Ein neues Verfahren zur Bewertung von Runflat-Reifen ein Beitrag auf dem Weg zum reserveradlosen Pkw

Maik Jeschor

Ein neues Verfahren zur Bewertung von

Runflat-Reifen – ein Beitrag auf dem Weg

zum reserveradlosen Pkw

Von der Fakultät Maschinenwesen

der Technischen Universität Dresden

zur

Erlangung des akademischen Grades

Doktoringenieur (Dr.-Ing.) genehmigte

Dissertation

vorgelegt von

Dipl.-Ing. Maik Jeschor

aus Naumburg / S.

Dresden, Juli 2005

Gutachter der Dissertation: Prof. Dr.-Ing. habil. Horst Brunner Prof. Dr.-Ing. habil. Karl-Ludwig Kotte Dr. Bernd R. Löwenhaupt

Tag der Einreichung: 08. März 2004 Tag der Verteidigung: 05. Juli 2005

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Verantwortlicher für die Reifenprüfungen am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrzeuge (IVK) der Technischen Universität Dresden.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die auf unterschiedlichste Art und Wei- se zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben.

Mein erster Dank gilt Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Horst Brunner, dem Leiter des Lehrstuhls für Kraftfahrzeug- und Antriebstechnik, der mit großem Interesse und wertvollen Hinweisen die Arbeit über die Jahre begleitet hat.

Die Finanzierung meiner Arbeit und ein Großteil der zur Verfügung gestellten Versuchsreifen verdanke ich der Zusammenarbeit mit der Dunlop GmbH. Deswegen gilt hier mein Dank Herrn Dr. Manfred Gerresheim, dem Direktor Forschung & Entwicklung (bis 31.12.2000) und Herrn Peter Becker, dem Leiter Reifenentwicklung, die mit umfangreichen Aufträgen speziell zu Runflat-Reifen mit halfen, die Arbeit voranzutreiben. Für die Übernahme des externen Gutachtens bedanke ich mich bei Dr. Löwenhaupt, dem der- zeitigen Direktor Forschung & Entwicklung der Dunlop GmbH.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Rudolf Hein, dem Leiter Rad-/Reifenkonzepte, -systeme und Prüfstandversuch und Herrn Anton Wölfl, von der EG-541 (Betriebsfestigkeit) der BMW AG, die mit speziellen Aufträgen, Fragestellungen und Hinweisen zu besonderen Prob- lemen der Fahrwerksbelastung bei dem Einsatz von Runflat-Reifen die Arbeit konstruktiv bereicherten.

Für die vielen nützlichen Hinweise und Anregungen vor allem in Bezug auf die Betriebsfes- tigkeit bedanke ich mich bei Prof. Dr.-Ing. habil. Karl-Ludwig Kotte.

Mein weiterer Dank gilt Herrn Stefan Eckert, Prüfstandsmechaniker am Prüffeld Fahrwerks- technik, der bei der Durchführung der unzähligen Versuche ein großes Engagement zeigte.

Und nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Frau und meinen beiden Kindern bedanken, die mir beim Korrekturlesen, der Motivierung, der Schaffung von Freiraum und viel Verständnis die Fertigstellung der Arbeit ermöglichten.

Inhaltsverzeichnis V

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS...... V

ABKÜRZUNGEN UND EIGENNAMEN ...... VIII

FORMELZEICHEN UND INDIZES...... IX

1 EINLEITUNG ...... 1

2 STAND DER TECHNIK IN DER REIFENENTWICKLUNG ...... 3

2.1 Allgemein...... 3 2.1.1 Forschung / Vorentwicklung...... 3 2.1.2 Reifenentwicklung / Freigabe ...... 8

2.2 Notlaufsysteme...... 10 2.2.1 Ziel aller Notlaufsysteme ...... 10 2.2.2 Geschichtlicher Rückblick ...... 11 2.2.3 Aktuelle Notlaufsysteme...... 12 2.2.4 Runflat-Untersuchung bei BMW ...... 15 2.2.5 Fülldruck-Warnsysteme ...... 17

3 AUFGABENSTELLUNG UND ZIELSETZUNG...... 18

4 GRUNDSATZUNTERSUCHUNGEN ...... 21

4.1 Steifigkeiten...... 21 4.1.1 Methodik ...... 23 4.1.2 Ergebnisse ...... 23 4.1.3 Fazit...... 27

4.2 Konturverhalten...... 30 VI Inhaltsverzeichnis

4.2.1 Methodik ...... 31 4.2.2 Ergebnisse ...... 32 4.2.3 Fazit...... 34

4.3 Schwingverhalten ...... 35 4.3.1 Untersuchungen auf der glatten Stahltrommel...... 36 4.3.2 Schlagleistenuntersuchungen ...... 47 4.3.3 Fazit zum Schwingungsverhalten...... 69

4.4 Zusammenfassung Grundsatzuntersuchungen ...... 71

5 FAHRWERKSBELASTUNG ...... 72

5.1 Methodik ...... 72

5.2 Datenaufbereitung...... 73 5.2.1 Allgemein...... 74 5.2.2 Übergangsklassierung (Peak through counting) ...... 77 5.2.3 Zyklenauswertungen ...... 79 5.2.4 Beispiel...... 83 5.2.5 Fazit...... 85

5.3 Abschätzung des Einflusses auf die Lebensdauer ...... 86 5.3.1 Theorie ...... 88 5.3.2 Auswertungen...... 92 5.3.3 Fazit...... 96

5.4 Vergleich mit Fahrversuch...... 97

5.5 Zusammenfassung Fahrwerksbelastung...... 98

6 KOMFORTBEWERTUNG ...... 100

6.1 Theoretische Aspekte zum Reifenkomfort...... 101 6.1.1 Allgemein...... 101 6.1.2 Beschleunigungen ...... 102 6.1.3 Schluckvermögen...... 102 Inhaltsverzeichnis VII

6.2 Methodik ...... 103

6.3 Ergebnisse ...... 103 6.3.1 Beschleunigungen ...... 103 6.3.2 Schluckvermögen...... 107

6.4 Zusammenfassung Komfortbewertung...... 107

7 NOTLAUFVERHALTEN...... 109

7.1 Methodik ...... 110

7.2 Theoretische Auswertungen...... 110 7.2.1 Radius Rad ...... 110 7.2.2 Schlupf Rad...... 110 7.2.3 Statistische Auswertungen Raddrehzahl / Radkräfte ...... 111 7.2.4 FFT-Auswertungen Raddrehzahl / Radkräfte ...... 111

7.3 Ergebnisse ...... 112 7.3.1 Verhalten des Reifens bei langsamen Luftverlust...... 114 7.3.2 Verhalten des Reifens ohne Ventileinsatz (Fülldruck 0 bar) ...... 115

7.4 Zusammenfassung Notlaufverhalten...... 117

8 ZUSAMMENFASSUNG...... 119

9 ABSCHLIEßENDE BETRACHTUNG UND AUSBLICK...... 122

10 LITERATURVERZEICHNIS ...... 125

VIII Abkürzungen und Eigennamen

Abkürzungen und Eigennamen

Abkürzung Bezeichnung

ABS Anti-Blockier-System

CSR Conti Sicherheits Ring

CTS Conti System

CWS Clamped Wheel System

DDS Deflection Detection System

DSST Dunlop Self Supporting Tyre

EMT Extended Mobility Tyre

FE-Modell Finite Element Modell

FFT Fast Fourier Transformation

LCF Low Cycle Fatigue (Niedrig-Lastwechsel-Ermüdung)

MKS-Modell Mehrkörper-Simulations-Modell

OE Original Equipment

PAV Pneu Accrochage Vertical

PAX Pneu Accrochage Vertical (X für Radial)

RDKS Reifenduck-Kontrollsystem

RFT Run Flat Technology

SPS Speicherprogrammierbare Steuerung

SST Self Supporting Tyre

TPMS Tire Pressure Monitoring System Formelzeichen und Indizes IX

Formelzeichen und Indizes

Symbol Einheit Bezeichnung

YMax [-] Mittelwert Maximalwerte

YMin [-] Mittelwert Minimalwerte

Λ [-] logarithmische Dekrement

Frequenzverhältnis zwischen Erreger- und Eigen- η [-] frequenz

ϕ [-] Phasenverschiebung

δ [N/mm²] Spannung

δa [N/mm²] Spannungsamplitude

δaD [N/mm²] Spannungsamplitude Dauerfestigkeit

δm [N/mm²] Mittelspannung c [N/m] Steifigkeit cSL [N/mm] Steifigkeit auf Schlagleiste cR [%] Rollwiderstandsbeiwert

D [-] Dämpfungsmaß

DG [-] Dämpfungsgrad

⎡⎤kg ⋅m2 Ekin ⎢⎥2 kinetische Energie ⎣⎦s f [Hz] Frequenz

FA [N] Kraftamplitude

FA- Querlenker [N] Kraftamplitude am Querlenker X Formelzeichen und Indizes

Symbol Einheit Bezeichnung

FA- Spurstange [N] Kraftamplitude an der Spurstange

FA- Zugstrebe [N] Kraftamplitude an der Zugstrebe

FA-Karosserie [N] Kraftamplitude Karosserie

FA-Topmount [N] Kraftamplitude am Topmount

FD [N] Kraftwert für Dauerfestigkeit fM [Hz] Messfrequenz

Fo [N] Kraftmaximum fSL [Hz] Frequenz Schlagleiste

Fu [N] Kraftminimum

Fx [N] Längskraft

Fx-global [N] Kraft in Trommellaufrichtung

Fx-Karosserie [N] Längskraft Karosserie

Fx-Querlenker [N] Längskraft am Querlenker

Fx-Spurstange [N] Längskraft an der Spurstange

Fx-Topmount [N] Längskraft am Topmount

Fx-Zugstrebe [N] Längskraft an der Zugstrebe

Fy [N] Lateral- / Querkraft

Fy-global [N] Kraft quer zur Trommellaufrichtung

Fy-Karosserie [N] Querkraft Karosserie

Fy-Querlenker [N] Querkraft am Querlenker

Fy-Spurstange [N] Querkraft an der Spurstange

Fy-Topmount [N] Querkraft am Topmount

Fy-Zugstrebe [N] Querkraft an der Zugstrebe

Fz [N] Vertikalkraft

Fzdynamisch [N] Radlast dynamisch Formelzeichen und Indizes XI

Symbol Einheit Bezeichnung

Fz-global [N] Kraft senkrecht zur Trommeloberfläche

Fz-Karosserie [N] Vertikalkraft Karosserie

Fz-Querlenker [N] Vertikalkraft am Querlenker

Fz-Spurstange [N] Vertikalkraft an der Spurstange

Fzstatisch [N] Radlast statisch

Fz-Topmount [N] Vertikalkraft am Topmount

Fz-Zugstrebe [N] Vertikalkraft an der Zugstrebe

H [-] Häufigkeit

HSL [mm] Höhe der Schlagleiste k [-] Neigung Wöhlerlinie k [N s/m] Dämpfungskonstante

LSL [mm] Länge der Schlagleiste m [kg] Masse

5 M ⎣⎦⎡⎤N Minerbeiwert

5 MSL ⎣⎦⎡⎤N schlagleistenbezogener Minerbeiwert n [-] Häufigkeit

N [-] Schwingspiele

ND [-] Schwingspiele Dauerfestigkeit

Rm [N/mm²] Bruchfestigkeit

Rp [N/mm²] Fließgrenze rTrommel [m] Trommelradius

S [-] Schlupf

SBr [-] Schwankungsbreite

Si [-] Einzelschädigung XII Formelzeichen und Indizes

Symbol Einheit Bezeichnung

SLAnzahl [-] Anzahl der Schlagleistendurchgänge sM [mm] Messabstand

SMiner [-] Schädigung nach Miner

SRA_F [%] Schluckvermögen Radaufhängung Kraftauswertung

SRA_s [%] Schluckvermögen Radaufhängung Wegauswertung

SRPS [%] Schluckvermögen Reifenprüfstand

SRPS [-] Schluckvermögen Reifenprüfstand

SSL [N] schlagleistenbezogener Stressbeiwert sz-Karosserie [mm] Vertikalbewegung der Karosserie sz-Rad [mm] Vertikalbewegung des Rades t [s] Zeit ti [s] Zeitabschnitt

TSL [s] Dauer Schlagleistendurchgang

V [-] Varianz vF [km/h] Fahrgeschwindigkeit vR [km/h] Umfangsgeschwindigkeit Rad vTrommel [km/h] Trommelgeschwindigkeit

Y [-] Amplitude y [-] Momentanwert

Y0.1 [-] 10%-Amplitude

Y0.9 [-] 90%-Amplitude

ω [1/s] Kreisfrequenz

Einleitung 1

1 Einleitung

Das Ende des Reserverades nach fast 120 Jahren Automobilbau ist in Sicht. Fachleute der Automobil- und Reifenindustrie erwarten, dass das Reserverad bis 2010 ausgedient hat. Der erste Großserien-Automobilhersteller (BMW) wird ab sofort alle neu zu entwickelnden Fahr- zeuge ohne Reserveradmulde konstruieren. Diese Fahrzeuge sollen mit Runflat-Reifen aus- gestattet werden. So nennt man die Reifen, die auch bei völligem Luftverlust eine begrenzte Weiterfahrt ermöglichen und damit das Reserverad überflüssig machen. Aber schon heute werden für fast alle Fahrzeuge bei BMW und einigen weiteren europäischen Herstellern wie , Audi und Mercedes Notlaufreifen als Serien- oder Sonderausstattung angeboten.

Seit der Erfindung des luftgefüllten Reifens 1888 durch John Boyd Dunlop ist ein Hauptau- genmerk der Entwickler die Verringerung seiner Pannenanfälligkeit. Zu Beginn überstand ein Reifen keine 50 km ohne einen Defekt. Das Mitführen eines intakten Reserverades war zwin- gend notwendig für das Ermöglichen der Weiterreise im Fall einer zu erwartenden Reifen- panne. Somit stand auch bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts die Gewährleistung seiner Betriebssicherheit im Vordergrund der Entwicklung. Heute hat ein Reifen im statistischen Durchschnitt alle 150.000 km oder alle 10 Jahre einen Defekt, der die Weiterfahrt unterbricht. Aber noch immer wird in einem Großteil der Fahrzeuge ein vollwertiges Reserverad mitge- führt. Bei rationaler Betrachtungsweise ist dieses für den Automobilentwickler aber auch für den Nutzer überflüssig. Zumal: • abhängig vom Fahrzeugtyp inklusive des notwendigen Werkzeuges eine zusätzliche Mas- se von 15-30 kg mitgeführt werden muss, • ein Gepäckraumvolumen von bis zu 100 Litern nicht nutzbar ist, 2 Einleitung

• der äußerlich neue Reservereifen nach mehreren Jahren moralisch und physisch verschlie- ßen ist, • die Panne möglicherweise im Winter mit Winterbereifung passiert und als Reserverad nur ein Sommerreifen zur Verfügung steht, • der Druck im Reservereifen nicht kontrolliert wird und gegen Null tendiert • und man nicht zuletzt gar nicht mehr weiß, wie das Rad gewechselt wird oder kein ent- sprechendes Werkzeug vorhanden ist.

Doch immer wieder kommt es zu Verkehrsunfällen in Folge von Reifenschäden. Die Ursache liegt sicherlich zu einem großen Teil an mangelnder Pflege und Wartung und zu einem ande- ren Teil an eingedrungenen Fremdkörpern. Aber egal welche Ursache ein Reifenschaden hat, bei höheren Geschwindigkeiten ist er immer ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Des Weiteren ist auch die menschliche Angst vor einer Panne sehr groß. Infolgedessen müs- sen auch Fahrzeuge ohne Ersatzreifen in der Lage sein, ohne fremde Hilfe bis zum Ziel oder zur nächsten Wechselgelegenheit zu gelangen.

Eine neue Reifengeneration von Notlaufreifen soll nun das Sicherheitsrisiko eines plötzlichen Reifenschadens verringern und es ermöglichen, die Fahrt im Fall einer Reifenpanne ohne Un- terbrechung bis zum Ziel oder einer Werkstatt fortzusetzen.

Die Notlaufeigenschaften eines Reifens bei Fülldruck „0“ wurden in den USA schon 1995 in einer J.D. Power-Studie [1] als die am meisten gewünschte Sicherheitsausstattung eingeord- net. Auch laut einer aktuellen Untersuchung in Deutschland würden nahezu sieben von acht befragten Autofahrern pannensichere Reifen als Ausstattung ihres Fahrzeuges gegenüber we- niger sicherheitsrelevantem Zubehör bevorzugen [2]. Dabei glaubt fast jeder zweite Autofah- rer, dass Reifen mit Notlaufeigenschaften einen wichtigen Beitrag für größere Fahrsicherheit leisten. Nahezu 60 Prozent sind überzeugt, dass selbsttragende Reifen im Pannenfall ein Mehr an Sicherheit und Mobilität garantieren. Obwohl derzeit nahezu ohne praktische Erfahrung, würden bereits 54 Prozent der Autofahrer Reifen mit Notlaufeigenschaften ihren herkömmli- chen Reifen vorziehen und drei Viertel aller Befragten dafür sogar einen Aufpreis zahlen [3].

In dieser Arbeit werden jetzt einige der noch zu klärenden Fragen auf dem Weg bis zum voll- ständigen Wegfall des Reserverades behandelt. Dies betrifft vor allem praktische Fragen in der Reifenentwicklung aber auch bezüglich des zukünftigen Serieneinsatzes beim Automobil- hersteller. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 3

2 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

2.1 Allgemein

In diesem Abschnitt werden Prüf- und Untersuchungsverfahren der Reifenentwicklung vorge- stellt, wie sie in der Vergangenheit und in der heutigen Zeit durchgeführt und angewendet werden. Spezielle Verfahren für Notlaufreifen existieren bis heute nicht oder nur in den Ent- wicklungsabteilungen der Reifen und Automobilhersteller. Im Wesentlichen werden diese Reifen wie normale Standardreifen getestet, deren Anforderungen sie auch erfüllen müssen.

Prinzipiell muss bei der Entwicklung eines Reifens unterschieden werden in Untersuchungen, die im Rahmen der Forschung/Vorentwicklung durchgeführt werden und die im Rahmen der Reifenentwicklung/Reifenfreigabe absolviert werden müssen.

2.1.1 Forschung / Vorentwicklung

Die Untersuchungen im Rahmen der Forschung sind bestimmt von vielfältigen neuen Ent- wicklungen. Elektronik und Informationstechnologie erlauben Fortschritte im Fahrwerksbe- reich, die zum Beispiel über aktive Fahrwerkregelungen einen deutlichen Beitrag zur aktiven Sicherheit leisten können [4]. Doch auch das Fahrwerk der Zukunft in Verbindung mit dem Reifen wird seine wesentlichen Basiseigenschaften weiterhin durch (intelligente) mechani- sche Komponenten sicherstellen. Bei der Untersuchung des Reifens und seiner Eigenschaften kann man sechs grundlegende Bereiche unterscheiden, auf die im nachfolgenden näher einge- gangen werden soll. 4 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

2.1.1.1 Mischungsuntersuchungen

Über ein Dutzend verschiedene Gummimischungen werden in einem modernen Reifen ver- baut. Für die allgemeinen Fahreigenschaften eines Reifens ist die Laufflächenmischung ent- scheidend [5].

Die gleichzeitige Verbesserung sich scheinbar widersprechender Reifeneigenschaften wie z.B. Rollwiderstand, Nassrutschfestigkeit, Langlebigkeit und Wintertauglichkeit ist eine wich- tige Forderung der Automobilindustrie. Mit der Einführung des Kieselsäure/Silan-Systems in Kombination mit speziellen Lösungspolymeren in PKW-Laufflächen zu Beginn der neunziger Jahre konnte diese Forderung erfüllt werden [6].

Grundlage jeder Gummimischung sind Kautschuke. Das sind zum einen Naturkautschuk und zum anderen verschiedene synthetische Kautschuke. Der Naturkautschukanteil nimmt heutzu- tage immer mehr ab. Ein weiterer großer Anteil sind die Füllstoffe. Während früher fast nur Industrieruß verwendet wurde, wird dieser Füllstoff heutzutage immer mehr durch Kieselsäu- re (Silica) ersetzt. Es werden schon Reifen gebaut, in denen fast 100 Prozent des Füllstoffes Kieselsäure ist [7]. Das Problem bei den hohen Silica-Anteilen ist die schwere Misch- und Verarbeitbarkeit.

Die Forschung ist aber immer auf der Suche nach weiteren Füllstoffen. So gibt es bei Good- year Untersuchungen mit einem nachwachsenden Rohstoff: dem Mais. Dabei wird ein Be- standteil aus Maisstärke („BioTRED“) als Füllstoff in die Laufflächenmischung eingearbeitet. Dieser soll nun herkömmliche Partikel wie Ruß und Silica ersetzen [8]. Das neue Konzept ist in vielerlei Hinsicht interessant: Durch das geringere spezifische Gewicht des Materials wird der Reifen leichter, das wiederum spart Treibstoff. Außerdem bietet der Reifen einen 5% ge- ringeren Rollwiderstand und verbessert das Nassrutschverhalten. „BioTRED“ wird bis jetzt nur im Goodyear GT 3 eingesetzt.

2.1.1.2 Untersuchung der physikalischen Reifeneigenschaften

Unter den physikalischen Eigenschaften eines Reifens versteht man die Wechselwirkungen zwischen dem Reifen und den von außen angreifenden Kräften. Die Untersuchung dieser Wechselwirkungen, ihrer Abhängigkeiten von den verschiedensten Einflüssen und eine mög- lichst genaue modellhafte Beschreibung sind umfangreiche Forschungsschwerpunkte. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 5

Begonnen hat man mit diesen Untersuchungen in den 20er Jahren mit der Messung des Gleitwiderstandes auf verschiedenen Fahrbahnbelägen [9]. In den 30er Jahren erkannte man, dass sich Aussagen zur Rutschfestigkeit auf die Fahrdynamik übertragen lassen und man be- gann, die für das Fahrverhalten wichtigen Seitenführungskräfte messtechnisch zu untersuchen und die wesentlichen Eigenschaften und Einflüsse zu erfassen [10]. Die Erhöhung der Rutsch- festigkeit hatte auch nach dem 2. Weltkrieg oberste Priorität und zeigte sich in vielen Unter- suchungen auf dem Gebiet der Reibwertforschung. Die bekannteste mit ihren auch heute noch allgemein anerkannten Vorstellungen von der Kraftübertragung zwischen Reifen und Fahr- bahn ist die Theorie über den Mechanismus der Gummireibung von Meyer und Kummer [11]. Die versuchstechnische Bestätigung dieser Theorien erfolgte durch Schallamach [12] und Geyer [13]. Zur weiteren Verbesserung des Fahrverhaltens werden dynamische Untersuchun- gen am Reifen durchgeführt [14].

Aber auch heute noch ist der optimale Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn eine Vor- aussetzung für die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Für die gezielte Optimierung des Kraft- schlussverhaltens ist die Untersuchung der Abhängigkeiten des Reibbeiwertes von grundle- gender Bedeutung [15].

Neben der Optimierung sind Kenntnisse über das Kraftschlussverhalten von Reifen für die Fahrwerksentwicklung von entscheidender Bedeutung. So werden die entsprechenden Rei- fenkennlinien als Eingangsgrößen für Fahrwerksimulationsrechnungen benötigt. Siehe dazu [16] oder [17]. Die Ermittlung von Reifenkennlinien auf realen Fahrbahnen ist in [18] und [19] dargestellt.

Ein weiterer zukünftiger Aspekt für die Erhöhung der Verkehrssicherheit ist die Kenntnis über den aktuell ausgenutzten Kraftschlussbeiwert. So sollen permanent die Kraftschlussaus- nutzung und das Kraftschlusspotential erfasst werden. Diese Informationen können dem Fah- rer und Fahrzeugregelsystem zur Verfügung gestellt werden [20]. Eine Grundlage dafür ist die Ermittlung der tatsächlich wirkenden Reifenkräfte im Fahrbetrieb [21]. Dies kann zum Beispiel mittels eines Reifensensors erfolgen. Siehe dazu [22] oder [23].

Bei der tiefgründigen Untersuchung des Reibverhaltens ist die Betrachtung der postkarten- großen Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn - der Reifenaufstandsfläche - ein weite- rer Schwerpunkt. Untersuchungen hierzu sind in [24] aufgeführt und Messmöglichkeiten sind in [25] dargestellt. 6 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

2.1.1.3 Reifenmodellbildung / Schwingverhalten

Zur Verkürzung von Entwicklungszeiten und Verringerung von Entwicklungskosten werden für theoretische Untersuchungen zur Fahrdynamik und für die Fahrwerksentwicklung Simula- tionsmodelle eingesetzt [26]. Eine notwendige Voraussetzung dafür sind Reifenmodelle [27]. So kann heute das Verhalten von Reifen auf unterschiedlichen Straßenbelägen ebenso berech- net werden, wie Simulationen - im Bereich der Fahrdynamik, des Fahrkomforts bis hin zu Lebensdauertests mit virtuellen Fahrzeugmodellen – möglich sind.

Mit den Fortschritten in der Rechentechnik ist es möglich, immer komplexere Modelle aufzu- stellen, die den Reifen in vielen Punkten realitätsnah darstellen können. Je komplexer das Modell umso größer ist aber auch der Aufwand bei der Parametereinstellung. Ideal ist ein an die individuellen Anforderungen optimiertes Simulationsmodell. Dieses ist - wo möglich - grob gehalten, aber an den nötigen Stellen entsprechend verfeinert [28].

Die Kenntnis des Schwingverhaltens von Reifen ist die Grundlage für die Erstellung realitäts- naher Reifenmodelle [29]. Die Untersuchung dieser dynamischen Reifeneigenschaften befin- det sich allerdings noch im Anfangsstadium. Die Gründe dafür liegen in der noch gering ent- wickelten Prüfstandstechnologie zur Untersuchung des Einlaufverhaltens im querdynamisch relevanten Frequenzbereich bis 5 Hz [30].

2.1.1.4 Reifen-Fahrbahn-Geräusch

Die Problematik des Reifengeräusches ist ein weiterer Schwerpunkt in der Reifenentwick- lung. Die Fahrzeuge werden allgemein leiser und als dominierende Geräuschquelle tritt im- mer mehr der Reifen hervor. Speziell zu diesem Thema existiert eine umfangreiche Literatur. Beispielhaft soll an dieser Stelle auf [31] und [32] verwiesen werden.

2.1.1.5 Warn- und Notlaufsysteme / Rad-Reifen-Systeme

Hierzu wird im nachfolgenden Abschnitt „Notlaufsysteme“ gesondert Stellung genommen.

2.1.1.6 Gesamtsystem Reifen-Räder-Fahrwerk

Der Ursprung der Kräfte, die auf das Fahrwerk einwirken, liegt in der Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn. In dieser werden, wie weiter oben schon erwähnt, die gesamten Auf- stands-, Seiten- und Längskräfte übertragen. Damit gehören die Räder mit den Reifen zu den Stand der Technik in der Reifenentwicklung 7 höchstbeanspruchten Bauteilen am Fahrwerk. Die Anforderungen an moderne Fahrwerke bezüglich Fahrdynamik und Fahrkomfort verlangen immer komplexere Achskonstruktionen. Die hohe Komplexität dieser Mehrlenker-Radaufhängungen verursacht eine sehr hohe Sensi- bilität auf die Änderung einzelner Komponenten. Eine Optimierung des Fahrwerks ist deshalb ohne eine Betrachtung der entstehenden und übertragenen Kräfte am Rad nicht möglich.

Die Forschung am Fahrwerk kann in folgende Schwerpunkte unterteilt werden: • Versuchstechnische Analyse des Gesamtsystems, • Simulation der Achs- und Elastokinematik und -dynamik, • Schwingungstechnische Optimierung und • Lebensdaueranalysen.

Zur versuchstechnischen Analyse von Fahrwerken oder einzelner Fahrwerkskomponenten bezüglich der Achs- und Elastokinematik werden Achsvermessungs-Prüfstände verwendet [33]. Die Analyse von dynamischen Eigenschaften wird zum Beispiel in [34] und [35] darge- stellt.

Die Verkürzung der Entwicklungszeiten erfordert vor allem im Anfangsstadium des Entwick- lungszyklus den konsequenten Einsatz entsprechender Simulationsprogramme [36].

Die schwingungstechnische Optimierung ist notwendig zur Steigerung des Fahrkomforts und zur Reduzierung der Fahrwerksbelastungen. Neben der versuchstechnischen Optimierung durch direktes Messen der Schwingkräfte [37] werden auch verstärkt rechnerische Methoden, wie in [38] dargestellt, angewendet.

Ein großes Problem in der nächsten Entwicklungsstufe ist die Erreichung der gewünschten Anforderungen an die Betriebsfestigkeit bei gleichzeitiger Minimierung der Masse. Grund- voraussetzung für die Optimierung ist die Kenntnis der realen Belastung im Fahrbetrieb. Da- mit mit diesen Untersuchungen nicht erst im Prototypenstadium begonnen werden kann, wer- den die neuen Achsen in existierende Fahrzeuge eingebaut oder es werden so genannte Expe- rimentierfahrzeuge eingesetzt [39]. Zur Ermittlung der tatsächlich auftretenden Reifenkräfte bei realen Fahrmanövern werden Radmessnaben eingesetzt [40]. Die gemessenen Belastungen können im Labor mittels ein- oder mehraxialer Räderprüfstände [41] „nachgefahren“ werden. 8 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

2.1.2 Reifenentwicklung / Freigabe

In der normalen Reifenentwicklung nach Lastenheft werden keine komplexen Untersuchun- gen durchgeführt. Im Wesentlichen handelt es sich nur noch um Prüfungen, ob die gewünsch- ten bzw. geforderten Eigenschaften erreicht werden. Unterschieden wird dabei in objektive und subjektive Prüfungen. Zu den objektiven Prüfungen, die in Tabelle 2-1 dargestellt wer- den, gehören die Maschinenprüfungen und einige Fahrversuche.

Der Großteil der Fahrversuche zählt jedoch zu den subjektiven Prüfungen, zu denen durch erfahrene Testfahrer subjektive Beurteilungen abgegeben werden. Dazu gehören vor allem Aussagen zum: • Geradeausfahrverhalten (Geradeauslauf, Stabilität auf unebener Straße, Lastwechsel, Empfindlichkeit auf Spurrillen usw.) • Lenkverhalten (Nulllage, Lenkreaktion, Lenkgenauigkeit, Lenkkraft, usw.) • Seitenführung (Wechselkurven, Kurvenstabilität, Lastwechsel, Überholverhalten, usw.) • Komfort (Fahrkomfort, Einzelhindernis, Mehrfachhindernis – Stuckern, akustische und mechanische Dämpfung, Vibrationen, usw.) • Geräusch (Abrollgeräusche, Kurvengeräusche –Einlauf / Auslauf, Aufbaugeräusch, usw.)

Das Bewertungssystem der führenden Automobilhersteller, dem sich auch die Reifenherstel- ler angepasst haben, ist ein 10-Punkte-System mit einer Abstufung von einem halben Punkt. Für O.E.-Freigaben ist ein Gesamtdurchschnitt von mehr als 6 Punkten notwendig.

Zur Bewertung werden maximal 3 Satz Reifen hintereinander gefahren und beurteilt. Bei ei- ner größeren Anzahl von Reifen werden die Reifensätze in Gruppen eingeteilt und bewertet. Anschließend werden die jeweiligen Gruppenbesten gegeneinander bewertet.

Neben den Standardprüfungen, wie sie in Tabelle 2-1 dargestellt sind, werden von jedem Fahrzeughersteller für die Freigabe noch spezielle Kriterien vorausgesetzt bzw. überprüft. Diese speziellen Kriterien sind abhängig von der entsprechenden Philosophie der Marke. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 9

Tabelle 2-1: Objektive Prüfungen in der Reifenentwicklung

Maschinenprüfungen Fahrzeugprüfung

• Schnelllauffestigkeits- / Belastungstest • ABS-Bremsen trocken / nass Die Geschwindigkeit des Reifens wird Aus 100 km/h wird das Fahrzeug im stufenweise unter gegebener Belastung ABS-Regelbereich abgebremst. Der bis zur Höchstgeschwindigkeit gestei- gemessene Bremsweg, meist zwischen gert. Ein Sturzwinkel kann eingestellt 100 und 20 Km/h, wird in eine mittlere werden. Verzögerung umgerechnet und stellt ei- nen Wert für die ABS-Verzögerungsfähigkeit dieses Rei- fens dar. • Dauerlauf • Längs- / Queraquaplaning Schwerpunkt dieser Messung ist der Er- Es wird die Geschwindigkeit ermittelt, halt der Strukturfestigkeit auch nach ei- bei der es zum Aufschwimmen auf der ner längeren Laufzeit. Gerade bzw. in einer Kurve kommt. • Rollwiderstand • Abwurftest Durchführung nach DIN ISO 8767 oder Bei Kurvenfahrt wird durch Herausrei- zum Beispiel auch nach BMW-Norm ßens des Ventils ein plötzlicher Luftver- lust simuliert. Der Reifen darf dabei nicht von der Felge springen. • Uniformity • Reifengeräusch und auch High Speed Unifomity zur Es wird das Vorbeifahrgeräusch bei ab- Überprüfung der Produktionsqualität. gestelltem Motor für verschiedene Ge- Gemessen werden hauptsächlich die La- schwindigkeiten gemessen. teral- und Radialkraftschwankungen. • Geometrische Reifenvermessung • Abriebverhalten zur Kontrolle der genormten Reifenab- Über eine längere Laufstrecke wird die messungen Veränderung der Profilhöhe im Mitten- und Schulterbereich gemessen.

