Journal for Transcultural Presences & Diachronic Identities from Antiquity to Date thersites 12/2020

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Universität Potsdam 2021 Historisches Institut, Professur Geschichte des Altertums Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam (Germany) https://www.thersites-journal.de/

Editors Apl. Prof. Dr. Annemarie Ambühl (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) Prof. Dr. Filippo Carlà-Uhink (Universität Potsdam) Dr. Christian Rollinger (Universität Trier) Prof. Dr. Christine Walde (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

ISSN 2364-7612

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Cover pictures: Alana Jelinek: Not Praising, Burying (2012). Performance pictures.

Published online at: https://doi.org/10.34679/thersites.vol12

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Patrick Reinard (Universität Trier)

Rezension von Kristopher F. B. Fletcher/ Osman Umurhan (eds.): Classical Antiquity in Heavy Metal Music

Bloomsbury (London/New York 2020) (Imagines), 272 pp. ISBN: 9781350075375, £ 81.00 (hb, also available as e-book).

Dieser anregende Sammelband, der gearbeitet wird, sowie kurz in die Me­ auf ein Tagungspanel des ‚Annual thodik zur rezeptionsgeschichtlichen Meeting of the Classical Association of Erforschung musikalischer Werke ein­ the Middle West and South‘ (CAMWS) leiten (S. 3 – 6);​ insbesondere die mit 2014 zurückgeht, richtet sich nicht nur ‚Reception in Music‘ überschriebenen an geschichtswissenschaftliche Leser, Ausführungen (S. 5 f.) sind hilfreich. sondern auch an Musikwissenschaftler, Gleiches gilt für die einleitenden Be­ die auf die verschiedenen Spielarten merkungen zu den sog. ‚Metal Studies‘ des Genres ‚Heavy Metal‘ spezialisiert (S. 12 – 14).​ Bezüglich der Einschätzung, sind. Aufgrund dieser Orientierung „When people talk about Classical recep­ bieten die Herausgeber eine lesens­ tion in music, what they almost univer­ werte, mit „Introduction: Where Metal sally mean is Classical music, especially and Classics Meet“ überschriebene opera.“ (S. 5), sei angemerkt, dass dies Einleitung (S. 1 – 21),​ in welcher sie all­ gewiss davon abhängig ist, welche Per­ gemein in die althistorische Rezep­ sonengruppe man fragt. Natürlich über­ tionsgeschichte, wobei die Relevanz des wiegen die rezeptionsgeschichtlichen Musikgenres ‚Metal‘ für selbige heraus­ Studien zum Antikenbild in klassischer

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This work is licensed under a Creative Commons License URL https://thersites-journal.de Attribution 4.0 International (CC BY 4.0). DOI https://doi.org/10.34679/thersites.vol12.188 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ 140 Rezension von Kristopher F. B. Fletcher/Osman Umurhan (eds.):

