Reise Der Gipfel ist die Schlucht Der Fluss Verdon entspringt in den Französischen Seealpen, fließt durch die Provence und fädelt dann in seine berühmte Schlucht ein. Sagenhafte Trails folgen ihm dabei.

Text: Holger Feist Fotos: Stefan Neuhauser

Auf seinem Weg nach Süden sammelt sich der Verdon im türkisgrünen Lac de Castillon.

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Die erste geniale Abfahrt am Tag eins: Vom Col d’ in den Ort Allos hinunter. Im Hotel Pascal wartet schon das Essen.

die von der Sonne versengten Bergflanken stand geben wir Vollgas. Bloß raus hier! in alle Richtungen ab. Es ist mucksmäus- Zerschossene Häuser fliegen im Augen- chenstill. Nur ein paar weiße Schmetter- winkel vorbei, Bombenkrater, verbrannte linge flattern wie Friedensfähnchen durch Felder – irgendwann erreichen wir endlich die verdorrten Grashalme. Okay, schnell die rettende Straße! weiter. Es kann ja nicht mehr weit sein Das war im Jahr 1989. Wir hatten gerade Nach einer lang gezogenen Kurve klin- bis zum Gipfel. Dort oben müsste der erst mit dem Mountainbiken begonnen gelt es unter den Reifen. Wir stoppen Trail starten, den wir heute Morgen von und diese Dummheit zum Glück unbe- und nzucken zusammen: Patronenhülsen! der Schlucht aus entdeckt haben. Doch schadet überstanden. Doch das ist nicht Dutzende davon liegen auf dem Sandweg die Sandstraße zeigt sich nicht besonders der einzige Grund, warum ich die Tour bis verstreut. Ich hebe eines der glänzenden zielführend. In weiten Schleifen bummelt heute nicht vergessen habe. Teile auf und halte es prüfend zwischen sie relativ flach um den Berg herum, statt 25 Jahre später bin ich nun zurück, um die Daumen und Zeigefinger ins Licht. „Lang zum Gipfel hinaufzuklettern. Da, endlich La TransVerdon erneut in Angriff zu neh- können die hier noch nicht liegen, die se- eine Gabelung. Wir nehmen den rechten men. Diesmal mit guter Karte und GPS-Ge- hen ja aus wie neu.“ Tour-Kollege Christian Abzweig, der kurz darauf tatsächlich zum rät. Mit von der Partie die beiden Enduro- nickt. Wir schauen uns um. Wahrschein- Pfad wird. Nur führt der leider nicht weiter Fahrer Mario Lentzen und Julia Hofmann. lich findet gerade eine Wildschweinjagd bergan, sondern ziemlich zackig nach un- Vom Col d’Allos, wo der Verdon entspringt, statt. Kaum zwei Kehren weiter passieren ten. Egal, der Trail macht Spaß und lässt werden wir dem Fluss 260 Kilometer lang wir am Wegesrand eine Ansammlung von sich bald immer schöner fahren. Weiter auf seinem Weg gen Süden folgen. Bis er Häusern. Alle sind zerstört. Bei manchen unten wird der Pfad von einer Art Graben schließlich bei Gréoux-les-Bains durch klaffen riesige Löcher in den Wänden. Bei flankiert. Darin ducken sich Soldaten, die seine berühmte Canyon-Schlucht kurvt. anderen sind die Dächer weggerissen. ihre Gewehre auf unseren Weg gerichtet Inzwischen ist die Route sogar ausgeschil- Doch bevor wir uns Gedanken über die haben. Es dauert ein paar Sekunden, bis dert: „Grande Traversée VTT La TransVer- Ursache machen können, deutet Christian uns mitten im Flow der Schreck in die Glie- don“ heißt sie nun und gehört offiziell zu auf einen ausgebrannten Panzer in der Fer- der fährt. Wir durchkreuzen gerade eine den acht längsten Mountainbike-Routen Der Mercantour-Nationalpark ist ein Highlight für sich. Die Trails sind ne. Sind wir hier auf einem Kriegsschau- echte Truppenübung! Entsetzte Gesichter Frankreichs. Längst gibt es die GPS-Daten bestens ausgeschildert. platz gelandet? Wir lauschen und scannen auf beiden Seiten. In einer Art Schockzu- dazu im Internet, und entlang der Strecke

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Auf dem Trail am Lac de Castillon. Zum höchsten Punkt, dem Col d’Allos Anfangs noch flüssig, werden die Trails auf 2247 Metern Höhe, kann man sich shutteln lassen. gen Süden hin immer technischer. Dort fängt der Trail-Spaß sofort an.