10 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

2.2 Notlaufsysteme

In diesem Abschnitt wird zum allgemeinen Verständnis ein grundsätzlicher Überblick über die vorhandenen Notlaufsysteme gegeben. Relativ kurz wird die Historie der Notlaufreifen abgehandelt, da die meisten Systeme nicht über das Entwicklungsstadium hinausgekommen sind.

2.2.1 Ziel aller Notlaufsysteme

Bei Luftverlust eines Reifens muss zwischen zwei Zuständen unterschieden werden.

1. Der Luftverlust ist schleichend bis zum völligen Druckverlust und es wirken keine größeren Seitenkräfte. Die Folge ist eine eingeschränkte Manöv- rierbarkeit und die Weiterfahrt führt zu ei- ner schnellen Zerstörung des Reifens an

zwei signifikanten Stellen. Das ist zum ei- Abb. 2-1: Druckloser Standardreifen bei nen die außen liegende Kontaktstelle zwi- Geradeausfahrt schen Seitenwand und Straße und im Inne- ren an der Berührungsfläche der gefaltet aufeinander liegenden Seitenwand, siehe da- zu Abb. 2-1. Auf Grund der hohen Reibungskräfte an diesen Stellen und entsprechen- der thermischer Überhitzung besteht eine sehr hohe Brandgefahr und eine Weiterfahrt ist nur über eine relativ geringe Distanz möglich.

2. Bei einem durch Luftverlust „geschwäch- ten“ Reifen kann die Reifenwulst durch angreifende Seitenkräfte über den Hump in das Tiefbett der Felge gedrückt wird, siehe dazu Abb. 2-2. Die Größe der dafür erforderlichen Seitenkräfte ist abhängig

von der Höhe des Luftverlustes. Bei Abb. 2-2: Druckloser Standardreifen bei schlagartigem Luftverlust und entspre- Kurvenfahrt chend drucklosem Zustand des Reifens Stand der Technik in der Reifenentwicklung 11

kann dafür schon der erforderliche Lenkausgleich zur Kurshaltung ausreichen. Die Folge dessen ist eine stark eingeschränkte Manövrierbarkeit und es besteht vor allem bei höheren Geschwindigkeiten eine sehr hohe Unfallgefahr.

Erstes Ziel aller Notlaufsysteme ist deshalb die Schaffung einer zuverlässigen Verbindung zwischen Reifen und Felge, die auch im drucklosen Zustand einen sicheren Halt gewährleis- tet. Ist dieser zuverlässige Sitz des Reifens auch im drucklosen Zustand gewährleistet, ist bis zur Zerstörung des Reifens noch eine gewisse Fahrsicherheit gegeben.

Zweites Ziel aller Notlaufsysteme ist eine Beseitigung dieser zur Reifenzerstörung führenden Reibstellen im Inneren und Äußeren des Reifens.

2.2.2 Geschichtlicher Rückblick

Stichpunktartig wird nachfolgend ein kurzer Überblick über die schon geleisteten Anstren- gungen zur Erhöhung der Sicherheit bzw. der Ermöglichung der Weiterfahrt im Pannefall gegeben.

• 1934 Goodyear - „Lifeguard safety-tube“ - Eine Stoffkammer im Inneren gibt im Pan- nenfall Luft ab und verhindert einen plötzlichen Luftverlust.

• 1955 Goodyear - „Captive-Air“ – Mittels einer Doppelkammer wird einem Druckver- lust entgegengewirkt. Das System hatte keinen Erfolg.

• 1963 Goodyear - „Lifeguard Safety Spare“ – Weiterentwicklung des „Lifeguard safety- tube“, prinzipiell befindet sich ein zweiter Reifen im Reifen.

• 1973 Kléber - „TTT-System“ – In einem Reifen befinden sich drei Luftkammern mit je einem Ventil. Ein sehr aufwändiges System, ohne Erfolg.

• 1973 Dunlop – DENOVO - Ein Rad-Reifen-System, wo die Wulst eines neuartigen Reifens in einer speziellen Felge eingeklemmt wird.

• 1974 - TRX-System Ein Rad-Reifen-System ähnlich dem Denovo- System. Die Felge hat ein niedrigeres und abgeschrägtes Felgenhorn..

• 1977 Goodyear - Es werden Reifenstabilisatoren aus glasfaserverstärktem Kunststoff für den Notlaufbetrieb vorgestellt.

• 1978 Goodyear - Der erste SST (Self-Supporting Tire) mit Versteifungen in der Sei- tenwand wird präsentiert. Dieser wird noch als zu teuer eingeschätzt.

• 1978 Dunlop - „Denloc-System“ – weiter entwickeltes „DENOVO-Systems“

• 1983 Dunlop/Michelin – „TD-Sicherheits- und Notlaufsystem“ - Gemeinschaftsent- wicklung mit Elementen des TRX- und „Denloc-Systems“ 12 Stand der Technik in der Reifenentwicklung

• 1985 Juhan - Zwillingsreifen für PKW – Der komplizierte und schwere Aufbau und das Problem der gleichmäßigen Druckverteilung verhindern Erfolg.

• 1987 Goodyear - „TIMES-System“ – Nochmals ein kleinerer Reifen im Reifen

• 1989 Michelin - „FRS-System“ – Mittels einer Schaumstofffüllung im Reifen wird ihm im Pannenfall eine gewisse Formstabilität gegeben.

• 1989 Continental - CTS (Conti Tire System) - Ein Rad-Reifen-System wo der Felgen- kranz nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist.

• 1990 Bridgestone - Spezielle Humpform der Felge wurde zur Verhinderung des Ab- springens für die Corvette und den Porsche 959 entwickelt.

• 1992 Goodyear - Es gelingt der Durchbruch mit einem SST, der auf einer Chevro- let Corvette als Sonderausstattung eingesetzt wird.

• 1997 Michelin - PAV-System welches 1998 in PAX umbenannt wird. Bei diesem Sys- tem wird der Reifen senkrecht an der Felge fixiert.

• 1998 Dunlop - entwickelt den DSST (Dunlop Self Supporting Technology) der auf dem SST-Prinzip basiert.

• 2000 Continental - „CWS-System“ - Ein Rad-Reifen-System mit auf der Felge sitzen- den Stützring aus Gummi/Textil für den Pannenfall.

• 2000 Continental - „CSR-System“ – Ein Stützring mit flexibler Lagerung auf der Felge der auch zum nachträglichen Einbau geeignet ist.

2.2.3 Aktuelle Notlaufsysteme

Auf dem Markt und in der Entwicklung sind im Wesentlichen drei verschiedene Notlaufsys- teme zu finden, siehe dazu Abb. 2-3. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 13

Notlaufsysteme

Rad-Reifen-Systeme Verstärkte Seitenwände Reifeneinlagen

PAX - Michelin DSST - Dunlop CSR - Continental

CWS - Continental EMT - Goodyear u.a.

Eufori@ -

SSR - Bridgestone

Sonderfahrzeuge, Audi, Renault BMW, Mercedes Anhänger, Nachrüstung

Abb. 2-3: Aktuelle Notlaufsysteme

2.2.3.1 Rad-Reifen-Systeme

Bei dieser Gruppe mit speziellen Rad-Reifen-Systemen, können durch eine neuartige Kombi- nation von Felge und Reifen die größten konstruktiven Freiheiten und ein Optimum an Fahr- eigenschaften erzielt werden.

Der große Nachteil ist die Nichtkompatibilität mit dem herkömmlichen Reifen und Felgenbestand sowie den entsprechenden Montiermaschinen. So- mit ist dieses System nur für Neuentwicklungen geeignet und es muss ein zweites Servicekonzept für den Ersatzbedarf aufgebaut werden.

Aktuell gibt es von Michelin das PAX-System Abb. 2-4: PAX-System Abb. 2-4 und eventuell von Continental das CWS- System Abb. 2-5.

Beiden gemeinsam ist die feste mechanische Verbindung zwischen einem speziell ausgebilde- ten Felgenhorn und dem Reifen. Diese verhindert zuverlässig das Ablaufen des Reifens von der Felge. Die aus einem modernen Kunststoff bestehende innen liegende Auflage erfüllt bei völligem Luftverlust die Funktion, die vorher der Luft zukam. Das sind zum einen das Tragen 14 Stand der Technik in der Reifenentwicklung der Fahrzeuglast und zum anderen die Übernahme der Führungskräfte für die Kraftübertragung zwi- schen Rad und Fahrbahn.

Neben der Pannenlauffähigkeit ergeben sich theo- retisch weitere Vorteile für dieses System. · Die beim Normalreifen für den festen Sitz er- forderliche aufwändige Wulstgestaltung ent- Abb. 2-5: CWS-System fällt. Damit können die Seitenwände des Rei- fens geschmeidiger gestaltet werden, was dem Fahrkomfort und dem Rollwiderstand zu- gute kommt. · Die generell niedrige Seitenwand kann die Handlingeigenschaften erhöhen und schafft Raum für den Einbau größerer Bremsen

2.2.3.2 Verstärkte Seitenwände

Bei diesem erstmals 1978 von Goodyear vorgestellte Sys- tem sind in die Seitenwände flexible Gummistreifen mit einem besonders niedrigen Dämpfungsgrad einvulkanisiert, Verstärkte Normalreifen siehe dazu Abb. 2-6. Diese verhindern größtenteils die Ab- Seitenwand plattung des Reifens im drucklosen Zustand und ermögli- chen somit eine nur wenig eingeschränkte Kraftübertra- gung im Pannenfall.

Eine modifizierte Wulstgestaltung mit einvulkanisierten Spannvorrichtungen und ein möglicherweise zusätzlich erhöhter Felgenhump gewährleisten den festen Halt des Reifens auf der Felge auch bei völligem Druckverlust. Abb. 2-6: Selbsttragende Rei- Diese Reifen unterscheiden sich äußerlich praktisch nicht fen vom herkömmlichen Standardreifen. Sie sind damit voll kompatibel mit den gebräuchlichen Felgen und Montiermaschinen. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 15

2.2.3.3 Stützringeinlagen

Bei Notlaufsystemen auf der Basis von Stützringeinlagen werden in das Tiefbett der Felge von Standardreifen zusätz- liche Einlagen bzw. Stützringe montiert. Durch diese wird der Reifen im Pannenfall auf der Felge fixiert und das Zu- sammenfalten der Seitenwände, welches zur Zerstörung derselbigen führt, verhindert. (Abb. 2-7) Abb. 2-7: CSR-System Mit mindestens jeweils etwa 3 kg pro Reifen sind diese Systeme indes relativ schwer und haben einen entspre- chend negativen Einfluss auf das Fahrverhalten.

Allerdings ist dies das einzige System, welches für die Nachrüstung und für Reifen mit höhe- ren Querschnittsverhältnissen geeignet ist. Es hat eine große Verbreitung bei Sonderfahrzeu- gen, beim Militär und bei der amerikanischen Polizei.

Es gibt noch andere Ringsysteme, hauptsächlich von US-Herstellern, die eine Weiterfahrt bei Luftverlust ermöglichen. Diese spielen aber für den Serieneinsatz keine Rolle. Sie wurden speziell für den militärischen Einsatz bzw. für den Einsatz auf Sonderfahrzeugen entwickelt. Zu nennen wäre da das System „Tyronâ“ von der Tyron Automotive Group [42], wo ein Si- cherheitsring das Abspringen der Reifenwulst aus dem Felgensitz verhindert oder das CRF- System [43] und das Rodgard-System [44] von Hutchinson Industries.

2.2.4 Runflat-Untersuchung bei BMW

Die Untersuchung der Runflat-Reifen bei BMW ist im Wesentlichen in [45] dargestellt. Dabei handelt es sich um Fahrversuche, die auf verschiedenen Strecken durchgeführt werden. An den Versuchsfahrzeugen werden an allen kritischen und zur Bewertung interessanten Stellen des Fahrwerkes Dehnmessstreifen angebracht. Das sind im Allgemeinen die Lenker, das Stützlager, die Feder und der Dämpfer.

Am Anfang wurden Messfahrten auf öffentlichen Straßen durchgeführt. Ziel der Messfahrten auf öffentlichen Straßen ist die Erfassung der Belastungen, die bei 90% aller Kunden auftre- ten. Dies wird auch als Normalkollektiv bezeichnet. Bei BMW setzt sich dieses Normalkol- 16 Stand der Technik in der Reifenentwicklung lektiv aus einem Stadtkollektiv mit einer Länge von 17,7 km und einem Überlandkollektiv mit 33,4 km zusammen.

Im Vergleich der Runflat-Reifen gegenüber Standardreifen war auf öffentlichen Straßen kaum ein Unterschied bezüglich der Belastung der Fahrwerksteile festzustellen. Lediglich der sub- jektive Eindruck des Testfahrers ergab Nachteile der Runflat-Reifen. Vor allem im unteren Geschwindigkeitsbereich wurden die Stöße auf Grund von Fahrbahnausbesserungen und Schlaglöchern als unangenehmer empfunden.

Daraufhin wurden Messfahrten auf Versuchsgeländen in Miramas und Aschheim durchge- führt. Der Kurs in Miramas ist annähernd ein lang gestrecktes Oval mit einer Gesamtlänge von 3000 m, einigen Kurven und einer Schlechtwegstrecke. Eine erhöhte Brücke erzeugt er- höhte Vertikalkräfte. Das Geschwindigkeitsniveau ist relativ hoch. Der verwendete Handling- kurs des BMW-Versuchsgeländes in Aschheim hat eine Länge von 2400 m. Darin enthalten ist eine Schlechtwegstrecke mit einer Länge von ≈650 m in der Westkehre. Diese Kehre in der Schlechtwegstrecke mit dem dort notwendigen Anbremsen und anschließenden harten Beschleunigen bewirkt die größte Belastung für das Fahrwerk.

Es hat sich gezeigt, dass nur auf dem Handlingkurs in Aschheim die Belastung einzelner Runflat-Reifen gegenüber einem Standardreifen deutlich höher ist. Vor allem Kräfte aus extremen Belastungen, die nur sehr selten auftreten, wie das starke Bremsen und Beschleunigung in der Schlechtwegstrecke, bewirken bei dem Runflat-Reifen deutlich höhere Kräfte und belasten dadurch das Fahrwerk viel stärker als die Standardberei- fung.

Für die Untersuchung wird die Strecke drei Mal gefahren, das sind gesamt 7,2 km und dann auf 10.000 km extrapoliert.

In der anschließenden Auswertung werden die gemessenen Daten über eine Klassierung zu einem Klassenkollektiv aufbereitet. Mit diesem wird eine Schädigungsrechnung entsprechend der Schadensakkumulationshypothese nach Miner elementar durchgeführt und man erhält für verschiedene Reifen unterschiedliche Schädigungswahrscheinlichkeiten. Es zeigte sich, dass vor allem Runflat-Reifen der ersten Generation eine zum Teil mehr als fünffach höhere Schä- digungswahrscheinlichkeit als herkömmliche Standardreifen hatten. Stand der Technik in der Reifenentwicklung 17

2.2.5 Fülldruck-Warnsysteme

Der Einsatz von Notlauf-Reifen macht den Einsatz von Fülldruck-Warnsystemen zwingend erforderlich. Durch die hohen Reserven dieser Reifen im Pannenfall ist ein schleichender Luftverlust oft nicht zu bemerken. Doch auch dieser würde nach einer gewissen Zeit oder extremer Belastung zur Zerstörung dieser Reifen mit der entsprechenden Unfallgefahr führen.

Die zur Verfügung stehenden Systeme können prinzipiell in direkt und indirekt messende Systeme unterschieden werden. Bei den direkt messenden Systemen erfolgt eine direkte Messung des Reifeninnendruckes über einen Sensor im Rad, während bei den indirekt messenden Systemen der entsprechende Fülldruck indirekt über die Auswertung von Hilfsgrößen wie der Raddrehzahl ermittelt wird.

Der Vorteil der direkt messenden Systeme ist die hohe Genauigkeit und der geringe Zeitver- zug bis zum Ansprechen. Ihr Nachteil ist der hardwaremäßig hohe Aufwand. Als Beispiel existieren das Reifendruck-Kontrollsystem (RDKS) von Beru [46] oder das Tire Pressure Monitoring System (TPMS) von Continental [47].

Im Gegensatz dazu ist der hardwaremäßig zusätzliche Aufwand bei den indirekt messenden Systemen sehr gering. Im Allgemeinen werden die vorhandenen ABS-Sensoren genutzt und aus dem Zusammenhang zwischen dem bei sinkendem Fülldruck kleiner werdenden Abroll- radius kann der tatsächliche Fülldruck bestimmt werden. Die Genauigkeit dieser Systeme und vor allem der Zeitverzug bis zum deutlichen Ansprechen sind als der große Nachteil dieser Systeme anzusehen. Als Beispiel existieren hierzu das War- nair von Dunlop [48] und das DDS von Continental [47]. 18 Aufgabenstellung und Zielsetzung

3 Aufgabenstellung und Zielsetzung

Wie an Hand des vorhergehenden Kapitels zu erkennen ist, gehen die meisten der in der Ent- wicklung vorhandenen Untersuchungsverfahren nicht auf die speziellen Fragestellungen be- züglich des Einsatzes von Notlaufreifen ein oder sie sind mit einem relativ hohen Aufwand (Fahrversuch) verbunden. Aber für den Automobilbauer und damit für den Kunden jedoch auch für den Reifenhersteller stehen gegenwärtig auf dem weiteren Weg zum reserveradlosen Fahrzeug folgende Fragen im Vordergrund. • Welche Vorteile aber auch welche Nachteile bewirkt der Einsatz dieser neuen Reifentech- nologie an seinen Fahrzeugen? • Wo sind die prinzipiellen Unterschiede zwischen herkömmlichen Reifen und Notlaufrei- fen und wie groß sind diese? • Ist eine Erhöhung der allgemeinen Belastung des Fahrwerks zu erwarten und bewirkt da- mit der Einsatz von Notlaufreifen auf Fahrzeugen, die für Standardbereifung ausgelegt sind, eine erhöhte Schädigungswahrscheinlichkeit und damit eine verkürzte Bauteille- bensdauer? • In welcher Größenordnung sind Komfortverschlechterungen zu erwarten? • Wie ist überhaupt das Notlaufverhalten dieser Reifen? Gibt es Möglichkeiten der Bewer- tung des defekten Reifens während des Fahrens am Fahrzeug?

Mit dieser Arbeit soll auf diese offenen Fragen, die vor einer umfassenden Serieneinführung der Runflat-Reifen aufkommen, eingegangen werden. Dazu werden eingangs grundlegende Unterschiede zwischen den heutigen Standardreifen und den Notlaufreifen dargestellt. Dies erfolgt über die Untersuchung der wesentlichen Eigenschaften dieser Reifen. Die Vielfalt der Aufgabenstellung und Zielsetzung 19 möglichen Analysen macht eine Beschränkung auf grundlegende Untersuchungen notwendig, mit deren Hilfe sich weitere Eigenschaften erklären lassen. Diese sind: • die statische Steifigkeit in vertikaler, tangentialer und lateraler Richtung, • das Verhalten der äußeren Reifenkontur unter dem Einfluss der Fliehkraft und dem Füll- druck und • das Schwingungsverhalten auf der glatten Stahltrommel sowie beim Überfahren von Schlagleisten.

Weitere, „resultierende“ Eigenschaften wie Rollwiderstandsverhalten, Schräglaufverhalten, Geradeausverhalten usw. sind zwar an einer Vielzahl von Reifen untersucht worden, sollen aber im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt werden, da diese den vorgesehenen Rahmen sprengen würden. Größtenteils sind diese Eigenschaften auch von den verwendeten Gummi- mischungen abhängig bzw. lassen sich durch die vorgenannten grundlegenden Eigenschaften erklären.

Weiterhin werden die Untersuchungen auf Runflat-Reifen mit verstärkten Seitenwänden be- schränkt werden. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe.

1. Diese Reifen haben nach Meinung des Verfassers die besten Voraussetzungen für eine schnelle und unkomplizierte Einführung in die Serie.

a. Durch die Verwendung heutiger Serienfelgen können die bestehenden Händ- lerstrukturen ohne Änderungen genutzt werden und es entstehen keine logisti- schen Probleme in der Ersatzteilversorgung. Selbst bei Nichtvorhandensein ei- nes entsprechenden Notlaufreifens kann ein normaler Standardreifen montiert werden und die Weiterfahrt ist nicht gefährdet.

b. Für die Montage und Demontage sind handelsübliche Montiermaschinen ge- eignet. Damit sind in den Werkstätten keine teuren Neuanschaffungen notwen- dig.

c. Die Weiterentwicklung der Reifen zu den so genannten Soft-Runflat hat die Nachteile der Reifen der ersten Generation vor allem bezüglich des Fahrkom- forts fast völlig beseitigt.

d. Es bestehen gute Möglichkeiten für die Entwicklung kundenspezifischer Lö- sungen durch eine Variierung der zu erreichenden Notlaufstrecke. Das heißt, 20 Aufgabenstellung und Zielsetzung

durch Verzicht auf eine gewisse Notlaufstrecke kann eine weitere Komforter- höhung erreicht werden. Genauso kann durch einen gewissen Verzicht auf Fahrkomfort und bei Akzeptierung der höheren Beanspruchung des Fahrwer- kes die Notlaufstrecke erhöht werden.

e. Diese genannten Vorteile der Notlaufreifen mit verstärkten Seitenwänden, im Weiteren auch Runflat-Reifen genannt, bewirken eine hohe Kundenakzeptanz. Der Kunde merkt im Prinzip gar nicht, dass er ein anderes Reifensystem auf seinem Fahrzeug hat.

2. Bei unvollkommener Anpassung der zusätzlichen Stützelemente in die Seitenwand können Reifen mit verstärkten Seitenwänden große Probleme in der Gewährleistung der an einen modernen Standardreifen gestellten Anforderungen haben.

Aus der Kenntnis der grundlegenden Zusammenhänge und Eigenschaften im Vergleich zwi- schen Runflat-Reifen und Standardreifen soll im Anschluss eine Methode zur vergleichenden Bewertung verschiedener Notlaufreifen bezüglich ihrer Belastungen auf das Fahrwerk entwi- ckelt werden. Wie die Auswertung von Fahrversuchen bei BMW zeigte, sind die resultierende Fahrwerksbelastung und damit die mögliche Schädigung des Fahrwerks bei dem Einsatz von Notlaufreifen mit verstärkten Seitenwänden zum Teil deutlich höher als bei Standardreifen. Doch Fahrversuche sind relativ teuer und die Vergleichbarkeit der Versuche ist durch die Wetter- und Versuchstreckenabhängigkeit stark eingeschränkt. Aus diesem Grund ist es ein Ziel, das Schädigungsverhaltens unterschiedlicher Reifen am Prüfstand bewerten zu können. Das zu entwickelnde Verfahren sollte möglichst einfach und praktikabel mit herkömmlichen Prüfanlagen durchgeführt werden können. Es sollte ein standardisierungsfähiger und gleich- zeitig aussagekräftiger Bewertungsalgorithmus für die Reifenentwicklung sein.

Des Weiteren soll untersucht werden, inwieweit am Prüfstand eine vergleichende Komfortab- schätzung zwischen verschiedenen Reifen möglich ist.

In einem letzten Punkt soll das Verhalten des Reifens im projektierten Notfall, also bei Druckverlust und auch im drucklosen Zustand untersucht werden. Ziel dieser Untersuchung ist die Aufdeckung von Möglichkeiten zur Beurteilung des Reifenzustandes während des Be- triebes, also ohne Demontage des Reifens. Diese Informationen sind von großer Bedeutung für die Entwicklung und Parametrierung der software-gestützten Reifendruck- Kontrollsysteme. Grundsatzuntersuchungen 21

4 Grundsatzuntersuchungen

In diesem Kapitel werden Untersuchungen vorgestellt, die geeignet sind, einige grundlegende Unterschiede zwischen Standard- und Runflat-Reifen darzustellen. Dabei werden wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Standard- und dem entsprechenden Runflat-Reifen herausgearbeitet und es wird geprüft, inwieweit sich diese Methoden für eine einfache und gleichzeitig praktikable Bewertung der Runflat-Reifen in der Reifenentwicklung eignen.

4.1 Steifigkeiten

Die Untersuchung der statischen Steifigkeiten bei Reifen ist eine einfache Möglichkeit der Bewertung verschiedener Reifen. Der Aufwand an Prüfstandstechnik und die für die Untersu- chungen benötigte Zeit sind relativ gering.

So kann theoretisch die Tangentialsteifigkeit als ein Bewertungsmaß für den Komfort eines Reifens beim Überrollen von Einzelhindernissen angesehen werden. Je geringer die Steifig- keit des Reifens in tangentialer Richtung ist, desto geringer ist auch die entstehende Tangenti- alkraft beim Überrollen von Hindernissen. Das heißt, der Reifen kann das Hindernis weicher und somit komfortabler überrollen. Weiterhin ist die in tangentialer Richtung übertragbare Gesamtkraft, die statisch maximal übertragbare Brems- bzw. Antriebskraft.

Die Lateralsteifigkeit eines Reifens dient als Maß für die Einschätzung des Fahrverhaltens, speziell des Handlingverhaltens. Eine hohe Steifigkeit des Reifens in lateraler Richtung be- deutet ein direkteres Ansprechen auf vorgegebene Lenkbewegungen. Das heißt, die vom Fah- 22 Grundsatzuntersuchungen rer vorgegebene Lenkbewegung und damit gewünschte Richtungsänderung wird sofort (mit geringem Zeitverzug) umgesetzt.

Die Vertikalsteifigkeit ist ein Maß für die Bewertung des allgemeinen Abrollverhaltens. Je geringer die Steifigkeit des Reifens in vertikaler Richtung ist, umso geringer sind die entste- henden Kräfte beim Überrollen von kleinen Unebenheiten (Kopfsteinpflaster). Das heißt, der Reifen macht beim Abrollen auf der nicht absolut glatten Straße einen „geschmeidigeren“ und damit komfortableren Eindruck.

Als Ergebnis möchte man somit einen Reifen mit einer hohen Lateralsteifigkeit und relativ niedriger Tangential- und Vertikalsteifigkeit. Damit ist man allerdings wieder bei einem rei- fentypischen Zielkonflikt angelangt. In der herkömmlichen Bauart von Reifen sind richtungs- spezifische Versteifungen nicht ohne weiteres möglich.

Ein Problem der Steifigkeitsuntersuchungen am Reifen ist die Abhängigkeit seiner Steifigkeit von der Geschwindigkeit, der Temperatur und vom Untergrund. So hat ein Reifen auf der gekrümmten Trommel eine andere Steifigkeit als auf einer ebenen Fläche und noch eine andere, wenn er auf einem Hindernis, wie zum Beispiel einer Schlag- leiste steht. Es besteht folgender Zusammenhang: Steifigkeit ()Hindernis <

Im Weiteren werden zur Vereinfachung nur die Steifigkeiten auf der ebenen Fläche betrach- tet. Grundsatzuntersuchungen 23

4.1.1 Methodik

Die Ermittlung der Reifensteifigkeiten erfolgt am Reifenprüfstand in Verbindung mit einer Verschiebeplatte (siehe Abb. 4-1). Die Verschiebeplatte hat eine mit Korund beklebte ebene Oberfläche. Durch eine reibungsarme Gewindespindel und Längsführung hat die Platte auch bei ho- hen Radlasten nur geringe Reibverluste.

Die Vertikalsteifigkeit des auf die Ver- schiebeplatte aufgesetzten Reifens wird Abb. 4-1: Verschiebeplatte durch eine gleichmäßige Steigerung der Belastung bis zur Nennradlast ermittelt. Dabei werden die Radlast und die jeweilige Vertikal- bewegung gemessen.

Die Horizontalsteifigkeiten des Reifens - also die Tangential- und die Lateralsteifigkeit - wer- den durch eine gleichmäßige Verschiebung der Verschiebeplatte mit dem aufgesetzten Reifen ermittelt. Die Radlast entspricht dabei der Vorgabe. Gemessen werden die jeweilige Horizon- talkraft und der entsprechende Verschiebeweg. Bei der Ermittlung der Längssteifigkeit ist das Rad zur Vermeidung einer Rollbewegung angebremst.

4.1.2 Ergebnisse

4.1.2.1 Vertikalsteifigkeit

Vertikalsteifigkeit Ein Vergleich der Vertikalsteifigkeiten 6000 5000 zwischen einem Standardreifen und einem 4000 Runflat-Reifen mit verstärkter Seitenwand 3000 Kraft [N] bei einem Normfülldruck von 2,2 bar 2000 Standardreifen (225/55 R16) macht den prinzipiellen Unterschied zwi- 1000 Runflatreifen (225/55 R16)

0 schen diesen beiden Systemen deutlich, 0 5 10 15 20 25 Weg [mm] siehe Abb. 4-2. In diesem Vergleich ist die Vertikalsteifigkeit des Runflat-Reifens Abb. 4-2: Vertikalsteifigkeit Standard- und 33% höher als die des Standardreifens. Runflat-Reifen 24 Grundsatzuntersuchungen

Abb. 4-3 zeigt die Vertikalsteifigkeiten für verschiedene Fülldrücke. Während bei dem Stan- dardreifen die Veränderung in etwa proportional der Fülldruckänderung ist, ist die Verände- rung bei dem Runflat-Reifen deutlich geringer.

Vertikalsteifigkeit Vertikalsteifigkeit 6000 6000 Fülldruck: 1.25 bar Fülldruck: 3 bar 5000 5000

4000 4000

] ]

N N

[ [

t t

f f

a a

r 3000 r 3000

K K

2000 2000

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 1000 1000 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

0 0 0 5 10 15 20 25 30 35 0 5 10 15 20 25 30 35 Weg [mm] Weg [mm]

Abb. 4-3: Fülldruckeinfluss auf die Vertikalsteifigkeit von Standard- und Runflat-Reifen

Die prinzipielle Abhängigkeit der Vertikal- Vertikalsteifigkeit 400 steifigkeit vom Fülldruck zeigt Abb. 4-4. 350

300

] 250

m

Bei dem Runflat-Reifen mit verstärkter Sei- m

/

N

[ 200

t

i

e

k

g i 150

f

tenwand addiert sich die Steifigkeit der i

e

t S Standardreifen (225/55 R16) Stützelemente. Der Runflat-Reifen hat da- 100 50 Runflatreifen (225/55 R16)

0 durch bei einem verringerten Fülldruck von 00.511.522.53 Fülldruck [bar] 1,25 bar immer noch die Steifigkeit wie der Standardreifen bei einem Normalfülldruck Abb. 4-4: Fülldruckabhängigkeit der Vertikal- von 2 bar. Dies zeigt die Notwendigkeit der steifigkeit Fülldrucküberwachung beim Einsatz dieser Runflat-Reifen, da eine schleichende Fülldruckverringerung das Fahrverhalten zu Beginn nur unwesentlich verschlechtern wird. Bei vollständigem Luftverlust hat der Runflat-Reifen dann immer noch eine „Reststeifigkeit“ wie der Standardreifen bei 1 bar.

Diese Versteifung des Runflat-Reifens hat einen negativen Einfluss auf den Reifenkomfort, speziell das Abrollverhalten und natürlich die Fahrwerksbelastung.

Man kann auch nicht einfach den Fülldruck bei dem Runflat-Reifen verringern, da dadurch die Erwärmung des Reifens überproportional hoch wäre. Dies hätte negative Auswirkungen auf den Energieverlust und die Haltbarkeit. Grundsatzuntersuchungen 25

4.1.2.2 Tangentialsteifigkeit

Den Einfluss der verstärkten Seitenwände Tangentialsteifigkeit

6000 auf die Tangentialsteifigkeit zeigt Abb. Radlast : 500 daN / Fülldruck: 2.2 bar 5000 4-5. Die höhere Tangentialsteifigkeit des 4000

]

N

[

t

Runflat- gegenüber dem Standardreifen ist f

a

r 3000

K deutlich zu erkennen. Des Weiteren ist die 2000 Standardreifen (225/55 R16) gesamt übertragbare Kraft des Runflat- 1000 Runflatreifen (225/55 R16)

Reifens in tangentialer Richtung unter 0 0246810121416182022 gleichen Bedingungen etwa 15% geringer. Weg [mm]

Damit kann ein Runflat-Reifen, unter Abb. 4-5: Tangentialsteifigkeit Standard- und sonst gleichen äußeren Bedingungen, ge- Runflat-Reifen ringere Brems- und Antriebskräfte als ein Standardreifen übertragen. Die Ursache dafür liegt in den verstärkten Seitenwänden bei den Runflat-Reifen, die eine Verringerung der wirksa- men Aufstandsfläche unter dem Einfluss von Tangentialkräften bewirken.

Die Tangentialsteifigkeit für verschiedene Fülldrücke ist in Abb. 4-6 dargestellt. In Folge der Latschvergrößerung mit sinkendem Fülldruck vergrößert sich bei beiden Reifen die übertrag- bare Kraft in Reifenlängsrichtung.

