dis- wurde durch die ausgestellten restaurier- kutierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ten Bücher klar, dass Bestandserhaltung in mit den Anwesenden über die Bibliothek Bibliotheken eine der zentralen Aufgaben von morgen. Jede und jeder aus dem

ist und bleiben muss. Als Highlight konn- Publikum hatte die Möglichkeit, auf die Attraktion auf Rädern: der Kaffeestand ten die Besucherinnen und Besucher gegen Bühne zu kommen und ein Statement zu von Mocador eine kleine Spende selbst Hand anlegen und sich ein Lesezeichen prägen. Der Erlös ging in die Erhaltung eines, wie man sich vor Ort überzeugen konnte, in der Tat äußerst restaurierungsbedürftigen Buches.

In diesem Jahr wollten die Organisatoren – ein gut eingespieltes Team aus Fachrefe- rentinnen und Fachreferenten und Refe- rendarinnen und Referendaren für den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst – ins- besondere auch den Austausch zwischen Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen. In der „Wissens-Lounge“ konnten For- schende in lockerer Atmosphäre aus ihren *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 36

BIbliotheks m agazin

36

Themen wie „Bibliothek im Jahr 2030“ und Kaffeestand wird abmontiert, und bald die Chancen und Risiken der grenzenlosen erinnert in der großen Halle in der Potsda- Information abzugeben. mer Straße nichts mehr an den turbulen- ten Tag. Nur in einer Ecke steht noch ein Während die einen noch eifrig diskutieren, Häuflein Aufrechter beisammen und über- beseitigen die eingangs erwähnten emsigen legt, was man im nächsten Jahr wieder Helferinnen und Helfer bereits die letzten genauso machen kann, was man anders Spuren des diesjährigen e-days, an dem machen sollte, und welche der zahlreichen wieder fast 700 Personen teilgenommen Anregungen der Besucher man unbedingt haben. Aufsteller und Plakate werden ent- noch aufgreifen müsste – denn nach dem fernt, der extra für diesen Tag aufgebaute e-day ist schon wieder vor dem e-day.

BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK GASTGEBER DER INTERNATIONALEN LIBER-KONFERENZ 2013

Martin Hermann Vom 26. bis 29. Juni 2013 fand in Mün- mehr als 40 Ländern aus Europa und der ist Direktionsassistent in der chen die 42. jährliche Konferenz der Ligue ganzen Welt im Kardinal-Wendel-Haus Bayerischen Staatsbibliothek des Bibliothèques Européennes de Recher- am Englischen Garten zum bibliothekari- che (LIBER) statt. Unter dem Motto „Re - schen Informationsaustausch zusammen. search Information Infrastructures and the Die Bayerische Staatsbibliothek als diesjäh- Future Role of Libraries“ kamen über 400 rige Gastgeberin der Konferenz zeichnete Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus für den reibungslosen Ablauf des Fachpro-

An der Konferenzregistrierung im Kardinal-Wendel-Haus *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 37

BIbliotheks m agazin

37

gramms und das gelungene Rahmenpro- gramm verantwortlich.

LIBER-Präsident Paul Ayris und Dr. Rolf Griebel, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, begrüßten die Teilneh- merinnen und Teilnehmer. Für den Eröff- nungsvortrag der Konferenz hatte die Bayerische Staatsbibliothek den Präsiden- ten der Deutschen Forschungsgemein- schaft Prof. Dr. Peter Strohschneider ge - winnen können. Strohschneider setzte sich in seinem Festvortrag mit der aktuel- len Rolle von Bibliotheken in Zeiten des technologischen Wandels auseinander. Conference Meetings statt, zu denen Be - Dr. Rolf Griebel bei der Eröffnungs- Weitere, von LIBER speziell für diese Ta - sprechungen der verschiedenen LIBER- veranstaltung gung eingeladene Referenten waren der Gremien, eine öffentliche Sitzung von Wissenschaftsverleger Jan Velterop, die SPARC Europe sowie ein von LIBER orga- UKOLN-Direktorin Liz Lyon, der EU- nisiertes Seminar für Führungskräfte ge - Koordinator für elektronische Dateninfra- hörten. In der LIBER-Generalversammlung struktur Carlos Morais Pires und Geolo- schließlich berichteten die Vorstandsmit- gieprofessor Geoffrey Boulton von der glieder zu den Aktivitäten von LIBER im Edinburgh University. Jahr 2012, außerdem wurden die turnus- mäßigen Vorstandswahlen abgehalten. Die Neben diesen eingeladenen Rednern hatte LIBER-Konferenz wurde zudem von einer das LIBER-Programmkomitee 35 Vorträge kleinen Fachausstellung begleitet. Dabei

und 20 Posterpräsentationen aus dem war der große Teil der Ausstellung für die Workshop der Steuerungsgruppe Call for Papers ausgewählt. Die Vorträge LIBER Sponsoren reserviert. An acht Stän- „Advocacy and Communications“ deckten ein breites Spektrum der für wissenschaftliche Bibliotheken derzeit be - deutenden Themen ab. Das Konferenz- programm inklusive Abstracts, Kurzbiogra- phien sowie die Präsentationsfolien der Vorträge und Poster kann auf der LIBER 2013-Website nachgelesen werden (www.liber2013.de).

Zusätzlich zu den Fachvorträgen hatten die Konferenzbesucher im Rahmen der dreitägigen Konferenz die Gelegenheit, an einem von sechs Workshops teilzuneh- men. Außerdem fanden in den Tagen vor der eigentlichen Konferenz einige Pre- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 38

BIbliotheks m agazin

38

oben links: den bot sich die Gelegenheit, sich mit den schen Couperin Konsortium und Timo Konferenzdinner im Augustinerkeller Partnern aus dem Verlags- und bibliothe- Borst von der Deutschen Zentralbiblio- karischen Dienstleistungsbereich zu unter- thek für Wirtschaftswissenschaften. Neben oben rechts: Dr. Rolf Griebel, Prof. Dr. Peter Stroh- halten. dem LIBER Award wurde ein Publikums- schneider preis für das beste Poster der Konferenz Wie schon in den Jahren zuvor vergab vergeben, der an Kristina Pai und Anneli das Programmkommittee auch 2013 wäh- Sepp von der Universitäts bibliothek in rend der Konferenz einen LIBER Award Tartu, Estland, ging. für Bibliotheksinnovation. Dieses Jahr ging der LIBER Award an Olli Nurmi vom VTT Erfreulicherweise wurde neben den LIBER- Seite 39: Die LIBER-Teilnehmer beim Empfang Technical Research Centre of Finland, Preisträgern auch die Teilnahme einer in der Bayerischen Staatsbibliothek Sébastien Respingue-Perrin vom französi- Reihe von Bibliothekskolleginnen und -kol-

Bayerisches Brauchtum beim Konferenz- dinner *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 39

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 40

BIbliotheks m agazin

40

Das festlich illuminierte Treppenhaus legen aus zumeist ost- und mittelosteuro- beim LIBER-Empfang päischen Ländern finanziell unterstützt. LIBER schüttete Mittel aus dem jährlichen Konferenzfonds an acht ausgewählte Teil- nehmerinnen und Teilnehmer aus, die Bayerische Staatsbibliothek in Kooperation mit der Bayerischen Staatskanzlei vergab 12 Konferenzstipendien und Bibliothek & Information International bezuschusste die Teilnahme von sechs Konferenzbesuche- rinnen und -besuchern.

Neben den Fachvorträgen und dem offi- ziellen Programm wurde die LIBER-Tagung von einem Kultur- und Unterhaltungspro- gramm begleitet. Eigens für die Konferenz wurde die Schatzkammer-Ausstellung „Buchschätze der Wittelsbacher“ konzi- piert. Präsentiert wurden 24 hochrangige renzempfang am darauffolgenden Tag fand Objekte, die aus dem Besitz des Hauses im festlich dekorierten und illuminierten Wittelsbach, das in Bayern von 1180 bis Treppenhaus der Bayerischen Staatsbiblio- 1918 regierte, stammen. Zu sehen waren thek statt. Dort diskutierten die Teilneh- kostbare Handschriften mit herausragen- merinnen und Teilnehmer in launiger der Buchmalerei, darunter das Kleinodien- Atmosphäre ausgiebig das Tagungsgesche- buch der Herzogin Anna, die Bußpsalmen hen oder nahmen an einer der verschiede- von Orlando di Lasso oder die sogenannte nen Touren durch die Bibliothek teil. Zu - Ottheinrich-Bibel. Das offizielle Dinner im dem gab es während der Konferenz die Augustinerkeller gab einen Einblick in baye- Gelegenheit, die Münchner Bibliotheks- rische Küche und Brauchtum. Der Konfe- szene durch Besichtigungen von Bibliothe- ken der Ludwig-Maximilian-Universität, der Technischen Universität und des Deut- schen Museums kennen zu lernen. Den Abschluss des Kulturprogrammes bildeten zwei Exkursionen zum Schloss Linderhof und nach Benediktbeuren.

LIBER wurde 1971 gegründet und ist das größte Netzwerk europäischer wissen- schaftlicher Bibliotheken. LIBER organisiert seine Tagung in Zusammenarbeit mit jähr- lich wechselnden Gastgebern. 2014 wird die LIBER-Konferenz Anfang Juli im letti- schen Riga stattfinden. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 41

BIbliotheks m agazin

41

„DURCH DANK UND DURCH REUE“

Die Staatsbibliothek zu Berlin widmet ihren Ausstellungsraum dem Andenken Dietrich Bonhoeffers

Der neu gestaltete Eingang zum Dietrich-Bonhoeffer-Saal (Foto: Carola Seifert)

Die Staatsbibliothek zu Berlin ist nicht nur mank (1919–2009), dem Philharmonie Dr. Mareike Rake ein Ort des stummen Dialogs der Bücher, und Staatsbibliothek vor allem ihre einzig- ist Fachreferentin für Theologie an der Staatsbibliothek zu Berlin sondern sie gibt auch mehr oder weniger artigen „Philharmonieleuchten“ verdan- geräuschvollen wissenschaftlichen Diskus- ken. sionen, Konferenzen, Vorträgen, Ausstel- lungen, Konzerten und anderen öffent - Seit dem 9. April 2013 trägt auch dieser lichen Veranstaltungen Raum. Dafür nutzt Raum einen großen Namen. Die Staats - sie in ihrem Haus am Kulturforum in der bibliothek widmete ihn dem Andenken Potsdamer Straße drei Säle: den großen des Theologen und Widerstandskämpfers „Otto-Braun-Saal“ mit Bühne und aufstei- Dietrich Bonhoeffer, der genau 68 Jahre gender Bestuhlung, den kleineren zum zuvor, am 9. April 1945, im Lager Flossen- Ibero-Amerikanischen Institut gehörigen bürg auf Befehl Adolf Hitlers hingerichtet „Simón-Bolívar-Saal“ und den von der Ein- wurde. Seit 1996 verwahrt die Staatsbiblio- gangshalle aus zugänglichen 325 qm gro- thek den Nachlass Dietrich Bonhoeffers in ßen und bislang schlicht sogenannten Aus- ihrer Handschriftenabteilung. stellungsraum. Dessen Wandgestaltung ist Kunst am Bau, entworfen durch den Aus Anlass seiner Namensgebung füllte Architekten und Designer Günter Ssym- sich der Dietrich-Bonhoeffer-Saal bis auf *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 42

BIbliotheks m agazin

42

den letzten Platz. Dass der Festvortrag an ser, Begegnungs- und Kulturzentren den diesem Abend im Gedenken an Leben und Namen Dietrich Bonhoeffers gegenwärtig, Wirken Bonhoeffers durch den Botschaf- und künftig wird dies auch der Ausstel- ter der Vereinigten Staaten von Amerika, lungsraum der Staatsbibliothek zu Berlin S.E. Philip D. Murphy, gehalten wurde und mit jeder dort angekündigten Veranstaltung dass auch die Botschaften mehrerer ande- tun. rer Länder ihre Vertreter entsandt hatten, zeugt von der großen Bedeutung Bonhoef- Auf eigene Weise erfüllt diese Aufgabe fers auch außerhalb Deutschlands und bereits seit mehr als zehn Jahren eine Bon- ganz besonders in den USA. hoeffer-Büste des österreichischen Bild- hauers Alfred Hrdlicka (1928–2009). Auf- Generaldirektorin Barbara Schneider- gestellt mitten in der Eingangshalle der Kempf betonte in ihrer Begrüßung, das Staatsbibliothek und hier längst fest etab- Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1924 (Foto: bpk/Staatsbibliothek zu Berlin) Erbe Dietrich Bonhoeffers zu hüten sei lierter Treffpunkt für alle im Haus stattfin- eine auf viele Schultern verteilte Aufgabe. denden Schulungen und Führungen, lässt Vor allem die Kirche, aber auch Universi- sie keine Besucherin und keinen Besucher täten, Schulen und Volkshochschulen be - unbeeindruckt passieren. Sie hält das Ge - mühten sich, die Erinnerung wach zu hal- denken an Dietrich Bonhoeffer wach und ten und das Andenken zu pflegen. Doch will zugleich ein Mahnmal sein, als, wie Alt- auch die Staatsbibliothek zu Berlin als bischof Wolfgang Huber anlässlich ihrer Hüterin des schriftlichen Nachlasses ver- Aufstellung sagte, „beklemmendes Be - stehe sich als wichtige Bewahrerin des kenntnis zum Widerstand“. Gedenkens. Der Botschafter der Vereinigten Staa- Zur lebendigen Erinnerung gehöre auch Die Büste findet nun, einmal um die Ecke ten von Amerika Philip D. Murphy hielt die Präsenz in der Alltagskultur. So halten gerückt, neben dem Eingang zum Dietrich- den Festvortrag im Gedenken an Leben und Wirken Dietrich Bonhoeffers in Deutschland bereits unzählige Plätze, Bonhoeffer-Saal Platz, und wer jetzt bei (Foto: Carola Seifert) Straßen, Schulen, Kirchen, Gemeindehäu- geschlossener Tür davor steht, sieht sich Bonhoeffer gleich zwei Mal gegenüber: links dem massiven in Stein gehauenen Porträtkopf Hrdlickas und vorn einem überlebensgroßen Porträtfoto Bonhoef- fers, das als transluzenter Folienabzug auf einen Flügel der gläsernen Eingangstür auf- gebracht wurde. Zwei Porträts, wie sie unterschiedlicher kaum sein können: Die Büste ein zeichenhaft unvollendetes, fast unheimliches Monument aus schwerem Marmor mit dem Strick um den Hals; das Foto ein Jugendbild Bonhoeffers, der einem hier ergreifend lebendig direkt in die Augen blickt. Das Nebeneinander die- ser beiden so un terschiedlichen Bonhoef- fer-Porträts stellt einem die Tragik des *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 43

BIbliotheks m agazin

43

brutal vor der Zeit abgebrochenen Lebensweges überdeutlich vor Augen.

