Zur Geschichte des Siebdrucks (Teil 3): Die Entwicklung in den USA Von Guido Lengwiler

Frühe Siebdrucke, USA, undatiert (Abb. Bedford, Historical Society, Ohio) Nachdem Guido Lengwiler im zweiten Teil seiner Artikelreihe die Frühzeit des Siebdruckverfahrens aufgearbeitet hat, widmet er sich in dieser Ausgabe nun der Entwicklung des Siebdrucks in den USA bis zum Zweiten Weltkrieg. Dabei kommen neben einer Fülle von anderen wissenswerten Aspekten auch die für den Siebdruck besonders relevanten Themen „Schneidefilme“ und „Fotoschablonen“ zur Sprache.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts expor- tierten drei bedeutende Schweizer Ge- schaftlichen Umfeld, mehr oder weni- te wie Bert Zahn oder Harry Hiett, aber webehersteller, die heute zur Sefar-Grup- ger kontinuierlich. Zwar gab es große auch Firmeninhaber, deren Betriebe zur pe gehören, ihre Seidengaze in großem Siebdruckereien, der überwiegende Teil Pioniergeneration gehörten. Im Novem- Umfang für Müllereizwecke in die USA. der Betriebe dürfte aber kleingewerblich ber 1937 fand in Chicago mit der „Pro- Intressante Hinweise zur frühen Verbrei- gearbeitet haben. Das Verfahren wurde cess-Show“ eine erste große Ausstellung tung des Siebdruckverfahrens in den USA hauptsächlich zum Bedrucken von Schil- zum Siebdruckverfahren statt. Gezeigt finden sich im Archiv der Sefar in Thal, dern, Displays und teilweise für Kunstre- wurden, begleitet von Fachreferaten, die Schweiz. 1924 wurde in Geschäftsberich- produktionen, aber auch zunehmend im vielen Anwendungsmöglichkeiten des ten vermerkt, dass „ein gewisses Quan- Textil- und Keramikdruck eingesetzt. Siebdrucks. Die zweitägige Veranstaltung tum an eine andere Branche, die Stencil- Die amerikanische Fachzeitschrift „Si- hatte mehr als 600 Besucher. Sie diente Industrie, verkauft wird“. Die Seidengaze gns of the Times Magazine“ berichte- der fachlichen Weiterbildung und war werde dabei nicht zum Sieben von Mehl, te in den 1920er Jahren vereinzelt über gleichzeitig Rückschau auf die Entwick- „sondern für artistische Reproduktionen technologische Aspekte des neuen Ver- lung der vergangenen 30 Jahre. gebraucht“. In den folgenden Jahren fahrens, seit den 1930er Jahren nahm 1939 erschien in „Signs of the Times stieg der Gewebeverkauf für „stencil & die Frequenz der Artikel stark zu, und Magazine“ ein Artikel, der die weltweite textile printing“ stark an. Je nach Gewe- der Siebdruck war in nahezu jeder mo- Anwendung des Siebdruckverfahrens do- behersteller wurden dabei Verkäufe im natlich erscheinenden Ausgabe präsent. kumentiert. Zur Abbildung kamen Druck- Wert von 106.000 oder sogar 200.000 Autoren dieser Artikel waren Fachleu- beispiele aus England, Deutschland, Spa- damaligen US-Dollars genannt (während nien, Portugal, Belgien, Schweiz, Kanada, der großen Weltwirtschaftskrise zu Be- Kuba, Mexiko, Argentinien, Südafrika ginn der 1930er Jahre brachen die Ver- und Neuseeland. käufe allerdings zeitweise um die Hälfte ein). Trotz der beachtlichen Umsatzzahlen Das Selectasine-Verfahren verliert wurde damals die Zukunftsperspektiven an Bedeutung des Siebdruckverfahrens bei den USA- Einen wichtigen Einfluss auf die frühe Vertretungen der Schweizer Seidengaze- Entwicklung des Siebdruckverfahrens herstellern zwiespältig und als ungewiss besaß die Firma Selectasine in San Fran- eingeschätzt: Während die einen nicht an cisco (siehe Teil 2 dieser Artikelreihe). eine weitere Entwicklung des Verfahrens Selectasine platzierte ein erstes wichtiges glaubten, beteiligten sich die anderen an Patent zur Schablonenherstellung, das in der Entwicklung von Siebdruckmaschi- den 1920er Jahren von Bedeutung war. nen. Das Ziel von Selectasine war es, Lizenz- Der Siebdruck verbreitete sich in den rechte zum Verfahren zu verkaufen. Li- USA offenbar nicht sprunghaft zum zenznehmer waren vor allem mittelgroße,