Classical Antiquity in Heavy Metal Music

Musik.1 Aber dies mag natürlich daran Die kurze Darstellung der Historie des liegen, dass Altertumsforscher (bisher) Musikstils ‚Metal‘ ist für ‚Experten‘ ver­ eher das Werk von Beethoven, Wagner mutlich zu allgemein verfasst, dürfte u. a. und seltener z. B. die klassischen mit Blick auf den adressierten Leser­ Werke der ‚New Wave of British Heavy kreis aber sicher nützlich sein. Was man Metal‘ (NWOBM) rezipiert haben. Un­ vermisst, ist eine tiefergehende sozial­ ter Umständen verschiebt sich diese geschichtliche Einordnung des ‚Metal- ‚Schnittmenge‘ in den nächsten Jahr­ Lifestyles‘, der für bestimmte kulturelle zehnten. Dass die Metal-Szene ein sehr Wahrnehmungen, einen besonderen Ha­ weitläufiges und progressives Themen­ bitus und vielleicht auch für ein speziel­ feld für die Antikenrezeption bietet, ma­ les Geschichtsinteresse stehen kann.2 chen die Herausgeber in ihrer Einleitung Die Herausgeber betonen, dass die sehr deutlich. In selbiger wird, gewiss Analyse der Songtexte im Zentrum der an die altertums- bzw. geschichtswissen­ rezeptionsgeschichtlichen Studien ste­ schaftlich orientierte Leserschaft adres­ hen soll. Darin sehen sie eine wichtige siert, auch eine kurze Geschichte des Aufgabe, die die rezeptionsgeschicht­ ‚Heavy Metal‘ (S. 6 – 10)​ sowie die Ent­ liche von der rein musikwissenschaft­ wicklung der mediterranen Metal-Sze­ lichen Forschung, für die die Texte oft ne (S. 10 – 12)​ skizziert; dabei geht es in zweitrangig seien, unterscheiden wür­ erster Linie um eine Abgrenzung von de (S. 13). Als weitere ‚Quellen‘ neben ‚Mediterranean Metal‘ und ‚Viking Me­ den Songtexten werden in den Beiträ­ tal‘ (S. 10 f.), wobei – soweit ich sehe – sich eigentlich nur Zweitgenannter als eigenständiges Subgenre etabliert hat. 2 Vgl. z. B. das Buch von H. Schmenk/Chr. Krumm, Kumpels in Kutten: Heavy Metal im Ruhrgebiet, Bottrop 2010, in welchem u. a. der Zusammenhang von Jugendbewegungen und 1 Verwiesen sei nur auf folgende Publikatio­ dem Aufkommen der Metal-Musik im Ruhr­ nen: J. Leonhardt/S. Leopold/M. Meier (Hrsg.), gebiet der 1980er Jahre thematisiert wird; Wege, Umwege, Abwege. Antike und Oper grundlegend zur Geschichte des Metals vgl.: in der 1. Hälfte des 20. Jahrhundert, Stuttgart I. Christie, Sound of the Beast: The Complete 2011; K. Droß-Krüpe (ed.), Great Women on Headbanging History of Heavy Metal, New Stage. The Reception of Women Monarchs from York 2003. Dieses Werk liegt unter dem etwas Antiquity in Baroque Opera, Wiesbaden 2017; verdrehten Titel „Höllen-Lärm. Die komplette, M. Meier, Das Kunstwerk der Zukunft und die schonungslose, einzigartige Geschichte des Antike – Konzeption, Kontexte, Wirkungen, Heavy Metal“ auch in deutscher Übersetzung Würzburg 2019; K. Droß-Krüpe, Semiramis, de vor (inzwischen 2. Aufl. von 2013); durch die qua innumerabilia narrantur. Rezeption und Veränderung des Titels geht bei der Über­ Verargumentierung der Königin von Babylon setzung eine denkbare Anspielung auf Iron von der Antike bis in die opera seria des Maidens legendäres und epochemachendes Barock, Wiesbaden 2020. ‚The Number of the Beast‘ verloren.