Drei Säle, drei Namen: Simón Bolívar (1783–1830), der Nationalheld Südameri- kas im Kampf gegen die spanische Kolo - nialmacht – Otto Braun (1872–1955), der Held des sozialdemokratischen Preußen – und Dietrich Bonhoeffer, als Widerstands- kämpfer gegen die nationalsozialistische Diktatur auch er ein Held? Nach den Worten des Botschafters Murphy besteht daran kein Zweifel. Murphy bekannte sich in seiner Rede zu seinen persönlichen Hel- den und stellte Dietrich Bonhoeffer hier in Freundes- und Fördervereins der Staats - Eine Vitrinenausstellung zeigte aus- eine Reihe mit Martin Luther King jr. (1929 bibliothek in großem Umfang restauriert gewählte Dokumente aus dem Nachlass Dietrich Bonhoeffers werden konnte. Eine Vitrinenausstellung bis 1968), mit der Bürgerrechtlerin Rosa (Foto: Carola Seifert) Parks (1913–2005), die sich 1955 gewei- zeigte ausgewählte Dokumente aus dem gert hatte, im Bus ihren Sitzplatz für einen Nachlass und führte den Betrachterinnen weißen Fahrgast zu räumen, und damit und Betrachtern mit Fotos aus Bonhoef- den Auslöser für die schwarze Bürger- fers Kindheit und Jugend, seiner Tauf - rechtsbewegung in den USA gab, und mit beschei nigung und einem Schulzeugnis, der US-amerikanisch-deutschen Wider- Briefen, Reiseberichten, Typoskripten poli- standskämpferin Mildred Harnack (1902 tischer Stellungnahmen und theologischen bis 1943), die als Mitglied der Wider- Manuskripten eindrucksvoll vor, wieviel standsgruppe „Rote Kapelle“ am 16. Feb- gewöhnliches und außergewöhn liches ruar 1943 im Strafgefängnis Berlin-Plötzen- Leben in der viel zu kurzen Lebensspanne see mit der Guillotine hingerichtet wurde. dennoch Platz fand. „Dietrich Bonhoeffer – „To stand up for what is right“, so fasste lebt!“ – mit diesem Kontrapunkt gegen Murphy zusammen, was diese besonderen den frühen Tod Bonhoeffers hob Weber Menschen auszeichne. Und er ermutigte die um so größere Bedeutung seines Wei- dazu, über dem tragischen Drama ihrer terlebens in seinen uns überkommenen Biographien ihr Heldentum als positives Gedanken und in unserer Erinnerung Vorbild für das eigene Leben und Handeln heraus. nicht zu vergessen. Den Einblick in die äußere Biographie Dr. Jutta Weber, stellvertretende Leiterin Bonhoeffers ergänzte Pfarrer Christhard- der Handschriftenabteilung der Staats - Georg Neubert, Direktor der Stiftung bibliothek, sprach über den Nachlass Bon- St. Matthäus – Kulturstiftung der Evange - hoeffers, der in den letzten Jahren durch lischen Kirche, durch die Lesung zweier großzügige Schenkungen und Erwerbun- Gedichte, die den Zuhörerinnen und Zu - gen weiter ergänzt und dank eines über- hörern einen bewegenden Einblick in die aus erfolgreichen Spendenprojektes des Innensicht Bonhoeffers erlaubten. Beide *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 44

BIbliotheks m agazin

44

Dank und Reue begleiten auch das Geden- ken an Dietrich Bonhoeffer. Die Dankbar- keit für den „Heldenmut“, den hellsichti- gen Lebens- und Todesmut, mit dem sich Menschen wie Bonhoeffer der mörderi- schen nationalsozialistischen Diktatur in den Weg stellten, wird die Beklemmung der Reue immer in sich tragen; sind wir knapp zwei Generationen nach dem Ende des Dritten Reiches doch alle Kinder ebenso der Täter wie der Opfer.

Dietrich Bonhoeffer – ein Held? Sicher. Doch mag man dies, in Deutschland, kaum anders als unterlegt mit brechtscher Dia- lektik denken: Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat. v. l. n. r.: Christhard-Georg Neubert, wurden von Bonhoeffer während der Haft Klaus G. Saur, Barbara Schneider- im Militärgefängnis Berlin-Tegel verfasst Im Anschluss an ein Grußwort des Vorsit- Kempf, Philip D. Murphy, Ingeborg und gehören damit zu den letzten von ihm zenden des Freundes- und Fördervereins Berggreen-Merkel (Foto: Carola Seifert) geschriebenen Texten. Das Anfang Juli der Staatsbibliothek, Senator eh. Prof. Dr. 1944, kurz vor dem fehlgeschlagenen mult. h.c. Klaus. G. Saur, wurde der Aus- Attentat auf Hitler entstandene Gedicht stellungsraum dann offiziell in „Dietrich- „Wer bin ich?“ offenbart Bonhoeffers Bonhoeffer-Saal“ benannt. Selbstzweifel und Zerrissenheit angesichts seines äußeren Anscheins heiterer Ruhe und Gelassenheit. Das zweite, weniger bekannte Gedicht „Vergangenheit“, als das ZUR UMSCHLAGABBILDUNG erste seiner Haftgedichte Anfang Juni 1944 einem Brief an Maria von Wedemeyer beigelegt, zeigt den hohen Rang, den Bon- Carl Maria von Webers autographe Rein- hoeffer seiner Vergangenheit zumaß, schriften wirken meist derart klar, dass ebenso aber die tiefe Angst, diese endgül- man kaum glauben kann, dass auch hier – tig zu verlieren. in der von der Berliner Staatsbibliothek Bonhoeffers „Vergangenheit“ endet mit erworbenen Partitur des zweiten Klavier- den Zeilen: konzerts – wohl ein Kompositionsmanu- „Vergangenes kehrt dir zurück skript vorliegt. Nach der Entwurfsphase als deines Lebens lebendigstes Stück übertrug der Komponist im Zuge der In - durch Dank und durch Reue. strumentierung seine Vorarbeiten in die Fass im Vergangenen Gottes Vergebung endgültige Partituranordnung und korri- und Güte, gierte nur noch minimal. Zu sehen ist ein bete, dass Gott dich heute und morgen Ausschnitt kurz vor dem Ende des dritten behüte.“ Satzes. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 45

BIbliotheks m agazin

45

KARL FRIEDRICH NEUMANN ALS SINOLOGE, ARMENIENFORSCHER UND UNIVERSALHISTORIKER

Aus Beständen des Referats für Nach- thek überliefert und dient als eine der Dr. Ingrid Rückert lässe und Autographen der Handschriften - Quellen für die Beiträge in dem von Yan ist Leiterin des Referats für Nachlässe und Autographen der abteilung und der Asienabteilung der Xu-Lackner herausgegebenen Begleitbuch Bayerischen Staatsbibliothek Bayerischen Staatsbibliothek wurde vom zur Ausstellung, das in der FAU University 25. Ok tober bis 7. Dezember 2012 an der Press in Erlangen erschienen ist. In den Universitätsbibliothek Erlangen die vom Beiträgen wird der Gelehrte als „vollkom- Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen und mener Freigeist“ porträtiert und von einem dem Lehrstuhl für Sinologie der Friedrich- Nachkommen aus familiengeschichtlicher Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Sicht gewürdigt. Die von Neumann be - konzipierte Ausstellung „Die Bücher des gründete chinesische Büchersammlung der letzten Kaiserreichs“ gezeigt. Der Titel Bayerischen Staatsbibliothek wird in ihrer bezieht sich auf den Ankauf chinesischer Entwicklung bis zur Gegenwart dargestellt. Bücher, die der Sinologe, Armenienfor- Danach folgen die Einzelbeschreibungen scher und Universalhistoriker Karl Fried- der Exponate auf Deutsch und Chinesisch. rich Neumann 1830 persönlich in Kanton erwarb. Karl Friedrich Neumann wird vermutlich am 28. Dezember 1793 in Reichmanns- Die handschriftliche Beschreibung dieser dorf bei als Sohn eines jüdischen Chinareise ist im Nachlass Karl Friedrich Hausierhändlers geboren. Sein genaues Neumanns in der Bayerischen Staatsbiblio- Geburtsdatum liegt nach seiner eigenen Auskunft zwischen 1792 und 1795. Nach seiner jüdischen Taufe trägt Neumann zunächst die Vornamen Isaak Lazarus als erster Sohn des Lazarus Löw oder Lipp- mann; den Namen Neumann nimmt er erst bei seiner evangelisch-lutherischen Taufe 1818 an, als Programm für ein neues Leben. Seine christlichen Vornamen leiten sich in der männlichen Form von seinen beiden Taufpaten her, denn seine Haupt- patin ist die protestantische Königin Frie- derike Karoline Wilhelmine, Ehefrau von König Maximilian I. von Bayern. Bei der

Taufe wird sie vertreten von Friedrich Karl Friedrich Neumann im Alter Wilhelm Thiersch als offiziellem zweiten (BSB: Foto- und Bildarchiv) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 46

BIbliotheks m agazin

46

vorübergehend trockene Rote Meer An - stoß erregt.

Freiberuflich entfaltet Neumann nun unge- hindert seinen grenzenlosen Wissensdrang und seine Reisetätigkeit. Sein wissenschaft- liches Hauptinteresse gilt von Anfang an der Weltgeschichte, deren Zusammen- hänge und mögliche Gesetzmäßigkeiten er zu ergründen sucht. Zu Hilfe kommen ihm dabei seine umfangreichen Fremdsprachen- kenntnisse. Bis zu seinem Lebensende erlernt er 15 Sprachen, und Bücher publi- ziert er außer auf Deutsch auch auf Eng- lisch und Französisch. Die Kenntnis selte- ner Sprachen, die er sich in rascher Folge Pocci: Neumann links, Elsholtz und Taufpaten. Thiersch gilt als der „Vater der aneignet, dient ihm dabei nicht nur zum Pocci rechts humanistischen Bildung“ und Begründer Quellenstudium, sondern auch zum Brot- (BSB: Cgm 8026) der philologischen Studien in Bayern; er erwerb. unterrichtet die königlichen Prinzessinnen und wird 1848 Präsident der Bayerischen Von August 1827 bis Frühjahr 1828 lernt Akademie der Wissenschaften. Neumann jedoch zunächst Armenisch in Venedig, auf der Insel San Lazzaro im Klos- So erhält Neumann Zugang zu den höchs- ter der Mechitaristen, einer Kongregation ten gesellschaftlichen Kreisen; später armenisch-katholischer Mönche. Bereits nimmt er an den wissenschaftlichen Sym- nach diesem halben Jahr wird er vor seiner posien des Kronprinzen Maximilian II. teil. Abreise zum Mitglied der Armenischen Zusammen mit Thiersch und dem Schrift- Akademie in Venedig ernannt. Im Frühjahr steller Franz von Elsholtz gehört er zu den 1828 beginnt Neumann am ersten euro- Gründern der „Gesellschaft der Zwang - päischen Lehrstuhl für Sinologie, dem losen“, in der sich ab 1837 die Münchner Collège de France in , Chinesisch zu Intellektuellen und Künstler treffen. Von lernen. Außerdem vertieft er seine Arme- den „Zwanglosen“ zeichnet der Maler nischkenntnisse und beginnt Persisch zu Franz Graf von Pocci zahlreiche Karikatu- studieren. Geld verdient er mit französi- ren; Neumann ist immer mit chinesischen schen und englischen Publikationen als Attributen versehen. Armenienspezialist. Bereits ein halbes Jahr später wird Neumann ordentliches Mit- Ab 1820 ist Neumann nach seinem Stu- glied der Société Asiatique, bald danach in dium der Philologie als bayerischer Gym- London auch Mitglied der Royal Asiatic nasiallehrer tätig, wird aber 1825 in den Society und des Oriental Translation Fund. Ruhestand versetzt, weil sein naturwissen- schaftlicher Erklärungsversuch für den bib- Nach London begibt sich Neumann im lischen Durchzug der Israeliten durch das Frühjahr 1829 auf der Suche nach weite- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 47

BIbliotheks m agazin

47

rem Material für sein geplantes Werk über London hat er für die Münchner Hofbiblio- Pocci: Neumann als Gallionsfigur, die Geschichte Asiens. Dort hört er von thek als Zwischenhändler Bücher erwor- links am Schiff (BSB: Cgm 8026) einem Kapitän der britischen East India ben. München geht im Vorfeld nicht auf Company, der auf seiner Schiffsreise nach seine Anfrage ein, doch die Königlich Preu- China einen Französischlehrer mitnehmen ßische Bibliothek in Berlin bewilligt ihm mit möchte. Neumann meldet sich sofort, aber Einverständnis des preußischen Kultus - als Nichtengländer erhält er erst nach lang- ministeriums im voraus 1.500 Reichstaler wierigen Verhandlungen 1830 ausnahms- zum Ankauf chinesischer Literatur und weise die Reiseerlaubnis, nominell als „ein- anderer wissenschaftlich interessanter Ge - facher Matrose“. Pocci zeigt Neumann genstände. Mit einer umfangreichen Biblio- schon auf einem kombinierten Dampf- graphie chinesischer Bücher, die er in gro- Segelschiff, das 1830 noch nicht erfunden ßen englischen Spezialbibliotheken erstellt war, dafür aber auf einer Nussschale, die hat, tritt Neumann am 17. April 1830 die Fährnisse der Reise versinnbildlicht. Im seine abenteuerliche, rund 15.000 Seemei- übertragenen Sinn kann Neumann auch als len lange Reise auf dem Segelschiff „Sir Gallionsfigur der Wissenschaft und Kultur David Scott“ um das Kap der Guten Hoff- in München gelten. nung herum nach China an.

In China will er originalsprachige Bücher Im Oktober 1830 kommt Neumann nach erwerben und in Deutschland weiterver- fast fünfmonatiger Fahrt in der europä - kaufen, denn schon in Venedig, Paris und ischen Faktorei vor Kanton an, der einzi- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 48

BIbliotheks m agazin

48

gen Enklave, in der westliche Kaufleute An Umfang und Vielseitigkeit übertreffen unter strengen Auflagen mit China Handel Neumanns Bücher alle bisherigen europä - treiben dürfen. Er erhält verbotenerweise ischen Sammlungen originalsprachiger chi- Sprachunterricht in Kantonesisch und nesischer Literatur, auch den mit 5.000 sogar zur Ansicht und Auswahl aus allen chinesischen Büchern größten Bestand der Fachgebieten Bücher, die ihm heimlich aus Bibliothèque Nationale in Paris. Deshalb der Stadt herausgebracht werden. Direkt möchte Neumann seine Sammlung, die aus Klosterdruckereien beschafft er bud - keine Dubletten enthält, ab Ende Mai 1831 dhistische und taoistische Werke. In einem am liebsten als geschlossenes Ganzes ver- knappen Vierteljahr erwirbt Neumann kaufen, doch dies misslingt. Die Preußische neben Ethnographika, Münzen und Musik- Bibliothek in Berlin übernimmt 1832 nur instrumenten insgesamt rund 6.000 Bände, 2.410 Bücher im Gegenwert der Vor- „worunter die seltensten und kostbarsten schusszahlung. Die restlichen rund 3.500 Werke der chinesischen Literatur alter Bücher werden nach persönlicher Inter- und neuer Zeit“, wie er in seinen Auf- vention König Ludwigs I. am 5. März 1833 zeichnungen von 1863 schreibt. Erst nach für den bayerischen Staat erworben und zähen Verhandlungen werden die einem der Münchner Hofbibliothek übergeben. strengen Ausfuhrverbot unterliegenden Für beide Bibliotheken sind Neumanns

Pocci: Neumann als Redner Bücher als Papier deklariert und die zwölf chinesische Bücher der Grundstock ihrer (BSB: Schmelleriana I) Kisten gegen Extrabezahlung verzollt. bis heute überregional bedeutenden Sinica-Sammlungen.