Man folgt dem Fluss nicht direkt am Ufer entlang. Die Route warten jede Menge „Gîtes“, in denen man seiner Tretbewegungen hervor: „Siebzig! das Auge reicht. Dazu riecht es wie im übernachten und gut Essen kann. Dass die Mit Spaßfaktor hundert!“ Als wir end- Gewürzschrank meiner Mutter. Drei Pilz- führt über die Berge rechts und links des Verdons. Route nicht direkt am Fluss entlang ver- lich oben am Pass stehen, blicken wir sammler kommen uns mit prall gefüllten läuft, sondern über die Berge der franzö- gespannt ins Tal von St. André les Alpes Körben entgegenspaziert. Leider laden Wer im Juni kommt, schwebt unterwegs durch ein LavendelMeer. sischen Provence klettert, verraten schon hinunter – und entdecken erst mal nur sie uns nicht zum Mittagessen ein, son- die angegebenen Höhenmeter: Insgesamt zwei Kehren. Ob es insgesamt wirklich dern deuten mit dem Daumen über ihre 8000 gilt es zu bezwingen. 70 Kurven sind, wie angekündigt, werden Schultern hinweg und warnen: „Très dif- Gestartet sind wir gestern in den Seealpen wir gleich sehen. Ganz oben muss sich ficile!“ Leider sollten sie damit auch noch am Allos-Pass. Seither kurbeln wir ober- der Pfad offenbar erst eingrooven. Kehre recht behalten. Keine zehn Meter weiter halb der Baumgrenze gen Süden und fol- eins, dann Kehre zwei. Doch bald wechselt endet die Forststraße abrupt und kräuselt gen dem Grat eines langen Bergrückens. der Pfad die Richtung tatsächlich Schlag sich nur noch als Rinnsal ihrer selbst die Über uns strahlt ein blauer Himmel. Links auf Schlag. Ein schier endloses Hin und Bergflanke hinunter: als technisch schwer schweift der Blick über das Gipfelmeer des Her im dichten Kiefernwald. Weiter unten verblockter Pfad. Doch irgendwann kön- Mercantour-Nationalparks. „Wenn Euch lässt die Frequenz wieder nach, bis wir in nen wir wieder eine Fahrspur erkennen, der Trail vom Allos-Pass hinunter schon St. André schließlich austrudeln. Mitge- es fließt wieder dahin. So rollen wir doch so gut gefallen hat, dann wartet mal ab, zählt hat natürlich wieder keiner. Aber noch im Sattel sitzend bis nach Castellan was morgen kommt!“, hatte uns der Wirt was für ein Kurvenrausch! hinunter, wo der berühmte Teil der Ver- des Hotels Pascal am Abend nach der ers- In St. André halten wir an einer kleinen don-Schlucht beginnt. ten Etappe noch vorgeschwärmt. Pascal Bar für einen Café au Lait und verdrü- Der „Grand Canyon Frankreichs“ gehört zu Gauidin ist selbst passionierter Mountain- cken dazu ein paar Croissants, bevor wir den größten, schönsten und bekanntesten biker und war an der Erschließung der den nächsten langen Anstieg des Tages in Schluchten Europas. Auf 21 Kilometern Kleine Pilzkunde: Julia darf an der TransVerdon-Route maßgeblich beteiligt. Angriff nehmen. Diesmal auf einer nicht Länge hat sich der Verdon hier bis zu 700 Tagesausbeute eines einheimischen Pilzsammlers schnuppern. „Siebzig hat er gesagt, oder?“ Der Anstieg allzu steilen Forststraße. Sie führt uns auf Meter tief ins Gestein geschürft. Da die Oben: Bekannt als eines der schönsten zu diesem Trail-Wunder ist leider ganz eine Hochebene mit Weitblick: Unten im Schlucht 1990 zum Naturschutzgebiet er- Dörfer Frankreichs: Moustiers-Sainte- schön lang, daher versuchen wir uns die- Tal schimmert in einem kräftigen Grün klärt wurde, ist das Biken darin leider ver- Marie im Département Haute Provence. sen Kraftakt mit der Vorfreude auf den der Lac de Castillon, dahinter wellen sich boten. Die TransVerdon-Route balanciert angekündigten Abfahrts-Trail zu verkür- die von der Sonne ausgedörrten Berge daher weiterhin auf der rechten Seite der zen. „Jep!“, presst Mario im Rhythmus der Provence. Goldbraune Farben soweit Schlucht über die Berge.

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Weil die Crêperie in Rougon noch zu hat, bekommen wir den Tipp, schnell noch einen Trail in die Schlucht hinunter Wie im Rausch zu versuchen. Ein Traum. schieSSen wir durch jungen Fichtenwald zum Ufer des Verdons. Endlich können wir das Wasser auch mal anfassen!