„vierten Druckverfahren“, sondern Siebdruckmaschine von James Flockhart, kapitalkräftige Druckereien (Buchdruck, entwickelte sich, abhängig vom wirt- USA um 1932 Lithografie), die das Verfahren als Er-

24 SIP 2/2006 gänzung ihres Angebots einführten. Der amerikanische Pionier Louis D‘Autremont bemerkte zu den Lizenzrechten und den geforderten Lizenzgebühren jedoch hu- morvoll: „Jeder Schilder- und Plakat- maler war vom Verfahren begeistert und viele benutzten es auch ohne Erlaubnis – so auch ich (bitte niemandem erzählen)“. Die Bemerkung D‘Autremonts zeigt, dass das Selectasine-Patent seit den 1930er Jahren wieder an Bedeutung verlor und Siebdruck-Replik von Gilbert Tonge nach einem Gemälde von Grayson Sayre, sich das Siebdruckverfahren unabhän- Mitte 1920er Jahre. Druck mit Gouache-Farben gig davon weiter entwickelte. Zu dieser Öffnung der Entwicklung dürfte die un- 1940er Jahre werden oft Firmen er- druckt wurde mit Gouache-Farben. Vor komplizierte amerikanische Mentalität wähnt, die zur Pioniergeneration des 1928 gründete Tonge dann mit John van beigetragen haben, die Siebdrucktechnik amerikanischen Siebdrucks zählen. Stell- Patten die Firma Vanton. Vanton stellte in Fachbüchern detailliert zu beschreiben vertretend für all diese Pionierfirmen soll Gemälde-Repliken in bis zu 50 Farben und in Fachzeitschriften rege zu diskutie- hier auf die Firmen Velvetone, Tonge und und Auflagen von bis zu 2000 Exemp- ren. Vitachrome hingewiesen werden. In Europa war zur gleichen Zeit die Ver- Die Velvetone Poster Company wurde breitung des Siebdruckverfahrens noch um 1908 in San Francisco von Frank O. immer mit einer gewissen „Geheimnis- Brant zusammen mit Joseph A. Garner krämerei“ verbunden, was die weitere gegründet. Brant stammte aus Tsche- Entwicklung behinderte. Zudem hatte chien und wanderte dann in die USA die wirtschaftliche Entwicklung in Europa aus. Velvetone begann als kleines Atelier wesentlich stärker unter den Folgen des für Beschriftungen und entwickelte sich Ersten Weltkriegs und dem drohenden in den folgenden Jahrzehnten zu einem Zweiten Weltkrieg zu leiden als in den landesweit bekannten Unternehmen USA. für Displays und aufwändig hergestellte Kunstdrucke. Velvetone entwickelte ers- te grafische Siebdruckfarben und war an der Gründung der Firma Nazdar beteili- gt, einem der heute weltweit wichtigsten Frederick Arthur Young (1874 - 1949) Anbieter von Siebdruckfarben. (Abb. Familienarchiv Young, Kalifornien USA) Um 1924 wurde in Los Angeles vom Kunstmaler Gilbert Tonge die Firma laren her. Gedruckt wurde mit Ölfarben, „Tonge Art Company“ gegründet. Tonge um den Originalcharakter der Gemälde spezialisierte sich auf den Druck von nachempfinden zu können. Der Druck Kunstreproduktionen. In enger Zusam- einer Replik dauerte etwa drei Monate. menarbeit mit den Künstlern entstan- Die von Tonge gedruckten Repliken wa- den Siebdrucke in bis zu 32 Farben. Ge- ren fast ausschließlich Werke des ame- rikanischen Impressionismus. Gemälde- Velvetone Poster Co., San Francisco um Repliken wurden in den 1970er Jahren in 1929. Rechts im Bild: Frank O. Brant (Abb. Fami- Deutschland von Günter Dietz technisch lienarchiv Brant, Kalifornien USA) zur Perfektion gebracht. Dietz benutzte dazu stereoskopische Aufnahmen der In den 1930er und 1940er Jahren wur- Gemälde zur Herstellung der Farbsepa- de in den USA eine große Anzahl Patente rationen und druckte teilweise in bis zu zur Schablonenherstellung und zur Kons- 180 Farben. truktion von Siebdruckmaschinen einge- Die Firma Vitachrome gehört ebenfalls reicht. Als Beispiel sei hier die Druckma- zu den ältesten Siebdruckereien Kalifor- schine von James Flockhart aus dem Jahr niens. Sie wurde um 1916 in Los Angeles 1930 erwähnt, die in Zusammenarbeit als Zweigstelle der Buchdruckerei Young mit der Firma DuPont entwickelt wurde. & Mc. Callister gegründet. Der Firmen- gründer Frederick A. Young intressierte Gilbert Tonge, Prospekt der Firma Vanton, Kalifornische Pionierfirmen Los Angeles (Abb. Familienarchiv Eve Tonge-Ur- sich für die Möglichkeit, Displays, Plakate In Fachzeitschriften der 1930er und bina und Denis W. Ottewell, Kanada) oder Metallschilder im Siebdruckverfah-