Als Gegenleistung wird Neumann 1833 zum „Professor für Literargeschichte, Armenisch und Chinesisch sowie für Län- der- und Völkerkunde“ an der Universität München und zum Kustos für die chinesi- sche Sammlung an der bayerischen Hof - bibliothek ernannt. Trotz außerordentli- chen Zulaufs an Studenten kann Neumann die Professur aus politischen Gründen nur bis 1852 ausüben, danach arbeitet er aus- schließlich an der Hofbibliothek, bis er 1863 nach Berlin übersiedelt. In Berlin publiziert Neumann vor allem als Histori- ker. Insbesondere verfasst er 1863 bis 1866 in drei Bänden die weltweit erste Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, die auch im Zielland ausführliche Würdigung findet. Er stirbt am 17. März 1870 in Berlin und findet seine letzte Ruhe- stätte auf dem Alten Südlichen Friedhof in München. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 49

BIbliotheks m agazin

49

STABI + ICH = STABIL

Meine letzten beiden Bücher sind zum Tischdecken ertappt. Ich lasse jeden Zet- Die 1970 in Wien geborene Eva Menasse größten Teil in der Berliner Staatsbiblio- telverteiler ein. Ich nehme die Pakete des ist Schriftstellerin. Ihre Romane thek am Potsdamer Platz entstanden. So ganzen Hauses entgegen. Ich plaudere ein entstehen überwiegend im Lesesaal ist mir diese Bibliothek zu einem fast mys- paar Takte mit den Nachbarn, wenn sie des Hauses am Kulturforum der tischen Ort geworden, jenem nämlich, wo sie, eins nach dem anderen, abholen. Von Staatsbibliothek zu Berlin schon zweimal etwas Großes, Schweres zu früh nach Hause kommenden Kindern, gelungen ist. Und daran haben weder die die erst eine Unterschrift, dann ein Mittag- jahrelangen Bauarbeiten, der Lärm, die essen und schließlich das Telefon brau- Plastikeimer, die im Winter die Wasser- chen, nicht zu reden. Nein, zu Hause kann einbrüche bewältigen halfen (plopp-plopp- man nicht schreiben. plopp), die monatelang nicht zugänglichen Buchbestände und nicht einmal die maxi- So habe ich, die Wahlberlinerin, plötzlich mal ungemütliche Kantine, die von einem die Bibliothek entdeckt, obwohl man in anständigen Wiener Kaffeehaus so weit meiner Heimat Wien, damals, zu Studen- entfernt ist wie eine Garage von einem tenzeiten, wirklich alles unternommen hat, Luxushotel, etwas ändern können. um mir einen lebenslangen Hass auf solche Institutionen einzuimpfen. Inzwischen halte ich öffentliche Bibliothe- ken für den perfekten, den logischen und In Wien gab es überall mindestens einen naturgemäßen Arbeitsplatz für Schriftstel- ungebildeten, aber mächtigen Eingangsdra- ler. Die tröstliche Anwesenheit von Bü - chen, der hinter einem Pult saß und jeden chern, die ja keine Konkurrenten, sondern Neuling erst einmal seine Ahnungslosigkeit Helfershelfer sind, die konzentrierte Stille spüren ließ. In manchen Institutsbibliothe- und dennoch keine bedrohliche Einsamkeit ken musste man demütig klingeln. Die – das ist eine unschlagbare Kombination. Öffnungszeiten waren überall verschieden. Zuhause neigt jemand, der nicht nur frei- Die Ausleihbedingungen waren überall beruflich, sondern auch „still“ und ohne anders. Für jeden Fehler, für jede Frage fremde Hilfe arbeitet, nämlich schnell zu wurde man zur Schnecke gemacht. Das Ticks und Manien. Ich verabscheue zum schöne, gemütliche Wien eben, Drachen Beispiel putzen, aber wenn der Text bockt, und Troglodyten herrschen inmitten impe- kann es herrlich sein, einmal so richtig rialer Pracht. gründlich abzustauben. Da der Weg zwi- schen meinem Arbeitszimmer und der Auch hierin ist die West-Stabi das größt- Küche weit ist und man beim Schreiben mögliche Gegenteil. Denn schön ist sie ja gerne geht, laufe ich zuhause ständig Ge - wirklich nicht. Die giftgrünen Spannteppi- fahr, mich mit Kaffee zu vergiften. Ich habe che und das raumschiffartige Siebziger- mich bereits beim freiwilligen Bügeln von Jahre-Interieur sind aber im Gegensatz zu *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 50

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 51

BIbliotheks m agazin

51

den Wiener Verhältnissen deutlich demo- die gerade noch so einmütig wartende kratischer. Man kann eben nicht alles ha - Herde in zwei eilige Gruppen: Schließfach- ben. Und ich ziehe kooperative Mitarbei- oder Garderobenbenutzer. Ich gehöre zu ter der musealen Schönheit eindeutig vor. zweiterer und habe deshalb schon man- ches über die Krankheiten der Gardero- Das Schwierigste war, einen Ausweis zu bièren-Ehemänner und die Besonderhei- bekommen, denn als Österreicherin ohne ten ihrer Schrebergärten erfahren. im Personalausweis eingetragene Adresse musste ich bis vor kurzem bei jeder Ver- Eine der fidelen Damen an der Garderobe längerung meinen Meldezettel vorlegen. begrüßt mich mit den Worten „Wie im - mer die Erste“ und gibt mir die Marke Aber seit ich im Besitz der kleinen Aus- Nummer 42. Das sind die allerbesten weiskarte bin, ist alles gut. Ich spiele mir Tage: Schon bei der Garderobenmarke selbst ein beruhigend-eintöniges Angestell- die immergleiche Nummer. tendasein vor. Denn wer keine äußeren Zwänge hat, muss sich welche schaffen, Eine Zeitlang habe ich mich mit zwei an - um nicht in Depression und Untätigkeit zu deren Lesern um denselben Platz gestrit- versinken. Solange ich intensiv an einem ten, es war ein schweigsamer, erbitterter Buch arbeite, treffe ich also jeden Tag Kampf. Weil ich nicht mit einer älteren pünktlich um fünf vor neun ein, kenne die Dame, die mindestens meine Mutter sein meisten anderen, die auch immer vor der könnte, um die Wette rennen wollte, Öffnung da sind und offenbar gern noch habe ich zähneknirschend nachgegeben, ein bisschen herumstehen, bevor die bin königlich geschritten, während sie zwei Arbeit beginnt. Man nickt einander zu. Ein- Stufen auf einmal nahm, und starrte viele mal, vor zwei, drei Jahren, schlenderte im Vormittage lang auf ihren schlafenden Winter ein fetter, roter Fuchs, vom Tier- Rücken. Warum muss sie unbedingt die- garten kommend, mitten durch die vor sen Platz haben, wenn sie doch nur schläft, Schreck erstarrte Früh-Stabigruppe. Er grollte ich vor mich hin. Inzwischen, nach verschwand lässig in Richtung Simón-Bolí- so vielen Jahren, ist sie mir längst freund- var-Saal – wer weiß, was er dort vorhatte. lich vertraut und ich bin fast beunruhigt, wenn sie fehlt. Beim Warten vor dem Ein- Beim Warten unter dem Vordach ist noch gang sind wir ins Plaudern gekommen. Sie genügend Zeit, die Sachen umzupacken, hat mich einmal im Radio gehört und mag, durchsichtige Tüte mit den Arbeitsutensi- wie die meisten Deutschen, meinen öster- lien in der einen, der abzugebende Rest in reichischen Akzent. Wir sind, bauarbeiten- der anderen Hand. Aus langjähriger Erfah- bedingt, im Lesesaal so oft umgepflanzt rung kann ich bezeugen, dass die exakte worden, dass wir die kleinliche Phase, wo Stabi-Öffnungszeit, je nach Laune des Auf- es um einen einzigen aus siebenhundert sperrenden, im Bereich von etwa vier Mi - Schreibtischen ging, längst hinter uns gelas- nuten variiert: von maximal einer Minute sen haben. Im Gegenteil empfehlen wir vor dem Läuten der St. Matthäuskirche bis einander „gute“ Plätze, wenn uns die Bau- zu drei Minuten danach – dann aber wird maßnahmen von den gewohnten vertrei- schon hörbar gemurrt. Daraufhin teilt sich ben. Was sie in der Stabi macht, weiß ich *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 52

BIbliotheks m agazin

52

ebensowenig wie ihren Namen. Ich weiß den Musiker ist sie mit all ihren Macken nur, dass sie über Musik liest, keinen Com- die seltsame Kombination aus Banalität puter, sondern dünne Hefte und eine win- und Mythos. Ja, ich genieße auch die Zei- zigkleine Handschrift hat, dass sie sich ten, wo das Buch fertig ist und ich für ein Schals selber strickt, dass sie, nachdem sie paar Monate zu Hause bleiben kann. Wo ihren Platz belegt hat, erst einmal die Zei- mein Ausweis ausläuft und ich es nicht ein- tungen liest, sich beim anschließenden mal bemerke. Ich genieße die Stabi-freie Schlafen in große Plaids wickelt, am mittle- Zeit wie einen langen Urlaub. Aber man ren Vormittag in der Kantine einen Imbiss will ja nicht immer Urlaub haben, das ist nimmt und die Bibliothek immer gegen eine so beängstigende Vorstellung wie die, eins verlässt. in Rente zu gehen. Und so freue ich mich ganz insgeheim schon wieder darauf, tag- Ich liebe die Stabi, mit geringeren Worten ein, tagaus, bei Wind und Wetter durch kann ich es nicht sagen. Sie ist mein Ruhe- die Stadt zu radeln, meinen Computer mit und mein Kraftzentrum, die perfekte dem Schloß an die Lampe zu ketten und Mischung aus Gesellschaft und Konzentra- über den grünen Spannteppichen, unter tion, aus Unpersönlichkeit und Geborgen- den weihnachtskugelartigen Lampen in heit, aus Lust, Sucht und Qual. Wie die meinen eigenen inneren Welten zu versin- schlecht gelüftete Turnhalle für den Sport- ken. ler, wie der abgeranzte Probenraum für

VIELFÄLTIGER VERANSTALTUNGSREIGEN ZU EHREN RICHARD WAGNERS

Bayerische Staatsbibliothek feierte mit Ausstellung, Symposiumseröffnung und Buchführung

Dr. Reiner Nägele Lag der Schwerpunkt der in der Bayeri- tigen persönlichen Beziehungen Wagners ist Leiter der Musikabteilung der schen Staatsbibliothek vom 15. März bis als Voraussetzung für die Verwirklichung Bayerischen Staatsbibliothek 28. Mai 2013 präsentierten Ausstellung seiner künstlerischen Pläne (s. Bibliotheks- „Richard Wagner – Die Münchner Zeit magazin 2/2013), so vertiefte ein inter - (1864–1865)“ überwiegend auf der Prä- disziplinäres Symposium mit dem Titel sentation biografischer und künstlerischer „Richard Wagner in München“ diese Per- Dokumente des Komponisten und der spektive durch zahlreiche fachkundige quellengestützten Rekonstruktion der Vor- Vorträge renommierter Wissenschaftler. bereitung, Uraufführung und Nachwirkung Zugleich weiteten die Beiträge der For- von „Tristan und Isolde“ sowie der vielfäl- scher unterschiedlichster Disziplinen den *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 53

BIbliotheks m agazin

53

Blick über die knapp zwei Jahre Münchner Präsenz hinaus, vertieften das Verständnis für die kompositorischen und dramaturgi- schen Strukturen seiner Werke, widmeten sich ihrer Aufführungsgeschichte und the- matisierten insbesondere die Tradition bil- denden Prozesse der Wagner-Rezeption in München bis in die heutige Zeit. Das zweitägige Symposium unter der Schirm- herrschaft von Staatsminister Wolfgang Heubisch, das am 26. und 27. April im Gartensaal des Prinzregententheaters München stattfand, wurde vom Institut für Musikwissenschaft der Ludwig-Maximilians- Universität und der Gesellschaft für Baye- rische Musikgeschichte e.V. in Koopera- tion mit der Bayerischen Theaterakademie Staatsbibliothek statt. Generaldirektor August Everding und der Bayerischen Rolf Griebel begrüßte die rund 250 Besu- Staats bibliothek veranstaltet. Organisation cher im Fürstensaal. Gelesen und fach - und Leitung lagen in den Händen von kundig kommentiert wurden Briefe und Hartmut Schick, Ordinarius am Institut für Dokumente aus Wagners Münchner Zeit. Musikwissenschaft der Ludwig-Maximili- Daphne Wagner, Schauspielerin und Ur - ans-Universität, München, und erstem enkelin des Gefeierten, der Literaturwis- Vorsitzenden der Gesellschaft für Bayeri- senschaftler Dieter Borchmeyer – aus - sche Musikgeschichte. gestattet mit Wagner-Barrett und höchst theatralisch rezitierend –, der Musikwis- Die Eröffnung des Symposiums fand am senschaftler Markus Kiesel und Hartmut Donnerstag, 25. April, in der Bayerischen Schick ließen auf informative und zugleich

v. l. n. r.: Prof. Hartmut Schick, Daphne Wagner, Dr. Markus Kiesel, Dr. Rolf Griebel, Prof. Dieter Borchmeyer *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 54

BIbliotheks m agazin

54

Bibliothek zu finden. Die Referate des Symposiums mit den Fachbeiträgen aus den Musik-, Theater- und Geschichtswis- senschaften sowie der Philosophie werden in den „Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte“ (Schneider-Verlag, Tut- zing) publiziert werden.

In der Vortragsreihe „Buchführung“ sprach der Literaturwissenschaftler und Autor Dirk Heißerer schließlich am 15. Mai über „Thomas Manns ‚Wagnerbuch‘ 1933 – Zur Wiederentdeckung einer ungedruck- ten Broschüre“. Manns Festvortrag im Hanna Herfurtner, Stefan Paul unterhaltsame Weise den knapp zweijähri- Auditorium Maximum der Universität gen Aufenthalt des Jubilars sowie seine München am 10. Februar 1933, den er zu spätere Präsenz in der Bayerischen Resi- einem bis zu den Druckfahnen fertigen, denzstadt lebendig werden. Umrahmt von dann aber in Deutschland doch nicht publi- einigen seiner französischen Lieder und zierten Buch mit dem Titel „Leiden und Liedern aus der Münchner Zeit von Franz Größe Richard Wagners“ ausarbeitete, Lachner spannte sich mit dieser Eröffnungs- führte zu einem öffentlichen „Protest der veranstaltung der Bogen zu den Original- Richard-Wagner-Stadt München“. Hans quellen, die zeitgleich in der Schatzkammer Knappertsbusch hatte den Zeitungsartikel unserer Bibliothek zu bestaunen waren. initiiert, unterzeichnet wurde er von 45 Persönlichkeiten, darunter von Richard Der musikalische Teil des Programms hul- Strauss und Hans Pfitzner. Thomas Mann digte den beiden Kapellmeister-Komponis- habe Richard Wagner „verunglimpft“, ten Lachner und Wagner, die zur selben lautete der scharf formulierte Vorwurf. Zeit jedoch in unterschiedlichen Funktio- Wesentlich durch diese Protestnote ver- nen in München tätig waren. Interpre- anlasst, kehrte Thomas Mann von seiner tiert wurden die Lieder in eindrucksvoller Vortragsreise nicht mehr nach Deutsch- Weise von der Sopranistin Hanna Herfurt- land zurück. Welche Ironie der Geschichte: ner, am Klavier begleitet von Stefan Paul. 1865 vertrieben die Münchner Wagner ins Vor allem Lachners Kompositionen hinter- Schweizer Exil. Knapp siebzig Jahre später ließen in der leidenschaftlichen Interpreta- führte nun die Parteinahme für den einst tion durch Hanna Herfurtner einen tiefen Ungeliebten zur Emigration des deutschen Eindruck, nicht zuletzt, da man diese in Literaturnobelpreisträgers. den Konzertsälen äußerst selten zu hören bekommt. Als Werkausgabe existieren Die Veranstaltung im Fürstensaal rundete bislang nur die Erstdrucke, die in der Baye- den vielfältigen und von großem Presse - rischen Staatsbibliothek verwahrt werden. echo begleiteten Erinnerungsreigen in der Einige dieser Drucke sind bereits digitali- Bayerischen Staatsbibliothek zu Richard siert und in den Digitalen Sammlungen der Wagner in würdiger Weise ab. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 55

