Martin Scharf

„We are GAK“ Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz

Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Dr.phil Angermann-Mozetic

Institut für Soziologie

Graz/September/2013

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere, als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

Danksagung

Danken möchte ich an dieser Stelle zuerst den Fans des GAK, die sich für die von mir durchgeführten Interviews, informelle Gespräche und die Gewinnung themenbezogener Informationen jeglicher Art zur Verfügung gestellt haben. Ohne sie wäre eine Umsetzung des von mir gewählten Themas nicht möglich gewesen.

An zweiter Stelle danke ich selbstverständlich dem Betreuer meiner Masterarbeit, Herrn Ao.Univ.-Prof. Dr.phil Angermann-Mozetic, der mich nicht nur durch sein fachliches Feedback zu den von mir eingebrachten Themen und Inhalten bestmöglich unterstützt hat, sondern auch den entscheidenden Denkanstoß zu so manchen weiteren in die Masterarbeit eingearbeiteten Ideen geliefert hat.

Zu Letzt gilt mein Dank all jenen, die mich direkt oder indirekt bei meinen Schreibarbeiten unterstützt haben, seien es nun Verwandte, Freunde, Freundin, oder ArbeitskollegInnen. Namentlich erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang vor allem meine Korrekturleserin, mit deren Hilfe ich der vorliegenden Masterarbeit den letzten und entscheidenden Schliff verleihen konnte: Amelia, ich danke dir!

„We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 3 1.1 Anmerkungen zur sich geänderten Situation des GAK bzw. GAC ...... 3 1.2 Zur Methodik ...... 4 Anmerkungen zu den Interviews ...... 5 1.3 Fragestellungen ...... 6 1.4 Aufbau der Arbeit ...... 7 2 Definition der Begriffe Fans und Fankurve im Allgemeinen ...... 9 2.1 Emotionen als zentrales Merkmal des Fan-Seins ...... 9 2.2 Die Fankurve ...... 10 Exkurs 1: Männliche Dominanz und Männlichkeitsgehabe in der Fankurve...... 12 2.3 Die (Kurven-)Fans als „soziale Gruppe“ nach Hartmut Esser ...... 14 2.4 Kategorisierung von Fans nach Heitmeyer und Peter ...... 18 2.4.1 Der konsumorientierte Fan ...... 18 2.4.2 Der fußballzentrierte Fan ...... 18 2.4.3 Der erlebnisorientierte Fan ...... 18 2.4.4 Die Situation allgemein und beim GAK im speziellen ...... 19 3 Der Sektor 22 der Grazer UPC-Arena ...... 22 3.1 Abgrenzung und Besonderheit des Sektors 22 in seiner Funktion als Fankurve .. 22 3.2 Unterschiede zu den Fansektoren anderer Vereine ...... 23 4 Die Fanklubs und das Publikum der Kurve ...... 24 4.1 Die Elemente englischer Fankultur in der Fankurve des GAK ...... 25 4.1.1 Football Chants ...... 26 4.1.2 Hooligans ...... 28 Segmentäre Bindungen als Hauptmerkmal des Hooliganismus ...... 29 Die Rote Armee Graz (RAG) ...... 32 4.2 Die Elemente italienischer Fankultur in der Fankurve des GAK ...... 34 4.2.1 Exkurs 2: Geschichtlicher Kontext und politische Betrachtung der italienischen Ultras ...... 34 4.2.2 Eigendarstellung der von mir interviewten Fanklubs in Bezug zur Ultrakultur ...... 37 Der Red Firm Supporters Club ...... 38 Die Society Graz...... 40 Tifosi Rosso Bianco ...... 41 4.3 Die Elemente österreichischer Fankultur in der Fankurve des GAK ...... 42 4.4 Das nicht fanklubgebundene Kurvenpublikum ...... 43 5 „Geliebter Feind“ – der SK Sturm Graz ...... 44 5.1 Ebene 1: Innerhalb des Stadions ...... 44 5.1.1 Während des kleinen Derbys ...... 45 5.1.2 Während des Spiels gegen andere Mannschaften ...... 46

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5.2 Ebene 2: Außerhalb des Stadions ...... 47 5.2.1 An Derbytagen...... 47 5.2.2 Abseits von Spiel- bzw. Derbytagen ...... 48 5.2.3 Im Internet ausgetragene Rivalität ...... 51 Das offizielle Fanforum ...... 52 Die Onlineausgabe der Kleinen Zeitung ...... 54 Facebook...... 55 6 Rot und Weiß ein Leben lang...... 58 6.1 Der GAK der Zukunft ...... 59 6.2 Der GAK der Vergangenheit ...... 61 6.2.1 Die Entwicklung des organisierten Supports ...... 62 6.2.2 Mögliche Fehler der Vergangenheit ...... 64 6.3 „Wir“ und die „Anderen“ ...... 66 7 Keiner mag uns … ...... 70 7.1 Selbstwahrnehmungen der Fans ...... 70 7.1.1 Diesbezügliche Wahrnehmung der Interviewpartner ...... 71 7.1.2 Diesbezügliche Wahrnehmung im offiziellen GAK-Forum ...... 73 7.2 Versuch einer objektiven Wahrnehmung des „nicht Mögens“ ...... 74 7.2.1 Die Fans der anderen österreichischen Vereine abseits von Graz ...... 74 7.2.2 Der SK Sturm und seine Fans ...... 75 7.2.3 Seitens der „Offiziellen“...... 77 7.2.4 Die Kleine Zeitung ...... 79 8 „Worst Case“ Hartberg away ...... 82 8.1 Im offiziellen Fan-Forum ...... 83 8.2 Anhand der Interviews ...... 85 9 Zusammenfassung und persönliches Resümee ...... 89 9.1 Allgemeines ...... 89 9.2 Die Fankurve des GAK/GAC im Speziellen ...... 91 9.3 Zusammenfassung der GAK-spezifische Fragestellungen ...... 95 Der „besondere“ Stellenwert des SK Sturm Graz ...... 98 9.4 Weiterführende Fragen ...... 99 Etablierte und Außenseiter – Keiner mag uns…...... 100 9.5 Resümee: WE ARE GAK ...... 103 10 Literatur und Quellennachweise ...... 106 10.1 Bibliographie ...... 106 10.2 Internet ...... 107 10.3 Andere Quellen ...... 108 11 Abkürzungen und Glossar ...... 109 12 Anhang: Interviewleitfaden ...... 110

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1 Einleitung

„We are GAK, We are GAK“

Wann immer dieser Schlachtruf in den vergangenen Jahren in österreichischen Stadien Richtung Spielfeld hallte, lag dies daran, dass sich in diesen Stadien eine für die Regionalliga äußerst beachtlicher Anzahl an Fans des ältesten Grazer Fußballvereines GAK (Grazer Athletiksport-Klub) befanden, und lautstark ihre Anwesenheit demonstrierten. Unter „Wir“ soll nun im Folgenden primär die Fankurve des GAK verstanden werden, die es kaum wie eine andere verstand, einem Verein auch nach zahlreichen sportlichen und wirtschaftlichen Niederlagen immer noch die Treue zu halten. Dieses „Wir“ beinhaltet(e) im Selbstverständnis der Fanszene natürlich auch die zahlreichen anderen Fans, die nicht Teil der Fankurve sind, aber seit Jahren die Spiele des Grazer AK besuchen – genauso treu, genauso emotional. Selbige wären aber aus Gründen, die ich noch erläutern werde, von den Fans in der Fankurve getrennt zu behandeln, und sollen zumindest nicht Forschungsobjekt dieser Masterarbeit sein. Forschungsobjekt zumindest dieser Arbeit ist die Fankurve des GAK und deren Akteure, welche ich in weiter Folge analysieren und beschreiben werde, um den LeserInnen einen Einblick in eine eigene kleine Welt zu verschaffen, die von Außenstehenden oftmals nur bedingt nachvollziehbar erscheint. Die nun folgenden 100 Seiten sind das Ergebnis qualitativer Sozialforschung, welche zum Ersten eine soziologische Darstellung der GAK- Fankurve, zum Zweiten einen Abgleich zu spezifischen fankulturrelevanten soziologischen Theorien, und zum Dritten die Beantwortung ausgewählter spezifischer Fragestellungen zum Ziel hatte. Die Bezugszeit dieser Darstellung erstreckt sich dabei im Wesentlichen über den Zeitraum vom Zwangsabstieg aus der höchsten österreichischen Spielklasse (Bundesliga) in die dritthöchste Spielklasse (Regionalliga) in der Saison 2006/2007 bis hin zur Gründung des GAC im März 2013 (weitere Erörterungen dazu im nächsten Punkt).

1.1 Anmerkungen zur sich geänderten Situation des GAK bzw. GAC

Kurz nach Beginn meiner Arbeit kam es zu dem Ereignis, dass der seit 1902 existierende Fußballverein GAK, dessen Fankurve ja von mir als Forschungsobjekt ausgewählt wurde, im Dezember 2012 aufgrund seines vierten Insolvenzverfahrens und des daraus resultierenden Konkurses offiziell zu existieren aufhörte. Zu diesem Zeitpunkt spielte der GAK in der

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Regionalliga Mitte (Steiermark/Kärnten/Oberösterreich), also der dritthöchsten österreichischen Liga, in die er aufgrund des ersten Insolvenzverfahrens nach der Bundesligasaison 2006/2007 zwangsabsteigen musste. Zuvor spielte der GAK eben in der Bundesliga, also der höchsten österreichischen Spielklasse. Heimspielstätte des GAK war seit der Saison 1998/1999 bis zur Schließung des Vereins die UPC-Arena in Graz, aufgrund ihres Standorts auch umgangssprachlich „Liebenauer Stadion“ genannt. Bereits im März 2013 wurde – auch unter Mithilfe mehrerer Fankurvenmitglieder – ein neuer Verein gegründet, der auf den Namen GAC (Grazer Athletiksport-Club) lautet, welcher auch der Gründungsname des ursprünglichen GAK war. Der GAC, der aller Voraussicht nach im August 2013 den Spielbetrieb in der untersten steirischen Spielklasse aufnehmen wird, gilt inzwischen und mit Abschluss meiner Arbeit als legitimer, moralischer und auch offizieller Nachfolger des GAK. Der Name GAK ist zurzeit noch vom Stammverein GAK (der Fußballverein GAK war nur einer von mehreren Spartenvereinen) gesperrt, mittelfristig wird aber angestrebt, den Namen GAK zurück zu erhalten, und nach Möglichkeit auch wieder in den Stammverein eingegliedert zu werden. Die Fankurve des GAK ist im Großen und Ganzen geschlossen zum GAC übergetreten, sie ist also im Wesen und von den Akteuren her mit der Fankurve des GAK identisch. Deswegen wird in manchen Zusammenhängen dieser Arbeit in der Vergangenheitsform und in manchen Zusammenhängen in der Gegenwartsform geschrieben werden. Um also Missverständnissen vorzubeugen: Wenn im Zuge dieser Arbeit zwischen GAK und GAC unterschieden wird, betrifft dies nur den GAK bzw. den GAC in ihrer Rolle als rechtlich unterschiedliche Vereine, die Fankurve des GAK bzw. die jetzige Fankurve des GAC sind als dasselbe zu betrachten.

1.2 Zur Methodik

Die von mir gesammelten Daten und Informationen über die Fankurve des GAK entstammen im Hauptsächlichen aus mehreren von mir durchgeführten leitfadengestützten Interviews mit Mitgliedern der Fankurve, der Analyse des offiziellen Fanforums des GAK aber auch anderen Diskussionsplattformen und Internetmedien zum Thema Fußball und insbesondere dem GAK, der Untersuchungen von Fangesängen, und meinen persönlichen Beobachtungen während unzähliger Heim- aber auch Auswärtsspiele des GAK als Teil der von mir untersuchten Fankurve. Alle für die Arbeit relevanten Geschehnisse und Ereignisse, auf die ich immer wieder exemplarisch zurückgreifen werde, wurden von mir „live“ und an Ort und Stelle im Sinne einer teilnehmenden Beobachtung mitverfolgt.

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Anmerkungen zu den Interviews

Insgesamt wurden von mir sechs Interviews durchgeführt, wobei vier davon mit jeweils zwei führenden Vertretern der Fanklubs Red Firm, Society Graz, Tifosi Rosso Bianco, und RAG stattfanden. Diese vier Fanklubs sind nicht nur die größten Fanklubs der Kurve, sondern auch jene, die das Bild und das Image der Kurve am aktivsten mitgestalten bzw. beeinflussen. Sofern ich Passagen dieser Interviews direkt oder indirekt zitiere bzw. zusammenfasse, die persönliche Ansichten und Meinungen von einem der jeweils zwei Interviewpartner wiedergeben, ist der Tätige dieser Ansichten und Meinungen – sei es per Fußnote, in Klammer oder im Rahmen der Satzstellung als Subjekt – mit IP1 oder IP2 gekennzeichnet. Bei jenen Passagen, deren dargestellte Meinungen und Ansichten stellvertretend für den gesamten Fanklub stehen, oder bei denen zumindest beide für den jeweiligen Fanklub stellvertretenden Interviewpartner d'accord gehen, wird auf diese Unterscheidung verzichtet. Die zwei anderen Interviews wurden mit Besuchern bzw. Mitgliedern der Fankurve geführt, die keinem Fanklub angehören bzw. als nicht fanklubgebunden zu betrachten sind. Diese werden von mir im Rahmen der Arbeit als NFK1 bzw. NFK2 bezeichnet.

Die von mir interviewten GAK-Fans waren allesamt männlich, mit sehr wohl vorhandenen weiblichen Fans kam aus verschiedenen Gründen letztendlich kein Interview zustande, auch wenn zumindest ursprünglich ein solches geplant war. Dieser Umstand mag zwar im Sinne einer weiter gefassten und auch die weiblichen Fans einbeziehenden Perspektive bedauerlich sein, ist aber für die Arbeit als Gesamtes insoweit vertretbar, da die GAK-Fankurve gleich den meisten anderen Fankurven zu überwiegendem Teil männlich dominiert ist. Selbiges gilt auch für die tonangebenden Fanklubs, was aber nicht bedeuten soll, dass dem weiblichen Teil der Fankurve in irgendeiner Form in Abrede gestellt werden soll, nicht genauso so leidenschaftlich oder engagiert Fan zu sein, wie ihre männlichen Gegenstücke. Jedoch sind sie generell in der Fankurve stark in der Minderheit und ihr Anteil liegt schätzungsweise unter 20 bis 25 %. Bei den die Fankurve bestimmenden Fanklubs, deren Mitgliedschaft sich im Großen und Ganzen nur aus Männern bzw. männlichen Jugendlichen zusammensetzt, sind sie objektiv betrachtet eine Randerscheinung. Eine detaillierte Analyse folgen zu lassen, warum dem so ist, würde den möglichen Rahmen dieser Arbeit sprengen, und wird deshalb auch nicht stattfinden. Jedoch möchte ich an dieser Stelle auf eine diesbezüglich durchaus

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 5 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub spannende und themenbezogene Diplomarbeit einer deutschen Kollegin verweisen, die den Titel „Frauen im Abseits?“1 trägt, und genauer auf diesen Themenkomplex eingeht.

1.3 Fragestellungen

Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellungen zielen auf zwei Schwerpunkte ab. Der erste Schwerpunkt liegt darin, danach zu fragen, wie Fußballfankurven soziologisch zu definieren, soziologisch zu beschreiben, und soziologisch zu begreifen sind, aus welchen Akteuren sie bestehen, und was diese Akteure von den „anderen“ Besuchern eines Fußballspieles unterscheidet. Diese allgemeine Fragestellung richtet ihren Fokus auf Voraussetzungen, Abläufe und Folgen des Zusammenwirkens von Menschen im Rahmen einer Fankurve – kurzum, sie fragt nach der „Soziologie der Fankurve“. Als exemplarisches Beispiel einer solchen (österreichischen) Fankurve dient jene des GAK, deren zumindest grundlegende Merkmale anzunehmenderweise auch bei den meisten anderen vergleichbaren Fankurven österreichischer Vereine vorzufinden sind.

Der zweite Schwerpunkt liegt darin, spezifische Eigenheiten und Merkmale der GAK- Fankurve und deren Akteuren im speziellen zu erfragen, mögliche Unterschiede zu anderen Fankurven und Fanszenen heraus zu heben, und Motivationen zur immer noch andauernden bzw. generellen Unterstützung des GAK bzw. GAC zu ergründen. Lapidar zusammengefasst lautet die Fragestellung also: „Was macht die Fankurve des GAK zur Fankurve des GAK?“ Wichtiger Bezugspunkt zu dieser Frage ist dabei einerseits der Umstand, dass der Verein in Form von Insolvenzen und Konkursverfahren nicht nur vier Mal wirtschaftlich vor dem Aus stand, sondern auch sportlich insofern versagte, als dass der angestrebte Wiederaufstieg in die zweithöchste Spielklasse drei Mal in der eigenen Hand liegend, sprichwörtlich in der letzten Minute vergeben wurde. Andererseits lege ich dieser Arbeit jenen Umstand zugrunde, dass der dem GAK zugeordnete Wikipedia-Artikel unter dem Punkt „Fans“ die Behauptung aufstellt, dass „die Qualität des organisierten Supports“ seit dem Zwangsabstieg gestiegen sei.2

1 Gerschel, Sophia (2009). Frauen im Abseits? Eine Untersuchung zu weiblichen Ultras in der Fußballfanszene. Diplomarbeit, Universität Leipzig, Institut für Soziologie 2009. 2 http://de.wikipedia.org/wiki/Grazer_AK#Fans

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1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit umfasst insgesamt neun Kapitel. Ziel und Inhalt der folgenden zwei Kapitel ist es, der Leserschaft ein Grundverständnis dessen zu verschaffen, was überhaupt darunter zu verstehen ist, wenn man gemeinhin von einer „Fankurve“ spricht. Definiert und charakterisiert wird dabei zum Ersten der Begriff „Fan“. Ausgangspunkt für diese Definition wird die Annahme sein, dass Emotionen als zentrales Merkmal des Fan-Seins zu begreifen sind, eine Kategorisierung erfolgt dabei nach Wilhelm Heitmeyer und Jörg Ingo Peter. Ein Teil solcher (Fußball-)Fans schließt sich nun wie auch im Falle des GAK/GAC bei vielen Vereinen zu einer bestimmten sozialen Gruppe zusammen bzw. schließt sich einer bereits bestehenden sozialen Gruppe im Sinne Hartmut Essers an, nämlich jener der „Kurvenfans“. Diese bilden die Basis des sozialen „Gebildes“ Fankurve. Es soll verständlich gemacht werden, dass eine Fankurve trotz des dahingehend möglicherweise irritierenden Namens unter keinen Umständen auf eine bloße örtlich festgelegte Gegebenheit reduziert werden darf. Dem gegenübergestellt wird zur Differenzierung und besseren Abgrenzung der Begriff des „Fansektors“ als Stadionbereich und gleichzeitiger Heimat der Fankurve. All dies geschieht in Bezug zur Fankurve des Grazer AK und deren Akteure bzw. Publikum.

Kapitel 4 wird die Akteure – also die Fans innerhalb Fankurve – vorstellen, welche in „fanklubgebundene“ und „nicht fanklubgebundene“ Kurvenbesucher bzw. Fankurvenfans zu unterscheiden wären. Ein Hauptaugenmerk soll dabei auf die von der Fankurve verwendeten Elemente des organisierten Supports gelegt werden, wobei die Grundannahme dieser Arbeit war, dass die zwei prägenden europäischen Fußballfankulturen, nämlich die italienische und die englische, auch massiven Einfluss auf die Fankultur innerhalb der Fankurve des GAK/GAC haben und hatten. Die Schwerpunkte liegen dabei auf Ultratum, Hooliganismus (unter anderem mit Verweis auf Norbert Elias und Eric Dunning) und sogenannten Football oder Terraces Chants. Danach geht es weiter mit Kapitel 5, dass dem „geliebten Feind“ und Stadtrivalen SK Sturm Graz gewidmet ist, welcher nicht nur eine ganz besondere Rolle im Selbstverständnis der GAK-Fans bzw. der Fankurve des GAK spielt, sondern zu dessen Fans man auch ein ganz besonderes Verhältnis zu pflegen scheint.

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Kapitel 6 („Rot und Weiß ein Leben lang“) und 7 („Keiner mag uns …“) sind stark an die von mir vorgefertigten Interviewleitfäden3 gekoppelt, und zielen auch auf den zweiten Schwerpunkt meiner Fragestellungen ab, nämlich was die Fankurve des GAK zur eben der Fankurve des GAK im speziellen macht. In einem philosophischen Sinne bedeutet dies weiterführend auch das vermeintliche Wesen der GAK-Fankurve nachzuzeichnen, wie es sich – so meine Annahme – womöglich im Chant „Keiner mag uns“ auszudrücken vermag. Diesem ist mit Kapitel 7 ein eigener Teil abseits der Elemente englischer Fußballfankultur gewidmet, und soll weiterführend die Frage beantworten, ob dem wirklich so ist.

Kapitel 8 beschäftigt sich mit dem verlorenen Relegationsrückspiel des GAK gegen den TSV Hartberg in Hartberg am 08.06.2012, dem damit verbundenem Platzsturm, der daraus resultierenden und weitreichenden medialen Aufmerksamkeit und den Konsequenzen für den GAK/GAC bzw. seinen Fans selbst. Interessant ist dabei vor allem die ebenfalls weiterführende Frage, wie die Fans des GAK im Nachhinein mit diesem Platzsturm umgehen, der sich in weiterer Folge nicht bloß auf ein unerlaubtes Betreten des Spielfeldes beschränkte, sondern auch körperliche Gewalt und groben Vandalismus vonseiten einiger GAK-Fans mit sich zog. An- und abschließend erfolgt mit Kapitel 9 eine Zusammenfassung des bis dahin Geschriebenen. Es wird Resümee gezogen, noch einmal auf die Forschungsfragen eingegangen, und bis dahin erfolgte Schlüsse und Ergebnisse – so weit von Nöten – ergänzt und ausgeweitet. Mit diesem letzten Kapitel sollte es gelingen, bei der Leserschaft den Eindruck einer schlüssigen bzw. in sich geschlossenen Masterarbeit zu hinterlassen, welche die Fankurve des GAK als soziologisches Forschungsobjekt zu ihrem Thema hatte.