25 SIP 2/2006 fürchten zu müssen, sich damit lächerlich Beim Profilm handelte es sich um ein zu machen ...“ (John McPherson, Cleve- transparentes Trägerpapier, das mit ei- land, Ohio, in „Der Serigraph“ 1952). ner dünnen Schellackschicht beschichtet „1926 pauste man noch die unter- war. Das Motiv wurde in die Schicht ge- legte Zeichnung mit chinesischer Tusche schnitten, ohne dabei das Trägerpapier auf die Seidengaze und füllte die zu ver- zu durchschneiden. Diejenigen Stellen stopfenden Flächen mit Nitrolack aus des Motivs, die später Drucken sollten, – eine langwierige Arbeit, welche nur wurden vom Trägerpapier abgelöst. Nun unscharfe, den Maschen des Gewebes folgende Umrisse ergab. Erst vor einigen Jahren wurde dann ein doppelschichtiges Blatt erfunden ... Diese aufgeklebte Haut hat die Eigenschaft, die Maschen der Gaze zu überbrücken, ergibt daher einen messerscharfen Abdruck – genau wie sie

Fahrzeugbeschriftungen der Firma Vi- tachrome, Los Angeles 1920er Jahre (Abb. Vitachrome, Kalifornien) Joe Ulano, um 1973 (Abb. Archiv Ulano, USA) ren herzustellen. Vitachrome gehörte wie Velvetone zu den ersten Besitzern einer „Selectasine-Lizenz“. Vitachrome wurde der Schneidefilm unter die Seiden- druckte in größeren Auflagen vielfarbige gaze gelegt und von oben her mit einem Kalenderbilder und „Point of Sale“-Pro- Bügeleisen erwärmt. Die Schellackschicht dukte wie Displays und Steller, aber auch wurde dabei weich und klebte nun an „Decals“ (Abziehbilder) für Fahrzeugbe- der Seidengaze. Anschließend wurde das schriftungen etc. Vitachrome ist heute Trägerpapier entfernt. noch im Siebdruck tätig. Louis D‘Autremont war Schilder- und Plakatmaler („commercial artist“) und Schneidefilme verbessern die veröffentlichte in den 1920er Jahren eine Druckqualität Reihe von Fachartikeln zur Gestaltung von „Den größten Aufschwung des Ver- Schildern und Plakaten. Zwischen 1912 fahrens brachte ohne Zweifel das in den Louis D’Autremont, 1930er Jahre und 1920 kam er mit dem Siebdruckver- zwanziger Jahren auf den Markt kom- (Abb. Familienarchiv Anne Brown, Illinois, USA) fahren in Kontakt. Seine Erfindung ver- mende doppelschichtige Schablonenpa- einfachte die Schablonenherstellung und pier. Auf einmal war es verhältnismäßig geschnitten wurde, und erlaubt feinste verbesserte die Druckqualität entschei- spielend leicht gemacht, tadellose Schnitt- Formen ...“ (Hans Caspar Ulrich: Serico- dend. D‘Autremont verkaufte die Patent- schablonen nicht nur zu Schneiden, son- Prospekt, Zürich, um 1936). rechte später an seinen Geschäftspartner dern sie auch auf einfache und sichere Ein erstes Patent für Schneidefilme zur Alfred Daneman (1890-1959). Art auf das Druckgewebe zu übertragen. Schablonenherstellung wurde 1927 mit Um 1932 (nach anderen Quellen 1935) Diese Erfindung gab dem Verfahren ei- Gültigkeit ab 1929 von Edward Owens wurde von Joseph Ulano in New York nen ungeheuren Aufschwung. Auf ein- (Selectasine) eingereicht. Dabei handelte ein mit Lösemittel übertragbarer Schnei- mal konnte sich das grafische Gewerbe es sich um ein mit Schellack beschichtetes defilm entwickelt („Nu-Film“), der die mit dem Siebdruck befassen, ohne be- Transparentpapier, das nach dem Aus- schneiden des Druckbildes auf das Ge- webe übertragen wurde. Über den kom- merziellen Erfolg dieses Patents ist leider nichts bekannt. Den Durchbruch brachte 1930 ein sehr ähnliches Patent, das von Louis Francis D‘Autremont (1891-1982) in Ohio platziert wurde. Dieser Schnei- defilm wurde maschinell hergestellt und unter dem Markennamen „Profilm“ ver- kauft. In England wurde in den 1930er Jahren der Profilm von der Firma Selec-

