historie Blindlandungen und die Einführung des ILS

Blindlandungen und die Einführung des ILS

Historisches zur Geschichte des Instrumentenfluges von Flugkapitän Peter Klant Teil 1

n zwei Artikeln möchte ich über den Beginn des Instrumentenfluges berich- Iten. In diesem ersten Teil berichte ich über den Übergang vom Sicht- zum Ins- trumentenflug, von den Anfängen der Funknavigation bis hin zu den ersten „Blindlandungen“. Im zweiten Teil des Artikels werde ich die Suche nach dem elektronischen Gleitweg nachzeichnen, der ebenfalls zur „Blindlandung“ führen sollte, es aber nur bis zum Instrumenten- Anflug geschafft hat. Am Ende entbrennt ein erbitterter Streit um die Einführung des ILS in den USA und weltweit. Und dann der Höhepunkt: Ein vollautomati- scher Flug über den Nordatlantik im Jahr 1947 ... Instrument Flight Training 1938: Der Pilot saß unter der VFR ist keine Lösung für den „Hood“... regelmäßigen Luftverkehr%h13dZ ...

September 1926. Ein junger Pilot flog die erreichen, gingen die Piloten beinahe jedes tägliche Nachtpoststrecke St. Louis – Chi- Risiko ein. Unser Postflieger war gerade mal cago1. Wie üblich nach Sicht. Das Wetter war 24 Jahre alt und schon Chefpilot der Robert- schlechter als erhofft, aber das war egal. Die son Aircraft Corporation – der Name des Post musste durch. Nur wenn es gelang, die Piloten war Charles A. Lindbergh. Als er wäh- Postsäcke regelmäßig ans Ziel zu bringen, rend dieses Nachtflugs auf eine Nebelbank konnten damals die ersten Fluggesellschaf- stieß, die den weiteren Flug nach Bodenkon- ten finanziell überleben. Um dieses Ziel zu takt verhinderte, entschied er sich zu einer

1) CAM-2: Contract Air Mail route 2 Sicherheitslandung, einer Außenlandung bei

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stockdunkler Nacht. Zur damaligen Ausrüs- rige Nebeldecke und setzte den Flug fort. Er tung der Flugplätze seiner Firma und zu der hoffte, später ein Loch zu finden, wo er in seines DH-4 De Havilland Doppeldeckers Flugplatznähe wieder unter die Wolken kom- schrieb Lindbergh später:2 men konnte. Er sah die erleuchteten Kontu- „Wir waren nicht in der Lage, Nachtflug- ren der Vororte von Chicago durch den ausrüstung für diese Maschinen anzu- Nebel schimmern und hatte keine Probleme, schaffen, von Befeuerung oder Leucht- so den Flugplatz zu finden, der leider eben- feuern für unsere Landeplätze ganz zu falls unter einer Nebeldecke lag. Weder sah schweigen. Erst in der letzten Woche er die beiden brennenden Ölfässer, die man haben unsere DHs ihre roten und grünen für ihn aufgestellt hatte, noch den Schein- Navigationslichter bekommen. Vorher werfer, der senkrecht in den Nebel strahlte. hatten wir nichts als eine Notfackel*1se2A und Auch konnte er keines der Leuchtfeuer der eine Taschenlampe. [...] Vor etwas mehr Trans-Kontinentalstrecke finden, die hier als einer Woche verlor ich eine DH, weil entlangführte. ich keine zweite Notfackel hatte, keinen Landescheinwerfer und keine Flugplatz- befeuerung, zu der ich hätte zurückkeh- ren können .“

Im Sinkflug zur Außenlandung auf freiem Feld gab’s ein kleines Problem: „Ich drehte ab nach Südwest und ver- suchte, meine einzige Notfackel abzu- werfen, um auf einem der Felder unter mir zu landen; als ich aber den Auslöser zog, passierte gar nichts.“ Das war jetzt mehr als schlecht, daher brach Lindbergh den Anflug ab, stieg über die nied- 2) Alle Zitate in diesem Abschnitt: Charles A. Lind- bergh „The Spirit of St. Louis“, New York 1953

Airway Rotating Beacon, wie es in den USA seit den 1920er- Jahren genutzt wurde. Ähnliche Leuchtfeuer gab es in Euro- pa.3

Lindbergh hatte aber inzwischen herausge- funden, dass das Auslösekabel der Notfa- ckel zu viel Spiel hatte. Wenn er direkt am

Restauriertes DH-4 De Havilland Postflugzeug der Robertson 3) Abbildung aus „Practical Air Navigation“, CAA, Aircraft Corporation von 1926 Wikipedia Washington DC, 1940

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Hauptstreckenfeuer und befeuerte Flughäfen in Europa 1936. Ketten von Leuchttürmen für Nachtflieger verbanden die Met- ropolen Europas. So ähnlich wurde auch die Transkontinentalstrecke quer durch die USA für Sichtflüge bei Nacht befeuert. (Die durchgezogenen Linien sind die Grenzen der Flugsicherungsbezirke.) Kartenausschnitt aus: „Die Fernmeldebetriebsordnung für die Verkehrsflugsicherung (FBO) in Frage und Antwort“, Berlin, 1936

Seil zöge, würde der Flare auslösen. Daher In 5.000 Fuß war der Sprit alle, und der Motor flog er wieder zurück, um den ursprüngli- setzte endgültig aus. Lindbergh sprang mit chen Plan umzusetzen und am Rand des dem Fallschirm ab.4 Nebelgebiets eine Außenlandung zu machen. Auf diese Weise hatte Lindbergh in kurzer Aber dann spuckte der Motor. Der Haupt- Zeit zwei der vier De Havillands aus dem tank war leer. Lindbergh schaltete auf Inventar der Robertson Aircraft Corporation Reserve und hatte noch 20 Minuten Sprit – außer Dienst genommen. zu wenig, um den Rand des Nebels zu errei- Auch für die anderen amerikanischen Post- chen. Er sah er unter sich ein Licht und hielt flieger um 1926, die die Hauptroute quer darauf zu. Er schrieb: durch die USA flogen, gab es noch keine „Ich ging in Spiralen auf 1.200 Fuß und Möglichkeit, nach Instrumenten zu navigie- riss am Auslösekabel. Diesmal funktio- ren. Sie folgten einer Kette von hellen Leucht- nierte die Notfackel, aber es war nur eine feuern, die die Flugplätze entlang der Trans-

*Croc0 dichte Dunstschicht zu sehen. Ich war- kontinental-Route durch die USA miteinander tete, bis die Notfackel am Fallschirm verbanden. Ähnliche Lichterketten für die außer Sicht war, dann begann ich wieder 4) Lindberghs größte Sorge nach der Landung galt zu steigen.“ der Post. Mit Hilfe eines Farmers konnte er das zer- störte Wrack seiner DH finden. Die unbeschädigte Post wurde mit dem Zug weiterbefördert...