3 Siehe Anhang.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 8 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

2 Definition der Begriffe Fans und Fankurve im Allgemeinen

Um auch den nicht mannschaftssport- oder fußballinteressierten LeserInnen dieser Masterarbeit ein Bild davon zu vermitteln, was genau unter einer Fankurve bzw. der ihr angehörigen Fans im Zusammenhang mit Fußball zu verstehen ist, ist es an dieser Stelle hilfreich zu definieren und zu erörtern, was eine Fankurve und die ihr angehörigen Fans von anderen Stadionbereichen und dessen Besuchern unterscheidet. Grundsätzlich ist dabei zu sagen (dazu später noch mehr), dass eine Fankurve als bloßer räumlicher Stadionbereich nicht unabhängig von den sie frequentierenden BesucherInnen betrachtet werden kann, da sie erst durch eben diese ihre Eigenschaft als Fankurve verliehen bekommt. Eine Fankurve ergibt sich grob gesagt dadurch, dass eine bestimmte Gruppe von Fans, für eine bestimmte Zeitdauer, an einem bestimmten Tag, in einem bestimmten Bereich des Stadions, auf eine bestimmte Weise agiert.

2.1 Emotionen als zentrales Merkmal des Fan-Seins

Fans im Sinne dieser Arbeit sind kein Publikum, das ab und an ins Stadion kommt, es sind keine GelegenheitszuschauerInnen, und es sind auch keine Menschen, die sich nur mehr oder weniger 90 Minuten auf das Spielgeschehen konzentrieren, ohne dabei AnhängerInnen einer der beiden Mannschaften zu sein. Fans sind mehr als das, und ich denke gerade im Vereinsfußball erscheint es mir am sinnvollsten und am verständlichsten, einen emotionssoziologischen Ansatz zu wählen, wenn es darum geht, die Bedeutung des Fan-Seins darzustellen. Wenn im Folgenden in dieser Arbeit von Fans gesprochen wird, sind damit Menschen gemeint, die aktive AnhängerInnen eines bestimmten Vereins sind. Es sind „stark engagierte und regelmäßige Besucher“, welche „kontinuierlich Vereine unterstützen, selbst wenn Trainer, Manager, oder Spieler ausgetauscht werden“, und zu ihrem Verein eine leidenschaftliche Beziehung unterhalten, die trotz wiederkehrender Niederlagen und Tiefpunkte oftmals ein Leben lang andauert.4 Fans werden gerade im Fußball dadurch zu Fans, indem sie eine emotional oftmals sehr intensive Beziehung zu einem Verein eingehen, der einerseits als öffentlich zugängliches Fanobjekt fungiert, andererseits aber trotzdem als

4 Vgl. Roose, Jochen; Schäfer, Mike; Schmidt-Lux, Thomas (Hrsg.). Fans: Soziologische Perspektiven. GWV, Wiesbaden 2010.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 9 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub extern gegenüber den Fans zu betrachten ist.5 Das soll bedeuten, dass zwischen Verein und Fans insofern eine klare Abgrenzung besteht, als dass der Verein – verkörpert durch die Mannschaft –am Rasen steht und Fußball spielt, während sich die Rolle der Fans auf das Zuschauen und das Unterstützen der Mannschaft von den Rängen aus beschränkt. Sie können nicht Teil des tatsächlich aktiven Spiels werden, sie können nicht selbst den Verein zum Sieg schießen, und trotzdem ist das Erleben eigener Emotionen für Fans direkt an den Erfolg und Misserfolg der am Feld stehenden Mannschaft gebunden.

Dass diese notwendige und logische Grenze zwischen Mannschaft und den Fans allerdings zumindest in Teilen sehr verletzlich sein kann, demonstrierten nicht zuletzt auch Dutzende Anhänger des GAK, welche bei dem Auswärtsrelegationsspiel um den Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse gegen den TSV Hartberg durch einen Platzsturm am Ende der zweiten Halbzeit einen Spielabbruch provozierten. Dieser Platzsturm mag bei vielen Beteiligten stark an Emotionen wie Frustration oder Wut gekoppelt gewesen sein und als Negativbeispiel für eine starke emotionale Bindung zu einem Verein stehen. Solche Emotionen machen aber nur einen Bruchteil der Emotionen aus, welche ein Fan im Laufe seiner Fankarriere durchlebt. Wie nahe unter anderem Gefühle wie Euphorie, Nervosität, unbändige Freude, tiefste Trauer, Wut, Frustration und auch Hass innerhalb nur eines Spieles aneinander liegen können, mussten die Fans des GAK einmal mehr nur zwei Jahre zuvor erfahren. Nachdem der GAK in der letzten Runde als Tabellenführer auswärts zu Blau Weiß Linz kam, 2:1 siegte, und aufgrund des hohen Heimsieges des direkten Konkurrenten im Parallelspiel (wiederum TSV Hartberg), in allerletzter Minute doch noch den Meistertitel und somit den Direktaufstieg verpasste.

2.2 Die Fankurve

Wenn man auf eine grundsätzliche Definition dieses Begriffes – nämlich die des deutschen Rechtschreibduden – zurückgreift, wird man lesen, dass dieser die „Fankurve“ als einen Bereich definiert, „wo besonders die eingefleischten Fans einer Mannschaft sitzen oder stehen“6. Es handelt sich dabei also um Fans, die noch einmal ein bisschen engagierter,

5 Vgl. Schäfer, Mike S; Roose, Jochen (2005). Begeisterte Nutzer? Jugendliche Fans und ihr Medienumgang. In: merz - Medien + Erziehung, Ausgabe 2, 2005. Seite 49-53 6 http://www.duden.de/rechtschreibung/Fankurve

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 10 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub leidenschaftlicher, und damit eben auch emotionaler sind, als die unter Anführungszeichen „normalen“ Fans. Dieses Mehr an Engagement und Leidenschaft spiegelt sich dabei durch erhöhte und vor allem zumeist organisierte akustische und optische Unterstützung wieder, die sich in ihrer Intensität deutlich von der gezeigten Unterstützung der „normalen“ Fans abhebt. Irritieren lassen sollte man sich dabei allerdings nicht vom Wort „Kurve“ im Sinne eines tatsächlichen Bogens oder eines gekrümmten Objektes. Das Wort „Kurve“ ist im Fußballjargon als Synonym für eben „Bereich“ zu verstehen, welcher im Regelfall bestimmte Eck- bzw. Kurvensektoren und/oder die Sektoren hinter einem der zwei Tore abdeckt. Beim GAK entsprach dieser Bereich bis Ende 2012 im Kern dem Ecksektor 22 des Liebenauer Stadions, während beispielsweise die Fankurve bei Sturm Graz, Rapid Wien, oder Wacker Innsbruck hinter dem Tor angesiedelt ist, oder bei Salzburg einen Teil der Haupttribüne auf der Längsseite einnimmt.

Zur Verdeutlichung von einem zweiten, bei weitem wichtigeren, Merkmal einer Fankurve als das bloße Merkmal, in einem gewissen Bereich des Stadions angesiedelt zu sein, sei es erlaubt, auf die Beschreibung sozialräumlicher Methodik in der Jugendarbeit zurückzugreifen. Diese beschreibt nämlich ein Merkmal der Fankurven, welches die meisten Fans größerer Vereine Spiel für Spiel genau so beobachten können. Entscheidend für die Fankurve ist nämlich auch, dass ihr Bereich zu meist mit Klubfahnen und Transparenten kenntlich gemacht wird, und somit Außenstehenden und BesucherInnen gleichermaßen signalisiert, dass es sich dabei um das Revier der „eingefleischten Fans“ handelt. Gleichzeitig dient die Kurve eines Vereines bzw. dienen die ihr zugehörigen Sektoren als (räumliche) Grenze gegenüber den Fans des gegnerischen Vereins, sie wird zu einer „No go Area“, deren Betreten im harmlosesten Falle mit dem Werfen von Bierbechern auf die gegnerischen Fans endet, bevor Ordner, Polizei, oder Fans selbst die gegnerischen Störenfriede aus dem jeweiligen Fansektor entfernen. Im schlimmsten Fall ist davon auszugehen, dass das Betreten des gegnerischen Fansektors in einer handfesten Massenschlägerei ausarten würde.7 Als BesucherIn einer der Fankurve zugehörigen Sektoren eines Vereines unterwirft man sich Regeln und Normen, welche sich in vielen Fällen von jenen der anderen Sektoren unterscheiden. „Jeder, der sich im Sektor aufhält, weiß über die zu erwartenden und legitimen Handlungsformen Bescheid –

7 Vgl. Krisch, Richard (2009). Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Juventa, Weinheim 2009. Seite 37 – 48.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 11 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub ohne sich damit mit jemandem verständigen zu müssen“.8 So auch in der Fankurve bzw. dem Fansektor des GAK, wobei meiner Meinung nach „jeder“ ein zu starkes Pronomen für die Abbildung der Realität darstellt, und ein Ausdruck in der Form wie „die Meisten“ eher angebracht wäre.

Exkurs 1: Männliche Dominanz und Männlichkeitsgehabe in der Fankurve “Wir san kane oarschwoarmen schwoarzen” / „ladi ladi ladi ladi oh, SK Sturm, Hurensöhne!“9

Ein weiteres Merkmal vieler Fankurven besteht darin, dass ihre Anhängerschaften noch männlicher dominiert sind, als es beim Fußballpublikum im Gesamten ohnehin schon der Fall ist, und wie es auch beim GAK/GAC der Fall ist. Generell ist zu sagen, dass „nicht nur die direkte Beschäftigung mit bestimmten Fanobjekten, sondern auch die Fankultur selbst ein Feld für Inszenierungen und Verhandlungen geschlechtlicher Bedeutungen darstellen kann“10. Das heißt, dass der Habitus bzw. das Auftreten der überwiegend männlichen Fankurvenbesucher, das teilweise relativ aggressive Ausmaße annehmen kann, oftmals an den gegnerischen Verein und dessen Fans gerichtet ist. Habitus und Auftreten gehen mit einer „Inszenierung von Männlichkeit“11 einher, die sich vom Habitus und dem Auftreten des (vermeintlich) “Nicht-Männlichen“ (Frauen, Homosexuelle) abzugrenzen versucht. Mit Verweis auf den deutschen Soziologen und Professor für Soziologie der Geschlechterverhältnisse Michael Meuser, wird Männlichkeit zu einer auf den Wettbewerb beruhenden homosozialen Praxis, „die sich bei wettbewerbsorientierten Spielen wie dem Fußball besonders gut beobachten ließe“12. Wie an den oben zitierten Schlachtrufen erkennbar, wird dabei von der überwiegend männlichen Fankurvengemeinde des GAK einerseits ebenso nur auf männliche gegnerische Fans abgezielt („Hurensöhne“). Andererseits dienen Beleidigungen wie „Oarschwoarme“ – nicht nur aber auch – bei Teilen des GAK- Anhangs dazu, eine hegemoniale Männlichkeit zu konstruieren, die über der marginalisierten

8 Ebd. Seite 48. 9 Regelmäßig (nicht nur beim GAK) intonierter Schlachtrufe zur Beleidigung des Gegners, wobei „schwoarze“ bzw. „Sk Sturm“ beliebig durch die Farben oder die Herkunft des jeweiligen Gegners ersetzt werden kann. 10 Roose, Jochen; Schäfer, Mike; Schmidt-Lux, Thomas (Hrsg.). Fans: Soziologische Perspektiven. GWV, Wiesbaden 2010. Seite 231. 11 Ebd. Seite 234. 12 Ebd. Seite 234.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 12 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

„schwulen“ Männlichkeit der Gegner steht.13 Ob die gegnerischen Fans tatsächlich homosexuell sind oder nicht, spielt dabei offensichtlich genau so wenig eine Rolle, wie die sich selbst reflektierende Frage danach, warum sich Homosexualität und Männlichkeit ausschließen sollten bzw. warum eine heterosexuelle Orientierung ein wesentliches und unverzichtbares Merkmal von Männlichkeit sein muss. Auch wenn es hier primär um die Beleidigung der Gegner geht, und nicht um die Beleidigung von Homosexuellen, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass man gerade in stark männlich dominierten Kollektiven Vorurteile aufgreift, die als gesamtgesellschaftliches Problem begriffen werden können.

Michael Meuser selbst beschreibt dieses Verhalten – mit Verweis auf Pierre Bourdieu – als Bestandteil der männlich-vergemeinschafteten Funktion des Fußballs. Dabei findet eine Konstruktion und Vollendung des bereits oben erwähnten männlichen Habitus nur in Zusammenhang mit einem den Männern vorbehaltenen Raum – in diesem Fall die Fankurve – statt. Männer nehmen die Fankurve mit ihrer eher homosozialen und auf männliche Freunde bezogenen Gemeinschaft als Ort wahr, wo noch authentische Männlichkeit gelebt werden kann. Der Wettbewerb „Fußball“ mit seinen konkurrierenden Vereinen und Fans besitzt dabei eine reziproke Struktur. Das bedeutet, es gibt diesen Wettbewerb nur zwischen „Gleichen“, in unserem Fall also zwischen Männern und anderen Männern. Dies beinhaltet aber auch eine wechselseitige Anerkennung, also eine Anerkennung der gegnerischen männlichen Fans als eben gegnerische männliche Fans und umgekehrt, womit wir auf seine männlich- vergemeinschaftete Funktion zurückkommen. Der Wettbewerb „Fußball“ entzweit die männlichen Fans nicht, er vergemeinschaftet sie, was für das Spiel am Rasen genauso gilt, wie für den Kampf zwischen Hooligans in einer Seitenstraße, oder den Gesangsduellen der jeweiligen Fankurven.14

Dass Fußball und Fanrivalitäten Männerdomänen sind, die auch als zutiefst männlich wahrgenommen werden, ergibt sich zu großen Teilen aus der geschlechterspezifischen Sozialisation. Egal ob im Schulunterricht oder in der Freizeit am Spielplatz, Fußball wird hauptsächlich von männlichen Jugendlichen und Kindern gespielt. Fußball entstand zu einer Zeit, als Frauen im Verhältnis zu den Männern nicht sonderlich viele Rollen im öffentlichen Leben zugestanden wurden, schon gar nicht die Rolle einer Sportlerin, die auf einem grünen

13 Vgl. Ebd. Seite 235. 14 Vgl. Klein, Gabriele, Michael Meuser (Hrsg.) Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs. Transcript, Bielefeld, 2008. Seite 113-116.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 13 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Rasen einem Ball nachjagen sollte. Fußball war also von vornherein ein männliches Territorium, das als solches von der Männerwelt und ihrem männlichem Nachwuchs weiter und weiter reproduziert und verteidigt wurde. Mädchen bekommen einen Hula-Hoop-Reifen, Buben einen Fußball geschenkt, und während Mädchen im Turnunterricht auch wirklich turnen müssen, rennen die Jungs dem runden Leder nach. Gerade der Fußball wird für die Buben zu einer „bereitwillig ergriffenen Gelegenheit, aktiv Grenzziehung gegenüber Mädchen vorzunehmen, wohingegen diese sich zumeist vergeblich darum bemühen, zu den (Fußball-) Spielen der Jungen zugelassen zu werden. […] Zugleich bestätigen die Mädchen mit ihren Wünschen mitzuspielen den Jungen, dass sie ‚im Besitz’ eines wertvollen Guts sind“.15 All dies lässt sich auch auf die Fankultur im Fußball übertragen. Fußball ursprünglich als Sport gespielt von Männern zur Unterhaltung von anderen Männern, ein Wettbewerb unter Gleichen, der sich mit zunehmendem Zuschauerinteresse auf die Stadionränge verlagerte. Ein Sport, zu dem man eher seinen Sohn als seine Tochter mitnimmt. Dieses Muster war ebenso beim GAK zu erkennen, wo der bei Weitem größere Teil der BesucherInnen Männer bzw. männliche Jugendliche sind, die gemeinsam mit anderen Männern bzw. männlichen Jugendlichen ins Stadion gehen. Zum einen geschieht dies, weil sie es in vielen Fällen auch gar nie anders kennengelernt haben, zum anderen, weil man einen Ort der Männlichkeit auch gerne weiterhin als einen solchen bewahren möchte. Dieses Verhalten kam noch um einiges stärker in der Fankurve des GAK, im Gegensatz zu den Längssektoren, zu tragen, auch wenn man sagen muss, dass der Anteil der weiblichen Zuschauer insgesamt in den letzten Jahren im Steigen begriffen war.

2.3 Die (Kurven-)Fans als „soziale Gruppe“ nach Hartmut Esser

Fußballfans eines bestimmten Vereines, vor allem wenn sie regelmäßige Kurvenfans sind, agieren in einem oftmals örtlich, aber auch sozial relativ klar abgegrenzten Raum. Aus soziologischer Schicht sind diese Fans ein Beispiel dafür, was man getrost als „soziale Gruppe“ bezeichnen kann, denn sie sind des Weiteren auch „ein soziales System, dessen Sinneszusammenhang durch unmittelbare und diffuse Mitgliederbeziehungen sowie durch

15 Ebd. Seite 117.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 14 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub relative Dauerhaftigkeit bestimmt ist“16. Aufbauend auf diese Definition lassen sich für den deutschen Soziologen und Vorreiter der mikrofundierten Methodologie Hartmut Esser drei Eigenschaften festmachen, die für soziale Gruppen prägend sind:17

„1. Es gibt ein gemeinsames Motiv oder Ziel, unter dem sich die Akteure zusammenfinden. Das können gewisse Freizeitaktivitäten, […] gemeinsam interessierende kulturelle Fokalobjekte, […] oder ein gemeinsamer Gegner sein.“

„2. In sozialen Gruppen bildet sich nach kurzer Zeit eine – mehr oder weniger fixierte – Struktur von Positionen und Rollen, sowie eine Statushierarchie mit einer – mehr oder weniger – ausgeprägten Führerschaft aus.“

„3. Mit der Bildung von Gruppen entstehen ebenfalls schon bald bestimmte Standardisierungen und Normen, die insbesondere den Zusammenhalt nach innen und die Abgrenzung nach außen regeln.“

Dies trifft nicht nur auf die Fans des GAK zu, sondern gilt im Endeffekt für alle Vereine, die über eine vorhandene Fanstruktur und Fankultur verfügen. Motiv ist die eigene Mannschaft, Ziel die Unterstützung selbiger, und gemeinsame Gegner sind die konkurrierenden Vereine und dessen Fans, oder gelegentlich auch die Polizei. Alter, Bekanntheit, Präsenz, und unterschiedliches Engagement der verschiedenen ansässigen Fans beziehungsweise Fanklubs führen fast zwangsweise zu einer gewissen Statushierarchie, und auch verschiedene Positionen und Rollen – beispielsweise die des Vorsängers – bilden sich im Rahmen dieser. Standardisierungen wären zum Beispiel das gemeinsame Singen bestimmter Fanchöre und Lieder oder das gemeinsame Ausbreiten und Hochhalten der in diesem Falle rot-weißen Fanschals als Ausdruck inneren Zusammenhaltes. Eine Norm und auch Ausdruck der Abgrenzung nach außen war zumindest bei Heimspielen des GAK der Umstand, dass BesucherInnen der GAK-Fankurve während des Matches standen, während die BesucherInnen der Längsseite im Regelfall saßen, obwohl beide Stadionbereiche als Sitzplatzsektoren gedacht sind. In Bezug auf soziale Gruppen folgt Esser in weiterer Folge auch der Ansicht, dass es zwischen formellen und informellen sozialen Gruppen zu unterscheiden gilt, wobei das Kurvenpublikum des GAK der zweiten Variante zugerechnet

16 Neidhardt, Friedhelm (1979): Das innere System sozialer Gruppen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 31, 1979. Seite 642 17 Esser, Hartmut (2006). Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 6: Sinn und Kultur. Campus, Frankfurt/M. 2001. Seite 417

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 15 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub werden darf.18 So genannte informelle Gruppen entstehen meist aus zwei verschiedenen Gründen:

Der erste Grund ist „die Ausfüllung bzw. die Korrektur von Lücken und Fehlern in der formalen Struktur einer Organisation“19. Davon ausgehend, dass der Gesamtverein GAK eine soziale Struktur darstellte, die durch planmäßiges und zielorientiertes Zusammenarbeiten von Personen geprägt wurde, und in diesem Sinne also als Organisation zu betrachten war, haben wir mit dem Kurvenpublikum eine Anzahl von Akteuren, die sich durchaus an nicht unwesentlichen Zielen dieser Organisation orientierten, nämlich dem sportlichen bei gleichzeitigem wirtschaftlichen Erfolg. Die formale Struktur des Vereins GAK beinhaltete kaum fixe Regelungen über Abläufe, die das Fanwesen und die Fankultur im Rahmen von Spielen des GAK betrafen. Die Fankurve des GAK wurde nicht gegründet, sie hat sich längerfristig von sich aus ergeben, ihr Entstehen unterlag keiner Planung, und ihre Strukturen, Hierarchien, Rollenverteilungen, aber auch Normen standen nicht in direktem Zusammenhang mit der formalen Organisation des GAK an sich. Dies ermöglichte der Fankurve bis auf Ausnahmen, ihre eigenen Abläufe und Verhaltensregeln zu entwickeln oder an den Tag zu legen. Sie kann sich als kritische Stimme gegen missliebige vereinspolitische Ziele oder Entscheidungen betätigen, und sie kann wesentlich die Stimmung im Stadion mitgestalten oder verbessern, ohne sich dabei zwingend mit der Vereinsführung kurzzuschließen.