BIbliotheks m agazin

55

DIE BERLINER TSCHAGATAISCHE HANDSCHRIFTENSAMMLUNG

Wenn von „Turkologie“ oder von „turko- Doch nicht von diesen großen Dingen soll Dr. Aysima Mirsultan logischen Studien“ die Rede ist, mag man im Folgenden die Rede sein. Ich möchte ist Mitarbeiterin im Referat Zentralasien der Ostasienabteilung an alles Mögliche denken – etwa an eine die Aufmerksamkeit auf die tschagatai- der Staatsbibliothek zu Berlin wissenschaftliche Beschäftigung mit der schen Handschriften richten, die zwar geo- Türkei. Geschichtsbewussten Zeitgenos- graphisch und sprachlich demselben Raum sen mögen die regen diplomatischen Ver- entsprechen, zeitlich aber etwas jünger bindungen in den Sinn kommen, die die sind. preußischen Könige mit der Hohen Pforte in Konstantinopel unterhielten und die Die Staatsbibliothek verfügt über etwas eine der Voraussetzungen für den reichen mehr als 190 Manuskripte in tschagatai- Fundus an orientalischen Handschriften scher Sprache. Gemessen an der gewalti- waren, die heute einen besonderen Stolz gen Zahl der übrigen islamischen Hand- der Staatsbibliothek zu Berlin ausmachen. schriften ist der Umfang dieser Sammlung Mancher wird sich an Albert Grünwedel damit natürlich relativ gering. Außer in und Albert von Le Coq erinnern ─ sie Berlin finden sich tschagataische Hand- unternahmen zwischen 1902 und 1914 schriften auch in anderen Museen, Biblio- vier „königlich-preußische“ Expeditionen, theken oder Universitäten ─ so in Sankt

die sie weit jenseits der Grenzen des Os - Petersburg, London, Tashkent, Lund, Pa - Ms. or. quart. 1570, f. 157r (Diwan-i manischen Reiches in jene damals „Ost - ris, Wien und Istanbul. Alisher Nawa’i) – Ein Liebespaar sitzt turkistan“ genannten Gebiete führten, die vor einem Zelt eng umschlungen bei- wir heute als Autonome Region Xinjiang Tschagataisch ist eine spätmittelalterliche sammen. Im Hintergrund versucht ein Mann, ein wild gewordenes Pferd zu und Teil der Volksrepublik China kennen. Turksprache, die in Zentralasien weit ver- bändigen (VOHD 16,1, 1577). Die Relikte, die zum Teil buchstäblich aus breitet war. Das Wort selbst geht auf den dem Wüstensand gegraben wurden, boten Namen eines der Söhne Dschingis Khans das faszinierende Bild einer versunkenen zurück, Tschagatai Khan (um 1186 bis buddhistischen Kultur, die vor allem von 1242). Als zweiter und angeblicher Lieb- den Uiguren getragen wurde, die sich spä- lingssohn des Welteroberers nahm er an ter der Lehre des Koran zuwandten. Die der Einnahme Turkistans durch die Mon- kostbaren Turfan-Fragmente aus dem 2. golen teil. Auf der 1229 auf einem so - bis 13. Jahrhundert n. Chr., nicht weniger genannten Kuriltai beschlossenen Reichs- als 40.000 an der Zahl, werden in der teilung bekam er jene Gebiete als „Ulus“ Staatsbibliothek aufbewahrt und seit vielen zugesprochen, die von der Wüste Gobi Jahren durch die Berlin-Brandenburgische im Osten bis zum Aralsee im Westen und Akademie der Wissenschaften erschlossen. vom Altai-Gebirge bis hinunter nach *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 56

BIbliotheks m agazin

56

Afghanistan reichen. Das Tschagatai-Kha- erforscht. Die modernen Turksprachen nat hatte, wenn auch mit Einschränkungen, Usbekisch und das in Xinjiang gesprochene bis zum siebzehnten Jahrhundert Bestand. Uigurisch haben sich aus dieser Sprache Die Sprache dieses Staatsgebildes, das entwickelt. Tschagataische, zählt trotz ihres mongoli- schen Namens zu den türkischen Idiomen Tschagataische Handschriften sind auf sehr und war eine Literatursprache, die sich in unterschiedlichen Wegen aus dem Orient dem besagten Zeitraum aus dem Altuigu - in die Berliner Bibliothek gekommen. Seit rischen entwickelt hat ─ also aus der Spra- 1817 wurden sie von verschiedenen Ge - che der alten, noch buddhistischen Uigu- sandten, Gelehrten, Buchhändlern oder ren, die Albert von Le Coq und seine Antiquaren erworben. Zu nennen sind Nachfolger so in ihren Bann geschlagen etwa Heinrich Friedrich von Diez, Julius hatte. Tschagataisch stand unter starkem Heinrich Petermann, Aloys Sprenger und

Ms. or. quart. 1570, f. 88v – Eine Einfluss arabischer und persischer Elemente Martin Hartmann. Die meisten Tschaga- Frau mit geblümtem Kopftuch sitzt in und wurde in der Regel mit dem persisch- taica in unserem Besitz (131 Handschrif- einem Zelt und spricht zu einem arabischen Alphabet notiert. Im Vergleich ten) gehören zur „Sammlung Hartmann“, rechts von ihr stehenden Mann, der zu anderen turkologischen Forschungs - die im Jahre 1905 angekauft wurde. Zwei seine Arme vor der Brust überkreuzt. Im Hintergrund zwei Männer, die das feldern ist das Tschagataische übrigens, Objekte aus dieser Sammlung sind wäh- Geschehen am Zelt beobachten jedenfalls in Europa, verhältnismäßig wenig rend des Zweiten Weltkriegs verloren ge - (VOHD 16,1, 1577). gangen. Hartmann hatte die Handschriften während seines Aufenthalts in Kashgar und Yarkand im westlichsten Zipfel des heuti- gen Xinjiang gesammelt. Einige wenige

Seite 57: stammen aus Tashkent und Baku. Ein Ver- Ms. or. quart. 1570, f. 105v (Diwan-i zeichnis der tschagataischen Handschrif- Alisher Nawa’i) – Ein junger Mann mit ten, das er 1904 selbst erstellt hat, ist noch Turban sitzt neben zwei älteren vor vorhanden. Auch Johannes Awetaranian, einem Zelt im Gras. Der eine hält eine Schale mit Früchten, der andere einen ein in Ostanatolien geborener Missionar, schwarzen Gegenstand, möglicher- und der Berliner Tibetologe Georg Huth weise ein Buch. Ein Bediensteter (links haben tschagataische Handschriften zu - im Bild) bringt zwei Karaffen (VOHD sammengetragen. Zu Beginn des Jahrhun- 16,1, 1577). derts besaß die Bibliothek bereits etwa 170.

Turkologen haben die Entwicklung der Ms. or. oct. 358, Bl. 1v – Ein in tscha- tschagataischen Sprache in drei Perioden gataischer Sprache verfasstes und in eingeteilt. Die vorklassische Zeit umspannt zierlicher uigurischer Schrift geschrie- benes, teilweise mit Interlinearglossen den größeren Teil des fünfzehnten Jahr- in arabischer Schrift versehenes Ge- hunderts (1400–1465). Nur eine tschaga- dicht mystischen Inhalts. Der Anfang taische Handschrift aus unserem Bestand der Handschrift ist mit einem so- stammt aus dieser frühen Zeit, das Mah- genannten „Unwan“ in Gold, Blau und Grün verziert (Türkische Handschriften zan ul-Asrar, die „Schatzkammer der 6, 432-433). Geheimnisse“ (Ms.or.oct. 358). Wie aus *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 57

BIbliotheks m agazin *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 58

BIbliotheks m agazin

58

der Abbildung erkennbar, ist die Sprache überliefert sind, sind Abschriften, die zwar tschagataisch und stammt aus der selbst aus späterer Zeit stammen. Typi- Zeit nach der Islamisierung, geschrieben sche Beispiele dafür sind: die Külliyat des aber ist die Handschrift noch in der vor - Nawa’i (Ms.or.fol. 4054), der Diwan des islamischen altuigu rischen Schrift – ein Sultans Husayn Bayqara (Hs.or. 10434) bemerkenswerter Umstand. Werke, auf sowie der Diwan Alisher Nawa’i (Ms.or. die diese Kombination aus alter Schrift und quart. 1570). neuem Glauben zutrifft, gibt es weltweit nur wenige: das Bahtiyarname (Ox ford), Die nachklassische Periode reicht bis ins das Mi’rajname (Paris) sowie eine Hand- frühe zwanzigste Jahrhundert (1600–1921). schrift mit dem Titel „Tezkiret-ul Awliya“ Der bekannteste Autor aus dieser Zeit (Paris und Istanbul). war Ebulghazi Bahadur Khan. Leider gibt es nur wenige Werke literarischer Natur,

Ms. or. quart. 1570, f. 45r (Diwan-i Auf die vorklassische folgt die klassische die eindeutig dieser Epoche zuzuordnen Alisher Nawa’i) – In einem Garten Periode (1465–1600). Dichter wie Mir sind. Was uns vorliegt, ist meist eher pro- neben einem Gebäude kniet ein Mann Alisher Nawa’i, Husayn Bayqara und fanen Inhalts, so ein Gerichtsprotokoll aus mit Turban vor einem ihm gegenüber- Babur stehen für das literarische Schaffen dem Jahre 1892 (Ms.or.fol. 3296) oder ein stehenden Mann, den er um etwas zu bitten scheint. Am rechten Bildrand ist dieser Zeit. Die meisten der heute be - Handelsbuch von 1903 (Ms.or.fol. 3303). eine Frau zu sehen, die sich abwendet. kannten Werke dieser Epoche sind zwar Im Hintergrund zwei Männer, die das in der klassischen Ära entstanden, die Bei orientalischen Handschriften haben wir Geschehen im Garten beobachten Handschriften aber, durch die diese Texte es praktisch immer mit Abschriften von (VOHD 16,1, 1577). Abschriften, also nicht mit originalen Auto- graphen im heute geläufigen Sinne zu tun. Manche Handschriften sind eigens auf Wunsch der Sammler kopiert oder gele- gentlich von den Sammlern eigenhändig Mir Alisher Nawa’i (1441 bis abgeschrieben worden. Zum Teil wurden 1501), eigentlich Nizam ad-din Werke zentralasiatischer Provenienz gar Alisher, ist unter seinem Dich- nicht vor Ort, sondern in Metropolen wie ternamen Nawa’i (persisch: „der Weinende“) bekannt. Er war Konstantinopel oder Herat hergestellt und Politiker, Mystiker und Dichter haben erst von dort ihren Weg nach Zen- am Hofe der Timuriden in Herat tralasien sozusagen zurückgefunden. und gilt als der bedeutendste Dichter der tschagataischen Sprache. Einige Handschriften sind in einem einfa- chen Einband aus Ziegenleder, Pappe oder Stoff gefasst. Die meisten jedoch haben einen Ledereinband mit blind gepressten Medaillons, einen lackierten und gepress- ten Einband oder einen Einband im persi- Hs. or. 10434 Bl. 4v – Ein sehr gut schen Stil mit eingelegtem Medaillon. In erhaltenes und wenig benutztes Exem- der Regel sind diese Einbände im Original plar des Diwan-i Sultan Husayn Bay- qara, geschrieben in einem sehr sorg- erhalten. Nur wenige Handschriften, vor- fältig ausgeführten Nastaliq-Duktus. zugsweise solche mit Stoffeinbänden oder *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 59

BIbliotheks m agazin

59

mit Papierumschlägen, hat man wegen werden: klassische ihres schlechten Er haltungszustands neu Literatur, hagiographi- gebunden ─ und mit einem Aufdruck des sche Literatur, reli- Preußischen Adlers versehen. giöse Schriften, ver- schiedene „Risalas“ ─ Zur zeitlichen Einordnung lassen sich fol- Schriften, die Verhal- gende Angaben machen: Das oben er - tensregeln für be - wähnte, noch altuigurisch geschriebene stimmte soziale Grup- Mahzan ul-Asrar dürfte auf ca. 1440 zu pen formulieren – , datieren sein. Bei den übrigen Handschrif- medizinische Werke, ten lassen sich etwa 15 Prozent dem sech- Wörterbücher. zehnten und siebzehnten Jahrhundert zu - rechnen. Die meisten, etwa 80 Prozent, Zur Zeit arbeiten wir stammen aus späterer Zeit. Die verblei- daran, nach und nach benden fünf Prozent lassen sich nicht ein- alle Tschagataica in deutig bestimmen. Bei einigen Stücken der seit diesem Jahr handelt es sich um Sammelhandschriften, online geschalteten Datenbank der Berli- Einband des Diwan-i Sultan Husayn was bedeuten kann, dass sie neben tscha- ner orientalischen Handschriften Bayqara (Hs. or. 10434) aus rotem Leder im persischen Stil mit eingelegten gataischen auch persische oder arabische (http://orient-digital.staatsbibliothek- Medaillons. Texte enthalten, etwa Gebete oder Zita- berlin.de/content/below/ index.xml) tensammlungen. Sachlich können die Ma - nachzuweisen. nuskripte folgenden Gruppen zugeordnet

15 JAHRE FÖRDERER UND FREUNDE DER BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK E.V.

Im Juni 1998 wurde der Verein der Förde- ken mit der Leitung des Hauses ideell und Dr. Andrea Pia Kölbl rer und Freunde der Bayerischen Staats - finanziell zu fördern“, konkretisiert sich in ist Leiterin der Geschäftsstelle der Förderer und Freunde der Bayeri- bibliothek e.V. gegründet. Hierzu hatte die drei übergeordneten Zielen: schen Staatsbibliothek e.V. Erkenntnis geführt, dass eine zukunftsfähige – in der stärkeren Verankerung der Biblio- Weiterentwicklung der Bayerischen Staats- thek im öffentlichen Bewusstsein der bibliothek bei stetig wachsendem Auf - Gesellschaft, vor allem in der Politik, gaben- und Leistungsportfolio angesichts Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft stagnierender bzw. rückläufiger Haushalts- – im forcierten Ausbau der Lobbyarbeit mittel auch die Unterstützung durch einen zur Vertretung der Interessen der Baye- Förderverein voraussetzt. Der in der Sat- rischen Staatsbibliothek insbesondere zung definierte Vereinszweck, „die Bayeri- gegenüber den politischen Entschei- sche Staatsbibliothek im Zusammenwir- dungsträgern *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 60