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gen verschiedentlich auch Interviews, ist. Fletcher behandelt italienische Albumcovers, Booklets, Videos, Face­ Bands – hauptsächlich zwei Konzept­ book-Posts, YouTube-Kanäle, Büh­ alben von Stormlord und Heimdall – und neninszenierungen etc. ausgewertet. analysiert deren Umgang mit Vergils Insgesamt darf man festhalten, dass eine Meisterwerk; insbesondere die Unter­ rezeptionsgeschichtliche Methodik in suchung der Sprache (also der Song­ allen Beiträgen umsichtig angewandt texte) sowie die textnahe Analyse sind wird, insbesondere wird die Intertextua­ sehr überzeugend (S. 33 ff.). Die beiden lität zwischen Songtexten und antiken Bands haben Vergil in unterschiedli­ Quellen eruiert, wobei man vereinzelt cher Güte rezipiert und verwertet und noch stärker den Einfluss einer Meta­ in manchen Textpassagen einen patrio­ rezeption untersuchen könnte. Nicht tischen Unterton, ohne jedoch ins Po­ selten liegt bekanntlich in der moder­ litisch-Reaktionäre zu verfallen. Dies nen Populärkultur die Rezeption einer wäre an sich noch nicht weiter verwun­ Rezeption vor, man nimmt etablierte derlich. Doch schließt Fletcher daran Narrative verschiedener Medien und eine Untersuchung von weiteren ita­ Kunstgattungen auf, ohne dass man die lienischen Bands an, die Vergil und ge­ antiken Ursprünge kennt. Diese mit­ nerell die römische Vergangenheit für telbare Weitergabe ist wahrscheinlich rechtspolitische Aussagen verargumen­ auch für viele Metalkomponisten an­ tieren (S. 40 ff.). Es handelt sich um die zunehmen. Man bedient die Erwartungs­ Band Hesperia, über deren öffentliche haltung der Rezipienten, ‚liefert‘ das politische Statements Fletcher völlig zu erwartete Bild, da zu drastische Abwei­ Recht festhält, dass sie bestenfalls frem­ chungen missverstanden oder missbilligt denfeindlich, eigentlich rassistisch sei­ werden könnten. Diese kurze reflektie­ en (S. 41). Eine weitere italienische Band rende Anmerkung soll aber keinesfalls namens Centvrion kann von Fletcher die Güte des Sammelbandes schmälern. ebenfalls als rechtsnationalistisch ein­ Er bietet neben der Einleitung neun an­ geordnet werden. Sehr deutlich wird regende Fallstudien, die in vielerlei Hin­ in den Lyrics dieser Band der früheren sicht lehrreich sind und zum eigenen vermeintlichen imperialen Weltherr­ Nachforschen anregen. schaft nachgetrauert (S. 41 f.). Ganz ähn­ Der Aufsatz von K. F. B. Fletcher lich liegt der Fall auch bei Holy Martyr, („Vergil’s Aeneid and Nationalism in für die das antike Rom gleichbedeutend Italian Metal“; S. 23 – 51)​ ist als heraus­ ist mit „a simplified version of ‚Western ragend anzusehen. Denn er zeigt un­ Civilization‘, which is equated with mittelbar, wie zwingend notwendig Europe, and reflects the idea that the geschichtswissenschaftliche Forschung Roman Empire was synonymous with zur Antikenrezeption im Heavy Metal Europe“ (S. 43). Deutlich kann Fletcher