Der zweite Grund für ihr Entstehen ist der Versuch, „sich im ‚System’ einer Organisation eine kleine ‚Lebenswelt’ der persönlichen Kommunikation und der unmittelbaren Produktion von physischem Wohlbefinden und sozialer Anerkennung zu schaffen“20. Hier ist den Mitgliedern einer Fankurve aus logischen Gründen zu unterstellen, selbige als bevorzugte zeitweilige und fußballspezifische Lebenswelt zu wählen, weil sie sich als Teil der Fankurve wohler fühlen, als unter den „normalen“ Anhängern. Aufgrund der Überschaubarkeit der GAK-Fankurve und den regelmäßigen Zusammenkünften ihrer Mitglieder im Sinne körperlicher Anwesenheit bei gleichzeitiger gegenseitiger Wahrnehmung ist persönliche Kommunikation in relativ großem Rahmen möglich. Ein Mindestmaß an sozialer Anerkennung ergibt sich bereits in dem Moment, wo man als Mitglied der Fankurve – und

18 Vgl. ebd. Seite 419 19 Ebd. Seite 419 20 Ebd. Seite 419

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 16 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub somit als „besonders eingefleischter“ bzw. sich von den „normalen Anhängern“ unterscheidender Fan – anerkannt und aufgenommen wird. Dieses Mindestmaß an Anerkennung kann von jedem Einzelnen durch besonderes Engagement oder vorbildlichem Supportverhalten noch zusätzlich gesteigert werden.

Die soziale Gruppe der Kurvenfans des GAK ist in ihrer Funktion fast zwangsweise Bezugsgruppe und Mitgliedschaftsgruppe gleichermaßen. Das bedeutet, der Akteur ist nicht nur objektiv ein Mitglied der „Kurve“, er bezieht sich auch subjektiv auf sie. Es würde wiederum unlogisch erscheinen, dass ein GAK-Anhänger, der als Fan im Sinne dieser Arbeit zu verstehen ist, und somit vermutlich im Regelfall relativ genau zwischen „Kurve“ und „Nicht-Kurve“ differenzieren kann, dieser objektiv zuzurechnen ist, obwohl er sich selbst nicht auf sie bezieht. Letztendlich kann sich eine Fankurve überhaupt erst als Fankurve konstituieren, wenn sie über Akteure verfügt, die sich auf sie beziehen, während die Zugehörigkeit zu einer Fankurve als bewusste Entscheidung ja ohne Bezug auf sie nur wenig Sinn ergäbe. Die Mitgliedschaft bzw. der Bezug zu einer Gruppe eröffnet der Gruppe – repräsentiert durch ihre Akteure – nun die Möglichkeit, sich mit anderen Gruppen in einem sozialen Vergleich zu messen. Wann es zu einem solchen Vergleich kommt, hängt von zwei zentralen Größen ab, der Relevanz und der Ähnlichkeit. In der Theorie lautet die Kernaussage zu sozialen Vergleichsprozessen: „Je größer die Ähnlichkeit zwischen zwei Gruppen in Hinsicht auf andere Merkmale ist, die den Unterschied in einer Situation der Ungleichheit zu ‚erklären’ vermögen, um so eher wird diese Gruppe als Vergleichsstandard ausgewählt.“21 Gerade die Anhängerschaft eines Fußballvereins, vor allem wenn sie in einem relativ spezifischen sozialen Gebilde wie einer Fankurve agiert, legt im Regelfall Wert darauf, als Fankurve eben dieses Vereins wahrgenommen zu werden. Man versucht in dem was man tut, nämlich den Verein zu supporten, so gut wie möglich zu sein, und sich dabei am Support der anderen Fankurven zu messen, was natürlich auch für jene des GAK gilt. Die Ähnlichkeit solcher Fankurven liegt auf der Hand: So unterscheiden sie sich primär als soziale Gruppe oftmals nur anhand der Tatsache, dass sie klarerweise unterschiedliche Vereine unterstützen, und ihre Quantität gerade in Österreich zum Teil beachtlich variiert. Sekundäre Unterschiede wie soziale Schicht, politische Ausrichtung, Präferenzen bestimmter Stile des Supports, etc. sind in Wahrheit optional und nicht zwingend gegeben.

21 Ebd. Seite 443

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 17 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

2.4 Kategorisierung von Fans nach Heitmeyer und Peter

Die zwei deutschen Soziologen Wilhelm Heitmeyer und Jörg Ingo Peter unterteilen dabei Fußballfans in drei Kategorien – den konsumorientierten, den fußballzentrierten, und den erlebnisorientierten Fan.22

2.4.1 Der konsumorientierte Fan

Bei dieser Gruppe an Fans hat Fußball den Stellenwert eines Freizeitangebotes, auch wenn dieser Stellenwert mitunter recht hoch sein kann. Diese Fans legen nicht zwingend Wert darauf, dass sie jedes Match im Stadion mitverfolgen. Auch spielen Attraktivität und Leistung der Mannschaft eine Rolle für die Häufigkeit des Stadionbesuches.

2.4.2 Der fußballzentrierte Fan

Zumindest die Heimspiele des Vereins gelten für diesen als „muss“. Fußball ist keine beliebige Freizeitbeschäftigung, sondern jene mit dem höchsten Stellenwert, deren Verwirklichung mit relativ hoher Kompromisslosigkeit verbunden ist. Die Lebensgestaltung orientiert sich dabei in vielen Fällen am Spielplan der jeweiligen Liga. „Fußball meint bei diesen Fans […] immer viel mehr, als dass der Ball rollt. Fußball, das ist emotionale Teilhabe am Erfolg und Misserfolg anderer […]“23 – eine Teilhabe, die sehr hohe Auswirkungen auf den persönlichen Lebenslauf und das emotionelle Wohlbefinden auch abseits des Platzes haben kann.

2.4.3 Der erlebnisorientierte Fan

Für diese Fans bietet sich ein Fußballspiel dazu an, sich auszuagieren bzw. etwas „zu erleben“. „Fußball als Sinnobjekt zählt eher unter dem Gesichtspunkt des ‚Spektakels‘ und spannender Situationen, die (notfalls) selbst erzeugt werden“.24 Dabei kann dieses „Erleben“ zum Teil auch in gewalttätigen Auseinandersetzungen abseits des Spielfeldes gipfeln. Solche Fans messen sich dabei vor allem an den Fans der gegnerischen Mannschaft, an deren Anzahl, an deren akustischer und optischer Präsenz und deren Willen, sich unter Umständen eben

22 Vgl. Heitmeyer, Wilhelm, Peter, Jörg Ingo (Hrsg.). Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt. Juventa, Weinheim & München 1988. 23 Ebd. 24 Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 18 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub auch einer gewalttätigen Auseinandersetzung zu stellen. Für die erlebnisorientierten Fans spielt es eine wesentliche Rolle, von den Fans der gegnerischen Mannschaft wahrgenommen zu werden.

2.4.4 Die Situation allgemein und beim GAK im speziellen

Die fußballzentrierten Fans nach Heitmeyer und Peter ähneln in ihrer Definition stark jener, die Emotionen in den Mittelpunkt des Fan-Seins stellt. Dadurch aber, dass er in die Richtung tendiert, die persönliche Lebensführung und das persönliche Wohlbefinden von fußballzentrierten Fans auch abseits des Rasens an den jeweiligen Verein zu binden, könnte man sagen, dass bei dieser Kategorie Fans die Konsequenzen und Auswirkungen von Emotion noch zusätzlich an Weite und Stärke besitzen. Bezogen auf die Fankurve, und deren „besonders eingefleischte Fans“, würde das bedeuten, dass diese sich noch einmal stärker in ihren persönlichen Lebensführungen und allgemeinen Gefühlswelten vom Erfolg des Vereines beeinflussen lassen, als die „normalen“ Fans. Jene Fans, die Heitmeyer und Peter als erlebnisorientierte Fans bezeichnen, können wir also im Rahmen dieser Arbeit als „eingefleischtere“ Version jener Fans betrachten, wie sie die Emotionssoziologie beschreibt. Fußballzentrierte Fans wären also als typisches Fankurvenpublikum zu betrachten, allerdings spricht einiges für, dass die Übergänge zwischen diesen drei Gruppen recht fließend sein können, im Gegenzug aber trotzdem auch jede für sich in den Fankurven zu finden ist

In Österreich lässt sich kaum ein größerer Verein finden, der von Match zu Match konstante Zuschauerzahlen aufweist, und auch die Fansektoren bzw. die Fankurven sind Zuschauerschwankungen unterworfen, die zumeist von der Attraktivität des Gegners und der Tabellensituation abhängen. Ein weiterer Faktor für die Höhe der Zuschauerzahl ist dabei die Anzahl der mitgereisten Fans der jeweiligen gegnerischen Mannschaft, welche aber bis auf wenige Ausnahmen in der Regionalliga relativ gering ist, und nicht ins Gewicht fällt. Der GAK erreiche in der Saison 2011/2012 einen Zuschauerschnitt von rund 3500 Zuschauern, dabei variierte die Zuschaueranzahl bei Heimspielen nach Attraktivität des Gegners (die eigene Tabellensituation dürfte allerdings kaum eine Rolle gespielt haben, da der GAK sich fast durchgehend auf Position ein befand) von 2673 (gegen Union St. Florian) bis hin zu 4600 (gegen SK Sturm Amateure). Die Zuschauerschwankungen waren auch im Fansektor zu beobachten, der ebenfalls je nach Attraktivität des Gegners zwar immer relativ gut, aber doch einmal mehr und einmal weniger stark gefüllt war. Auch wenn zu beobachten war, dass zwar

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 19 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub ein großer Teil des Fankurvenpublikums von seinem Besuchsverhalten den fußballzentrierten Fans zuzuordnen ist, war auch immer ein gewisser Anteil an konsumorientierten Fans zu finden, der nicht regelmäßig bzw. nicht „so gut wie immer“ im Stadion zu sehen war. Ausgehend davon, dass der Kauf einer Saisonkarte mit dem Vorsatz und dem Willen einhergeht, sich so viele Spiele wie möglich anzusehen, lässt der Verkauf von gut 2000 Saisonkarten in der Saison 2011/2012 im umgekehrten Fall darauf schließen, dass jene Fans, für die das Besuchen der Heimspiele ein Muss darstellte, nicht nur in der Fankurve und ihren zugehörigen Sektoren zu finden waren, sondern auch auf der Tribünenlängsseite. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Fankurve als Bereich des Stadions in ihrem Kern nur ca. 500 Zuschauern Platz bietet, und auch nicht jeder Besucher der Fankurve über eine Saisonkarte verfügte.

Was die Abgrenzung zwischen fußballzentrierten und erlebnisorientierten Fans betrifft, kann man bei den meisten Vereinen mit entsprechender Fankultur nicht von Kategorien sprechen, die immer klar abzugrenzen sind. Zum einen ist es heute so, dass bei vielen Vereinen Ultragruppierungen oder der Ultrabewegung (dazu mehr in Kapitel 4) nahestehende Fangruppen zu einem großen Teil für den organisierten Support zuständig sind, und diese in den meisten Fällen als fußballzentriert aber eben auch in unterschiedlichen Ausprägungsstärken als erlebnisorientiert zu bezeichnen sind. Das Phänomen der Ultras war aber zum Erscheinen des Buches von Heitmeyer und Peter im Jahre 1987 in Deutschland noch kein sonderlich großes, und in Österreich überhaupt kein Thema (die Rapid Ultras, Österreichs erste Ultragruppierung, wurde erst 1988 gegründet), und floss somit nicht in deren Arbeit ein. Bei vielen Ultragruppierungen, aber auch bei den nicht fanklubgebundenen Kurvenbesuchern, sind oftmals sogenannte „Kategorie B“-Fans zu finden, die im Gegensatz zu „Kategorie A“-Fans (friedliche Fans), und „Kategorie C“-Fans (Gewalt suchende Fans) als gewaltbereit oder der Gewalt zugeneigt zu bezeichnen sind, für die aber trotzdem primär der Fußball und die Unterstützung des eigenen Teams im Vordergrund stehen. Dies war und ist auch bei den GAK-Anhängern nicht anders, wobei Ausschreitungen wie unter anderem in Hartberg oder zwei Jahre zuvor beim Spiel gegen Blau Weiß Linz in Linz, nicht nur Hooligans, sondern auch Personen aus dem Umfeld der in der Fankurve ansässigen Ultra- nahen Gruppierungen zu beobachten waren. Die Einteilung der Fans in die Kategorien A, B, und C ist dabei allerdings keine soziologische, sondern wurde erstmals von der zentralen

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 20 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) der Polizei Nordrhein-Westfahlen vorgenommen25. Sie gilt aber inzwischen als polizeiliche Standardeinteilung im deutschsprachigen Raum und ist auch im Rahmen dieser Arbeit durchaus zweckdienlich.

Zum anderen verfügt der GAK/GAC mit der RAG auch über eine Gruppierung, deren Mitglieder zwar an sich (auch) als Hooligans – und damit als erlebnisorientiert und der Kategorie C zugehörig – zu bezeichnen sind, aber es würde vielen Mitgliedern dieser Gruppe nicht gerecht werden, wenn man sie auf Hooliganismus und Erlebnisorientiertheit reduzieren würde (auch dieses Thema wird in Kapitel 4 noch ausführlicher beleuchtet). Dieser Umstand lässt sich daran festmachen, dass es gerade in der Regionalliga im Regelfall an potentiellen Gegnern fehlt, da die meisten anderen Vereine auch von den Zuschauerzahlen her zu klein sind, um eine Fankultur entwickeln zu können, die unter anderem Gruppierungen wie Ultras oder Hooligans beinhaltet. Im Gegenzug zählten viele der GAK-Hooligans aber zu den regelmäßigsten Heimspielbesuchern des Vereins und waren auch immer wieder bei Auswärtsspielen anzutreffen.

25 Vgl. http://www.polizei-nrw.de/artikel__68.html

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3 Der Sektor 22 der Grazer UPC-Arena

Wie schon erwähnt, lag die Fankurve des GAK im Kern im Sektor 22 der UPC-Arena in Graz-Liebenau. Dieser befindet sich in der südwestlichen Ecke des Stadions und bietet ca. 500 Menschen Platz. Der Sektor 22 war dabei als Heimat der Fankurve zu verstehen, aber nicht mit dieser gleich zu setzen. Dem zugrunde liegt, dass die Fankurve des GAK nur bei Heimspielen des Vereins als solche erkennbar war und als solche auch fungierte. Einerseits, weil sich Fankurven in einem unbenutzten Stadion zumeist ohnehin nicht ausmachen lassen und sich der Fansektor im Falle des GAK architektonisch, außer durch seine Lage, nicht von anderen Sektoren unterschied. Andererseits erlangte er ohnehin erst durch sein spezifisches Publikum und die damit verbunden Wechselwirkungen im Rahmen eines Fußballmatches seine räumliche Bestimmung.26 Hinzu kommt, dass der GAK das Stadion mit dem Stadtrivalen SK Sturm Graz teilte, und somit auch Erkennungszeichen wie Fahnen oder Transparente nur an Spieltagen angebracht werden konnten.

3.1 Abgrenzung und Besonderheit des Sektors 22 in seiner Funktion als Fankurve

Ausgehend davon, dass der Sektor 22 während eines Heimspieles des GAK seine Funktion als Fankurve wahrnahm, weist dieser Sektor einige Merkmale auf, die ihn deutlich vor allem von den Sektoren der Längsseite unterscheidet. Anzumerken sei, dass die Fankurve sich dabei aber nicht prinzipiell und immer bloß auf den Sektor 22 beschränkte bzw. beschränken musste. Bei Spitzenspielen mit erhöhtem Zuschauerandrang war es durchaus möglich, dass sich die Fankurve räumlich auf den bereits auf der Hintertorseite gelegenen Sektor 23 und auf die Ausläufer des bereits auf Längsseite gelegenen Sektors 21 ausweitete. Kern und Ausgangspunkt der Fankurve war dabei allerdings nach wie vor der Sektor 22, die wesentliche Abgrenzung von vor allem den Längssektoren erfolgt dabei in vier Punkten.

Der Sektor 22 der Grazer UPC-Arena grenzt sich vor allem von den Längsseiten dadurch ab, dass er erstens einen preislich günstigeren Eintritt als die Längssektoren ermöglicht (der Vollpreis für die Kurve bei Heimspielen des GAK betrug zuletzt 11 Euro, während der für die Längsseite 14 Euro betrug). Zweitens liegt der ehemalige Fansektor des GAK eben in der

26 Vgl. Krisch, Richard (2009). Seite 37 – 48.

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Kurve – oder besser gesagt in der Ecke – des Stadions, dadurch ist die Sicht auf den Rasen aber mehr eingeschränkt als in den Sektoren der Längsseite. Drittens wurde er zwar baulich als Sitzplatzsektor konzipiert, wurde aber von den Fans als Stehplatzsektor verwendet, und viertens wurde er wie schon gesagt vor allem von jenen Fangruppen und Besuchern genutzt, welche im Wesentlichen den organisierten akustischen und optischen „Support“ – also die Unterstützung der Mannschaft – übernahm. Angemerkt sei, dass das Stadion eine geschlossene Arena ist, bei Heimspielen des GAK im Regelfall aber nur die südliche Längsseite (Sektoren 15 bis 21), der Ecksektor 14 im Südosten, der Fansektor 22, und drei der im Westen hinter dem Tor befindlichen Sektoren (Sektoren 23 bis 25) geöffnet wurden, deren Zugang allerdings ebenfalls mit einem Vollpreis von 11 Euro verbunden war.

3.2 Unterschiede zu den Fansektoren anderer Vereine

Der Standort der Fansektoren hängt im Wesentlichen mit der Bauart des Stadions aber auch mit der Größe des relevanten Anhangs zusammen. Im Großen und Ganzen ist zu sagen, dass so gut wie alle österreichischen Vereine mit dementsprechendem Stadion und Anhang ihre Fansektoren entweder hinter dem Tor (z. B. Rapid Wien, Wacker Innsbruck, Sturm Graz, SV Ried) oder in der Stadionkurve bzw. Ecke angesiedelt haben (z. B. LASK Linz, Blau Weiß Linz, oder Admira Wacker), und es sich dabei – sofern vorhanden – um Stehplätze handelt. Auch bei den meisten anderen Vereinen wird dabei schlagend, dass die Sicht in diesen Sektoren mehr eingeschränkt ist als die Sicht in den Längssektoren, aber dafür im Gegenzug weniger Eintritt kostet. Die Wahl des Sektors 22 als Heimat der Fankurve stellte also keine Besonderheit dar, außer dass er im Gegensatz zu anderen Vereinen mit vergleichbaren Stadien wie Wacker Innsbruck, Red Bull Salzburg, Rapid Wien und natürlich Sturm Graz tatsächlich in der Kurve bzw. Ecke liegt. Dies wäre zumindest bei den zwei letztgenannten Vereinen aufgrund der relativ großen Anzahl an Fankurvenbesuchern nicht mehr sonderlich sinnvoll, da das Fassungsvermögen der jeweiligen Ecksektoren auch bei eher unattraktiven Gegnern nicht ausreichen würde, um alle FankurvenbesucherInnen unterzubringen, und somit ohnehin auf die Sektoren der Breitseite ausgeweitet werden müsste.

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4 Die Fanklubs und das Publikum der Kurve

In der Fankurve des GAK/GAC ließen sich zuletzt fünf Fanklubs ausmachen, die sich aktiv am Geschehen in und um die Fankurve beteiligten. Das bedeutet, dass sie unter anderem mit Transparenten und Bannern auf sich aufmerksam machten, Busse zu Auswärtsspielen organisierten, Schlachtgesänge vorgaben und Choreografien organisierten, in die bei Spitzenspielen wie im Relegationsheimmatch – als über die gesamte südliche Längsseite ein „Überzieher“ mit der Aufschrift „WE ARE GAK“ entrollt wurde – auch die Fans bzw. das Publikum abseits der Fankurve einbezogen wurden. Bezüglich des Supports waren dabei in der Kurve einerseits starke Bezüge auf die zwei prägenden Fankulturen Europas – jene von Italien und England – zu beobachten, anderseits fanden sich vor allem bei den Schlachtgesängen auch typisch österreichische bzw. aus dem deutschsprachigen Raum stammende Elemente, die in ähnlichen Formen und Ausprägungen schon lange vor dem Auftreten der ersten Ultra- und Hooligangruppierungen in Österreich präsent waren.