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Luftfahrt gab es auch in Europa. So hatte Biegungen aus, die der Schienenstrang die Deutsche Luft Hansa entlang der Ostsee macht, bin noch fünfzig, dann noch drei- eine befeuerte Nachtflugstrecke erprobt.5 ßig Meter hoch. Dicht vor der Stelle, wo Bald gab es befeuerte Nachflugstrecken in es grau in die Bäume hängt, taucht der ganz Europa, von London nach Paris, von Tunnel auf. Dann sehe ich durch ein dort nach Berlin und darüber hinaus. Nebelloch das Stück eines Wipfelhan- ges, der auf der andern Seite nieder- Ebenso wie in den USA flog man auch in steigt. Tief über dem Boden drücke ich Europa Mitte der 1920er-Jahre im Luftver- mich zwischen weißen Schwaden durch kehr noch nach Sicht. Der schweizerische – zehn lange, atemlose Sekunden! Ein Flugkapitän Walter Ackermann6 beschrieb abfallender Waldhang taucht auf. Unter 1934 in seinem „Bordbuch eines Verkehrs- Wolkenballen drücke ich die Kiste in den fliegers“ die Sichtfliegerei in Europa um Talboden. Ich bin drüben.“ 1925. Die Piloten bekamen keine Typen-, sondern eine Streckeneinweisung. Landkar- Sowas sollte man nicht zu oft machen. In ten der Route Zürich--Berlin, die den USA starb in dieser Zeit beinahe jede Ackermann zu jener Zeit beflog, musste er Woche ein Postflieger. Und in Deutschland%Wi6Xi sich im Buchladen kaufen. Die direkte Route kamen seit Gründung der Luft Hansa 1926 wurde als grader Strich in die Karte einge- bis 1945 insgesamt 196 Piloten, Maschinis- tragen, die Schlechtwetterrouten durch die ten und Funker der Luft Hansa bei Flugun- Täler in roter Farbe markiert. Von einem Flug, fällen ums Leben.7 bei dem er vor einem Eisenbahntunnel in Es musste etwas passieren: Instrumenten- schwerem Wetter hin und her flog, weil die flug und die Möglichkeit zur „Blindlandung“ Hügel dahinter in den Wolken lagen, schrieb mussten her ... er: „Noch einmal drehe ich bei, hänge dem Anfänge des Instrumentenfluges Bahngeleise an. Ein Zug fährt unter mir durch, an den Wagenfenstern sehe ich Das erste Instrument, das das Fliegen nach Gesichter. Wieder gehe ich in Angriff Instrumenten erst ermöglichte, war der Wen- Stellung, nehme Gas zurück, verliere dezeiger, ein Kreiselinstrument. Damit langsam Höhe, halte die Augen auf den konnte man in den Wolken die Kontrolle über Punkt gerichtet, wo sich das Geleise im das Flugzeug beibehalten. Das wollten man- Regen verliert. Wieder fliege ich zwei che Piloten nicht glauben. Sie meinten, ein 5) Den damaligen Nachtflugleiter der Deutschen Luft Flugzeug in den Wolken „nach Gefühl“ steu- Hansa, Hermann Köhl, zog es wie Lindbergh eben- ern zu können. Diese Piloten starben aber – falls in die Ferne. Er flog 1928 als Erster von Ost nach West über den Nordatlantik. im wahrsten Sinne des Wortes – von selber 6) Walter Ackermann wurde nur 36 Jahre alt: 1939 aus. So ist es eine Ironie der Luftfahrtge- flog er eine Ju 86 der Swissair von Wien nach Zürich. schichte, dass eines der ersten Trainingsge- Bei Friedrichshafen hatte er einen Motorausfall. Im Einmotoren-Anflug für eine Notlandung in Konstanz räte mit „Motion“ kein Gerät war, um das stürzte das Flugzeug aus niedriger Höhe ab. Acker- mann, sein Funker und die vier Passagiere kamen 7) Siegfried Graf Schack von Wittenau: „Pionierflüge ums Leben. eines Lufthansa-Kapitäns“, Stuttgart 1981

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Fliegen zu lernen, sondern eine Art Wirbel- künstlichen Horizonts. Sperry starb 1924 bei stuhl, um den Aspiranten zu zeigen, dass sie einem Absturz über dem Ärmelkanal, aber sich bei Drehbewegungen eben nicht auf ihre seine Luftfahrt-Firma wurde wieder mit dem Sinne verlassen können. Unternehmen des Vaters Elmer Sperry Oft wird Doolittle als Erster bezeichnet, der zusammengelegt, der Sperry Gyroscope 1929 eine voll funktionsfähige Blindflugins- Company. Sperry wurde führend im Instru- trumentierung nutzte. Das ist so nicht ganz mentenbau für den Blindflug. richtig. Doolittle hat zwar die ersten Funkna- vigationsgeräte an Bord, aber Wendezeiger Mithilfe von Wendezeiger, Höhenmesser, und sogar den künstlichen Horizont gab es Kompass und Fahrtmesser war nun – für schon früher. Bereits 1919 gab es fünf ver- einen geübten Piloten – das sichere Fliegen schiedene Anbieter für Wendezeiger in den in den Wolken möglich. So flog Charles A. USA und in Europa. Es gab allerdings noch Lindbergh 1927 über den Atlantik. In keinerlei standardisierte Blindflugausbil- Deutschland wurden mit dieser Basis-Inst- dung. Charles A. Lindbergh zum Beispiel rumentierung sogar Wolkenflüge mit Segel- brachte sich das Fliegen nach Instrumenten flugzeugen gemacht. Sperry-Geräte flogen (einem Turn & Bank Indicator) selbst bei – auch in Deutschland, sie wurden von Aska- während eines unfreiwilligen Einflugs in nia in Lizenz gebaut. einen Schneesturm auf der Nachtpoststre- cke. Unfälle im Blindflug mit Wendezeigern Der erste Simulator (oder besser Instrumen- inspirierten Lawrence Sperry neben seiner tenflug-Trainer), der auf den Markt kam, war Arbeit am Wendezeiger zur Entwicklung des der Link-Trainer, der ab 1927 von Edwin Link entwickelt wurde. Ältere Piloten werden spä- teren Versionen des Gerätes noch kennen. Ich selbst habe mein erstes Instrumenten- flug-Training 1978 noch auf einem Link-Trai-

*Croc0 ner absolviert.

Der Durchbruch für den Link-Trainer und bessere Instrumentenflugausbildung kam aber erst mit dem Luftpost-Skandal von 1934. Damals annullierte Präsident Roose- velt nach Korruptionsvorwürfen sämtliche Luftpost-Verträge und beauftragte das Uni- ted States Army Air Corps mit der Durchfüh- rung der Postflüge. Anders als die erfahre- nen, mit allen Wassern gewaschenen Schlechtwetterpiloten der privaten Airlines Früher britischer Turn & Bank Indicator von Reid & Sigrist waren die Militärpiloten mit der Aufgabe hoff- (gegr. 1928). Es war gar nicht so einfach, nur nach diesem Instrument in den Wolken zu fliegen. Eine spätere Version nungslos überfordert. Die Militärpiloten – dieses Geräts war u.a. in der Spitfire verbaut. obwohl ein wenig mit den Grundlagen des

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Instrumentenfluges vertraut – waren bisher Job bei der Robertson Aircraft Corporation, nur bei gutem Wetter geflogen. Dass man die sich die Route 2 sichern konnte). Krieg auch bei Schlechtwetter führen kann, Viel bedeutender aber war der Air Com- hatte sich noch nicht rumgesprochen. Ent- merce Act von 1926. Damit wurde im Han- sprechend fehlte diesen Piloten einfach die delsministerium (Department of Commerce) Erfahrung. Zwar besaß das Army Air Corps eine Luftfahrt-Abteilung (Aeronautic Branch) 1934 bereits 274 Kurskreisel und 460 künst- etabliert. Die Aufgabe dieser Abteilung sollte liche Horizonte, aber nur wenige davon sein:

