Kino Der Angst: Henri-Georges Clouzot R E F N E ’ L
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Kino der Angst: Henri-Georges Clouzot R E F N E ’ L u z n e t i e b r a h e r D n e d i e b r e d i e n h c S y m o R d n u t o z u o l C s e g r o e G - i r n e H Menschen in der Zerreißprobe – physisch, moralisch, den: LE SALAIRE DE LA PEUR (1953) und LES DIABO - charakterlich. Sie müssen höllisch schwitzen, angstvoll LIQUES (1955). Schon die erste Einstellung seines ers - zittern, innerlich und äußerlich zerbrechen, das heißt ten Spielfilms, L’ASSASSIN HABITE AU 21 (1942), sich offenbaren: in ihren hochfahrenden Ambitionen nimmt den Zuschauer direkt hinein in den Thrill: Aus und dem Scheitern, in ihren niederen Beweggründen, der Perspektive des Mörders erlebt man die nächtliche, den Obsessionen, auch in ihrer unantastbaren Schön - bedrohliche Schatten werfende Verfolgungsjagd des heit. Sie müssen labyrinthische Räume durchirren, zu - Opfers. Clouzots Bilder, geformt mit detailversessener meist Anstaltsräume (Kliniken, Internate, Theater), oder Präzision, prägen sich der Netzhaut wie dem Unterbe - Wüsten durchqueren – lebensbedrohliche Sphären. Sie wusstsein tief ein: der gespenstische Leichnam in der führen, innerlich und äußerlich, explosives Material mit Badewanne (Paul Meurisse in LES DIABOLIQUES), der t o z sich, transportieren zum Beispiel Nitroglyzerin auf zwei wie ein Zombie aus dem Schlamm auftauchende Lkw- u o l Lastwagen. Die nette Bombe in der Aktentasche ge - Fahrer (Charles Vanel in LE SALAIRE DE LA PEUR). Kino C s nügt Clouzot nicht, er braucht die Steigerung ins Exzes - der radikalen Desillusionierung. Gut und Böse werden e g sive und Exzentrische. Wenn die Sonne scheint, dann niemals hübsch sortiert. Dem Zynismus der Macht ha - r o e brennt sie herab und brütet Angstschweiß aus; wenn ber entspricht die Skrupellosigkeit der Habenichtse. G - i es regnet – und es regnet oft in Clouzot-Filmen – dann So entsteht ein eigenwilliges, spektakulär imaginiertes r n e gleich in Strömen, sodass schon mal die Kleidung an Universum. André Bazin, Frankreichs Starkritiker der H der Haut klebt. Kaum ein anderer hat das Kino der 1950er Jahre, über Clouzot: »Von all den französischen 80 Angst derart scharf und exzessiv ausgeprägt wie Henri- Filmemachern, die seit 1940 hervorgetreten sind, ist Georges Clouzot (1907–1977). Clouzot zweifellos derjenige, dem das Kinematographi - Existentialismus in Form des Thrillers. Dem Zeitgeist sche – man verzeihe mir den Ausdruck – am tiefsten in immer eine Nasenlänge voraus. Hitchcock wies seine den Eingeweiden sitzt. Andere können, was die filmi - Drehbuchautoren an, Clouzots Filme in ihrem Span - sche Schöpfung angeht, mehr Intelligenz besitzen, wie nungsraffinement genau zu studieren, vor allem die René Clément, oder über ein eindringlicheres und an - beiden, die zu phänomenalen Publikumserfolgen wur - spruchsvolleres Stilempfinden verfügen, wie Robert Bresson – Clouzot aber schreibt sich in die Linie der Die relative Schmalheit von Clouzots Œuvre, 16 Lang - großen Filmemacher ein, die aus ihrem Temperament filme in 38 Arbeitsjahren, ist vor allem seiner fragilen schöpfen. Er gehört also zu jenen Regisseuren, die Gesundheit geschuldet, die ihn mehrmals zu Kuraufent - einen direkten, beinahe physischen Sinn für die Wirk - halten und dem Abbruch von Filmprojekten zwang. samkeit des kinematographischen Bildes haben – und Clouzot begann als Drehbuchschreiber und Assistent, dazu den gleichsam aus dem Bauch hervorgehenden pendelte in den 1930er Jahren zwischen Paris und Ber - Willen, auf der Leinwand ein autonomes, originelles lin, wo er die Herstellung französischer Spielfilmfassun - Universum zu erschaffen.