Die Fanklubs waren dabei in ihrem Auftreten ebenfalls relativ stark in Teilen der italienischen und englischen Fankultur verwurzelt. Dabei handelt es sich zum Ersten um die Fanklubs „Society Graz“ und „Red Firm Supporters Club“, die auf den ersten Blick als Ultra bzw. der Ultrabewegung nahe stehenden Gruppierungen bezeichnet werden können. Zum Zweiten existiert der Fanklub „Tifosi Rosso Bianco“, welcher durch seine Namensgebung ebenfalls dem italienischen Fußball Tribut zollt, für „Kreativität, wertfreies Denken und bedingungslose Unterstützung des Vereins“27 einsteht, und dem Grundsatz folgt: „Egal, in welcher Liga der GAK spielt, ob erfolgreich oder nicht, wir bleiben unserem Verein treu“28. Zum Dritten gibt es die RAG (Rote Armee Graz), welche sich von außen betrachtet an den klassischen englischen Hooligan Firms zu orientieren scheint und sich offensichtlich auch über die Landesgrenzen hinaus als „one of the top hooligan firms in the country“29 einen Namen gemacht hat. Zum Vierten ist in der Fankurve noch ein weiterer aktiver und relativ neuer Fanklub zu finden, der den Namen „Everreds“ trägt, dessen Gründung mit 2011 datiert und dessen Slogan „Red Tradition, Red Love, Red Noize“ lautet30. Die Everreds werden von

27 Siehe http://rossibianci.wordpress.com/ 28 Ebd. 29 Vgl. Bericht und Interview der RAG im polnischen Fanzine Saturdays Heroes, Ausgabe 2, Juli 2012. 30 Siehe http://www.everreds.at/content/index.php?option=com_content&view=article&id=70&Itemid=468

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 24 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub mir in weiterer Folge nicht mehr separat behandelt. Anzumerken ist aber, dass die Everreds im Gegensatz zu den vorhin genannten Fanklubs nicht aus Graz bzw. der Steiermark stammen, sondern in Oberösterreich gegründet wurden. Trotzdem waren die Everreds in Teilen bei allen Heimspielen der letzten beiden Spielsaisonen vor der vorläufigen Schließung des GAK im Sektor 22 anzutreffen.

Im Folgenden werde ich näher auf die englischen, italienischen und österreichischen Elemente und Bezüge der GAK-Fanszene eingehen, und deren Gemeinsamkeiten bzw. deren Unterschiede zu den ursprünglichen Bewegungen in England und Italien darstellen. Des Weiteren werde ich aufzeigen, inwiefern vor allem die Gruppierungen Society Graz, Red Firm Supporters Club, und in weiterer Folge auch die Gruppierung Tifosi Rosso Bianco in das Schema klassischer – auch soziologischer – Vorstellungen und Beschreibungen von Ultragruppierungen bzw. die RAG in die Vorstellung und Beschreibung von Hooligangruppierungen passen. Dies soll letztendlich auch die Frage beantworten, ob es und gegebenenfalls welche spezifischen Eigenheiten es gibt, durch die sich diese Gruppierungen von anderen vergleichbaren österreichischen Gruppierungen unterscheidbar machen.

4.1 Die Elemente englischer Fankultur in der Fankurve des GAK

Im Wesentlichen waren in und um die Fankurve des Grazer AK zwei Phänomene zu beobachten, die direkten Bezug zum Mutterland des Fußballs aufwiesen. Diese waren einerseits das Singen von Liedern im Stile englischer Football bzw. Terraces Chants, andererseits der Umstand, dass der GAK auch nach dem Zwangsabstieg in die Regionalliga über eine für Österreich relativ große Hooliganszene verfügte, die sich in regelmäßigen Abständen durchaus aktiv zeigte.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 25 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

4.1.1 Football Chants

“Ain’t nothing gonna break my reds – and nothing is gonna slow us down – OH NO – we gotta keep on moving”31

„Chanting“ im Sinne von Fußballfankultur ist das Absingen eines Liedes bzw. von einem Ausschnitt eines Liedes mit oftmals bekannter Melodie, und eher eingängigen und einfach zu merkenden Texten. Dementsprechend werden die dazugehörigen Liedpassagen bzw. Lieder schlicht und einfach „Football Chants“ oder „Terraces Chants“ genannt. Diese Art der Unterstützung des eigenen Vereins hat in England bzw. Großbritannien große Tradition und ist nach wie vor äußerst populär. So sind beispielsweise im Archiv einer englischen Website über 13000 Texte solcher Football Chants aus dem Vereinigten Königreich verzeichnet, und auch Österreich hat es mit 42 vertretenen Liedern auf die Homepage geschafft32.

In England haben diese Chants zumeist Inhalte, welche auf oftmals stereotypische Merkmale eines Vereins und der dazugehörigen Stadt zurückgreifen, und diese teils sarkastisch, teils humoristisch aufgreifen. Dabei werden Chants nicht nur über den eigenen Verein gesungen, um ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen und die Mannschaft anzufeuern, sondern auch über den gegnerischen Verein, meist mit dem Ziel, diesen zu verhöhnen. Verwurzelt sind diese Chants dabei auch stark in dem musikalisch/folkloristischen Genre des „Blason populaire“, das ebenso mit vermeintlich stereotypischen Merkmalen von Einwohnern bestimmter Städte oder Gegenden spielt, welche aber nicht zwingend negativ gemeint sein müssen. Bei diesen stereotypischen Merkmalen handelte es sich häufig um Selbst- und Fremdzuschreibungen ökonomischer und sozialer Natur, wie etwa die eigene Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse oder die vermeintliche Arbeitslosigkeit der gegnerischen Fans. Genauso kann aber auch die tatsächliche aktuelle ökonomische, soziale oder sportliche Lage eines Vereins textlich verarbeitet werden, oder es wird einfach nur die Liebe zum eigenen Verein besungen.33

Auch beim GAK ist das Absingen von Football-Chants, sei es in deutscher oder sei es in englischer Sprache, zum festen Bestandteil des Supports geworden. Der eingangs zitierte Chant „Ain't nothing gonna break my reds” erreichte mit der Herbstsaison 2012/2013

31 Regelmäßig von der Fankurve intonierter Chant bei Heim- und Auswärtsspielen. (Im Original vom österreichischen Eurodanceprojekt Unique II mit dem Titel „Ain't Nothing Gonna Break My Stride“) 32 Vgl. http://en.fanchants.at/ 33 Vgl. Luhrs, Joanne in: The Linguistics of Football. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2008. Seite 233 – 254.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 26 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub innerhalb der GAK-Kurve relativ große Popularität, nicht zuletzt eben wegen der sportlichen Situation (verpasster Aufstieg in die erste Liga nach den zwei Relegationsspielen gegen Hartberg im Juni 2012) und der sich wieder einmal zunehmend verschlechternden finanziellen Lage. Intoniert wurde er unabhängig von den jeweiligen Spielständen bei den Spielen der Herbstsaison 2012 und sollte eine generelle „Nichts kann uns unterkriegen“-Stimmung symbolisieren. Ein anderer Chant, der auch in vielen anderen Stadien auf den jeweiligen Verein zugeschnitten zu hören ist, ist „Marmor, Stein, und Eisen bricht … (… aber unsere Roten nicht)“ (im Original von Drafi Deutscher), welcher ebenfalls dieselbe Stimmung erzeugen soll und anhaltende Treue zum Verein propagiert. Allerdings wurde dieses Lied im Gegensatz zu „Ain't nothing gonna break my reds” schon seit Jahren in Abhängigkeit von der aktuellen sportlichen Lage am Rasen angestimmt.

Vor allem die deutschsprachigen Chants wurden zu großen Teilen aus der Bundesligazeit übernommen und bewegen sich inhaltlich in der klassischen Chant-Thematik, so beispielsweise das negative Image beschreibend, das der GAK-Anhang zu haben glaubt bzw. das ihm auch teilweise vonseiten anderer Fans oder zum Teil durch die Medien zugeschrieben wird. Ob dieses Image nun zutrifft, sei dahingestellt, textlich wird jedenfalls schon seit Bundesligazeiten mit dem Image sozial schwacher Schichten und sozial „deviantem“ Verhalten gespielt, wie folgender Text zeigt:

„Leute verprasst eure Gelder, bringt eure Mitmenschen um, stecht die Kartoffel von den Feldern, treibt euch in Wirtshäusern rum. Vater im Zuchthaus gestorben, Mutter liegt todkrank im Bett – und fickt! Schwester zu Hure geworden, was hält uns noch auf dieser Welt? Das ist der G-A-K, Grazer Athletikklub, Österreichs Fußballklub Nummer 1!“

Ein anderer „Klassiker“, der ebenfalls bereits zu Bundesligazeiten angestimmt wurde, besingt eine idealisierte Fußballfankindheit und den Werdegang als GAK-Fan:

„Viele Jahre ist es her, doch es fällt mir nicht sehr schwer, zu erzählen wie es begann, wie ich zu den Roten kam. An einem Samstagnachmittag nahm mich mein Vater an der Hand, in der Körösistraße stehend, meine Roten Helden sehend!“

Als idealisiert ist dieser Werdegang insofern zu betrachten, als dass viele vor allem junge Fans das ehemalige GAK-Stadion in der Körösistraße kaum von innen gesehen haben dürften, da die letzte Spielzeit dort doch schon 16 Jahre her ist. Auch dürfte nicht jeder Fan über einen Vater verfügen, der ebenfalls GAK-Anhänger ist oder war, oder dürfte selbst in Graz

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 27 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub aufgewachsen sein. Von den 10 von mir interviewten Kurvenfans gaben allerdings zumindest 8 an, von ihrem Vater oder einem anderen Familienmitglied erstmalig zu einem Spiel des GAK mitgenommen worden zu sein.

Englischsprachige Chants wurden zunehmend erst mit den letzten Spielzeiten der Regionalligazeit in die "Setlist" aufgenommen. So neben „Ain't nothing gonna break my reds” unter anderem der Song „Sloop John B.“, der durch die Beach Boys weltbekannt wurde, und mit der Passage „Let me go home, let me go home, this is the worst trip, I've ever been on“ Ausdruck des wirtschaftlichen und letztendlich auch sportlichen Versagens des GAK sein soll, welcher sein Primärziel – die Rückkehr in den Profifußball – insgesamt dreimal verpasst hat. Weitere Chants wie etwa „We all hate the SK Sturm Graz“ drehen sich natürlich um den „geliebten Feind“ und Stadtrivalen Sturm Graz, wobei diesem im Zuge dieser Masterarbeit an späterer Stelle noch ein eigenes Kapitel gewidmet sein wird.

4.1.2 Hooligans

Ebenso wie das Absingen von Chants hat körperliche Gewalt in der modernen englischen Fankultur durchaus eine gewisse Tradition. Auch wenn Gewalt im Umfeld von Fußballspielen in England erst gegen Ende der 1960er in ein mediales Licht rückte, und jenes Phänomen, das man gemeinhin als „Hooliganismus“ bezeichnet, erst in den 1980ern auf das europäische Festland übergriff, lässt sich Gewaltausübung zwischen Fans in England bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgen. Noch bis in die 1970er und 1980er war es in gewissen Sektoren englischer Stadien keine Seltenheit, dass einem Münzen, Dartpfeile, ja sogar Benzinbomben um die Ohren flogen.34 Fast jeder englische Verein verfügte bzw. verfügt nach wie vor über so genannte „Mobs“ oder „Firms“, also in Gruppen organisierte Hooligans, die sich in einer Art Akt der ritualisierten Gewalt mit anderen Hooligans vor, während, oder nach einem Match prügelten bzw. prügeln.

Diese Affinität zur Gewalt seitens bestimmter Gruppen englischer Fans ist vermutlich in der seit dem 14. Jahrhundert andauernden Geschichte des englischen Fußballs zu suchen. Die Frühform des modernen Fußballs in Großbritannien war vieler Orts ein beliebtes und wildes Volksvergnügen, das zum Teil zu einem Wettkampf zwischen Zünften, sozialen Schichten,

34 Vgl. Elias, Norbert; Eric Dunning (1986). Sport und Spannung im Prozess der Zivilisationen. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003. Kap. 7, Seite 436 – 440

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 28 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub vor allem aber verschiedenen Städten und Dörfern bzw. Nachbarschaften avancierte. Des Weiteren galt diese Frühform des Fußballs immer auch ein wenig als Kampf gegen die Obrigkeit, welche den Fußball verpönte und zum Teil unter Strafe setzte.35 Laut Norbert Elias und Eric Dunning verfügte die englische mittelalterliche Gesellschaft „über bewährte Institutionen zur Kanalisierung von Konflikten“36, von denen eine eben die Frühform des modernen Fußballs war. Vor allem dieser Wettkampf unter „Nachbarn“ bzw. „Dorf gegen Dorf“ setzte sich in der fußballerischen Moderne fort, denn auch im modernen englischen Fußball war es immer schon so, dass man traditionellerweise Fan des geografisch nächstgelegenen Vereines bzw. des Vereines wurde, zu dem man sich lokal zugehörig fühlte. Vor allem aufgrund der rigorosen Sicherheitspolitik und den Stadionneubauten ab Anfang der 1990er sind Krawalle direkt in den Stadien relativ selten geworden. Kam es aber in den letzten Jahren zu Ausschreitungen, dann bemaß sich die Schwere dieser Ausschreitungen oftmals an der geografischen Nähe zweier betroffener Vereine. Dies stellten unter anderem die Hooligans von Newcastle United und dem benachbarten A.F.C Sunderland treffend unter Beweis, als sie 2008 die schwersten Fankrawalle seit Jahren anzettelten.37 Man kann in Graz davon ausgehen, dass sich sowohl GAK-Fans als auch Sturm-Fans über das gesamte Stadtgebiet verteilen und sich nicht bloß auf Geidorf und Jakomini – den ehemaligen Heimatbezirken der zwei Vereine – beschränken. Dennoch kam es ungeachtet dessen, dass der GAK in den letzten Jahren maximal zwei Derbys pro Saison gegen die Amateurmannschaft von Sturm spielte, immer wieder zu schweren Auseinandersetzungen der rivalisierenden Fans. Auch fehlt in Österreich der historische Bezug zu Gewalt, da es hierzulande keine vergleichbare Frühform des Fußballsportes gab, wie dies in England der Fall war. Hooliganismus in Österreich und somit auch in Graz ist also im Endeffekt ein englisches Importprodukt.

Segmentäre Bindungen als Hauptmerkmal des Hooliganismus

Um den englischen Hooliganismus der fußballerischen Moderne besser begreifen zu können, und um in weiterer Folge einen besseren Vergleich zu den mutmaßlichen Hooligans des GAK ziehen zu können, erscheint es an dieser Stelle zweckdienlich, kurz auf die

35 Vgl. ebd. Kap. 5, Seite 316 – 337 36 Vgl. ebd. Kap 5, Seite 325 37 Russel, David (1999): Associating with Football, in: Armstrong, Gary; Giulianotti, Richard (Hrsg.): Football Cultures and Identities. Macmillan Press, 1999.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 29 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Zivilisationstheorie von Norbert Elias zurückzugreifen. Denn aus dieser leitet sich letztendlich Eric Dunnings Beschreibung von Hooligans anhand segmentärer Bindungen ab, die es am „rot-weißen“ Hooliganismus zu überprüfen gilt.

Laut Norbert Elias findet im Rahmen der „Zivilisierung“ ein langfristiger Wandel der Persönlichkeitsstrukturen statt, der auf einen Wandel der Sozialstrukturen zurück zuführen ist. Es kommt zu immer größeren gesellschaftlichen und wechselseitigen Abhängigkeiten unter der Einbindung von einer immer größeren Anzahl an Menschen – auch Interpendenzketten genannt. Der Mensch muss zunehmend versuchen, spontane Impulse nicht zu spontanen Handlungen werden zu lassen, sondern seine Handlungen zu rationalisieren, die möglichen Folgen seiner Handlungen abzuschätzen, und diese Folgen in die Art des Handelns mit ein zu beziehen. In Kombination mit der zunehmenden Fähigkeit, Vorgänge innerhalb anderer Menschen zu verstehen, führt dieses auf längere Sicht konzentrierte rationaler werdende Handeln auch zu einem Sinken der Gewaltbereitschaft gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern.38

Auch für Eric Dunning ist aufbauend auf Elias Zivilisationstheorie die Beobachtung zutreffend, dass „ein zentraler Aspekt des Zivilisationsprozesses – die Verlängerung der Interdependenzketten – mit einem Wandel im Muster der sozialen Bindungen einherging, der mit jenem Wandel vergleichbar ist, den Durkheim als Übergang von der ‚mechanischen‘ zur ‚organischen‘ Solidarität beschrieben hat“39. Dunning benennt nun die Begriffe der „mechanischen“ und „organischen“ Solidarität um, und beschreibt diesen Prozess als „eine allmähliche und im Prozessverlauf zunehmende Ersetzung von ‚segmentären‘ Bindungen durch ‚funktionale‘ Bindungen“40. Eine segmentär geprägte Gesellschaft besteht aus starken verwandtschaftlichen und lokalen Bindungen bzw. Verflechtungen, die Dunning ähnlich der „mechanischen Solidarität“ als „segmentäre Solidarität“ bezeichnet. Er zählt insgesamt 13 Kennzeichen auf, die sich bei einer auf „Segmentärer Solidarität“ beruhenden Gesellschaft feststellen lassen können, wobei davon aber nicht alle auf einmal zutreffen müssen. Viele dieser von ihm beschriebenen Kennzeichen, wie etwa „intensives Erleben der

38 Vgl. Elias, Norbert (1939). Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1979. 39 Elias, Norbert; Eric Dunning (1986). Sport und Spannung im Prozess der Zivilisationen. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003. Kapitel 8, Seite 412 40 Ebd. Seite 412

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 30 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Gruppenzugehörigkeit“, „intensives Erleben der Feindschaft mit anderen Gruppen“ oder „eine vergleichsweise geringe Fähigkeit der Mitglieder zur Kontrolle ihrer Emotionen und Gratifikationsaufschub“41, erzeugen das Phänomen des Hooliganismus, das sich durch vier Hauptmerkmale im Sinne segmentärer Bindungen beschreiben lässt. Diese wären:

(1) Die beteiligten Gruppen im Hooliganismus sind im höchsten Maße daran interessiert, sich miteinander zu prügeln, es geht dabei sowohl um Gruppen- als auch um individuelles Prestige. Dunning unterstellt dabei, dass die Prügelei einen höheren Stellenwert als das tatsächliche Match hätte.

(2) Die Hooligans verschiedener Vereine rekrutieren sich im Wesentlichen aus derselben sozialen Schicht – nämlich der Arbeiterklasse. Dunning spricht hier von einem Intra- Klassenkonflikt.

(3) Vendetta-artige und langandauernde Fehden zwischen bestimmten Gruppen deuten darauf hin, dass sich Hooligans in sehr hohem Maße mit der Gruppe identifizieren, der sie angehören, und einem intensiven eigenen Gruppenerleben bzw. einer intensiven Feindschaft gegenüber anderen Gruppen unterliegen.

(4) Der bemerkenswerte Grad an Übereinstimmung und Gleichförmigkeit im Handeln, der sich in Liedern und Sprechchören zur Schau stellt, ist für Dunning eine Folge der homogenisierenden Wirkung segmentärer Bindungen.

Laut Dunning betrachten sich die einzelnen Hooligan-Firms selbst als gleichartige und gleichrangige Segmente, als autarke und abgeschlossene Gruppe mit starkem Identifikationswert, deren Basis zumeist der Verein und dessen „Territorium“ bildet und die der Arbeiterklasse zuzuzählen sind. Ob dies auch auf die Hooligans im Umfeld des GAK zutrifft, soll im folgenden Punkt geklärt werden.

41 Vgl. Elias, Norbert; Dunning, Eric (1982). Sport im Zivilisationsprozess. Lit Verlag, Münster 1982. Seite 129 – 132

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 31 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Die Rote Armee Graz (RAG)

Während des Interviews mit zwei Mitgliedern der RAG wurde bald klar, dass die gesellschaftliche aber auch soziologische Vorstellung von Hooligans in Bezug auf die RAG zu kurz greift. Die oftmals auftretende und landläufige Meinung, Hooligans können keine echten Fußballfans sein und umgekehrt, oder dass die Gewalt generell im Vordergrund stünde, muss zumindest im Falle der RAG revidiert werden.