%Wi6Xi waren in die 122 Flugzeuge eingebaut, die • Erlass und Durchsetzung von Flugver- für den Postbetrieb eingeteilt waren. In Folge kehrsregeln, verloren in kürzester Zeit 13 Piloten ihr jun- • Lizenzierung von Piloten, ges Leben auf den Poststrecken. In den 78 • Zertifizierung von Flugzeugen, Tagen, bis die Flüge des Army Air Corps wie- • Einrichtung von Luftstraßen, der eingestellt wurden, kam es zu 66 Unfäl- • Betrieb und Wartung von Flugsiche- len. rungshilfen. Nach dem Luftpost-Desaster kaufte das Uni- ted States Army Air Corps die ersten Link- Die Ähnlichkeit mit den Aufgaben der heuti- Trainer und begann mit einer gründlichen gen FAA ist kein Zufall. Die FAA ist eine Blindflug-Ausbildung ihrer Piloten. Die Air- Nachfolgeorganisation dieser ersten Luft- lines zogen nach. fahrtbehörde in den USA. Die Aeronautic Branch nahm sofort ihre Navigieren konnte man so aber nicht. Das Arbeit auf. Ideen für Flugfunkfeuer waren ging nur mit der Funknavigation. Und hier bereits reichlich vorhanden, aber noch bevor trennten sich die Wege der USA von denen die ersten Funkfeuer getestet und aufgebaut in Europa ... waren, ging ein Ruck durch die Nation: Charles A. Lindbergh überquerte 1927 den Die frühe Funknavigation Atlantik! Lindbergh nutzte seinen plötzlichen in den USA Ruhm nach dem Flug und stellte sich ganz der Förderung der Zivilluftfahrt zur Verfü- In den USA setzte man von Beginn an auf gung. Auf einer Rundreise durch nahezu alle die Eigenpeilung bei der Funknavigation. Bundestaaten – finanziert von den Guggen- Funkfeuer am Boden wurden mit Bordgerä- heims – warb er für die Luftfahrt und die ten angepeilt. Das erste Funknavigations- Errichtung von Flugplätzen. Der Wert der netz in den USA für die zivile Luftfahrt wurde Aktien von Luftfahrtfirmen wie Airlines und durch einige neue Gesetze ermöglicht, die Flugzeughersteller verdreifachte sich von den aufstrebenden Luftverkehr regeln und 1927 bis 1929. fördern sollten: Der Air Mail Act von 1925 ermöglichte es, In Folge wurde der Übergang vom Sichtflug eine Luftfahrtindustrie zu schaffen und neue zum Instrumentenflug deutlich beschleunigt. Fluggesellschaften zu gründen (Charles A. In den USA gab es anfangs zwei Fraktionen, Lindbergh verdankte diesem Gesetz seinen was die Philosophie zur -Navigation

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anging: Die Aeronautic Branch bevorzugte Radio Ranges noch neben den alten Airway die „Low Frequency Radio Range“, das Army Beacons, also den Lichtfeuern der Nacht- Air Corps den „Radio Direction Finder“. Bald poststrecken, die aber bald nicht mehr benö- jedoch würden sowohl die Arlines als auch tigt wurden. Im System der Radio Ranges das Militär beide Systeme verwenden. wurden auch die ersten Airway Marker Beacons eingesetzt (Funktion und Anzeige Low-Frequency Radio Range ähnlich dem heute noch manchmal verwen- deten Outer Marker). 1928 wurde in den USA die erste Low-Fre- quency Radio Range, oder kurz „Radio Das Netzwerk der Low-Frequency Radio Range“ in Betrieb genommen. Die Funkfeuer Ranges wurde zügig in den USA und später erforderten in den Cockpits keinerlei Anzei- auch im Ausland ausgebaut. In den USA gab gegeräte. Man hörte einfach die Signale über es bald mehr als 100 solcher Stationen. Es die Kopfhörer ab. Die Radio Ranges strahl- ist erstaunlich, wie erfolgreich das System ten ihre Signale in vier Quadranten aus, in war. Von 1928 an wurde es bis in die 1950er- denen entweder das Morsezeichen „N“ oder Jahre verwendet. Danach wurde es nach das „A“ zu hören war. Auf den Schnittlinien und nach von den%Wi6Xi „neuen“ VOR-Stationen oder „Legs“ der Quadranten hörte man einen abgelöst. Die letzten der weltweit etwa 400 Dauerton. Radio Ranges arbeiteten vom Radio Ranges wurden erst Ende der 1970er- Langwellen- bis in den Mittelwellenbereich Jahre abgeschaltet. (190 bis 535 kHz). Die ersten An­lagen waren ungenau und hatten unerwünschte Nacht­ effekte. Erst die 1930 erfolgte Umstellung auf die Adcock Antenne (ein britisches Patent) brachte zufriedenstellende Ergebnisse. Die Boden- stationen waren nicht ganz billig: Vier 41 Meter hohe Funkmasten in ungefährem Viereck bil- deten die Basis der Antennenanlage. Ein gleichhoher Mast in der Mitte sendete regelmäßig Wettermeldungen über Low-Frequency Radio Range Station „Elisabeth”. Der prominent auf dem Dach des Funk- gebäudes aufgemalte Name der Station ist ein Überbleibsel der vom Sichtflug übernom- die Range-Frequenz. menen Kennzeichen und der Leuchtfeuer-Airways. Anfangs standen die Abbildung aus „Practical Air Navigation“, CAA, Washington DC, 1940

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Das Radio Range System der Civil Aeronautics Administration (CAA) Abbildung aus „Practical Air Navigation“, CAA, Washington DC, 1940

*Wi6Xi

Fliegen mit der Radio Range Kopfrechner sein, um die verschiedenen Navigationsprobleme im Flug schnell lösen Heutzutage kann man sich das Fliegen nach zu können. den Radio Ranges kaum noch vorstellen. Ein sicherer Flugbetrieb war nur möglich, weil Die Radio Ranges wurden hauptsächlich es noch nicht so viel Luftverkehr wie heute nach Gehör geflogen. Eine sehr unbequeme gab. Denn die Orientierung an den Legs der Art der Navigation, mit ständigem Gepiepse, Range-Stationen erforderte gelegentlich Dauerton und lästigen Störgeräuschen im 90°-Kursänderungen, manche Manöver Kopfhörer. Später installierten einzelne Air- sogar 180°-Kurven. Man brauchte also reich- lines Anzeigegeräte, die zusätzlich die Feld- lich Platz auf den Airways und vor allem im stärke der beiden überlappenden Signale Nahbereich der Flughäfen, denn die Radio anzeigten. Danach war es ebenfalls möglich, Ranges wurden auch für Anflüge verwendet. auf einem Leg zu fliegen, nachdem man die Wir GPS-Piloten von heute können nur mit Station identifiziert und sich auf dem richti- Ehrfurcht auf die frühen Airline-Piloten gen Leg eingeflogen hatte. zurückblicken. Denn um nach Radio Ranges zu fliegen, brauchte man weit mehr als ein Die Low-Frequency Radio Ranges waren in durchschnittliches räumliches Vorstellungs- einem Abstand von ungefähr 200 Meilen ent- vermögen. Die Piloten mussten zudem gute lang der meistbeflogenen Strecken über die

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USA verteilt, hatten also eine Reichweite von man also locker den Heading um +– 30° etwa 100 Meilen (ca. 160 km). Ihre vier Legs ändern, ohne dass man irgendeine Ablage waren so ausgerichtet, dass sie zum einen vom Sollkurs hätte feststellen können.

zur nächsten*1se2A Radio Range zeigten (Airway), zum anderen aber auch auf die Hauptanflug- richtung eines Flughafens, um Instrumen- tenanflüge zu ermöglichen. Wegen der hohen Funkmasten wurden sie nicht direkt an den Flugplätzen selbst aufgebaut, son- dern weiter draußen im Endanflug.