« Andere Kritiker begegneten gen betreute. Wie Hitchcock faszinierte ihn das deut - Clouzots Mischung aus exzessivem Genrekino und ra - sche expressionistische Kino, er assistierte bei Dupont biater Existenzphilosophie mit tiefem Misstrauen, nann - und Litvak, kaprizierte sich bei seinen ersten eigenen ten ihn einen »Manipulateur und misogynen Nihilisten« Regiearbeiten auf raffiniert gedrechselte whodunits . (Gunter Groll). Ist sein Universum wirklich abgrundtief Sein zweiter Spielfilm, LE CORBEAU, gilt bis heute als nihilistisch? Ist sein Blick auf die condition humaine ge - »umstritten«, weil er 1942 für die von den deutschen radezu verächtlich? Besatzern installierte Filmfirma Continental produziert Gewiss tummeln sich in seiner Welt zahllose korrupte wurde. Diesem Film gelang das Kunststück, zwischen und opportunistische Charaktere, Menschen, die rück - alle politischen Fronten zu geraten, er wurde nach sichtslos auf ihren Vorteil bedacht sind und dafür alles 1945 als »unfranzösisch« klassifiziert, verboten, und verraten: Freunde, Geliebte, Ideale. Aber dieser Pessi - bescherte Clouzot sogar ein lebenslanges Arbeitsver - mismus ist nur die halbe Wahrheit. Das Quartett der bot, das erst dann auf zwei Jahre reduziert wurde, als Lkw-Fahrer in LE SALAIRE DE LA PEUR enthält zwei sich französische Intellektuelle und Filmemacher für durchweg sympathische Figuren: den Italiener, dessen ihn einsetzten: Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, naive Einfalt niemals ins Lächer liche gezogen wird, und René Clair, Marcel Carné, Jacques Becker. den Deutschen, der gekonnt die Zündschnur mit dem Jahrzehnte später verfasste François Truffaut eine er - Fingernagel aufdröselt und genau darauf achtet, dass staunliche Eloge auf das umstrittene Werk: »1943 gab er nur sich selbst in Gefahr bringt. Die Tugenden des es dann LE CORBEAU von Clouzot, der mich noch mehr naiven Kumpels und des verlässlichen Profis sind in begeisterte als Carnés LE VISITEURS DU SOIR. Ich Clouzots Männer-Universum höchste, unantastbare muss ihn von seinem Start im Mai 1943 bis zur Befrei - Werte. Selbst die beiden Fran zosen, verkörpert von ung, als er verboten wurde, etwa sechs oder sieben Charles Vanel und Yves Montand: der Möchtegern- Mal gesehen haben. Als er dann wieder freigegeben Dandy und der feige Maulheld, werden durch die Hölle wurde, habe ich ihn jedes Jahr mehrmals wiedergese - der Demaskierung gejagt, um am Ende doch unsere hen, bis ich den Dialog auswendig konnte – es war ein Sympathie zu gewinnen. sehr erwachsener Dialog, verglichen mit dem anderer Clouzots Filme haben oft Eingangssequenzen, in denen Filme, voller bedeutungsschwerer Sätze, deren Sinn charakterliche Zwielichtigkeit mit einer atemberauben - sich mir erst nach und nach erschloss. Die Handlung den