Tangentialsteifigkeit Tangentialsteifigkeit

6000 6000 Radlast : 500 daN / Fülldruck: 1,25 bar Radlast : 500 daN / Fülldruck: 3 bar 5000 5000

4000 4000

] ]

N N

[ [

t t

f f

a a

r 3000 r 3000

K K

2000 2000 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16)

1000 1000 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

0 0 0 2 4 6 8 10121416182022 0 2 4 6 8 10121416182022 Weg [mm] Weg [mm]

Abb. 4-6: Fülldruckeinfluss auf die Tangentialsteifigkeit von Standard- und Runflat-Reifen

In Abb. 4-7 ist die Abhängigkeit der mittleren Tangentialsteifigkeit vom Fülldruck dargestellt. Man sieht, dass bei beiden Reifen die Abhängigkeit der tangentialen Steifigkeit vom Füll- druck relativ gering ist. Bemerkenswert ist, dass sich bei dem Runflat-Reifen die tangentiale Steifigkeit mit sinkendem Fülldruck vergrößert. Das bedeutet, die Quersteifigkeit der ver- stärkten Seitenwand, von der die Kraftübertragung in tangentialer Richtung des Reifens ab- hängig ist, vergrößert sich mit steigender Krümmung. Bei dem Standardreifen dagegen ver- 26 Grundsatzuntersuchungen kleinert sich mit sinkendem Fülldruck erwartungsgemäß die tangentiale Steifigkeit. Die Ver- änderung ist aber deutlich geringer als bei der Vertikalsteifigkeit.

Die höhere Tangentialsteifigkeit des Tangentialsteifigkeit 500 Runflat-Reifens verringert Komfort und 450 400 Fahrwerksbelastung vor allem beim Über- 350 ] 300

m

m

/

N

[ 250 rollen von Einzelhindernissen bzw. unebe-

t

i

e

k 200

g

i

f

i

e nen Fahrbahnen. Je höher die Steifigkeit t 150 S Standardreifen (225/55 R16) 100 des Reifens in tangentialer Richtung ist, 50 Runflatreifen (225/55 R16)

0 desto höher ist auch die entstehende Tan- 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 Fülldruck [bar] gentialkraft beim Überrollen von Hinder- nissen. Das heißt, der Runflat-Reifen wird Abb. 4-7: Fülldruckabhängigkeit der Tangential- steifigkeit das Hindernis härter und somit unkomfor- tabler überrollen. Die entstehenden höheren Kräfte in tangentialer Richtung bewirken natür- lich auch eine prinzipiell höhere Belastung am Fahrwerk.

4.1.2.3 Lateralsteifigkeit

In Abb. 4-8 ist ein Vergleich der Lateral- Lateralsteifigkeit 6000 steifigkeiten zu sehen. Da die Messung mit Radlast : 500 daN / Fülldruck: 2,2 bar 5000 Erkennen eines deutlichen Rutschvorgan- 4000

]

N

[

t ges abgebrochen wird, ist bei dem Runflat- f

a

r 3000

K Reifen die Kurve schon bei einem Weg 2000 Standardreifen (225/55 R16) von etwa 40 mm zu Ende. 1000 Runflatreifen (225/55 R16)

0 Erwartungsgemäß erhöhen die verstärkten 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Weg [mm] Seitenwände der Runflat-Reifen auch die Abb. 4-8: Lateralsteifigkeit Standard- und Steifigkeit des Reifens in Querrichtung. Runflat-Reifen Allerdings ist das hier als Vorteil bezüg- lich seiner Handlingeigenschaften zu betrachten. Interessant ist, dass der Standardreifen im Wesentlichen eine konstante Steifigkeit bis zum Kraftmaximum hat, während beim Runflat- Reifen die Steifigkeit langsam abnimmt. Allerdings auch nicht unter die Steifigkeit des Stan- dardreifens. Ursache dafür ist eine ungünstige Veränderung der Bodendruckverteilung mit zunehmender Querverschiebung. Grundsatzuntersuchungen 27

Im Gegensatz zur in Längsrichtung übertragbaren Kraft ist die statisch übertragbare maximale Seitenkraft des Runflat-Reifen nur unwesentlich geringer als die des Standardreifens.

Der Einfluss verschiedener Fülldrücke auf die Lateralsteifigkeit ist in Abb. 4-9 zu sehen.

Lateralsteifigkeit Lateralsteifigkeit 6000 6000 Radlast : 500 daN / Fülldruck: 1,25 bar Radlast : 500 daN / Fülldruck: 3 bar 5000 5000

4000 4000

] ]

N N

[ [

t t

f f

a a

r 3000 r 3000

K K

2000 2000 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16)

1000 1000 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

0 0 0 10 20 30 40 50 60 70 0 10 20 30 40 50 60 70 Weg [mm] Weg [mm]

Abb. 4-9: Fülldruckeinfluss auf die Lateralsteifigkeit von Standard- und Runflat-Reifen

Die Steifigkeit des Runflat-Reifen in lateraler Richtung ist selbst bei 1,25 bar noch deutlich höher als bei dem Standardreifen bei 3 bar. Auch das ist ein Hinweis auf die zwingend not- wendige Reifendrucküberwachung bei dem Einsatz von Runflat-Reifen.

Die maximal übertragbare Kraft ändert sich im Gegensatz zu der tangentialen Richtung bei Fülldruckveränderung nur unwesentlich. Lateralsteifigkeit Die Abhängigkeit der mittleren Lateral- 250 steifigkeit vom Fülldruck ist in Abb. 4-10 200

] 150 zu sehen. m

m

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k 100

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t Deutlich ist erkennbar, dass auch bei völ- S Standardreifen (225/55 R16) 50 ligem Luftverlust noch eine Seitensteifig- Runflatreifen (225/55 R16)

0 keit vorhanden ist, die eine Weiterfahrt 00.511.522.53 Fülldruck [bar] ermöglicht. Abb. 4-10: Fülldruckabhängigkeit der Lateralstei- 4.1.3 Fazit figkeit

An Hand der statischen Reifensteifigkeiten ist deutlich der prinzipielle Unterschied zwischen einem Runflat-Reifen mit verstärkten Seitenwänden und einem äquivalenten Standardreifen in der herkömmlichen Bauart zu sehen. So hat der Runflat-Reifen im drucklosen Zustand noch eine Vertikalsteifigkeit wie ein Standardreifen bei einem Restfülldruck von etwa 28 Grundsatzuntersuchungen

1,25 bar. Damit hat er noch knapp 50% seiner Tragfähigkeit und ein zwar eingeschränktes aber immer noch beherrschbares Fahrverhalten.

180 Bezüglich seiner Eigenschaften bei Norm- 170 fülldruck ist festzustellen, dass der 160 150 Runflat-Reifen generell steifer als der ent- 140 Standard 130 Runflat sprechende Standardreifen in der her- 120 kömmlichen Bauart ist, siehe dazu Abb. Steifigkeit [%] 110 100 4-11. Der Zuwachs in lateraler Richtung 90 80 ist dabei besonders stark. Für die Fahrei- Tangential Lateral Vertikal genschaften könnte dies bedeuten, dass die Abb. 4-11: Prozentuale Unterschiede zwischen Verbesserung der Handlingeigenschaften Runflat- und Standardreifen bei Norm- größer ist als die Komfortverschlechterung fülldruck bzw. die höhere Fahrwerksbelastung.

Des Weiteren ist die Abhängigkeit der Steifigkeit vom Fülldruck bei dem Runflat-Reifen we- sentlich geringer, siehe dazu Abb. 4-12. Das betrifft vor allem die laterale und vertikale Stei- figkeit. So beträgt bei dem Runflat-Reifen die Abhängigkeit der lateralen Steifigkeit nur 20% von der Abhängigkeit des Standardreifens und bei der vertikalen Steifigkeit nur 50%.

90 Interessant ist die tangentiale Steifigkeit, 80 wo es bei dem Runflat-Reifen zu einer 70 60 Umkehrung der Fülldruckabhängigkeit 50 40 Standard kommt. Das heißt, eine Verringerung des 30 Runflat 20 Steifigkeit [%] Steifigkeit Fülldruckes bewirkt eine Erhöhung der 10 0 tangentialen Steifigkeit (siehe auch Abb. -10 4-12). Die Ursache dafür liegt in der Er- -20 Tangential Lateral Vertikal höhung der Quersteifigkeit der Stützele- Abb. 4-12: Prozentuale Veränderung bei Füll- mente durch deren stärkere Krümmung bei druckerhöhung von 1,25 bar auf 3,0 bar niedrigeren Fülldrücken. bei Runflat- und Standardreifen

Inwieweit sich Rückschlüsse von der Stei- figkeit auf die Lebensdauer des Fahrwerkes ziehen lassen, ist in einer bei BMW durchgeführ- ten Diplomarbeit [45] untersucht worden. In Abb. 4-13 sind dazu die relativen Reifensteifig- keiten mit der relativen Schädigung am Radführungsgelenk verglichen. Die Schädigung wur- de durch Fahrversuche auf dem BMW-Handlingkurs in Aschheim ermittelt. Die ermittelten Grundsatzuntersuchungen 29

Werte der Schädigungssummen und Steifigkeiten wurden ins Verhältnis mit der Schädigungs- summe und Steifigkeit der für das Fahrzeug zugelassenen Maximalbereifung in der herkömm- lichen Bauart gesetzt.

Radführungsgelenk 7

6 ] -

[ Runflat 5 Runflat 5

g 5 n u g i

d 4 ä h c

S 3 e v i t Runflat 9 a l 2 e

R Runflat 8 Runflat 8 Runflat 3 Runflat 9 1 Runflat 9 Runflat 11 Runflat 10 0 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Relative Steifigkeit [-]

Längssteifigkeit Radialsteifigkeit Quersteifigkeit

Abb. 4-13: Vergleich der relativen Steifigkeiten mit der relativen Schädigung am Radführungsgelenk

Es wird deutlich, dass kein Zusammenhang zwischen den Steifigkeiten und der Schädigung am Radführungsgelenk sowie des gesamten Fahrwerkes besteht. Die Ursache dafür ist die schon erwähnte Abhängigkeit der Steifigkeit vom Untergrund und von der Geschwindigkeit, siehe dazu auch Abb. 4-14, wo ein Verlauf Steifigkeit in vertikaler Richtung der Vertikalsteifigkeit über der Geschwin- 550 500 digkeit beim Überrollen einer Schlagleiste 450 dargestellt ist. Man sieht, wie mit zuneh- 400 mender Geschwindigkeit die Steifigkeit 350

Steifigkeit [N/mm] 300 größer wird. Ab einer Geschwindigkeit von Standardreifen [Mittelwert = 287 N/mm] 250 100 km/h wird sie allerdings bei dem Stan- Runflat-Reifen [Mittelwert = 407 N/mm] 200 dardreifen wieder kleiner. Die Ursache für 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Geschwindigkeit [km/h] diese Verringerung ist die Abhängigkeit Abb. 4-14: Vergleich Steifigkeiten in Abhängigkeit der Steifigkeit von der Reifentemperatur, von der Geschwindigkeit die bei dieser Geschwindigkeit und der Belastung durch das Überrollen der Schlagleiste schon sehr hoch ist. 30 Grundsatzuntersuchungen

Somit ist zwar die Ermittlung der statischen Steifigkeiten eine relativ einfache Möglichkeit zur Bewertung neuer Runflat-Reifen, aber einen konkreten Bezug auf die Belastungen am Fahrzeug kann diese Methode nicht liefern.

4.2 Konturverhalten

Die Aufstandsfläche eines Reifens sollte bei allen Geschwindigkeiten und praxisrelevanten Fülldruckänderungen eine gleichmäßige Bodendruckverteilung aufweisen. Notwendig ist die- se möglichst gleichmäßige Bodendruckverteilung hinsichtlich der Maximierung der übertrag- baren Längs- und Seitenkräfte, der Minimierung des Rollwiderstandes und der Optimierung des Verschleißverhaltens. Auch bezüglich der Strukturfestigkeit und des Schnelllaufverhal- tens ist eine gleichmäßige Bodendruckverteilung wünschenswert. Erreicht wird diese mög- lichst gleichmäßige Bodendruckverteilung durch eine konstruktive Gestaltung der Seiten- wand, Schulter und Lauffläche in der Art, dass die Steifigkeiten in diesen Bereichen entspre- chend aufeinander abgestimmt sind. Während allerdings die optimale Anpassung für den Stillstand, eine Radlast und einen Fülldruck noch relativ einfach ist, ist - in Folge der schon genannten vielen Abhängigkeiten der Steifigkeit - das für verschiedene Geschwindigkeiten, Radlasten und Fülldrücke sehr komplex.

Bei den Steifigkeitsuntersuchungen hat sich nun gezeigt, dass es neben den Steifigkeiten auch Unterschiede in den erreichbaren maximalen Kraftwerten zwischen dem Runflat- und dem Standardreifen gibt. Die erreichbare Maximalkraft ist im Wesentlichen von den Reibverhält- nissen in der Reifenaufstandsfläche bestimmt. Da es sich bei den untersuchten Reifen um prinzipiell identi- sche Reifen handelte – der einzige Unterschied bestand k

in der Seitenwandverstärkung – ist die Kontaktpaarung c u r

und wie durchgeführte Messungen zeigten, auch die d n

Größe der Aufstandsfläche weitestgehend gleich. Als e d einziger Unterschied für die ungleichen Maximalkräfte o B kommen deshalb in Folge der Abhängigkeit des Reib- La t beiwertes von der Flächenpressung in der Aufstandsflä- sc h che ungünstigere Bodendruckverhältnisse bei dem lä ite n bre g tsch Runflat-Reifen in Frage. In Abb. 4-15 ist der Verlauf e La des quasistatischen Bodendruckes bei einem Standard- Abb. 4-15: Bodendruckverlauf in der reifen prinzipiell dargestellt. Gemessen wurde dieser Aufstandsfläche Grundsatzuntersuchungen 31

Bodendruck beim langsamen (quasistatischen) Überrollen eines Miniaturkraftaufnehmers. Deutlich ist die Überhöhung im Schulterbereich erkennbar. Ursache für diese Überhöhung ist die Steifigkeit der Seitenwand in Verbindung mit der Reifenschulter. Erhöht man die Steifig- keit der Seitenwand durch die Einarbeitung von Notlaufstreifen, vergrößert sich in Folge der höheren Stützkraft der Seitenwand auch der Bodendruck im Schulterbereich.

Das Ziel in diesem Abschnitt ist die Darstellung der Abhängigkeit der Laufflächenkontur von der Geschwindigkeit und dem Fülldruck bei unterschiedlichen Reifen und welchen Einfluss die zusätzlichen Stützelemente in der Seitenwand des Runflat-Reifens auf das Konturverhal- ten haben.

4.2.1 Methodik

Die Untersuchungen werden am Reifenprüfstand durchgeführt. Dazu werden senkrecht zur Reifenaufstandsfläche zwei Lasermessgeräte angebracht, so dass entsprechend Abb. 2-1 die Aufweitung in der Laufflächenmitte und am Rand der Lauffläche gemessen werden kann. Um den Einfluss von Reifenungleichförmigkeiten auszu- schließen, erfolgt die Messung der Randspur je- weils innen und außen. Aus beiden Messungen wird ein Mittelwert gebildet. Entscheidend ist, dass die Messung wirklich in dem Bereich der Lauffläche erfolgt, die noch Fahrbahnkontakt hat und nicht im Schulterbereich, wo kein Fahrbahn- kontakt mehr vorhanden ist. Die Lasermessgeräte sind fest mit der Radaufnahme verbunden, so dass die Bewegung des Rades auf Grund der Änderung Abb. 4-16: Messstellen für die Laser- des Reifendurchmessers das Messergebnis nicht Konturuntersuchung verfälscht.

Für die Messung wird der Reifen mit Sturz „Null“ im belasteten Zustand langsam innerhalb von 300 s von 0 auf 250 km/h beschleunigt. Die Aufweitung in der Mittel- und in der Rand- spur und die Änderung des Reifenhalbmessers werden gemessen.

Ausgewertet werden in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit die Veränderung des stati- schen Reifenhalbmessers und die Differenz zwischen der Aufweitung der Randspur und der 32 Grundsatzuntersuchungen

Mittelspur. Eine positive Differenz in der Aufweitung bedeutet, dass sich die Randspur mehr als die Mittelspur aufweitet und bei einer negativen Differenz weitet sich die Mittelspur ge- genüber der Randspur mehr auf. Im Idealfall, wenn beide Spuren sich gleichmäßig aufweiten, ist die Differenz Null.

4.2.2 Ergebnisse

In Abb. 4-17 und Abb. 4-18 sind für zwei unterschiedliche Fülldrücke die Verläufe zum Kon- turverhalten in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit zu sehen.

Links oben in dem jeweiligen Bild ist die Vergrößerung des statischen Reifenhalbmessers dargestellt. Man sieht, dass in Folge der weicheren Seitenwände diese Vergrößerung bei dem Standardreifen bei beiden Fülldrücken höher als bei dem Runflat-Reifen ist. Während hier der Runflat-Reifen kaum eine Abhängigkeit vom Fülldruck zeigt, ist diese bei dem herkömmli- chen Standardreifen deutlich höher. Je geringer der Fülldruck bei dem Standardreifen ist, um- so stärker ist die Vergrößerung des Reifenhalbmessers mit steigender Geschwindigkeit.

In Bezug auf die Aufweitungsdifferenz ist zu sehen, dass sich der Runflat-Reifen mit steigen- der Geschwindigkeit im Schulterbereich mehr aufweitet als der Standardreifen. Das bedeutet, dass sich die Tendenz der stärkeren Abstützung des Reifens über die Seitenwände mit zu- nehmender Geschwindigkeit verstärkt. Ursache dafür ist eine Diskrepanz zwischen der Erhöhung der Masse der Seitenwand und der damit erreichten Steifigkeit. Das heißt, um die Notlaufeigenschaften zu erreichen, wird die Seitenwand durch das Einbringen zusätzlicher Festigkeitsträger versteift. Ist die Masseerhö- hung der Seitenwand größer als die Steifigkeitserhöhung, kommt es zu einer entsprechend größeren Aufweitung der Seitenwand, da die dafür verantwortliche Fliehkraft direkt von ihrer Masse abhängt. Nur wenn die Steifigkeitserhöhung genauso groß ist wie die Masseerhöhung, wird die entstehende größere Fliehkraft durch die entsprechend größere Steifigkeit ausgegli- chen und es kommt zu keiner Änderung der Aufweitung im Schulterbereich.

In Abb. 4-19 ist das Verhalten der Laufflächenkontur bei einer Änderung des Fülldruckes am stehenden Rad dargestellt. Für die Messung wurde der Fülldruck des Reifens auf einen Über- druck von 5 bar eingestellt. Durch Herausschrauben der Ventileinsätze wurde dann der Reife- ninnendruck bis auf Umgebungsdruck (0 bar) verringert. Dabei wurde die Aufweitung in der Mittel- und in der Randspur gemessen. Grundsatzuntersuchungen 33

Konturverhalten Radlast: 515 daN / Reifeninnendruck : 1.25 bar 3

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u A 0 Standardreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) -0.5 0 25 50 75 100 125 150 175 200 225 250 Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 4-17: Abhängigkeit der Reifenkontur von der Geschwindigkeit bei niedrigem Fülldruck

Konturverhalten Radlast: 515 daN / Reifeninnendruck : 3 bar 3

]

m

]

m m 8 Standardreifen (225/55 R16)

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u t Runflatreifen (225/55 R16) i 4

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Abb. 4-18: Abhängigkeit der Reifenkontur von der Geschwindigkeit bei hohem Fülldruck 34 Grundsatzuntersuchungen

Konturverhalten bei Fülldruckerhöhung 0.6

]

m

m

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u A -0.4 Standardreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) -0.6 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 Fülldruck [bar]

Abb. 4-19: Konturverhalten bei Fülldruckerhöhung

Es ist zu sehen, dass sich die Laufflächenkontur nicht nur in Abhängigkeit der Fliehkraft ver- ändert, sondern auch in Abhängigkeit des Fülldruckes. Ausgangspunkt ist z.B. ein Normfüll- druck von 2 bar, wo der Reifen eine konstruktiv optimale Bodendruckverteilung hat. Wird der Fülldruck jetzt um 0,5 bar erhöht, bedeutet das bei dem Standardreifen, dass sich die Flächen- pressung in der Mitte (Latschzentrum) erhöht. Für den Runflat-Reifen bedeutet die gleiche Fülldruckerhöhung, dass sich die Flächenpressung im Schulterbereich erhöht. Weiterhin kann gesagt werden, dass die Veränderung der Bodendruckverhältnisse bei dem Runflat-Reifen wesentlich größer sein werden, da die Änderung in der Laufflächenkontur doppelt so groß wie bei dem Standardreifen ist. Entscheidend ist, dass eine Fülldruckänderung von 0,5 bar schon bei einer Änderung der Reifentemperatur von etwa 50 K auftritt. Diese Temperaturänderun- gen erreicht man zum Beispiel bei schnellen Autobahnfahrten.

4.2.3 Fazit

Die Untersuchung der Konturveränderungen gibt einen indirekten Hinweis auf mögliche Ver- änderungen des Bodendruckes in der Aufstandsfläche bei Veränderung des Fülldruckes und in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Grundsatzuntersuchungen 35

Ein Maß für die Güte des Reifens ist diesbezüglich die Differenz der Aufweitung zwischen Schulter- und Mittenbereich. Entwicklungsziel muss es sein, diese Differenz unabhängig von der Geschwindigkeit und vom Fülldruck relativ klein zu halten. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich die konstruktiv festgelegten Eigenschaften im gesamten Fahrbereich nicht verändern.

Es hat sich gezeigt, dass die Abstimmung der Reifen zwischen Seitenwand, Schulter und Lauffläche bei dem Standardreifen besser ist, als bei den untersuchten Runflat-Reifen. Die Ursache dafür ist, dass als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Runflat-Reifens heute noch ein herkömmlicher Standardreifen verwendet wird, bei dem die Notlaufstreifen hinzuge- fügt werden. Dadurch verändert sich die Abstimmung in dem Bereich zwischen Seitenwand, Schulter und Lauffläche. Dieser Mangel ist allerdings in der weiter fortschreitenden Entwick- lung der Runflat-Reifen, wenn man sich künftig von den herkömmlichen Standardreifen ge- löst hat, konstruktiv entsprechend abstellbar.

4.3 Schwingverhalten

Die Kenntnis der dynamischen Eigenschaften eines Reifens ist die Grundlage für moderne Fahrwerksauslegungen bezüglich des Komforts und der Bauteilbelastung.

Zur Erreichung des Notlaufverhaltens der Runflat-Reifen musste der Aufbau durch Hinzufü- gen der Stützelemente verändert werden. Diese zusätzlichen Stützelemente bewirken eine deutlich höhere Masse gegenüber einem Standardreifen. So hat zum Beispiel ein Standardrei- fen in der Dimension 225/55 R16 eine Masse von etwa 11 kg, ein Runflat-Reifen der ersten Generation in der gleichen Dimension hat dagegen eine Masse von 16 kg. Und auch ein Runflat-Reifen der zweiten Generation hat noch eine Masse von 14 kg. Allein diese Erhöhung der Masse verändert das Schwingungsverhalten der Runflat-Reifen.

In diesem Abschnitt wird nun untersucht, wie sich das Schwingungsverhalten der Runflat- Reifen gegenüber einem Standardreifen verändert. Dabei geht es zum einen um die Eigen- schwingungen der Reifen auf der glatten Stahltrommel und zum anderen um die entstehenden Schwingungen beim und nach dem Überrollen einer Schlagleiste. Der Reifen ist dabei jeweils mit einer definierten Radlast belastet und wird bei verschiedenen Geschwindigkeiten im frei- en Rollen (keine Brems- oder Antriebskräfte) untersucht.

Die stationäre Betrachtung des dynamischen Schwingverhaltens durch Schwingungsmessun- gen nach Anregung des stillstehenden Reifens auf einem Hydropulsprüfstand wird nicht 36 Grundsatzuntersuchungen durchgeführt, da die im Reifenstillstand erhaltenen Kennwerte deutlich von den Kennwerten des rollenden Reifens abweichen. Außerdem ist für die direkte praktische Umsetzung der Er- kenntnisse aus dem Schwingungsverhalten, das rollende Rad besser geeignet.

Zur Abschätzung des Einflusses einer Radaufhängung auf das Schwingverhalten von Reifen, werden die Untersuchungen einmal mit und einmal ohne eine Radaufhängung durchgeführt.

4.3.1 Untersuchungen auf der glatten Stahltrommel

Die entstehenden Eigenschwingungen eines Reifens beim Rollen auf der glatten Stahltrommel haben mehrere Ursachen. Diese sind einerseits im Herstellungsprozess begründet und ande- rerseits in der Physik des Abrollens. Gründe für entstehende Eigenschwingungen sind: • unterschiedliche Steifigkeiten verteilt über den Reifenumfang in Folge des inneren Rei- fenaufbaus mit Lagenüberlappungen, Masseanhäufungen usw., • gewisse zulässige (unzulässige) Abweichungen von der gewünschten äußeren kreisförmi- gen Idealkontur und nicht zuletzt • die Schwingungsanregungen in Folge des Durchlaufens der Aufstandsfläche mit der stän- digen Abplattung von der Kreiskontur zur ebenen Fläche.

4.3.1.1 Methodik

Bei den durchgeführten Untersuchungen muss zwischen den Untersuchungen des Reifens auf dem Reifenprüfstand, siehe Abb. 4-20 und in Verbindung mit der Radaufhängung, siehe Abb. 4-21 unterschieden werden. Die eigentlichen Messungen sind vom Ablauf gleich, aber in Fol- ge der unterschiedlichen Radlastaufbringung auf beiden Prüfständen ist die Prozedur bis zum Messbeginn jeweils eine andere.

Reifenprüfstand

Die glatte Stahltrommel wird mit dem mit Sollradlast belastetem Reifen auf eine Geschwin- digkeit von 125 km/h beschleunigt. Nach einer Einregulierung der Radlast wird die Vertikalverstellung der Radeinheit und damit die Radlast blockiert. Das ist notwendig, da die Verstärkung des Ladungsverstärkers für die Messung der gegenüber der Radlast relativ kleinen Vertikalkraftschwankungen vergrößert werden muss. Damit ist zwar keine Radlastregelung mehr möglich, aber die Veränderung des Schwingungsverhaltens in Folge der Erhöhung der Radlast auf Grund der dynamischen Auf- Grundsatzuntersuchungen 37

Abb. 4-20: Reifenprüfstand (1) Standsäulen (2) Dreh-Hub-Kombination 2 (3) Radlastgabel (4) Sturzgabel (5) Kistler-Messnabe (6) Drehlager (7) Vertikalführung 1

3 5 4

7 6

weitung des Reifens ist relativ gering und damit vernachlässigbar. Im Anschluss wird die Trommel weiter auf eine Endgeschwindigkeit von 250 km/h beschleu- nigt. Mit Erreichen dieser wird die Messung gestartet und die Trommelgeschwindigkeit in- nerhalb von 250 s bis auf „0“ verringert. Mit dieser relativ geringen Verzögerung von 0,3 m/s² kann man von einem quasistationären Durchfahren des gesamten Geschwindigkeitsbandes sprechen und hat damit eine sehr breitbandige Anregung. Durch den Beginn der Messung bei der maximalen Geschwindigkeit beginnt man mit der maximalen Anregungsfrequenz und damit der maximalen Anregungsenergie.

Gemessen werden die resultierenden Kräfte in Felgenmitte in Längs-, Lateral- und Vertikal- richtung. Die Abtastfrequenz beträgt 1000 Hz, so dass theoretisch Frequenzen bis 500 Hz ermittelt werden können.

Radaufhängungsprüfstand

Im Wesentlichen werden die Messungen identisch zu den Messungen auf dem Reifenprüf- stand durchgeführt. Da beim Radaufhängungsprüfstand die Radlastaufbringung mechanisch über Gewichte erfolgt, muss die Radlast allerdings nicht in der Mitte des zu messenden Ge- schwindigkeitsbereiches einnivelliert werden, sondern sie ist systembedingt im gesamten Ge- schwindigkeitsbereich konstant. 38 Grundsatzuntersuchungen

Abb. 4-21: Radaufhängungsprüf- stand mit BMW-E39- Vorderradaufhängung

(1) Vertikal bewegliche Karos- 1 seriemasse (2) Karosserieseitige steife Lenkerbefestigung 5 (3) Maschinenbett (4) 2 m-Trommel 2 (5) Topmount (6) Querstrebe 6 (7) Spurstange (8) Zugstrebe

7 8

3 4

Gemessen werden die Kräfte in den drei Richtungen an allen Anlenkpunkten der Achse zur Karosserie. Ausgewertet werden aber an dem einzelnen Lenker nur die Kräfte, die entspre- chend seiner Funktion einen hauptsächlichen Einfluss haben.

4.3.1.2 Ergebnisse Reifenprüfstand

Tangentialkraftschwankungen

Tangentialkraftschwankungen machen sich als Schwankungen des Rollwiderstandes bemerk- bar. Für die Auswertung sind in Abb. 4-22 jeweils die Minima und Maxima der Tangential- kraftschwankungen eines Standard- und eines Runflat-Reifens als Kurve über der Geschwin- digkeit aufgetragen. Man erhält damit die Hüllkurve beziehungsweise visuell die Schwan- kungsbreiten der Tangentialkraftschwingungen in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Des Weiteren zeigt eine FFT-Analyse prinzipielle Unterschiede im Frequenzverhalten.

Wie zu sehen ist, können diese Kraftschwankungen in tangentialer Richtung bei höheren Ge- schwindigkeiten durchaus in einer Größenordnung von ±500 N liegen. Sie verringern sich prinzipiell mit sinkender Geschwindigkeit. Erkennbar ist, dass die Tangentialkraftschwan- Grundsatzuntersuchungen 39 kungen der Runflat-Reifen eher niedriger als die der Standardreifen sind. Bei dem Runflat- Reifen kommt es ab 130 km/h bei einer weiteren Vergrößerung der Geschwindigkeit zu kei- ner weiteren Vergrößerung der Schwankungsbreite, während sie bei dem Standardreifen wei- ter ansteigt.

Den Rollwiderstand kann man theoretisch durch Mittelwertbildung aus den jeweiligen Mini- ma und Maxima berechnen. Er würde sich als eine Verschiebung der gesamten Kurven in positiver Richtung darstellen. Bei diesen Untersuchungen kann er allerdings nicht betrachtet werden, da die Zeitkonstante des Ladungsverstärkers zur besseren Aufnahme der dynami- schen Schwankungen auf „short“ eingestellt wurde. Damit wird die relativ langfristige Ver- schiebung der Kurve eliminiert.

Tangentialkraftauswertung Hüllkurve Längskraftauswertung 500 9 Standardreifen (225/55 R16) 400 8 Runflatreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 300 7 200 6 Runflatreifen (225/55 R16)

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Abb. 4-22: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Tangentialkraftschwankungen

Eine FFT-Analyse zeigt, dass der Standardreifen bei etwa 35 Hz eine deutliche Verstärkung aufweist, während bei dem Runflat-Reifen auf Grund seiner höheren Steifigkeiten bei 40 Hz eine Verstärkung zu erkennen ist.

Lateralkraftschwankungen

Lateralkraftschwankungen sind ein Komfortmerkmal und machen sich in Abhängigkeit vom Übertragungsverhalten der Radaufhängung als Lenkungsflattern bemerkbar. Entsprechend Abb. 4-23 ist ähnlich den Tangentialkräften auch bei den Lateralkräften ein deutliches An- steigen mit der Geschwindigkeit festzustellen. Allerdings ist das Niveau wesentlich niedriger. So liegen die Maximalamplituden lediglich bei 200 N. Im Gegensatz zu den Tangentialkräf- ten haben die Runflat-Reifen größere Lateralkraftschwankungen als die Standardreifen.

Das bestätigt auch eine Frequenzanalyse, wo die Runflat-Reifen fast im gesamten Frequenz- bereich höhere Amplituden aufweisen. Ein weiterer Unterschied ist im Frequenzspektrum zu 40 Grundsatzuntersuchungen erkennen. So hat der Standardreifen wie bei den Tangentialkräften bei etwa 35 Hz eine starke Überhöhung, während der Runflat-Reifen diese erst bei 50 Hz hat. Ursache dafür ist wieder- um die höhere Steifigkeit des Runflat-Reifens in lateraler Richtung. Diese ist in lateraler Richtung noch mal etwa 15% höher als in tangentialer Richtung.

Lateralkraftauswertung Hüllkurve Lateralkraftauswertung 250 3 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 200 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 2.5 150

100 2

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N

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-250 0 250 200 150 100 50 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geschwindigkeit [km/h] Frequenz [Hz]

Abb. 4-23: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Lateralkraftschwankungen

Vertikalkraftschwankungen

Vertikalkraftschwankungen sind dynamische Radlastschwankungen und haben einen hohen Einfluss auf das Fahrverhalten. Je größer die dynamischen Radlastschwankungen umso schlechter das Fahrverhalten in so entscheidenden Bereichen, wie dem Kurven- und dem Bremsverhalten. Dazu sind in Abb. 4-24 wiederum die Minima und Maxima der Vertikal- kraftschwankungen über der Geschwindigkeit sowie das Frequenzverhalten ausgewertet.

Vertikalkraftauswertung Hüllkurve Vertikalkraftauswertung 600 7 500 Standardreifen (225/55 R16) 6 Standardreifen (225/55 R16) 400 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 300 5 200

]

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N 100 N 4 [

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Abb. 4-24: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Vertikalkraftschwankungen

Erkennbar sind prinzipielle Nachteile des Runflat-Reifens gegenüber einem Standardreifen. So sind bei allen gemessenen Runflat-Reifen die Vertikalkraftschwankungen höher, in eini- gen Geschwindigkeitsbereichen bis zu 100%. Das ist bezüglich der Fahrsicherheit bei Nicht- berücksichtigung in der Feder-Dämpfer-Abstimmung ein Problem. Die Ursache dafür liegt in Grundsatzuntersuchungen 41 der höheren Masse der Runflat-Reifen. Eine ungleiche Verteilung dieser hat einen höheren Einfluss auf die Fliehkräfte aber auch auf die radialen Steifigkeiten.