Die RAG besteht im Kern aus ungefähr 25 Personen, sie hat aber mit dem dazugehörenden Umfeld und Sympathisanten ein zahlenmäßiges Potential bis zu 80 Personen. Die „Schichtzugehörigkeit“ der Mitglieder reicht vom „arbeitslosen Sozialhilfeempfänger bis hin zum Bessergestellten“, es gäbe diesbezüglich ein paar „Ausreißer“, sowohl „nach oben und nach unten“, der Großteil der Mitglieder ist als erwerbstätig zu bezeichnen. Auch politisch seien sie im Vergleich zu beispielsweise den politisch links stehenden „Verrückten Köpfen“ von Wacker Innsbruck oder gewissen rechten Austria Wien Fangruppierungen „ein bunt durchgemischter Haufen, der versucht, die Politik aus dem Stadion raus zu halten“. So weit es IP1 überblickt, ist die RAG keine politische Gruppe, „wobei es natürlich bei gewissen Leuten Tendenzen nach rechts gibt, genauso aber nach links“. Für ihn selbst habe Politik „im Stadion nichts verloren“. Allerdings räumt IP1 ein, dass es „leider“ immer wieder Ausnahmen gibt, wobei aber dann Politik „schon eher als Provokation, als aus politischer Einstellung“ heraus betrieben wird.42

Die RAG lehnt sich „zum Teil vielleicht“ am englischen Fanwesen bzw. an sogenannten Firms an, eher würde man sich diesbezüglich als „England-Sympathisanten“ bezeichnen, zwar durchaus ein „durchgemischter Haufen“, aber eben „britisch eher“, und nicht am „deutschen oder italienischem Ultratum“ orientiert. Auf die Frage hin, ob man die Mitglieder der RAG als Hooligans bezeichnen kann, wurde diese Frage insofern verneint, als dass man sich „prinzipiell GAK-Fans mit vielleicht ein bisserl einem anderen Hintergedanken als andere“ fühlt. Auch stünde der Fußball im Vordergrund, „denn sonst geht man nicht in der Regionalliga jeden Saukick“. „Wenn man vergleicht zu anderen Fans, mit anderen österreichischen Bundesligavereinen, die sich nicht einmal am Spieltag treffen, sondern unter der Woche irgendwo treffen, um sich zu betätigen“, sei dies bei der RAG „überhaupt nicht

42 Interview RAG (02:10 -05:41)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 32 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub der Fall“, der Fußball würde „bei dreiviertel der Leute im Vordergrund stehen“. Dass der Fußball bei den meisten Mitgliedern der RAG tatsächlich im Vordergrund stehen dürfte, ist einerseits tatsächlich schlüssig mit der Realität der Regionalliga, da in dieser kaum Vereine zu finden sind, deren Fanstruktur einen potentiellen „Gegner“ zulassen würde. Andererseits deckt es sich auch mit meinen Beobachtungen während vieler Heim- aber auch Auswärtsspielen in der Regionalliga. In der Tat zählten viele Mitglieder der RAG zu den treuesten Zuschauern und waren regelmäßig zu Hause und in der Ferne anzutreffen, unabhängig davon ob die Gegner nun Blau Weiß Linz, Sturm Amateure, LASK, oder Karlsdorf, Feldkirchen, und St. Florian hießen.43

Davon ausgehend, dass die RAG-Mitglieder abseits ihrer Rolle als Fußballfans natürlich auch Hooliganismus betreiben, sofern sich die Möglichkeit dafür ergibt, sind Eric Dunnings Annahmen über segmentärer Bindungen bei Hooligans in mehreren Punkten zu negieren. Eine Rekrutierung aus der im Wesentlichen gleichen Schicht – sprich der Arbeiterklasse – ist bei der RAG nicht zutreffend. Allerdings muss hier eingeräumt werden, dass in Österreich eine der englischen „Working Class“ gleichzusetzende Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg so nie existiert haben dürfte. Auch ist es fraglich, ob diese These im wirtschaftlich und sozial veränderten England des 21. Jahrhunderts überhaupt noch zutreffend sein kann, denn man bedenke, Dunnings Beiträge stammen bereits aus den späten 1970ern und frühen 1980ern. Die Prügelei und die Gewalt haben, so scheint es zumindest, keinen höheren Stellenwert als das Match selbst. Auch erweckt es nicht den Anschein, als würde sich die RAG zwingend als autarke und geschlossene Gruppe betrachten, da zum Teil bei den von der RAG organisierten Auswärtsfahrten, wie z. B. nach Hartberg im Sommer 2012, auch Personen mitfuhren, die nicht dem direkten Umfeld oder dem Kern der Gruppe zuzurechnen sind. Auch wenn die RAG lange Zeit ihr „eigenes Ding“ gemacht hat, hat es dann durch den Abstieg in die Regionalliga „gezwungenermaßen doch ein bisschen eine Zusammenarbeit mit anderen Fanklubs gegeben“ – vor allem mit der Red Firm, zu der die RAG „doch ganz nette und gute Kontakte“ pflegt.44

43 Ebd. 44 Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 33 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

4.2 Die Elemente italienischer Fankultur in der Fankurve des GAK

Vor allem in den Spielzeiten der Regionalliga fiel die Fankurve des GAK immer wieder durch den Einsatz von Trommeln, bengalischen Feuern, dem Zeigen von Choreografien, Spruchbändern, Doppelhaltern und der Anwesenheit von Vorsängern und den dazugehörigen Megaphonen auf. Diese optischen und akustischen Elemente der Unterstützung der Mannschaft wurzeln ganz klar in der Ultrabewegung, welche wiederum ihren Ursprung bzw. ihre Wurzeln in der italienischen Fankultur der 1960er hatte, über mehrere Jahrzehnte das Bild italienischer Fußballstadien prägte und, wie schon erwähnt, Ende der 1980er Jahre auch in Österreich Einzug hielt.

Wenn im Folgenden auf die Elemente der Ultrakultur bzw. der italienischen Ultrakultur eingegangen wird, sollte beachtet werden, dass eine Fremdzuschreibung einer Fangruppe als Ultragruppierung oder der Ultrabewegung nahestehenden Gruppierung insofern problematisch ist, als dass sie nicht zwingend der Eigenzuschreibung der betreffenden Gruppe entsprechen muss. Gerade in der Frage, ob eine Gruppe als Ultras oder als diesen nahestehend bezeichnet werden kann, würde eine Zuordnung von „außen“ – sei es nun vonseiten der Presse oder vonseiten der Soziologie – nur wenig Sinn haben, wenn sich die betreffenden Personen selbst nicht als solche sehen würden. Ob dies beim GAK der Fall ist, soll wiederum in den nun folgenden Punkten geklärt werden.

4.2.1 Exkurs 2: Geschichtlicher Kontext und politische Betrachtung der italienischen Ultras

Betrachtet man die Geschichte des Fußballs in Italien generell, kann man diesem durchaus eine immer schon vorhandene politische Dimension unterstellen. Die Anhängerschaft zu einem Verein war immer auch Ausdruck der politischen Einstellung. Das Land zeigte seit jeher die spezielle gesellschaftliche Charakteristik, dass politische Konflikte in Teilen auf andere soziale Felder übergriffen. Die in diesen politischen Konflikten vertretenen Positionen reichten dabei vom klerikal-konservativen und faschistischen bis weit hinein in ein linkes bzw. kommunistisches Spektrum. Ein klassisches Beispiel dafür ist der AC Milan, der in den 1980er Jahren vom italienischen Rechtspopulisten Silvio Berlusconi übernommen wurde, ursprünglich aber als „Eisenbahnerklub“ die Arbeiterklasse repräsentierte und als politisch links galt. Dies spiegelte sich auch im sozialen und politischen Status seiner Anhängerschaft

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 34 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub wieder, während Stadtrivale Inter Mailand seine Anhängerschaft in den Vorstädten rekrutierte, als „Mittelklasseklub“ galt und konservativen Idealen nahestand. Die Anhängerschaft der Vereine war in gewissem Maße politisiert, die Vereine selbst waren einer politischen Richtung zuzuordnen, was für die Rivalität zu anderen Vereinen eine wesentliche Rolle spielte. In diesem Kontext muss auch die Entstehung der Ultrabewegung verstanden werden.45

In Italien war – ähnlich wie in England – eine Frühform des Fußballs bekannt, welche damals schon die gleiche Bezeichnung trug, die der moderne italienische Fußball auch heute noch innehat, nämlich „Calcio“. Dieses Spiel war allerdings mit dem modernen Fußball nur bedingt zu vergleichen, und sollte eher „Fußstoßball“ genannt werden, welches aber ebenso zumindest grundlegenden Regeln unterlag.46 Der Umstand einer eigenen Urform des modernen Fußballs, der in Italien übrigens als einziger populärer Sport nie die sprachlichen Wurzeln des Ursprungslandes erhalten hat, prädestinierte „Calcio“ von vornherein dafür, zum Nationalsport Nummer eins in Italien zu werden. Soziologen und zeitgeschichtliche Beobachter tendieren bei Italien dazu, ein Konzept der sportlichen Nation zu erkennen, sprich es ist davon auszugehen, dass in Italien eine enge Verbindung von Sportbegeisterung und Nationalbewusstsein besteht. Die italienische Fußballnationalmannschaft galt und gilt in Italien als eines der stärksten Symbole nationaler Identität. Es findet eine wechselseitige Durchdringung von Sport und Nation statt, wobei der italienische Fußball in sehr starkem Maße als Repräsentant der Nation fungiert.47 Seine Anfänge nahm diese Entwicklung bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde durch das italienische und an den Idealen eines Turnvater Jahn orientierte Turnermilieu forciert. Das 1928 endgültig an die Macht gekommene faschistische Regime Mussolinis trieb diese Entwicklung weiter voran, und erhob „Calcio“ zum Repräsentanten nationaler Macht und Identität. Ohne die vorhin beschriebenen eigenen regionalen Wurzeln wäre der italienische Fußball als „Geburt des

45 Vgl. Podaliri, Carlo (1998): The ultras, racism and football culture in Italy, in: Brown, Adam (Hrsg.): Fanatics! Power, identity, and fandom in football. Routledge, London 1998. Seite 88 - 100 46 Vgl. Scaino, Antonio (1979): Abhandlung vom Ballspiel, in: Hopf, Wilhelm (Hrsg.): Soziologie Fußball – Soziologie und Sozialgeschichte einer populären Sportart. Päd. Extra Buchverlag, Fulda 1979. Seite 29-33 47Vgl. Pivato, Stefano (1999): Fußball und regionale Identität, in: Gehrmann, Siegfried (Hrsg.). Fußball und Region in Europa. Lit Verlag, Münster 1999. Seite 229 – 238

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 35 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub viktorianischen Englands“48 wohl ungeeignet gewesen, die vorhin beschriebene Repräsentation zu übernehmen.

Diese hier beschriebene politische Dimension des italienischen „Calcio“ findet sich auch in der Bewegung der Ultras wieder, deren Ursprünge in der linksgerichteten Protestbewegung Italiens der 1960er zu suchen sind. Das damalige gesellschaftliche Klima wurde von fortschreitender sozialer Ungleichheit geprägt, und Fußballfans sahen die Möglichkeit, ihren politischen Protest auch in den Fankurven italienischer Stadien zu propagieren. Aus dieser Möglichkeit heraus formierten sich Ende der 1960er Jahre die ersten linken Ultragruppierungen und wenige Jahre später die ersten Ultras mit dezidiert rechtsextremen Einstellungen. Gleichzeitig wurde somit aber auch immer mehr begonnen, soziale Konflikte in und um das Stadion zu transportieren. Auch die Ultras spiegelten dabei ursprünglich die mit dem jeweiligen Vereinen assoziierten politischen Richtungen wieder, so nahmen z. B. die „Rot-Schwarzen Brigaden“ des Arbeitervereines AC Milan direkt Bezug auf die linksterroristischen „Roten Brigaden“, während sich Fans von Mannschaften reicher und mehrheitlich katholischer „Provinzstädte“ wie Udine oder Verona oftmals Gesänge und Symbolik faschistischer Ideologien bedienten.49 Diese Tendenz verstärkte sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre im Zuge schwerer sozialer Konflikte und zog sich bei zunehmender Gewaltbereitschaft hinein bis in die 1980er. An dieser Stelle sei anzumerken, dass auch natürlich in Italien weder alle Ultras gewaltbereit sind, noch sich zu einer klaren politischen Richtung bekennen. Nichtsdestotrotz war und ist Politik bzw. sind gesellschaftliche Vorstellungen wesentliche Faktoren der italienischen Ultrakultur, welche sich auch in ihrem Selbstverständnis widerspiegeln.50

Ultras in Italien sahen bzw. sehen sich im Endeffekt als eigenständiger Teil des Gesamtbetriebes eines Vereins und agieren insofern autonom, als dass sie weitgehend ohne Hilfe und Kontakt vom und zum Verein und zur Polizei arbeiten. So heißt es im sogenannten Ultras-Manifest, dessen Inhalt maßgeblich von den Ultras des AS Rom geprägt, und von vielen – nicht nur italienischen – Ultragruppierungen adaptiert wurde, unter anderem: Ultras

48 Ebd. Seite 230 49 Balestri, Carlo; Podaliri, Carlo, in: “Der Übersteiger“, Ausgabe 08/ 2009, Onlineversion (http://www.uebersteiger.de/ausgaben/09/us_09-08-10.pdf). 50 Vgl. Langer, Daniel (2010). Faszination Ultras: Aspekte und Erklärungsansätze zur Fußballfan- und Jugendkultur. Scientia Bonnensis, Bonn, 2010. Seite 38 – 41

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 36 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub sollen „sich nicht von Autoritäten unterdrücken lassen und an Spielen unbedingt Präsenz zeigen“, sie sollen „jede Hilfe durch die Polizei verweigern“51.

Ein Autoritätsanspruch seitens der Ultras selbst findet insofern statt, als dass sich Ultras oftmals als Regel und Normen gebende Instanz sehen, die immer wieder versucht, dem Verein oder Spielern ihren Willen aufzudrücken. Ein Musterbeispiel dafür ist ein Ligaspiel des CFC Genua, bei dem dessen Spieler von den ansässigen Ultras aufgrund schlechter Leistungen gezwungen wurden, ihre Trikots auszuziehen und als Zeichen der Unterwerfung abzugeben52. Allgemeine Forderungen der Ultras an die Vereinsführung und Liga sind ebenfalls im Ultras-Manifest zu finden, dort wird unter anderem verlangt: „Eine Sperre von einem Jahr von Spielern, die ihren Vertrag nicht erfüllt haben, weil ein anderer Verein mehr Geld geboten hat“, oder „Spielertransfers sollen in den Saisonpausen abgewickelt werden, nicht während der Saison“53.

4.2.2 Eigendarstellung der von mir interviewten Fanklubs in Bezug zur Ultrakultur

Vorweg ist zu sagen, dass keiner der von mir interviewten Fanklubs mit Bezug zur italienischen Fankultur bzw. Fankultur der Ultras sich selbst als (reine) Ultragruppierung betrachtet. Das gilt sowohl für die Red Firm, die Society Graz als auch für den Fanklub Tifosi Rosso Bianco. Auch besteht keine einheitliche Meinung darüber, was •konkret unter Ultras zu verstehen sei, bzw. wurde die Frage nach der Nähe oder Zugehörigkeit zur Fankultur der Ultras damit beantwortet, dass dies davon abhängen würde, was man nun genau unter Ultras zu verstehen hätte. Keine der drei Fangruppen sieht sich selbst in einem Maße politisch, als dass die jeweiligen Gruppen einer bestimmten politischen Richtung im „linken“ oder „rechten“ Spektrum zuzuordnen wären. Viel mehr wird versucht, Politik im Sinne weltanschaulicher Inhalte und die Unterstützung des eigenen Vereins bzw. Politik und Fußball voneinander zu trennen. Dies gilt jedoch nicht für Politik, die das Geschehen in und um den Verein betrifft. Alle von mir interviewten Fanklubs gaben des Weiteren an, dass auch die persönlichen politischen Präferenzen der einzelnen Mitglieder einer Heterogenität unterliegen würden, bei allen Klubs sind Mitglieder aus allen allgemein akzeptierten – sprich

51 Vgl. ebd. Seite 46 52 Vgl. http://www.taz.de/!92033/ vom 23.04.2012 53 Vgl. Langer, Daniel (2010). Seite 45

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 37 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub auch in der österreichischen Parteienlandschaft vertretenen – politischen Spektren zu finden. Eine Homogenität der sozialen Schicht ihrer Mitglieder lässt sich ebenso wenig feststellen, unter diesen sind Schüler, Arbeiter, und Angestellte genauso zu finden, wie (angehende) Akademiker. Zumindest in der Fankurve ist es also nicht so, dass die Anhänger des GAK, der im Gegensatz zu Sturm Graz lange Zeit als Akademikerverein galt, hauptsächlich oder einzig in den Reihen der Studenten- und Schülerschaft zu finden sind.

Der Red Firm Supporters Club

Die Red Firm ist in ihrer heutigen Form einerseits der älteste existierende und noch aktive Fanklub der Kurve, anderseits mit einem Kern von 40 bis 50 Personen auch der größte. Er übernimmt eine führende Rolle im organisierten Support und kann in der Hierarchie der supportorientierten Fanklubs als „am höchsten stehend“ bezeichnet werden. Dies liegt nicht nur daran, dass die Red Firm eben der älteste Fanklub ist, sondern auch daran, dass viele der Choreografien und Fanaktivitäten während der Regionalligazeit von der Red Firm initiiert und geplant wurden.

Was nun die fankulturelle und politische Ausrichtung des Fanklubs selbst betrifft: IP1 „würde sich persönlich schon als Ultra bezeichnen“, räumt dabei allerdings ein, dass er mit „dem neudeutschem Ultratum“ wenig und mit „dem neuem Ultratum in Italien noch weniger“ anfangen kann, da es in dieser Szene zum Teil nur mehr darum geht, sich als Gruppe von Ultras oder als Ultra vor anderen Ultragruppierungen bzw. Ultras beweisen zu müssen, und dieses Gehabe im Endeffekt immer mehr in „Gangsta-Scheisse“ ausartet. IP1 definiert sich selbst als Ultra eher mehr in einem Sinne, als dass er „eigentlich möglichst überall seinen Verein vertritt“. Zur Ausrichtung des Fanklubs an sich meint IP1 mit etwas Augenzwinkern: „[…] Zu unserer Fanklubausrichtung müssen wir sagen, wir haben eigentlich keine Ausrichtung und haben eigentlich nie eine Ausrichtung gehabt, würde ich einmal sagen. Wir sind ultraorientierter, englischer Stehplatzsupport, […] wir wollten uns nie in ein Schema drängen“.54

Auch IP2 vertritt im Großen und Ganzen diese Auffassung, und sich in ein „Schema“ drängen zu lassen ist seiner Meinung nach auch nicht notwendig, denn „gerade Gruppen, die sich in irgendein Schema drängen, die jetzt – weiß ich nicht – beste Ultragruppe […] oder irgendwas

54 Interview Red Firm (14:32)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 38 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub sein wollen, die verlieren eh das Wesentliche aus den Augen“. Sowohl IP1 als auch IP2 verwehren sich gegenüber dem ständigen Zwang zu Verwendung stereotypischer Stilmittel der Ultraszene wie etwa Megaphone, Trommeln, •Choreografien oder stereotypischen Dresscodes wie „schwarz anziehen“, „Ninjas“ (eine Form von Kapuzenpullover, die eine Vermummung des Gesichts erlauben – Anm. d. Verf.), oder Verhaltensformen wie „sich auf die Gosch‘n hauen“ um sich mit anderen Ultragruppierungen zu messen. Derlei Schemata werden als irrelevant empfunden, für IP1 sollte das Hauptziel als Ultra sein, „sein Team zu unterstützen“, und zwar „möglichst oft und möglichst extrem – unter Anführungsstrichen extrem – einfach möglichst mit aller Kraft. Im Endeffekt soll das, was auf dem Platz passiert, das Wichtigste sein.“55

Politik lehnt man in der Red Firm insofern ab, als dass man versucht, „Tagespolitik, Parteienpolitik, und so was in dieser Richtung“ vom Fangeschehen fern zu halten, allerdings wird eingeräumt, dass „wenn du viel Pyrotechnik im Stadion oder ein Spruchband machst, oder dich da an irgendwelchen Aktionen beteiligst, ist das auch Politik“. Politik wird also insofern von der Red Firm betrieben, als dass sie „der Sache dienlich“ erscheinen muss, beispielsweise als Aktionismus gegen das Verbot von Pyrotechnik in österreichischen Fußballstadien, oder Aktionismus gegen anderwärtige Entscheidungen und Vorhaben vereinsinterner und -externer Art, die Einfluss auf den Verein und dessen Fankultur haben. „Die klassische Links-Rechts Geschichte“ wird bei der Firm „relativ raus gehalten“, was man auch auf die „GAK – Fanszene im Allgemeinen“ zurückführt, welche „einen Sumpf aus allem, aus allen verschiedenen Richtungen und Schichten“ darstellt. Auch die Firm selbst sieht sich von der sozialen Schicht der Mitglieder her als „relativ durchgewürfelte Partie“. Was die Firm – auch mithilfe des eingesetzten Megaphons – allerdings immer versucht hat, ist rassistische Ausfälle zu unterbinden und den Support generell in eine positive Richtung zu lenken, der darauf aufbaut, die Mannschaft an sich zu unterstützen und nicht die gegnerischen Spieler oder Fans (rassistisch) zu beschimpfen. Dies hat nach Einschätzung der befragten Firm-Mitglieder in den letzten Jahren auch relativ gut funktioniert.56

55 Ebd. 56 Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 39 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Die Society Graz

Der Fanklub Society Graz hat im Kern zwischen 20 und 30 Mitglieder, wurde 2006 in Graz gegründet, hat das Ziel, „den geliebten GAK zu Hause, als auch auswärts bestmöglich zu unterstützen“, und hat mit dem Zwangsabstieg des GAK versucht, sich „noch aktiver in die Fanszene einzubinden“57. Auch die Society arbeitet mit Stilmittel, die ihre Wurzeln in der italienischen Fankultur der Ultras haben, wie z. B. Doppelhalter oder bengalische Feuer. Sie beteiligt sich an •Choreografien und organisierte auch während der gesamten Regionalligazeit Busse zu Auswärtsfahrten.

Die Society Graz sieht sich nicht prinzipiell als Ultragruppierung, was auch daran liegt, dass „der Begriff Ultra mittlerweile sehr ausgelutscht ist, jeder verwendet das Wort ‚Ultra’ obwohl er eigentlich wahrscheinlich gar nicht weiß, was das ursprünglich eigentlich bedeutet. Jeder Bauernverein […] nennt sich ‚Ultras’ oder sonst irgendwas, also mit dem ursprünglichen Gedanken hat das heute halt relativ wenig zu tun, was die meisten Szenen da fabrizieren“. Die Society versucht, „einfach alles für den Verein zu tun bzw. für uns zu tun, den Verein eben bestmöglich darzustellen, bestmöglich zu supporten […]“, denn „wenn das ‚Ultra’ ist, dann sind wir Ultras, dann ist aber genauso der sechzigjährige Familienvater, der auswärts mitfährt, ein Ultra“. Ähnlich der Firm wird am heutigem bzw. gängigem Sinne von Ultratum bekrittelt, dass es oftmals nur um Selbstdarstellung der Gruppe geht, und nicht primär um den jeweiligen Verein. Es geht der Society nicht darum zu sagen „wir sind die Besten, […] und wennst bei Rapid jetzt schaust – Ultras Rapid Choreo da, Ultras Rapid dort“. Es wird – auch in Absprache mit der Red Firm – „mehr die Choreo für den GAK“ gemacht.58

Auch die Society ist von ihren Mitgliedern her nicht politisch homogen. Die Society hat „mehrere, die eher der FPÖ nahe stehen, […] auch einige, die der KPÖ näher stehen, aber im Stadion sollte eigentlich der GAK die ‚politische’ Partei sein“. Für den Fanklub steht der GAK im Mittelpunkt, weder für IP1 noch für IP2 dreht es sich beim Fußball um Politik. Auch soll das Match nicht als politische Veranstaltung missbraucht werden. Es soll jeder kommen, egal ob „der komplett Linke, der komplette Rechte, der komplette Anarchist“, denn „es geht

57 Siehe http://www.society-graz.at/?page_id=31 58 Interview Society Graz, IP1 (1:55)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 40 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub um den GAK, und das ist primär“, und man versucht, im Stadion „Politik so gut es geht zu unterbinden“.59

Tifosi Rosso Bianco

Die Gruppe Tifosi Rosso Bianco besteht im Kern aus ungefähr 20 Leuten, wurde 2010 gegründet. Auch sie unterlegt, ebenso Firm und Society, ihren Support mit typischen Elementen ursprünglich italienischer Fankultur. Die Gruppe hat bis jetzt laut eigenen Angaben insgesamt zwei Busse zu Auswärtsfahrten organisiert, die mit jeweils circa 40 Passagieren Anklang bei einer Anzahl an Fans gefunden, die weit über den eigentlichen Kern der Gruppe hinausgeht.