tasine London vertrieben und auch nach Werbung für Fotokopierschicht, Patent von Louis D’Autremont, USA 1930 Kontinentaleuropa verkauft. USA 1920er Jahre

26 SIP 2/2006 Links: Schablonenherstellung mit Profilm(Deutschland um 1950), Mitte: Druckbeispiel Profilm(USA 1930er Jahre), Rechts: Druckbeispiel Nufilm(1950er Jahre)

Schablonenherstellung weiter vereinfach- Papier nach dem Belichten und Entwi- die Schablonenherstellung einfach und te. Mit zunehmendem Erfolg fand Ulano ckeln auf die Seidengaze übertragen. Die die Druckqualität der Schneidefilme sehr in Myron Studner einen Geschäftspart- Indirektschablone wurde später in den gut war. Das Herstellen von Fotoschab- ner. Nach einem Streit der Beiden ging 1930er Jahren, von der Firma Autotype, lonen dürfte nicht sehr einfach gewesen die Firma Nu-Film an Studner über und London, im Siebdruck eingeführt. sein, da die Kopierschichten nicht als Ulano gründete um 1944 seine Firma Zur Druckqualität und den Einsatz- Fertigprodukt im Handel erhältlich wa- “Ulano Products Company”. Die Firma möglichkeiten der beiden Schablonen- ren, sondern vom Siebdrucker nach Re- Ulano entwickelte sich zu einem weltweit arten schreibt der Siebdruckpionier Hans zepturangaben selber hergestellt werden führenden Anbieter von Schablonenma- Caspar Ulrich um 1936: „Es werden auch mussten. Das Belichten mit Sonnenlicht terialien: Der Begriff „Ulano“ wird bis Seidengaze-Schablonen auf photoche- war unberechenbar, eine Belichtungsan- heute oft als Synonym für Schneide- und mischem Weg hergestellt. Entweder wird lage (Kohlebogenlampe) dürfte aber eine Maskierfilme verwendet. die Gaze mit einer lichtempfindlichen finanzielle Investition dargestellt haben, Gelatineschicht bestrichen und sodann die sich nicht jede Firma leisten konnte Fotoschablonen durch die transparente Zeichnung hin- oder wollte. Zum Auswaschen (Entwi- Das Anfertigen von fotografisch her- durch belichtet oder eine vorher belichte- ckeln) des belichteten Siebes wurde zu- gestellten Schablonen wurde bereits in te Schicht wird auf die Gaze durch Über- dem fließend warmes Wasser benötigt. europäischen Patenten des ausgehenden tragung aufgeklebt. Ersteres Verfahren 19. Jahrhunderts beschrieben. Erste gibt keine scharfen Umrisse, erlaubt aber Textilsiebdruck („Filmdruck“) Hinweise, dass solche Schablonen im grosse Formate – bei letzterem ist es ge- Der bis heute teilweise gebräuchliche Siebdruck eingesetzt wurden, stammen rade umgekehrt“. Begriff „Filmdruck“ bezeichnet den Druck wiederum aus den USA. Der Siebdruck- Obwohl die Technik der Fotoschablone auf Textilien, allerdings nicht auf konfek- pionier Charles M. Peter erwähnte, dass bekannt war, haben noch bis nach dem tionierte Textilien wie T-Shirts, sondern er um 1916 seine ersten Fotoschablo- Zweiten Weltkrieg viele Siebdrucker die den industriellen Druck auf Meterwa- nen anfertigte. Peter beschreibt, dass er Schablonen manuell mit Schneidefilmen re. Die Schablonen dazu wurden früher warme Gelatine und „Glue“ (vermutlich (oder in Abdecktechnik) angefertigt, da mit einem Lackfilm beschichtet, damit Tierleim) mit einem Pinsel auf die Seiden- gaze aufgetragen habe. Nach dem Trock- nen der Schicht wurde nochmals Gelati- ne, die mit Bichromaten lichtempfindlich gemacht worden war, auf das Gewebe aufgetragen. Belichtet wurde das Sieb mit Sonnenlicht. 1917 erschienen in amerikanischen Fachzeitschriften erste Werbeinserate zum „Photo Process“. Für eine Gebühr von 10 Dollar konnte man Rezepturen zur Herstellung einer Kopier- schicht erwerben. Das erste Patent zu einer Indirekt- schablone wurde 1917 von Sidney James Waters in England eingereicht. Es war zur Vervielfältigung von Texten in Stencildu- plicators gedacht. Bei diesem Verfahren wurde ein lichtempfindlich beschichtetes Siebdruckatelier in Kalifornien, um 1936