Direktheit ausgestellt wird. Fast schockierend wirkt des Films drehte sich ausschließlich um eine Epidemie das für uns Heutige, die wir an Gutmensch- oder Be - von anonymen Briefen, in denen Abtreibungen, Ehebrü - t o troffenheitsdramaturgien gewöhnt sind. Bisweilen erin - che und alle möglichen anderen Verfehlungen denun - z u o nert es an den Röntgenblick, mit dem Stendhal seine ziert wurden – so lieferte der Film eine ziemlich genaue l C Emporkömmlinge, Ehebrecher und Machtsadisten Illustration dessen, was ich in diesen Kriegs- und Nach - s e schilderte. Nach dem Intro dann der Parcours der Zer - kriegsjahren um mich herum sah, als Kollaboration, De - g r o reißproben, der Demaskierungen, und schließlich diese nunziation und Zynismus, ›Organisieren‹ und Schwarz - e G - merkwürdige Dialektik, die – nicht immer, aber oft – markt den Ton angaben«. i r n den seelisch Entblößten Anteilnahme und Sympathie Einige Filme Clouzots erwiesen sich zu ihrer Zeit als e zuwachsen lässt. Es gibt auch immer wieder die eine – Flops, zeigen auch Schwächen in der Konstruktion, H wie eingeschmuggelt erscheinende – Frauenfigur, die offenbaren aber einen thematischen und artikulatori - 81 einfach nur schön und geheimnisvoll ist. Sie bleibt von schen Reichtum, den die standardisierte Clouzot-Sicht Demaskierungsstrategien verschont. Träumerische der Filmgeschichtslexika meist unterschlägt. Da ist Frauen (die Kellnerin in LE SALAIRE DE LA PEUR, die seine einzige Komödie, MIQUETTE ET SA MERE (1950): blonde Fotografin in QUAI DES ORFEVRES, 1947, die ungemein temporeich und mit den scharfzüngigsten verrückte Patientin in LES ESPIONS, 1957), die gern in Dialogen; oder LES ESPIONS, wo ein kleines Sanato - Zigarettenrauch eingehüllt werden. rium zum Schauplatz eines kafkaesken Spionagekarus - sells wird; LA VERITE (1960) versucht den Zeitgeist der L’ASSASSIN HABITE AU 21 (DER MöRDER WOHNT frühen 1960er Jahre zu erhaschen und schickt Brigitte IN NR. 21) – Frankreich 1942 – R: Henri-Georges Bardot ins Milieu der Pariser Bohème; bei LA PRISON - Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Stanislas-André NIERE (1968) wendet Clouzot seine Obsessionen (Feti - Steeman, nach dem Roman von Stanislas-André Stee - schismus, Sadomasochismus) bisweilen ins Banale, man – K: Armand Thirard – M: Maurice Yvain – D: doch auch hier gelingen ihm faszinierende Passagen, Pierre Fresnay, Suzy Delair, Jean Tissier, Pierre Lar - wenn er die Wahrnehmungsweise der Op-Art filmisch quey, Noël Roquevert, Louis Florencie – 84 min, OmeU zu erforschen versucht. – Der Mörder hinterlässt seine Visitenkarte an den Tat - orten. Sein Markenzeichen. Die Spur führt in eine Pen - sion, in der eine Galerie bizarrer, exzentrischer Figuren logiert. Dort sortiert Pierre Fresnay als gewitzter Kom - missar die Verdächtigen. Clouzots Regiedebüt, das die klassische Whodunit-Erzählform souverän variiert und ihr seinen unverwechselbaren persönlichen Stempel aufprägt: scharfer Blick für das realistische Detail, sati - rische Figurenzeichnung, raffinierte Konstruktion von O S S Krimispannung. A C I ▶ Freitag, 18. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, P E R 22. Januar 2013, 18.30 Uhr E T S Y M E LE CORBEAU (DER RABE) – Frankreich 1943 – R: L Henri-Georges