Teile dieser 20 Mann starken Gruppe werden bezüglich des Ultratums als „etwas radikaler“ bezeichnet, es gäbe aber auch das „gemäßigte Lager, also praktisch zwei Lager“. Intern wird geschaut, dass sich die Leute „zusammenreißen“. „Jemand, der sein Herzblut in den Fußball steckt“ gilt für IP2 als Ultra, wohingegen jemand, der einen Becher auf den Linienrichter wirft, ein „Dodel“ sei, da dies nichts mit Fußball zu tun hätte, und somit nicht Teil der Ultrabewegung ist.60

Intern gibt es verschiedene politische Lager, IP2 achtet aber intern auch sehr strikt drauf, dass „keiner irgendwie politisch auffällt, sei es links oder rechts“. Auch kritisiert IP2, dass manche Stadionbesucher offensichtlich nicht wegen des Fußballspiels ins Stadion gehen, da dort teilweise politische Parolen zu vernehmen sind, die nichts auf einem Fußballplatz zu suchen haben. Er trennt die Rolle des GAK-Fans als solcher von der persönlichen politischen Einstellung. Im Stadion ist man nicht „links“ oder „rechts“, sondern eben GAK-Fan. Des Weiteren sieht IP2 durch Politisierung die Gefahr der Fanszenenspaltung. Auch IP1 geht im Wesentlichen d'accord mit dieser Sichtweise bzw. Meinung.61

59 Ebd. 60 Interview Tifosi Rosso Bianco 61 Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 41 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

4.3 Die Elemente österreichischer Fankultur in der Fankurve des GAK

Literatur über eine spezifisch österreichische Fankultur bzw. Fankurvenkultur ist äußerst spärlich gesät. Eine solche lässt sich wohl am ehesten daran festmachen, was schon „immer“ und immer wiederkehrend in allen möglichen Stadien gesungen wird und wurde, auch ohne dass man von einer Geltendmachung des italienischen oder englischen Einflusses sprechen kann. Ein Musterbeispiel dafür ist das (allerdings auch in Deutschland) obligatorische „Hier regiert der …“. Eine Eingabe dieser drei Worte auf dem Internetportal Youtube62 ergibt 24400 Treffer, einen großen Teil davon über Fußballvereine im deutschsprachigen Raum. Aufgrund der größeren Vereine und der somit verbundenen hohen View-Zahl sind die Suchergebnisse zwar sehr von Vereinen aus Deutschland dominiert, doch wenn man die Wörter „Hier regiert der …“ um melodisch dazupassende Kürzel und Namen österreichischer Vereine ergänzt, findet man die Austria Wien gleichermaßen wie Rapid, Sturm Graz ebenso wie den GAK, bei welchem „Hier regiert der GAK“ auch schon in den Bundesligazeiten zum Standardrepertoire gehörte, und auch in der Regionalligazeit nach wie vor gesungen wurde. Ein anderes Beispiel wäre das in Österreich und Deutschland gleichermaßen gebräuchliche „Steh auf, wenn du ein … bist“, was im Falle des GAK mit „Roter“ ergänzt wurde, und bei dem zumeist nicht nur die Fans der Kurve, sondern auch die der Längssektoren eingebaut wurden, da die Fans der Kurve ja ohnehin die meiste Zeit standen.

Weitere Fan- und Schlachtgesänge beim GAK, die man ebenfalls (auch) als österreichisches Element bezeichnen kann, da sie nur im deutschsprachigen Raum Verwendung finden, wäre das Skandieren von „Schieber, Schieber“ bzw. „Schwoarze Sau, Schwoarze Sau“, um seinen Unmut über den vermeintlich parteiischen Schiedsrichter auszudrücken, oder Anfeuerungs- Fanchöre wie „Auf geht's Rote, kämpfen und siegen!“. Auch diese Schlachtgesänge bzw. Rufe sind aber keine reine österreichische Eigenheit, sondern werden ebenso in Deutschland verwendet. Andere ebenso gebräuchliche Elemente abseits von Gesängen und Schlachtrufen, wie etwa das Tragen von Vereinsdressen, Schals, oder dem Schwenken von Fahnen, waren in Österreich und beim GAK ebenfalls schon vor einer direkten Einflussnahme italienischer oder englischer Fankultur festzustellen. Diese Elemente sind aber im Endeffekt am ganzen

62 http://www.youtube.com Stand vom 29.03.2013

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 42 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub europäischen Festland vorzufinden, sodass diese von mir als „österreichisch“ bezeichnete Elemente insgesamt keinen tatsächlichen spezifischen Landesbezug haben.

4.4 Das nicht fanklubgebundene Kurvenpublikum

Der größere Teil der BesucherInnen der Fankurve ist kein aktives Mitglied in einem Fanklub, er orientiert sich aber in weiten Teilen an den von den Fanklubs vorgegebenen Gesängen, beteiligt sich an Choreografien, und supportet ebenso aktiv die Mannschaft. Im Sektor 22 war dabei zu beobachten, dass jene BesucherInnen, welche einen höheren Grad an Motivation zur Partizipation an Fangesängen oder beispielsweise rhythmischen Klatschen aufwiesen, sich im Fansektor eher mittig positionierten. Der Grad an der Beteiligung insgesamt schwächte im Gegenzug ab, umso weiter weg sich die BesucherInnen von der Mitte des Sektors positionierten, wobei diese Abschwächung umso kleiner wurde, je voller der Sektor 22 war. In der Mitte des Fansektors waren die tonangebenden Fanklubs Red Firm und Society Graz angesiedelt, welche geografisch rund um den Eingang des Sektors 22 verortet werden konnten, und so bildete die Mitte auch den Ausgangspunkt des organisierten Supports. Dementsprechend war im Schnitt und auf die Länge eines Spieles bezogen die Stimmung in der Mitte auch intensiver und lauter als beispielsweise an der Grenze zu den Längssektoren, was im Gegenzug aber nicht bedeutet, dass sich jene FankurvenbesucherInnen, die sich am Rande der Kurve befanden, gar nicht mehr aktiv am Support beteiligten. Es geschah nur eben einfach verhältnismäßig seltener, aber immer noch bei Weitem häufiger als im Gegensatz zu den Längssektoren. Diese Beobachtung spiegelt sich auch in der Aussage eines 30-Jährigen Fans wider, der sich während der Spiele mit seinen Freunden in die „erweiterte“ Fankurve im Sektor 23 direkt an die Grenze zum Sektor 22 stellte, sich aber zumindest „peripher“ als der Fankurve zugehörig fühlt: „Direkt in der Kurve bin ich ja nie, ich bin ja meistens 10 Meter daneben, aber trotzdem fühlen wir uns […] zu einem gewissen Teil der Fankurve zugehörig. Wir supporten genauso mit, aber nicht so fanatisch“63.

63 Interview NFK1 (1:20)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 43 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

5 „Geliebter Feind“ – der SK Sturm Graz

Für die meisten Fußballfans dürfte ein Stadtderby, welches seinen Namen übrigens vom berüchtigten „Shrove-Thuesday-Kampf“ im mittelalterlichen England zwischen den Pfarrbezirken All Saints und St. Peter’s in der englischen Stadt Derby erhielt64, eines der saisonalen Highlights schlechthin sein. Wolfgang Kühnelts Buch „Geliebter Feind“65 über das Grazer Stadtderby suggeriert dabei, dass der SK Sturm für den GAK (und umgekehrt) eine Art Hassliebe bzw. eben einen geliebten Feind darstellt. Dies dürfte aber nur die halbe Wahrheit sein, da es aufgrund der von mir geführten Interviews, den auch Abseits von Fußballspielen stattgefunden Schlägereien und Ausschreitungen, den im Stadion zu hörenden Fanchören, aber auch in diversen Diskussionsforen im Internet den Anschein hat, dass die teilweise verspürte Zuneigung gegenüber dem Stadtrivalen und dessen Fans vor allem seit dem Zwangsabstieg des GAK in manchen Fällen zugunsten einer relativer großer Abneigung aber auch Hass gewichen ist. So bezeichnet beispielsweise NFK166 zumindest den Verein selbst als „drecksüberheblich“, wobei auch dessen Fans für ihn „zu einem großen Teil“ in diese Schiene fallen. Auch bestätigt sich die für Fußballverständige wohl auf der Hand liegende Annahme, dass es sich für einen GAK-Fan ausschließt, größere Sympathien für den SK Sturm zu hegen, da mit dem Selbstverständnis der GAK-Fans eine Abgrenzung vom und eine Ablehnung des Stadtrivalen einhergeht. Zumindest für keinen der von mir interviewten Fans war es auch nach mehrmaligen wirtschaftlichen und sportlichen Misserfolgen jemals ein Thema, Anhänger des SK Sturm zur werden. Das Verhältnis der GAK-Fans gegenüber dem SK Sturm bzw. ihre Interaktion mit den Fans des SK Sturm spielt sich auf zwei, von mir im Folgenden dargestellten, Ebenen ab.

5.1 Ebene 1: Innerhalb des Stadions

Die innerhalb des Stadions von der Fankurve signalisierte Feindschaft und Abgrenzung gegenüber dem SK Sturm ist eine manifeste. Das heißt, sie wurde unabhängig davon zelebriert, ob es am Rasen gerade wirklich gegen den SK Sturm ging, oder ob gegen einen

64 Vgl. König, Thomas (2002). Fankultur. Eine soziologische Studie am Beispiel der Fußballfans. Lit, Münster 2002. Seite 8 65 Kühnelt, Wolfgang (2008).Geliebter Feind: Die Geschichte des Grazer Stadtderbys SK Sturm Graz – GAK 1920 – 2007. Leykam, Graz 2008. 66 Interview NFK1 (08:40)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 44 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub anderen Verein gespielt wurde. Auch schien es irrelevant zu sein, ob es sich dabei um ein Heim- oder Auswärtsspiel handelte, solange sich auswärts ausreichend Anhänger des GAK einfanden, um eine Kurve bilden zu können.

5.1.1 Während des kleinen Derbys

„So geh’n die Schwarzen, die Schwarzen die geh’n so – so geh’n die Roten, die Roten die geh'n so“67

Das Grazer Lokalderby zwischen dem GAK und dem SK Sturm Graz dürfte nach dem Wiener Derby zwischen Austria Wien und Rapid Wien das traditionsreichste und prestigeträchtigste Derby in Österreich gewesen sein. Es wurde zum ersten Mal 1913 gespielt, und die offizielle Statistik zählt seit 1920 – als die beiden Vereine zum ersten Mal in der steirischen Meisterschaft aufeinandertrafen – bis zum Zwangsabstieg des GAK in die Regionalliga insgesamt 197 Spiele, von denen der GAK 68 für sich entscheiden konnte, 80- mal verlor, und 49-mal unentschieden spielte68. Das letzte „große“ Derby wurde 2007 ausgetragen, danach kam es in der Regionalliga noch bis zur vorläufigen Schließung des Vereins zum sogenannten „kleinen Derby“, das nicht mehr gegen die Profimannschaft des SK Sturm, sondern gegen dessen Amateure ausgetragen wurde.

Das „kleine Derby“ hatte in der Regionalliga natürlich weder den medialen noch den sportlichen Stellenwert wie zuvor die Bundesligaspiele gegen die Profimannschaft des SK Sturm. Trotz des kontinuierlich abnehmenden Interesses des „schwarzen“ Publikums kamen zum kleinen Derby überdurchschnittlich viele Zuschauer ins Stadion, wenn man einmal vom letzten Aufeinandertreffen im Herbst 2012 absieht, als sich das vierte und letzte Insolvenzverfahren bereits abzeichnete.69 Dies lässt darauf schließen, dass vor allem für den GAK-Anhang das Spiel gegen die Sturm Amateure nach wie vor von besonderem Interesse war, auch wenn es sich dabei nur um die Amateure handelte. Diesem Umstand wurde im Fansektor kaum Tribut gezollt, es schien keine Rolle zu spielen, dass es sich um die Amateurmannschaft handelte, denn diese verkörperte im Rahmen des

67 Fangesang, bei dem die Fans bei der Textpassage „so geh’n die Schwarzen“ eine gebückte Haltung einnehmen, und nur sehr leise singen, während sie bei „so geh’n die Roten“ aufrecht stehend und lautstark singend auftreten, und den Support durch Händeklatschen unterstützen. 68 Vgl. http://gakarchiv.at/derby.html 69 Vgl. http://www.regionalliga.at/mitte/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 45 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Regionalligaspielbetriebs genauso den SK Sturm als Gesamtverein, wie es zuvor die Profis in der Bundesliga taten. Schmäh- und Hassgesänge zielten dabei weniger auf die immer spärlicher erscheinenden SK Sturm Fans ab, sondern auf die am Feld stehende Mannschaft. Einerseits wurde die Mannschaft als Gesamtes mit Gesängen à la „Ladi ladi ladi ladi oh, SK Sturm, Hurensöhne“ oder „Scheiß, scheiß, scheiß SK Sturm“ bedacht. Andererseits wurden einzelne Spieler, wie etwa Mario Haas, den man schon aus Bundesligazeiten kannte, lauthals mit individuellen Schmähgesängen „gewürdigt“, da er im Herbst 2012 von der Profimannschaft in die Amateurmannschaft abgestellt wurde, um gegen den GAK zu spielen. Dieses gehässige und feindselige Verhalten trat bei den kleinen Derbys sicher stärker in Erscheinung, als bei „normalen“ Spielen. Jedoch ist dieses feindseligere Verhalten gegenüber der anderen Mannschaft eine Eigenheit, die bei den meisten Fankurven im Rahmen von Derbys zutage kommen dürfte, und wobei sich auch im umgekehrten Fall Sturm, Rapid, Austria, LASK, oder Blau Weiß Linz nie etwas schuldig blieben.

5.1.2 Während des Spiels gegen andere Mannschaften

„We all hate the SK Sturm Graz, we just sing for red and white – our pride! cause you'll never walk alone, we're standing by your side, 'cause we support the GAK until we die.”

Im Gegensatz zu den anderen Mannschaften aus Regionalliga- und Bundesligazeiten ist aber der SK Sturm auch dann im Stadion ein Thema, wenn es am Spielfeld nicht gegen die „Schwoarzen“ geht. Ein regelmäßiger und wiederkehrender Gesang vor allem bei Mannschaften, die durch zeitverzögerndes oder unfaires Spiel auffielen, war die negative Gleichsetzung eben dieser Mannschaft mit dem SK Sturm, etwa durch das Anstimmen und dem mehrmaligen Wiederholen von „Ihr seid Scheiße, wie der SK Sturm“. Andere Gesänge – wie der eingangs hervorgehobene Chant – erfüllen weniger den Zweck, die andere Mannschaft zu „diskreditieren“, sondern versuchen viel mehr, eine klare Abgrenzung als GAK-Fan zum Stadtrivalen zu vermitteln, und den Zusammenhalt und das Selbstverständnis der eigenen Gruppe zu fördern. Dabei wurde oftmals auch auf vergangene Glanzeiten angespielt, so wie wenn zum Beispiel davon gesungen wurde, dass neben der Austria aus Wien und aus Salzburg auch „Sturm Graz sowieso“ geschlagen wird, und die Frage an den gegnerischen Verein ergeht: „Und wer, und wer bitte seid ihr?“

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 46 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

5.2 Ebene 2: Außerhalb des Stadions

Das Verhältnis der GAK-Fans zum SK Sturm bzw. die Interaktion mit seinen Fans ist nichts, was sich auf das Geschehen im Stadion reduzieren lässt. Einerseits lässt es sich natürlich gerade an Derbytagen nicht verhindern, dass sich die in diesem Fall oftmals anhand der Optik oder der Fangesänge erkennbaren Fans beider Lager in Stadionnähe, bei der Anreise, oder irgendwo vor bzw. nach dem Match im Stadtgebiet über den Weg laufen. Andererseits ist es auch abseits der Spieltage so, dass sich die Rivalität zwischen den Fans der beiden Mannschaften nicht in Luft auflöst, sondern sich in verschiedenen Graden ins „Alltagsleben“ verlagert. Gerade in einer Stadt wie Graz, die sowohl flächenmäßig als auch von der Einwohnerzahl her einigermaßen überschaubar ist, und die nur über zwei relevante Fußballvereine verfügt(e), bleibt es nicht aus, dass man als GAK-Fan auch im sogenannten Alltagsleben immer wieder in Kontakt mit Sturm-Fans steht – sei es bei der Arbeit, sei es im Rahmen einer freundschaftlichen Beziehung, sei es in der Schule, auf der Universität, in diversen Lokalen, oder sonst irgendwo. Es ist also kaum möglich, sein Alltagsleben so zu gestalten, dass man dabei auf völlige Distanz oder in völlige Abgrenzung zu den Anhängern des SK Sturm gehen könnte.

5.2.1 An Derbytagen

Die Zeiten, in denen sowohl GAK als auch Sturm Fanmärsche zum Stadion veranstalteten, und es am Stadionvorplatz zwischen den Fans zu verbalen und zum Teil auch gewalttätigen Geplänkeln kam, sind seit dem Abstieg in die Regionalliga im Großen und Ganzen vorbei. Auch solche Ereignisse, wie jenes im Rahmen des Herbstderbys 2005, bei dem von einem mutmaßlichen GAK-Hooligan eine „heftige szenetypische Auseinandersetzung" organisiert wurde, an der sich in der ans Stadion angrenzenden Münzgrabenstraße an die hundert Personen beider Seiten aktiv beteiligten, gehören weitgehend der Vergangenheit an70. Eine letzte gewalttätige Auseinandersetzung der rivalisierenden Grazer Fans war zuletzt nach dem Frühjahrsderby 2011 zu beobachten, als sich gute 40 Leute im Grazer Augartenpark auf eine zuvor vereinbarte Schlägerei trafen. Dass solche Aufeinandertreffen und Interaktionen seit dem Regionalligaabstieg kontinuierlich weniger wurden, lag vor allem daran, dass das

70 Vgl. http://www.news.at/articles/0544/203/124927/massenschlaegerei-bestellung-rowdys-Grazer-fussball- derby vom 31.10.2005

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 47 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Interesse seitens der Sturm-Fans auch das kleine Derby zu besuchen ebenfalls von Saison zu Saison geringer wurde.

An dieser Stelle soll weder gewertet werden, noch sind gewisse Vorfälle zu beschönigen, aber: Verbales Geplänkel, gegenseitige Verhöhnungen und gegenseitige Provokationen zwischen den oftmals eben in den rivalisierenden Fankurven anzufindenden supportorientierten Fanklubs und Fans gehören zu einem Derby dazu, unabhängig davon, ob dieses Derby in Wien, Linz, Glasgow oder Rom stattfindet. Abgesehen von diesbezüglich radikaleren Fans, die häufig der Fankurve zuzurechnen waren, von denen sich aber wiederum ebenfalls nur eine Minderheit zu Gewalt hinreißen ließ oder Gewalt suchte, darf man sich an Derbytagen weder die Stadt als Gesamtes noch die nähere Umgebung des Stadions als potentiellen „Kriegsschauplatz“ vorstellen. Es war weder beim ursprünglichen noch beim „kleinen“ Derby abwegig oder unüblich, dass zum Teil miteinander bekannte GAK- und Sturm-Fans auch friedlich über das anstehende oder vergangene Spiel diskutierten, noch kam es bei der oftmals via Straßenbahn erfolgten gemeinsamen Anreise der Fans zu nennenswerten Auseinandersetzungen.