BIbliotheks m agazin

60

– in der Einwerbung von Drittmitteln aus Die Bayerische Staatsbibliothek trägt als dem nicht-öffentlichen Sektor (Unter- weltweit renommierte Gedächtnisinstitu- nehmen und Privatpersonen) tion in besonderer Weise Verantwortung für den Erhalt des schriftlichen Kulturguts. 15 Jahre Förderverein sind – noch – kein Das Kuratorium hat das Thema Bestand- Anlass, eine Feier auszurichten. Sie legen serhaltung mit dem Fokus auf dem „Pa - es jedoch nahe, die bei Jubiläen gern ge - pierzerfall“ aufgegriffen und im März 2001 stellte Frage nach dem Erreichten zu stel- mit Unterstützung der Bayerischen Ver - len. Zur Rekonstruktion seiner Vergangen- sicherungsbank AG (Allianz) und der heit ist das Vereinsarchiv eine wertvolle Bertelsmann Buch AG ein zweitägiges Quelle. Danach lässt sich die Geschichte Symposium mit dem Titel „Strategien der des Vereins als „Success Story“ nicht nur Bestandserhaltung – Kooperation versus schreiben, sondern auch belegen. So er - Einzelstrategien“ ausgerichtet, an dem geben die Akten, dass der Verein im Zeit- Experten aus Deutschland und den USA raum 1999 bis 2012 gut 1,5 Millionen Euro teilnahmen. Unmittelbares Ergebnis war für in der Satzung festgeschriebene Zwe- die Gründung der „Allianz Schriftliches cke ausgegeben hat. Zur Veranschaulichung Kulturgut Erhalten“, aus deren Aktivitäten seien Einzelbeispiele angeführt: Restaurie- wiederum dank der Unterstützung und rung des Regensburger Wappenbuchs des Förderung durch den Bundesbeauftragten Goldschmieds Hans Hylmair von 1560, für Kultur und Medien sowie die Kulturstif- Erwerbung des Einblattdrucks „Hl. Vero- tung der Länder 2010/2011 die „Koordi- nika“, Unterstützung des Kolloquiums nierungsstelle für die Erhaltung des schrift- „Die Katalogisierung mittelalterlicher lichen Kulturguts“ erwachsen ist. Handschriften in internationaler Perspek- tive“ oder die Finanzierung des Katalogs Ein anders gelagertes Beispiel ist die Neu- zur Fugger-Ausstellung. gestaltung des Prachttreppenhauses des Komplizierter ist es aufzuzeigen, wie Ver- 1843 fertiggestellten Gärtnerschen Biblio- einsorgane und Staatsbibliothek gemein- theksbaus an der Ludwigstraße. Im Rah- sam Themen bearbeiteten, wie sie im men des Wiederaufbaus nach dem 2. Welt- Wechselspiel von Innen- und Außenper- krieg konnte das Treppenhaus nur in spektive und im Zusammenwirken von karger und schmuckloser Form wiederher- internem und externem Expertenwissen gestellt werden. Die Restaurierung des auf unterschiedlichen Ebenen bemerkens- Treppenhauses, der 22 Fensterbögen werte Erfolge erzielten. Dies kann nur sowie der östlichen und westlichen Schild- exemplarisch und die Prozesse extrem wand in einer Façon, die der ursprüngli- verkürzend dargestellt werden. Eine we - chen Gestaltung durch Friedrich von Gärt- sent liche Voraussetzung für erfolgreiches ner, den Architekten König Ludwigs I., gemeinsames Agieren war dabei der kon- sehr nahe kommt, stand in den Jahren sequente Ausbau und eine damit einher - 2003 und 2004 als Projektvorschlag auf gehende Professionalisierung des Referats der Agenda des Kuratoriums. Zum 450- Öffentlichkeitsarbeit. Die folgenden drei jährigen Jubiläum der BSB 2008 erstrahlte Beispiele illustrieren die Breite des Aktions- das Treppenhaus in neuem, altem Glanz. radius. Mit der überzeugenden, in der Farbigkeit *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 61

BIbliotheks m agazin

61

zurückgenommenen Restaurierung hat das Kuratorium ein eindrucksvolles Zeichen für kulturelles bürgerschaftliches Engage- ment gesetzt.

Im Jahr 2010 hat die Bibliothek in enger Kooperation mit dem Vorstandsmitglied Prof. Ferdinand Kramer das Projekt eines bayerischen Kulturportals mit der Bayeri- schen Landesbibliothek Online als Nukleus entwickelt, das die Kultur- und Wissens- schätze Bayerns spartenübergreifend, mul- timedial und umfassend vernetzt präsen- tiert und damit die Chance eröffnet, die einzigartige kulturelle Tiefendimension des Freistaats erfahr- und erlebbar zu machen. Das Kuratorium hat sich das Anliegen der gen, Lesungen, Vorträge und Konzerte – Dr. Michael Albert (seit 2006 Präsi- Bibliothek zu eigen gemacht. In zahlreichen eingebunden. Besonders bewährt hat sich dent des Kuratoriums des Vereins) am 12. Februar 2008 zur Feier der die Tradition der Bibliothekfahrt. Diese gemeinsamen intensiven Gesprächen auf Wiederherstellung des Haupttreppen- der politischen Ebene – u. a. mit der Staats- eintägigen Busreisen sind jedes Jahr inner- hauses kanzlei, dem Wissenschafts- und dem halb kürzester Zeit ausgebucht. Besichtigt Finanzministerium – ist es schließlich ge - wurden beispielsweise die Klosterbiblio- lungen, dass das Projekt im Januar 2012 in theken in Fürstenzell und Metten oder die die Regierungserklärung des Ministerpräsi- Fürst-Thurn-und Taxis-Hofbibliothek in denten aufgenommen wurde und im Rah- Regensburg. Die starke Identifikation der men des Kulturkonzepts Bayern finanziert Mitglieder mit der Bayerischen Staats - wird. bibliothek zeigt sich auch darin, dass einige ein Vielfaches des Mitgliedsbeitrags geben. Der Vorstand hat als Lenkungsgremium des Vereins nicht nur die Vereinsgeschäfte Dem Verein ist es geglückt, ein respekta - kontinuierlich verwaltet und den bestmög- bles Spendenaufkommen zu generieren. lichen Einsatz der dem Verein anvertrau- Nicht selten sind die Spenden mit einem ten Mittel gewährleistet, hier wurden die klar definierten Zweck verbunden. Daraus Leitlinien des Vereins entwickelt, seine lässt sich ablesen, dass die Bayerische Ausrichtung nötigenfalls angepasst und die Staatsbibliothek und ihre Aufgaben sehr Formen seines öffentlichen Erscheinungs- differenziert gesehen werden, und sich bilds geprägt. die Geber mit einzelnen Handlungsfeldern des Hauses in besonderer Weise identifi- Wesentlich charakterisiert ist der Verein zieren. So finanzieren die einen ein Er - ferner durch seine heute gut 400 Einzel- schließungsvorhaben, andere übernehmen und Firmen-Mitglieder. Diese sind in das Buchpatenschaften, manche unterstützen rege Veranstaltungsleben der Bayerischen Erwerbungen in einem bestimmten Samm- Staatsbibliothek – Ausstellungseröffnun- lungssegment des Hauses und wieder an - *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 62

BIbliotheks m agazin

62

dere möchten die internationale Zusam- Wohl der Bayerischen Staatsbibliothek menarbeit fördern. wirk(t)en. Es ist die vorgegebene Artikel- Kürze, die eine namentliche Nennung der Sehr grob und mit vielen blinden Flecken vielen Akteure und eine angemessene ist jetzt der Förderverein skizziert. Die Darstellung ihres Engagements nicht zu - schiere Aufzählung weiterer Projekte der lässt. Dennoch ist die Würdigung ihrer Förderer und Freunde möge das Bild ein Leistungen ein zentrales Anliegen dieses wenig bunter, reicher und damit wirklich- Beitrags. Einige wenige Ausnahmen sollen keitsgetreuer machen: Aufbau von Pro- gemacht werden: In der Gründungsphase grammen zu Buchpatenschaften so wie besonders prägend waren Rüdiger von zur Gewinnung und Betreuung von ehren- Canal, Dr. Hermann Leskien und Frank amtlichen Mitarbeitern („Pro bono libri“), Wössner. Den Vereinsvorsitz führten Abendempfang für Feuilletonredakteure Dr. Dietrich Wolf (1999–2010) und Pro- deutscher Tages- und Wochenzeitungen, fessor Berthold Eichwald (seit 2011). Vortrags- und Diskussionsreihe „Grenzfra- Frank Wössner (1998–2005) und Dr. gen“ in Zusammenarbeit mit der Bayeri- Michael Albert (seit 2006) setz (t)en sich schen Akademie der Wissenschaften, maß- tatkräftig und impulsgebend als Präsiden- gebliche Finanzierung eines Konzertflügels ten des Kuratoriums für die Bayerische für die Musikabteilung oder die Förderung Staatsbibliothek ein. Die Leitung der der Reihe „Werkstatt-Konzerte“. Geschäftsstelle verantwortete seit der Gründung des Vereins Dr. Manfred Hank. Nicht eines Menschen Name wurde in das Von 2008 bis 2013 hat er diese zeit- und Bild eingewoben. Dabei waren und sind es arbeitsintensive Aufgabe ehrenamtlich aus- weit über das übliche Maß weit hinaus geführt. Er hat dem Verein und der Bayeri- engagierte Persönlichkeiten, die den Ver- schen Staatsbibliothek damit einen großen ein und das Kuratorium gründeten, ihn ge - Dienst erwiesen, wofür ihm beide sehr zu stalt(et)en und die in seinem Rahmen zum Dank verpflichtet sind.

v.l.: Dr. Manfred Hank und Prof. Dr. Berthold Eichwald (im Kuratorium des Vereins seit 1998, Vorstandsvorsitzen- der seit 2011) am 21. März 2013 auf der 17. Mitgliederversammlung. Prof. Eichwald bedankt sich im Namen der Mitgliederversammlung und im Namen des Vorstands bei Dr. Manfred Hank für seine Verdienste um den Förderverein. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 63

BIbliotheks m agazin

63

TURCICA

Die historischen und modernen türkischen Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin

Im nächsten Jahr werden Berlin und Istan- gelangten mit dem Ankauf der Sammlung Meliné Pehlivanian bul das 25-jährige Jubiläum ihrer Städte- Spuhler nochmals mehr als 100 osmanisch- ist stellvertretende Leiterin der Orientabteilung der Staatsbibliothek partnerschaft feiern. Die Vorbereitungen türkische Gebrauchshandschriften in die zu Berlin auf die Feierlichkeiten laufen gerade an Staatsbibliothek zu Berlin. und die Staatsbibliothek zu Berlin kann Dr. Thoralf Hanstein schon im Vorfeld darauf verweisen, dass Nach dem aktuellen Index der Daten- ist Fachreferent für Arabistik, Islam- wissenschaft und Osmanistik in der die Geschichte ihrer deutsch-türkischen bank der Orientabteilung „Orient-Digital“ Orientabteilung der Staatsbibliothek Beziehungen sehr viel weiter zurück reicht. (www.orient-digital.de) befinden sich zu Berlin 3.267 osmanisch-türkische Handschriften- Bereits zum Gründungsbestand der Chur- bände im Bestand der Staatsbibliothek. fürstlichen Bibliothek von 1661 gehörten Sie bilden damit die mit Abstand größte einige osmanisch-türkische Handschriften. Sammlung dieser Provenienz in Deutsch- Man kann nicht bei allen osmanisch-türki- land. In der Datenbank sind bereits 235 schen Handschriften von geplanter An - schaffung sprechen, oft genug waren sie auch nur „Beifang“ in größeren arabischen Konvoluten. Klaus Schwarz wies in seinem Artikel in der Fachzeitschrift „Turcica“ (Bd. XIV/1982) darauf hin, dass die bedeu- tenden Stücke mit den Nachlässen des Freiherrn von Diez (1751–1817), des Ge - neralleutnants von Knobelsdorff (1752 bis 1820) und des Freiherrn von Minutoli (1804–1860) in den Bestand kamen. Diez und Knobelsdorff waren preußische Ge - schäftsträger bei der Hohen Pforte in Kon- stantinopel (Abb. 1.), Minutoli Preußischer Signatur: Diez A fol. 73, S.19, Nr.02. – Ministerresident und Generalkonsul in Per- Vor gelbem Hintergrund steht ein Mann sien. Rein quantitativ stammen nach der in osmanischer Tracht mit langem Diez-Bibliothek die meisten osmanisch- hohen Turban und breitem Bauchgürtel (VOHD 8, Gruppe IV, Bild 91) türkischen Handschriften aus den bekann- Diese Miniatur gehört zu den sogenann- ten Sammlungen von Petermann, Wetz- ten Diez-Alben (s. den Beitrag von stein, Landberg und Sachau. Im Jahre 2010 C. Rauch in diesem Heft) *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 64

BIbliotheks m agazin

64

Signatur: Ms. or. oct 1596, f. 34v – Beschreibungen osmanisch-türkischer Die Miniatur zeigt zwei Gruppen von Handschriften für Gastnutzerinnen und mit weißen Lendentüchern bekleideten Gastnutzer ohne „login“ einsehbar; ein re - Auferstandenen. Die guten Menschen in der rechten Gruppe halten in ihren spektables Ergebnis, wenn man bedenkt, Händen weiße Schriften, voll beschrie- dass „Orient-Digital“ erst im letzten März ben mit ihren guten Taten. Die Un- offiziell eröffnet worden ist. Insgesamt sind gläubigen, Polytheisten und Heuchler jedoch erst 36 dieser Handschriften digita- in der linken Gruppe dagegen halten in ihren Händen schwarze Schriften, lisiert. Dies wird sich in Kürze indes än - voll von ihren Missetaten (VOHD 16, dern, da über das aktuelle Buchkunstpro- 85-2898). jekt der Orientabteilung auch sämtliche relevanten osmanisch-türkischen Hand- schriften in der Datenbank kodikologisch neu erfasst und digitalisiert werden.

Die historische Erschließungssituation kann als relativ gut eingeschätzt werden, da bereits 1889 von Wilhelm Pertsch ein erster Katalog mit über 500 Einträgen er - arbeitet worden ist. Zwischen 1968 und 1981 hat sich dann das „Verzeichnis der Orienta lischen Handschriften in Deutsch- land“ (VOHD) mit den Bänden XIII,1 bis 5 (B. Flemming, 2 x M. Götz, 2 x H. Sohr- weide) und XVI (I. Stchoukine u. a. zu den illuminierten Handschriften) der osma- nisch-türkischen Bestände angenommen.

Thematisch sind die Bestände weit auf - gefächert; von Geschichte über Politik, Religion, Recht, Naturwissenschaften und Aphrodisiaka ist alles vertreten. Auch die künstlerische Ausgestaltung der Hand- schriften ist zum Teil herausragend. Als Beispiel können die Ms. or. oct 1596 und Ms. or. fol. 3370 genannt werden. Erstere ist eine anonyme eschatologische Hand- Signatur: Ms. or. fol. 3370, f. 76v – schrift aus der zweiten Hälfte des 17. Jahr- Die aus einer anonymen Musikhand- schrift stammende Miniatur auf silber- hunderts über Hölle, Paradies und Jüngs- gesprenkeltem Papier zeigt drei junge tes Gericht, in seinen Schrecken bzw. Saitenspieler, die vor ihrem Lehrer Genüssen eindringlich illustriert durch 22 musizieren. Deutlich klingen bei dieser ganzseitige Miniaturen. Die zweite Hand- osmanischen Darstellung Gemeinsam- keiten mit der iranischen Kunst an schrift aus dem 18. Jahrhundert mit sechs (VOHD 16, 93-2956). Miniaturen behandelt die Musik. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 65

BIbliotheks m agazin

65

ğ dem Titel „Exotische Typen“ gewidmet. H. asan Šu̔u¯r¯i: Farhan -i-Šu̔u¯r¯i, Istan- Ausstellung und Katalog stellten darüber bul 1742 („Sprache der Perser.“ Persisch-türki- hinaus aber auch Grundlagenwerke der sches Lexikon, genannt: „Farhanğ-i- frühen Orientalistik und Osmanistik vor, Šu̔u¯r¯i“) wie die „Institutiones linguae Turcicae“ Signatur 4° Zv 389 R des Hieronymus Megiser, dessen 1612 in Dieses im Vorderen Orient sehr ge- Leipzig gedruckte türkische Grammatik die schätzte türkisch-persische Wörter- wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser buch des Šu̔u¯r¯i war das letzte von Sprache einläutete, oder das monumen- Ibrahim Müteferrika (gest. 1756) tale dreibändige „Lexicon arabico-persico- selbst veranlasste Druckvorhaben. Es erschien in Form von zwei eindrucks- turcicum“ des François Meninski (Signatur vollen großformatigen Bänden (s. den 2° Zt 3090-1/3 R) von 1680, der im diplo- Beitrag von Hars Kurio im Ausstel- matischen Dienst in Konstantinopel seine lungskatalog: Exotische Typen, Berlin Türkischkenntnisse vervollkommnet hatte. 2006, S. 74)