Die Frequenzanalyse zeigt, dass die Runflat-Reifen vor allem im oberen Frequenzbereich höhere Amplituden aufweisen. Ein weiteres Problem bei den Runflat-Reifen ist, dass die Fre- quenzen der Amplitudenmaxima tiefer als bei Standardreifen liegen. Das ist ungünstig für die Fahrwerksabstimmung, da man versucht die Eigenfrequenzen der Radaufhängung möglichst hoch anzusiedeln.

4.3.1.3 Ergebnisse Radaufhängungsprüfstand

Längskraftschwankungen

Die auftretenden Längskräfte werden bei der verwendeten Radaufhängung im Wesentlichen nur von der Zugstrebe und von der Querstrebe der verwendeten Radaufhängung (Abb. 4-21, Abb. 4-38) aufgenommen. Deshalb werden die Längskräfte nur an diesen beiden Anlenk- punkten berücksichtigt. Vor der Auswertung erfolgt eine einfache Addition dieser gemesse- nen Kräfte.

Wie in Abb. 4-25 zu sehen ist, kommen - in Abhängigkeit vom Übertragungsverhalten der Radaufhängung - von den hohen Tangentialkraftschwankungen, wie sie am Reifen auf dem Reifenprüfstand gemessen worden (entsprechend Abb. 4-22 bis zu ±500 N), nur noch etwa 30% an. Die Verschiebung der Kurven in positiver Richtung entspricht dem Rollwiderstand des Reifens.

Längskraftauswertung Horizontallenker Hüllkurve Längskraftauswertung 250 1.5 1.4 200 1.3 Standardreifen (225/55 R16) 150 1.2 1.1 100 1 Runflatreifen (225/55 R16)

] 50 ] 0.9

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N

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A 0.5 -100 0.4 Standardreifen (225/55 R16) -150 0.3 Runflatreifen (225/55 R16) 0.2 -200 0.1 -250 0 250 200 150 100 50 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geschwindigkeit [km/h] Frequenz [Hz]

Abb. 4-25: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Längskraftschwankungen an Querlenker + Zugstrebe

Die Frequenzauswertung der Längskraftanteile von Querlenker und Zugstrebe zeigt die Ab- hängigkeit der Eigenfrequenzen vom verwendeten Reifen. In Abb. 4-26 ist dazu die Abhän- 42 Grundsatzuntersuchungen gigkeit vom Fülldruck dargestellt. Es ist zu erkennen, dass sich bei dem Runflat-Reifen die Amplitude bei 20 Hz und Erhöhung des Fülldruckes von 1,25 auf 3 bar verdoppelt. Bei dem Standardreifen dagegen ist bei 20 Hz keine Amplitudenüberhöhung zu erkennen. Weiterhin ist zu sehen, dass sich bei dem Standardreifen die Amplituden mit der Erhöhung des Fülldru- ckes verringern, während sie sich bei dem Runflat-Reifen erhöhen.

Längskraftauswertung Horizontallenker Längskraftauswertung Horizontallenker 2 2

1.8 1.8 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 1.6 1.6

1.4 Runflatreifen (225/55 R16) 1.4 Runflatreifen (225/55 R16)

] 1.2 ] 1.2

N N

[ [

e e

d 1 d 1

u Fülldruck: 1,25 bar u Fülldruck: 3 bar

t t

i i

l l

p 0.8 p 0.8

m m

A A 0.6 0.6

0.4 0.4

0.2 0.2

0 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-26: Fülldruckabhängigkeit der Frequenzen der Längskraftschwankungen an Querlenker + Zugstrebe

In Abb. 4-27 ist die Abhängigkeit der Längskraftschwankungen vom Reifenfülldruck darge- stellt. Der Runflat-Reifen hat mit der Lage der Maxima/Minima eine deutliche Abhängigkeit vom Fülldruck. So verschiebt sich die maximale Schwankungsbreite von 250 N von 110 km/h bei 1,25 bar zu 150 km/h bei 3 bar. Bei dem Standardreifen existiert eine derartige Abhängig- keit nicht.

Längskraftauswertung Horizontallenker Hüllkurve Längskraftauswertung Horizontallenker Hüllkurve 350 350 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 300 300 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 250 250

200 200

] 150 ] 150

N N

[ [

t t

f f

a 100 a 100

r r

K K 50 50

0 0

-50 -50 -100 Fülldruck: 1,25 bar -100 Fülldruck: 3 bar -150 -150 250 200 150 100 50 250 200 150 100 50 Geschwindigkeit [km/h] Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 4-27: Fülldruckabhängigkeit der Hüllkurven der Längskraftschwankungen an Querlenker + Zugstrebe Grundsatzuntersuchungen 43

Lateralkraftschwankungen

Die Lateralkraftschwankungen werden in der Spurstange betrachtet, wo sie in Achsenrichtung wirken. Die Lateralkraftschwankungen des Reifen, wie sie entsprechend Abb. 4-23 auf dem Reifenprüfstand gemessen wurden, werden bis zu einer Geschwindigkeit von 150 km/h fast vollständig in die Spurstange übertragen, siehe dazu Abb. 4-28. Damit sind sie direkt eine Ursache für Lenkungsflattern. Mit weiter steigender Geschwindigkeit verringern sich die La- teralkräfte bei dem Runflat-Reifen, während sie sich bei dem Standardreifen weiter erhöhen.

Lateralkraftauswertung Spurstange Hüllkurve Lateralkraftauswertung Spurstange 400 2.2 350 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 2 300 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 250 1.8 200 1.6 150 100 1.4

]

]

N

N

[ 50 [

t 1.2

f

e

a 0 d

r

u

t

K

i 1 -50 l

p

-100 m 0.8 -150 A -200 0.6 -250 0.4 -300 0.2 -350 -400 0 250 200 150 100 50 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geschwindigkeit [km/h] Frequenz [Hz]

Abb. 4-28: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Lateralkraftschwankungen an der Spurstange (ent- spricht Achsrichtung der Spurstange)

Die Verschiebung der Kurve in negativer Richtung entspricht den aufgebauten Seitenkräften in Folge der eingestellten Vorspur.

An Hand der Frequenzanalyse ist zu erkennen, dass im Gegensatz zu der alleinigen Reifen- messung am Reifenprüfstand die Frequenz der Maximalamplitude bei beiden Reifen fast gleich ist. Damit ist das Schwingverhalten an der Spurstange im Wesentlichen unabhängig vom Reifen.

Lateralkraftauswertung Spurstange Hüllkurve Lateralkraftauswertung Spurstange Hüllkurve 350 350 300 300 250 Fülldruck: 1,25 bar 250 Fülldruck: 3 bar 200 200 150 150 100 100 50 50

] ]

N N

[ 0 [ 0

t t

f f

a -50 a -50

r r

K -100 K -100 -150 -150 -200 -200 -250 -250 -300 -300 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) -350 -350 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) -400 -400 -450 -450 250 200 150 100 50 250 200 150 100 50 Geschwindigkeit [km/h] Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 4-29: Fülldruckabhängigkeit der Hüllkurven der Lateralkraftschwankungen an der Spurstange 44 Grundsatzuntersuchungen

In Abb. 4-29 ist die Abhängigkeit der Kraftschwankungen in der Spurstange von verschiede- nen Fülldrücken dargestellt.

Deutlich erkennbar ist die Verringerung der Lateralkraftschwankungen mit steigendem Füll- druck bei dem Standardreifen. Im Gegensatz dazu, ist der Einfluss des Fülldruckes auf die Lateralkraftschwankungen des Runflat-Reifens gering. Damit hat der Standardreifen bei geringem Fülldruck höhere Lateralkraftschwankungen als der Runflat-Reifen, während sie bei Normalfülldruck fast gleich sind.

Die Frequenzauswertung der Spurstangenkräfte zeigt für alle Fülldrücke höhere Amplituden bei dem Runflat-Reifen. Die Frequenzen dagegen sind außer bei einem Fülldruck von 1,25 bar im Wesentlichen gleich, siehe Abb. 4-30. Bei dem Fülldruck von 1,25 bar verschiebt sich die Frequenz bei dem Standardreifen etwas in den tieferen Bereich. Dies ist auf das schon recht hohe Walken des Standardreifens bei diesem niedrigen Fülldruck zurückzuführen.

Lateralkraftauswertung Spurstange Lateralkraftauswertung Spurstange

2.4 Standardreifen (225/55 R16) 2.4 Standardreifen (225/55 R16) 2.2 Runflatreifen (225/55 R16) 2.2 Runflatreifen (225/55 R16) 2 2 1.8 Fülldruck: 1,25 bar 1.8 Fülldruck: 3 bar 1.6 1.6

] ]

N N

[ 1.4 [ 1.4

e e

d 1.2 d 1.2 u u

t t

i i

l l

p 1 p 1

m m A 0.8 A 0.8 0.6 0.6 0.4 0.4 0.2 0.2 0 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-30: Fülldruckabhängigkeit der Frequenzen der Lateralkraftschwankungen an der Spurstange

Vertikalkraftschwankungen

Die Vertikalkraftschwankungen werden hauptsächlich über den Topmount in die Karosserie eingeleitet. Der Topmount ist in vertikaler Richtung frei beweglich. Wie in Abb. 4-31 zu se- hen ist, sind damit die am Topmount auftretenden Vertikalkraftschwankungen wesentlich geringer als die Vertikalkräfte, wie sie direkt am Reifen entstehen und wie Messungen am Reifenprüfstand zeigten.. Aber deutlich sind die schon am Reifenprüfstand festgestellten hö- heren Schwankungsbreiten des Runflat-Reifens zu erkennen. In einigen Geschwindigkeitsbe- reichen sind diese bis zu 80 % höher. Grundsatzuntersuchungen 45

In Bezug auf die Frequenz ist im Gegensatz zu den Untersuchungen am Reifenprüfstand kein Unterschied zwischen beiden Reifen feststellbar. Nur die Höhe der Amplituden differiert wie schon bei den Schwankungsbreiten beträchtlich.

Eine Auswertung der Vertikalkraftschwankungen für verschiedene Fülldrücke ist in Abb. 4-32 zu sehen. Bei beiden Reifen ist fast keine Abhängigkeit der Schwankungsbreite vom Fülldruck feststellbar. Jedoch sind bei allen Fülldrücken die Radlastschwankungen des Runflat-Reifens wesentlich größer als die des Standardreifens.

Vertikalkraftauswertung Topmount Hüllkurve Vertikalkraftauswertung Topmount 200 2.2 Standardreifen (225/55 R16) 2 150 Runflatreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 1.8 Runflatreifen (225/55 R16) 100 1.6

50 1.4

]

]

N

N

[

[

t 1.2

f

e

a 0 d

r

u

t

K

i 1

l

p

-50 m 0.8

A

-100 0.6 0.4 -150 0.2 -200 0 250 200 150 100 50 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Geschwindigkeit [km/h] Frequenz [Hz]

Abb. 4-31: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Vertikalkraftschwankungen am Topmount

Vertikalkraftauswertung Topmount Hüllkurve Vertikalkraftauswertung Topmount Hüllkurve 250 250 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 200 Runflatreifen (225/55 R16) 200 Runflatreifen (225/55 R16) 150 150

100 100

] 50 ] 50

N N

[ [

t t

f f

a 0 a 0

r r

K K -50 -50

-100 -100

-150 -150 -200 Fülldruck: 1,25 bar -200 Fülldruck: 3 bar -250 -250 250 200 150 100 50 250 200 150 100 50 Geschwindigkeit [km/h] Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 4-32: Fülldruckabhängigkeit der Hüllkurven der Vertikalkraftschwankungen am Topmount

Frequenzanalysen für verschiedene Fülldrücke sind in Abb. 4-33 zu sehen. Während es bei dem Runflat-Reifen zu keiner oder nur einer geringen Änderung der Amplitude kommt, ver- ringert sich bei dem Standardreifen mit steigendem Fülldruck die Amplitude. Die Ursache dafür ist, wie schon bei den Lateralkräften, die hohe Walkarbeit des Standardreifens bei dem niedrigen Fülldruck. Dagegen ist bei beiden Reifen keine Abhängigkeit der Eigenfrequenzen vom Fülldruck zu erkennen. 46 Grundsatzuntersuchungen

Vertikalkraftauswertung Topmount Vertikalkraftauswertung Topmount 2.2 2.2

2 2 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 1.8 1.8 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 1.6 1.6 1.4 Fülldruck: 1,25 bar 1.4 Fülldruck: 3 bar

] ]

N N

[ [

1.2 1.2

e e

d d

u u

t t

i 1 i 1

l l

p p

m 0.8 m 0.8

A A 0.6 0.6

0.4 0.4 0.2 0.2 0 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-33: Fülldruckabhängigkeit der Frequenzen der Vertikalkraftschwankungen am Topmount

Vertikalschwankung Karosserie

Die Vertikalschwankungen der Karosserie werden am oberen Anlenkpunkt des Topmounts gemessen. In Abb. 4-34 ist eine Auswertung des Vertikalweges zu sehen. Wie schon bei den Konturuntersuchungen zu sehen war, ist die dynamische Aufweitung des Standardreifens we- sentlich größer als die des Runflat-Reifens. Ursache dafür ist, wie schon genannt, die höhere Steifigkeit der Seitenwand.

Vertikalwegauswertung Karosserie Hüllkurve Vertikalwegauswertung Karosserie 7 0.005 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 6 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 0.004 5

4

] ] 0.003

m

m

m

m

[

[

3

g

g

e

e

W W 0.002 2

1 0.001 0

-1 0 250 200 150 100 50 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Geschwindigkeit [km/h] Frequenz [Hz]

Abb. 4-34: Hüllkurve und Frequenzanalyse der Vertikalschwankungen der Karosserie

Die Größe der Vertikalschwankung der Karosserie ist dagegen relativ unabhängig vom Reifen und von der Geschwindigkeit. So ist bei allen Geschwindigkeiten und unabhängig vom Füll- druck bei beiden Reifen eine mittlere vertikale Schwankung in der Größe von 1,5 mm zu er- kennen, siehe dazu Abb. 4-35. Grundsatzuntersuchungen 47

Vertikalwegauswertung Karosserie Hüllkurve Vertikalwegauswertung Karosserie Hüllkurve 8 8 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 7 7 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 6 6

5 Fülldruck: 1,25 bar 5 Fülldruck: 3 bar

] ]

m 4 m 4

m m

[ [

g g

e 3 e 3

W W 2 2

1 1

0 0

-1 -1 250 200 150 100 50 250 200 150 100 50 Geschwindigkeit [km/h] Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 4-35: Fülldruckabhängigkeit der Hüllkurven der Vertikalschwankungen der Karosserie

Die Frequenzauswertung dieser vertikalen Schwankungen entsprechend Abb. 4-34 bzw. Abb. 4-36 zeigt, dass bei Normfülldruck beide Reifen eine Verstärkung bei knapp 4 Hz haben. Bei dem Runflat-Reifen ist diese etwas größer und es sind im Frequenzbereich von 10 Hz und 20 Hz weitere Amplitudenverstärkungen zu erkennen. Mit steigendem Fülldruck vergrößern sich diese zweiten und dritten Amplituden des Runflat-Reifens. Aber auch bei dem Standard- reifen entsteht bei einem Fülldruck von 3 bar eine zweite Amplitude bei 10 Hz.

Vertikalwegauswertung Karosserie Vertikalwegauswertung Karosserie 0.006 0.006

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 0.005 0.005 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

0.004 0.004

] ]

m m

m m

[ [ 0.003 0.003 g Fülldruck: 1,25 bar g Fülldruck: 3 bar

e e

W W

0.002 0.002

0.001 0.001

0 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-36: Fülldruckabhängigkeit der Frequenzen der Vertikalschwankungen der Karosserie

4.3.2 Schlagleistenuntersuchungen

In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie das Schwingverhalten verschiedener Reifen bei ei- ner gezielten Steigerung der Anregung durch das Überrollen einer Schlagleiste ist. Durch die Schlagleiste erhält man eine Weganregung und es wird das Überfahren von periodisch auftre- tenden Einzel-Hindernissen simuliert. 48 Grundsatzuntersuchungen

Neben den schon im vorangegangenen Abschnitt angewendeten Auswertungen kommen in diesem Abschnitt weitere Auswertungen hinzu. Diese sind: • das entstehende Kraftmaximum und der Gradient des Kraftanstiegs während des Überrol- lens der Schlagleiste und • die Frequenz des Ausschwingvorganges und die dabei auftretende Dämpfung nach dem Überrollen der Schlagleiste.

Identisch mit dem vorangegangenen Abschnitt wird das Verhalten der Reifen auf dem Rei- fenprüfstand und auch in Verbindung mit einer Vorderradaufhängung vom BMW E39 be- trachtet auf dem Radaufhängungsprüfstand betrachtet.

4.3.2.1 Methodik

Auf der 2 m-Stahltrommel sind über die gesamte Trommelbreite zwei Rechteck- Schlagleis- ten mit einer Höhe von 10 mm und einer Länge von 25 mm im Abstand von 180° aufge- bracht.

m

Im Gegensatz zu den Messungen auf m

25 mm 0 der glatten Stahltrommel wird bei den 1

Messungen mit den Schlagleisten die Schlagleiste 1 Trommelgeschwindigkeit jeweils auf einen konstanten Wert eingestellt. m m Mit den zwei über den Umfang ver- 0 0 0 teilten Schlagleisten erhält man ent- 2 sprechend Formel (4-1) von der Ge- schwindigkeit abhängige Schlagleis- tenfrequenzen.

Für eine Messung werden immer 50 Schlagleiste 2

Trommelumdrehungen d.h. 100 Schlagleistenüberfahrten aufgenom- Abb. 4-37: Anordnung der Schlagleisten men. Diese werden zum Teil im An- schluss abhängig von der Auswertung gemittelt.

v f = Trommel (4-1) π⋅rTrommel Grundsatzuntersuchungen 49

Ein weiterer Gegensatz zu den Messungen auf der glatten Stahltrommel liegt in der Messfre- quenz. Sie wird bei diesen Messungen gemäß Formel (4-2) abhängig von der Geschwindig- keit gestaltet.

vTrommel fM = sM (4-2)

sM = 2mm()Messabstand

Der Grund für diese variable Messfrequenz ist das Ziel, für jede zu messende Geschwindig- keit eine konstante Werteanzahl bzw. konstanten Messabstand über den Trommelumfang zu erhalten.

Vor Beginn der jeweiligen Messung erfolgt ein Einlaufen mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h über einen Zeitraum von 10 min. Ziel ist die Erreichung eines konstanten Ausgangs- zustandes für jeden Reifen. Die Radlast und der Fülldruck werden vor dem Einlaufen einge- stellt und während der Messung nicht korrigiert.

Wie schon bei den Messungen auf Fz-Topmount der glatten Stahltrommel werden zur Vereinfachung auch bei den Schlag- leistenmessungen am Radaufhän- gungsprüfstand nur die Kräfte aus- gewertet, die der Hauptfunktion des Lenkers entsprechen. Diese Vereinfa- chung ist zulässig, da auch bei diesen ange t s Auswertungen nur ein relativer Ver- r pu S -Querlenker y F gleich zwischen den unterschiedli- Fy- chen Reifen durchgeführt werden Fx-Zugstrebe soll. Bei einer absoluten Betrachtung oder der vergleichenden Einschät- zung verschiedener Radaufhängun- gen müssten die gemessenen Kräfte direkt auf die Stangenrichtung der Abb. 4-38: Skizze der ausgewerteten Kräfte Achslenker transformiert werden. 50 Grundsatzuntersuchungen

Die verwendeten Kräfte sind somit entsprechend Abb. 4-38: - für das Federbein, das im wesentlichen nur die Vertikalkräfte aufnehmen soll, die Ver-

tikalkraft im oberen Stützlager ® Fz-Topmount,

- für den Querlenker die Lateralkraft ® Fy-Querlenker,

- für die Zugstrebe Längskraft ® Fx-Zugstrebe und

- für die Spurstange ® Fy-Spurstange.

4.3.2.2 Auswertungen

Eigenfrequenz des Ausschwingvorganges

Für die Frequenzbestimmung wird 3000 aus einem vorliegenden Schwin- 2000 gungsoszillogramm die benötigte Zeit 1000 für einen Zyklus oder auch mehrere 0 Zyklen entnommen. Kraft [N] -1000

Entsprechend Abb. 4-39, wo bei- -2000 spielhaft der Verlauf der Vertikalkraft -3000 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 nach einer Schlagleistenüberfahrt auf Zeit [s] t1 t2 t3 t4 t5 t6 dem Reifenprüfstand zu sehen ist, kann durch Differenzbildung die Abb. 4-39: Schwingungsverlauf Vertikalkraft nach Schlagleistenüberfahrt mittlere Schwingungsdauer bestimmt werden. Das Reziproke daraus ist die mittlere Frequenz des Ausschwingvorganges.

nn--11 f ==n-1 (4-3) ttn - 1 å()ttii+1 - i=1

Steifigkeit

Im Gegensatz zur statischen Steifigkeit des Reifens, die auf einer ebenen Fläche im Stillstand ermittelt wird, wird in diesem Abschnitt die Steifigkeit beim Überrollen der Schlagleiste auf dem Reifenprüfstand ermittelt. Am Reifenprüfstand ist gewährleistet, dass die Schlagleiste mit der Höhe von 10 mm vollständig in den Reifen gedrückt wird. Durch Messung der entste- henden Kraftspitzen in vertikaler Richtung kann entsprechend nachfolgender Formel (4-4) die mittlere dynamische Steifigkeit beim Überrollen der Schlagleiste ermittelt werden. Der erhal- Grundsatzuntersuchungen 51 tene Steifigkeitswert gilt allerdings nur für diese konkrete Schlagleiste. Bei anderen Hinder- nissen oder auf einer ebenen Fläche erhält man für den Reifen jeweils eine andere dynamische Steifigkeit.

FzM_ ax cSL = (4-4) H SL

Dämpfung des Ausschwingvorganges

Auf Grund der Schlagleistenüberfahrt erfolgt ein Energieeintrag in den Reifen, der sich durch Schwingungen äußert. Infolge von Bewegungswiderständen kommt es zur Dissipation und diese Schwingungsausschläge klingen mit der Zeit ab. Man hat somit eine gedämpfte Schwingung. Unterschieden werden die Dämpfungsarten durch die folgende Abhängigkeit von der Geschwindigkeit: • Geschwindigkeitsunabhängige Dämpfung Diese stellt zum Beispiel die Coulombsche Gleitreibung dar. • Geschwindigkeitsproportionale Dämpfung Diese erhält man bei nicht zu schnellen Bewegungen in Flüssigkeiten oder Gasen und wird auch als viskose Dämpfung bezeichnet. • Dämpfung proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit Diese erhält man bei sehr schnellen Bewegungen in einem Fluid.

Wegen der viskosen Eigenschaften von Gummi kann man beim Reifen modellhaft von einer geschwindigkeitsproportionalen Dämpfung ausgehen, so dass folgende Gesetzmäßigkeit gilt.

my⋅ +⋅ky +c⋅y=0 (4-5)

Bei der geschwindigkeitsproportionalen Dämpfung lässt sich die Folge der Maximalausschlä- ge als geometrische Reihe darstellen. In dieser ist der Dämpfungsgrad eines Systems das Amplitudenverhältnis zweier aufeinander folgender Maxima.

Y DG = i (4-6) Yi+1

Der Logarithmus dieses Verhältnisses wird als das „logarithmische Dekrement“ bezeichnet.

Y Λ=ln DG =ln i (4-7) Yi+1 52 Grundsatzuntersuchungen

Für die Bestimmung des Dämpfungsmaßes D, kann folgende Beziehung genutzt werden.

L D = (4-8) (2p )2 +L2

In Abb. 4-40 ist beispielhaft der Ver- 3000 lauf der Vertikalkraft nach einer Y1 2000 Y2 Schlagleistenüberfahrt auf dem Rei- Y3 1000 Y4 fenprüfstand zu sehen. Y5 Y6 0 Kraft [N] Entsprechend der Formel (4-9) wird -1000 aus jeweils zwei aufeinander folgen- -2000 den Amplitudenmaxima das loga- -3000 rithmische Dekrement und daraus das 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 Zeit [s] Dämpfungsmaß berechnet. Da man aus 6 Amplitudenmaxima 5 Dämp- Abb. 4-40: Schwingungsverlauf Vertikalkraft nach Schlagleistenüberfahrt fungsmaße berechnen kann, wird zum Schluss durch Berechnung des Mittelwertes ein mittleres Dämpfungsmaß bestimmt.

n-1 æöY ln ç÷i å Y D = i=1 èøi+1 (4-9) n -1

Maximum und Gradient der Erregung

Für die Charakteristik des Schwin- 3000 Gradient Y1 gungsvorganges ist auch die Ab- Y0.9 2000 schätzung der entstehenden Erreger- 1000 kraft infolge der Schlagleistenüber- Y0.1 0 fahrt eine Bewertungsgröße. Dafür Kraft [N] wird das erste Amplitudenmaxi- -1000 mum Y1 verwendet, siehe dazu Abb. -2000

4-41. -3000 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 t(Y0.1) t(Y0.9) Zeit [s] Die Berechnung des zugehörigen Gradienten erfolgt nach folgender Abb. 4-41: Schwingungsverlauf Vertikalkraft nach Schlagleistenüberfahrt Formel (4-10). Grundsatzuntersuchungen 53

YY- Gradient = 0.9 0.1 (4-10) t(Y0.9)- t()Y0.1

Dabei ist Y0.9 der Wert der 10% unter dem ersten Amplitudenmaximum liegt und Y0.1 ist der

Wert der 10% des ersten Amplitudenmaximums entspricht. T(Y0.9) und T(Y0.1) sind jeweils die zugehörigen Zeiten.

4.3.2.3 Ergebnisse Reifenprüfstand

Allgemein

In Abb. 4-42 sind die Kraftverläufe in Umfangs-, Quer- und Vertikalrichtung bei einer Schlagleistenüberfahrt eines Standardreifens und eines Runflat-Reifens zu sehen. Deutlich erkennbar sind die höheren Anfangskräfte des Runflat-Reifen gegenüber dem Standardreifen. Dabei sind bei beiden Reifen die auftretenden Kräfte in Querrichtung sehr klein und resultie- ren im Wesentlichen aus dem Winkel der Gürtellagen.

Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 50 km/h) Schlagleistenüberfahrt (Hard-RFT, 50 km/h)

3000 3000 S_Vertikalkraft S_Vertikalkraft

2000 S_Längskraft 2000 S_Längskraft

S_Seitenkraft S_Seitenkraft 1000 1000

0 0 Kraft [N] Kraft [N]

-1000 -1000

-2000 -2000

-3000 -3000 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-42 Darstellung der Einzelkräfte einer Schlagleistenüberfahrt

Zur Verdeutlichung des Schlagleistendurchganges wird in Abb. 4-43 aus dem Schwin- gungsoszillogramm des Standardreifens die erste Schwingung entnommen. Die zeitliche Dau- er TSL des Schlagleisten-Durchganges ist entsprechend nachfolgender Formel bei v=50 km/h und einer Schlagleistenlänge LSL=25 mm etwa 1,8 ms. Diese Zeitdauer ist als Rechteck zu Beginn des Schwingungsvorganges in Abb. 4-43 dargestellt.

L T = SL (4-11) SL v

Man erkennt, dass bevor das Kraftmaximum erreicht wird, die Schlagleiste schon vollständig überfahren ist. Die Ursache dafür ist der verzögerte Kraftaufbau im Gummi. Das Maximum 54 Grundsatzuntersuchungen der Radlast wird nach etwa der vierfachen Zeit erreicht, die für eine Schlagleistenüberfahrt benötigt wird. Die nachfolgende Entlastung des Rades beträgt etwa 35% von der maximalen Belastung.

Der Verlauf der Längskraft (Tangen- Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 50 km/h) tialkraft) ist überraschend. So bewirkt 3000 die Schlagleistenüberfahrt als erstes 2000 einen positiven Kraftanstieg. Das ist 1000

]

N

[

t

f entgegen der Bewegungsrichtung der a 0

r

K

Schlagleiste. Zur weiteren Betrach- -1000 S_Vertikalkraft tung wird die resultierende Kraft in -2000 Schlagleiste S_Längskraft

S_Seitenkraft der x-z-Ebene gebildet, siehe dazu -3000 0.038 0.04 0.042 0.044 0.046 0.048 0.05 0.052 0.054 0.056 0.058 0.06 1,8 ms Abb. 4-44. Dabei ist jeweils in dem Zeit [s] linken Diagramm der Schwingungs- Abb. 4-43: Darstellung der Einzelkräfte der ersten 20 ms vorgang bis zum vollständigen Ab- nach einer Schlagleistenüberfahrt klingen der Schwingung dargestellt. Die beiden jeweils rechten Diagramme zeigen den Verlauf der ersten Schwingung, bei der das Maximum erreicht wird. Dabei ist oben der Kraftverlauf und unten der entsprechende Winkel zu sehen.

In Abb. 4-45 ist das polare Koordinatensystem für diese Resultierende dargestellt. Ein Winkel von 90° entspricht einer alleinigen Erhöhung der Radlast, während die Komponente in Längs- richtung Null ist.

Schlagleistenüberfahrt F_XY (Standard-Tyre, 50 km/h) Schlagleistenüberfahrt F_XY (Hard-RFT, 50 km/h) 3500 3500 3500 3500 3000 3000 3000 2500 3000 2500 2000 2000 1500 1500

2500 Kraft [N] 2500 Kraft [N] 1000 1000 500 500 2000 2000 Kraft [N] 0 Kraft [N] 0 0.04 0.05 0.06 0.04 0.05 0.06 1500 360 1500 360

270 270 1000 1000 180 180 500 500 90 90 Winkel [grd] Winkel [grd]

0 0 0 0 0.04 0.06 0.08 0.1 0.04 0.05 0.06 0.04 0.06 0.08 0.1 0.04 0.05 0.06 Zeit [s] Zeit [s] Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-44 Resultierende aus Längs- und Vertikalkraft Grundsatzuntersuchungen 55

Bei der Betrachtung des Kraftverlaufes in der x-z- Fz_global Ebene ist entsprechend Abb. 4-44 zu sehen, wie 90° die Kraft zu Beginn, während des direkten Über- 0° 180° Fx_global rollvorganges der Schlagleiste, entgegengesetzt 360° der Bewegungsrichtung der Schlagleiste wirkt. Erst mit dem Überschreiten des ersten Maximums 270° der Vertikalkraft kommt es zu einer Umkehr der Abb. 4-45: Winkel in x-z-Ebene Kraft in Richtung der Schlagleistenbewegung.

Die Ursache für diese anfängliche Kraftrichtung entgegengesetzt der Bewegungsrichtung der Schlagleiste liegt in einer Verschiebung des Latsches durch die Schlagleiste nach hinten. Durch diese Verschiebung nach hinten, in Bezug auf die Laufrichtung des Rades, kommt es in Folge der wirkenden Radlast zu einem kurzzeitigen Antriebsmoment für das Rad. Dieses be- wirkt wiederum eine Antriebskraft.

Im Weiteren folgen Vergleiche der einzelnen Kräfte zwischen dem Runflat-Reifen und dem Standardreifen. Dabei wird sich auf die Tangential- und die Vertikalkraft beschränkt, da diese den Hauptanteil der entstehenden Kräfte bei einer Schlagleistenüberfahrt ausmachen.

Tangentialkraft

In der Abb. 4-46 ist der Tangential- Tangentialkraftverlauf nach Schlagleistenüberfahrt kraftverlauf eines Standard- und eines Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 3000 Runflat-Reifens dargestellt. Standardreifen (225/55 R16) 2000 Runflatreifen (225/55 R16) Die Maximalamplitude des Runflat- 1000

0 Reifens ist fast 30% höher. Auch die Kraft [N] Frequenz des Ausschwingvorganges -1000 ist sichtbar höher. Schon nach der -2000

-3000 zweiten Schwingung hat man einen 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 0.11 0.12 Zeit [s] Phasenunterschied von 180° zwi- schen dem Standard- und dem Abb. 4-46: Vergleich der Tangentialkraftverläufe nach einer Schlagleistenüberfahrt Runflat-Reifen.

Der Verlauf dieser Schwingung entspricht jedoch keiner einfachen gedämpften, harmonischen Schwingung. Während die Maximalamplituden nach einer vollständigen Schwingung sich auf 30% und weniger verringern, kommt es im weiteren Verlauf zu Energieeinträgen. Das heißt, 56 Grundsatzuntersuchungen die Amplituden vergrößern sich teilweise wieder. Somit ist eine Auswertung, wie sie im Ab- schnitt 4.3.2.2 dargestellt ist, nicht möglich. Als Ausweg wird eine FFT des Zeitverlaufes durchgeführt, siehe dazu Abb. 4-47.

Hier zeigen sich deutliche Unter- FFT-Auswertung Tangentialkraftverlauf schiede in der Höhe der frequenzab- Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 250 Standardreifen (225/55 R16) hängigen Amplituden. Diese sind bei Runflatreifen (225/55 R16) 200 dem Runflat-Reifen fast über den gesamten Frequenzbereich höher. 150 Kraft [N] Des Weiteren sind die Eigenfrequen- 100 zen des Runflat-Reifens höher. So hat 50 der Standardreifen seine erste Eigen- 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 frequenz bei etwa 35 Hz und eine Frequenz [Hz] zweite größere bei 82 Hz, während Abb. 4-47: Frequenzvergleich der Tangentialkraftverläu- der Runflat-Reifen seine erste Eigen- fe nach einer Schlagleistenüberfahrt frequenz bei 40 Hz und eine zweite wesentliche bei 91 Hz hat.

