Von New York Über Boston Nach Cleveland – Zu Besuch Bei Drei Amerikanischen Spitzenorchestern (1 - 5) Folge 5: Cleveland Orchestra
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SWR2 Musikstunde Von New York über Boston nach Cleveland – Zu Besuch bei drei amerikanischen Spitzenorchestern (1 - 5) Folge 5: Cleveland Orchestra Von Susanne Herzog Sendung: 15. Januar 2021 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2020 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. 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Denn Alice ist sozusagen schon immer dabei: noch Nikolai Sokoloff, der erste Dirigent des Cleveland Orchestras, engagiert sie. Und sein Nachfolger Artur Rodzinski, der eigentlich findet, dass Frauen in Orchestern nichts zu suchen hätten, selbst Rodzinski kann Alice akzeptieren, denn sie hat sich an den „Männerhaufen“ um sich herum völlig assimiliert, geht abends nach dem Konzert mit den Kumpels einen trinken. Und auch sonst weiß sie sich zu helfen in diesen Zeiten als Orchester noch von Männern dominiert waren: wenn es auf Tourneen keine Garderobe für sie gibt, dann steigt sie einfach in ihren riesigen Harfenkasten. Oder vielleicht versteckt sie sich auch nur ein bisschen hinter ihrem aufgeklappten Harfenkasten. Jedenfalls gibt’s da drin einen Spiegel und Haken für die Kleider, alles damit sie sich in ihrer mobilen Garderobe umziehen kann. Und so klingt es, wenn Alice Chalifoux in die Saiten ihrer Harfe greift. MUSIK 1 Claude Debussy: Danse profane Cleveland Orchestra, Leitung: Pierre Boulez LC 06868-Sony Classical, 88697 00816 2 LÄNGE 5’00 Die Harfenistin Alice Chalifoux war die Solistin beim Danse profane von Claude Debussy. Pierre Boulez hat das Cleveland Orchestra dirigiert. Alice Chalifoux spielt unglaubliche 43 Jahre im Cleveland Orchestra und sieht sehr viele Dirigenten kommen und gehen. Bei dem gefürchteten George Szell etwa erinnert sie sich, dass jede Probe bereits am Montagmorgen wie ein Konzert in der Carnegie Hall war. Und sie sagt: Viele Musiker haben sich in dieser Zeit einen Psychoanalytiker gesucht. Dennoch schätzt sie die Arbeit mit Szell sehr, wie auch die seines Vorgängers: das ist Artur Rodzinski. Wir haben ihn diese Woche in der SWR 2 Musikstunde schon kennenlernt als Chef in New York, als der liebe Gott höchstpersönlich ihm dabei geholfen hat, Leonard Bernstein als Assistenten auszusuchen… 2 In Cleveland ist Rodzinski vor New York, und nach Ohio bringt er sehr viel Enthusiasmus mit: Er hat das Ziel, Cleveland zu einem Mekka für die musikalische Welt machen. Die Clevelander sind so begeistert von seinen Ideen, dass sie diesen Dirigenten lieben, bevor er überhaupt zum ersten Mal vor dem Orchester steht. Die Musiker dagegen stimmen in diese Lobeshymen nicht ein, denn Rodzinski ist nicht gerade zimperlich in den Proben. Und auch als Person ist er ziemlich speziell. Angeblich soll Rodzinski immer eine geladene Pistole bei sich getragen haben. Nicht um die Musiker zu bedrohen… dass nicht, sondern mehr aus einem Aberglauben. Noch in Europa, Rodzinski kommt ursprünglich aus Polen, hat er sich in eine verheiratete Frau verliebt und wollte damals – so sagt man - ihren Ehemann erschießen. Die Pistole schon in der Tasche, musste er dann aber plötzlich für einen Kollegen in der Oper einspringen. Die Aufführung wurde ein riesiger Erfolg und als er hinterher gemerkt hat, dass er mit geladener Pistole in der Hosentasche dirigiert hat, wird die zu seinem Glücksbringer. Nicht mehr und nicht weniger: umgebracht hat Rodzinski natürlich niemanden. MUSIK 2 Felix Mendelssohn-Bartholdy: Nocturne aus der Schauspielmusik Shakespeares “Ein Sommernachtstraum” Cleveland Orchestra, Leitung: Artur Rodzinski Naxos Classical Archives, 9.80245 LÄNGE 2’46 Artur Rodzinski und das Cleveland Orchestra haben das Nocturne aus dem Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn-Bartholdy gespielt. Nach Cleveland bringt Rodzinski nicht nur frischen Wind mit, sondern auch seine Begeisterung für die Oper. Gleich in seiner ersten Spielzeit führt er Wagners Tristan und Isolde auf und auch für moderne Opern ist er aufgeschlossen. Als er im Frühling 