Instructor Station für das Radio-Range-Training der US Army Air Force 1943. Der Fluglehrer gab über Funk Anweisungen an den Piloten im Link-Trainer. An seinem Panel konnte er den Wind eingeben. Auf dem Kartentisch der Plotter, der den Track des Flugzeugs aufzeichnete. (Army Air Force, 1943)

Um das Tracking auf dem Leg zu erleichtern, flogen die meisten Piloten daher nicht genau auf dem Track (dem breiten Dauerton „Dead

Newark Radio Range mit Fan Marker Beacons. Man erkennt die vier Quadranten, hörbar ist darin entweder das Morse- zeichen „A“ oder das „N“. Auf den „Legs“ hört man einen Dauerton.8

Die Verfahren, eine Radio Range zu beflie- gen, waren kompliziert, denn die Piloten von damals hatten im Cockpit keinerlei Anzeigen für den Wind, die Drift oder die Ground- speed. Es gab auch noch kein DME, so dass auch die Entfernung zur Station unbekannt war. Dazu kam, dass sich die Legs nur schwer tracken ließen: Der Dauerton-Bereich hatte eine ungefähre Breite von 3°, war also in 160 km Entfernung von der Station nahezu

4 NM breit. Mit dem Dauerton im Ohr könnte Eines der Standard-Verfahren für die Radio Range Naviga- tion: „Close-In Procedure“ für das Alignement auf dem Final 8) Abbildung aus „Practical Air Navigation“, CAA, eines Instrument Approach. Man erkennt das Tracking am Washington DC, 1940 rechten Rand des Legs. Unten rechts die Runway. (Army Air Force, 1943)

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Band“), sondern am rechten Rand. Das war hatte man dann auf dem nächsten Leg unge- eine schärfere Linie, die sich akustisch bes- fähr eine Ahnung, wann der nächste Marker ser bestimmen ließ: ein weitaus schmaleres oder die nächste Station kommen würde. Band als das Dauerton-Signal, bei dem Die unten eingefügte Karte ist dem „Instru-

sowohl*1se2A der Dauerton als auch gerade eben ment Trainer Instruction Guide“ der US Army das „N“ bzw. das „A“ zu hören war. Dass so Air Force vom August 1943 entnommen. Sie zu fliegen auch gelehrt wurde, findet man in zeigt einen typischen Überlandflug nach Ins- den Trainingsunterlagen der 1940er-Jahre. trumenten mit der dazugehörigen Radio- Es gab zwei Möglichkeiten, die genaue Ent- Range-Navigation. Der Flug geht von Phila- fernung zur Station zu bestimmen: Einmal delphia nach La Guardia Field, New York, beim Überflug der Station selbst, dann und benutzt ausschließlich Radio Ranges wurde es still im Kopfhörer (Cone of Silence), sowie ein Marker Beacon zur Navigation vom oder beim Überflug eines Marker Beacons Start bis zur Landung. weiter draußen. Aus den Überflugzeiten konnte man so wenigstens nachträglich die Mit den Radio Ranges wurden keine der Ground Speed berechnen. Mit der Stoppuhr heute üblichen „race-track“ Holdings geflo-

Radio Range Training Flight Philadelphia – La Guardia Field Army Air Force, 1943

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gen. Am Punkt 4 auf der Karte sieht man ein lagen waren für das Militär weniger geeig- typisches Radio Range Holding, das damals net. Daher setzten die Army-Flieger von mit Procedure Turns in- und outbound auf Anfang an auf die Funkpeilung vom Flugzeug dem Leg der Radio Range geflogen wurde. aus mit dem Radio Direction Finder. Die ers- ten Bordgeräte waren alles andere als leicht, Radio Direction Finder billig und einfach zu bedienen. Die Anpeilung der Bodenstationen – anfangs wurden ein- So charmant und billig9 die Radio Range fach die bekannten Radiosender angepeilt

%rtKRv Navigation aus Nutzersicht war, für die US – erfolgte noch mühsam von Hand. Das US Army Air Force war es nicht das Traumsys- Army Air Corps testete 1931 einen der ers- tem. Schon allein die riesigen Antennenan- ten primitiven Radio Direction Finder. Erst später wurde aus dem „Radio Direction Fin- 9) Es war nur ein einfacher Funkempfänger erforder- lich

Bordausrüstung und Anzeigegerät des „Radio Compass Model AVR 8C“, den RCA Manufacturing 1936 auf den Markt brachte. Aus dem Buch „Your Wings“ New York, 1942

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der“ der heute noch verwendete Automatic funkverkehr in Europa waren die Internatio- Direction Finder (ADF). nal Air Convention von 1919 und später die Wie die ADF-Navigation funktioniert, muss ICAN, die International Commission for Air in diesem Magazin nicht weiter erklärt wer- Navigation (die Vorläufer-Organisation der den. Auch heute noch muss jeder Pilot, der ICAO). Die USA wollten ihr eigenes Süpp-

%bJjA8 IFR fliegen will, dessen Prinzipien lernen. Ich chen kochen und gehörten (wie auch die selbst versuche, es wieder zu vergessen: UdSSR) nicht zu den Mitgliedern der ICAN. 2011 habe ich das ADF aus meiner Arrow Deutschland durfte kein Mitglied sein, konnte ausbauen lassen. Ruhe in Frieden, Direction aber in den Gremien mitarbeiten. Finder ... Für die Streckennavigation in Europa gab es In den 1930er-Jahren jedoch ermöglichte der ein dichtes Netz von Peilstationen, mit denen Radio Direction Finder dem US Militär die die ersten Verkehrsflugzeuge im Tastfunk- ersten Instrumentenanflüge. Benutzt wurde verkehr standen. Das Buch „Aircraft Radio“ dazu ein System mit zwei ungerichteten (London, 1938) beschreibt die Peilstationen Funkfeuern (non-directional beacon – NDB), auf dem viel beflogenen London-Continent eines auf dem Endanflug und ein zweites am Airway. Diese Region bestand aus vier Netz- Flugplatz. Nachdem das System beim Mili- werken für die Funknavigation mit jeweils tär eingeführt war, zeigte sich bald, dass der einer „Controlling Station“ und zwei „Co- Radio Direction Finder auch für Airline-Pilo- operationg Stations“. Auf der britischen Seite ten eine gute Ergänzung zur Radio Range war die Controlling Station Croydon (der Navigation wurde. internationale Flugplatz von London), die Cooperating Stations waren Pulham und Die frühe Funknavigation in Europa Lympne. Auf französischer Seite war die Controlling Station Le Bourget in Zusam- Anders als in den USA setzte man in den menarbeit mit Pulham und Valenciennes. 1920er-Jahre in Europa von Anfang an auch Brüssel arbeitete mit Lympne und Amster- auf die Fremdpeilung. Also auf das Anpeilen dam zusammen. Mit der Control-Station der Funksignale des Flugzeugs vom Boden Amsterdam kooperierten Brüssel und Pul- aus. Das hatte – ähnlich wie bei den Radio ham. Auch in Deutschland gab es ähnliche Ranges – den Vorteil, dass nur einfache Peilnetze. Für die Navigation in dieser euro- Funkgeräte an Bord benötigt wurden. Die päischen Region war immer ein Funker an komplizierte Ausrüstung stand am Boden. Bord erforderlich. Über Tastfunk nahm er In Europa ergänzte die Fremdpeilung ab Kontakt mit einer der Controlling Stations Anfang der 1930er-Jahre die Navigation auf und konnte von dort verschiedene Pei- nach Sicht. lungen anfordern, die mit Q-Gruppen benannt waren. Eine davon kennt heute noch Es ist erstaunlich, dass nach den Wirren des jeder Flieger: Das QDM ist der „Magnetic Ersten Weltkriegs rasch internationale Course to the Station. Abkommen zur Luftfahrt geschlossen wur- den. Basis für die Standardisierung im Flug-

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So konnten u. a. folgende Peilungen abgefragt wer- den: • magnetischer Kurs zur Station, • True Track von der Station, • True Track und Dis- tanz von einem „agreed reference point“. Das konnte eine Stadt, ein Airport, eine Peilstation oder sogar ein Feuerschiff sein. • Position in geographi- scher Länge und Breite.