Vertikalkraft

In der Abb. 4-48 ist der Vertikal- Vertikalkraftverlauf nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h kraftverlauf eines Standard- und eines 3000

Runflat-Reifens dargestellt. Auch 2500 Standardreifen (225/55 R16) hier ist bei dem Runflat-Reifen die 2000 Runflatreifen (225/55 R16) 1500 Maximalamplitude sowie die Fre- 1000 Kraft [N] quenz des Ausschwingvorganges 500 deutlich höher. 0 -500

-1000 Im Gegensatz zum Längskraftverlauf 0.02 0.03 0.04 0.05 0.06 0.07 0.08 0.09 0.1 0.11 0.12 Zeit [s] sind bei der Vertikalkraft nicht soviel Frequenzanteile enthalten. Auch ist Abb. 4-48: Vergleich der Vertikalkraftverläufe nach nach der einmaligen Erregung durch einer Schlagleistenüberfahrt die Schlagleiste kein erneuter Ener- gieeintrag sichtbar. Grundsatzuntersuchungen 57

Das wird auch im Rahmen einer FFT-

Analyse des Ausschwingvorganges FFT-Auswertung Vertikalkraftverlauf Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 300 deutlich. Ebenso wie bei der Tangen- Standardreifen (225/55 R16) tialkraft ist ein Maximum bei dem 250 Runflatreifen (225/55 R16) Standardreifen bei 83 Hz zu erkennen 200

150 und bei dem Runflat-Reifen bei Kraft [N] 91 Hz. 100

50

Bei dem Verlauf der Vertikalkraft 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 150 entsprechend Abb. 4-48 ist im Ge- Frequenz [Hz] gensatz zur Tangentialkraft eine Abb. 4-49: Frequenzvergleich der Vertikalkraftverläufe Auswertung, wie im Abschnitt nach einer Schlagleistenüberfahrt 4.3.2.2 dargestellt, möglich. In Abb. 4-50 sind dazu bei einem Standard- und einem Runflat-Reifen das Maximum und der Gra- dient der Erregung sowie die Frequenz und das Dämpfungsmaß des Ausschwingvorganges dargestellt.

Schwingungsauswertung nach Schlagleistenüberfahrt Schwingungsauswertung nach Schlagleistenüberfahrt Standard-Tyre, 50 km/h Hard-RFT, 50 km/h 3000 3000 Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ2267ÿN Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ2734ÿN Gradientÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ393ÿkN/s Gradientÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ581ÿkN/s 2000 2000 Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ84ÿHz Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ90ÿHz Dämpfungsmaßÿÿÿÿÿÿ0.078 Dämpfungsmaßÿÿÿÿÿÿ0.086 1000 1000 Kraft [N] Kraft [N]

0 0

-1000 -1000 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-50: Auswertung Vertikalkraftverlauf nach Schlagleistenüberfahrt bei 50 km/h

Es werden die für die Berechnung verwendete Anstiegsgerade des ersten Peaks sowie die Punkte zur Ermittlung des Dämpfungsmaßes gezeigt.

Eine Auswertung für verschiedene Geschwindigkeiten ist in Tabelle 4-1 dargestellt. Die Ab- hängigkeit der Kennwerte vom Reifen und von der Geschwindigkeit ist deutlich zu sehen. So vergrößern sich bei höheren Geschwindigkeiten die Unterschiede zwischen den beiden Rei- fen. Der Runflat-Reifen ist wesentlich stärker von der Geschwindigkeit abhängig als der Stan- dardreifen. 58 Grundsatzuntersuchungen

Tabelle 4-1: Vertikalkraftauswertungen nach einer Schlagleisten-Überfahrt für einzelne Geschwindig- keiten (Fülldruck 2,2 bar)

Reifen Standard RFT Standard RFT Standard RFT

Geschwindigkeit 50 km/h 80 km/h 120 km/h

Maximum [N] 2267 2734 2708 3663 2564 3846

Gradient [kN/s] 393 581 491 852 505 1136

Frequenz [Hz] 84 90 80 103 82 104

Steifigkeit [N/mm] 227 273 271 366 256 385

Dämpfungsmaß 0,078 0,086 0,072 0,099 0,094 0,116

Dagegen ist entsprechend Tabelle 4-2 der Einfluss des Fülldruckes bei dem Standardreifen - vor allem auf das Maximum, die Steifigkeit und das Dämpfungsmaß - größer.

Tabelle 4-2: Relativer Vergleich der Kennwerte zwischen verschiedenen Fülldrücken bei 50 km/h

2,9 bar Kennwert ⋅100% 2,4 bar

Reifen Standard RFT

Maximum [%] 118 111

Gradient [%] 103 104

Frequenz [%] 102 105

Dämpfungsmaß [%] 75 114

Die Vergrößerung des Dämpfungsmaßes bei der Erhöhung des Fülldruckes bei dem Runflat- Reifen hat seine Ursache in dem erhöhten ersten Peak und dem anschließenden stärkeren Ab- fall der Vertikalkraft.

4.3.2.4 Ergebnisse Radaufhängungsprüfstand

Allgemein

In Abb. 4-51 und Abb. 4-52 sind für zwei verschiedene Geschwindigkeiten die Schwin- gungsoszillogramme der einzelnen Kräfte und Wege eines Standard- und eines Runflat- Grundsatzuntersuchungen 59

Reifens dargestellt. Während bei der Geschwindigkeit von 20 km/h die Einzelschwingungen noch vollständig abklingen können (Abb. 4-51), gelingt das bei der relativ niedrigen Ge- schwindigkeit von 50 km/h entsprechend Abb. 4-52 schon nicht mehr. Man kann also ab 50 km/h nicht mehr von einer stationären Schwingung ausgehen, sondern man hat eine Über- lagerung mehrerer Schwingvorgänge. Damit sind Auswertungen entsprechend Ab- schnitt 4.3.2.2 oberhalb von Geschwindigkeiten von 50 km/h nicht mehr möglich.

Im weiteren Vergleich zwischen den Reifen wird sich deshalb auf die Geschwindigkeiten von 20 und 50 km/h beschränkt.

Einzelkräfte Schlagleistenüberfahrt Einzelkräfte Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 20 km/h) (Hard-RFT, 20 km/h) 1000 1000 S_Fz_Topmount S_Fz_Topmount 800 S_Fy_Querlenker 800 S_Fy_Querlenker 600 S_Fx_Zugstrebe 600 S_Fx_Zugstrebe S_Fy_Spurstange S_Fy_Spurstange 400 400

200 200

0 0

Kraft [N] -200 Kraft [N] -200

-400 -400

-600 -600

-800 -800

-1000 -1000

-1200 -1200 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 Zeit [s] Zeit [s]

Einzelwege Schlagleistenüberfahrt Einzelwege Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 20 km/h) (Hard-RFT, 20 km/h) 8 8 sz_Rad sz_Rad 7 7

6 sz_Karosserie 6 sz_Karosserie

5 5

4 4

3 3 s [mm] s [mm] 2 2

1 1

0 0

-1 -1

-2 -2 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-51 Darstellung einzelner Kräfte und Wege an der Radaufhängung nach einer Schlagleistenüber- fahrt bei 20 km/h 60 Grundsatzuntersuchungen

Einzelkräfte Schlagleistenüberfahrt Einzelkräfte Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 50 km/h) (Hard-RFT, 50 km/h) 600 600 S_Fz_Topmount S_Fz_Topmount S_Fy_Querlenker S_Fy_Querlenker 400 S_Fx_Zugstrebe 400 S_Fx_Zugstrebe S_Fy_Spurstange S_Fy_Spurstange

200 200

Kraft [N] 0 Kraft [N] 0

-200 -200

-400 -400

0 0.03 0.06 0.09 0.12 0.15 0.18 0.21 0.24 0.27 0.3 0 0.03 0.06 0.09 0.12 0.15 0.18 0.21 0.24 0.27 0.3 Zeit [s] Zeit [s]

Einzelwege Schlagleistenüberfahrt Einzelwege Schlagleistenüberfahrt (Standard-Tyre, 50 km/h) (Hard-RFT, 50 km/h) 5 5 sz_Rad sz_Rad 4 4 sz_Karosserie sz_Karosserie 3 3

2 2

s [mm] 1 s [mm] 1

0 0

-1 -1

-2 -2 0 0.03 0.06 0.09 0.12 0.15 0.18 0.21 0.24 0.27 0.3 0 0.03 0.06 0.09 0.12 0.15 0.18 0.21 0.24 0.27 0.3 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-52 Darstellung einzelner Kräfte und Wege an der Radaufhängung nach einer Schlagleistenüber- fahrt bei 50 km/h

Schwingungen in vertikaler Richtung

Die Vertikalschwingungen der Radaufhängung und der mit ihr verbundenen Karosserie sind eine direkte Folge des Überrollens der Schlagleiste. Die Erregungsfunktion ist die durch die Schlagleiste erzwungene Bewegung des Rades in vertikaler Richtung.

Vertikalbewegung des Rades

Die Vertikalbewegung des Rades ist u.a. direkt abhängig von den Eigenschaften des Reifens, d.h. der Härte seiner Lauffläche und seiner geschwindigkeitsabhängigen Steifigkeit.

In Abb. 4-53 ist der Vergleich zwischen einem Standard- und einem Runflat-Reifen bezüglich der Vertikalbewegung des Rades in vertikaler Richtung nach der Schlagleisten-Überfahrt mit 20 und mit 50 km/h dargestellt. Der in der Seitenwand steifere Aufbau des Runflat-Reifens bewirkt eine deutlich größere Bewegung des Rades in vertikaler Richtung beim Überrollen der Schlagleiste. Der Unterschied beträgt bei 50 km/h schon mehr als 25%. Grundsatzuntersuchungen 61

Vertikalbewegung des Rades nach Schlagleistenüberfahrt Vertikalbewegung des Rades nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 8 5

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 4 6 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 3

4 2

Weg [mm] 2 Weg [mm] 1

0 0

-1

-2 -2 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-53 Darstellung der Vertikalbewegung des Rades nach einer Schlagleistenüberfahrt

Vertikalkraft

In Folge der Vertikalbewegung des Fz-Topmount Rades entsteht im oberen Stützlager des Federbeines (Topmount) eine anteilige Karosseriemasse Fy-Topmount Vertikalkraft. Diese ist einerseits von x x Fx-Topmount der Federsteifigkeit der Feder, der Federbein mit Federsteifigkeit Dämpfkraft des Schwingungsdämp- und Dämpfung fers und der auf dem Federbein abge- Gleitführungen Federbein stützten anteiligen Karosseriemasse sz=f(HSL, Reifen) abhängig und andererseits von der Vergrößerungsfunktion. Der aus der Schlagleistenüberfahrt entstehende Kraftverlauf am Topmount in vertika- ler Richtung ist in Abb. 4-55 darge- Abb. 4-54: Entstehung Vertikalkraft im Topmount stellt.

Vertikalkraftverlauf am Topmount nach Schlagleistenüberfahrt Vertikalkraftverlauf am Topmount nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 200 200

100 100 0

0 -100 Kraft [N] Kraft [N] -200 -100

-300 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) -200 -400 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

-500 -300 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-55 Darstellung der Vertikalkraft am Topmount nach einer Schlagleistenüberfahrt 62 Grundsatzuntersuchungen

Während bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h der Unterschied in den Maximalamplituden zwischen dem Standard- und dem Runflat-Reifen noch gering ist, hat man bei einer Ge- schwindigkeit von 50 km/h schon einen Unterschied von mehr als 60%.

Der hohe Negativanteil nach der Schlagleistenüberfahrt, der eine Entlastung des Rades bedeu- tet, ist das Resultat einer Phasenverschiebung zwischen der vertikalen Bewegung des Rades und der vertikalen Bewegung der Karosseriemasse. Die Karosseriemasse befindet sich in Fol- ge der gedämpften Anregung über die Kette Reifen-Schwingungsdämpfer-Feder noch in der Aufwärtsbewegung. Dagegen ist das Rad schon wieder in einer Abwärtsbewegung, siehe da- zu auch Abb. 4-53 und Abb. 4-59.

Eine FFT-Analyse des Kraftverlaufes im oberen Stützlager des Federbeines entsprechend Abb. 4-56 zeigt, dass sich das Frequenzverhalten der Radaufhängung mit dem Reifen kaum ändert. Der einzige Unterschied zwischen beiden Reifen liegt in der Höhe der Amplitude.

FFT-Auswertung der Vertikalkraft am Topmount FFT-Auswertung der Vertikalkraft am Topmount Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 70 100 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 60 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 80 50

60 40 Kraft [N] Kraft [N] 30 40

20 20 10

0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-56: FFT-Analyse der Vertikalkraft im oberen Stützlager des Federbeines

Negativ für das Schwingungsverhal-

ten der Radaufhängung ist, dass sich Fz-Topmount n

die entstehenden Vertikalkräfte nicht i

e Fz-Querlenker b Rad

nur am dafür konstruktiv ausgelegten r

e d

Federbein abstützen (Abb. 4-57), e Fy-Querlenker F sondern unter anderem auch am Querlenker Querlenker, siehe dazu Abb. 4-58. Die Höhe dieser Vertikalkräfte liegt in der gleichen Größenordnung wie Trommel am Federbein. Abb. 4-57: Vertikalkräfte am Querlenker Grundsatzuntersuchungen 63

Vertikalkraftverlauf am Querlenker nach Schlagleistenüberfahrt Vertikalkraftverlauf am Querlenker nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 300 200

200 100 100

0 0

-100 Kraft [N] Kraft [N] -100 -200

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) -300 -200 -400 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

-500 -300 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-58 Vertikalkraftverlauf am Querlenker nach einer Schlagleistenüberfahrt

Die Ursache für diese Kräfte am Querlenker ist in der vertikalen Blockierung der Querlenker- befestigung in Folge der auftretenden Längskräfte zu suchen. Das ist ungünstig für die Ab- stimmung der Radaufhängung, da somit eine von der Längskraft abhängige Steifigkeit und Dämpfung der Querlenkerbefestigung sich mit den in der Entwicklung ausgelegten Steifig- keits- und Dämpfungseigenschaften des Federbeines addieren.

Vertikalbewegung der Karosserie

Neben den in der Radaufhängung entstehenden Kräften kommt es als weitere Folge der Ver- tikalbewegung des Rades zu einer Vertikalbewegung der Karosserie (siehe Abb. 4-59).

Vertikalbewegung der Karosserie nach Schlagleistenüberfahrt Vertikalbewegung der Karosserie nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 2 0.75

1.5 Standardreifen (225/55 R16) 0.5 1 Runflatreifen (225/55 R16) 0.25 0.5

0 0 Weg [mm] Weg [mm] -0.5 -0.25

-1 Standardreifen (225/55 R16) -0.5 -1.5 Runflatreifen (225/55 R16)

-2 -0.75 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-59 Darstellung des Ausschwingens der Vertikalbewegung der Karosserie nach einer Schlagleis- tenüberfahrt bei 20 km/h und 50 km/h

Während bei den langsamen Geschwindigkeiten die Vertikalbewegung der Karosserie bei dem Runflat-Reifen etwa 10% höher ist als bei Standardreifen, verringert sich dieser Unter- schied mit steigender Geschwindigkeit. 64 Grundsatzuntersuchungen

Schwingungen in horizontaler Richtung

Neben den Schwingungen in vertikaler Richtung entstehen auf Grund des Längsdurchganges der Schlagleiste durch den Reifenlatsch auch Schwingungen der gesamten Radaufhängung in Längsrichtung. Aber auch in Fahrzeug-Querrichtung kommt es zu Schwingungen der Radaufhängung. Die Ursache für das Schwingen in Querrichtung ist eine Schrägstellung des Reifens auf Grund der auftretenden Längskräfte und der Elastokinematik der Radaufhängung beim Überrollen der Schlagleiste.

Längskraft an der Zugstrebe

Die an der Zugstrebe gemessene Kraft in Längsrichtung (Abb. 4-38) ist für einen Standard- und einen Runflat-Reifen in Abb. 4-60 dargestellt.

Kraftverlauf an der Zugstrebe nach Schlagleistenüberfahrt Kraftverlauf an der Zugstrebe nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 600 200

400 100

200 0

0 Kraft [N] Kraft [N] -100 -200

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) -200 -400 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16)

-600 -300 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-60 Darstellung des Ausschwingens der Längskraft an der Zugstrebe nach einer Schlagleisten- überfahrt bei 20 km/h und 50 km/h

Der Unterschied zwischen den beiden Reifen ist bei niedrigen Geschwindigkeiten gering. Aber auch an der Radaufhängung ist die erste Amplitude nach der Überfahrt der Schlagleiste positiv und etwa in einer Größenordnung wie bei der Einzeluntersuchung des Reifens am Rei- fenprüfstand.

Eine Analyse für einen Standard- und einen Runflat-Reifen für zwei Geschwindigkeiten zeigt Abb. 4-61 und Abb. 4-62. 66 Grundsatzuntersuchungen

Hard-RFT, 20 km/h

Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿ407ÿN Gradientÿ1ÿÿÿÿÿÿ20ÿkN/s Minimumÿÿÿÿÿÿÿÿ-464ÿN Gradientÿ2ÿÿÿÿÿ-30ÿkN/s Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿ11ÿHz Dämpfungsmaßÿÿÿÿ0.137 600

400

200

0 Kraft [N] -200

-400

-600 0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 Zeit [s]

Hard-RFT, 50 km/h

Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿ176ÿN Gradientÿ1ÿÿÿÿÿÿ24ÿkN/s Minimumÿÿÿÿÿÿÿÿ-232ÿN Gradientÿ2ÿÿÿÿÿ-17ÿkN/s Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿ12ÿHz Dämpfungsmaßÿÿÿÿ0.123 200

100

0

Kraft [N] -100

-200

-300 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 0.22 0.24 Zeit [s]

Abb. 4-62: Schwingungsauswertungen der Längskraft in der Zugstrebe bei einem Runflat-Reifen Grundsatzuntersuchungen 65

Standard-Reifen, 20 km/h

Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿ368ÿN Gradientÿ1ÿÿÿÿÿÿ19ÿkN/s Minimumÿÿÿÿÿÿÿÿ-474ÿN Gradientÿ2ÿÿÿÿÿ-27ÿkN/s Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿ11ÿHz Dämpfungsmaßÿÿÿÿ0.146

600

400

200

]

N

[

t

f

a 0

r

K -200

-400

-600 0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 Zeit [s] Standard-Reifen, 50 km/h

Maximumÿÿÿÿÿÿÿÿÿ158ÿN Gradientÿ1ÿÿÿÿÿÿ24ÿkN/s Minimumÿÿÿÿÿÿÿÿ-198ÿN Gradientÿ2ÿÿÿÿÿ-10ÿkN/s Frequenzÿÿÿÿÿÿÿÿ12ÿHz Dämpfungsmaßÿÿÿÿ0.158

200

100

]

N 0

[

t

f

a

r

K -100

-200

-300 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 0.22 0.24 Zeit [s]

Abb. 4-61: Schwingungsauswertungen der Längskraft in der Zugstrebe bei einem Standardreifen Grundsatzuntersuchungen 67

Im Gegensatz zu den Messungen am Reifenprüfstand sind die Unterschiede zwischen den Reifen bezüglich der Schwingungen in Längsrichtung gering. So ist die auftretende Maximal- amplitude bei dem Runflat-Reifen nur etwa 10% höher als bei dem Standardreifen. Auch die Frequenz des Ausschwingvorganges ist im Wesentlichen unabhängig vom Reifen und demzu- folge nur abhängig von der Radaufhängung.

Der größte Unterschied zwischen dem Standard- und dem Runflat-Reifen ist vor allem bei den höheren Geschwindigkeiten der Gradient 2. Dieser ist bei dem Runflat-Reifen deutlich höher. Dabei ist der Gradient 1 der erste positive Anstieg und der Gradient 2 ist der erste ne- gative Anstieg bzw. der Abstieg.

Lateralkraft am Querlenker

In Abb. 4-63 sind die entstehenden Lateralkräfte in der Querstrebe der Radaufhängung für zwei Geschwindigkeiten dargestellt. Lateralkraft bei der Querstrebe bedeutet, die Kraft wirkt hauptsächlich in Achsrichtung und damit Hauptbeanspruchungsrichtung des Querlenkers.

Kraftverlauf am Querlenker nach Schlagleistenüberfahrt Kraftverlauf am Querlenker nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 1000 600 Standardreifen (225/55 R16)

400 500 Runflatreifen (225/55 R16)

200 0

Kraft [N] Kraft [N] 0 -500

Standardreifen (225/55 R16) -200 -1000 Runflatreifen (225/55 R16) -400 -1500 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-63 Darstellung des Ausschwingens der Lateralkraft am Querlenker nach einer Schlagleisten- überfahrt bei 20 km/h und 50 km/h

Der Unterschied zwischen den beiden Reifen ist gering. Bei dem Runflat-Reifen tritt eine geringfügig höhere Amplitude auf, deren Ursache die höhere Schräglaufsteifigkeit des Runflat-Reifens ist. Diese bewirkt bei gleicher Auslenkung höhere Seitenkräfte. Weiterhin ist erkennbar, dass es bei der höheren Geschwindigkeit zu einer Überlagerung mehrerer Fre- quenzen kommt, siehe dazu auch Abb. 4-64. Auch diese Frequenzen sind vom Reifen unab- hängig und somit vom Schwingungsverhalten der Radaufhängung abhängig. 68 Grundsatzuntersuchungen

FFT-Auswertung der Lateralkraft am Querlenker FFT-Auswertung der Lateralkraft am Querlenker Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 500 250 Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16)

Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 400 200

300 150 Kraft [N] Kraft [N] 200 100

100 50

0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-64: FFT-Analyse der Lateralkräfte in der Querstrebe

Lateralkraft an der Spurstange

Wie bei dem Querlenker wirkt die Lateralkraft an der Spurstange auch hauptsächlich in Achs- richtung der Spurstange. Der nach einer Schlagleisten-Überfahrt entstehende Verlauf dieser Kraft ist in Abb. 4-65 dargestellt. Vom Verlauf ähnelt die Kraft in der Spurstange dem Ver- lauf der Lateralkraft im Querlenker (Abb. 4-63). Die Ursache für die Kraft in der Spurstange ist jedoch das Rückstellmoment des Reifens bzw. das Moment in Folge des Nachlaufes der Radaufhängung.

Kraftverlauf an der Spurstange nach Schlagleistenüberfahrt Kraftverlauf an der Spurstange nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 1000 600 Standardreifen (225/55 R16) 750 400 Runflatreifen (225/55 R16) 500 200 250

Kraft [N] Kraft [N] 0 0

-250 -200 Standardreifen (225/55 R16)

-500 Runflatreifen (225/55 R16) -400 -750 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-65 Darstellung des Ausschwingens der Lateralkraft an der Spurstange nach einer Schlagleisten- überfahrt bei 20 km/h und 50 km/h

Auch bei den Schwingungen an der Spurstange kommen vor allem bei den höheren Ge- schwindigkeiten weitere Frequenzanteile hinzu, siehe Abb. 4-66 und es ist eine deutlich höhe- re Amplitude des Runflat-Reifens zu erkennen. Absolut gesehen, sind die Lateralkräfte an der Spurstange allerdings kleiner als an dem Querlenker. Grundsatzuntersuchungen 69

FFT-Auswertung der Lateralkraft an der Spurstange FFT-Auswertung der Lateralkraft an der Spurstange Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 300 175

Standardreifen (225/55 R16) 150 250 Runflatreifen (225/55 R16) 125 200

100 150 Kraft [N] Kraft [N] 75

100 50

50 Standardreifen (225/55 R16) 25 Runflatreifen (225/55 R16) 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Frequenz [Hz] Frequenz [Hz]

Abb. 4-66: FFT-Analyse der Lateralkräfte in der Spurstange

Horizontalkraft am Topmount

Am Topmount sollte möglichst keine Horizontalkraft auftreten, da diese die unerwünschte Reibungskraft in den Gleitführungen des Federbeines (Abb. 4-54) erhöht. Diese Reibungs- kraft überlagert sich ähnlich wie die Vertikalkraft am Querlenker zu den ausgelegten Steifig- keits- und Dämpfungseigenschaften des Federbeines. Doch wie Abb. 4-67 zeigt, ist am Top- mount eine relativ hohe Horizontalkraft festzustellen.

Horizontalkraftverlauf am Topmount nach Schlagleistenüberfahrt Horizontalkraftverlauf am Topmount nach Schlagleistenüberfahrt Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 20 km/h Fülldruck: 2.2 bar / Geschwindigkeit 50 km/h 800 600

Standardreifen (225/55 R16) Standardreifen (225/55 R16) 700 500 600 Runflatreifen (225/55 R16) Runflatreifen (225/55 R16) 400 500

400 300 Kraft [N] Kraft [N]

300 200 200 100 100

0 0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3 0.35 0.4 0.45 0.5 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18 0.2 Zeit [s] Zeit [s]

Abb. 4-67: Horizontalkräfte am Topmount

4.3.3 Fazit zum Schwingungsverhalten

Die Untersuchungen zum Schwingungsverhalten zeigten zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen dem herkömmlichen Standardreifen und dem Runflat-Reifen. Vor allem die Unter- suchungen beim Überrollen von Schlagleisten machen dies deutlich. So entstehen bei dem Runflat-Reifen in den meisten Fällen höhere Amplituden und Gradienten beim Überrollen der Schlagleiste als bei dem Standardreifen. Diese Unterschiede zwischen Runflat- und Standard- reifen vergrößern sich mit steigender Geschwindigkeit. 70 Grundsatzuntersuchungen

Wie bei den Untersuchungen auf der glatten Stahltrommel sichtbar wurde, ist eine direkte Korrelation zwischen den Untersuchungen am Reifenprüfstand und an der Radaufhängung in allen Richtungen gegeben. In Abhängigkeit vom Übertragungsverhalten der Radaufhängung in den einzelnen Richtungen werden die im Reifen entstehenden Kräfte allerdings nur bedingt auf die Karosserie übertragen.

Die Frequenzanalysen zu den Messungen am Reifenprüfstand zeigten, dass in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit und dem Reifen bei den Längskräften ein erstes Maximum zwischen 30 und 40 Hz und ein zweites zwischen 80 und 90 Hz liegt. Bei den Vertikalkräften tritt nur ein Maximum zwischen 80 und 100 Hz auf. Dabei liegen die Maxima bei den Runflat-Reifen immer bei höheren Frequenzen als bei den herkömmlichen Standardreifen und sind immer größer. Die auftretenden Frequenzen an der Radaufhängung sind weitestgehend unabhängig vom verwendeten Reifen und nur von Radaufhängung und zum Teil von der Geschwindigkeit ab- hängig.

Die Auswertungen zum Dämpfungsverhalten zeigten, dass die Dämpfung der Runflat-Reifen in vertikaler Richtung höher und in tangentialer Richtung niedriger als die der Standardreifen ist. Dabei vergrößert sich bei beiden Reifen die Dämpfung in vertikaler Richtung mit steigen- der Geschwindigkeit. In tangentialer Richtung vergrößert sich die Dämpfung nur bei dem Standardreifen mit steigender Geschwindigkeit, während sie sich bei dem Runflat-Reifen ver- ringert.

Bei der Radaufhängung ist eine direkte Auswertung der Einzelschwingungen beim Überrollen der Schlagleisten nur bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h möglich. Danach kommt es zu einer Überlagerung verschiedener Anregungen, da die Einzelschwingung eines Schlagleis- tendurchganges nicht mehr vollständig abklingen kann.

In Abhängigkeit von der Konstruktion der Radaufhängung kommt es zu einer Aufteilung der entstehenden Kräfte auf die einzelnen Achslenker. Das Ziel zur Erreichung eines maximalen Schwingungskomforts ist, dass jeder Lenker nur in seiner von der Auslegung vorgegebenen Richtung beansprucht wird. Das ist bei der für die Untersuchungen verwendeten Achse schon recht gut gelöst, aber die teilweise doch noch auftretenden hohen Kräfte in Querrichtung ein- zelner Lenker zeigen die Optimierungsmöglichkeiten für die Gesamtachse. Das gilt vor allem für die Reduzierung der Reibungskräfte, die einen Einfluss auf die Abstimmung des Feder- Dämpfer-Systems haben. Grundsatzuntersuchungen 71

4.4 Zusammenfassung Grundsatzuntersuchungen

In diesem Kapitel wurden an Hand einiger ausgewählter Verfahren bestimmte grundlegende Reifeneigenschaften von herkömmlichen Standard- und Runflat-Reifen ermittelt. Die darge- stellten Untersuchungen zeigten, wo und in welchen Größenordnungen Unterschiede zwi- schen Standardreifen und Runflat-Reifen bestehen.

Folgende Ergebnisse bzw. Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Untersuchungen ablei- ten: • Die statischen Steifigkeiten von Runflat-Reifen mit verstärkten Seitenwänden sind in allen drei Richtungen höher als bei Standardreifen. Für den Fahrkomfort und die Belastung des Fahrwerkes ist das negativ. • Die Untersuchung der Reifenkontur in der Lauffläche deckt konstruktive Mängel in der Abstimmung der Steifigkeiten zwischen dem Laufflächen- und Schulterbereich sowie in der Seitenwand auf. Bei den untersuchten Runflat-Reifen zeigten sich zum Teil erhebliche Nachteile. Durch eine konstruktive Feinabstimmung im Seitenwand-, Schulter- und Lauf- flächenbereich lässt sich dieser Mangel allerdings leicht beheben. • Die Schwingungsuntersuchungen deckten prinzipielle Unterschiede im dynamischen Ver- halten zwischen beiden Reifen auf. Vor allem die Schlagleistenuntersuchungen zeigten schon bei der Betrachtung der entstehenden Maximalamplituden, dass die auftretenden Belastungen bei den Runflat-Reifen deutlich höher sind.

Wie speziell die dargestellten Untersuchungen und Auswertungen beim Überrollen von Schlagleisten offenbarten, ist bei einem serienmäßigen Einsatz von Runflat-Reifen auf Grund der gezeigten größeren Belastung mit einer höheren Schädigung des Fahrwerkes und einer entsprechend verkürzten Lebensdauer desselben zu rechnen. Da die Schädigung und damit die Lebensdauer abhängig von der Häufigkeit des Auftretens einer Belastung ist, muss für eine direkte Bewertung dieser Belastung noch die jeweilige Häufigkeit ermittelt und bewertet wer- den. Dies erfolgt im nächsten Kapitel. 72 Fahrwerksbelastung

5 Fahrwerksbelastung

Automobile sind im täglichen Einsatz extrem harten Beanspruchungen ausgesetzt. Das Fahr- werk gehört auf Grund der auf die Räder wirkenden Vertikal-, Seiten- und Längskräfte zu den am stärksten beanspruchten und gleichzeitig lebenswichtigen Sicherheitsbauteilen am Fahr- zeug. Der Zwang zum materialsparenden Leichtbau bei gleichzeitiger Erhöhung der Festigkeit stellt an die Entwicklung moderner Radaufhängungen mit ihren komplexen Achs- und Lage- rungskonstruktionen hohe Anforderungen. Vor allem Runflat-Reifen, die auf dem Prinzip der verstärkten Seitenwand beruhen, können mit ihren schon dargestellten höheren Belastungen ein auf Standardreifen ausgelegtes Fahrwerk vorzeitig schädigen.

In diesem Kapitel wird dargestellt, wie durch eine Auswertung der bei den Schlagleistenun- tersuchungen entstehenden Lastkollektive eine vergleichende Bewertung unterschiedlicher Reifen hinsichtlich ihres Belastungspotentials sowie ihres Einflusses auf die Schädigung bzw. die Lebensdauer eines Fahrwerkes durchgeführt werden kann. Dazu werden Messungen auf dem Reifen- und dem Radaufhängungsprüfstand verwendet.

5.1 Methodik

Die Messungen sind prinzipiell identisch mit den schon vorgestellten allgemeinen Schlagleis- tenuntersuchungen, nur der Ablauf ist etwas verändert. Die Messpunkte sind wiederum am Reifenprüfstand die Messnabe und am Radaufhängungsprüfstand die einzelnen Anbindungs- stellen der Lenker an die Karosserie.

Da für eine gesamtheitliche Betrachtung nicht nur eine einzelne Geschwindigkeit für die Ab- schätzung der Belastung betrachtet werden soll, wird der nachfolgend beschriebene Ge- schwindigkeitsbereich durchfahren und gemessen. Begonnen wird mit einer Geschwindigkeit Fahrwerksbelastung 73 von 10 km/h. Mit einer Schrittweite von 10 km/h wird die Geschwindigkeit stufenweise bis auf 120 km/h erhöht. Mit den zwei über den Umfang verteilten Schlagleisten erhält man Schlagleistenfrequenzen und somit Anregungen bis etwa 11 Hz. Eine höhere Geschwindigkeit ist aus Festigkeitsgründen der angeschraubten Schlagleisten nicht möglich.

Auch bei diesen Messungen werden pro Geschwindigkeitsstufe 50 Trommelumdrehungen d.h. 100 Schlagleistenüberfahrten aufgenommen.

Die Messfrequenz ist auch bei diesen Messungen direkt abhängig von der Geschwindigkeit. Bei 10 km/h werden die Daten mit einer Frequenz von etwa 1400 Hz aufgenommen. Diese wird dann entsprechend der Geschwindigkeitsstufung bis auf etwa 17000 Hz bei 120 km/h erhöht.