Crêperie heiß, und so gönnen wir uns hier die wohl leckersten Crêpes der gesamten Tour. Sechs Tage sind wir inzwischen unter- wegs. Eigentlich wollten wir bis heute schon deutlich mehr Strecke zurückgelegt haben. Aber unsere Trail-Abstecher haben doch mehr Zeit gekostet als gedacht. Aber was soll’s. Den landschaftlich schönsten Teil der Route haben wir ja erlebt. So be- enden wir unseren Trip mit einer Abfahrt Am Ursprung: In der Nähe des auf dem Römerweg nach Moustiers St. Col d’Allos entspringt der Verdon Marie und einer letzten Übernachtung in den Französischen Seealpen. der Gîte Ségriès. Die Hütte sieht aus, als wäre sie einem Provence-Werbekatalog entsprungen. Und ihr Wirt namens Noël Es ist noch sehr früh am Morgen, als wir kocht auch noch so. Sein Wildschweinbra- durch das Bergdorf Rougon rollen. Vor der ten ist so saftig und zart, dass er auf der Infos Crêperie Le Mur d’Abeilles fegt der Wirt Zunge fast zergeht. Danach tischt er uns gerade die Straße. Nein, er mache erst in hausgemachtes Eis in den Sorten Lavendel, Die Grande Traversée VTT La TransVerdon Méolans-Revel zwei Stunden auf, sagt er, aber er wisse, Honig, Feige und Thymian auf. Als Noël misst insgesamt 260 Kilometer und hat Transverdon Start wie wir uns derweil beschäftigen könn- uns schließlich den Kaffee bringt, setzt Etappen 8000 Höhenmeter auf dem Buckel. Start- ten. Der Mann sieht nicht gerade aus wie er sich zu uns an den Tisch. Er könne uns punkt ist der 2247 Meter hohe Col d’Allos ein Mountainbiker, und so folgen wir ihm gern zeigen, wo das Fleisch herkommt, das Col d’Allos im Mercantour-Nationalpark. Hier entspringt nur zögerlich die paar Schritte hinter sei- wir gerade auf dem Teller hatten, bietet er der Fluss Verdon, dem man auf dieser Route FRANKREICH Allos nen Laden. Doch tatsächlich beginnt hier an. Es gäbe hier jede Menge Wildschwein- gen Süden bis in die Verdon-Schlucht folgt. Beaujeu ein Trail, der sehr viel versprechend in die Trails zu entdecken. Er habe davon viele Anspruch Die Tour wurde offiziell Schlucht hinunterzirkelt. Der Mann lacht, Kilometer rund um sein Haus extra für n o in 15 Etappen eingeteilt, ist aber in einer rd als er unsere Augen leuchten sieht. Ja, ja, Mountainbiker freigeschnitten. Schade, e Digne-les-Bains Thorame-Haute V er habe da schon viele Biker hinunterfah- Woche gut zu schaffen. Die Abfahrten der Thorame-Basse dazu haben wir leider keine Zeit mehr. ersten Abschnitte sind oft knifflig, gen Ende Montfort Mirabeau ren sehen. „Es soll einer der besten Trails Aber mich würde noch interessieren, ob es Méailles der Route aber immer flüssiger zu fahren. n der Region sein!“, fügt er sichtlich stolz diese Militärzone noch gibt, in die wir da- o d r Braux Beste Touren-Zeit Wer die be- Mézel La Mure-Argens e hinzu. Felsplatten pflastern diesen Pfad. mals, vor 25 Jahren, hineingeraten sind? V A51 rühmte Lavendelblüte erleben möchte, sollte Saint-André- Einige davon sind vom Morgentau noch Noël reißt überrascht die Augen auf: „Ja, Barrême les-Alpes zwischen Mitte Juni und Mitte September Bras-d'Asse e etwas feucht, bieten aber dennoch genü- sie liegt südwestlich von hier. Aber da darf Moustiers- Lac de c anreisen. Juli und August sind aber oft zu n gend Grip. Wie im Rausch schießen wir man nicht biken!“ Ich grinse und nicke. Sainte-Marie Castillon heiß zum Biken. e hunderte von Höhenmetern durch jungen v on o Unterkünfte In den Gîtes (Hütten) gibt Saint-Martin-de- Verd Fichtenwald hinunter, bis wir schließlich Lac de Rougon r es immer HP. Tagsüber kann in den Dörfern Brômes Esparron- Saint Croix Aiguines P am Ufer des Verdons zum Stehen kom- C La Palud- n sur-Verdon - de-Verdon an o e Holger Feist war schon als Snow- und Hütten gegessen werden. y d men. Endlich können wir das türkisfarbe- Gréoux- Sainte-Croix on r t n du V e boarder in den entlegendsten o u Alle Infos Karten, GPS-Daten, genaue les-BainsG rd Saint-Laurent-du-Verdon a ne Flusswasser auch mal anfassen! Über Gebirgswinkeln dieser Welt unter- or e H Streckenbeschreibungen und Unterkunfts- ges d u V d e - eine Schotterstraße klettern wir wieder wegs. Seit er sich vor 25 Jahren Die letzten Kehren auf dem A l p e s - ein Bike kaufte, hat er auch im Römerweg nach Moustiers St. Marie sowie Veranstalteradressen gibt es unter Montmeyan 10 km aus der Schlucht ins Dorf Rougon hinauf. Sommer eine Beschäftigung. hinunter. Schöner kann www.vtt.alpes-haute-provence.fr Inzwischen sind auch die Pfannen in der man Kurven nicht anlegen.

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