5.2.2 Abseits von Spiel- bzw. Derbytagen

Angesichts der Tatsache, dass man als „Roter“ im Regelfall jenem Teil der Bevölkerung nicht vollständig ausweichen kann, der sich zur Anhängerschaft des SK Sturm bekennt, dürften sich die meisten GAK/GAC-Fans mit dem Umstand arrangiert haben, dass es in ihrem privaten und beruflichen Umfeld logischerweise auch „Schwoarze“ gibt. Wenn man, so wie von einem der von mir interviewten GAK-Anhänger, zu hören bekommt, die Feindschaft gegenüber Sturm sei „situationsbedingt“, und „im Stadion sind sie prinzipiell die Todfeinde […], gleich wie eine Austria, Rapid, Steyr, LASK, wurscht wer […], aber wenn'st so in der ‚freien Wildbahn’ auf sie triffst, jo mei, triffst halt auf ihnen, muss ja nicht gleich einen Blutrausch kriegen und sie erschlagen“, dann trifft das wohl recht gut die diesbezügliche Meinung vieler anderer GAK-Fans, vor allem, wenn im selben Atemzug bestätigt wird, dass es wohl kaum einen GAK-Fan geben dürfte, der nicht selbst in seinem Bekanntenkreis einen Sturm-Fan hat71. Es dürfte also bei vielen Kurven-BesucherInnen durchaus zwischen Aufeinandertreffen im Rahmen sportlicher Auseinandersetzungen und Aufeinandertreffen im Alltagsleben

71 Interview Tifosi Rosso Bianco, IP2 (31:00)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 48 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub differenziert werden, wobei eben in letzterem Fall meist weniger tatsächliche Feindschaft oder sogar Hass dominieren, sondern diesbezügliche Debatten und Unterhaltungen zumindest mit den „normalen“ Sturm-Fans meist aus „sachlichem Reden“ gepaart mit „gegenseitigem verarschen“ und „a Hetz haben“ bestehen72.

Ein anderer von mir interviewter Kurvenbesucher machte in Anspielung auf das Buch „Geliebter Feind“ keinen Hehl daraus, „dass es schon ein bisserl ein Hass“ bzw. „mehr Hass als Liebe“ ist, den er gegenüber den SK Sturm und seinen Fans verspürt, auch sei zwischen Sturm und GAK „zu viel vorgefallen, als dass er die irgendwie mögen könnte“. Beispielsweise die Verlegung des kleinen Derbys mit Heimrecht seitens des SK Sturm ins fünfzehn Kilometer von Graz entfernte Kumberg, einhergehend mit für Regionalligaverhältnisse überteuerten Eintrittspreisen und wohl wissend, dass sich der Großteil der Zuschauer aus in Graz ansässigen GAK-Anhängern zusammensetzen würde.73 Hier ergab sich ebenfalls der Eindruck, dass gegenüber dem Verein als Gesamtes eine relativ große Abneigung besteht, aber die Feindseligkeit gegenüber seinen Fans in ihrer Rolle als Einzelpersonen nicht immer so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Darauf lässt unter anderem der Umstand schließen, dass der Interviewpartner einen älteren Bruder hat, der einerseits zwar zeitweise recht aktiv in der Fanszene des SK Sturm war, zu dem er aber andererseits ein recht gutes Verhältnis pflegt und mit dem er auch schon das eine oder andere kleine Derby gemeinsam besucht hat. Auch verfügt er in seinem erweiterten Freundeskreis durchaus über Bekannte, die bekennende Sturm-Anhänger sind.

Bezogen auf die gesamte Fankurve dürften sich also systematisch stattfindende und wiederkehrende aggressive oder sogar gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Sturm- Fans abseits von Spieltagen aus bereits erläuterten Gründen in Grenzen halten. Sie sind jedoch im kleinen Rahmen durchaus im Bereich des Möglichen, vor allem wenn es sich dabei um wissentliche Fangruppenmitglieder der eher ultraorientierten Gruppierungen beider Lager handelt. So berichteten etwa Mitglieder der Society, für die der SK Sturm auch „privat“ einen „schrecklichen Stellenwert hat“, dass sie „beim Fortgehen ganz viele Geschichten“ hatten, bei denen Mitglieder mit ihrer Freundin unterwegs waren, und plötzlich kamen „fünfzehn

72 Ebd. IP1 (29:00) 73 Vgl. Interview NFK2 (8:15)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 49 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Leute, maulen dich an, und geben dir eine Watsch’n“74. Somit überträgt sich ein Teil dieser sportlichen Feindschaft klarerweise ins Private, auch wenn dies keine auf ganz Graz übertragbare Regel ist, sondern in diesem Fall von einem bestimmten Stadtviertel die Rede war. Man ist der Meinung, „dass es noch schlimmer geworden ist, seit dem man eben nicht mehr gegeneinander spielt“, weil dies zur Folge hat, dass „die Schwoarzen jede Chance nehmen, die sie kriegen, um ein bisserl zu raufen“, da ihnen diese Gelegenheit während des traditionellen Derbys verloren gegangen sei75. Es ist an dieser Stelle mühselig darüber zu debattieren, wer die Auslöser dieser Konflikte sind und waren und es wäre unfair, nur den Sturm-Fans den in diesem Fall wohl passenden „schwarzen“ Peter zuzuschieben. Solcherlei vereinzelte Akte der (gegenseitigen) Aggressionen und Gewalt fanden in den letzten Jahren nicht nur zwischen einzelnen Personen und durch zufälliges Aufeinandertreffen statt, auch kam es zu von zumindest einer Seite geplanten Massenschlägereien. So zum Beispiel geschehen im August 2012, als die Insassen eines Fanbusses, welche sich aus Society- und Firm-Mitgliedern plus Umfeld zusammensetzten, offensichtlich am Grazer Hasnerplatz von Sturm-Fans abgefangen und in eine Prügelei verwickelt wurden76.

Unklar ist, welche Vorgeschichte diesem unfriedlich endenden Aufeinandertreffen vorausging, Faktum ist jedoch, dass vonseiten der GAK-Fans auch Personen zu Schaden kamen, die keinerlei Interesse an gewalttätigen Auseinandersetzungen hatten. Tatsache ist aber auch, dass diese Auseinandersetzung zwar insofern an einem Spieltag stattfand, als dass der mit GAK-Fans besetzte Bus von einem Regionalligaspiel aus Kapfenberg heimkehrte, während die Mannschaft von Sturm an diesem Samstag ein Bundesligaheimspiel gegen den WAC austrug, die beiden Spiele aber de facto überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Wenn man die dem darüber berichtenden Onlineartikel der Kleinen Zeitung zugeordneten Onlinekommentare der GAK-Fans betrachtet, stößt man dort auf Beiträge, die das Ganze als „ganz unfaire Kiste vom schwarzen Graz“ darstellen, „für das sie noch die Quittung bekommen werden“, und man stößt auf Anmerkungen, dass der Fanbus kein „’Hardcore’- Bus“ gewesen sei, sondern sich in diesem „ganz normale Fans“ befanden77. Andere Beiträge

74 Interview Society Graz, IP2 (12:24) 75 Ebd. IP1 (13:50) 76 Vgl. http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3090269/fussballfans-wilde-schlaegerei- hasnerplatz.story vom 11.08.2012 77 Vgl. Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 50 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub kritisierten, dass im relativ kurz gefassten Artikel nicht erwähnt wurde, „dass die GAK-Fans am Hasnerplatz ausgestiegen sind und die Schwarzen dort auf sie gewartet haben“, und „sogar Frauen geschlagen wurden“. Ausgehend davon, dass in diesem genannten Fall die Anstifter zur Schlägerei wirklich nur in der Fanszene des SK Sturm zu suchen waren, darf nicht unerwähnt bleiben, dass es 9 Monate zuvor im Bereich Schießstattgasse/Conrad-von- Hötzendorf-Straße – ungefähr 20 Minuten Fußmarsch von der UPC-Arena entfernt – eine wilde Prügelei gab, in die rund hundert Personen beider Lager verwickelt waren78. Laut Zeitungsangaben wurde sich dazu via Internet verabredet, und auch wenn der SK Sturm an diesem Tag ein Spiel austrug, befand sich zu diesem Zeitpunkt die Mannschaft des GAK schon seit über einem Monat in der Winterpause. Es ist also anzunehmen, dass sich gewisse Teile des GAK-Anhangs und gewisse Teile des Sturm-Anhangs seit Jahren gegenseitig nichts schuldig bleiben. Aber auch, dass es vollkommen reicht, wenn zumindest einer der beiden Vereine an einem bestimmten Tag ein Spiel austrägt, um die Fans des anderen zu ermutigen, eine Masse an Leuten zu organisieren, deren Zusammentreffen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit wohl kaum als „zufällig“ bezeichnet werden kann.

5.2.3 Im Internet ausgetragene Rivalität

Wie schon im vorangegangenen Punkt erwähnt, bietet in den letzten Jahren das Internet eine immer größer werdende Plattform, um seinen Gefühlen gegenüber dem eigenen Verein und logischerweise auch gegenüber den gegnerischen Vereinen Ausdruck zu verleihen. Im Rahmen der in weiterer Folge exemplarisch ausgewählten Onlinekommentarbereiche bzw. Foren von Facebook, der offiziellen GAK-Homepage, und der Kleinen Zeitung sind nur Vermutungen darüber anzustellen, welche der Beiträge tatsächlich von Kurvenbesuchern stammen. Jedoch ist aufgrund der inhaltlichen Klarheit anzunehmen, dass die ausgedrückte Ablehnung und Distanzierung bei den vermeintlich fanatischeren Kurvenfans insgesamt zumindest nicht geringer ausfällt.

Merkmal vieler dieser Internetforen ist es, dass in ihnen „pseudonym“ verkehrt wird. Dies bedeutet, dass die User bzw. „Kommunikanden“ Wahlfreiheit darüber genießen, in welchem Maße sie anonym miteinander kommunizieren wollen. In den meisten Foren und Kommentarbereichen bleibt es den Benützern selbst überlassen, ihren tatsächlichen Namen zu

78 Vgl. http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/2897098/100-fussballfans-rauften-sich.story vom 11.12.2011

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 51 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub verwenden, oder einen Nickname zu wählen. Im Gegensatz zur Verwendung der realen Namen spielt dabei die Nutzung von Nicknames eine besondere Rolle für die „Aspekte der Identität und Selbstrepräsentation“ im Zuge der Internetkommunikation. Zumeist werden dabei Nicknames verwendet, die nicht voraussetzungslos erkennbare Hinweise auf den realen Namen bzw. die reale Person zulassen, was aber nicht bedeutet, dass diese Pseudonyme auch dauerhaft keine Identifikation zulassen. Dies liegt einerseits daran, dass viele der Kommunikationspartner auch abseits des Internets miteinander bekannt sind, andererseits daran, dass viele Kommunikanden genügend Hinweise auf ihre tatsächliche persönliche Identität preisgeben.79 Dies lässt sich auch im offiziellen GAK-Forum feststellen, in dem man zumindest in Teilen die wahre Identität anderer Forumsteilnehmer kennt. Auch werden zeitweise Nicknames verwendet, deren Zusammensetzung die Spitznamen der realen Personen integrieren oder Kurzformen der realen Namen beinhalten. Beigefügte Profilfotos oder sogenannte „Signaturen“ geben zum Teil Aufschluss über Fanklubmitgliedschaften und optional ist es möglich, über das Profil Information bezüglich des Alters, des Wohnortes, und der persönlichen Interessen für die anderen Forumsteilnehmer öffentlich zu machen. Allerdings muss bedacht werden, dass diese Hinweise oftmals nur jenen zur Identifikation dienen, die ohnehin selbst Fans des GAK sind, während sie für die meisten gegnerischen Fans – beispielsweise von Sturm Graz – als relativ nutzlos erscheinen. Auch die Kommunikation abseits des Internets, welche oftmals eine Entanonymisierung der Kommunikanden zur Folge hat, findet zumeist zwischen den Fans des jeweiligen Vereines untereinander statt. Diese zuvor beschriebene Anonymität des Internets hilft womöglich dabei, Ansichten ans Tageslicht zu bringen, die in dieser Art und Weise in persönlichen Gesprächen oder bei persönlichen Aufeinandertreffen zwischen verschiedenen gegnerischen Fans im Alltagsleben weniger direkt geäußert werden würden.

Das offizielle Fanforum

Im offiziellen Internetforum des GAK ist von Sympathien gegenüber dem SK Sturm nicht viel zu spüren, der Grad der Ablehnung reicht allerdings je nach Diskussionsthread von offen ausgedrücktem Hass bis hin zu Spott, und über die demonstrative Negierung der Relevanz des Stadtrivalen für Graz und den österreichischen Fußball bis hin zu zur Schau gestellten Freude

79 Vgl. Beck, Klaus (2006). Computervermittelte Kommunikation im Internet. Oldenbourg, München 2006. Seite 149 – 156

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 52 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

über Misserfolge des SK Sturm. Den Anlass für ein streckenweise stattfindendes Internet- „Bashing“ im Sinne eines verbalen Angriffes gegenüber dem SK Sturm Graz findet meistens – aber nicht nur – aufgrund bestimmter Ereignisse und deren Thematisierung statt. Festzustellen war wiederum, dass bei diesen Ereignissen, die den SK Sturm oder im umgekehrten Falle den GAK betrafen, kein direkter Zusammenhang zwischen dem SK Sturm oder dem GAK bestehen musste, um eben die jeweiligen Ereignisse via Internet aufzugreifen. An diesem Bashing beteiligen sich bei weiten nicht alle der mehreren Hundert registrierten Mitglieder des offiziellen Diskussionsforums, es herrscht je nach Interesse am Thema einmal eine größere, einmal eine kleinere Beteiligung seitens der Anhänger. All das gilt gleichermaßen auch für Facebook und die Kleine Zeitung.

Als im April 2012 von einem bekennenden GAK-Fan ein Thread eröffnet wurde, der den Abgang des „erzschwarzen“ Trainers des SK Sturm, Franco Foda, zum Inhalt hatte, und der dessen Leitung für den Grazer Fußball würdigte und dankte, stieß dies nicht unbedingt auf Gegenliebe.80 Die Meinungsspanne der insgesamt 48 Antworten reichte dabei von Unverständnis, ausgedrückt etwa durch Beiträge wie „Warum soll man sich bitte bei Foda bedanken als Roter! Der größte Blödsinn den ich je in einen GAK Forum gelesen habe!“ oder „Was hat die von dir erwähnte Fußball Begeisterung bei den Schwarzen oder generell in Graz mit uns Roten zu tun?“ bis hin zum offenkundigen Ausdruck der Irrelevanz des Themas für die persönliche Meinung gegenüber dem SK Sturm. Diese Meinungen gegenüber dem SK Sturm im Rahmen dieses Threads reichten wiederum von abgrundtiefer Abneigung wie etwa „ICH HASSE DEN SK STNRW GRAZ!!!“ oder „Ob mit oder ohne Foda – Stnrw Graz verrecke!!!“ hin zu jenen Ansichten, dass man dem SK Sturm prinzipiell nichts Positives wünsche, wie etwa „Eigentlich ist mir der Foda und sein Ex Verein komplett Wuascht. OK, nicht ganz, ich empfinde bei Misserfolgen von denen immer eine gewisse Schadenfreude“ oder „jede Niederlage, jede negative Meldung, jede Hiobsbotschaft, egal, Hauptsache negativ, zaubert mir ein lächeln auf die Lippen“. Nur ein einziges weiteres rotes Forumsmitglied stimmte dieser Würdigung insofern zu, als dass er Foda als „stets korrekt, wenn auch eigen“ und „guter Trainer, der uns nie zu Schaden kommen lies“ bezeichnete, allerdings danach an die die anderen Diskussionsteilnehmer appellierte: „Seits doch so fair und gönnts den Schwarzen in den nächsten drei Jahren unter Lang und Co nur sch****“.

80 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19564-fusball-graz-hat-franco-foda-zu-danken/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 53 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Ein anderes Ereignis, das weniger den Verein als Gesamtes, sondern viel mehr Sturms Fankurve betraf, war jenes, als der Fankurve des SK Sturm ein relativ peinliches Missgeschick widerfuhr. Im Herbst 2011 versuchten sich die Fans des SK Sturm an einer Heimspielchoreografie, die darin bestand, dass man in der Fankurve fünf separate Überzieher entrollte, auf den jeweils ein Buchstabe des Namens Sturm abgebildet war. Die vollständige Choreografie sollte also das in Riesenbuchstaben geschriebene Wort „STURM“ ergeben, wobei aber zwei der separaten Überzieher verkehrt herum ausgerollt wurden, und statt „STURM“ auf einer Länge von knapp 50 Meter „STNRW“ zu lesen war. Auch wenn es im umgekehrten Fall nicht anders gewesen wäre, brauchten jene, die den Schaden hatten, für den Spott nicht lange zu sorgen. Nicht nur bei den österreichischen Fans allgemein, sondern auch bei den GAK-Fans sorgte dieses Missgeschick vor allem im extra für peinliche Missgeschicke und Misserfolge des SK Sturms und seinen Fans eingerichteten und mit 113 Beiträgen frequentierten Thread „Sie bleiben unübertroffen…“81 für ausgiebige Schadenfreude. Sturms Choreografie ermöglichte nicht nur die Adaption des Spottnamens „STNWR Graz“ als Ergänzung zu den anderen bereits verwendeten Spottnamen wie etwa „Wurst Graz“, „SK- Wurm“, oder „die Unaussprechlichen“, sondern eröffnete auch einen großen und wohl noch länger bestehenden Raum für Witzeleien. So wurde beispielsweise aus dem Zigeunerbaron von Josef Strauss zitiert („Ja, das Schreiben und das Lesen, Ist nie mein Fach gewesen...“), es wurden Vermutungen darüber angestellt, dass es sich vielleicht um „kyrillische Buchstaben“ und eine „Einladung an die AEK Fans“ handeln würde, mit denen Sturm eine Fanfreundschaft zu pflegen scheint, oder in Anspielung auf den Fanklub „Brigata Graz“ die Sorge vorgetragen, dass „die kleine Brigitte wohl wieder nachsitzen“ müsse.

Die Onlineausgabe der Kleinen Zeitung

Dass ebenso für die Fans des SK Sturm im Internet des einen Leids des anderen Freud sein kann, oder Anlass zu gehässig geführter Internetkonversation bietet, verdeutlichten in den letzten Jahren unter anderem mehrere Onlineartikel der Kleinen Zeitung. Diese berichtete zwar in Relation zu anderen Regionalligavereinen mehr über den sportlichen Werdegang des GAK, aber in bei weitem größerem Maße über dessen Insolvenzen und den Verfehlungen seiner Fans, wie etwa dem Platzsturm gegen Austria Lustenau in der zweiten Cuprunde 2009, oder dem Platzsturm während des Relegationsspiels auswärts gegen Hartberg im Sommer

81 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19504-sie-bleiben-unubertroffen/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 54 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

2012. Da die Onlineausgabe der Kleinen Zeitung sowohl von GAK- als auch Sturm-Fans konsumiert wird, bieten diesbezügliche Artikel oftmals eine geeignete Konfrontationsplattform für beide Lager.

Weder in den Artikeln über den Platzsturm in Weinzödl gegen Lustenau noch in jenen über den Nichtaufstieg in Hartberg und dem wiederum damit verbundenen Platzsturm wurde von den Anhängern und Sympathisanten beider Vereine verbal Rücksicht genommen82. Allerdings war es diesmal an den Sturmanhängern, Salz in die roten Wunden zu streuen, nachdem ihnen dafür reichlich Zündstoff geliefert wurde. Während vonseiten der Sturm-Fans Kommentare wie „Besser STURM Fan als gak PlatzSTÜRMER !!!“ noch zu den harmloseren gehören, mit Beiträgen à la „Herzlich willkommen in der 1. Klasse Mitte A!“ dahingehend Wünsche geäußert wurden, dass man den GAK in noch tieferen Ligen Spielen sehen wolle, wurden auch handfeste und verallgemeinernde Beleidigungen wie „Die dümmsten Fans“, „Primitive, zurückgebliebene Fans“, oder „GAK ("FANS") = Kasperln“ geäußert. Einige GAK- Anhänger versuchten argumentativ gegen solche Pauschalisierungen vorzugehen, etwa mit Verweis auf die Mehrzahl an friedlichen GAK-Fans, und dass die Platzstürmer nur eine kleine Minderheit in der Fanszene bilden würden. Auch sei es nicht so, dass nicht auch alle anderen großen Vereine vor allem in der Bundesliga über gewaltbereite oder deviante Fans verfügen würden, und dies auch ausreichend dokumentiert sei. Andere konterten mit Beleidigungen ihrerseits, so wird unter anderem von „schwarzen Proleten“ und „STURM-Würstl“, die „außer Stroh nichts im Schädel haben“ geschrieben, oder sprachen unter Anführungszeichen subtile Drohungen wie „komm du Hurenkind und treffen wir uns“ aus. Auch bei den Artikeln über die jeweiligen Insolvenzverfahren des GAK waren solcherlei verbale Auseinandersetzungen und Streitereien zu beobachten, insgesamt muss aber gesagt werden, dass bei Weitem nicht alle, als GAK-Anhänger erkennbare, Verfasser von Kommentaren sich an diesen beteiligten, sondern oftmals darauf abzielende Provokationen ignorierten.

Facebook

Abgrenzung und Rivalität gegenüber dem SK Sturm sind natürlich auch auf dem in Österreich am weitest verbreiteten sozialen Netzwerk im Internet zu finden. Facebook verfügte Ende des Jahres 2011 über knapp 2,7 Millionen österreichische User, was knapp

82 Vgl. unter anderem http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3037599/hartberg-fuehrt-gegen-den-gak- 2-0.story#forummain

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 55 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub einem Drittel der österreichischen Gesamtbevölkerung entspricht, wobei die User einen Altersdurchschnitt von 29,4 Jahren aufwiesen.83 Dementsprechend ist anzunehmen, dass auch in der Fankurve bzw. beim Anhang des GAK eine ähnliche Verteilung zu erwarten ist, und dieser entsprechend der populären Facebook-Funktionen wie etwa der Nutzung des „Gefällt mir“-Buttons, oder der Möglichkeit, einer „Gruppe“ beizutreten, vereinsfußballerisch Farbe bekennt. Auffallend auf Facebook ist, dass nur sehr bedingt Wert auf Anonymität gelegt wird, im Gegensatz zum offiziellen Fanforum des GAK oder des Onlinekommentarbereiches der Kleinen Zeitung, in dem oftmals nur ein (mehr oder weniger aussagekräftiger) Nickname Rückschlüsse auf die Identität eines Beitragsverfassers gibt. Die überwiegende Mehrheit der User ist mit ihrem richtigen Namen ersichtlich, ein nicht zu knapper Teil davon mit für „Alle“ erkennbaren persönlichen Fotos. Auch bestehen oftmals kaum Hemmungen persönliche Präferenzen – seien sie sportlicher, politischer oder musikalischer Natur – der restlichen und weltweit vernetzten Facebook Community preiszugeben.

