Es ist ja schon er- staunlich, wie Prof. Maier von OrganART Media immer wieder an wirklich bedeuten- de Instrumente ge- langt und eine Biblio- thek erstellt, die angesichts der Fülle an wirklich interessan- ten Instrumenten aus verschiedenen Epo- chen und Landschaf- ten nunmehr wirklich den Namen „The European Organ Virtual Historical Pipe Organ Project“ ver- dient. Die Hus/Schnitger-Orgel in wurde schon im Oktober und November 2008 mit 48 kHz, 24-bit-Qualität und Multi-Channel-Verfahren für das Hauptwerk 3 Format gesampelt und benutzt die von OrganART eingeführte Multi-Release-Technologie. Vorab schon: hier wurde einer der schönsten norddeutschen Frühbarockorgeln professionell abgebildet. OrganART Media Hus-Schnitger Orgel St. Cosmae, Stade

ie Historie der Hus/Schnitger-Orgel in Stade mit ihrem mar- folgte ihm 1702 auch Vincent Lübeck, als er die Stelle an Dkanten Hamburger Prospekt verzeichnet im Laufe der Zeit Hamburgs Hauptkirche St. Nikolai erhielt. zahlreiche Veränderungen durch verschiedene Orgelbauer am Zurück aber ins Jahr 1688, wo eben Schnitger nochmals an der gesamten Instrument, und es ist dem bedeutenden Orgelbauer Cosmae-Orgel in Stade arbeitete, da die Emporenpfeiler abge- Jürgen Ahrend (Leer-Loga) zu verdanken, dass sie nun wieder sackt waren und er die Empore stabilisierte, die Orgel wieder auf dem Zustand von 1688 ist. Denn obwohl die Orgel schon gerichtet und dabei einige wichtige Dispositionsänderungen 1675 durch Behrendt Hus und seinem Vetter und Gesellen Arp vorgenommen hat. Die fruchtbare Zusammenarbeit eines Or- Schnitger fertiggestellt wurde, sind die Veränderungen der Dis- ganisten und eines Orgelbauers ist hier deutlich zu spüren. Die position, die Arp Schnitger 1688 ange- weitere Geschichte des kostbaren In- regt durch den ersten an dieser Orgel struments beinhaltet leider einige trau- amtierenden Organisten Vincent rige Schicksale. Während 1781 ein aus Lübeck vornahm, von entscheidender Hessen stammender und in Stade le- Bedeutung für die Einmaligkeit dieser bender Orgelbauer mit Namen Georg Orgel zur Interpretation norddeutscher Wilhelm Wilhelmy noch ohne gravieren- Orgelmusik. 1676 verstarb Behrendt de Veränderungen einige Reparaturen Hus und Arp Schnitger setzte die Ar- und kleine Modifikationen durchführte beit der Werkstatt mit weiteren Projek- und ein vom Oberwerk aus spielbares ten fort, eben auch mit Vincent Lübeck Glockenspiel einbaute, machte der als kompetenten Berater. 1682 gab nicht unbekannte Orgelbauer Johann Schnitger die Stader Werkstatt auf und Hinrich Röver die ersten einschneiden- zog nach , um die große Or- den Veränderungen am Instrument. Er gel in St. Nikolai zu erbauen. Dorthin hatte seine Werkstatt ebenfalls in Stade

ORGEL November / Dezember 2010 VI heute und ist der Erfinder der aber auch Windanlagen nach ihm benannten H/S = Berendt Hus unter Mitarbeit von Arp Schnitger (1668-1675) und Laden vergleichba- S = Arp Schnitger (1688) Röverschen Kastenlade. S-A = Schnitger mit teilweiser Ergänzung durch Ahrend rer, erhaltener Instrumen- Röver nimmt Verände- H-A = Hus mit teilweiser Ergänzung durch Ahrend te machten dieses mög- rungen an der Dispositi- A = Jürgen Ahrend (1975) lich. Interessant ist in die- on vor, um sie dem Zeit- sem Zusammenhang Tremulanten zum BW, zum OW und zum RP im „extended mode“ geschmack anzupassen, Umfänge im „extended mode“ erweitert auf C-d’“ Manuale und C-f’ Pedal auch, dass Hus die stimmt die Orgel durch Springlade bevorzugte, Umsetzen der Pfeifen tie- Oberwerk (C, D, E, F, G, A-c''') Brustwerk (C, D, E, F, G, A-c''') während Schnitger der fer und setzt das Rück- 1. Principal 16’ A 1. Gedackt 8’ H/S einfacher zu bauenden positiv hinter die Orgel. 