27 SIP 2/2006 tile Printing“ das erste Patent ein, das einen Filmdrucktisch (ein langer Textil- drucktisch mit Rapport-Vorrichtungen) beschrieb, der offenbar zum Bedrucken von Seidenstoffen diente. Der grafische Siebdruck und der Textilsiebdruck ent- wickelten sich ungefähr zeitgleich, aller- dings mit großen verfahrenstechnischen Unterschieden: Im Textilsiebdruck kamen wasserverdünnbare, oft alkalische Druck- Patent eines Filmdrucktischs von Joseph farben zum Einsatz, welche die Seidenga- Odajian, USA 1922 Siebdruckposter, WPA-Projekt 1938 sie beständig gegenüber den wasser- unterschiedliche wirtschaftshistorische verdünnbaren Textildruckfarben waren. Wurzeln, ergaben eine getrennte weitere Die Bezeichnung „Filmdruck“ leitet sich Entwicklung des Textilsiebdrucks im Ver- von dieser zusätzlichen Beschichtung ab. gleich zum grafischen Siebdruck. Als Ursprungsort des Filmdrucks werden häufig das französische Lyon genannt Serigrafie, Kunstdrucke und dabei die 1880er Jahre erwähnt. Der Begriff „Serigrafie“ bezeichnet Allerdings werden für diese These keine den Druck von Kunstgrafik im Siebdruck. Belege angeführt. Serigrafien werden vom Künstler selbst Offenbar importierten die USA vor dem angefertigt oder in enger Zusammen- Ersten Weltkrieg industriell bedruckte arbeit zwischen einer Siebdruckerei und Textilien hauptsächlich aus Europa. Durch dem Künstler gedruckt. Schon um 1933 den Handelskrieg mit U-Booten wurden wurde in den USA die Siebdrucktechnik ab 1917 die Importe stark erschwert. teilweise an Kunstschulen unterrichtet. Der Textildruckfachmann Karl Schmidt Offenbar wurde dabei jedoch nicht die schreibt dazu 1961: „Im Gegensatz zum direkte Umsetzung von künstlerischen Rouleauxdruck (Tiefdruck) ist der Film- Ideen ins Siebdruckverfahren gesucht, druck keine europäische Erfindung, son- sondern Plakatgrafik („commercial art“) dern kam nach dem ersten Weltkrieg aus gedruckt. Die seit Mitte der 1920er Jahre Amerika zu uns, wurde dann aber beson- , USA 1938 hergestellten Gemälde-Repliken dürften ders in Deutschland und Frankreich bis zu hier dem Begriff „Serigrafie“ im heu- seiner heutigen Vollkommenheit entwi- ze und die Schablonen zerstören konn- tigen Sinne näher kommen, da sie ge- ckelt. Der Grund zu seiner Erfindung war ten. Dies erforderte andere technische meinsam mit den Künstlern angefertigt der während des ersten Weltkrieges in Lösungen, als sie im grafischen Siebdruck wurden. Allerdings wurden diese Arbei- Amerika einsetzende Mangel an Druck- üblich waren. Seit Beginn der 1930er Jah- ten in vergleichsweise hohen Auflagen ware, die bis anhin meist aus Europa ein- re wurde das Siebdruckverfahren auch in gedruckt, was darauf hindeutet, dass sie geführt worden war“. europäischen Fachzeitschriften der Te- als „Reproduktionen“ gedacht waren. 1922 reichte Joseph Odajian in New xilindustrie zunehmend diskutiert. Die Erste amerikanische Künstler, die seit den York im Auftrag der Firma „New Art Tex- andersartige Farbenchemie, aber auch 1920er Jahren das Siebdruckverfahren zur Reproduktion ihrer Werke einsetzten, waren beispielsweise die vom Impressi- onismus beeinflussten Landschaftsmaler Grayson Sayre, Edgar Payne, Duncan Gleason oder die Art-Deco-Künstler Boris Riedel und Claude Millard. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre versuchte die amerika- nische Regierung im Rahmen des WPA (Works Progressive Administration) den Kulturschaffenden durch staatliche Auf- träge ihre Existenz zu sichern. Zum WPA gehörte auch das „“ und dessen um 1935 gegründete „Gra- Schulunterricht im Siebdruckverfahren, USA 1938 phic Division“. Diese Abteilung förderte