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zeigen, dass bei Bands wie Heimdall und Die Band Heimdall wird noch in Stormlord diese rechten Interpretations- einem weiteren Aufsatz ausführlich the­ und Instrumentalisierungsmuster von matisiert: In L. Crofton-Sleighs Beitrag Geschichte nicht vorliegen. Insgesamt „Heavy Metal Dido: Heimdall’s ‚Bal­ zeigt sein Aufsatz aber, wie wichtig re­ lad of the Queen‘“ (S. 115 – 129)​ wird Dido zeptionsgeschichtliche Studien und ein als selbstbewusster und starker Charak­ klares Dekonstruieren von verblende­ ter präsentiert. Crofton-Sleigh unter­ ten Geschichtsbildern in einer relativ ge­ sucht eindringlich die Songtexte sowie schlossenen Subkulturgruppe wie der vermutlich zugrundeliegende Textpas­ Metal-Szene sind. Das Bestreben, die un­ sagen Vergils (S. 118 ff.). Bemerkens­ tergegangene Größe Roms zu glorifizie­ wert ist auch ihr intensiver Verweis auf ren und dafür Vergils ‚Nationalgedicht‘, bestimmte Musikelemente (mit exak­ welches – etwa auch neben Aussagen ter Angabe der Songstelle), die die in Georgica und Eklogen – als Idealisie­ Aussagen der Lyrics unterstreichen. Ins­ rung und Legitimation augusteischer Al­ gesamt kann Crofton-Sleigh aufzeigen, leinherrschaft gelesen werden kann,3 als wie Heimdall die Dido der antiken Lite­ geschichtliche Darstellungsfolien her­ ratur in eine machtvolle eigenständige auszuziehen, ist bedenklich und bedarf Königin transformieren. Der Beitrag ist deutlicher Kritik !4 auch für die Gender Studies sehr inter­ essant. Dies gilt auch für den Aufsatz von Linnea Åshede und Anna Foka („Cas­ 3 Vgl. z. B. D. Kienast, Augustus. Prinzeps und sandra’s Plight: Gender, Genre, and Monarch, Darmstadt3 1999, 276 ff. u. 293 ff.; R. von den Hoff/W. Stroh/M. Zimmermann, Historical Concepts of Femininity in Divus Augustus. Der erste römische Kaiser Gothic and Power Metal“; S. 97 – 114).​ und seine Welt, München 2014, 112 ff. u. 154 ff.; H. Ottmann, Geschichte des politischen Den­ kens, Bd. 2: Die Römer und das Mittelalter, Teil­ wissenschaft, München 1982, 243 ff.; R. Faber, band 1: Die Römer, Stuttgart 2002, 185 ff.; vgl. Présence de Virgile‘. Seine (pro)faschistische auch die Literatur in Anm. 4; differenzierter: Rezeption, in: Quaderni di storia 18 (1983) 233 – ​ D. Gall, Die Literatur in der Zeit des Augustus, 271; L. Canfora, Fascismo e bimillenario della Darmstadt 2006, 20 ff.; kritisch gegenüber einer nascita di Virgilio, in: Enciclopedia virgiliana 2 monothematisch politischen Interpretation: (1985) 469 – 472;​ I. Stahlmann, Imperator Caesar M. von Albrecht, Vergil. Bucolica – Georgica – Augustus. Studien zur Geschichte des Princi­ Aeneis. Eine Einführung, Heidelberg2 2007, patsverständnisses in der deutschen Altertums­ 24 f., 70 f. u. 171 ff. wissenschaft bis 1945, Darmstadt 1988, 161 ff.; 4 Eine entsprechende Auslegung und Instru­ R. Thomas, Virgil and Augustan Reception, mentalisierung Vergils ist bekanntlich keine Cambridge 2001, 222 ff.; J. Chapoutot, Der Na­ neue Erscheinung; vgl. exemplarisch: K. Christ, tionalsozialismus und die Antike, Darmstadt Römische Geschichte und deutsche Geschichts­ 2014, 146 ff.

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Sie führen beide zu Recht auf, dass das kann. Ihre abschließende Bewertung ist Vorurteil, die Metal-Szene sei von kon­ überzeugend: „Both Theatre of Tragedy servativen Geschlechterrollen geprägt and Blind Guardian choose to raise the (vgl. S. 111), nur noch teilweise zutref­ question of power in Cassandra’s nar­ fen würde.5 Sie weisen einerseits auf rative by focusing on its perceived anti­ die zunehmende Anzahl von Musike­ thesis: powerlessness“; und weiter: „In rinnen hin – in der Tat ist die Zahl der the hands of both bands, Cassandra be­ Frontfrauen in den letzten ca. zwei Jahr­ comes an embodied locus for discussing zehnten deutlich angestiegen –, betonen powerlessness­ in the terms and issues andererseits aber auch die inhaltlichen most relevant to their respective sub­ Themen, in denen emanzipierte Frauen genres, within sexual/intimate relations inzwischen häufiger sind. Dies zeigen sie and social/collective relations, respec­ in ihrem Beitrag anhand der Kassandra- tively“ (S. 111). Wie Åshede und Foka auf­ Darstellungen, wie sie von den beiden zeigen, gelingt es beiden Bands, die aus deutschen Bands Theatre of Tragedy und der antiken Vorlage entwickelte eigen­ Blind Guardian in einem bzw. in zwei ständige Figur für gesellschaftsrelevante Songs vorgelegt wurden. In ihrer Ana­ Aussagen zu verwenden. lyse setzen sie sich auch mit den antiken In dem sehr lesenswerten Aufsatz Dramen eines Euripides oder Aischylos „A Metal Monstrum: Ex Deo’s Caligula“ auseinander, die man mit dem Songtext von I. Magro-Martínez (S. 131 – 153)​ wird von Theatre of Tragedy gut verbinden sehr umsichtig das Werk der italienisch- kanadischen -Band Ex Deo behandelt. Der Frontmann der Band, Maurizio Iacono, interessiert sich sehr 5 Als negative Beispiele für Metalsongs, die für die römische Geschichte und behan­ ein einseitiges Geschlechterbild verbreiten, delt in den Songs ausschließlich antike werden nachvollziehbar Manowars ‚Achilles, Agony and Ecstasy in Eight Parts‘, ein auf Themen. In Interviews, die Magro-​ Homers Ilias aufbauender Song, sowie der Martínez neben den Songtexten, Face­ mehrfach in der althistorischen Rezeptions­ book-Posts und Musikvideos ausführlich geschichte wahrgenommene Song ‚Alexander auswertet, bekundet er u. a., dass er das the Great‘ von Iron Maiden angeführt; vgl. S. 96; zur Alexander-Rezeption vgl. C. T. Djurslev, Nebeneinander von verrückten, perver­ The Metal King: Alexander the Great in Heavy sen und intelligenten Kaisern in der rö­ Metal Music, in: Metal Music Studies 1 (2014) mischen Geschichte schätze (S. 136). Des 127 – 141.​ Wie sehr die Szene bis in die 1990er Weiteren äußert er, dass er seinen Fans Jahre durch maskuline, heterosexuelle und keine differenzierte Geschichtsbetrach­ konservative Vorstellungen geprägt war, betont tung, sondern plakativ bekannte Ge­ auch Rob Halford in seiner jüngst erschienenen Autobiographie (Confess. The Autobiography, schichtsinhalte liefern möchte, um sie London 2020). nicht zu überfordern: „If I go too far into