2. Quintadena 16’ H/S 2. Quer Flöt 8’ (ab c3) H/S und zu wartenden 3. Octav 8’ H/S 3. Flöt 4’ H/S 1917 müssen die kostba- 4. Gedackt 8’ H/S 4. Octav 2’ H/S Schleiflade den Vorzug ren Zinn-Prospektpfeifen, 5. Octav 4’ H/S 5. Tertia 1 3/5’ H/S gab. So finden sich in der wie an so vielen Orgeln, 6. Rohr Flöt 4’ H/S 6. Nassat Quint 1 ½’ H/S-A Hus-Schnitger Orgel eine für Kriegszwecke abge- 7. Nassat 3’ H/S 7. Sedetz 1’ H/S-A doppelte Springlade für 8. Octav 2’ H/S 8. Scharff 3-fach H/S-A geben werden und wur- 9. Mixtur 6-fach H-A 9. Krumphorn 8’ S das Oberwerk und den 1919 durch wenig 10. Cimbel 3-fach A 10. Schalmey 4’ S-A Schleifladen für alle übri- qualitätsvolle Zinkpfeifen 11. Trommet 16’ S gen Werke. Diese Orgel ersetzt. Dem Rückpositiv 12. Trommet 8’ H/S Pedal (C, D, E-d') muss man eigentlich un- blieb dies durch seine 1. Principal 16’ H/S-A bedingt im Original und Rückpositiv (C, D, E, F, G, A-c''') 2. Sub=Bass 16’ H/S-A Umsetzung zum Glück 1. Principal 8’ H/S 3. Octav 8’ H/S der Kirche St. Cosmae et erspart. 1948 restaurier- 2. Quintadena 8’ H/S 4. Octav 4’ H/S Damiani in Stade erlebt te die Göttinger Firma Ott 3. Rohr Flöt 8’ H/S-A 5. Nachthorn 1’ H/S haben, ebenso wie die nach dem Wissen und 4. Octav 4’ H/S 6. Mixtur 5-6 fach H/S hervorragende Interpre- 5. Wald Flöt 2’ H/S 7. Posaun 16’ H/S dem Standard der Zeit 6. Sieflöt 1 ½’ A 8. Dulcian 16’ A tationskunst und Virtuosi- die Hus/Schnitger-Orgel. 7. Sesquialter 2-fach A 9. Trommet 8’ H/S tät des bereits lange dort Das Ergebnis war denn 8. Scharff 5-fach A 10. Cornet 2’ A amtierenden Kirchen- auch wenig befriedigend 9. Dulcian 16’ H/S musikdirektors Martin und muss aus heutiger 10. Trechter Regal 8’ H/S Böcker, der auch Dozent Sicht als verfehlt betrach- Nebenzüge: Schiebekoppel BW an OW, Tremulant fürs ganze Werk in ist. tet werden. 1975 wurde Stimmung: 1 Ganzton über normal (a’ = 493 Hz) die entscheidende Re- Temperierung: mitteltönig modifiziert (3 reine Terzen) Das Sampleset staurierung durch den Windversorgung: 6 alte Bälge (4 gegenwärtig in Betrieb; auch von Kalkanten) Winddruck: 82 mm WS bekannten Orgelbauer Oberwerk: doppelte Springlade, alle anderen Werke Schleiflade it dem Wissen um Jürgen Ahrend (*1930) Mdie Historie dieser beendet. Dieser Orgel- Sampletechnik Samples 24-bit, 48 kHz, Multi Loops (bis zu 9), Orgel kann man m.E. die bauer erlangte Weltruhm 3 Release-Ebenen, teilweise Original Tremulanten Leistung von Prof. Helmut durch seine Restaurie- Maier nicht genug würdi- Systemvoraussetzungen für Hauptwerk rungen von historischen Software: Hauptwerk, V3.20 gen, diesen einzigartigen Instrumenten, insbeson- Hardware: 3.9 GB freies RAM, 2 GHz Dual Core Prozessor Klang in einem Sample- dere der Barockzeit. Ne- Windows XP/Vista/Win7, MAC OS X, Display: 1280x1024 set für Hauptwerk einzu- ben der Stader Orgel, ist fangen. Ein absolut vor- Systemvoraussetzungen für Hus-Schnitger Set er besonders bekannt Geladene Version Speicher3) Prozessorgeschwindigkeit bildliches Denoising ist geworden durch die Re- 16-bit, compressed1), single loop 3.3 GB >=2 GHz Dual Core2) hier gepaart mit fantasti- staurierungen der Arp- 16-bit, compressed1), all loops 3.9 GB >=2 GHz Dual Core2) schen Release-Markern, Schnitger-Orgeln der 20-bit, compressed1), all loops 6.1 GB >=2 GHz Dual Core2) einen potenten Rechner 1) 2) Jacobikirche Hamburg, 24-bit, compressed , all loops 7.1 GB >=2 GHz Dual Core natürlich vorausgesetzt. der Martinikerk in Gronin- 1) Losless compression (kein Verlust der Soundqualität) Man sollte dieses gen (NL), der Ludgerikir- 2) Dual-Core Prozessor, 8 GB Hauptspeicher, WIN-XP 64, Vista, Windows 7 oder Sampleset eigentlich MAC OS X (auch Snow Leopard) che in Norden, der Ebert- 3) Um diese Orgel in Hauptwerk zu laden, muss genügend Speicher vorhanden sein, auch nur in diesem Aus- Orgel in der Hofkirche zusätzlich zum vom System und anderen Programmen genutzter Speicher lieferungszustand nutzen Innsbruck