28 SIP 2/2006 Siebdruckausbildung in der US-Armee, USA um 1943 (Abb. Bedford Historical Society) den Druck von Kunstgrafik in verschie- denen Techniken, wobei Ausstellungs- oder Propagandaplakate teilweise im Siebdruck gedruckt wurden. Der New Yorker Künstler Anthony Velonis über- nahm das preisgünstige und relativ ein- fach zu handhabende Siebdruckverfah- ren vom Plakatdruck in den Bereich der Kunstgrafik. 1938 veröffentlichte er zwei technische Anleitungen zur Anwendung des Siebdrucks für Kunstschaffende. Im gleichen Jahr gründeten Velonis mit wei- teren fünf Künstlern des Federal Art Pro- jects die „Silk Screen Unit“, die sich mit dem Einsatz des Siebdrucks bei künstle- rischen Anwendungen beschäftigte und das Verfahren in Kunstkreisen bekannt machte. In Abgrenzung zum gewerb- „Sign Shop“ der US-Armee, 1943 lichen Siebdruck („Silk Screen“, „Screen Printing“) wurde um 1940 vom amerika- eingeführt wurden. Die Ausbildung dau- nischen Kunsthistoriker Carl Zigrosser für erte eine Woche und wurde mit einem den künstlerischen Siebdruck der Begriff Zertifikat bestätigt. Diese Kurse besaßen „Serigraphy“ eingeführt. Noch im glei- eine nicht zu unterschätzende Breiten- chen Jahr wurde die „National Serigraph wirkung: Etliche der Kursteilnehmer blie- Society“ gegründet. Künstler aus dieser ben auch nach ihrer Militärdienstzeit im Frühzeit der Serigrafie, wie zum Beispiel Siebdruck tätig. Harry Shokler, Max Cohn (zusammen mit Biegeleisen) oder publi- zierten später technische Abhandlungen zum Siebdruckverfahren. Trotz der be- grifflichen Unterscheidung – eine verfah- renstechnische Trennung zwischen ge- werblich-industrieller und künstlerischer Anwendung bestand im Siebdruck nie. Im Hoch-, Tief- und Flachdruck unter- scheiden sich hingegen industrielle und künstlerische Anwendungen wesentlich in ihrer drucktechnischen Ausführung. US-Armee, Frankreich 1945 Dies führte dazu, dass der Siebdruck im Kunsthandel zunächst oft als „zweitklas- Autor und Quellen sige“ Drucktechnik eingeschätzt wurde. Guido Lengwiler ist Berufsschullehrer für Siebdruck in Bern und Zürich. Die nächste Zweiter Weltkrieg Folge dieser Artikelreihe behandelt die Früh- Im Zweiten Weltkrieg ließ die US-Ar- zeit des Siebdrucks in Europa.. mee Beschriftungen (beispielsweise für Kontakt: [email protected] Fahrzeug-Kennzeichnungen oder Sani- Quellen: tätsmaterial), Schilder, Banner, Karten, • Bedford Historical Society, Ohio, USA Instrumentenskalen oder Propaganda- • Signs of the Times Magazine 1920-1950, plakate drucken. Diese Siebdruckarbei- , USA ten erreichten bisweilen sehr hohe Auf- • Sefar, Thal, Schweiz lagen und wurden von Siebdruckereien, • Familienarchive: Anne Brown, IL, USA; Ray Rüstungsbetrieben, aber auch innerhalb Brant, CA, USA; Norm Young, CA, USA; der Armee ausgeführt. Die US-Armee Eve Tonge Urbina und Denis Ottewell, Kanada beschäftigte von 1943 bis in die 1950er • Serico-Eich, Schweiz, Firmenarchiv Jahre insgesamt mehrere Tausend Ar- • Ulano Schweiz, Bernard Ulano, USA meeangehörige in „Silk Screen Training • Vitachrome, Kalifornien, USA Centers“, in denen sie in das Verfahren

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