Für die beiden letzten An­­ gaben holte sich die Peil- station die gleichzeitigen Peilungen der Co-opera- ting Stations. Der zunehmende Luftver- Flugzeugpeiler Spez 173N von Telefunken. Nicht geeignet für die Bedienung durch kehr in Europa brachte den Piloten. Die Drehknöpfe waren knallbunt, um die Bedienung im Flug zu erleich- gegen Ende der 1930er-­ tern: Weiss, Gelb, Braun, Blau und Rot... Jahre die Tastfunknetze zur Grötsch: „Flugfunkpeilwesen und Funknavigation“, Berlin-Tempelhof 1938 Fremd­peilung an ihre Gren­ zen. Da alle Peilungen in Funklogs eingetra- stationen. Das Buch „Flugfunkwesen“ von gen wurden, weiß man heute, dass 1933 Karl Möbius – in seiner Ausgabe von 1942 – allein die Luft Hansa 32.250 Fremdpeilungen führt lediglich neun zivile Navigationsfunk- anforderte. feuer auf, die in drei Gruppen auf nur drei Frequenzen sendeten (364, 257 und

%bJjA8 Eigenpeilung wurde später auch in Europa 266 kHz). Dazu kamen noch vier sog. Ziel- betrieben. Dafür wurden vom Flugzeug aus flugfunkfeuer. Eine Besonderheit gab es in sowohl Radiostationen angepeilt als auch Deutschland ab 1938: Damals wurde das designierte Flug-Funkfeuer. Die Funkpeilge- sog. Alpenfunkfeuer bei Bad Tölz in Betrieb räte waren nicht ganz leicht und mussten genommen. Es konnte mit dem modernen, manuell bedient werden. Es gab in Deutsch- neuen Lorenz UKW-Blindlande-Empfänger land wesentlich weniger Funkfeuer als Peil- aufgenommen werden. Das Alpenfunkfeuer

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produzierte einen Leitstrahl ähnlich dem Theodore von Kármán in die USA locken einer Radio Range (allerdings im UKW- konnten, indem sie ihm die Leitung des Gug- Bereich), der nördlich und parallel zur Alpen- genheim Aeronautical Laboratory am Cal- kette lag. Im Bereich der Alpen hörte man tech anboten.

Striche, nördlich davon Punkte. Sehr prak- %Wi6Xi Eines der Ziele des Guggenheim Funds war tisch für Flieger ohne Erdsicht. die Entwicklung des Fluges bei Nebel. Dazu wurde 1928 eine Forschungsstation einge- Die ersten Blindlandungen – in den richtet, das Full Flight Laboratory auf dem USA Mitchel Field, Long Island, New York. Als

In den USA gab es in den 1920er-Jahren zwei große private Förderer der Luft- fahrt: Daniel Guggenheim und sein Sohn Harry, der im Ersten Weltkrieg als Pilot geflogen war. Die Guggen- heims stammten aus einer superreichen Bergwerks- dynastie. Im Jahre 1926 gründeten sie den „Daniel Guggenheim Fund for the Promotion of Aeronautics“. In nur drei Jahren pumpten die Guggenheims zweiein- halb Millionen US-Dollar in luftfahrtbezogene Projekte, eine nach heutigem Geld unvorstellbare Summe. Der Fund finanzierte die Ein- richtung von Luftfahrt-For- schungseinrichtungen unter anderen am Califor- nia Institute of Technology (Caltech), der Stanford Uni- versity und am Massachu- setts Institute of Techno- logy (MIT). 1940: Radio Range Approach. Elf Jahre nach den ersten Blindlandungen von Doolittle Die Guggen­heims waren es hatte Mitchel Field bereits befestigte Runways, die eine Blindlandung nicht mehr zu- ließen. Nordwestlich von Mitchel liegt Roosevelt Field, von dem aus Lindbergh 1927 auch, die 1929 den ungari- seinen Flug über den Atlantik begann. Beide Plätze waren in den 1920er-Jahren noch schen Aerodynamik-Papst große Grasplätze.

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Projektleiter und Testpiloten borgten sich die little bei sich absenkender Wolkendecke und Guggenheims vom US Army Air Corps den ausgedehnten Nebelfeldern keinen geeigne- Lieutenant James H. Doolittle aus, der 1925 ten Platz für eine Außenlandung finden. Beim am MIT seine Doktorarbeit10 gemacht hatte. Anflug auf den Battery Park rannte ein Mann

Doolittle lehnte eine gut dotierte Testpiloten- auf die ausgewählte*G2pJS Notlandestelle und ver- stelle bei Curtiss ab, um die Leitung des Full hinderte so die Landung. Er dachte wohl, der Flight Laboratory übernehmen zu können. Pilot habe den Park mit einem Flugplatz ver- Er wurde für ein Jahr für diese Arbeit freige- wechselt. Doolittle musste also diesen stellt. Als zweiter Pilot kam Lieutenant Ben- Anflug abbrechen und bereitete sich auf eine jamin Kelsey zum Team, der bei den Flug- Notwasserung im Hudson vor und löste versuchen als Safety Pilot mitflog. Doolittle seine Fallschirmgurte. Dreimal flog er tief an wurde unterstützt von Prof. William G. Brown der Baustelle der George Washington Brü- vom MIT, als Mechaniker holte sich Doolittle cke vorbei, von der er wusste, dass noch Corporal Jack Dalton ins Team. keine Kabel über dem Fluss hingen. Die mächtigen Pfeiler hatte er nie gesehen. Als Für 26.000 US Dollar wurden zwei moderne das Wasser näher kam, kamen ihm Zweifel Flugzeuge angeschafft, nur eines davon an den Überlebenschancen und er zog die wurde für die Blindlande-Versuche ausge- Maschine in und über eine dünne Nebel- rüstet und benutzt: Ein Consolidated NY-2 schicht. Doolittle machte eine Bruchlandung Husky Doppeldecker mit zwei offenen Cock- bei einem Strecken-Leuchtfeuer in Nebel.11 pits. Doolittle hatte dieses Flugzeug ausge- Die Maschine wurde vollständig zerstört, wählt, weil es ein robuster Navy-Trainer war, Doolittle blieb unverletzt. Motivation, das der einiges wegstecken konnte (und auch Nebelflug-Problem zu lösen, war also reich- musste). Außerdem flog die Maschine um lich vorhanden. alle Achsen sehr stabil. Doolittle ließ das Fahrwerk zusätzlich verstärken und längere War die Blindflugmaschine NY-2 selbst noch Stoßdämpfer einbauen. mehr oder weniger ein Standardprodukt, so war nahezu alles, was mit den Flugversu- Das zweite Flugzeug war eine schnellere chen zu tun hatte, modernste experimentelle zweisitzige Navy Vought Corsair O2U-1. Ausrüstung. Der short range „Visual Land- Diese Maschine wurde für Flugtests einzel- ing Beam“ einer speziellen Radio Range, die ner Instrumente verwendet, für Verbindungs- am Flugplatz aufgebaut war, sowie ein Mar- flüge und für Überlandflug-Versuche bei ker Beacon wurden vom Bureau of Standard schlechtem Wetter. Das Flugzeug hatte zwar als Testequipment bereitgestellt. Sperry lie- Blindflug-Instrumente, war allerdings nicht ferte die Kreiselinstrumente. Elmar Sperrys für Blindlandungen ausgerüstet. Im März Sohn Elmar Jr. stand dem Team ständig zur 1929 erwies sich das als Nachteil. Bei einem Verfügung. Paul Kollsman, der einen neuen nächtlichen Low-Level-Flug von Buffalo, 11) Doolittle hatte gehofft, bei dem weißen Drehfeuer New York, nach Mitchel Field konnte Doo- einen Landeplatz zu finden, „landete“ aber in Bäu- men. Erst später wurden die Farben geändert: Grü- 10) Die erste Doktorarbeit in “Aeronautical Enginee- nes Drehfeuer für Landeplätze und weißes Drehfeuer ring“ in den USA für Airways.