und vieler an- Erst 64-bit Betriebssysteme erlauben die Nutzung von Speicher oberhalb 4 GB, und auch nicht auf die derer mehr. Auch seine bei 32-bit Systemen bleiben in der Regel nur 3 GB RAM übrig. möglichen Temperie- nach historischen Prinzi- rungsveränderungen von pien gebauten eigenen Instrumente haben hohes Ansehen und Hauptwerk zurückgreifen, um die Literaturbandbreite zu erhö- einen großen Stellenwert in der Orgelbaukunst des 20. Jahr- hen. Diese Orgel ist ein besonderes Unikat und klingt eben so hunderts erlangt. Sie setzten Maßstäbe für das Bauen von Or- wie sie ist am besten. Man kann dann auch nachvollziehen, wel- geln nach historischen Gesichtspunkten, insbesondere durch che Literatur auf solch eine Orgel gehört. Für andere Literatur seine konsequente Restaurierungspraxis und hohe Intonations- gibt es schließlich genügend andere sehr gute Samplesets. kunst. Die Restaurierung der Hus/Schnitger-Orgel durch Jürgen Es macht einfach Spaß, mit der hier gebotenen Authentizität Ahrend war vorbildlich durchgeführt, die Rückführung in den Musik aus der Renaissance und dem Frühbarock erleben zu Zustand von 1688 absolut gelungen, auch die doch zahlreichen können, inklusive der von manchen als Mangel empfundenen Ergänzungen passen sich nahtlos in das Werk ein. Hier war der Einschränkungen auf eine einzige Koppel (Schiebekoppel BW Restaurierung eben auch ein wissenschaftlich-dokumentari- an OW) und die kurze Oktave bei dieser Orgel. Letztere kann scher Weg vorangegangen und zahlreiche Studien an Pfeifen, man hier mit Begeisterung studieren und wird merken, dass man

VII November / Dezember 2010 ORGEL heute sich ganz schnell daran gewöhnt und um bestimmte Klangereignisse zu er- die Bewegungsabläufe sehr schnell in zielen. Es gibt hier neben den genann- Fleisch und Blut übergehen. Also: Die ten Prinzipalen so interessante Ein- tiefste Oktave C, H, A, G, F abwärts zelstimmen, wie die Quer Flöt 8’ (ab gespielt auf den normalen Tasten er- c’) im Brustwerk, die Quintadena 8’ geben auch die gewohnten Töne, und das Trechter Regal 8’ im Rück- dann aber gilt für die letzten drei Töne positiv und die Rohr Flöt 4' im Haupt- die Tastenbelegung G# = E, F# = D, E werk. Die Aliquote der einzelnen Wer- = C. Das Pedal hat keine kurze Okta- ke sind eher hell und scharf, was auf ve, es fehlen lediglich C# und D# und die Handschrift Schnitgers deutet. In- der Ton D liegt auf der Taste D# und teressant ist die Auslassung der 4’- der Ton C auf der Taste D. Im Extended Lage bei den Pedalzungen und man Mode ist der Manualumfang im benötigt die Klarine dort auch gar Sampleset ohne kurze Oktave von C- nicht. Das von Jürgen Ahrend nach- d’“ und im Pedal von C-f’ erweitert gebaute Cornet 2’ (Zunge) erfüllt näm- worden. Der originale Bocktremulant lich eine wunderbare Doppelfunktion zum ganzen Werk wurde darüber hi- als Melodieregister und auch Klang- naus in diesem Modus als getrennte krone der Zungen. Die mächtige Po- Tremulanten für Brustwerk, Oberwerk saune 16’ hat einen zarten Gegen- und Rückpositiv gestaltet und profitiert spieler im Dulcian 16’ und mit der vom Tremulantenmodell in Hauptwerk. Trommet 8’ den Prinzipalen und der großen Mixtur hat man ein völlig en frisch-lebendigen Klang selbstständiges Pedal, welches mit Dmacht für mich gerade die hier Subbaß 16’ und einem Nachthorn 1’ angewendete modifizierte mitteltönige komplettiert ist. Da jedes Werk einen Temperierung aus, die in diesem Fall in sich geschlossenen Aufbau hat, ist 3 reine Terzen umfasst. Die Tonhöhe es auch gar nicht nötig, Manual- und steht dabei einen Ganzton höher als Pedalkoppeln zu bauen. Dazu kommt heute üblich (g’ = 446 Hz / a’ = 493 die Registrierpraxis der Spätrenais- Hz). Auch gibt es nur einen Bock- sance und des Frühbarock, welche tremulanten für das ganze Werk, nach meiner Erinnerung am den