Werke über die Türkei waren von Anfang an zentraler Bestandteil der orientalisti- schen Sammlungen der späteren Preußi- schen Staatsbibliothek. Besonders seit das Deutsche Kaiserreich gegen Ende des Die Osmanen wurden bereits 1729 zu Pio- 19. Jahrhunderts ehrgeizige Projekte im nieren des Buchdrucks der islamischen Osmanischen Reich verfolgte, schwoll die Welt. Ibrahim Müteferrika, Gelehrter und deutsche Literatur zum Thema gewaltig Diplomat, konnte den Sultan von den Vor- teilen der gutenbergschen Technik für eine Öffnung und Modernisierung des Rei- ches überzeugen. Mit einer schriftlichen Anordnung des Herrschers (Hatt-i hüma - yun) wurde 1727 schließlich der Druck

von nichtreligiöser Literatur erlaubt. Die Megiserus, Hieronymus: Institutiones Staatsbibliothek zu Berlin besitzt mindes- linguae Turcicae, Leipzig 1612 tens neun dieser wertvollen und seltenen Signatur: Bibl. Diez oct. 429 und Zy 304 R osmanisch-türkischen „Inkunabeln“ aus

Müteferrikas Werkstatt, wie z. B. sein drit- Von dieser frühen türkischen Gramma- tes Werk von 1729, die „Chronik des Rei- tik, einem der ältesten orientalistischen senden“ (Signatur 4° Um 4046 R), Werke, die in Deutschland erschienen, besitzt die Staatsbibliothek zu Berlin seinen letzten Druck von 1742 „Die Spra- zwei Exemplare, eines davon stammt che der Perser“ (Abb. 4) oder eine der aus der Bibliothek Diez. Megiserus frühesten osmanischen gedruckten Karten (1554–1619) war Professor in Leipzig „Iqlīm Misr“ von 1729 (Signatur Kart. C und „kurfürstlich-sächsischer Histori- cus“ mit weitgespannten wissenschaft- 6857). Diesen und anderen Frühdrucken lichen Interessen – er beschäftigte sich aus dem Orient war im Jahr 2006 eine u. a. auch mit der slowenischen und große Ausstellung der Orientabteilung mit madagassischen Sprache. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 66

BIbliotheks m agazin

66

an. Das gestiegene deutsche Interesse an schen Reiches. Allein aus dem 16. Jahrhun- der Türkei spiegelt sich bis heute in den dert stammen 274 Drucke. 800 turkspra- exzellenten türkischen und turkologischen chige Titel sind unter der Signaturengruppe Helmuth von Moltke: Karte von Con- Beständen der Bibliothek wider. 1919 „Zy“ verzeichnet. stantinopel auf Befehl Sr. Hoheit des Großherrn aufgenommen, Istanbul wurde schließlich die Orientabteilung als 1737. – Kolorierte Handzeichnung, eigenständige Abteilung gegründet. Grund Doch Turcica sind an vielen Sachstellen zu 60,5 x 87 cm dafür war gerade der starke Zuwachs an finden. Auch unter den wertvollen Dru- Signatur Kart. Q 5573 Literatur aus und über den Orient, der cken der 1817 erworbenen „Bibliothek

Im Dezember 1836 begann Helmuth eine gesonderte Bearbeitung durch orien- Diez“ befinden sich bedeutende Orienta- von Moltke auf Ersuchen des Sultans talistisch geschultes Personal erforderte. lia. Natürlich nehmen die Turcica eine die Aufnahme von Istanbul und Um- Sonderstellung ein, schließlich war Diezens gebung im Maßstab 1:25.000. Diese Ein Blick in den Alten Realkatalog (ARK), Aufenthalt in Konstantinopel von 1784 bis Reinzeichnung stammt wahrscheinlich aus seinem persönlichen Besitz. Die der die in Berlin gesammelte Literatur bis 1791 ein Schlüsselerlebnis für ihn. Karte (Signatur: Kart. Q 5572) wurde 1955 sachlich verzeichnet, zeigt den gan- 1842 in Berlin bei Schropp gedruckt zen Reichtum der historischen Turcica- Den Altbestand kann man inzwischen be - (s. Beitrag von Markus Heinz in: Sammlung: Unter den Notationen Ui 1 bis quem vom heimischen Computer aus er - Eine Bibliothek macht Geschichte : 350 Jahre Staatsbibliothek zu Berlin, Ui 9928/29 verbergen sich 1.761 Titel zur kunden: über den „ARK online“, den Sie Berlin 2011, S. 84) Geschichte und Landeskunde des Osmani- unter dem Stichwort „Sachliche Suche *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 67

BIbliotheks m agazin

67

1501–1955“ auf der Startseite des StaBi- ziologie und Recht. Gesammelt wird aber Pamuk, Orhan: Şeylerin masumiyeti: İ Kat finden. auch Lyrik und Belletristik bedeutender Masumiyet müzesi, stanbul 2012 Signatur: 4 A 41491 Autoren. Außerdem kauft die Staatsbiblio-

Besonders erwähnenswert ist für jede und thek jährlich ca. 250 deutsche, englische Orhan Pamuk, türkischer Nobelpreis- jeden Türkei- und Orientinteressierten oder französische Bücher über die Türkei träger und glühender Liebhaber seiner auch die Kartenabteilung der Staatsbiblio- und über türkische Literatur. Last but not Heimatstadt Istanbul, stellt hier den Katalog seines 2012 in Beyoğlu eröff- thek zu Berlin – die größte im deutsch- least ist hier die Zeitungsabteilung zu er - neten „Museums der Unschuld“ vor. sprachigen Raum. Der Signaturenbereich wähnen, die das Sondersammelgebiet Das Museum trägt denselben Namen des Alten Realkataloges „Asiatische Tür- „Ausländische Zeitungen“ betreut. Auf wie Pamuks 2008 erschienener Roman kei“ beginnt bei Kart. D 4050 und endet ihrer Website finden sich unter der Rubrik – die ausgestellten Alltagsobjekte erzählen die Geschichte von Kemals bei Kart. D 7507. Ein weiteres Segment „Türkei“ allein 48 aktuelle und historische Liebe zu Füsun und materialisieren zu- findet sich von Kart. Q 4701 bis Kart. Q Zeitungen, deren älteste, „Le moniteur gleich die Erinnerung Pamuks an das 6717. Karten bis 1850 können außerdem ottoman“, ab 1835 erschien. Istanbul der 1970er Jahre. in der IKAR-Altkartendatenbank recher- chiert werden.

Die Sammlung der Kartenabteilung enthält mit der kolorierten Handzeichnung Hel- muth von Moltkes (1800–1891) „Karte von Konstantinopel“ aus dem Jahre 1837 überdies ein politisches und kartographi- sches Dokument erster Güte. Moltkes 1842 bei Schropp in Berlin gedruckte Karte blieb für lange Zeit die gültige Dar- stellung der osmanischen Hauptstadt und sie stammt aus der Hand eines Mannes, der als einer der ersten in einer langen Reihe deutscher Militärberater im Osma- nischen Reich bekannt wurde.

Doch die Turcica-Sammlung der Staats - bibliothek zu Berlin ist kein historisches Phänomen – das Interesse an der Türkei und der Turkologie in Berlin ist ungebro- chen. Die Referate Moderne Türkei und Osmanistik werden weiterhin in der Orientabteilung betreut.

Moderne Literatur kommt quasi wöchent- lich ins Haus. Jährlich werden ca. 700 tür- kische Neuerscheinungen erworben – vor allem aus den Bereichen Geschichte, Lite- ratur- und Sprachwissenschaft, Politik, So - *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 68

BIbliotheks m agazin

68

19 KILO BUCH AUS PERGAMENT UND GOLD …

Klaus Kempf Am Montag, den 25. März 2013 erhielt die Handschriften und Seltene Drucke, den ist Leiter der Abteilung Bestandsaufbau Bayerische Staatsbibliothek aus den Hän- Gästen die Bedeutung der Handschriften- und Erschließung 3 der Bayerischen sammlung der Bayerischen Staatsbiblio- Staatsbibliothek den zweier Vertreter der Region Veneto eine Faksimile des weltberühmten Brevia- thek und die vielfältigen Leistungen, die rio Grimani geschenkt. Das Werk, das von das Haus als das größte deutsche „Hand- einzigartiger Aufmachung ist und auf 1280 schriftenerschließungszentrum“ auf natio- Seiten 110 Miniaturen (davon 68 ganzsei- naler Ebene erbringt. Dr. Wolfgang-Valen- tig) aufweist, wurde auf Initiative des italie- tin Ikas, der kommissarische Leiter des nischen Generalkonsuls, Ministro Filippo Referats Handschriften, würdigte schließ- Scammacca del Murgo und des Italieni- lich das Geschenk in seinen Einzelheiten schen Kulturinstituts in München im Rah- und stellte es in den Sammlungskontext men einer kleinen Feierstunde im Johann- der Bibliothek. Andreas-von-Schmeller-Saal überreicht. In kurzen, auf den Anlass bezogenen Wort- Die handwerklich außergewöhnlich gut, ja beiträgen stellte zunächst der Autor dieser geradezu perfekt gearbeitete Kopie des Zeilen die vielfältigen Verflechtungen des Originalgebetbuchs, das lange Zeit zum Hauses an der Ludwigstr. 16 seit seiner sogenannten Schatz von San Marco der Gründung mit Italien bzw. dem Thema Ita- Republik Venedig gehörte und sich heute lien dar – die Bayerische Staatsbibliothek in den Händen der Biblioteca Nazionale v. l. n. r.: Michael Hinterdobler, Filippo ist „die italienische Bibliothek“ außerhalb Marciana im Sansovino-Bau in Venedig Scammacca del Murgo, Marino Zor- zato, Maria T. De Gregorio, Klaus des Belpaese. Danach erläuterte Dr. Clau- befindet, wiegt an die 19 Kilo und umfasst Kempf, Giovanna Gruber dia Fabian, die Leiterin der Abteilung 831 Blätter im Format von 28 x 19,5 cm. Das Breviarium des berühmten Buch- sammlers, Domenico Kardinal Grimani, ist in seiner Pracht ein herausragendes Zeug- nis der flämischen Buchmalerei. Daran waren so berühmte Maler wie Gerard Da - vid, Gerard Horenbout und Simon Bening beteiligt. Von letzterem besitzt die Hand- schriftensammlung der Bayerischen Staats- bibliothek bereits zwei prachtvolle Werke im Original, zum einen das sogenannte Blumen-Stundenbuch (Clm 23637) und zum anderen den Flämischen Kalender (Clm 23638). Von beiden existiert eben- falls jeweils ein Faksimile. Das auf höchs- tem Niveau der Faksimilierkunst her - *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 69

BIbliotheks m agazin

69

gestellte Breviarium Grimani fügt sich inso- venezianischen Handwerkskunst gewertet weit perfekt in die Sammlung des Hauses werden. Die Region ist jetzt bemüht, ein. neben dem Verkauf des Faksimiles auch dessen weltweite Verbreitung in den Die Region Veneto hat sich die Faksimilie- bedeutendsten Bibliotheken der Welt rung des Grimani-Gebetbuchs in den letz- durch eine gezielte Geschenkpolitik zu ten Jahren sehr viel Geld kosten lassen, unterstützen. Nach der Library of Con- wie die Verantwortliche für Kulturfragen gress, der British Library, der Bibliothèque bei der Region, Maria Teresa De Gregorio Nationale de France und der Königlichen in ihrem Redebeitrag betonte. Bei der Niederländischen Bibliothek hat nunmehr Herstellung wurde ganz bewusst auf ein- auch die Bayerische Staatsbibliothek als heimische Firmen und deren herausra- erste und bisher einzige deutsche Biblio- gende einschlägige fachlichen Kompeten- thek ein Exemplar des mit einem Listen- zen zurückgegriffen. Das entstandene preis von 22.000,– Euro ausgeschilderten Faksimile kann insoweit auch als ein Zeug- Werks erhalten. nis der hochstehenden zeitgenössischen

DIE BESITZSTEMPEL DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN UND IHRER VORGÄNGERINNEN

Zu Zeiten Friedrichs des Großen geschah gilt seit Ende des Zweiten Weltkriegs als Dr. Martin Hollender die Kennzeichnung des eigenen Buchbesit- vermisst. ist Referent in der Generaldirektion der Staatsbibliothek zu Berlin zes noch ganz personalisiert: Die König - liche Bibliothek versah alle von ihr – meist Jahrhundertelang war der Bibliotheksbesitz in Rot – eingebundenen Bände auf dem durch handschriftliche Einträge gekenn- Rücken mit dem Königlichen Monogramm zeichnet worden, durch eingeklebte Ex - F[ridericus] R[ex]. Unter seinem seit 1786 libris oder auf den vorderen Deckel ge - regierenden Nachfolger Friedrich Wil- prägte, wappenverzierte Supralibros. Halle, helm II. änderte sich diese Politik: Eine am Heidelberg und Weimar, Bibliotheken, in 27. August 1795 erlassene Verfügung be - denen man schon seit dem ausgehenden stimmte, dass nach Göttinger Vorbild die 17. Jahrhundert stempelte, waren Aus - königlichen Berliner Bücher in Rot als „Ex nahmen; Braunschweig, Fulda und Göt - Bibliotheca Regia Berolinensi“ zu stempeln tingen legten sich Mitte des 18. Jahrhun- seien. Die Details liegen im Dunkeln, denn derts Stempel zu, aber erst zu Beginn des die historische Akte II.32 „Die Dienstsiegel 19. Jahrhunderts bürgerte sich, vermutlich und Stempel zum Stempeln der Bücher“ aus Effizienzgründen, das Stempeln von *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:43 Seite 70

BIbliotheks m agazin

70

Bibliotheksbüchern ein – wie etwa in Düs- fand. Anderthalb Millionen Bücher, nach seldorf, wo 1818 die zuvor eingeklebten der Auflösung des Landes Preußen her- Wappenschilder durch den Stempel „Kö - renlos geworden, suchten einen neuen nigliche Bibliothek zu Düsseldorf“ ersetzt Unterhaltsträger. Das Ministerium für Er - wurden. 1840 war das Stempeln dann ziehung und Volksbildung des Landes Hes- offenbar landauf, landab bereits Usus, wie sen stellte im Sommer 1946 die Räume dem in jenem Jahr erschienenen „Hand- der Universitätsbibliothek Marburg und buch der Bibliothekswissenschaft“ zu ent- den sogenannten Wilhelmsbau des Mar- nehmen ist: „Eine Hauptregel ist, kein burger Schlosses für die Berliner Bücher Abb. 1 Buch aufzustellen, das nicht wo möglich zur Verfügung; und da Artikel VI des Ge - gehörig eingebunden, genau collationirt, in setzes Nr. 19 der Amerikanischen Militär- den Katalog eingetragen, mit dem Biblio- regierung bestimmte, dass das Eigentum theksstempel gestempelt und mit seiner an kulturellen Vermögenswerten Preußens Nummer versehen ist“. treuhänderisch auf diejenigen Länder über- gehe, in denen sich derlei Vermögens- Seither wurde auch in Berlin, 124 Jahre werte befänden, etatisierte das Land lang, jedes Buch und jedes Zeitschriften- Hessen ab 1946 die in Marburg neu ent- heft mit dem lateinischen, später mit dem standene Bibliothek. Wer zahlt, befiehlt – Abb. 2 deutschsprachigen Stempel der König - und gibt den Namen: den Namen der lichen Bibliothek versehen – preußisch Bibliothek – „Hessische Bibliothek“ – und schlicht, ohne Wappen, Adler und schmü- folglich auch den des Stempels (Abb. 4). ckendes Beiwerk (Abb. 1 u. 2). Doch ob Doch à la longue, insbesondere nach der „Königliche Bibliothek“ oder „Bibliotheca Währungsreform des Jahres 1948, war Regia“ – ohne den König von Preußen als es dem Land Hessen wirtschaftlich nicht Landesherrn war ab 1919 nicht allein ein mehr zuzumuten, die Bibliothek in allei - neuer Name, sondern auch ein neuer niger Trägerschaft zu unterhalten. Das Abb. 3 Stempel unabdingbar. Obwohl nur weni- im März 1949 vereinbarte (sogenannte ger als einen Kilometer Luftlinie von der Königsteiner) „Staatsabkommen über Reichskanzlei entfernt, blieb der Staats - die Finanzierung wissenschaftlicher For- bibliothek, der damals mit Abstand bedeu- schungseinrichtungen“ sicherte der Mar- tendsten deutschen Bibliothek, in den burger Bibliothek, wuchs doch von Jahr zu Jahren nach 1933 eine Ergänzung ihres Jahr ihre überregionale Bedeutung, ihre Stempels um den NS-Reichsadler und das Finanzierung durch alle westdeutschen Hakenkreuz erspart. Bis 1945 bestand der Bundesländer. Der ab 1. April 1949 gel- Abb. 4 1919, nach dem Ende der Monarchie, ein- tende neue Name „Westdeutsche Biblio- geführte Stempel der „Preußischen Staats- thek“ machte auch einen neuen Stempel bibliothek“ unverändert fort (Abb. 3). (Abb. 5) unumgänglich.