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Feinhöhenmesser entwickelt hatte, wurde Doolittle schrieb später,12 er habe hunderte angeheuert. Doolittle testete zusammen mit Blind- oder simulierte Blindlandungen mit Kollsman im August 1929 den neuen Höhen- der Maschine geflogen. Für den Endanflug messer in einer verbesserten O2U, die als hatte er eine besondere Technik entwickelt. Ersatz für die abgewrackte Maschine gekauft Ausgetrimmt auf 60 MPH (15 MPH über der worden war. Stall Speed) flog er den Sinkflug mit etwas Vom Radio Frequency Laboratoy in New Jer- Power – bis zum Aufschlag. Den Rest steckte sey wurde eine Sprechfunkanlage eingebaut das Fahrwerk weg, meist ohne zu springen. – zu einer Zeit, als der Tastfunk noch die Am Gashebel hatte er eine Markierung ange- Norm in der Luftfahrt war. Der Feinhöhen- bracht, damit er die erforderliche Leistung messer konnte so über Funk mit einer immer gleich setzen konnte. Bodenstation synchronisiert werden. Doolittle ging mit seinem ersten Solo-Blind- Die ursprünglich getesteten deutschen Krei- flug im Nebel am 24. September 1929 in die

*Wi6Xi selhorizonte Anschütz und Gyrorektor (nach Annalen der Luftfahrt ein. Er selbst maß die- dem Firmenprospekt „der beste Blindflug- sem Flug wenig historische Bedeutung zu. weiser der Welt) erwiesen sich als zu schwer Für ihn war es ein weiterer Testflug. Diesmal und zu instabil. Ein neuer Kreisel-Horizont nur in echtem Nebel und nicht wie sonst wurde extra für die Versuche von Sperry unter der Hood. In seiner Autobiographie mit gefertigt. Dann zeigte sich, dass der Mag- 544 Seiten widmet er diesem Flug grade mal netkompass wegen der unvermeidbaren fünf Sätze. Kurvenfehler für die Blindlandungen zu ungenau war. Also wurde zusätzlich ein Der Flug war so eigentlich gar nicht vorge- Kurskreisel von Sperry eingebaut. sehen. Das Team wusste, dass es hunderte Am Ende waren außer den Triebwerksanzei- Male ohne Sicht sicher gelandet war. Eine gen noch elf Blindfluginstrumente in dem Demonstration im Nebel war zwar eine gute Cockpit. Darunter zwei sog. Reed-Anzeigen; Bestätigung, brachte aber keine neuen mit einer konnte man visuell dem Leg der Erkenntnisse. Eigentlich wollte die Gruppe Radio Range folgen, die andere zeigte den etwas ganz anderes: Überflug des Markers an. Doolittle hatte auf Eines der Forschungsprojekte des Full Flight solchen Anzeigen bestanden, obwohl die Laboratory war die Beseitigung des Nebels Radio Range ja für die akustische Naviga- selbst. Man hatte alles überlegt: Nebelbe- tion entwickelt worden war. Die Instrumen- seitigung mit chemischen Mitteln, mit Wind- tierung wechselte während der Tests so maschinen (Nebel „wegblasen“) und ande- schnell, dass es kein Foto der genauen res. Dann schrieb der Kiesgrubenbesitzer Cockpit-Konfiguration des Fluges vom Harry Reader aus Cleveland, der von den 24. September gibt. Versuchen gehört hatte. Reader verwendete große Brenner als Heizgeräte, um Kies und Sand zu trocknen. Ihm war aufgefallen, dass

12) James H. Doolittle: „I could never be so lucky again”, New York 1991

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sich dichter Nebel über der Kiesgrube um wieder solo fliegen, aber Guggenheim die Brenner herum auflöste, sobald die Bren- bestand darauf, dass Kelsey mitflog. Wer ner in Betrieb genommen wurden. Man lud zahlt, bestimmt, was es zu essen gibt. Also

%Croc0 Reader ein, seine Brenner auf dem Flugplatz machte es Doolittle nochmal. für Tests zu installieren. Und dann wartete man auf Nebel ... Am 24. September 1929 Am Startpunkt verriegelte Doolittle die Hood war es endlich soweit. Dicke Suppe! Zeit, über seinem Cockpit. Das war nun 100 % das FIDO13-System zu testen. Doolittle Blindflug. Kelsey hielt sich für alle sichtbar wurde um sechs Uhr morgens geweckt, man demonstrativ am oberen Flügel fest. Und so trommelte schnell die Mannschaft zusam- startete Doolittle ohne Sicht nach außen, men, rief Reader an, der sofort kam, sowie stieg geradeaus in den Nebel auf 1.000 Fuß, Harry Guggenheim, der erst später dazu flog eine 180° Kurve nach links, flog einige stieß. Doolittles Frau Joe, die spürte, dass Meilen einen Downwind, um nach einer wei- ein signifikanter Test bevorstand, erschien teren 180° Kurve das westliche Leg der ebenfalls. Radio Range zu intercepten. Dann sank er auf 200 Fuß, reduzierte auf 60 MPH und war- Man feuerte die FIDO-Brenner ... und zur Ent- tete auf das Marker-Signal am Platzrand. täuschung aller löste sich der Nebel nur in Über dem Marker Beacon zog er die Power unmittelbarer Nähe der Brenner auf. Ein tota- auf die Markierung zurück und flog den End- ler Fehlschlag.14 Aber wenn der dichte Nebel anflug – alles nach Instrumenten. Nach 15 schon mal da war, warum nicht eine Runde fliegen? Dafür hatte Doolittle schließlich lange genug trainiert. Der Flieger wurde klar- gemacht, die Funkfeuer angeworfen und schon war Doolittle allein in der Luft. Ein Sicherheitspilot hätte nichts machen kön- nen, weil das zweite Cockpit nicht für die Blindlandungen ausgerüstet war. Nach zehn Minuten Flugzeit war Doolittle wieder sicher unten. Die erste Nebellandung der Geschichte, quasi in Folge eines fehlge- schlagenen Tests. Doolittle war schon gelandet, als Harry Gug- genheim erschien. Guggenheim wollte, dass der Testflug noch mal „offiziell“ unter Zeu- gen wiederholt wird. Der Nebel hatte sich inzwischen etwas gehoben. Doolittle wollte 13) FIDO – Fog, Intensive Dispersal Of 14) Die FIDO-Entwicklung zur Beseitigung von Bodennebel von 1929 wurde nie ganz aufgegeben. Im zweiten Teil des Artikels werde ich darauf zurück- kommen. Jimmy Doolittle vor dem 2. Weltkrieg Wikipedia

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Minuten setzte er wieder auf Mitchel Field • Erste Tests von FIDO, einem System auf. zur Nebelauflösung, das in weiterent- An dem Abend gab es dann doch eine grö- wickelter Form noch bis in die 1980er- ßere Party und bald darauf auch die ersten Jahre verwendet wurde. Schlagzeilen über den Flug in den Zeitun- gen. Der kometenhafte Aufstieg von Sperry und Kollsman für Cockpitinstrumente nahm im Ende 1929, nach drei Jahren intensiver För- Full Flight Laboratorium seinen Anfang. derung der Luftfahrt, wurde der Guggenheim Fund aufgelöst, und damit auch das Full Die ersten Blindlandungen – in Europa Flight Laboratory. Man war überzeugt, dass nun die Luftfahrt auf dem richtigen Weg war. Wie schon beschrieben, entwickelte sich der Doolittle wurde für seine Arbeit für den Ins- Flug nach Instrumenten in Europa ähnlich trumentenflug mit der Harmon Trophy aus- wie in den USA vom Sichtflug aus. Navigiert

