“-Steuerung: Körperbewegung statt Knopfdruck

14 2/ 2011 KulturSPIEGEL Was würde Kandinsky tun? Wedeln, streicheln, klatschen: Tetsuya Mizuguchis Computer - spiel „Child of Eden“ muss man tanzen.

VON CARSTEN GÖRIG FOTOS: GUNTER GLÜCKLICH

„Hoffnung und Glück, das sind die Themen von ,Child of Eden‘“, sagt , 45. Sanft redet der Japaner, kaum hörbar über dem Summen der Geräte, die in den vollgepackten Räumen seines Studios im Meguro-Bezirk von Tokio arbeiten. Der Spieleentwickler versucht, inmitten von Sofas, Computern, Fernsehern und Musikinstrumenten Platz zu finden. Platz braucht er für seine neueste Erfindung. Denn „Child of Eden“ kann mit Gesten gespielt werden, ganz ohne Tasten oder Knöpfe. Sanft, fast wie ein Masseur streichelt Mizuguchi die Luft, öffnet die Arme, klatscht. Die Frau auf dem Bildschirm, bleich wie ein Geist, reagiert sofort auf den Befehl des Meisters, amöbenartige Wesen werden beschossen, lösen sich auf, Farben flackern psyche - delisch. Die Frau bewegt sich durch die Welt der abstrakten Formen, der schwimmenden und tanzenden Strukturen, singt zu der euphorisierenden Musik, gesteuert von Mizuguchis Händen. „Child of Eden“ ist das erste Spiel, das die -Technologie der Xbox-360-Konsole von Microsoft für mehr als alberne kleine Spielchen oder für Fitnessübungen nutzt. Die Kinect-Kamera fängt Bewegungen des Spielers ein. Handbewegungen, die an meditatives Tafelwischen erinnern, ersetzen den Knopfdruck. Für Mizuguchi ist die Kinect-Technik ein Geschenk, denn er arbeitet wie kein anderer daran, mit seinen Spielen alle Sinne

KulturSPIEGEL 2/ 2011 15 mer 1998 verabschiedete. Nach einem Besuch bei Opel in Rüsselsheim und Mercedes Benz in Stutt - gart fuhr er nach Zürich, besuchte die Stadt am Wochenende der Street Parade, der Schweizer Ent - sprechung zur Love Parade. Mizu guchi tanzte die Nacht durch und hatte im Morgengrauen nur noch eine Frage im Kopf: Was würde Kandinsky aus der Computertechnologie machen? Wie würde ein Spiel aussehen, das sich auf Kunst, auf Malerei be - zieht, anstatt auf die Formel 1? Heimlich arbeitete Mizuguchi an einem Spiel, das Entwickler Mizuguchi eine erste Antwort auf diese Fragen geben sollte. Das konnte er, weil er inzwischen eine der Entwick - lungsabteilungen bei leitete. „“ hieß das Ergebnis, und noch immer wundert Mizuguchi sich, dass es 2001 wirklich erschien. „Rez“ ist im Grunde ein klassischer Spielhallen-Shooter. Ein Protagonist wird wie auf Schienen durch ein gesteuert, die Aufgabe des Spielers ist es, Gegner zu markieren und abzuschießen. Doch wo andere Spiele auf Realismus und Blut setzen, sind es hier abstrakte Gittermodelle, es geht darum, einen Com - puter, ein Archiv zu schützen, Viren abzuwehren. Es ist ein perfektes Zusammenspiel zwischen ab - strakter Grafik und Musik von japanischen Tech - nokünstlern wie Ken Ishii oder dem deutschen Ex - perimentalelektroniker Oval. „Rez“ wurde zum Klassiker, der auch heute noch auf den Bestenlisten vieler Kritiker zu finden ist. Spiel „Child of Eden“ Wie viele Klassiker blieb „Rez“ aber leider erfolglos. Wenig später verabschiedete sich Mizuguchi von Sega, gründete 2003 seine eigene Firma, Q Enter - Für Mizuguchi geht es in seinem Spiel nicht tainment, machte Musik und startete eine Kunst - band namens Genki Rockets, die von einer Sänge - ums Zerstören, sondern um die Schönheit. rin namens Lumi angeführt wird. Lumi ist ein Kunstwesen, eine holografische Projektion mit einer erstaunlichen Karriere. Mit den Genki Ro- anzusprechen. Synästhetisch nennt er sein Vorgehen, ihm geht ckets eröffnete sie 2007 das Live-Earth-Konzert in Japan und es um die Verschmelzung von Erfahrungen. Der Verlauf der begrüßte einen holografischen Al Gore. Eine versponnene Idee Spielhandlung beeinflusst zum Beispiel Farben und Musik. Noch fand ein Millionenpublikum. ganzheitlicher wird das Erlebnis, wenn man nicht wie beim Joy - In „Child of Eden“ stammt die Musik von den Genki Rockets, stick nur die Daumen beschäftigt, sondern seinen Körper bewegt, Lumi ist die Protagonistin. Sie ist es, die gerettet werden muss, das Spiel tanzt. Denn wie Tanz sieht es aus, wenn Mizuguchi indem die Archive der Menschheit gereinigt, von Viren befreit seine Erfindung vorführt, vor großem Publikum manchmal wie werden. Durch Beschuss der Schädlinge. Mizuguchi selbst ver - ein Pantomime mit weißen Handschuhen vor dunklem Hinter - meidet Worte, die Gewalt beschreiben, sie entsprechen seinem grund. Mizuguchi lädt immer neue Level, zeigt sie stolz, will, Wesen nicht, sie können das Spiel nicht beschreiben. Denn für dass man es selbst ausprobiert. Er lächelt fast entschuldigend, ihn geht es bei „Child of Eden“ nicht um das Zerstören, sondern fragt, ob man wirklich noch mehr sehen möchte. Man möchte, um das Reinigen, die Wiederherstellung von Schönheit. Er ist denn schon die kurzen Abschnitte machen eines klar: „Child of entwaffnend unzynisch, fast naiv und doch sehr bestimmt in sei - Eden“ ist ein Spiel, wie man es noch nie zuvor gesehen hat. nem Ziel. Und selten hat ein Ziel für ein Spiel schöner geklungen Mizuguchi kam Anfang der neunziger Jahre frisch von der Kunst - als seines: Hoffnung und Glück zu verbreiten. Und wenn es nur hochschule zu Sega, einem der führenden japanischen Spiele - ein Moment des Glücks ist beim Betrachten des Farbwunders hersteller. Seine erste Aufgabe war ein Rennspiel: „ auf dem Bildschirm. Championship“. Das Handwerk hat er da gelernt, die Grundlagen der Spielentwicklung. Für Sega reiste er durch die Welt, verhan - delte mit Autoherstellern, die ihm erlauben sollten, ihre Wagen Child of Eden von für mit Kinect und Playstation 3 . im Spiel abzubilden. Eine biedere Welt, von der er sich im Som - Erscheint im März.

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