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history … people will never really ma­ in der hohen Kaiserzeit ausgeprägten nage to get into Ex Deo“ (S. 137). Wie Bild des wahnsinnigen und gewalttäti­ Magro-Martínez anhand eines kurzen gen Herrschers abgleichen.7 Ex Deo geht Überblicks über die Songs der ersten es dabei um die Brutalität des Kaisers, drei Ex Deo-Alben aufzeigt,6 gelingt es die explizit und plastisch beschrieben Iacono, jeweils thematisch allgemein be­ wird; dies entspricht natürlich sehr gut kannte Ereignisse der römischen Ge­ den gängigen Themen des Genres ‚Death schichte als Songtitel zu wählen (S. 136). Metal‘. Mit Caligula befassen sich nur Es wird offensichtlich, dass man hier zwei Songs, es handelt sich – auch wenn keine quellenkritische Dekonstruktion der Albumtitel dies vermuten lässt – des geläufigen Caligula-Bildes erwarten nicht um ein Konzeptalbum. In ‚I, Ca­ darf, vielmehr werden einzelne Gewalt­ ligula‘ wird, wie Magro-Martínez betont, inhalte dieses topischen Bildes weiter auf auf antike Quellen zurückgehende ausgeprägt (S. 135 ff.). Damit einher geht biographische Inhalte rekurriert. So wird ein sehr einseitiges Antikenbild, so im Songtext ausdrücklich betont, dass meint Iacono: „[…] the Roman historical der junge Caligula viele Familienmitglie­ subject fits perfectly into Metal, there is der verloren habe (S. 140). Bemerkens­ something brutal, hard, obscure in both“ wert ist ferner, dass in dem Musikvideo (S. 136). Das zweite Album trägt, wie ge­ zu dem Song als typisch ‚römisch‘ emp­ sagt, den Namen ‚Caligvla‘, wobei die fundene Settings wie die Gladiatoren­ Antikenrezeption bereits bewusst bei kämpfe betont werden, auch wenn sich der Schreibweise des U/V einsetzt (vgl. dafür im Zusammenhang mit Caligu­ die Abbildung 6.1 auf S. 137); das Cover la nur bedingt Vorlagen in den antiken ziert eine an antike Vorbilder grob an­ Quellen finden lassen (S. 141).8 Zudem gelehnte Reiterstatue Caligulas. Der von wird Caligulas gewaltvoller Umgang mit Ex Deo vorgestellte Caligula lässt sich, wie Magro-​Martínez anhand der Song­ texte und antiker Aussagen von Sueton 7 Zum wahnsinnigen Kaiser vgl. F. Sittig, Psy­ herausarbeitet, sehr gut mit dem bereits chopathen in Purpur. Julisch-claudischer Caesa­ renwahnsinn und die Konstruktion historischer Realität, Stuttgart 2018.