%x7vti gezeichnet (andere Preisträger waren u.a. wurde in der Verkehrsfliegerei Europas Ende Charles A. Lindbergh, Umberto Nobile, Amy der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre haupt- Jonson Mollison, Dr. Hugo Eckener, sächlich über Fremdpeilungen. So war es Prof. Auguste Piccard, Amelia Earhart Put- also kein Wunder, dass auch die ersten Ins- nam, Howard Hughes). trumentenanflüge mit Funkpeilungen durch- geführt wurden. Die Deutsche Luft Hansa Doolittle hatte also nicht nur eine Blindlan- war seinerzeit führend im Instrumentenflug dung hingelegt, sondern mit seinem Team und bildete fleißig Piloten in dieser Disziplin u. a. folgende Pionierarbeit geleistet: aus. Unter den Flugschülern der Instrumen- • Entwicklung und Test eines verbesser- tenflugkurse waren später auch Piloten, die ten künstlichen Horizonts von Sperry, für den geheimen Aufbau der noch verbote- der schnell Einzug in die Airline-Cock- nen Luftwaffe trainierten. Die Instrumenten- pits fand. flugkurse der Luft Hansa waren gut struktu- • Erster Einsatz eines Kurskreisels im riert und es wurden auch Piloten aus Instrumentenanflug anderen Ländern ausgebildet. So machten • Erster Einsatz eines Fein-Höhenmes- der bereits erwähnte Schweizer Walter sers für Instrumenten-Anflüge Ackermann und andere Piloten der Swissair • Erster Start eines Flugzeugs ohne ihre Blindflugausbildung in Deutschland. Sicht nach außen • Entwicklung von Instrumenten-Anflug- Von den verschiedenen Instrumenten- verfahren (Step-down Procedures, Ein- Anflugverfahren in Europa, die auf Fremd- satz von Marker Beacons), die in ähnli- peilung basierten, möchte ich hier nur das cher Form bis über das Jahr 2000 bekannteste der 1930-Jahre vorstellen: das hinaus geflogen wurden. ZZ-Verfahren. • Test der ersten Anzeigen für die Ablage vom Sollkurs Das ZZ-Verfahren benötigte keine Funkna- vigationsempfänger im Flugzeug. Der Pilot

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*G2pJS

Landekarte für das ZZ-Verfahren auf Tempelhof. QFM: 200/150m bedeutete: Im Endanflug die ersten vier Minuten 200m Höhe, danach 150m (Meter QFE, also über Platzhöhe).

brauchte lediglich einen guten Funker und Wind die Outbound-Flugzeit so, dass der ein Tastfunkgerät. Die Angaben im Folgen- Endanflug sieben Minuten dauerte. Begann den beschreiben einen ZZ-Anflug auf Berlin- der Pilot mit der Kurve auf den Endanflug, Tempelhof vom Osten her in die Hauptwind- funkte der Funker „Kurve“. Unmittelbar nach richtung: dem Ausrollen auf dem Endanflug fragte der Der Anflug erfolgte mittels QDM-Anfragen Funker nach QDM und gab Peilzeichen. Die des Flugzeugs und Antworten der Boden- Antworten der Bodenstation, z.B. „QDM funkstelle („Magnetischer Kurs zur Station“), 273“, mussten zurückgefunkt werden, ver- bis die Bodenfunkstelle QFG15 funkte („Sie bunden mit weiteren Peilsignalen. Ebenso befinden sich über dem Flughafen“). Dann wurde die Flughöhe beim Eindrehen in den erfolgte eine Blindflugkurve auf den Abflug- Endanflug übermittelt. In Tempelhof waren kurs, der mit mehreren QDR-Peilabfragen das 200 Meter über Grund (Flugplatzhöhe) kontrolliert wurde. Der Pilot wählt je nach für die ersten vier Minuten, dann 150 Meter. 15) Wie viele Q-Gruppen für den Funkverkehr außer Mittels weiterer QDM-Abfragen wurde vom QNH und QDM kennen Sie sonst noch? Die Fernmel- Piloten fortlaufend der Kurs korrigiert und debetriebsordnung für die Flugsicherung von 1936 listet über 150 Q-Gruppen mit ihrer Bedeutung auf. der WCA erflogen. Sowie der Peilflugleiter

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Nun verließ der Pilot die 150 Meter und sank auf 50 Meter. QDMs wurden nun nicht mehr eingeholt, der Pilot flog den zuletzt erfloge- nen Kurs und der Funker wartete auf das Haupteinflugzeichen.

Die Entscheidung zur Landung traf damals nicht der Kommandant, sondern der Peil- flugleiter, denn nur der konnte beurteilen, ob das Flugzeug gut reinkam. Blieben die letz- ten Peilungen stabil in der Mitte der „Peil- flugschneise“ und kam das Flugzeug auch akustisch gut rein, ließ der Peilflugleiter die Freigabe zur Landung funken, das „ZZ“. Es ist in der Literatur nicht genau beschrieben, wann genau der Peilflugleiter das „ZZ“ fun- ken ließ. Der Peiler war am östlichen Platz- rand von Tempelhof positioniert. In den Unterlagen für die später verwendeten UKW- Funkbaken-Anflüge mit Marker Beacons steht, dass das „Haupteinflugzeichen“ grundsätzlich 330 Meter vor dem Flughafen- zaun zu positionieren sei. Es ist anzuneh- men, dass das „ZZ“ bereits kurz vor dem Überfliegen der Platzgrenze gefunkt wurde.

Um Missverständnisse auszuschließen (die Frequenz wurde auch von anderen Statio- nen genutzt), wurde zwischen das „ZZ“ die Kennung des Flughafens gesetzt (für Tem- pelhof das „X“), und die Meldung wurde drei- mal wiederholt. Die komplette Freigabe für

*x7vti diese Landung lautete also „ZXZ ZXZ ZXZ“. Kam der Flieger schlecht rein oder war die ZZ-Anflug – Flugweg über Grund letzte Peilung unsicher, ließ der Peilflugleiter statt des „ZZ“ den Befehl zum Durchstarten funken: „JJ“ („jib jas“), als komplette Funk- meldung „JXJ JXJ JXJ“. Der Pilot musste an der Platzgrenze das Flugzeug hört, lässt dann den Anflug abbrechen. er „ME ME“ funken: „Motorengeräusche im Osten.“ Das war das sog. Voreinflugzeichen.

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Kam aber das ZZ, begann der Pilot aus der bei ZZ-Anflügen berichtet. Ein Widerspruch? letzten Höhe mit konstantem Kurs blind den Oder gar Regelverletzungen? Keinesfalls: Endanflug und landete. Nach der Fernmeldebetriebsordnung für die Verkehrsflugsicherung von 1936 gab es kei- Für das ZZ-Verfahren gab es veröffentlichte nerlei Mindesthöhe, bis zu der der Pilot bei Wetter-Mindestbedingungen. 1938 wurden der Landung Bodensicht haben musste. Das in einem Lehrbuch16 als Mindestwetter 300 heutige Konzept mit „Minimum“ und „Go- Meter Sicht und 40 Meter Wolkenunter- around“, wenn man dann nichts sieht, war grenze beschrieben. Nach einem Handbuch noch unbekannt. Bei 300 Metern Bodensicht der Luftwaffe von 1940 waren jedoch 800 in Tempelhof – wo immer dies gemessen Meter Sicht und 70 Meter Wolkenunter- worden war – konnte es durchaus sein, dass grenze*Croc0 erforderlich. Egal, wie das Minimum die landende Crew zur Landung nichts sehen war, eine Freigabe für einen ZZ-Anflug wurde konnte. nur erteilt, wenn das Wetter diesen Bedin- gungen entsprach. Dennoch wurde sowohl Bei den ZZ-Verfahren kam es also zwangs- in der Literatur als auch in mündlicher Über- läufig ab und an zu Blindlandungen, wenn lieferung immer wieder von Blindlandungen sich der Pilot das traute. Ein veröffentlichtes Verfahren war das jedoch nicht. Während 16) Grötsch: „Flugfunkpeilwesen und Funknaviga- also die Blindlandungen des Jimmy Doolittle tion“, Berlin-Tempelhof, 1938

Beispiel eines anderen ZZ-Anflugs mit mehreren „Step-Downs“. Die Buchstaben a – f bezeichneten die einzuhaltenden Höhen, die mit den anderen Daten des Anflugs auch über Tastfunk übermittelt werden konnten.