Es erfolgt zur Konditionierung des Reifens ein mit der Einzelmessung identischer Einlauf bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h über einen Zeitraum von 10 min. Die Parameter Radlast und Fülldruck werden vor dem Einlauf eingestellt.

5.2 Datenaufbereitung

In Abb. 5-1 ist der Vertikalkraftverlauf für fünf Schlagleistenüberfahrten auf dem Reifenprüf- stand für eine Geschwindigkeit von 50 km/h dargestellt.

Eine vollständige Schlagleistenuntersuchung beinhaltet 1200 solche Schlagleistenüberfahrten. Damit ist eine direkte Bewertung dieser originalen Kraft-Zeit-Verläufe wie im vorangegange- nen Kapitel nicht sinnvoll.

Notwendig sind Verfahren, mit denen man diese komplexen Zeitverläufe so aufbereitet, dass die für die Belastung und Schädigung entscheidenden Merkmale zur Verfügung stehen. Im nachfolgenden wird gezeigt, welche Möglichkeiten für so eine Datenaufbereitung existieren und welche im weiteren Vorgehen angewendet wurden. 74 Fahrwerksbelastung

2400 2200 2000 1800 1600 1400

] 1200

N

[ 1000

t

f

a 800

r

k

l 600

a

k

i 400

t

r

e 200

V 0 -200 -400 -600 -800 -1000 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 Zeit [s]

Abb. 5-1: Darstellung des Vertikalkraftverlaufes nach Schlagleistenüberfahrten auf dem Reifenprüf- stand bei 50 km/h

5.2.1 Allgemein

Für den Schädigungsvorgang auf Grund von Schwingungen und damit die Belastung eines Werkstoffes oder eines Bauteiles ist eine einfache Betrachtung der Spitzenwerte einer Schlag- leistenüberfahrt oder auch der Mittelwerte nicht ausreichend. Neben dem Mittelwert, also der mittleren Belastungshöhe sind auch die Einzelamplituden und die Häufigkeiten ihres Auftre- tens von Bedeutung.

Obwohl man heute weiß, dass auch die Reihenfolge der Belastungen von Bedeutung ist, kann dies für einen Vergleich des Einflusses verschiedener Reifen auf die Belastung des Fahrwer- kes vernachlässigt werden.

Zum Erfassen bzw. zur Kennzeichnung solcher regelloser Schwingungen bedient man sich in der Technik der Zerlegung der gesamten Beanspruchungs-Zeitfunktion in Einzelschwingspie- le, siehe Abb. 5-2. Fahrwerksbelastung 75

Abb. 5-2: Einzelschwingspiel mit der Mittelspannung σm und der Amplitude σa aus einer Beanspruchungs-Zeitfunktion

Diese Einzelschwingspiele können mit Hilfe statistischer Methoden, wie der Klassier- oder Zählverfahren gekennzeichnet werden. Damit werden die unregelmäßigen Kraftverläufe auf eine Folge von Schwinglastspielen bestimmter Größe und Häufigkeit zurückgeführt.

Man unterscheidet ein- oder zweiparametrische Verfahren.

Bei den zweiparametrischen Verfahren wird die Amplitude σa und die Mittelspannung σm jedes einzelnen Schwingspiels erfasst. Bei den einparametrischen Verfahren wird nur ein Parameter erfasst, wie zum Beispiel die

Amplitude σa oder die Minima bzw. Maxima.

Grundsätzlich gehen durch jede statistische Kennzeichnung Informationen der realen Schwin- gung verloren. Diese sind mindestens: • die spektrale Dichte, • die Reihenfolge der Einzelschwingungen und • das Zeitgesetz des Schwingungsvorganges (Sinus, Rechteck, ...).

Die wesentlichen zweiparametrischen Verfahren sind. • Übergangsklassierung (Peak through counting) Bei diesem Verfahren werden die jeweiligen Extremwerte entsprechend ihrer Aufeinan- derfolge in einer Start- und einer Zielklasse gezählt. Durch diese Registrierung der Ex- tremwerte der Einzelschwingung ist auch der Mittelwert der Amplitude mit enthalten. • Zyklenauswertungen Bei diesen Verfahren werden durch die Auswertung vollständiger Zyklen, deren Inhalte ein Maß für die eingebrachte Energie sind, die wirklichen Beanspruchungen des Werk- stoffes am besten erfasst. Dabei werden die Start- und Zielklassen von jeweils geschlosse- 76 Fahrwerksbelastung

nen Hysteresen aufgenommen. Falls wie bei einer gedämpften Schwingung keine ge- schlossenen Hysteresen existieren, müssen für eine sinnvolle Auswertung auch offene Hysteresen berücksichtigt werden. Diese werden als Residuum gespeichert.

Bei den einparametrischen Verfahren haben die nachfolgenden Zählverfahren eine gewisse Bedeutung [49]. • Extremwertzählungen − Spitzenwertverfahren I (Zero-crossing peak counting) Es werden die dem Betrag nach größten Extremwerte zwischen zwei Durchgängen durch die Nulllinie erfasst und in der entsprechenden Klasse gezählt. − Spitzenwertverfahren II (Peak counting) Es werden oberhalb der Bezugslinie alle Maxima und unterhalb der Bezugslinie alle Minima erfasst und in der entsprechenden Klasse gezählt. − Spitzenwertverfahren III Es werden alle Maxima und alle Minima unabhängig von der Lage der Bezugslinie er- fasst und in der entsprechenden Klasse gezählt. ⇒ Diese vorgenannten Verfahren werden von der Forschungsgemeinschaft Antriebs- technik e.V. mit Spitzenzählung I/II/III (Peak counting) bezeichnet. • Klassengrenzenüberschreitungszählungen (Level crossing counting) Es wird jeweils beim Überschreiten einer Klassengrenze eine Zählung ausgelöst. In den positiven Klassen werden alle Klassendurchgänge oberhalb der Bezugslinie mit positivem Anstieg gezählt und in den negativen Klassen alle unterhalb der Bezugslinie mit negati- vem Anstieg. • Bereichszählungen − Spannenverfahren (Range counting) Als Spannen werden die Differenzen zwischen zwei benachbarten Extremwerten der Schwingung bezeichnet. Die Spanne zwischen einem Minimum und dem nachfolgen- den Maximum wird positiv und die Spanne zwischen einem Maximum und einem nachfolgenden Minimum wird negativ gezählt. − Spannenpaarverfahren (Bereichspaarzählung, Range-pair counting) Im Rahmen dieses Verfahrens werden alle Spannen von einem Minimum ausgehend positiv und alle Spannen von einem Maximum ausgehend negativ erfasst. Gibt es bei gleicher Mittelspannung zu einer positiven Spanne eine gleichgroße negative Spanne erfolgt die Zählung. Fahrwerksbelastung 77

Entscheidend für alle Verfahren sind die jeweiligen Klasseneinteilungen und die eingestellte Hysterese, auch Rückstellbreite genannt. Durch eine Hysterese werden Störungen sowie klei- ne, für die Werkstoffermüdung unbedeutende Amplituden entlang einer Klassengrenze von der Auswertung ausgeschlossen.

Die Hysterese sollte mindestens 10% der Klassenbreite betragen. Idealerweise beträgt sie 50-100% der Klassenbreite. Empfohlen wird allgemein eine maximale Hysterese von 2,5% der maximalen Schwingbreite.

Im Folgenden werden einige Klassierverfahren hinsichtlich ihrer Eignung für die Datenaufbe- reitung zur Abschätzung der Beanspruchung des Fahrwerkes durch unterschiedliche Reifen dargestellt. Es werden nur die zweiparametrischen Klassierverfahren betrachtet, da man aus ihnen alle für die Schädigung wesentlichen Parameter ableiten kann. Dabei werden aus der regellosen Beanspruchungs-Zeit-Funktion die Schwingspiele identifiziert und durch ihre Amplitude und ihren Mittelwert beschrieben. Auf diese Weise hat man ein direktes Maß für die eingebrachte Energie. Die dazu vorstellbaren Zyklen im σ-ε-Diagramm stehen im Zu- sammenhang zur Werkstoffermüdung.

5.2.2 Übergangsklassierung (Peak through counting)

Die Übergangsklassierung ist das erste praktisch realisierte zweiparametrische Klassierverfah- ren. Der Algorithmus ist in Abb. 5-3 zu erkennen.

Abb. 5-3: Algorithmus der Übergangsklassierung 78 Fahrwerksbelastung

Von einem Extremwert zum nächsten werden die Übergänge in einer so genannten Über- gangsmatrix abgelegt. Die Zeile der Matrix legt dabei den jeweiligen Startpunkt und die Spal- te den Endpunkt des Übergangs fest. Die steigenden Übergänge finden sich dann oberhalb der Hauptdiagonalen während sich die fallenden Übergänge unterhalb einordnen.

Die Auswertung dieser Übergangsmatrix erfolgt entsprechend Abb. 5-4.

Abb. 5-4: Zählergebnisse der Übergangsmatrix

Negative Amplituden kennzeichnen wiederum fallende Übergänge während positive steigen- de Übergänge darstellen. Fahrwerksbelastung 79

Ein Problem der Übergangsklassierung ist die Zerlegung des Beanspruchungs-Zeit-Verlaufes in eine Vielzahl kleiner Schwingspiele, aus der -bei bestimmten Verläufen- die das Bauteil schädigende Grundschwingung nicht erkannt wird.

Ein solcher Verlauf ist zum Beispiel

t

f in Abb. 5-5 zu sehen. Bei einer derar- a

r

K tigen Festlegung der Klassengrenzen, dargestellt durch die horizontalen Linien, wird zwar eine Vielzahl von kleinen Schwingvorgängen gezählt, aber die das Bauteil überwiegend schädigende Grundschwingung wird Zeit nicht erkannt. Verfahren, die dieses Problem der Abb. 5-5: Ungeeigneter Belastungsverlauf Übergangsklassierung umgehen sol- len, sind die zwei im nachfolgenden dargestellten Zyklenauswertungen.

5.2.3 Zyklenauswertungen

5.2.3.1 Bereichspaar-Mittelwert-Zählung (Range pair mean counting)

Bei diesem Verfahren werden wie beim Range pair counting (Spannenpaarverfahren) Ex- tremwerte erfasst, die nach einer Belastungsumkehr und erneutem Erreichen des Extremwer- tes gezählt werden. Damit hat man eine geschlossene Hystereseschleife bzw. einen vollen Zyklus der mit Amplitude und Mittelwert gespeichert wird. Gleichzeitig wird dieser Zyklus aus dem gesamten Schwingverlauf entfernt und die weitere Auswertung verläuft so, als ob dieses Schwingspiel nie existiert hätte. Begonnen wird dabei mit Schwingspielen einer Schwingweite, die einer Klassenbreite entsprechen. Entsprechend Abb. 5-6 sind das die Schwingspiele 3-4, 6-7 und 11-12. Schwingspiele mit 2 und 3 Klassenbreiten existieren in diesem Beispiel nicht und es folgen die Schwingspiele mit einer Schwingweite von 4 Klas- senbreiten 1-2 und dann mit 5 Klassenbreiten 8-9. Zum Schluss verbleibt ein Rest 5-10-13-14, der das Residuum genannt wird. Dieser Rest wird zu vollen Zyklen 5-10 und 13-14 zusam- mengefasst und ebenso in der Matrix eingeordnet. 80 Fahrwerksbelastung

5 9 3 13 1

4

15 7

6 11 2 14 8 12

10

Abb. 5-6: Algorithmus der Bereichspaar-Mittelwert-Zählung

Die in diesem Beispiel dargestellte Matrix wird „symmetrische“ Matrix genannt, in der die Richtung der einzelnen Schwingspiele nicht berücksichtigt wird. Wenn man die Richtung noch beachtet, erhält man eine vollständige „unsymmetrische“ Matrix. Auch in der Handha- bung des Residuums gibt es einzelne Variationen. So kann es, wie in diesem Fall zu vollen Zyklen zusammengefasst werden oder auch als Folge gesondert behandelt werden. Das ist immer auch von der jeweiligen Aufgabenstellung abhängig. Die Auswertung dieser Bereichs- paar-Mittelwert-Zählung erfolgt entsprechend Abb. 5-7. Grau hinterlegt sind die zusammen- gefassten Residuen.

Man sieht, dass alle Maxima einer Klasse in einer Zeile und alle Minima in einer Spalte ange- ordnet sind. Die Addition der jeweiligen Ergebnisse ergibt die absoluten Häufigkeiten der Maxima bzw. Minima. Bei der Addition in den Diagonalen erhält man wiederum die absolu- ten Häufigkeiten der Mittelwerte und Schwingweiten. Fahrwerksbelastung 81

350

0100

0150

1200 e d

2250 itu

0300 Ampl

0350

0400

1450

Abb. 5-7: Zählergebnisse der Bereichspaar-Mittelwert-Auswertung

5.2.3.2 Rainflow-Klassierung (Rainflow counting)

Etwa zeitgleich mit der Entwicklung der Bereichspaar-Mittelwert-Klassierung wurde auch die Rainflow-Klassierung entwickelt. Dieses Verfahren erhielt seinen Namen aus folgender Vor- stellung. Bei nach unten gerichteter Zeitachse des Beanspruchungs-Zeit-Verlaufes werden die Minima und Maxima des Vorganges als Dächer betrachtet, über die Regen abläuft. Der Fluss dieses Regens bestimmt dann folgende Zählvorschrift. • Jeder Zählvorgang beginnt auf der Innenseite eines Extremwertes. • Der Zählvorgang ist beendet wenn: − ausgehend von einem Minimum ein betragsmäßig größeres Minimum kommt oder von einem Maximum ausgehend, ein betragsmäßig größeres Maximum kommt. − er auf den Verlauf eines Zählvorganges eines vorhergehenden Extremwertes trifft.

Betrachtet man das Beispiel in Abb. 5-8, so erhält man, wenn man diese Zählvorschrift über den gesamten Bereich anwendet, die geschlossenen Zyklen und damit Schwingspiele 3-4, 6-7, 8-9 und 11-12. 82 Fahrwerksbelastung

Die nicht durch eine Vorschrift beendeten Zählvorgänge -im Bild durch Pfeile gekennzeich- net- werden wie abgeschlossene Teilzyklen behandelt. Damit erhält man die Teilzyklen 1-2-5- 10-13-14-15. Diese werden zu den Schwingspielen 1-2, 5-10 und 13-14 zusammengesetzt und gezählt.

5 9 3 13 1

4

15 7

6 11 2 14 8 12

10

Abb. 5-8: Algorithmus der Rainflow-Klassierung

Im Weiteren können die Ergebnisse der Rainflow-Klassierung ebenso wie die Ergebnisse der Bereichspaar-Mittelwert-Klassierung in einer symmetrischen oder unsymmetrischen Matrix abgelegt werden.

Die Einordnung des Residuums in die Matrix kann, wie in diesem Fall als zusammengesetzter voller Zyklus erfolgen, wobei allerdings immer noch nicht zusammensetzbare Halbzyklen verloren gehen. Eine absolut korrekte Einordnung erhält man, wenn jeder geschlossene Zyklus mit dem Wert „2“ und jeder Ast des Residuums mit dem Wert „1“ eingetragen wird. Damit stehen in der Matrix generell Halbzyklen und die ungeraden Werte markieren das Residuum.

Durch eine identische Auswertung dieser Matrix entsprechend Abb. 5-9 erhält man genauso wie bei der Bereichspaar-Mittelwert-Klassierung die absoluten Häufigkeiten der Maxima und Minima sowie die Mittelwerte und Amplituden. Fahrwerksbelastung 83

350

0100

0150

1200 e d

2250 itu

0300 Ampl

0350

0400

1450

Abb. 5-9: Zählergebnisse der Rainflow-Klassierung

5.2.4 Beispiel

In Abb. 5-10 ist beispielhaft die symmetrische Matrix nach einer Rainflow-Klassierung von dem zeitlichen Ablauf, wie er in Abb. 5-1 abgebildet ist, dargestellt. Als Rückstellbreite ist eine volle Klassenbreite eingestellt.

Aus dieser Matrix können direkt die aufgetretenen Maxima und Minima entnommen werden und für jedes Element der Matrix lassen sich die Amplitude und der Mittelwert nach folgen- der Formel berechnen.

1 FF=⋅(−F) (5-1) A 2 max min

1 FF=⋅(+F) (5-2) M 2 max min

In Abb. 5-11 sind dazu die entsprechenden Schwingbreiten, also das Doppelte der Amplitude ausgewertet. Diese Kraftschwankungen können direkt für eine Schädigungsbewertung ver- 84 Fahrwerksbelastung wendet werden. Die absolut auftretenden Minima und Maxima sind als statischer Nachweis für die Festigkeit oder zur Berücksichtigung von Überlasten bedeutsam, aber für die Betrach- tung der Schädigung am Fahrwerk sind sie weniger relevant.

-900 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

-700 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1

-500 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

-300 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

-100 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

100 0 0 0 5 6 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

300 0 0 2 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

m 500 0 3 3 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

u

m i 700 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

x

a 900 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

M 1100 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1300 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1500 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1700 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

1900 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

2100 1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

2300 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

-900 -700 -500 -300 -100 100 300 500 700 900 1100 1300 1500 1700 1900 2100 2300 Minimum

Abb. 5-10: Beispiel für Rainflow-Klassierung aus Abb. 5-1

Für eine umfassende Bewertung kann

] 3200

N

[ diese Klassierung für jede Kraftrich- 3000

e

t i 2800

e

r

b 2600 tung einzeln durchgeführt werden. g

n i 2400

w

h 2200

c

S 2000 Des Weiteren kann diese Klassierung 1800 1600 aber auch als Gesamtbetrachtung für 1400 1200 den jeweiligen Messpunkt mit der 1000 800 nach Formel (5-3) berechneten Amp- 600 400 200 litude durchgeführt werden. Damit 0 0 2 4 6 8 10121416182022242628303234 geht zwar die Richtung der Kraft ver- Summenhäufigkeit [-] loren, aber für eine vergleichende Abb. 5-11: Schwingbreiten der Rainflow-Klassierung Auswertung eines Messpunktes zwi- schen verschiedenen Reifen ist diese Fahrwerksbelastung 85 weniger relevant. Die Berechnung dieser Amplitude muss allerdings zeitgleich vor der jewei- ligen Auswertung erfolgen.

222 FA(i) =Fx(i) +Fy(i) +Fz(i) (5-3)

In Abb. 5-12 sind die Schwingbreiten über alle Geschwindigkeiten für die Vertikalkraft am Reifenprüfstand dargestellt. Dabei wurden die gezählten Zyklen aller Geschwindigkeitsstufen aufsummiert. Deutlich werden schon hier die höheren Kräfte und Häufigkeiten der Hard-RFT sichtbar. Vor allem die wesentlich höheren Amplituden sind für eine deutlich höhere Schädi- gung verantwortlich.

] 4000 N [

e t i

e 3500 r b s g

n 3000 u k n

a 2500 w h c

S 2000

1500

1000 Standardreifen

500 Soft-RFT Hard-RFT 0 10 100 1000 10000 100000

Summenhäufigkeiten

Abb. 5-12: Schwingbreiten der Vertikalkraft über alle Geschwindigkeiten

5.2.5 Fazit

Für die vergleichende Aufbereitung der Schlagleistendurchgänge wird die Rainflow- Klassierung angewendet. In dieser sind die wesentlichen Inhalte des ursprünglichen Ablaufes enthalten und sie beschreibt die schädigende Wirkung des Originalablauf weitestgehend. Da die Mittelwerte der Beanspruchung in vertikaler Richtung durch die statische Radlast vorge- geben und in den horizontalen Richtungen Null sind, werden für die weiteren Auswertungen nur die Schwingungsbreiten der Kräfte verwendet. Diese können zum einen für die einzelnen 86 Fahrwerksbelastung

Kräfte und damit jede Richtung getrennt betrachtet werden und zum anderen in ihrer Gesamt- heit durch Berechnung der resultierenden Amplitude. Dabei ist allerdings, die sich jeweils verändernde Richtung der Resultierenden zu beachten.

5.3 Abschätzung des Einflusses auf die Lebensdauer

Unter der Lebensdauer eines Fahrwerks versteht man die Zeit bis zum teilweisen oder auch vollständigen Versagen des gesamten Systems oder auch nur einer einzelnen Komponente. Ursachen für ein Versagen sind vor allem die auftretenden Kräfte und Momente, aber auch Temperatureinflüsse und Korrosion. In den überwiegenden Fällen ist ein Versagen allerdings auf die dynamisch wirkenden Belastungen zurückzuführen. Es werden erhöhte Spannungen und Dehnungen initiiert, welche zu Ermüdungsrissen oder anderweitigen Beschädigungen führen können. Am Fahrwerk könnten als Folgen zum Beispiel auftreten: − Verringerung der Steifigkeit, daraus resultierend erhöhte reversible bis hin zu irrever- siblen Verformungen, − Beeinträchtigung der Festigkeit und/oder der Querschnitte durch Korrosion, − Erhöhter Verschleiß durch Veränderungen in der Lastverteilung oder − Veränderungen im Schwingungsverhalten und daraus resultierend erhöhte Belastungen.

Der Umfang eines Versagens am Fahrwerk kann dabei in folgende Stufen gegliedert werden: − Leichte Beeinträchtigung des Fahrkomforts - ein Austausch von Komponenten wird empfohlen; − Starke Beeinträchtigung des Fahrkomforts - ein Austausch von Komponenten wird notwendig; − Beeinträchtigung der Fahrsicherheit - ein sofortiger Austausch von Komponenten ist unerlässlich.

Aus Sicht des Kunden dürfen nun Fahrzeugkomponenten unter allen im Betrieb denkbaren Einflüssen und Belastungen nicht versagen. Aber nur Schwingbeanspruchungen unterhalb der Dauerfestigkeitsgrenze können beliebig oft, ohne zur Schädigung zu führen, ertragen werden. Eine dauerfeste Auslegung des Fahrwerks ist jedoch technisch und ökonomisch nicht sinn- voll. Erstens würde sich dadurch das Fahrzeug unnötig verteuern und zweitens würden sich durch die Erhöhung der ungefederten Massen die Fahreigenschaften deutlich verschlechtern.

Aus diesem Grund werden für das Fahrwerk Betriebsbeanspruchungen oberhalb der Dauer- festigkeitsgrenze zugelassen. Daraus folgt eine endliche Lebensdauer für die Fahrwerkskom- Fahrwerksbelastung 87 ponenten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird diese Auslegung als betriebsfeste Auslegung bezeichnet. Konkret bedeutet das, eine zeitlich, größenmäßig und in der Häufigkeit unregel- mäßige Folge von Schwingungen führt unter Berücksichtigung der vorgesehenen Lebensdau- er des Bauteils nicht zu einem Ermüdungsversagen. Die dafür notwendige Dimensionierung der Bauteile wird in der Lehre von der Betriebsfestigkeit behandelt.

Doch die Betriebssicherheit eines Fahrzeuges kann niemals absolut sein. Es bleibt immer ein gewisses Dimensionierungsrisiko. Dafür gibt es zwei Gründe.

1. ist der Grad der Beanspruchung eines Autos bei jedem Fahrer und auf jeder Strecke ein anderer.

2. ist die Widerstandsfähigkeit von Bauteilen mit Streuungen behaftet. Während aus ei- ner Reihe von Bauteilen eine große Menge von Teilen eine bestimmte Anzahl wech- selnder Beanspruchungen übersteht, geht ein kleiner Teil - identisch hergestellt und aussehend - relativ früh zu Bruch.

Verlässliche Aussagen zu der Beanspruchung durch den Fahrer über einen gewissen Zeitraum und der Widerstandsfähigkeit des Bauteils, also seiner ertragbaren Beanspruchung kann man nur durch die Statistik erhalten. Zwei nicht exakt zu definierende Kollektive bestimmen dem- nach die Lebensdauer eines Bauteils. Die Kunst der Dimensionierung besteht nun darin, diese beiden Kollektive so weit auseinanderzurücken, dass sie sich möglichst wenig überschneiden, siehe dazu auch Abb. 5-13. Je kleiner die Fläche des Überschneidungsbereiches umso weni- ger Schäden sind zu erwarten.

Beanspruchung Ertragbare beim Beanspruchung Kunden des Bauteils igkeit f u ä Absolute H

Beanspruchung Über- 50%-Kunde schneidungs- Mittlere Lebensdauer bereich

Abb. 5-13: Dimensionierung eines Bauteils 88 Fahrwerksbelastung

Während der Entwicklung der heutigen, aktuellen Fahrzeuge stand als Referenz für die Er- mittlung der Maximalbelastungen nur die bezüglich der Dimension größte vorgesehene Berei- fung zur Verfügung. Die Entwicklung der Runflat-Reifen steckte immer noch im Anfangssta- dium. Mit der heutigen breitflächigen Einführung der Notlaufreifen besteht nun die Gefahr, dass sich in Folge der höheren Belastungen durch die Notlaufreifen, das Schädigungsverhal- ten und damit die Lebensdauer des Fahrwerkes verändert. Eine Abschätzung, in welchem Umfang sich die höheren Belastungen auf die Lebensdauer auswirken, ist deshalb bei der Verwendung von Runflat-Reifen von großer Bedeutung. Ein Verfahren für diese Abschätzung wird nachfolgend dargestellt.

5.3.1 Theorie

5.3.1.1 Ermittlung der zulässigen Beanspruchung

Die gebräuchlichste Variante zur Ermittlung der zulässigen Beanspruchung ist der Einstufen- Schwingversuch oder auch Wöhlerversuch (siehe Abb. 5-14). Dieser kann am Gesamtsystem oder auch an Einzelkomponenten durchgeführt werden. Als Kennfunktion für die dynamische Beanspruchbarkeit werden Wöhlerlinien herangezogen. Diese charakterisieren bauteil- bzw. werkstoffabhängig die ertragbaren konstanten Amplitudengrößen.

Bei dem Wöhlerversuch werden eine große Anzahl gleicher Probekörper σ einer harmonisch wechselnder Belas- tung mit jeweils konstanter Ober- und Unterspannung -einstufige Beanspru- σ m chung- ausgesetzt.

Gemessen wird die Anzahl der Schwingungen bis zum Bruch oder Abb. 5-14: Wöhlerversuch Anriß. Dieser Versuch wird mit ver- schiedenen Amplituden wiederholt. Die Bruchlastspielzahl N wird mit der zugehörigen Nenn- spannung σ in einem Diagramm eingetragen. Bei Darstellung im doppellogarithmischen Maß- stab verläuft sie im Zeitfestigkeitsbereich annäherungsweise geradlinig und geht im Dauerfes- tigkeitsbereich in eine horizontale Gerade über. So entsteht entsprechend Abb. 5-15 die Wöh- ler-Linie als Kurve aus den an gleichen Prüfkörpern ermittelten Bruchlastspielzahlen für un- terschiedliche Nennspannungen. Fahrwerksbelastung 89

Die einzelnen Punkte der Wöhler-

Linie geben an, wie viel Lastwechsel Zugfestigkeit Kurzzeit-Schwingfestigkeit ein Konstruktionsdetail bei vorge- Streckgrenze A

wählter Mittelspannung und Span- σ

nungsschwingbreite (einstufiges Be- de Zeitfestigkeit tu li lastungskollektiv) bis zum Bruch samp

ertragen kann. Dabei sind die ver- ng schiedenen Festigkeitsbereiche er- nu Span kennbar. Dauerfestigkeit

100 101 102 103 104 105 106 107 Lastspielzahl

Abb. 5-15: Ergebnis Wöhlerversuch [50]

5.3.1.2 Ermittlung der wirksamen Beanspruchung

Die wirksame Beanspruchung am Fahrzeug wird entsprechend den Vorgaben des Herstellers über eine gewisse Fahrstrecke in Kundenhand ermittelt. Zur Verkürzung der Zeit werden die- se in Kundenhand ermittelten Beanspruchungen auf Versuchsstrecken übertragen, wo man dann im Zeitraffer vergleichbare Beanspruchungen mit bekanntem Bezug erhält. Dabei wer- den die im Fahrbetrieb auftretenden Kräfte an Radmessnaben oder auch an einzelnen Lenkern mittels Dehnmessstreifen gemessen. Die gemessene Beanspruchung der real gefahrenen Stre- cke wird im Anschluss näherungsweise auf die gewünschte Fahrstrecke extrapoliert und man erhält das Bemessungskollektiv.

Für die Bewertung des Schädigungsverhaltens durch unterschiedliche Reifen werden die Schlagleistenuntersuchungen als wirksame Ersatz-Beanspruchung verwendet.

Aus dieser werden durch Klassierung die Beanspruchungshöchstwerte sowie die Häufigkeiten des Auftretens der einzelnen Belastungen extrahiert. Die aus den Einzelhäufigkeiten berech- nete Summenhäufigkeitskurve ist das Nennbeanspruchungskollektiv (siehe Abb. 5-16). Die- ses ist gekennzeichnet durch seinen funktionalen Verlauf, vor allem seinem Völligkeitsgrad, dem Kollektivumfang Hmax und dem Kollektivhöchstwert. 90 Fahrwerksbelastung

Beanspruchungszeitfunktion Kollektiv g n ni

chu Klassierung u Treppung

Zeit Amplitude Beanspr

Summenhäufigkeit H (log)

Abb. 5-16: Datenaufbereitung

Die nachfolgende rechnerische Verknüpfung der Beanspruchung und der Beanspruchbarkeit geschieht mittels einer Schadensakkumulationshypothese. ≈

5.3.1.3 Berechnung mittels Schadensakkumulationshypothese

Schadensakkumulationshypothesen sind Hypothesen, die eine Abschätzung der Lebensdauer ermöglichen. Verwendung finden dafür versuchstechnisch relativ einfach zu erhaltende Ba- sisdaten, wie Nennspannungskollektiv und Wöhlerdiagramm.

Das Verfahren mit dem einfachsten Ansatz ist die lineare Schadensakkumulationshypothese nach Palmgren und Miner. Es wird angenommen, dass jede Schwingung einen kleinen Schä- digungsbeitrag liefert. Dieser wird linear akkumuliert, wobei die Reihenfolge der Schädi- gungsbeiträge nicht berücksichtigt wird.

Der prinzipielle Algorithmus dieser Palmgren-Miner-Regel ist in Abb. 5-17 zu sehen. Aus- gangspunkt dieser linearen Schädigungshypothese von Palmgren und Miner ist, dass bei einer mehrstufigen Belastung jede Spannung σi , die n-mal auftritt, einen Schädigungsanteil be- wirkt (Formel (5-4)).

ni SiMiner ()= (5-4) Ni

Hierbei ist Ni die Anzahl an Lastwechseln, die das Bauteil bei einer Spannungsamplitude von

σi erträgt. Im Wöhlerdiagramm ist das die der Spannung σi zugeordnete Bruchlastspielzahl auf der Zeitfestigkeitsgeraden.

Die Gesamtschädigung ergibt sich aus der Summe der Teilschädigungen (Formel (5-5)). Fahrwerksbelastung 91

ni SSMiner =∑ Miner ()i=∑ (5-5) Ni

Für den Vergleich der Beanspruchung mit dem Wöhlerversuch wird etwa ab SMiner ≈ 0,3 ein Bauteilversagen vorausgesagt.

Beanspruchungszeitfunktion Wöhlerversuch σa σ n1Lastspiele

n2 σ Zeit m N Beanspruchung N1 2 Zeit N (log)

Klassierung Wöhlerauswertung

Kollektiv Wöhlerkennlinie )

ni

plitude Treppung i itude (log l Am Amp Ni Summenhäufigkeit H (log) Schwingspiele N (log)

Schadensakkumulation

ki ni SSMiner = ∑ i = ∑ iiNi

Ausfall (technischer Anriss)

SMiner ≈0,3

Abb. 5-17: Schädigungsrechnung 92 Fahrwerksbelastung

Obwohl man heute weiß, dass die Reihenfolge der Beanspruchung für die Ermüdung und da- mit die Schädigung eine große Bedeutung hat, hat diese Hypothese vor allem für vergleichen- de Bewertungen, wie sie in der Arbeit durchgeführt werden sollen und im frühen Entwick- lungsstadium eine hinreichende Aussagekraft.

Eine Variante ist die elementare Form der Miner-Regel. Bei dieser wird im doppeltlogarith- mischen Wöhlerdiagramm die Zeitfestigkeitsgerade linear bis in den Dauerfestigkeitsbereich verlängert (siehe Abb. 5-18).

Dieser Ansatz tendiert prinzipiell zu 1 k ⎛⎞ND einer Überschätzung der unterhalb σ aa= ⎜⎟⋅σ D ⎝⎠N der Dauerfestigkeitslinie liegenden

a Schwingspiele. Doch für die nach- σ σaD Miner original folgenden relativen Vergleichsrech- nungen bezüglich der Bauteilschädi- Amplitude (log) gung verschiedener Reifen ist diese Miner elementar Vereinfachung zulässig. ND Schwingspiele N (log) Der Neigungsexponent k nimmt Abb. 5-18: Wöhlerdiagramm mit Wöhlerlinie elementar dementsprechend für flach verlau- fende Wöhlerlinien große Werte und für steiler verlaufende Linien kleine Werte an. Für Bau- teile im Fahrwerksbereich wird im Allgemeinen eine Neigung von k=5 angenommen.