6 Neben dem im Aufsatz hauptsächlich behan­ 8 Dass der Gladiatorenkampf als typisch für delten Caligvla-Album hat die Band zwei Alben das alte Rom empfunden wird, geht gewiss vorgelegt, das Erstwerk ‚Romulus‘ konzentrierte auf berühmte Filme wie ‚Spartacus‘ oder ‚Gla­ sich trotz des Titels hauptsächlich auf die Zeit diator‘ zurück; vgl. M. Junkelmann, Holly­ der späten Republik und das dritte Album ‚Im­ woods Traum von Rom. „Gladiator“ und die mortal Wars‘ behandelt den 2. Punischen Krieg. Tradition des Monumentalfilms, Mainz 2004; Das vierte Album soll sich dem Titel und dem M. Winkler (ed.), Gladiator. Film and History, Cover nach dem Kaiser Mark Aurel widmen. Malden 2004.

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einer spärlich bekleideten Sklavin in­ Films (S. 150). Dieser berühmte Film­ szeniert. Bewusst werden also mit dem auftakt dürfte auch den Schlusssatz in antiken Rom verbundene Rezeptionsbil­ ‚The Tiberius Cliff (Exile to Capri)‘ be­ der bemüht, um eine authentische Aura einflusst haben; natürlich könnte, wie zu erzeugen; dabei passen Gladiatoren­ dies Magro-Martínez ausführt, auch kämpfe natürlich sehr gut in die Ge­ eine Textstelle bei Philo von Alexandria walt-Thematik desEx Deo-Songs. Ferner ausschlaggebend gewesen sein (S. 141). bedient das Musikvideo auch gezielt die Wirkmächtiger ist aber gewiss der Film, Gerüchte um die vermeintlichen inzes­ den Iacono zudem bewusst mit dem Al­ tuösen Beziehungen zwischen Caligula bum verbindet, insbesondere mit die­ und seinen Schwestern (S. 141).9 sem Song. Angeblich unbewusst, so die Magro-Martínez hat des weiteren Aussagen der Band, wurde das Caligula- sehr schön den Einfluss des berühm­ Album zudem am 31. August 2012, also ten und berüchtigten Caligula-Films genau 2000 Jahre nach der Geburt des von Tinto Brass herausgearbeitet. In Kaisers, veröffentlicht (S. 136). dem zweiten Caligula thematisierenden Anzumerken ist auch, dass Ex Deos Song ‚The Tiberius Cliff (Exile to Capri)‘ Caligula zwar als gewalttätiger Herr­ wird eine Dialogpassage des Films di­ scher vorgeführt wird und seine ver­ rekt aufgegriffen und verwendet (S. 140). meintliche willkürliche Tyrannei Iacono spielt auch im Social Media- der Anlass für diese Rezeption ist, man Auftritt der Band bewusst mit Anspie­ aber – dies unterscheidet Ex Deo ge­ lungen auf den Skandal-Film. Als der wiss von den rechtspolitisch orientierten Titel des Albums 2010 online bekannt Bands, die Fletcher thematisiert hat –, gegeben wurde, postete der Sänger die nicht von einer Verherrlichung oder gar ersten berühmten Sätze des Caligula- Sehnsucht sprechen kann. Ex Deo erzäh­ len die antiken Quellentexte, insbeson­ dere Sueton quellenunkritisch nach, 9 Hier sei ein kurzer Erfahrungsbericht er­ überspitzen manche Inhalte im Rahmen laubt: Zeigt man Studierenden in einem Kurs ihres Subgenres, instrumentalisieren Ge­ zu Caligula das Musikvideo der Band (https:// schichte aber nicht. Magro-Martínez www.youtube.com/watch?v=NSW01sWSPQY) [abgerufen am 1. 1. 2021], sind diese in der Lage, zeigt dies in seiner kritischen Auseinan­ Ursprung und Herkunft verschiedener plaka­ dersetzung deutlich (S. 147 f.). tiver ‚Aussagen‘ zu benennen; auch ohne die Anzumerken ist zudem, dass die Cali­ Lyrics exakt zu verstehen. Die vereinfachte Dar­ gula-Songs von Ex Deo gewiss ein Para­ stellung des gewalttätigen, blutlüsternen und debeispiel für die Aufnahme bestimmter vermeintlich inzestuösen Kaisers funktioniert in der Populärkultur durch Massenme­ in dem Musikvideo dadurch, dass sie quasi die gleichen Inhalte betont, die auch Sueton ver­ dien etablierter ‚Bilder‘ sind. Neben dem wendet, um seine Intention auszudrücken. Film von Tinto Brass hat zweifellos, wie