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1929 die Krönung einer langen Versuchs- Die beschriebenen Blindlandungen sowohl reihe waren, machte die Luft Hansa in den mit der Low-Frequency Radio Range als 1930er-Jahren die ersten Blindlandungen auch mit dem ZZ-Verfahren funktionierten sozusagen „aus Versehen“. nur, weil die Flugplätze große, runde Gras- Anfang der 1980er-Jahre hatte ich – damals plätze waren, wo es egal war, wo man genau noch Copilot auf einer 737-100 – aufsetzte. Und sie funktionierten auch nur, einen interessanten Besucher im Cockpit. weil die Flugzeuge so gutmütig und langsam Der ältere Herr war früher Funker auf Jun- waren. Die Ju 52 war ein robustes, bewähr- kers Ju 52 gewesen, und beschrieb mir, wie tes Flugzeug, aber ein langsamer, behäbiger er mit seinem Kapitän regelmäßig Blindlan- Drachen. Und zur Consolidated NY-2, die dungen in Berlin-Tempelhof gemacht hatte: Doolittle für seine Experimente benutzte, Nach dem Empfang des „ZZ“ habe er die schrieb er in einem Brief an den Hersteller

Schleppantenne*x7vti schnell eingekurbelt und (er bat um Speed-Modifikationen): ein Stück wieder rausgelassen. Mit der Hand „Einmal, als wir tief mit Gegenwind ent- am Antennenseil habe er dann den Blindan- lang einer Straße flogen, überholte uns flug des Piloten verfolgt. Sowie er fühlte, ein grünes Automobil. Hat meinen Stolz dass die Antenne Bodenkontakt hatte, habe ganz schön erschüttert.“ er Bescheid gesagt: Der Pilot nahm das Gas raus und die Nase hoch zur Landung ... Ob Die bisherigen Blindlandungen ließen sich es dabei nicht ab und an zu Unfällen gekom- also auf befestigten Pisten mit schnelleren men sei, wollte ich wissen. Davon war ihm Flugzeugen nicht durchführen. Dazu waren nichts bekannt. Gelegentlich habe es kleine die Navigationssysteme noch zu ungenau. Schäden beim Rollen zum Vorfeld gegeben, Die Luftfahrt-Industrie war wieder beim Null- wenn man im dichten Nebel abgestellte Flug- punkt angekommen. Statt wie erhofft zuver- zeuge zu spät gesehen habe. Die meisten lässig blind zu landen, machten es die Ver- Unfälle im Blindflug habe es aber im Reise- kehrsflieger wieder, wie wir es heute flug wegen Vereisung gegeben. eigentlich immer noch machen: Entweder sie planten einen Ausweichplatz mit gutem Das Ende der Blindlandungen Wetter oder der Flug fiel einfach aus.

Man hätte sich freuen können: Sowohl in den Meine letzte Begegnung mit den Blindlan- USA als auch in Europa schien Anfang der dungen von damals hatte ich als Boeing 737- 1930er-Jahre das lästige Nebel- und damit Pilot in Bremen: Mit der alten 737 konnten das Blindlande-Problem gelöst. Wie konnte wir nur CAT II-Anflüge bis runter auf 400 es dann dazu kommen, dass diese Fähig- Meter RVR fliegen. Und solche Anflüge gab keiten so schnell wieder verloren gegangen es Anfang der 1980er-Jahre nur an wenigen sind? Die beiden letzten Sargnägel für Blind- Plätzen in Deutschland. Nicht jedenfalls in landungen waren große Fortschritte in der Bremen, Stuttgart und Nürnberg. Weshalb Luftfahrt: Die Einführung befestigter Start- bei Nebelwetterlagen diese Flüge ausfielen. und Landebahnen und der Bau größerer und Ein alter Mann, der mit uns nach Stuttgart schnellerer Flugzeuge. wollte, schimpfte auf den Stationsleiter ein:

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Wir bei Lufthansa seien alles Memmen. Und: • FIDO-Weiterentwicklung zur Nebelbe- „Früher im Krieg sind wir auch bei null Sicht seitigung – Wenn Treibstoff keine Rolle geflogen!“ spielt Der Stationsleiter versuchte, ruhig zu blei- • Der erbitterte Streit um die Einführung ben, und meinte zu unserem Gast: „Sie des ILS landet vor dem US-Congress mögen ja recht haben. Aber wir können • Ein vollautomatischer Flug über den unmöglich jetzt extra wegen Ihnen noch mal Atlantik – 1947! einen Krieg anfangen ...“ PeterKlant@Lindbergh-.de Wie es weiter ging

Der zunehmende Luftverkehr verlangte immer drängender nach Lösungen des Blindlandeproblems. So begann in den USA Quellen und Literatur: und in Europa die Suche nach dem „Heili- [1] Die Flugpraxis; gen Gral“ der Luftfahrt: dem elektronischem Alfried Gymnich, Berlin 1927 Gleitweg. Auf beiden Seiten des Atlantiks [2] Instrument Flying – Techniques and wurden die Blindflug-Bemühungen weiter Procedures; Department of the Air verstärkt. Und zwar bald nicht mehr nur für Force, Washington, D.C. 1951 die Verkehrsfliegerei, sondern auch für das [3] Your Wings; Assen Jordanoff, New Militär. Die in Europa aufziehenden Kriegs- York – London 1943 wolken machten nahezu unbegrenzte Mittel [4] Aircraft Radio – With a Chapter on Air- für die Forschung frei. port and Airway Lighting Dr. Hay Surgeoner, London 1938 Erfahren Sie im zweiten Teil meines Artikels [5] Flugfunkwesen Teil II: mehr über: Flugzeugstationen und Peilgeräte – • Lorenz: UKW-Anflugbake mit rudimen- Flugsicherung und Fernmeldebetrieb tärem Gleitweg – Funkverkehr mit Luftfahrzeugen – • Siemens auf dem Weg zur automati- Funknavigation – Schlechtwetter-Lan- schen Landung deverfahren; Karl Möbius, Berlin 1942 • Erste Gleitweg-Versuche in den USA [6] Principles of Aviation – Volume I • Das Militär besteht auf einem „graden“ The Curtiss-Wright Ground School Gleitweg. Text Course I; W.F. Gerhardt, New • In die Magnetron-Röhre geschaut: Das York City 1929 Looser-System MLS [7] Bordfunkgeräte – Vom Funkensender • Der Zweck heiligt die – unbegrenzten zum Bordradar; Fritz Trenkle, Bonn – Mittel: Die Entwicklung des ILS. 1986 • Eine unerwartete Erfindung: GCA – [8] Practical Air Navigation Ground Controlled Approach U.S. Department of Commerce – Civil

*x7vti Aeronautics Administration Washington D.C. 1940

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[9] Instrument Flying – Instrument Trainer Army Air Forces, Patterson Field, Fair- field, Ohio 1944 [10] Bordbuch eines Verkehrsfliegers Walter Ackermann, Leipzig 1934 [11] Pionierflüge eines Lufthansa-Kapitäns 1926 – 1945; Siegfried Graf Schack von Wittenau, Stuttgart 1981 WE ARE HIRING [12] Die Fernmeldebetriebsordnung für die

Verkehrsflugsicherung (FBO) ­– in %1se2A Pilatus PC-24 crew based Frage und Antwort; Dipl.-Ing. W. Feil- in Saint-Gall (CH) And much more… hauer, Berlin 1936 [13] Flugfunkpeilwesen und Funknaviga- tion; Rudolf Grötsch, Berlin-Tempelhof 1938 Follow your passion [14] Die Luftfahrt-Navigation – Ein Hand- WWW.JETFLY.COM Join us! buch für den Dienstunterricht Theo E. Sönnichsen, Berlin 1940 [15] Blind Landings Low-Visibility Operati- ons in American Aviation, 1918 – 1958 Eric M. Conway, Baltimore, Maryland 2006 [16] The Spirit of St. Louis; Charles A. Lindbergh, New York 1953 [17] I Could Never Be So Lucky Again Gen. James H. „Jimmy“ Doolittle – Caroll V. Glines ; New York – Toronto – London – Sydney – Auckland 1992

Alle Bilder aus der Sammlung des Autors, außer: • DH 4 Airmail Plane – Wikipedia • Portrait Jimmy Doolittle – Wikipedia • Turn & Bank Indicator – Foto: Lars Eke- WWW.JETFLY.COM lund, Flygvapenmuseum https://digitaltmuseum.se/011023008148/ svangindikatorr

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