1934 in Russland ist und dort die Uraufführung von Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch miterlebt, ist Rodzinski unglaublich begeistert von der Musiksprache des jungen Komponisten. So sehr, dass er diese Oper unbedingt in den Staaten aufführen möchte. Deshalb setzt er alle Hebel in Bewegung, verhandelt auf verschlungenen Wegen mit der Regierung und letztlich gelingt es Rodzinski tatsächlich. Er bekommt das okay und steigt mit der Partitur und verschiedenen Zeichnungen zum Bühnenbild ins Flugzeug zurück nach Amerika. Doch der russische Zoll wird skeptisch: was sind das für seltsame Aufzeichnungen? Doch nicht etwa Skizzen von versteckten Waffenlagern? Rodzinki kann glücklicherweise ein wenig russisch und redet mit Engelszungen auf die Beamten ein, um sie davon zu überzeugen, dass das alles ganz ungefährlich sei. Irgendwie gelingt es ihm, die Zollbeamten zu besänftigen und am Ende darf er alles 3 mitnehmen. Die „beste Oper in diesem Jahrhundert“ wie Rodzinski schwärmt, bringt er in Cleveland mit seinem Orchester auf die Bühne, mit russischen Sängern. Es wird ein unglaublicher Erfolg und bringt maximale Aufmerksamkeit für das Cleveland Orchestra. Weil es leider keine Aufnahme davon gibt, hören wir Rodzinski jetzt mit etwas anderem von Schostakowitsch: mit dem zweiten Satz aus dessen fünfter Sinfonie. MUSIK 3 Dmitri Schostakowitsch: Allegretto aus der Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 Cleveland Orchestra, Leitung: Artur Rodzinski Naxos Classical Archives, 9.80472 LÄNGE 4’11 Dmitri Schostakowitsch: das war der zweite Satz aus seiner fünften Sinfonie, gespielt vom Cleveland Orchestra, dirigiert von Artur Rodzinski. Rodzinski setzt sich sehr für die Musik des 20. Jahrhunderts ein und erklärt mal in einem Interview: bei Musik sei das nicht wie bei Wein. Man müsse nicht jahrelang warten, bis sie gut werde. Wenn der Komponist was tauge, dann sei die Musik sofort genießbar. Viele Komponisten kommen auch höchstpersönlich nach Cleveland, um dort ihre Musik aufzuführen. Zum Beispiel Sergej Rachmaninow, Igor Strawinsky oder auch Béla Bartók. 1940 zum Beispiel ist Bartók der Solist in seinem zweiten Klavierkonzert, begleitet vom Cleveland Orchestra und Artur Rodzinski. Drei Jahre später führt Rodzinski Bartoks zweites Violinkonzert zum ersten Mal in den USA auf: mit Tossy Spivakovsky, dem neuen Konzertmeister des Orchesters. Bartók lebt zu dieser Zeit in New York und ist damals schon so krank, dass er nicht nach Cleveland kommen kann, um die Aufführung zu hören. Deshalb spielt Spivakovsky das Konzert im Herbst auch in New York. Und zwar wieder unter Rodzinski: der ist nämlich zu Beginn der Saison zu den New Yorker Philharmonikern gewechselt. Bartók sitzt im Publikum und ist so berührt von der Aufführung, dass er Spivakovsky hinterher einige handschriftliche Skizzen des Konzerts schickt. MUSIK 4 Béla Bartók: 2. Satz: Andante tranquillo aus dem Violinkonzert Nr. 2 Isaac Stern, Violine New York Philharmonic, Leitung: Leonard Bernstein 06868-Sony Classical, SMK64502 LÄNGE ausblenden bei 5‘43 4 Das war der Anfang des langsamen Satzes aus dem zweiten Violinkonzert von Béla Bartók. Gespielt von Isaac Stern und den New Yorker Philharmonikern mit Leonard Bernstein. Der Geiger Tossy Spivakovsky hat das Konzert in New York im Herbst 1943 aufgeführt, ebenfalls mit den New Yorker Philharmonikern, damals unter der Leitung von Artur Rodzinski. Da ist Rodzinksi schon Chef in New York. Sein Nachfolger in Cleveland wird Erich Leinsdorf. Doch der kann eigentlich kaum richtig mit dem Orchester arbeiten, weil er schon bald zum Militär eingezogen wird. George Szell, der Dirigent, den man immer sofort mit Cleveland verbindet, kommt 1946 und bleibt bis zu seinem Tod 1970. Szell stammt ursprünglich aus Ungarn, geht als junger Mann dann an die Berliner Oper, wo er Korrepetitor von Richard Strauss wird. Nach verschiedenen Stationen als Dirigent in Europa emigriert er 1939 in die USA und dirigiert zunächst viel in New York: an der Metropolitan Opera und auch die New Yorker Philharmoniker. Nach Cleveland bringt George Szell große Visionen mit: Er will das Orchester