5.3.2 Auswertungen

Für den Vergleich unterschiedlicher Reifen hinsichtlich ihres Schädigungspotentials am Fahrwerk werden die entsprechend Abschnitt 5.2 ermittelten Nennbeanspruchungskollektive aus den Schlagleistenuntersuchungen gegen eine Wöhlerlinie mit der Neigung k=5 im dop- peltlogarithmischen Diagramm gerechnet. Dabei wird kein absoluter Festigkeitsnachweis für ein konkretes Bauteil durchgeführt, sondern nur eine relative Schädigungsrechnung. Das heißt, es wird verglichen, wie sich die Lebensdauer des Fahrwerks bei Einsatz verschiedener Reifen gegenüber einem Referenzreifen verändert. Referenzreifen ist zum Beispiel die für den Serieneinsatz zugelassene Maximalbereifung, die im Allgemeinen die höchsten zugelassenen Belastungen aufweißt, für die das Fahrwerk konstruktiv ausgelegt wurde.

Für diese relative Rechnung wird auch ein angenommenes Bauteil mit einer fiktiven Wöhler- linie verwendet. Da F ∼σ ist, kann die Auswertung direkt mit den gemessen Kräften durch- Fahrwerksbelastung 93 geführt werden. Durch Einsetzen des linearen Ansatzes nach Miner elementar in die Formel (5-5), erhält man die folgende Formel (5-6).

Fk ⋅n S = ii (5-6) Miner ∑ k FND ⋅ D

Damit wird aus dem Kollektiv der Schlagleistenmessung und der angenommenen Wöhlerlinie nun die Schädigung berechnet.

Um einen einfachen Kennwert für das Schädigungspotential verschiedener Reifen oder auch Fahrwerksauslegungen zu schaffen, werden für die Dauerfestigkeit folgende fiktiven Eckda- ten eines Bezugsreifens verwendet:

• Kraftamplitude der Dauerfestigkeit FD =1000 N

6 • Lastspielzahl der Dauerfestigkeit N1D = 0

Bezieht man die für die einzelnen Reifen erhaltenen Lastspiele noch auf genau eine Million

⎛⎞106 Schlagleistendurchgänge ⎜i ⎟ erhält man für die vergleichenden Auswertungen einen ⎝⎠SLAnzahl so genannten schlagleistenbezogenen Minerkennwert (siehe Formel (5-7)).

1 M = ⋅Fk ⋅n (5-7) SL 15 ∑ i i 10 ⋅ SLAnzahl

Dieser kennzeichnet im Weiteren das Schädigungspotential der untersuchten verschiedenen Reifen.

5.3.2.1 Radaufhängung

In Abb. 5-19 sind die Ergebnisse einer Minerauswertung der Karosserieamplitude für ver- schiedene Reifen über der Geschwindigkeit dargestellt. Die Karosserieamplitude berechnet sich aus der Gesamtamplitude aller Lenkerkräfte entsprechend Formel (5-8).

222 ⎛⎞⎛⎞⎛⎞ FFA−Karosserie =+⎜⎟∑∑x ⎜Fy ⎟+⎜∑Fz ⎟ (5-8) ⎝⎠Lenker ⎝Lenker ⎠⎝Lenker ⎠

Man erhält hiermit einen richtungslosen Vergleichswert für alle über die Fahrwerkslenker auf die Karosserie einwirkenden Kräfte. 94 Fahrwerksbelastung

Man sieht, dass der Mittelwert des

Minerkennwertes des harten Runflat- Schlagleistenbezogener Minerbeiwert Karosserie

Reifens etwa 40% höher ist als der Standardreifen [Mittelwert = 2.66] 10 Soft-RFT [Mittelwert = 2.35] des Standardreifens. Das bedeutet, 5 Hard-RFT [Mittelwert = 3.42] das Fahrwerk hätte mit dem harten 1 Runflat-Reifen gegenüber dem Stan- 0.5 dardreifen eine fast um die Hälfte Minerbeiwert [-] 0.1 verkürzte Lebensdauer. 0.05

Auch in Bezug auf die Schädigung ist 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Geschwindigkeit [km/h] eine Einzelbetrachtung jedes Lenkers Abb. 5-19: Minerkennwert für verschiedene Reifen ge- in x-, y- oder z-Richtung möglich. messen an der Radaufhängung Beispielhaft ist in Abb. 5-20 eine Auswertung für die Kraftamplitude am Topmount berechnet aus allen drei Richtungen zu sehen. Gegenüber der Karosserie (Abb. Schlagleistenbezogener Minerbeiwert Topmount 5-19) ist bei der logarithmischen 0.5 Standardreifen [Mittelwert = 0.048]

Auftragung ein relativ gleichmäßiger Soft-RFT [Mittelwert = 0.054]

0.1 Hard-RFT [Mittelwert = 0.08] Abfall des Minerkennwertes über der 0.05 Geschwindigkeit festzustellen. 0.01 0.005 Weiterhin ist der Minerkennwert und Minerbeiwert [-] damit die Schädigung des weichen 0.001 Runflat-Reifens am Topmount fast 0.0005 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 20% höher. Bei der Karosseriebe- Geschwindigkeit [km/h] trachtung dagegen ist der Miner- Abb. 5-20: Minerkennwert für verschiedene Reifen ge- kennwert des weichen Runflat- messen an der Radaufhängung Reifens sogar geringer als der des Standardreifens. Die Ursache dafür liegt im Übertragungs- verhalten der Radaufhängung. Dies zeigt auch, dass bei entsprechender Abstimmung des Fahrwerkes die höheren Anregungen durch einen Runflat-Reifen keine Auswirkungen auf die Karosserie haben müssen.

5.3.2.2 Reifenprüfstand

In Abb. 5-21 ist eine Minerauswertung der Amplitude für verschiedene Reifen auf dem Rei- fenprüfstand dargestellt. Fahrwerksbelastung 95

Im Gegensatz zu dem Verlauf des

Minerkennwertes der Amplitude an Schlagleistenbezogener Minerbeiwert Amplitude der Radaufhängung, bei dem mit 1000 steigender Geschwindigkeit eine Ver- 500 ringerung des Kennwertes auftritt, ist 100 am Reifenprüfstand der Verlauf über 50 der Geschwindigkeit sehr gleichmä- Minerbeiwert [-] 10 5 Standardreifen [Mittelwert = 160] ßig bzw. leicht ansteigend. Weiterhin Soft-RFT [Mittelwert = 209]

Hard-RFT [Mittelwert = 667] ist die Abstufung zwischen den ein- 1 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 zelnen Reifen wesentlich größer als Geschwindigkeit [km/h] bei der Radaufhängung. Abb. 5-21: Minerkennwert für verschiedene Reifen ge- messen am Reifenprüfstand Die Ursache für den mit steigender Geschwindigkeit kleiner werdenden Minerkennwert der Radaufhängung liegt in den Dämp- fungseigenschaften der Aufhängung. Diese sind geschwindigkeitsabhängig. Bei niedrigen Geschwindigkeiten ist die Dämpfung kleiner als bei den höheren Geschwindigkeiten. Eine höhere Dämpfung bedeutet eine größere Energieumwandlung in Wärme. Damit kommt es an der Radaufhängung genau wie am Reifenprüfstand zu einem höheren Energieeintrag bei stei- gender Geschwindigkeit. Diese Energie wird aber durch den Schwingungsdämpfer und die verschiedenen Dämpfungselemente in Wärme ungewandelt. Und je höher die Geschwindig- keit umso höher die Energieumwandlung in Wärme und umso niedriger die an der Radauf- hängung messbare Bauteilbelastung. Erst wenn wie bei dem harten Runflat-Reifen der Ener- gieeintrag im oberen Geschwindigkeitsbereich höher als die Dämpfung ist, kommt es auch im oberen Geschwindigkeitsbereich zu einem starken Anstieg der Belastung an der Radaufhän- gung.

Die Ursache für den wesentlich höheren Minerkennwert am Reifenprüfstand und die größere Abstufung zwischen den Reifen ist die deutlich stärkere Belastung des Reifens durch die schon beschriebene vertikale Blockierung, die ein Ausweichen des Reifens in vertikaler Rich- tung unmöglich macht.

Aber nicht nur in vertikaler Richtung ist der Reifenprüfstand wesentlich steifer, sondern auch in Längsrichtung. Während in Abhängigkeit der elastokinematischen Eigenschaften das Rad an der Radaufhängung auch in Längsrichtung eine Bewegung ausführen kann, ist dies bei dem Reifenprüfstand nicht möglich. 96 Fahrwerksbelastung

Insgesamt führt das dazu, dass am Reifenprüfstand: · die Belastung ein Vielfaches von der an der Radaufhängung ist und · dass der mit steigender Geschwindigkeit höhere Energieeintrag durch die Schlagleisten- überfahrt direkt als eine höhere Belastung feststellbar ist.

Diese Differenz zwischen den beiden Belastungsgrößen kann als ein Bewertungsmaßstab für die Güte der Radaufhängung hinsichtlich ihrer Dämpfungseigenschaften verwendet werden. Je höher die Differenz umso besser ist die Radaufhängung.

Eine Aufsplittung des Minerkennwertes in eine Komponente in Längsrichtung und eine in vertikaler Richtung ist in Abb. 5-22 dargestellt.

Schlagleistenbezogener Minerbeiwert in Längsrichtung Schlagleistenbezogener Minerbeiwert in Vertikalrichtung

Standardreifen [Mittelwert = 16] 1000 1000 500 Soft-RFT [Mittelwert = 18] 500 Hard-RFT [Mittelwert = 92] 100 50 100 50 10 5 Minerbeiwert [-] Minerbeiwert [-] 10 1 5 Standardreifen [Mittelwert = 95] 0.5 Soft-RFT [Mittelwert = 125]

Hard-RFT [Mittelwert = 444] 0.1 1 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Geschwindigkeit [km/h] Geschwindigkeit [km/h]

Abb. 5-22: Auswertung zum Minerkennwertverlauf in Längs- und Vertikalrichtung am Reifenprüfstand

Es zeigen sich sowohl in der Längs- als auch in der vertikalen Richtung deutliche Unterschie- de zwischen den verschiedenen Reifen. Dabei ist in der Längsrichtung, entsprechend der Tan- gentialkraft am Reifen, zu Beginn eine Verringerung des Schädigungsbeiwertes mit steigen- der Geschwindigkeit festzustellen. Erst bei höheren Geschwindigkeiten, die wiederum vom Reifen abhängig ist, steigt der Minerkennwert an. Bei der Vertikalkraft dagegen vergrößert sich der Schädigungsbeiwert mit steigender Geschwindigkeit im gesamten untersuchten Ge- schwindigkeitsbereich..

5.3.3 Fazit

Die Einschätzung des Einflusses unterschiedlicher Reifen auf die Lebensdauer eines konkre- ten Fahrwerkes ermöglicht eine direktere Bewertung verschiedener Reifen entsprechend ihres Nutzungsverhaltens. Fahrwerksbelastung 97

In Tabelle 5-1 ist für verschiedene Reifen ein auf einen Standardreifen normierter Vergleich der Minerkennwerte vom Reifenprüfstand und vom Radaufhängungsprüfstand zu sehen. Man sieht, dass vor allem der harte Runflat-Reifen der ersten Generation (Hard-RFT) am Reifen- prüfstand eine etwa fünffach höhere Schädigung aufweist. Dagegen hat der Runflat-Reifen der zweiten Generation (Soft-RFT) nur noch eine etwa 30% höhere Schädigung am Reifen- prüfstand.

Tabelle 5-1: Vergleich der Minerkennwerte verschiedener Runflat-Reifen mit einem Standardreifen

Minerkennwert [%]

Reifenprüfstand Radaufhängungsprüfstand

Amplitude Längs Vertikal Karosserie Topmount 100 100 100 100 100 Standardreifen 131 113 132 88 113 Soft-RFT 417 575 467 129 167 Hard-RFT

Zwischen den Messungen am Radaufhängungsprüfstand und den Messungen am Reifenprüf- stand kann eine prinzipielle Übereinstimmung festgestellt werden. Allerdings sind die erhal- tenen Unterschiede zwischen den verschiedenen Reifen am Reifenprüfstand deutlich größer. Die Ursache dafür liegt in der wesentlich höheren Belastung des Reifens beim Überrollen der Schlagleiste in Folge der vom Prüfstand abhängigen hydraulischen Radlastaufbringung.

5.4 Vergleich mit Fahrversuch

Bei BMW ist im Rahmen einer Diplomarbeit eine Untersuchung zur Korrelation von Mes- sungen auf dem Radaufhängungs- und dem Reifenprüfstand zu Ergebnissen aus Fahrversu- chen durchgeführt worden [45]. An Hand von Schädigungsrechnungen wurden für verschie- dene Reifen die Ergebnisse, die aus Vergleichsfahrten auf dem BMW-Handlingkurs in Asch- heim erzielt worden, mit Ergebnissen vom Reifenprüfstand und dem Radaufhängungsprüf- stand verglichen. 98 Fahrwerksbelastung

Es hat sich gezeigt, dass vor allem die

Ergebnisse vom Reifenprüfstand mit 7 den Fahrversuchen vergleichbar sind. 6 5 In Abb. 5-23 sind dazu von drei ver- 4 schiedenen Runflat-Reifen die aus 3

Fahrversuchen ermittelten Schädi- (Spurstange) 2 gungsbeiwerte den am Reifenprüf- 1 Schädigung Fahrversuch stand ermittelten Schädigungsbeiwer- 0 ten gegenübergestellt. Der Schädi- 0 1 2 3 4 5 6 7 Schädigung Prüfstand (Längskräfte) gungsbeiwert „1“ entspricht dabei Runflat 12 (3) Runflat 13 (5) Runflat 14 (9) dem Schädigungsverhalten der ge- messenen Maximalbereifung in der Abb. 5-23: Korrelation zwischen Schädigung Fahrver- such und Reifenprüfstand [45] herkömmlichen Standardbauweise.

Die Ergebnisse vom Radaufhängungsprüfstand sind in ihrer Tendenz gegenüber den Fahrver- suchen teilweise zu niedrig. Eine Ursache dafür ist die wesentlich geringere Belastung der Radaufhängung beim Überfahren der Schlagleiste gegenüber dem gemessenen realen Fahr- versuch. So sind die einfach zu vergleichenden Spitzenamplituden auf dem Radaufhängungs- prüfstand deutlicher geringer als bei dem Fahrversuch. Auf dem Reifenprüfstand dagegen bewirkt die vertikale Blockierung eine deutlich höhere Belastung beim Überfahren der Schlagleiste. Allerdings werden auch am Reifenprüfstand nicht die Maximalamplituden er- reicht, wie sie bei dem verglichenen Fahrversuch auftreten. So ist z.B. die Maximalamplitude der Spurstangenkraft 12 kN. Im Gegensatz dazu werden am Reifenprüfstand Maximalamplituden von 2 kN und am Radaufhängungsprüfstand Maximal- amplitude von 1 kN erreicht.

5.5 Zusammenfassung Fahrwerksbelastung

In diesem Kapitel wurde ein Auswerteverfahren für die vergleichende Bewertung von Reifen hinsichtlich der Lebensdauer von Fahrwerken vorgestellt. Es wurde dargestellt, wie man durch Schlagleistenuntersuchungen mit anschließender Auswertung der Lastkollektive zu einer relativen Aussage bezüglich der Schädigung eines konkreten Fahrwerks gelangen kann.

Dabei zeigte es sich, dass vor allem der Runflat-Reifen der ersten Generation ein deutlich höheres Schädigungspotenzial gegenüber dem Standardreifen in der herkömmlichen Bauart Fahrwerksbelastung 99 aufweist. Doch schon der Runflat-Reifen der zweiten Generation war in Bezug auf die Bean- spruchung des Fahrwerks wesentlich besser. Diese Ergebnisse konnten bei den Auswertungen an der Radaufhängung genauso wie am Reifenprüfstand erzielt werden. Allerdings ist die Ab- stufung der Reifen untereinander bei beiden Prüfständen jeweils eine andere, siehe dazu auch Abb. 5-24.

Reifenprüfstand 417 Radaufhängungsprüfstand 170

160

150 ] 140 % [ h c

i 130 e l g r

e 120 V 110

100

90 Standardreifem Soft-RFT Hard-RFT Standardreifem Soft-RFT Hard-RFT

Abb. 5-24: Vergleich der Minerkennwerte an den unterschiedlichen Prüfständen

Ein bei BMW durchgeführter Vergleich verschiedener Untersuchungen und Auswertungen hat gezeigt, dass vor allem die Untersuchungen auf dem Reifenprüfstand in Verbindung mit der Schädigungsauswertung recht genau mit den Ergebnissen aus dem Fahrversuch überein- stimmten. Deshalb wurden von BMW diese Schlagleistenuntersuchungen auf dem Reifen- prüfstand in Verbindung mit der Schädigungsauswertung zu einem erforderlichen Standard- verfahren zum Erhalt einer Serienfreigabe von Runflat-Reifen erhoben.

Der Vorteil der Untersuchungen am Radaufhängungsprüfstand liegt in der Möglichkeit einer konkreten Abstimmung verschiedener Reifen auf ein Fahrwerk oder auch in der versuchsmä- ßigen Weiterentwicklung einzelner Fahrwerkskomponenten in Bezug auf die Schädigung. So kann die Beanspruchung für jeden einzelnen Lenker ermittelt und ausgewertet werden. 100 Komfortbewertung

6 Komfortbewertung

Die Gewährleistung des Schwingungskomforts im Kraftfahrzeug ist neben den Gesichtspunk- ten der Fahrsicherheit und der Fahrdynamik ein wesentliches Ziel bei der Entwicklung eines Fahrzeuges. Er verbessert das Wohlbefinden und erhöht durch die geringere körperliche Be- einträchtigung der Insassen auch die Verkehrssicherheit.

Die kontinuierlich steigenden Anforderungen an den Fahrkomfort moderner PKW können vor allem in Verbindung mit den seitenwandverstärkten Runflat-Reifen ein Problem darstellen.

In diesem Kapitel wird eine einfache Bewertungsmethode für eine vergleichende Einschät- zung des allgemeinen Abrollkomforts von Reifen vor allem im unteren Frequenzbereich bis maximal 25 Hz vorgestellt. Grundlage dafür sind die schon vorgestellten Schlagleistenunter- suchungen. Es wird dargestellt, wie mit Hilfe von Messungen beim Überrollen von Schlag- leisten objektive Größen für eine vergleichende Beschreibung des Abrollkomforts gewonnen werden können.

Der entstehende Geräuschpegel, dessen Ursache das reine Abrollgeräusch ist, wird in dieser Untersuchung nicht betrachtet. Messungen haben gezeigt, dass die Schallabstrahlung bei den Runflat-Reifen durch die Masseanhäufung in der Seitenwand niedriger ist als bei den Stan- dardreifen.

Nicht berücksichtigt werden bei dieser Untersuchung anthropologische Größen, wie zum Bei- spiel die frequenzabhängige Empfindlichkeit des Menschen. Das heißt, es wird keine Abso- luteinschätzung vorgenommen, sondern wiederum nur ein Vergleich zwischen unterschiedli- chen Reifen durchgeführt. Komfortbewertung 101

6.1 Theoretische Aspekte zum Reifenkomfort

6.1.1 Allgemein

Durch Fahrbahnunebenheiten wird ein Fahrzeug zu Schwingungen angeregt. Diese Uneben- heiten lassen sich prinzipiell in − regellose (stochastische) − periodische und − transiente (kurzzeitige, durch Einzelhindernisse) aufteilen [51]. In den meisten Fällen hat man als Fahrbahnanregung eine Überlagerung aus allen drei Formen. Durch diese Überlagerung erhält man im Fahrzeug regellose Schwingun- gen, die ein breitbandiges Frequenzspektrum besitzen [52]. Die Beanspruchungen, die sich daraus für den Menschen ergeben, werden üblicherweise durch Messen der Beschleunigungen an den Kontaktstellen zum Fahrzeug z.B. dem Fahrersitz ermittelt. Die daraus abgeleitete sub- jektive Bewertung des Schwingungskomforts ergibt sich aus einer gesonderten Betrachtung der Amplituden, der Frequenzen und der Häufigkeiten in ihren Wirkungen auf den Menschen [53].

Der rollende Reifen mit seinen Federungs- und Dämpfungseigenschaften ist dabei das erste Glied am Fahrzeug, das für die Umwandlung der Fahrbahnanregung in eine Kraft und letzt- lich eine auf den Menschen wirkende Beschleunigung verantwortlich ist. Das Problem ist, dass sich die Eigenschaften des Reifens in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, Tempera- tur, Fülldruck, Belastung und Fahrbahnoberfläche ändern. So hat zum Beispiel ein Reifen seine Maximalsteifigkeit in vertikaler Richtung nur auf der ebenen Fahrbahn. Sobald sich ein Hindernis auf der Fahrbahn befindet, verringert sich diese Steifigkeit und vergrößert sich bei steigender Geschwindigkeit wieder. Deswegen ist eine einfache statische Steifigkeitsuntersu- chung für eine Komfortbeurteilung nicht ausreichend.

Durch die genannten Schlagleistenuntersuchungen hat man nun eine periodische Erregung durch Einzelhindernisse in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Mit dem Messen der ent- stehenden Kräfte und zum Teil auch Wege beim Überrollen dieser Schlagleisten erhält man entscheidende Größen für eine Bewertung des Komforts. Der empfundene Reifenkomfort ist dabei umso größer je geringer die entstehenden Kräfte und Wege auf Grund des Überrollens der Schlagleiste sind. 102 Komfortbewertung

Im Folgenden werden zwei Möglichkeiten für eine vergleichende Beurteilung des Einflusses verschiedener Reifen auf den Fahrkomfort vorgestellt. Zum einen sind das die üblicherweise bei Komfortbetrachtungen verwendeten Beschleunigungen und zum anderen wird auf das Schluckvermögen eines Reifens eingegangen.

6.1.2 Beschleunigungen

Bei der Betrachtung der auftretenden Beschleunigungen in Folge des Überrollens der Schlag- leiste muss zwischen dem Reifen- und dem Radaufhängungsprüfstand unterschieden werden.

An der Radaufhängung können die auftretenden Beschleunigungen direkt an jedem einzelnen Lenker sowie der Karosserie oder indirekt durch Messen der Wege und anschließender zwei- maliger Differenzierung ermittelt werden.

Am Reifenprüfstand dagegen ist eine Betrachtung der Radbeschleunigung nicht möglich. Die Radlast wird quasistatisch über einen Hydraulikzylinder aufgebracht. Auf Grund der Trägheit der Hydraulik sind Vertikalbewegungen und damit Beschleunigungen des Rades in Folge des Überrollens der Schlagleiste nicht möglich. Somit sind in dieser Richtung keine Bewegungen und damit keine Beschleunigung auswertbar. Da die Kraft jedoch bei konstant angenommener Masse direkt proportional der Beschleunigung ist, besteht am Reifenprüfstand die Möglich- keit, die gemessenen Kraftspitzen in Folge des Überrollens der Schlagleiste als Maßstab für den Reifenkomfort zu verwenden.

Für die Komfortauswertung werden somit am Radaufhängungsprüfstand die Beschleunigung des Rades und die der Karosserie in vertikaler Richtung verwendet. Ermittelt wird die Be- schleunigung durch die zweimalige Differenzierung des gemessenen Vertikalweges von Rad und Karosseriemasse.

Am Reifenprüfstand werden für die Auswertung die der Geschwindigkeit entsprechenden Kraftspitzen verwendet. Da für die Komforteinschätzung nicht nur die vertikale sondern auch die longitudinale Komponente von Bedeutung ist, wird für die Beurteilung die berechnete Kraftamplitude benutzt.

6.1.3 Schluckvermögen

Eine weitere Möglichkeit für die Beurteilung des Reifenkomforts ist das Schluckvermögen des Reifens. Darunter versteht man seine Fähigkeit Hindernisse teilweise zu umschließen, Komfortbewertung 103 bzw. zu schlucken. Kann ein Reifen ein Hindernis ohne große Vertikalbewegung überrollen, hat er das Hindernis vollständig geschluckt und er hat ein hohes Schluckvermögen. Wenn ein anderer Reifen das gleiche Hindernis bei der gleichen Radlast nur mit einer deutlichen Verti- kalbewegung überrollen kann, hat er ein niedrigeres Schluckvermögen.

Für eine objektive Beurteilung des Schluckvermögens auf Trommelprüfständen kann das Messen der Reaktionen des Rades beim Überrollen von Schlagleisten genutzt werden.

Auf dem Reifenprüfstand ist allerdings eine Beurteilung des Schluckvermögens nicht mög- lich, da auf Grund der hydraulischen Radlastaufbringung die Schlagleiste zwangsweise voll- ständig geschluckt wird.

Im Gegensatz zum Reifenprüfstand wird beim Radaufhängungsprüfstand die Radlast mittels Gewichte aufgebracht. Das bedeutet, das Rad kann entsprechend seines Schluckvermögens und der aufgelegten Masse eine Ausweichbewegung in vertikaler Richtung beim Überrollen der Schlagleiste durchführen. Damit ist auf dem Radaufhängungsprüfstand das Messen der Vertikalbewegung des Rades möglich. Entsprechend Formel (6-1) erfolgt im Anschluss die Berechnung des Schluckvermögens in Relation zur Schlagleistenhöhe.

HsSL − zRad SRA _s =⋅100% (6-1) HSL

6.2 Methodik

Der Ablauf der Messungen ist identisch mit den Schlagleistenuntersuchungen zur Bewertung der Fahrwerksbelastung im vorangegangenen Kapitel. Auch bei diesen Messungen wird der gesamte Geschwindigkeitsbereich von 10 bis 120 km/h mit einer Abstufung von 10 km/h durchfahren.

6.3 Ergebnisse

6.3.1 Beschleunigungen

6.3.1.1 Radaufhängung

Für die Ermittlung der auftretenden Beschleunigung des Rades und der Karosserie in vertika- ler Richtung in Folge des Überfahrens der Schlagleiste wird die jeweilige Vertikalbewegung 104 Komfortbewertung gemessen. Durch zweimaliges Differenzieren erhält man daraus die Beschleunigungen, wie sie in Abb. 6-1 zu sehen sind. Aus den einzelnen Geschwindigkeitsstufen wird noch ein Mit- telwert berechnet.

Bei den untersuchten Reifen ist bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h ein absolutes Maxi- mum in der Radbeschleunigung festzustellen. Sehr deutlich treten auch die Unterschiede zwi- schen den verschieden Reifentypen hervor. So sind die auftretenden Radbeschleunigungen bei dem harten Runflat-Reifen im Schnitt 40% größer als bei dem Standardreifen.

Betrachtet man dazu die Karosseriebeschleunigungen ist dieser Unterschied nicht mehr so gravierend. Man kann also gewisse Reifenmängel durch eine gute Achskonstruktion eliminie- ren. Dies ist vor allem für konkrete Abstimmarbeiten von Interesse. Trotzdem ist die auftre- tende mittlere Beschleunigung entsprechend [53] im für den Menschen stark spürbaren Be- reich.

Ein Vergleich der Geschwindigkeiten des Auftretens der maximalen Rad- und Karosseriebe- schleunigung zeigt, dass in Folge des Eigenschwingverhaltens der Radaufhängung die jewei- ligen Maxima bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten aber unabhängig vom Reifen auftre- ten. So erfährt das Rad bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h die höchsten komfortmindern- den Beschleunigungen während diese an der Karosseriemasse bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h auftreten. Komfortbewertung 105

Auswertung Radbeschleunigung 22.5 Beschleunigung

20 Legende Reifen Mittelwert

17.5 Standard 10.2

15 Soft-RFT 10.6

12.5 Hard-RFT 14.2 Radlbeschleunigung [m/s²] 10 Statische Radlast 4000 N 7.5 20 40 60 80 100 120 v [km/h]

Auswertung Karosseriebeschleunigung 2.75 Beschleunigung 2.5 Legende Reifen Mittelwert

2.25 Standard 1.4 2 Soft-RFT 1.3 1.75

Beschleunigung [m/s²] 1.5 Hard-RFT 1.6

1.25 Statische Radlast 4000 N 1 20 40 60 80 100 120 v [km/h]

Abb. 6-1: Auswertung der vertikalen Beschleunigungen in Folge der Schlagleistenüberfahrt 106 Komfortbewertung

6.3.1.2 Reifenprüfstand

Da nicht nur die Komponente in vertikaler Richtung sondern auch die in Längsrichtung den Komfort beeinflusst, wird für die Auswertung die aus den drei Einzelkräften berechnete Re- sultierende verwendet. In Abb. 6-2 sind links die unterschiedlichen Schwankungsbreiten, das heißt die jeweilige Differenz aus den Minimal- und den Maximalwerten der Schwingung die- ser resultierenden Amplitude, in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit dargestellt. Der in Abb. 6-2 rechts zu sehende Mittelwert, der aus den Schwankungsbreiten der einzelnen Ge- schwindigkeitsstufen berechnet wurde, ist zur besseren Vergleichbarkeit prozentual auf die statische Radlast bezogen.

Auswertung Schwankungsbreite Amplitude

4500 Schwankungsbreite

4000 Legende Reifen Mittelwert

3500 Standard 64

3000 Soft-RFT 67

2500 Hard-RFT 85 Schwankungsbreite [N]

2000 Statische Radlast 4000 N 1500 20 40 60 80 100 120 v [km/h]

Abb. 6-2: Auswertung der Schwankungen der Kraftamplitude nach einer Schlagleistenüberfahrt auf dem Reifenprüfstand

Im Gegensatz zu der Beschleunigungsmessung am Radaufhängungsprüfstand ist am Reifen- prüfstand ein Spitzenwert bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h nicht feststellbar. Die Ursa- che dafür liegt in der wesentlich höheren Eigenfrequenz des Reifenprüfstandes gegenüber der Radaufhängung. Weiterhin zeigt sich, dass sich mit zunehmender Geschwindigkeit die Schwankungsbreiten erhöhen. Betrachtet man die Mittelwerte der Schwankungsbreiten sind die Unterschiede zwischen den Reifen ähnlich wie die Unterschiede der Radbeschleunigun- gen an der Radaufhängung. So hat der harte Runflat-Reifen auch bei dieser Auswertung die deutlich größeren Schwankungen der Kraftamplituden. Komfortbewertung 107

6.3.2 Schluckvermögen

Eine Auswertung zum Schluckvermögen in Bezug auf die Schlagleistenhöhe durch Bewer- tung der Vertikalbewegung des Rades beim Überrollen einer Schlagleisten ist in Abb. 6-3 zu sehen.

Wegauswertung Schluckvermögen

9 90 Schluckvermögen 8 80 ] Legende Reifen Mittelwert

m

]

m 7 70

[

%

d [

a

n Standard 66

R

6 60 e

g Schluckvermögen g

n

ö

u

m g

5 50 r e Soft-RFT 66

e

w

v

e

k

b Vertikalbewegung

c l 4 40

a

u

l

k

i Hard-RFT 59

h

t

c r 3 30

e

S V Höhe der Schlagleiste 2 20 10 mm 1 10 0 20 40 60 80 100 120 v [km/h]

Abb. 6-3: Schluckvermögen durch Analyse der Vertikalbewegung des Rades auf dem Radaufhän- gungsprüfstand

Es zeigt sich, dass vor allem bei dem harten Runflat-Reifen über den gesamten Geschwindig- keitsbereich eine deutlich größere Vertikalbewegung beim Überrollen der Schlagleiste auf- tritt. Der Unterschied zwischen dem weichen Runflat-Reifen der zweiten Generation und dem Standardreifen ist dagegen nur noch relativ gering. Erwartungsgemäß erhöht sich in Folge der Trägheit der Radaufhängung sowie der geschwindigkeitsabhängigen Dämpfung das Schluck- vermögen mit steigender Geschwindigkeit. So wird bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h die Schlagleiste fast vollständig geschluckt. Entsprechend niedrig sind dann auch die schon betrachteten Karosseriebeschleunigungen (Abb. 6-1).

6.4 Zusammenfassung Komfortbewertung

In Übereinstimmung mit der allgemeinen Theorie zur Beurteilung des Komforts ist an der Radaufhängung die direkte Auswertung der Vertikalbeschleunigung des Rades eine prakti- 108 Komfortbewertung kable Möglichkeit zur vergleichenden Beurteilung des Reifenkomforts unterschiedlicher Rei- fen. Simuliert wird dabei das periodische Überrollen von Einzelhindernissen bei verschiede- nen Geschwindigkeiten. Entsprechend Abb. 6-1 ist gleichzeitig eine Beurteilung zur Güte der Radaufhängung möglich. Dies geschieht durch Vergleich der auftretenden Beschleunigungen am Rad und an der Karosserie.

Wie in Tabelle 6-1 zu sehen ist, korrelieren die Mittelwerte der berechneten Radbeschleuni- gungen sehr gut mit den Mittelwerten der auftretenden Spitzenamplituden jener Kräfte, die in Folge des Überfahrens der Schlagleiste am Reifenprüfstand entstehen. Damit ist die Auswer- tung dieser mittleren Kraftschwankungen am Reifenprüfstand eine weitere Möglichkeit zur vergleichenden Beurteilung des Reifenkomforts unterschiedlicher Reifen.