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auch Magro-Martínez anmerkt (S. 138), Auch die Beeinflussung durch andere der berühmte I, Claudius-Roman von Bands, etwa das ‚Powerslave‘-Album R. Ranke-Graves bei der Wahl des Song­ von Iron Maiden, wird behandelt (S. 181). titels eine Rolle gespielt. Hier fließen di­ Olabarria hat einen spannenden Beitrag rekte klare Rezeptionsebenen aus den vorgelegt, der die Rezeptionswege, über antiken Quellen sowie solche aus an­ welche die Band ihre historischen ‚In­ deren späteren Medien zusammen und formationen‘ bezieht, nachzeichnet und passen sich in ein Narrativ ein. zugleich die entsprechenden Querver­ Ähnlich wie Ex Deo ist die amerika­ bindungen zu anderen Populärmedien nische Death Metal-Band Nile eben­ andeutet. falls auf antike Themen, in diesem Fall Insgesamt bieten die Beiträge des auf das pharaonische Ägypten und Bandes, von denen hier lediglich eine den Orient, spezialisiert. In ihrem Auf­ repräsentative Auswahl angesprochen satz „‚When the Land was Milk and wurde, eine gelungene Mischung. Die Honey und Magic was Strong and Vielfalt der Antikenrezeption in ver­ True‘: Edward Said, Ancient Egypt, schiedenen Metal-Genres wird anhand and Heavy Metal“ (S. 173 – 199)​ unter­ der behandelten Aufsätze sehr deut­ sucht L. Olabarria den Umgang der lich aufgezeigt. Dabei wird ersichtlich, Band mit den ägyptologischen und alt­ dass zum Teil antike Vorlagen weiterent­ orientalischen Stoffen, fragt nach den wickelt werden, um dadurch zeitgenös­ Informationsquellen bzw. Quellenvor­ sische Themen kritisch anzusprechen. lagen (S. 187 ff.) und behandelt umsichtig Die Aufsätze von Åshede und Foka so­ die von der Band verbreiteten Ägyp­ wie von Crofton-Sleigh mit Bezug zu ten- und Orientbilder (S. 190 ff.). Diese den Gender Studies zeigen dies sehr sind meist recht populärwissenschaft­ schön. Der Aufsatz von Magro-Martínez lich, was an die Aussage Iaconos bzgl. führt daneben sehr gut vor Augen, wie der Überforderung des Publikums er­ ein antikes Bild aufgrund bestimmter innert. Auch bei Nile spielen brutale Spezifika herausgegriffen wird und ohne und blutige Bilder sowie verschiedenste grundsätzliche Veränderung weiter in okkulte Inhalte eine zentrale Rolle, häu­ der gleichen Narrativtradition ausgestal­ fig werden Menschenopfer oder Ne­ tet wird. Fletchers wichtiger Beitrag kromantie thematisiert. Die Band ist zeigt die dringliche Notwendigkeit ge­ dabei u. a. von Horrorschriftstellern wie schichtswissenschaftlicher Auseinan­ H. P. Lovecraft oder R. E. Howard be­ dersetzung mit dem in Rede stehenden einflusst (S. 188). Trotz der Nennung im Thema auf. Die Instrumentalisierung Titel sind die Ausführungen zu Edward antiker Vergangenheit für rechtspoliti­ Said recht knapp (S. 174 u. 190 f.). Sein sche und fremdenfeindlich-rassistische Einfluss wird dennoch deutlich gezeigt. Aussagen ist sehr traurig ! Sie muss von