Die drei Millionen Bücher der Preußischen Wie entwickelten sich zur selben Zeit die Staatsbibliothek wurden während des Stempel in Berlin (Ost)? Am 1. Oktober Zweiten Weltkriegs verlagert und in zahl- 1946 wurde das teilzerstörte Bibliotheks- reiche Teile zersplittert, deren größter gebäude im nunmehr sowjetischen Sektor Abb. 5 sich nach Kriegsende in Hessen wieder- wiedereröffnet und „nach dem Vorbild *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 71

BIbliotheks m agazin

71

russischer Bibliotheksbezeichnungen“ Nachdem der Marburger Teil der ehemali- (Horst Kunze) „Öffentliche Wissenschaft - gen Preußischen Staatsbibliothek in die liche Bibliothek“ benannt, verband doch neugegründete „Stiftung Preußischer Kul- der Chef der Sowjetischen Militärverwal- turbesitz“ eingeflossen war, hieß sie seit tung, Marschall Sokolowski, mit diesem Anfang 1962 „Staatsbibliothek der Stiftung Terminus auch den Auftrag, „weite Kreise Preußischer Kulturbesitz“ – ein neuer der Intelligenz, der Studentenschaft und Name und wiederum ein neuer Stempel Abb. 6 der anderen deutschen Bevölkerungs- (Abb. 8). Das Preußische nun, nach fast schichten mit wissenschaftlichem Schrift- zwanzig Jahren, wieder – wenn auch als tum zu versehen“. Der neue Stempel prä- Reminiszenz an das untergegangene Land sentierte sich unüblich verspielt, mit seinen Preußen – im Namen zu tragen, bewirkte zwei achtzackigen Sternchen entfernt an offenbar eine Identifizierung auch mit Vor- den „Zuckerbäckerstil“ der Zeit erinnernd kriegstraditionen und -symbolen wie etwa (Abb. 6). dem Design des Besitzstempels. Denn wie anders ist es zu erklären, dass der Stempel 1954 änderte sich der Name. Korrekt des Jahres 1962 dem der Jahre ab 1919 wäre eine Umbenennung in „Staatsbiblio- in Form und gebrochener Frakturschrift in Abb. 7 thek Berlin“ oder auch, so F. G. Kaltwasser so auffallender Weise ähnelt? – In den frü- zu Recht, die Bezeichnung „Staatsbiblio- hen siebziger Jahren wurde die institutio- thek der Deutschen Demokratischen Re - nelle Einbindung der Staatsbibliothek in publik“ gewesen. Doch der Kalte Krieg die Stiftung Preußischer Kulturbesitz dann forderte eine Politisierung der Terminolo- sprachlich ein wenig vereinfacht: das Wort gie. Nachdem die UdSSR im März 1954 „Stiftung“ entfiel. Aus „altpreußischer“ die staatliche Souveränität der DDR Sparsamkeit verzichtete man auf die Anfer - betont hatte, bekräftigte der Bundestag tigung eines neuen Stempels und kratzte Abb. 8 einstimmig den schon seit 1949 prokla- aus dem oberen Oval der bislang verwen- mierten Alleinvertretungsanspruch der deten Stempel das Wort „Stiftung“ heraus Bundesrepublik für das gesamte deutsche (Abb. 9). Der ästhetischen Anmutung war Volk. Als die Bibliothek am 1. Oktober diese Notlösung, die Mitte der siebziger 1954 feierlich in „Deutsche Staatsbiblio- Jahre durch eine harmonischere Variante thek“ umbenannt wurde, besaß dieser Akt (Abb. 10) ersetzt wurde, eher abträglich. somit durchaus eine ideologische Kompo- nente in Form eines sich deutlicher als zu - vor artikulierenden Selbstbewusstseins der Abb. 9 DDR und der Zurückweisung der west- deutschen „Alleinvertretungsanmaßung“. (Abb. 7). Der neue Name, so noch einmal F. G. Kaltwasser, entsprach zwar dem poli- tischen Anspruch, nicht aber der Realität, Zur Inbetriebnahme des opulenten Neu- denn nicht allein in Berlin (Ost), auch in baus an der Potsdamer Straße gönnte sich der Bundesrepublik existierte eine Staats- die Bibliothek 1978 eine professionelle bibliothek. Neugestaltung ihres Stempels: verpflichtet wurde der bereits damals berühmte Typo- Abb. 10 *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 72

BIbliotheks m agazin

72

graph Hermann Zapf, der einen nicht gänzlich kreisrunden und vielleicht gerade deshalb so harmonischen Stempel mit den Typen der von ihm in den fünfziger Jahren entworfenen Schrift „Op - tima“ kreierte (Abb. 11 Abb. 11 und 11a).

Die Wiedervereinigung Deutschlands führte am 1. Januar 1992 zur Verschmelzung auch der beiden Berliner Staatsbiblio- theken. Seit 20 Jahren nunmehr wird der Abb. 11a Stempel „Staatsbibliothek zu Berlin – Preu- ßischer Kulturbesitz“ (Abb. 12) verwen- an, nämlich an den der „Staatlichen Mu - Abb. 12 det, in jener ovalen Form, wie sie die seen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“. Preußische Bibliothek vor ihrer Teilung in eine westliche und eine östliche Hälfte Stempel dienen seit jeher der Besitzkenn- verwendet hatte. Der Name lehnt sich an zeichnung – und dies gilt nicht allein für den Namen einer Schwestereinrichtung gedruckte Bücher, sondern nicht minder für Handschriften. Um zu vermeiden, dass ein dezent, halb versteckt am Blattrand angebrachter Stempel schlicht ausgeschnit- ten wird, um ein gestohlenes Autograph veräußern zu können, werden Handschrif- ten – nolens volens – auffällig und mitten in den Text hinein gestempelt, denn nur diese Praxis hat sich als wirksamer Schutz vor „Autographenmardern“ erwiesen (ab - gebildet ist die Versoseite von Dietrich Bonhoeffers Niederschrift seines Gedichts „Wer bin ich?“).

Die heutige Staatsbibliothek zu Berlin er - hebt auf alle Materialien, die mit dem Stempeln ihrer Vorgängereinrichtungen versehen sind, als Rechtsnachfolgerin den Eigentumsanspruch – beispielsweise bei Büchern, die im Antiquariatshandel ange- boten werden. Es sei denn, es tritt neben den Besitzstempel ein zweiter, ein entwid- mender Stempel, der das offizielle Aus- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 73

BIbliotheks m agazin

73

scheiden eines Buches aus den Sammlun- gen der Staatsbibliothek signalisiert. In frü- heren Jahrhunderten wurden Dubletten häufig verkauft, weshalb der zusätzliche „venditus“-Stempel zum Einsatz kam (Abb. links); in unseren Tagen übernimmt ein satter „Ausgeschieden“-Hinweis die Funk- tion.

BÄDERKUNDE, SCHLACHTENKUPFER UND BUGINESISCHE HANDSCHRIFTEN

Die Sammlungsgalerie der Staatsbibliothek zu Berlin

Werte Leserinnen und Leser des Biblio- Besagte Sammlungsgalerie öffnet den Dr. Jochen Haug theksmagazins: Was tun Sie, wenn Sie Zugang zu derzeit rund 80 kleinen und ist Fachreferent für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie frisch aus dem Armenienurlaub zurück großen, aber in jedem Fall besonderen und Ausbildungsleiter der sind und es Ihnen die armenische Kultur so Sammlungen der Staatsbibliothek. Neben Staatsbibliothek zu Berlin sehr angetan hat, dass Sie wissen wollen, armenischen Frühdrucken, balneologischer was im Land zwischen Ararat und Kauka- Literatur und der Sammlung „Krieg 1914“ sus in frühen Zeiten geschrieben und ver- – drei Sammlungen, die bei den oben skiz- öffentlicht wurde? Oder wenn Sie – nicht zierten Fragen jeweils den Weg zur Er - nur der Berliner Winter ist bekanntlich kenntnis weisen werden – finden sich in lang, kalt und schmuddelig – gerade erholt der Galerie unter anderem auch Informa- dem städtischen Dampfbad entstiegen sind tionen zur Globensammlung, zu bugine - und das Wellnessprogramm ein wenig mit sischen Handschriften der Sammlung Theorie unterfüttern wollen? Oder aber Schoemann und zu den chinesischen wenn Sie über einer wissenschaftlichen Schlachtenkupfern aus der Regierungs - Arbeit zum Ersten Weltkrieg brüten und devise Qianlong. Traut vereint in einem auf der Suche nach eher ephemeren Quel- ge mütlichen und doch prominenten Win- len wie Schützengrabenzeitschriften und kel des umfangreichen SBB-Webangebots, Postkarten von der Front sind? Richtig: Sie vermitteln die hier versammelten Samm- suchen (und finden) Ihr Heil in allen drei lungsbeschreibungen einen plastischen Ein- Lebenslagen bei der virtuellen Sammlungs- druck vom kulturellen Reichtum und der – galerie der Staatsbibliothek zu Berlin. im positiven Sinne – Heterogenität der staatsbibliothekarischen Bestände. *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 74

BIbliotheks m agazin

74

gehenden Beschreibung von in irgendeiner Weise kohärenten Bestandssegmenten.

Nach der erfolgreich gemeisterten Defini- tion des Sammlungsbegriffs lauerte bald die nächste auf der Hand liegende und dabei nicht ganz unknifflige Frage am We - gesrand. Wie die Sammlungen präsentie- ren? Alles sofort komplett zu digitalisieren, ist grundsätzlich eine zwar reizvolle, aber eher im Bereich Science-Fiction zu veror- tende Idee – mit umfassenden Sammlun- gen wie der Zeitungs-, Rara- oder Hand- schriftensammlung wäre man schnell bei einer Zahl von Einzelstücken in der Nähe der Millionengrenze angelangt. Methode der Wahl war also eine Online-Beschrei- Sammlungsgalerie der SBB: interaktive Konzipiert und in die Form gegossen, in bung der Sammlungen nach einheitlichen Karte und Zeitleiste der sie heute im Netz prangt, wurde die Standards. Glücklicherweise – und nicht Sammlungsgalerie der SBB-PK in den letz- ganz zufällig – fiel die Konzeption der ten drei Jahren im Auftrag der General - Sammlungsgalerie mit der Neuauflage der direktion durch eine ebenso abteilungs- Website der Staatsbibliothek zusammen. übergreifende wie emsige und enthusias- Es tat sich also die segensreiche Gelegen- tische Arbeitsgruppe. Die erste und wich- heit auf, die Sammlungsgalerie dem neuen tigste der zahlreichen Fragen, die diese Design anzupassen und außerdem die Arbeitsgruppe zu klären hatte, war natur- Hüterinnen und Hüter der Sammlungen gemäß die, was alles überhaupt als Samm- gleich für die Beschreibung ihrer Schätze lung für die Präsentation in der Galerie mittels eines simplen, Typo3-basierten durchgehen sollte. Schnell war klar, dass Formulars mit ins Boot zu holen. Outsour- es nicht einfach bei Sammlungen im biblio- cing war gestern, Do-it-yourself ist heute. thekarischen Sinne – also Bestandsgrup- pen mit einheitlicher Provenienz, Signatu- Was können Erleuchtung suchende und rengruppe und/oder Aufstellung – bleiben stöberwütige Sammlungsfreundinnen und würde. Vielmehr sollte allem, was inhalt- -freunde nun heute in der Galerie finden? lich oder formal zusammenpasst und sich Herzstück sind die knappen, präzisen für eine Online-Präsentation eignet, per- Sammlungsbeschreibungen in schnörkel - spektivisch die Ehre zukommen, in die loser, lesbarer Prosa. Ergänzt werden die Sammlungsgalerie aufgenommen sowie Beschreibungen durch Links zu weiterfüh- beschrieben und präsentiert zu werden. renden Informationen – im Reservoir der Im Bibliothekarsslang spricht man bei der- Sammlungen selbst und auch anderswo –, artigen Unternehmungen auch von Col- durch visuelle Appetizer und durch Hin- lection Level Description, also der über weise zu den jeweiligen Benutzungsmoda- die Erschließung der Einzelstücke hinaus- litäten und Ansprechpersonen. Damit die *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 75

BIbliotheks m agazin

75

Galerie informativ und repräsentativ aus- sehen würde, aber eben nicht überfrach- tet?