Tabelle 6-1: Vergleich der Radbeschleunigungen an der Radaufhängung mit den Schwankungsbreiten am Reifenprüfstand

Reifen Radaufhängungsprüfstand Reifenprüfstand Radbeschleunigung Schwankungsbreite Kraftamplitude

Standard 100% 100%

Soft-RFT 104% 105%

Hard-RFT 139% 133%

Die vorgestellten Schlagleistenuntersuchungen stellen somit auch eine brauchbare Möglich- keit zur prinzipiellen Einschätzung des zu erwartenden Fahrkomforts dar. Bei alleiniger Ver- wendung des Reifenprüfstandes muss berücksichtigt werden, dass bei dem realen Fahrkom- fort die Abstimmung zwischen Reifen und Fahrwerk eine dominierende Rolle spielt. Ein Er- gebnis dieser Abstimmung kann man nur auf dem Radaufhängungsprüfstand erhalten. Notlaufverhalten 109

7 Notlaufverhalten

Unter dem Notlaufverhalten der Runflat-Reifen versteht man sein Verhalten bei Druckverlust bis hin zum vollkommen drucklosen Zustand. Herkömmliche Standardreifen haben – im di- rekten Vergleich mit Runflat-Reifen - keine Notlaufeigenschaften. Eine zwar durchaus mögli- che Weiterfahrt mit Standardreifen ist generell nur bei stark eingeschränkter Fahrweise mög- lich. Deshalb erfolgt auch kein Vergleich des Notlaufverhaltens zwischen Runflat- und Stan- dardreifen. Außerdem wäre bei Untersuchungen von Standardreifen im drucklosen Zustand die Gefahr einer Beschädigung des Prüfstandes relativ groß.

In diesem Kapitel werden die Veränderungen bestimmter Rolleigenschaften eines Runflat- Reifens bei Druckverlust bis hin zum drucklosen Zustand auf dem Prüfstand untersucht. Die wesentlichen Ziele dieser Untersuchung sind:

1. die Analyse und Darstellung des Reifenverhaltens bei Druckverlust und völligem Luftverlust und

2. die Aufdeckung von Möglichkeiten zur Beurteilung des Reifenzustandes bzw. des Grades der Zerstörung im Rollen.

Die Kenntnis über dieses Notlaufverhalten der Runflat-Reifen hat eine große Bedeutung für die Entwicklung und auch Parametrierung der software-gestützten Reifendruck- Kontrollsysteme. Wie schon dargestellt, ist ein Einsatz von Notlaufreifen ohne Reifendruck- Kontrollsystem nicht zulässig. 110 Notlaufverhalten

7.1 Methodik

Die Untersuchung des Notlaufverhaltens erfolgt auf dem Reifenprüfstand, bei einer mittleren Radlast von 400 daN und einer Trommelgeschwindigkeit von 80 km/h.

Die Messung beginnt jeweils nach dem Erreichen der Sollgeschwindigkeit und Sollradlast. Beendet ist die Messung, wenn der Reifen zerstört ist oder die Notabschaltung des Prüfstan- des mit Unterschreitung eines Mindestabstandes zwischen Trommel und Felge aktiviert wur- de.

Gemessen werden die Kräfte in Radmitte in radialer, lateraler und tangentialer Richtung mit der Standard-Messnabe des Reifenprüfstandes, der Reifenradius und die Raddrehzahl. Die Abtastrate beträgt 200 Hz.

7.2 Theoretische Auswertungen

7.2.1 Radius Rad

Die Messung des statischen Radhalbmessers ist eine einfache Möglichkeit zur Beurteilung des Reifens. Bei konstanter Radlast ist der statische Halbmesser des Rades neben der Ge- schwindigkeit nur noch vom Fülldruck des Reifens und der Steifigkeit der Stützelemente in der Seitenwand abhängig. Eine Verringerung des Fülldruckes führt also gleichzeitig zu einer Verringerung des Radius. Diese Verringerung ist abhängig von der Steifigkeit der mittragen- den Seitenwand. Bei einem Fülldruck von „0 bar“ ist bei konstant gehaltenen äußeren Para- metern die einzige variable Größe die Steifigkeit der Seitenwand, die damit als Maß für den Zerstörungsgrad des Reifens verwendet werden kann.

7.2.2 Schlupf Rad

Beim Abrollen des Rades auf der Fahrbahn kommt es zwischen Fahrbahn und Rad zu einer Relativbewegung, dem Schlupf.

vv− S =FR⋅100% (7-1) vF

Dieser Schlupf ist bei einem frei rollenden Rad abhängig vom Rollwiderstand und erhöht sich mit Verringerung des Fülldruckes. Bei einem Fülldruck von „0 bar“ ist der Rollwiderstand Notlaufverhalten 111 und damit der Schlupf abhängig von der Steifigkeit der Seitenwand. Eine Zerstörung der Stützelemente in der Seitenwand wirkt sich demnach auf den Rollwiderstand und damit den Schlupf aus.

7.2.3 Statistische Auswertungen Raddrehzahl / Radkräfte

Bei Zerstörung des Reifens durch Fahren mit geringem oder keinem Fülldruck verschlechtern sich die Uniformityeigenschaften des Reifens.

Diese Verschlechterung der Uniformity hat Auswirkungen auf die Drehzahl des Rades und die Radkräfte und kann mit verschiedenen Methoden statistisch ausgewertet werden.

7.2.3.1 Schwankungsbreiten

Die einfachste Auswertung ist die Schwankungsbreite. Diese ist die Differenz aus dem Mit- telwert der oberen einhüllenden Kurve und der unteren einhüllenden Kurve. Die Einhüllenden ergeben sich aus den Minimal- und Maximalwerten in einem gewählten Intervall.

SBr =YMax −YMin (7-2)

7.2.3.2 Varianz

Die Varianz ist das arithmetische Mittel der Abstandsquadrate als Maß für die Streuung der einzelnen Messwerte vom Mittelwert.

n 1 2 V=⋅∑(yi −Y) (7-3) n1− i1=

7.2.4 FFT-Auswertungen Raddrehzahl / Radkräfte

Die FFT-Auswertungen bewerten die Frequenzabhängigkeiten der jeweiligen Amplituden. In Abhängigkeit von der Raddrehzahl werden die Amplituden der ersten und der zweiten Ord- nung betrachtet.

Eine beginnende Zerstörung des Reifens zeigt sich deutlich durch eine Amplitudenerhöhung in Abhängigkeit von der Radfrequenz. 112 Notlaufverhalten

7.3 Ergebnisse

In Abb. 7-1 ist bei einem Runflat-Reifen mit entferntem Ventil (Fülldruck = 0 bar)der Verlauf des statischen Radhalbmessers und des Schlupfes bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h und einer Radlast von 400 daN auf der Stahltrommel zu sehen.

Allgemeine Auswertungen 273 16 270 15 268 14 265 13

263 12 Schlupf [%] 260 11

Radius Rad [mm] 258 10 0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60 Laufstrecke [km] Laufstrecke [km]

Abb. 7-1: Beispiel für die Auswertung von Radius und Schlupf

Im Wesentlichen sind zwei Abschnitte zu unterscheiden. Im ersten Abschnitt (0-50 km) sind die Verringerung des Radradius und die Erhöhung des Schlupfes sehr gering. Doch nach einer Laufstrecke von 50 km beginnt die Zerstörung des Reifens und der Radius verringert sich sehr stark. Parallel dazu vergrößert sich der Schlupf entsprechend.

Der Temperaturverlauf im Schulter- Temperatur bereich an der Reifenoberfläche ist in 70

Abb. 7-2 zu sehen. Prinzipiell kann 65 man diesen Verlauf in drei Abschnitte 60 unterteilen. In dem ersten Abschnitt 55

(0-20 km) kommt es zu einem starken Tepmperatur Rad [°C] 50 45 Temperaturanstieg. Dann stellt sich 40 im zweiten Abschnitt ein gewisses 35 Temperaturgleichgewicht ein (20- 0 10 20 30 40 50 60 Laufstrecke [km] 50 km). Nachdem es zu einer ersten Abb. 7-2: Darstellung der Reifentemperatur Zerstörung des Reifens gekommen ist, steigt die Temperatur im dritten Abschnitt (50-65 km) weiter sehr schnell an. Notlaufverhalten 113

Die Auswertungen der Messung der Raddrehzahl und der Radkräfte zeigt Abb. 7-3. Bei die- sen Auswertungen ist bis zu einer Laufstrecke von 50 km keine Änderung zu erkennen. So- bald jedoch die Zerstörung des Reifens beginnt, ist bei allen vier Auswertungen ein deutlicher Anstieg festzustellen.

Die zwei Diagramme jeweils rechts zeigen einen Schnitt durch die Frequenzen der 1.Ordnung und der 2.Ordnung nach einer FFT-Auswertung.

Drehzahlauswertung Längskraftauswertung 0.40 0.12 2500 120 0.35 0.10 2000 100 0.30 0.08 0.25 1500 80 0.06 0.20 1000 60 0.15 0.04 1.Ordnung [N] 0.02 Spannweite [N] 500 40 1.Ordnung [U/s] Spannweite [U/s] 0.10 0.05 0.00 0 20 0.0150 0.12 350000 500 0.0125 0.10 300000 400 0.0100 0.08 250000 200000 300 0.0075 0.06 150000 200 0.0050 0.04 100000 2.Ordnung [N] 0.0025 0.02 Varianz [N^2] 100 2.Ordnung [U/s] 50000

Varianz [(U/s)^2)] 0.0000 0.00 0 0 0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60 0 10 20 30 40 50 60 Laufstrecke [km] Laufstrecke [km] Laufstrecke [km] Laufstrecke [km]

Abb. 7-3: Beispiel für eine Drehzahl- und Längskraftauswertung

Die vollständigen Frequenzen der FFT-Auswertung bis zur 5.Ordnung sind in Abb. 7-4 dar- gestellt.

Es wird auch hier deutlich, dass es erst mit Beginn der Zerstörung des Reifens zu signifikanten Veränderun- gen im Frequenzverhalten kommt.

Im Folgenden einige weitere Auswer- tungen bei unterschiedlichen Bedin- gungen.

Abb. 7-4: Darstellung einer FFT-Auswertung der Längskraft 114 Notlaufverhalten

7.3.1 Verhalten des Reifens bei langsamen Luftverlust

In Abb. 7-5 ist die Veränderung des ] 305

m

m statischen Radhalbmesser bei schlei- [ 300

D

A 295

R chendem Luftverlust auf der mit „Sa- _ S 290

U

I

D 285 fety Walk“ belegten Trommel und in A R 280 Abb. 7-6 die zugehörige Veränderung 275 des Radschlupfes zu sehen. 270 265 260 Man erkennt den proportionalen Zu- 0 20 40 60 80 100 120 140 Laufstrecke [km] sammenhang zwischen dem Füll- 3 bar 2 bar 1 bar 0 bar druck und dem statischen Radhalb- Abb. 7-5: Darstellung des statischen Radhalbmessers messer und dem Schlupf.

Nach dem vollständigen Luftverlust ] 15

%

[ vergrößert bzw. verringert sich der D

A

R 12.5

_ Anstieg bei beiden Kurven nur leicht. F

P

U

L 10

H

C Innerhalb sehr kurzer Zeit kommt es S 7.5 zur völligen Zerstörung des Reifens. 5 Diese ist auch äußerlich durch Ablö- 2.5 sung der Seitenwand zu erkennen, 0 20 40 60 80 100 120 140 Laufstrecke [km] siehe dazu Abb. 7-7. Deutlich sind 3 bar 2 bar 1 bar 0 bar die einzelnen Karkasslagen zu sehen. Abb. 7-6: Darstellung des Radschlupfes

Nach dem Bruch der Notlaufstreifen kam es auf Grund der hohen Belas- tung im Schulterbereich und des gro- ßen Schlupfes zu einem überpropor- tionalen Abrieb im Schulterbereich.

Dieser Extremfall ist allerdings ein Prüfstandsphänomen, das vor allem wegen der Trommelkrümmung auf- tritt. Diese Krümmung bedeutet für Abb. 7-7: Foto der Seitenwandablösung den Reifen vor allem im drucklosen Zustand eine viel größere Belastung als im realen Betrieb auf der Straße. Notlaufverhalten 115

7.3.2 Verhalten des Reifens ohne Ventileinsatz (Fülldruck 0 bar)

7.3.2.1 Trommeloberfläche „Safety Walk“ 1

Im Folgenden ist der Lauf des gleichen Reifens von Beginn an ohne Ventil, also mit einem Fülldruck von 0 bar dargestellt.

Die Veränderung des statischen Rad- Dynamischer Radhalbmesser 272.5 halbmessers zeigt Abb. 7-8. Man 270 sieht, dass der Reifen bis zur Zerstö- 267.5 rung etwa 50 km ohne Fülldruck rol- RADIUS_RAD [mm] 265 len kann. Aber auch bei diesem Ver- 262.5 such ist die Seitenwand ab etwa 260 50 km entsprechend dem vorherge- 257.5 0 10 20 30 40 50 60 henden Versuch und Abb. 7-7 Laufstrecke [km]

„durchgerieben“. Das ist deutlich sichtbar an der stärkeren Verringe- Abb. 7-8: Darstellung des statischen Radhalbmessers rung des statischen Radhalbmessers ab diesem Zeitpunkt. Die Weiterfahrt führte innerhalb kürzester Zeit zu völligen Reifenzerstörung. wobei es allerdings noch nicht zu einem Aufset- zen der Felge auf der Trommel kam. Das heißt, die Tragfähigkeit der noch intakten Seiten- wand war für das Übertragen der Radlast ausreichend.

Die zugehörige Veränderung des Radschlupf 14.5 Radschlupfes ist in Abb. 7-9 zu se- 14 hen. Mit beginnender Zerstörung des 13.5 Reifens nach etwa 50 km ist eine

SCHLUPF_RAD [%] 13 deutliche Vergrößerung des Schlupf- 12.5 gradienten zu erkennen. 12

11.5 0 10 20 30 40 50 60 Laufstrecke [km]

Abb. 7-9: Darstellung des Radschlupfes

1 3M™ Safety-Walk™ 116 Notlaufverhalten

7.3.2.2 Trommeloberfläche Stahl

Die entsprechend Abb. 7-7 sichtbare Zerstörung der Seitenwand auf der mit „Safety Walk“ belegten Trommel ist in dieser extremen Form bei den Fahrversuchen nicht beobachtet wor- den. Deswegen werden zum Vergleich auch Messungen auf der blanken Stahltrommel durch- geführt.

In Abb. 7-10 ist die Veränderung des Dynamischer Radhalbmesser 272.5 statischen Radhalbmesser bei einem 270 Lauf des Reifens ohne Ventil auf der 267.5 reinen Stahltrommel zu sehen. Bis zu RADIUS_RAD [mm] 265 Beginn der Zerstörung nach etwa 262.5 50 km sind die Veränderungen des 260 Radradius sehr gering. Nach Beginn 257.5 0 10 20 30 40 50 60 der Schädigung verringert sich der Laufstrecke [km]

Radius sehr schnell, bis nach weite- ren 10 km die Notabschaltung des Abb. 7-10: Darstellung des statischen Radhalbmessers Prüfstandes ein Aufsetzen der Felge auf der Trommel verhinderte.

In Abb. 7-11 ist die zugehörige Veränderung des Radschlupfes bei dem Betrieb des Reifens ohne Ventil auf der reinen Stahltrommel zu sehen.

Man sieht auch hier, dass bis 50 km Radschlupf 16 sich der Schlupfes nur von 11 auf 15 12% erhöht. Ab 50 km, wo es auch 14 zu der starken Verringerung des Rad-

SCHLUPF_RAD [%] 13 halbmessers kam, kommt es zu einer 12 deutlichen Erhöhung des Schlupfes. 11

10 Neben den Drehzahl- und Kraft- 0 10 20 30 40 50 60 Laufstrecke [km] messwerten ist auf den letzten 10 km auch ein deutlicher Geräuschanstieg Abb. 7-11: Darstellung des Radschlupfes aufgetreten.

Die visuelle Bewertung des Reifens im Anschluss an die Messung zeigte keine äußerlichen Beschädigungen. Auf der Stahltrommel ist also von einer Ablösung der Seitenwand in Folge des Durchreibens nichts festzustellen. Festgestellt wurde die völlige Zerstörung des Notlauf- Notlaufverhalten 117 streifens in der Seitenwand. Die Überreste dieser Streifen befanden sich lose im Inneren des Reifens. Damit hatte die Seitenwand nur noch die Steifigkeit eines herkömmlichen Standard- reifens und eine Weiterfahrt wäre im Notfall bei Herstellung des Fülldruckes theoretisch mög- lich.

7.4 Zusammenfassung Notlaufverhalten

Die Messung des entstehenden Schlupfes zwischen Rad und Trommel, des statischen Rad- halbmessers sowie der resultierenden Kräfte beschreibt die Veränderungen im Abrollverhal- ten bei Luftverlust sowie bei drucklosen Reifen. So ist in Abb. 7-12 die Abhängigkeit des statischen Radhalbmessers und des Radschlupfes vom Restfülldruck deutlich zu erkennen.

Statischer Radhalbmesser Radschlupf 300 12

295 10 290 8 285 6 280 4 275 Schlupf [%] 270 2 Radhalbmesser [mm] 265 0 2 1,75 1,5 1,25 1 0,75 0,5 0,25 0 2 1,75 1,5 1,25 1 0,75 0,5 0,25 0 Fülldruck [bar] Fülldruck [bar]

Abb. 7-12: Abhängigkeit Radhalbmesser und Schlupf vom Fülldruck

Weitere statistische Auswertungen der Raddrehzahl oder mögliche Auswertungen zu den Radkräften ergaben keine weiteren Erkenntnisse zum Verhalten des Reifens bei schleichen- dem Luftverlust oder im drucklosen Zustand. Somit ist für eine Bewertung des Notlaufverhal- tens des Reifens die Auswertung des statischen Radhalbmessers oder des Radschlupfes aus- reichend.

Auch für eine Bewertung des Zerstörungsgrades des Reifens ist die Kenntnis des statischen Radhalbmessers oder des Radschlupfes zureichend. Wobei hinsichtlich des Zerstörungsgrades im Prinzip nur von zwei Zuständen ausgegangen werden kann. Entweder ist der Reifen noch in Ordnung oder er ist defekt. Schon ein kleiner Defekt an den Notlaufstreifen führt innerhalb kürzester Zeit zur weiteren völligen Zerstörung des Reifens. Die völlige Zerstörung bedeutet, das Verhalten entspricht einem defekten Standardreifen. Dies zeigt sich signifikant in den einzelnen Auswertungen. Subjektiv ist dabei auch ein deutlicher Anstieg des Abrollgeräu- sches feststellbar. 118 Notlaufverhalten

Eine Umsetzung dieser Ergebnisse kann zum Beispiel durch Implementierung einer Schlupf- auswertung in ein bestehendes Fülldruck-Warnsystem erfolgen. Damit könnten dem Autofah- rer folgende weitere Hinweise bezüglich des aktuellen Reifenzustandes übermittelt werden. 1. Anzeige des aktuellen Fülldruckes mit Warnung bei verminderten Fülldruck 2. Warnhinweis bei vollständigem Luftverlust 3. Bestätigung des störungsfreien Laufs des Reifens im drucklosen Zustand 4. Warnhinweis bei beginnender Zerstörung des Reifens

Für die Fahrt im drucklosen Zustand auf normalen Straßen können die erreichten Laufleistun- gen auf dem Prüfstand nicht verwendet werden. Die Belastung der Reifen auf dem Prüfstand ist infolge der Trommelkrümmung und dem fehlenden Fahrtwind deutlich höher als auf der Straße. So sind mit den auf dem Prüfstand getesteten Reifen auf der Straße Laufleistungen zwischen 200 und 250 km erzielt worden, während sie auf dem Prüfstand nach 50 km defekt waren.

Die wirklich erreichbare Fahrstrecke im drucklosen Zustand hängt auch stark von der prakti- zierten Fahrweise ab. Hält man sich an die Richtlinie „nicht schneller als 80 km/h“ und „Ver- meidung hoher Querbeschleunigungen“ sind auch deutlich mehr als 200 km zu schaffen. Zusammenfassung 119

8 Zusammenfassung

Auf dem Weg zum reserveradlosen Fahrzeug konnte mit der Arbeit ein weiteres Stück voran- geschritten werden. Es konnten einige der für eine umfassende Serieneinführung wichtigen Fragen wie:

• Welche prinzipiellen Unterschiede existieren zwischen herkömmlichen Reifen und Notlaufreifen und wie groß sind diese?

• Ist die Beanspruchung des Fahrwerks mit diesen Reifen höher und ist deswegen mit einer erhöhten Schädigungswahrscheinlichkeit und damit mit einer verkürzten Le- bensdauer des Fahrwerks zu rechnen?

• Mit welchen Prüfverfahren kann die Beanspruchung des Fahrwerks beim Einsatz un- terschiedlicher Reifen untersucht und bewertet werden?

• Existieren Möglichkeiten für eine Vorabeinschätzung des zu erwartenden Fahrkom- forts beim Einsatz unterschiedlicher Reifen?

• Wie verhält sich der Reifen bei schleichendem Druckverlust und im drucklosen Zu- stand?

• Kann der Zerstörungsgrad des Reifens beim Fahren ohne Luft abgeschätzt und even- tuell einer Fahrerinformation zugeführt werden? beantwortet werden. 120 Zusammenfassung

Dazu wurden an einem Standardreifen in der herkömmlichen Bauart und einem seitenwand- verstärkten Runflat-Reifen des gleichen Typs und der gleichen Dimension vergleichende Un- tersuchungen bezüglich der Steifigkeit, des Konturverhaltens sowie des Schwingungsverhal- tens durchgeführt. Es ergaben sich zwar zum Teil beträchtliche Unterschiede zwischen den Reifen, aber diese sind in ihren Auswirkungen nicht so groß, dass eine Verbreitung der Runflat-Reifen gefährdet erscheint. So zeigte sich, dass die zusätzlichen Stützelemente in der Seitenwand der Runflat-Reifen - vor allem in denen der neueren Generation – zwar die stati- sche Steifigkeit des Reifens erhöhen, aber trotzdem das Schädigungsverhalten nicht wesent- lich verschlechtern. Die festgestellten Nachteile im Konturverhalten bei den Runflat-Reifen sind mit einer besseren konstruktiven Abstimmung zwischen Seitenwand, Schulter und Lauf- fläche auch relativ einfach abzustellen. Der Vergleich zwischen dem Reifen- und dem Rad- aufhängungsprüfstand beim Rollen des Reifens auf der glatten Stahltrommel und beim Über- rollen von Schlagleisten zeigte weiterhin, dass die durch den Runflat-Reifen indizierten höhe- ren Amplituden und steileren Anstiege durch eine angepasste Radaufhängung gemindert wer- den können.

Wie hoch der Einfluss der entstehenden höheren Amplituden von Runflat-Reifen beim Über- rollen von Schlagleisten in Bezug auf die Beanspruchung des Fahrwerkes sind, konnte in ei- nem neu entwickelten Untersuchungs- und Auswerteverfahren dargestellt werden. In diesem wird die durch den Reifen indizierte Belastung beim Überrollen einer Schlagleiste in Bezug zu den Festigkeitseigenschaften eines Fahrwerkes gesetzt und die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung beurteilt. Dieses Verfahren zur direkten Bewertung des Einflusses auf die Schädigung des Fahrwerkes ist bei BMW als Standardverfahren für die Erstbewertung von Notlaufreifen eingeführt wor- den. Es konnte gezeigt werden, dass zwar bei einem Runflat-Reifen der ersten Generation die Be- anspruchung des Fahrwerkes für einen Serieneinsatz auf einem heutigen Fahrzeug - mit für Standardreifen ausgelegter Radaufhängung – zu hoch ist. Aber schon ein auch nicht mehr ganz aktueller Runflat-Reifen der zweiten Generation liegt mit seiner Fahrwerksbeanspru- chung in einer Größenordnung, die eine Freigabe vom Fahrzeughersteller erlaubt.

In einem weiteren auf Basis der Schlagleistenmessungen neu entwickelten Auswerteverfahren kann der Einfluss des Reifens auf den zu erwartenden Fahrkomfort abgeschätzt werden. Es zeigte sich auch hier, dass vor allem der Runflat-Reifen der zweiten Generation dem her- kömmlichen Standardreifen schon sehr nahe gekommen ist. Zusammenfassung 121

Die Messungen und Auswertungen zum Notlaufverhalten in einem letzten Punkt der Arbeit zeigten, dass für eine Bewertung des Notlaufverhaltens die Kenntnis des statischen Reifen- halbmessers oder des Radschlupfes ausreichend ist. Mit Hilfe dieser zwei Werte - oder auch nur mit einem der beiden- kann mit den heute üblichen Sensoren und einer softwaregestütz- ten Auswertung ein Absinken des Fülldruckes des Reifens und damit eine eventuelle schlei- chende Zerstörung abgeschätzt werden. Auch der völlige Luftverlust kann zuverlässig abge- schätzt werden. Hinsichtlich des Zerstörungsgrades des Reifens muss gesagt werden, dass die vorhandenen Systeme nur zwei Zustände einschätzen können. Entweder die Stützelemente in der Seitenwand und damit der Reifen sind in Ordnung oder eines der Elemente ist defekt. Mit dem Defekt eines der Stützelemente verliert der Reifen bei Weiterfahrt innerhalb kürzester Zeit seine Notlauffähigkeiten und entspricht dann einem normalen Standardreifen. Diese Zer- störung ist prinzipiell auch akustisch und gefühlsmäßig durch ein Rattern wahrnehmbar. Da- mit ist der Autolenker vor einem schlagartigen Defekt weitestgehend geschützt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, es sind prinzipielle Wege zur Lösung aktueller Fragestel- lungen mit Runflat-Reifen dargelegt worden. Es wurden Methoden dargestellt, die schnell und einfach in der Praxis umsetzbar sind und ein hohes Maß an Informationsgehalt und Re- produzierbarkeit haben. Die neu entwickelten Verfahren, die in Anlehnung an die Festigkeits- lehre die Beanspruchung des Fahrwerkes durch unterschiedliche Reifen bewerten, haben sich in der Praxis bewährt. 122 Abschließende Betrachtung und Ausblick

9 Abschließende Betrachtung und Ausblick

Der Anteil der Fahrzeuge, die in den nächsten Jahren ab Werk mit Notlaufreifen ausgerüstet sein werden, wird beständig zunehmen - zu groß ist der Gewinn an Fahrsicherheit um darauf zu verzichten.

Derzeitig konkurrieren noch zwei Systeme für einen Einsatz in der Erstausrüstung. Zum einen sind das die Reifen mit verstärkten Seitenwänden und zum anderen die Rad-Reifen-Systeme, wo die Notlauffunktionen durch Felgeneinsätze erzielt werden. Obwohl die Rad-Reifen- Systeme theoretisch mehr Möglichkeiten und Freiräume zur Optimierung und Gestaltung be- sitzen, hat das getrennte System Felge-Reifen deutliche Vorteile. So ist es seit mehr als hun- dert Jahren bewährt. Es existieren Produktions- und Handelsstrukturen, die keinerlei Umstel- lung bedürfen und der Kunde weiß, dass er an der nächsten Tankstelle einen Ersatzreifen für die Weiterfahrt bekommen kann. Bei einem neuen Rad-Reifen-System müssen die entspre- chenden Strukturen erst aufgebaut bzw. ungestellt werden und der Kunde muss informiert werden, wie er nach einer Reifenpanne zu einem neuen Rad kommt. Ob das dann an jeder Tankstelle sein wird, ist fraglich. Derzeitig sieht es in der Automobilindustrie so aus:

ƒ Audi A8 PAX-System

ƒ BMW Gesamte Modellpalette SST-System

ƒ Renault Scénic PAX-System

ƒ Mercedes Sonderausstattung für stärker SST-System motorisierte Modelle Abschließende Betrachtung und Ausblick 123

ƒ Citroën C Airdream PAX-System

ƒ Toyota Lexus in Japan SST-System

Man erkennt, dass die Verteilung der zwei vollkommen unterschiedlichen Notlaufsysteme noch recht ausgewogen ist. BMW stellt als erster und einziger Hersteller seine zukünftigen Modelle in vollem Umfang auf Notlaufreifen um. Die Fahrzeuge, die sich jetzt im Anfangs- stadium der Entwicklung befinden sowie alle zukünftigen Fahrzeuggenerationen werden ohne Reserveradmulde entwickelt. Bei Audi ist bei Modellen der Oberklasse speziell dem A8 das PAX-System als Sonderausstattung erhältlich. Bei Renault wurde neuartiges Rad- Reifen-System PAX für die beiden Topversionen des Renault Scénic (Fairway und Sport Way) für den französischen Markt als Standardausstattung gewählt. Im restlichen Europa ist PAX als Option auf dem Scénic erhältlich. Des Weiteren werden auch der Renault Ellipse und der Citroën C Airdream mit dem PAX-System angeboten. Bei Mercedes wird die Ent- wicklung sehr genau verfolgt, und zumindest bei den höher motorisierten Fahrzeugen werden SST-Reifen als Sonderausstattung angeboten. Weiterhin existieren Anfragen an die Reifenin- dustrie bezüglich Runflat-Reifen mit weiter reduzierten Notlaufeigenschaften bei entspre- chend höheren Komforteigenschaften.

Es ist also zu sehen, dass schon viele Fahrzeughersteller Notlaufreifen zumindest als Sonder- ausstattung für einzelne Modelle anbieten. Es ist natürlich zu beachten, dass nur bei vollstän- diger Umstellung auf Notlaufreifen alle Vorteile, die der Einsatz von Notlaufreifen ermög- licht, ausgenutzt werden können. Das betrifft vor allem die Gewichtsvorteile und die neuen Freiheiten beim Design durch den möglichen Wegfall der Reserveradmulde. In dieser Beziehung ist bis jetzt BMW der einzige Hersteller, der diese vollständige Umstel- lung beschlossen hat.

Wie in den letzten Jahren zu sehen war, ist das Entwicklungspotenzial bezüglich der Runflat- Reifen noch lange nicht ausgeschöpft. So wird vor allem im produktionstechnischen Bereich die Entwicklung weiter rasant fortschreiten. Eine weitestgehende automatische modulare Fer- tigung von Reifen verbessert zum Beispiel die vor allem bei den SST-Reifen noch vorhande- nen Uniformity-Probleme, die ihre Ursache in den recht materialintensiven Notlaufstreifen haben. Auch bezüglich des Rollwiderstandes bestehen noch Verbesserungsmöglichkeiten. Der Rollwiderstand der SST-Reifen ist immer noch etwas schlechter als der von Standardreifen. Doch insgesamt können die großen Probleme der Runflat-Reifen der ersten Generation im 124 Abschließende Betrachtung und Ausblick

Abrollverhalten und in der Fahrwerksbelastung als weitestgehend überwunden angesehen werden.

Heute noch offen stehende Fragen beziehen sich vor allem auf die tatsächlich benötigte Not- lauffähigkeit der Reifen. Während zu Beginn des geplanten Einsatzes von Runflat-Reifen Laufleistungen von >800 km bei Maximalgeschwindigkeiten von 80 km/h gefordert waren, ist man heute zum Beispiel bei BMW bei geforderten Laufleistungen von ≈250 km. Diese Ver- ringerung der geforderten Laufleistung bedeutet vor allem bei den Notlaufreifen mit den ver- stärkten Seitenwänden eine beträchtliche Steigerung des Abrollkomforts und natürlich auch eine deutliche Verringerung der auftretenden Fahrwerksbelastungen.

Bezüglich der Prüfung und Zulassung der Runflat-Reifen wird es keine entscheidenden Ände- rungen gegenüber den Prüfungen bei den Standardreifen geben. Nach Meinung des Autors sind allerdings zwei zusätzliche Prüfverfahren speziell für Runflat-Reifen notwendig. Zum einen ist es, das in der Arbeit beschriebene Verfahren zur Beurteilung des Schädigungs- verhaltens von Runflat-Reifen. Und zum anderen ist das ein noch zu entwickelndes allgemeingültiges Verfahren zur Beurtei- lung der tatsächlichen Notlauffähigkeit. Bis jetzt existieren nach Wissen des Autors nur her- stellerinterne Studien, wie die erreichbare Notlaufstrecke auf einem Prüfstand nachvollzogen werden kann. Ein einheitliches Verfahren zur Prüfung der prinzipiell, unter bestimmten Be- dingungen erreichbaren Notlaufstrecke ist vor allem bei der erwarteten weiteren Verbreitung der Notlaufreifen zur Beurteilung der unterschiedlichen Runflat-Reifen von unterschiedlichen Herstellern notwendig. Dieses Verfahren sollte in den Status eines Standardverfahrens nach ISO oder sogar in ein vom Gesetzgeber vorgeschriebenes Zulassungsverfahren für Notlaufrei- fen gehoben werden, da nur so die Vergleichbarkeit für den Kunden gewährleistet ist. Auch für die Gewährleistung der Qualität, vor allem in dem später anlaufenden Ersatzgeschäft, ist ein einheitlich festgelegtes Prüfverfahren von Vorteil. Literaturverzeichnis 125

10 Literaturverzeichnis

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[53] „Beurteilung der Einwirkung mechanischer Schwingungen auf den Menschen“ VDI 2057 Blatt 2, Bewertung 1987

Lebenslauf

Allgemeine Angaben

Geburtstag: 16. April 1966

Geburtsort: Naumburg / Saale

Familienstand: verheiratet

Kinder: 2

Schulbildung

1972-1980 3. Oberschule Naumburg

1980-1984 Lepsius-Gymnasium-Naumburg

1984 Abitur

Wehrdienst

1984-1988 Offizier auf Zeit Kfz-Technische Sicherstellung

Studium

1988-1993 Studium Konstruktiver Maschinenbau Spezialisierung Kfz-Technik / Verbrennungsmotoren an der Technische Universität Dresden

Berufliche Tätigkeit

1993-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrzeuge (IVK) der Technischen Universität Dresden

2003- Fachspezialist Aktive Sicherheit / Fahrdynamik DEKRA Automobil Test Center, Klettwitz