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wissenschaftlicher Seite klar öffentlich Inhaltsverzeichnis benannt werden. Ob dies dann irgendeine Wirkung Acknowledgements zeitigt, darf man bezweifeln. Die Schnitt­ menge von Metalfans, Metalmusikern List of Illustrations und rezeptionsgeschichtlichen Forsche­ rinnen und Forschern dürfte recht über­ Introduction: Where Metal and Classics schaubar sein. Die meisten Leser werden Meet, K. F. B. Fletcher (Louisiana State Fachwissenschaftler sein. Aber das ist University, USA) and O. Umurhan (Uni­ in mancher Hinsicht vielleicht ein Pro­ versity of New Mexico, USA) blem, das die Antikerezeption im Heavy Metal mit anderen Spezialgebieten der 1. Vergil’s Aeneid and Nationalism in Rezeptionsgeschichte, z. B. der Anti­ Italian Metal, K. F. B. Fletcher (Louisiana kedarstellung in Computerspielen, teilt. State University, USA) Vielleicht sollte man bei solchen The­ men über einen Medienwechsel nach­ 2. Eternal Defiance: Celtic Identity denken, um mehr Leute aus der ‚Szene‘ and the Classical Past in Heavy Metal, direkt ansprechen zu können. Denk­ Matthew Taylor (Beloit College, USA) bar wären online-Formate (z. B. histori­ sche Podcasts und Blogs oder im Falle 3. Screaming Ancient Greek Hymns: von Musikvideos historisch orientierte The Case of Kawir and the Greek Black Let’s-Analyse-Videos), die in einschlägi­ Metal Scene, Christodoulos Apergis (Na­ gen Fanforen oder Social-Media-Seiten tional and Kapodistrian University of wahrgenommen werden könnten. Athens, Greece) Am Beginn des Bandes fragen die Herausgeber: „Why an entire book 4. Cassandra’s Plight: Gender, Genre, devoted to the reception of Classical and Historical Concepts of Femininity in antiquity in heavy metal music ?“ (S. 1). Goth and Power Metal, Linnea Åshede Diese Frage stellt sich nach der Lektüre (University of Gothenburg, Sweden) and der in vieler Hinsicht lesenswerten und Anna Foka (Uppsala University, Sweden) anregenden Beiträge nicht. Viel eher darf man hoffen, dass weitere Bände die­ 5. Heavy Metal Dido: Heimdall’s “Bal­ ser Art folgen werden. lad of the Queen”, Lissa Crofton-Sleigh (Santa Clara University, USA)

6. A Metal monstrum: Ex Deo’s Caligula, Iker Magro-Martínez (University of the Basque Country, Spain)

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148 Rezension von Kristopher F. B. Fletcher/Osman Umurhan (eds.):

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7. Occult and Pulp Visions of Greece Bibliography and Rome in Heavy Metal, Jared Secord (Washington State University, USA) Index

8. “When the Land was Milk and Honey https://www.bloomsbury.com/us/ and Magic was Strong and True”: Ed­ classical-antiquity-in-heavy-metal-​ ward Said, Ancient Egypt, and Heavy music-9781350075351/ Metal, Leire Olabarria (University of Ox­ ford, UK)

9. Coda: Some Trends in Metal’s Use of Dr. Patrick Reinard Classical Antiquity, Osman Umurhan Fachbereich III – Alte Geschichte (University of New Mexico, USA) Universität Trier

Suggested citation Patrick Reinard: Rezension von Kristopher F. B. Fletcher/Osman Umurhan (eds.): Classical Antiquity in Heavy Metal Music. In: thersites 12 (2020), pp. 140 – 149. https://doi.org/10.34679/thersites.vol12.188

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