Eine Lösung für die meisten dieser Fragen fand sich dann doch schneller als gedacht: Insgesamt folgen die verwendeten Meta- datenschemata – also die Struktur der Be - schreibungen – internationalen Standards. Schließlich sollen die Sammlungsbeschrei- bungen perspektivisch auch in externe Online-Portale exportiert werden und dort zu finden sein. Den Sucheinstiegen Ma terialart, Sprache und Region legte man, wie Bibliothekarinnen und Bibliothe- kare das gerne zu tun pflegen, einschlä- gige genormte Vokabulare zu Grunde. Recherche möglichst unfallfrei abläuft, Den chronologischen Aspekt deckte man kann der Online-Fundus thematisch, geo- mit einer Einteilung nach Jahrhunderten graphisch, chronologisch, nach Material - ab und setzte ihn in die besagte elegante arten, nach der sammelnden Abteilung und gut zu bedienende Zeitleiste um. Für und nicht zuletzt auch nach dem Alphabet den thematischen Einstieg wurde eine ein- durchsucht werden. fache Grobsystematik verwendet und dem Sammlungsfundus angepasst. Und die Idee Bei der Gestaltung der Rechercheoberflä- einer interaktiven Weltkarte schließlich che investierte die nach wie vor eifrige wurde mit einer modifizierten Version der Arbeitsgruppe so manches Gramm kollek- Karte der World Digital Library (WDL) tiven Gehirnschmalzes und so manchen tatsächlich realisiert. (Nebenbei: Die Welt- Tropfen Herzblut. Sollte es eine elegante karte hat übrigens auch eine Lösung für Zeitleiste sein oder lieber eine interaktive, anklickbare Weltkarte oder womöglich eine Kombination aus beidem? Würde der nach Sammlungen dürstenden Kundschaft mit einer anklickbaren Systematik gedient sein – und wenn ja, mit welcher? – oder würde sie sich über eine tiefe Verschlag- wortung oder ein zeitgemäßes Tagging womöglich noch mehr freuen? Was sollte in der Mittelspalte und was am rechten Rand platziert werden, und würde es auch noch Platz für wohlgestalte Diashows geben? Und wie um alles in der Welt würde es hinzubekommen sein, dass die *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 76

BIbliotheks m agazin

76

mög licherweise künftig einzubindende sings (das ist die Möglichkeit, simultan Sammlungen aus der Antarktis und dem quer durch die Sucheinstiege zu blättern Weltraum parat.) Das Gesamtergebnis und das Suchergebnis dadurch einzugren- lotst den Sammlungsfan nun unter anderem zen) und eine Optimierung der Navigation zu der Entdeckung, dass die Sammlung stehen noch aus. Und schließlich winkt am Ludwig Darmstaedter auch Materialien aus Ende des Regenbogens die Idee, den von Algerien enthält und dass die Sammlungen den herausragenden Einzelstücken ausge- der SBB-PK auch mit Skulpturen aufwarten henden Kreis über die Collection Level Des- (namentlich im Mendelssohn-Archiv). Und cription auch wieder zurück zu den Einzel- wie bei jedem gelungenen Erschließungs- stücken zu schließen: Bei der WDL ist die projekt weiß auch die Belegschaft selbst Staatsbibliothek bereits mit zahlreichen hinterher noch ein wenig genauer, was so digitalisierten Highlights aus ihren Samm- alles in ihren Beständen steckt. lungen dabei; diese digitale Kollektion von Pretiosen soll perspektivisch ausgebaut Die jüngste Zwischenbilanz Ende 2012 fiel und mit der Sammlungsgalerie verknüpft daher überaus erfreulich aus: Die Samm- werden. Ein weiterer kleiner Schritt in der lungsgalerie wächst und wächst, und das Sichtbarmachung der Bestände – und ein Publikum hat hoffentlich ebenso viel Spaß großer Sprung auf dem Weg der virtuellen mit ihr wie ihre Ziehmütter und -väter. Präsentation der Schätze der Staatsbiblio- Bleibt noch ein Blick in die Zukunft: Der thek zu Berlin. virtuelle Sammlungsfundus muss und wird weiterhin wachsen und gedeihen; kleinere Die Sammlungsgalerie der Staatsbibliothek Ergänzungen der Rechercheoberfläche wie zu Berlin finden Sie unter http://staatsbib- die Integrierung eines facettierten Brow - liothek-berlin.de/sammlungen/galerie/.

MUSIKBIBLIOTHEK UND MUSIKWISSENSCHAFT IM DIALOG

Rundgespräch zum „Fachinformationsdienst Musikwissenschaft“ an der Bayerischen Staatsbibliothek

Dr. Reiner Nägele Die bestehenden, von der Deutschen For- (FID) überführt werden. Ein Antrag auf ist Leiter der Musikabteilung der schungsgemeinschaften geförderten Son- Förderung zur Überführung des so genann- Bayerischen Staatsbibliothek dersammelgebiete (SSG) werden in den ten SSG 9,2 Musikwissenschaft an der kommenden drei Jahren in das neue För- Bayerischen Staatsbibliothek in einen FID derprogramm „Fachinformationsdienste“ wurde im Juni dieses Jahres bei der DFG *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 77

BIbliotheks m agazin

77

eingereicht, für eine beantragte Förder- dauer von drei Jahren.

Zentrale Forderung der DFG hinsichtlich einer Neustrukturierung des Sondersam- melgebietes ist es, dass diese im engen Dialog mit der Fachwissenschaft erfolgen solle. Fünfzehn prominente Lehrstuhl - vertreter und Funktionäre aus der Musik- wissenschaft sowie Leiter großer Musik- sammlungen führender Bibliotheken in Deutschland diskutierten deshalb am 21. und 22. März 2013 auf Einladung der Deutschen Forschungsgemeinschaft über die Zukunft und Weiterentwicklung des Sondersammelgebietes Musikwissenschaft und dessen Umgestaltung zu einem FID an der Bayerischen Staatsbibliothek.

Herausragende Themen des Rundgesprä- ches waren Fragen zu Erwerbungsstrate- gien (u. a. zur geforderten E-only-Policy) und Möglichkeiten der informationstechni- schen und bibliothekarischen Unterstüt- und Musikwissenschaft gilt unsere Musik- www.vifamusik.de zung bei der Entwicklung von nationalen abteilung heute europaweit als die größte wie internationalen Wissenschaftsprojek- Bibliothek für musikwissenschaftliche Lite- ten sowie die kooperative Weiterentwick- ratur. lung der Virtuellen Fachbibliothek Musik (ViFaMusik). Seit nahezu 65 Jahren bietet Nach verschiedenen Impulsreferaten von die Bayerische Staatsbibliothek ihren um - Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der fassenden Service für die musikwissen- Bayerischen Staatsbibliothek und der schaftliche Forschung, Lehre und die musi- Deutschen Nationalbibliothek wurde in kalische Praxis an, unterstützt durch die den anschließenden gemeinsamen Diskus- Deutsche Forschungsgemeinschaft und sionsrunden mehrheitlich gefordert, dass ausgestattet mit zusätzlichen erheblichen eine mögliche (geforderte) Schärfung des Eigenmitteln aus dem regulären Etat der Erwerbungsprofils zu keiner inhaltlichen Staatsbibliothek. Durch den jahrzehntelan- Schwerpunktsetzung führen dürfe; auch gen Aufbau der einmaligen Sammlung an sei die Reservoir-Funktion der SSG-/FID- weltweit verfügbaren Medien (Noten, Bibliothek nicht in Frage zu stellen. Bücher, Zeitschriften, Mikrofilme, Mikro- fiche) und virtuellen Fachinformationsmit- Die grundsätzlich hohe Bedeutung der teln (digitale Angebote, Datenbanken, ViFaMusik für die Musikwissenschaft wurde Internetressourcen) zum Thema Musik einhellig betont. Zentraler Wunsch an *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 78

BIbliotheks m agazin

78

den künftigen FID war die Bereitstellung für Musikforschung (GfM) entsandte Per- einer materialübergreifenden Suche im sonen, die das ganze Fach repräsentie- One-Stop-Shop – nach Handschriften, ren sollen; je eine Person aus der Musik - Notendrucken, Tonträgern und For- geschichtlichen Kommission, aus dem Vor- schungsliteratur – , wie es die ViFaMusik stand von RISM International, aus dem bereits sukzessive anbiete und wofür die Vorstand von RISM Deutschland (Réper- Verwendung von Normdaten in Wissen- toire International des Sources Musicales); schaftsprojekten Voraussetzung sei. aus dem Music Encoding Initiative Coun- cil (MEI); aus dem Staatlichen Institut für Zum Abschluss des Rundgesprächs wurde Musikforschung, Berlin (SIM), eine vom eine Empfehlung der Teilnehmer zum Vorstand der Association Internationale geplanten FID verabschiedet, die die des Bibliothèques, Archives et Centres de Ergebnisse der zweitägigen Diskussion Documentation Musicaux (AIBM) ent- zusammenfasste. Ein Beirat soll die Ent- sandte Person sowie je ein Vertreter der wicklung des FID Musikwissenschaft künf- Union der deutschen Akademien der Wis- tig begleiten. Er setzt sich wie folgt zusam- senschaften, Mainz und der Deutschen men: Vier vom Vorstand der Gesellschaft Nationalbibliothek.

* * *

BACH DIGITAL II GESTARTET! seite der Staats bibliothek präsentiert. Bach Digital II wird von der Deutschen For- Im August nahm der Musikwissenschaftler schungsgemeinschaft großzügig gefördert. Alan Dergal Rautenberg seine Arbeit an Bach Digital II in der Staatsbibliothek zu Berlin auf. Herr Rautenberg wird in den ORIGENES-SYMPOSIUM kommenden zwei Jahren die Katalogisie- rung der relevanten Abschriften von Musik- Das internationale Symposium am 5. März autographen J. S. Bachs vornehmen, die in feierte zugleich 20 Jahre Erschließung grie- der Folge dann digitalisiert werden sollen. chischer Handschriften an der Bayerischen Bei Bach Digital II werden frühe Abschrif- Staatsbibliothek, das Erscheinen von drei ten von Bachwerken aus dem Bestand der gedruckten Katalogbänden, sowie die SBB-PK bearbeitet, die von Schreibern bis Identifizierung der Origenes-Homilien zu zum Geburtsjahr 1735 stammen und teil- den Psalmen. Das große Katalogwerk, das weise den Stellenwert einer Primärquelle mit 650 Handschriften die größte Samm- haben, denn von einigen Werken Bachs lung in Deutschland auf aktuellem For- existieren keine Autographen mehr. Die schungsstand erschließt, wurde in seiner frühen Abschriften sind für die Forschung Gesamtheit unter Betonung der neuen somit ebenso relevant wie die Bach-Auto- Bände 2, 4 und 9, vorgestellt von Dr. Clau- graphen selbst. Die Daten werden in die dia Fabian, Dr. Marina Molin Pradel, RISM (Répertoire International des Sour- Dr. Kerstin Hajdù und Dr. Friederike Ber- ces Musicales)-Datenbank eingearbeitet; ger. Anhand des Beispiels von Attavante die Digitalisate werden auf der Internet- erläuterte Dr. Ulrike Bauer-Eberhardt die *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 79

BIbliotheks m agazin

79

kunsthistorische Bedeutung des Bestan- des. In der Schatzkammer wurden hervor- ragende Werke – auch des noch zu kata- logisierenden Bestandes – präsentiert. Die wissenschaftlichen Vorträge von Prof. Dr. Peter Schreiner, Prof. Dr. Brigitte Mon- drain, Prof. Dr. Lorenzo Perrone zeigten die Forschungsrelevanz dieses Unterneh- mens. Neben der langjährigen Förderung durch die Deutsche Forschungsgemein- schaft war auch die Unterstützung durch Die Lindenkuppel in den zwanziger die Stiftung des Hellenischen Parlaments Jahren … zu würdigen. Sie ermöglichte die Erschlie- ßung der seit dem frühen 19. Jahrhundert erworbenen Handschriften (Cod. graec. 575 ff.). Die ehemalige Präsidentin des Parlaments, Frau Prof. Dr. Benaki, sprach ein Grußwort. Annähernd hundert Teil- nehmer bewiesen Bedeutung und Vernet- zung dieses langjährigen Unternehmens des Handschriftenzentrums.

RICHTFEST FÜR DIE LINDENKUPPEL … kriegszerstört … DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN

Am 10. Juli feierten die am Standort Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin tätigen Baufirmen zusammen mit dem Prä- sidenten der Stiftung Preußischer Kultur- besitz, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger, der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schnei- der-Kempf, und der Präsidentin des Bun- desamtes für Bauwesen und Raumord- nung, Rita Ruoff-Breuer, das Richtfest für … und während des Richtfestes der die wiedererrichtete Kuppel über dem Neuerrichtung Eingangsportal Unter den Linden. Den Richtspruch hielt Uwe Scheibal, Polier der kehrt nun ein vor über siebzig Jahren ver- Firma Schälerbau Berlin. Die originale Lin- loren gegangenes markantes Element der denkuppel wurde im April 1941 durch Berliner Dächerlandschaft zurück, das eine Bombe zerstört und war nach dem zugleich die Silhouette des 107 x 170 m Krieg nicht wieder aufgebaut worden. So großen Baus am Boulevard Unter den Lin- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:44 Seite 80

BIbliotheks m agazin

80

den prägt. Die Kuppel wird eine Höhe von zügig illustrierte Quartband „Kultur. Archi - etwas mehr als 35 Metern erreichen. Mit tektur. Forschung. Der neue Lesesaal der der Wiedererrichtung der Lindenkuppel Staatsbibliothek zu Berlin“. Mit 58 Abbil- wird die letzte große Kriegswunde der dungen, elf Texten, einer Auswahl an Staatsbibliothek Unter den Linden ge - Spitzenobjekten aus den Sammlungen und schlossen. Funktional wird die Kuppel in einem ausführlichen Informationsteil wird den Bibliotheksbetrieb eingegliedert und auf einhundert Seiten ein umfassende Ein- über zwei Etagen als Magazin eingerichtet. druck von der besonderen Architektur, Diese Nutzung entspricht auch ihrer histo- den technischen Herausforderungen beim rischen Funktion. Rund 100.000 Bände Bau sowie von der historischen und biblio- werden dort untergebracht. Wie auch die thekspolitischen Bedeutung dieses Ortes anderen Magazine wird das Innere der vermittelt. Unter den Autorinnen und Kuppel klimatisiert und an die ebenfalls Autoren sind Wolfgang Thierse, HG Merz zum ersten Mal in diesem Gebäude instal- und Christoph Markschies, das Gros der lierte Buchtransportanlage angeschlossen. Bilder wurde vom Berliner Fotografen Jörg F. Müller gefertigt. Der Berliner Nicolai- Verlag besorgte das Lektorat und den NEUERSCHEINUNG hochwertigen Druck. Die Publikation ist IMPRESSUM im Handel für 19,95 € erhältlich, an der

BIbliotheks Ende Juni erschien als 44. Band der Reihe Staatsbibliothek ist derzeit nur die Bestel- m agazin „Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Ber - lung per Mail an [email protected] 8. Jahrgang · 24. Ausgabe Berlin und München, Oktober 2013 lin – Preußischer Kulturbesitz“ der groß - berlin.de oder vor Ort möglich.

HERAUSGEBER: Dr. Rolf Griebel IE AYERISCHE TAATSBIBLIOTHEK DAMALS UND HEUTE Barbara Schneider-Kempf D B S Folge 2 – Der Fürstensaal REDAKTION IN BERLIN: Dr. Martin Hollender (Leitung), Cornelia Döhring, Dr. Robert Giel, Dr. Mareike Rake, Thomas Schmieder-Jappe, Dr. Silke Trojahn

REDAKTION IN MÜNCHEN: Dr. Klaus Ceynowa, Peter Schnitzlein

KONTAKT IN BERLIN: [email protected]

KONTAKT IN MÜNCHEN: [email protected]

GESTALTUNG: Elisabeth Fischbach, Niels Schuldt

GESAMTHERSTELLUNG: Medialis Offsetdruck GmbH, Berlin Nachdruck und sonstige Vervielfältigung der Beiträge nur mit Genehmigung der Redaktion. ISSN 1861-8375 *B_Umschlag 1-13_Magazin Umschlag 18.09.13 09:47 Seite 1

BIBLIOTHEKS M AGAZIN

MITTEILUNGEN AUS DEN STAATSBIBLIOTHEKEN 3 2013 IN BERLIN UND MÜNCHEN

Haus Unter den Linden 8 10117 Berlin (Mitte) Eingang: Dorotheenstraße 27

Haus Potsdamer Straße 33 10785 Berlin (Tiergarten)

Kinder- und Jugendbuchabteilung / Zeitungsabteilung im Westhafen Westhafenstraße 1 13353 Berlin (Wedding)

www.staatsbibliothek-berlin.de

Ludwigstraße 16 80539 München

www.bsb-muenchen.de

In dieser Ausgabe Dritter e-day an der Förderer und Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin Bayerischen Staatsbibliothek Zuwachs für die Berliner Weberiana-Sammlung Internationale LIBER-Konferenz Historische und moderne türkische Bestände in Berlin Dem Andenken Dietrich „Bayern in historischen Karten“ Bonhoeffers 19 Kilo Buch aus Pergament und Gold Meisterwerke aus dem Serail Karl Friedrich Neumann – Sinologe, Armenienforscher, Besitzstempel der Paul Heyse adelt Gustav von Universalhistoriker Aschenbach Staatsbibliothek zu Berlin Stabi + ich = stabiL Schöne Menschen und schöne Bäderkunde, Schlachtenkupfer, Blumen Zu Ehren Richard Wagners buginesische Handschriften

„Silentium, oder die Angst des Die Berliner tschagataische Musikbibliothek und ISSN 1861-8375 Beamten …“ Handschriftensammlung Musikwissenschaft im Dialog