Einzelwerken bestimmte Aufgaben zuweist. Hauptkanal. Im Original sorgen 6 alte Keilbälge, wovon 4 derzeit Hinsichtlich der Bedienung kann man nach heutigen Standard in Betrieb und auch von Bälgetretern zu bedienen sind, für ei- wählen zwischen der Spieltischansicht (Console Page), der nen lebendig atmenden Wind. Etwas davon ist auch in dem vor- Registeransicht und Kombinationen auf einem Bildschirm (Sin- liegenden Sampleset zu spüren. Selten habe ich in der letzten gle Screen Touch Page), auf zwei Bildschirmen für linken und Zeit eine solche Lebendigkeit bei einem Hauptwerksampleset rechten Monitor in Kombinationen (Double Screen) und erleben dürfen. Von besonderer Schönheit sind die Prinzipale letztendlich die Kontrollseite für Windereignisse und Geräusche und die verschiedenen Plenumstufen, mit großer Gravität bei sowie Tremulanten. Die Kombinationen bzw. Setzer sind natür- Hinzutreten der Zungen im Hauptwerk und im Pedal. Bei schnel- lich ein Zugeständnis an Hauptwerk und die Wünsche der An- lem, virtuosem Spiel sorgen die hier zahlreich vorhandenen und wender. Ich persönlich bevorzuge da doch die Registrierung geschickt überblendenden Releases für einen echten Spiel- einer solchen Orgel auf dem althergebrachten Weg. genuss. Die Release-Marker wurden mit großer Sorgfalt gesetzt Abschließend möchte ich auch noch kurz auf der sehr aufwän- und die einzelnen Aufnahmen der verschiedenen Spielarten und dig gestaltete, zweisprachige und mit vielen Informationen ver- Tonreaktionen mit den richtigen Ereignissen aufgenommen. sehene Booklet zu diesem Set hinweisen. Hieraus resultiert ein absolut überzeugendes Klangverhalten. Da diese Orgel verhältnismäßig groß ist, findet man hier sämtli- Fazit che für norddeutsche Orgelmusik und auch die Musik einiger weiteren Landschaften bis hin zum mittleren Barock benötigten s ist wirklich ein Glücksfall, dass OrganART Media der Zu- Register. Während Hus eher noch einen milderen und weiche- Egang zu diesem Instrument gewährt wurde und dafür muss ren Klang intonierte, fängt der junge Schnitger schon mit dem man KMD Martin Böcker und der Gemeinde von St. Cosmae et typischen helleren und schärferen norddeutschen Klang an zu Damiani in Stade ganz herzlich danken. Der Zugang zu Instru- experimentieren, kräftig-helle Mixturen und verschmelzungs- menten für Hauptwerk, die eine solch große Bedeutung für be- fähige Zungen prägen dieses Klangbild. So ist diese Orgel eben stimmte Orgelbauepochen haben, macht dieses Programm ja auch deshalb von Bedeutung, weil sie die Handschrift zweier gerade so einzigartig. Besonders dann, wenn eine Abbildung großer Orgelbauer in sich trägt. so prätentiös, professionell und authentisch gelingt, wie im Fall dieser Orgel. Es ist hier wirklich mehr als nur ein Klangdokument ie Disposition ist so überaus reich an Farben und die Into- geschaffen worden, man erhält die Möglichkeit, Musik von Dnation der Register sehr charakteristisch. Das Spiel der Lübeck, Buxtehude und anderen norddeutschen Meistern an Einzelregister ist so inspirierend und klangschön, das man ei- einem wirklich adäquaten Instrument erarbeiten und erleben zu gentlich immer nur wenige Kombinationen von Farben benötigt können. Auffällig ist die Dichte an Grundstimmen und das Rück- und natürlich ganz lange mit einem Register spielen mag. Zur positiv auf 8’-Basis, bei 42 Registern finden sich immerhin stol- Erzielung diverser Plena sind oft auch nur vier oder fünf Regis- ze 10 Zungenstimmen. Für Freunde des Norddeutschen Ba- ter pro Werk nötig. Das macht den großen Unterschied von gut rock ist dieses Set ein Muss, für alle anderen eine dicke Emp- erstellten Hauptwerk Samplesets zu vielen Serien-Digitalorgeln fehlung. aus, wo man meistens viele Register zusammen ziehen muss, Hans-Dieter Karras

ORGEL November / Dezember 2010 VIII heute