Jeder Fußballverein in Österreich, der über eine gewisse Fanbasis verfügt, verfügt auf Facebook auch über eine dementsprechende Anzahl an Fan-, Gruppen- und Vereinsprofilen. Dies gilt für positive Assoziationen gleichermaßen wie für negative, sprich es gesellen sich auch den jeweiligen Verein ablehnende oder verhöhnende bzw. beleidigende Profile dazu. So zum Beispiel die geschlossene – sprich nicht jedem zugängliche – Gruppe „ANTI SK STURM!!!“, die aus 76 Mitgliedern – davon ein großer Teil GAK-Anhänger – besteht, und auch deren Administratoren zur Mehrheit „Rote“ sind, insofern man ihren persönlichen Profilen glauben schenken darf. Die Facebook-Seite „Stnrw Graz“, welche auf das Choreografiemissgeschick anspielt, und 141 „Likes“ verzeichnen kann, hat diese „Likes“ durch eine Mehrheit an GAK-Anhängern gewonnen. Der Macher der Seite bezeichnet dabei das Team des SK Sturm als „Schulmannschaft“, was von einem User, der zumindest mit dem GAK sympathisieren dürfte, mit dem Posting „eher Sonderschulmannschaft“ kommentiert wurde.

Die zwei größten von mir untersuchten diesbezüglichen Seiten, „Sturm Graz nicht.“ und „SK Sturm Graz – Sinnlos seit 1909“ weisen mit 428 bzw. 425 „Likes“ eine Frequentierung von mehreren hundert Personen auf. Die den Seitennamen zugefügten Ergänzungen – einerseits „scheiß auf die schwoazn ...“ und andererseits „we all hate sturm graz“ – deuten darauf hin,

83 Vgl. http://www.socialmediaschweiz.ch/html/infografik.html

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 56 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub dass diese Seiten auf die Konten von GAK-Anhängern, zumindest aber Sympathisanten gehen könnten. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass „Schwoa(r)ze“ eine Bezeichnung ist, die eher unter Grazer und steirischen Fußballanhängern geläufig ist, und „we all hate sturm“ an den bereits behandelten Chant erinnert. Auch die von den anonymen Seitenbetreibern eingestellten Bilder deuten auf eine solche Anhängerschaft hin, da sie entweder im Internet immer wieder auf den Profilen anderer „roter“ User zu finden sind, oder unter anderem die Gleichung aufstellen: „SK Sturm + das den größten Dreck wegwischenden Reinigungsmittel Cilit Bang = GAK“. Die Zugänglichkeit von den Profildaten der „Seiten-Liker“ lässt wiederum ebenso vermuten, dass ein großer Teil von ihnen der GAK-Anhängerschaft zuzuordnen ist.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 57 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

6 Rot und Weiß ein Leben lang

Eine der Leitfragen in den von mir durchgeführten Interviews richtete sich danach, warum man nach vier verpatzten Aufstiegen und drei Konkursverfahren immer noch GAK-Fan sei. Bei allen 10 interviewten Personen lief die Antwort im Endeffekt auf das Gleiche hinaus: weil es eben so ist! Ein Fußballverein ist nichts, was man mal eben so wechselt. Als wirklicher Fan bleibt man seinem Verein treu – ähnlich einer Ehe in guten so wie in schlechten Zeiten, und ähnlich der engeren Familie, von der man sich wirklich nur dann lossagt, wenn man keinen anderen Ausweg mehr sieht. Einer der führenden Mitglieder der Red Firm trifft es wahrscheinlich recht gut, wenn er dazu meint: „Es spielt sich alles auf einer emotionalen Basis ab. Also, das kannst du keinem Menschen, der nix damit zu tun hat, irgendwie begründen. [...] Du hast (bei Spielen – Anm. d. Verf.) die besten und schlimmsten Momente in deinem Leben gehabt […]. Dann hast du Geschichten Abseits vom Platz, die dich extrem geprägt haben, die Leute die du kennengelernt hast …“84 Damit spricht er vermutlich nicht nur unzähligen GAK-Fans aus der Seele, sondern auch den meisten anderen Fans eines Vereins mit aktiver Fankultur. Des Weiteren entspricht es gleichermaßen der Theorie, dass Emotionen als zentrales Merkmal des Fan-Seins zu betrachten sind, als auch der damit verbundenen Zuschreibung, dass Fans ihren Verein kontinuierlich und oftmals ein Leben lang unterstützen.

Ebenso war es für keine der interviewten Personen laut Eigenangabe jemals ein Thema, zumindest in Österreich den Verein zu wechseln, wobei der SK Sturm diesbezüglich so oder so ein „no go“ darstellen würde. Diese Ergebnisse mögen nicht überraschen, selbst wenn es nun so war, dass – wie wir in der Einleitung erfahren haben – der GAK als Fußballverein in seiner ursprünglichen Form zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Masterarbeit bzw. während den dafür durchgeführten Interviews nicht mehr existent war. Allerdings gab es eben bereits seit Ende letzten Jahres Bestrebungen, den Verein neu zu gründen bzw. wieder ins Leben zu rufen, was dann im Wesentlichen im März 2013 mit der Gründung des GAK- Nachfolgevereins GAC auch geschah. Die diesbezüglich vielleicht spannenderen Fragen, die in den Interviews zur Sprache gekommen sind, und auch im Fanforum heftig diskutiert wurden, lauten deswegen wohl: (1) Unter welchen Voraussetzungen würdet ihr den GAK

84 Interview Red Firm IP2 (37:28)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 58 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub bzw. einen Folgeverein auch weiterhin unterstützen, (2) welche Rolle spielt dabei der Name des „neuen“ Vereins, und (3) welche Rolle spielt dabei die Spielklasse, in der ein sportlicher Neuanfang erfolgen könnte?

6.1 Der GAK der Zukunft

In einem Punkt waren sich meine Interviewpartner relativ einig, nämlich was die Frage nach der Liga betrifft. Keiner von ihnen würde eine weiterhin andauernde Unterstützung deswegen verweigern, weil ein neuer GAK notfalls in der untersten Spielklasse anfangen müsste. Viel eher war es so, dass – wie es einer der Vertreter der RAG formulierte – gilt: „Also eher weiter unten als zu weit oben, und du bist dann in einem Jahr wieder in Konkurs.“85 Allen Beteiligten wäre ein zukünftiger GAK/GAC auf soliden finanziellen Beinen lieber, als ein GAK/GAC, der wieder in den „Größenwahn“ und die Misswirtschaft der letzen Jahre verfallen würde, deren Folge ein neuerlicher Konkurs sein könnte. Einigkeit bestand auch darüber, dass eben jener Harald Fischl, der zur Zeit der Entstehung dieser Masterarbeit gerade dabei war, ein eigenes GAK-Nachfolgeprojekt in Gratkorn auf die Beine zu stellen, keine Machtposition mehr ausüben dürfe. Voraussetzungen, die wirklich unter allen Umständen eingehalten werden müssen, sind laut der Red Firm86 „sehr schwer fest zu machen an gewissen Kriterien“. Allerdings eines der dann doch klar von der Firm formulierten Kriterien, nämlich „du musst das Gefühl haben, dass es noch dein GAK ist“, ist ebenfalls bei allen Interviewpartnern in dieser oder ähnlicher Form essentiell. Man wünscht sich einen neuen Verein, mit dem man sich identifizieren kann, aber auch an dem man im Sinne eines Mitgliedervereins teilhaben kann, oder wie es ein weiterer von mir interviewter Fan ausdrückt: „Wünschenswert wäre natürlich, dass nicht einer alleine entscheidungsberechtigt ist, sondern dass da einfach viele Leute involviert werden in die Entscheidungsfindung, und vor allem, dass eben die Fankurve auch in gewisse Entscheidungen mit einbezogen wird, sei es wirtschaftlich oder sportlich betrachtet.“87 Man will letztendlich einen Verein, der in Zukunft vereinspolitisch demokratischer und offener geführt wird, als es bisher der Fall war.

85 Interview RAG, IP2 (19:22) 86 Interview Red Firm (01:21:10 – 01:24:08) 87 Interview NFK2 (18:15)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 59 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Auch darüber, ob der zukünftige Verein zwingend wieder in Rot Weiß zu spielen hat, gab es keinen Diskussionsbedarf, denn dies wird allgemein als Grundvoraussetzung gesehen. Weniger einig waren sich die interviewten Fanklubs bzw. die nicht fanklubgebundenen Kurvenmitglieder über möglicherweise notwendige und akzeptable Namensänderungen. Am liebsten wäre es natürlich allen, und da ist auch die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer des GAK-Forums einbezogen, die zu diesem Thema bis jetzt Stellung genommen haben, wenn der neue Verein über kurz oder lang wieder GAK hieße. Dies ist allerdings zumindest zurzeit noch nicht möglich, da der Name bis dato vom Stammverein nicht freigegeben wurde. Die Toleranzgrenze einer Namensänderung reicht zwar bei allen zumindest bis zum Namen GAC, da dies auch der ursprüngliche Gründungsname des GAK gewesen ist, bei etwa Rot Weiß Graz würde die Sache aber schon schwieriger werden. Dieser Name wurde des Öfteren in Anspielung an Blau Weiß Linz ins Spiel gebracht, der in Linz als „moralischer“ jedoch nicht als rechtlicher Nachfolgeverein vom FC VÖEST Linz gilt. So wäre zum Beispiel „Rot Weiß Graz“ für die RAG „indiskutabel“, denn „es muss der Nachfolgeverein sein, der zumindest ansatzweise was mit dem Verein zu tun gehabt hat, der er einmal war“88. Auch die drei anderen Fanklubs hätten beispielsweise mit Rot Weiß Graz wenig Freude. Der Society wäre zumindest der Neugründungsname mehr oder weniger egal, da der Gründungsname ohnehin nur als Übergang dazu dienen soll, bis man die alten Namensrechte des GAK zurückerhält. „Also ‚wir’ könnten jetzt auch unter Society Graz, Red Firm, Arschloch – Irgendwas beginnen“, solange man „in einem Jahr die Namensrechte als GAK hat“89. Anders verhält es sich bei den beiden nicht Fanklub gebundenen Interviewpartnern. NFK190 würde „auf jeden Fall“ auch zu Rot-Weiß Graz gehen, solange dieser Verein klar als GAK- Nachfolger zu erkennen sei, wobei aber auch er findet, „das mit GAC passt eh super, solange sie nicht auf einmal in Schwarz spielen, ist mir alles Wurscht, […] Rot Weiß muss bleiben, dass ist glaube ich das Mindeste“. NFK291 hätte „kein Problem“ mit Rot Weiß Graz, denn „wir wissen – im Grunde weiß jeder, wo der Verein herkommt“. Für ihn selbst ist der GAK außer „auf irgendeinem einem Blatt Papier“ nie gestorben, und für ihn ist die moralische Nachfolge das ausschlaggebende Kriterium, um den GAK gegebenenfalls auch unter Rot Weiß Graz weiterhin zu unterstützen.

88 Interview RAG (19.06) 89 Interview Society (19:20) 90 Interview NFK1 (20:25) 91 Interview NFK2 (17:40)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 60 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Auch eine Mehrheit der im Fanforum aktiven User scheinen sich für das Projekt GAC auszusprechen, ebenfalls unter Voraussetzungen, die man mit den Worten „Transparenz“, „finanzielle Solidität“ und „demokratische Vereinspolitik“ beschreiben kann. Bei vielen Forumsteilnehmern stößt der Versuch seitens Harald Fischl und Piet Hoyos, den FC Gratkorn in vom GAC unabhängig geführter Eigenregie zu einem GAK² zu machen, sauer auf und erfährt wenig Akzeptanz. Viele erheben ähnliche Grundansprüche an einen neu gegründeten Verein, wie die von mir interviewten Fankurvenbesucher, wobei sich im GAK-Forum wiederum das Problem ergibt, dass man die User nur teilweise und bedingt über ihre Profile oder Nicknames der Kurve oder der Längsseite zuordnen kann. Im Gegenzug gibt es aber auch immerhin drei Fanklubs, die sich offiziell für das Projekt in Gratkorn aussprechen, darunter auch der seit 1985 bestehende Fanklub 1.AHC. Diese werfen den Unterstützern eines GAC vor, „fälschlicherweise einen Anspruch auf den Vereinsnamen GAK und die Bezeichnung als Nachfolgeverein“ zu haben, und vertreten die Meinung, die „überwiegende Mehrheit der gemäßigten Anhänger befürworten den Weg von Piet Hoyos und Harald Fischl“92. Anzumerken ist, dass keiner dieser drei Fanklubs Teil der Fankurve ist, oder in den Fansektoren angesiedelt ist. Auch die offizielle Facebook-Seite des ehemaligen GAK hat inzwischen das Logo des neu gegründeten GAC übernommen, nennt sich nun „Informationsplattform von Fans über den Grazer AC“, und fungiert als Facebook- Sprachrohr des GAC93. Sie verfügt über mehr als 6500 „gefällt mir“ Angaben, und distanziert sich ausdrücklich von den Bestrebungen, den FC Gratkorn in einen GAK² umzuwandeln.

6.2 Der GAK der Vergangenheit

Mit Vergangenheit soll in diesem Falle die Zeitspanne verstanden werden, die der ursprüngliche GAK in der Regionalliga verbracht hat. Augenmerk liegt dabei einerseits auf der Frage, ob sich der organisierte Support des GAK seit dem Zwangsabstieg aus der Bundesliga während der Zeit in der Regionalliga qualitativ verbessert hat. Ausschlaggebend für diese Fragestellung war eine gleichlautende Behauptung, welche innerhalb des dem GAK zugehörigen Wikipediaeintrages kolportiert wird. Andererseits liegt das Augenmerk auch darauf, was beim GAK in dieser Zeit auch in Bezug auf die Fanszenen-Entwicklung falsch gemacht wurde bzw. was man besser machen hätte können.

92 Vgl. http://www.regionalliga.at/mitte/news/7762/gak-fanklubs-unterstuetzen-gak%C2%B2/ 93 https://www.facebook.com/Grazerak

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 61 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

6.2.1 Die Entwicklung des organisierten Supports

Alle von mir interviewten Fans stimmten im Wesentlichen der Behauptung zu, dass der organisierte Support während der Regionalligazeit qualitativ besser wurde, auch ist man der Meinung, dass sich in der Kurve ein engerer Zusammenhalt entwickelt hat, als es noch zu Bundesligazeiten der Fall war. Die Red Firm94 als wohl größte der treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung meint dazu, dass dem „ganz sicher“ so war. „Es hat zwar ein paar Highlights auch in der Bundesliga gegeben, wo der Support richtig gut geworden ist, wenn irgendwelche Spitzenspiele waren, und Derbys waren auch immer eine feine Geschichte natürlich, […] aber dass es über die ganze Saison über wirklich besser ist, das stimmt, das ist so. […] Wir haben uns unseren eigenen Stil zugelegt. Es gibt […] zum Beispiel so Dinge wie ein ganz normales Spiel, du supportest, und auf einmal fängt irgendwer an im Sektor mit irgendeinem Lied, und das wird dann 15 Minuten durchgesungen, von allen möglichen Leuten, ohne Megaphon, einfach so.“ Die steigende Qualität des „Grundsupports“ wird auch damit erklärt, „dass der ganze Haufen einfach zusammengewachsen ist, und auch viel mehr Akzeptanz gegenüber uns von den angrenzenden Sektoren und des ganzen Stadions einfach entgegengebracht wird“. Auch die Society95 findet, dass „die Leute einfach mehr zusammengerückt“ sind. Zu Bundesligazeiten habe es viele verschiedene „relativ junge Partien“ gegeben, was sich inzwischen „alles ein bisschen verwachsen“ hat, und zu einem besseren Zusammenhalt und einer Steigerung des Supports, aber auch des „Willens zum Auswärtsfahren“ geführt hat.

Seitens der Rosso Bianco96 findet man, dass er auf jeden Fall „ein bisschen organisierter“ geworden ist, „es haben wirklich Leute subjektiv betrachtet das Heft in die Hand genommen, und gesagt ‚so machen wir es’, ‚die Linie verfolgen wir’, ‚da tun wir was, da tun wir was, da tun wir was’. Da ist schon viel passiert, da merkt man schon auch ein bisserl den Einfluss vom Flo (eines der Führungsmitglieder der Firm – Anm. d. Verf.), […] die überlegen sich Choreografien und so Sachen, und da hat sich schon qualitativ was gebessert.“ NFK197 findet gleichermaßen wie NFK2, dass der Support besser geworden ist. Für ihn ist es

94 Interview Red Firm (34:30 – 40:20) 95 Interview Society Graz (04:38 – 05:19) 96 Interview Rosso Bianco (12:30 – 13:30) 97 Interview NFK1 (03:10 – 4:33)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 62 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

„familiärer geworden, es ist besser geworden, und du hast wirklich gesehen, wer mit Herz dabei ist. Es sind irrsinnig viele Leute alle Auswärtsspiele gefahren […]. Die Firm macht einen guten Job – Ich finde es hat sich viel verbessert“. Auch der Zusammenhalt ist seiner Meinung nach gestiegen, „weil alle eher zusammengewachsen sind“. Was die Menge an Fans betrifft, ist es „von den Leuten, die regelmäßig ins Stadion gegangen sind, natürlich weniger geworden, aber in Bundesligazeiten waren wir auch nie ausverkauft“. In der Kurve selbst sei „es vielleicht eine Spur weniger geworden“, aber „grundsätzlich“ ist es seiner Meinung nach „ziemlich gleich geblieben“. In der RAG98 ist man zwar der Meinung, dass die Qualität des Supports „ein Auf und Ab“ und auch „teilweise mies“ war, während im Gegenzug immer wieder „gute Aktionen“ gemacht wurden, trotzdem habe vom Zwangsabstieg „die Fanszene profitiert“, „sie ist enger zusammengeschweißt worden, und wenn man denkt, dass in der Bundesliga oft der Fansektor nicht einmal zur Hälfte voll war, hat es dieses Problem in der Regionalliga oft nicht gegeben“.

In der Tat waren in der Regionalligazeit oftmals gemeinsame Aktionen und Choreografien – wie etwa der „WE ARE GAK“-Überzieher über die gesamte Längsseite beim Relegationsheimspiel gegen Hartberg – zu bewundern, die so in der Bundesliga nicht vorzufinden waren. Auch war an vielen Spieltagen vor allem die Partizipation der Kurven- BesucherInnen insgesamt höher als bei vielen Bundesligaspielen in den letzten Jahren vor dem Zwangsabstieg, und zusätzlich gab es eine Steigerung des Repertoires an Fangesängen. Das von der Firm angesprochen „Mehr“ an Akzeptanz seitens der Längssektoren führte auch zu einer vermehrten Teilhabe selbiger am aktiven Support, etwa wenn man in der Kurve „steh auf, wenn du ein Grazer bist“ intonierte, und sich daraufhin auch die sitzenden Fans erhoben und mitklatschten, oder bei der Verabschiedung der Mannschaft, wenn Fankurven- und LängssektorenbesucherInnen abwechselnd den Spielern die Buchstaben G-A-K entgegen sangen. Wenn man die Zuschauerzahlen vergleicht, wird man feststellen, dass zwar die Zuschauerzahlen insgesamt natürlich um einiges zurückgegangen sind, die Kurve selbst aber, so wie die RAG sagt, vor allem bei Spitzenspielen mit insgesamt vielleicht 4000 bis 6000 Zusehern mit Sicherheit besser gefüllt war, als an vielen besucherschwachen oder dem Zuschauerschnitt entsprechenden Bundesligatagen. Auch bei Auswärtsspielen beispielsweise in Kärnten oder Oberösterreich waren zum Teil mehrere Hundert Fans zugegen, was auch

98 Interview RAG (07:40 – 08:40)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 63 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub seinerzeit bei Auswärtsspielen gegen Größen wie Rapid Wien oder Austria Wien durchaus nicht immer der Fall war.

6.2.2 Mögliche Fehler der Vergangenheit NFK299 ist der Meinung, dass es an der Fanszene nicht wirklich was zu kritisieren gibt, und er glaubt, dass „wir voll unsere Möglichkeiten ausgeschöpft haben, viel mehr als wir getan haben, kannst du schon bald nicht mehr tun“. Allerdings sagt er auch, „die Fanklubs untereinander sollten sich vielleicht ein bisschen mehr verstehen, und nicht andauernd gegeneinander hetzen, […] denn gerade das finde ich lässig, dass es mehrere Fanklubs gibt, die sollten aber besser zusammenarbeiten“, was auch gelegentlich von Fans im Fanforum zur Sprache gebracht wurde (z. B. „meiner Meinung nach hätten die einzelnen Gruppierungen mehr Zusammenhalt zeigen können“100). Er trifft damit einen Kritikpunkt, der zumindest im Interview mit der Tifosi Rosso Bianco immer wieder ein wenig herauszuhören war. Selbige ist der Ansicht, dass sie selbst zu wenig in größere Projekte wie etwa Choreografien miteinbezogen wurde, obwohl sie selbst jederzeit zur Zusammenarbeit bereit waren, und auch dass man gerade als eher neuerer Fanklub vor allem anfangs oftmals eher abschätzig belächelt wurde, als zur weiteren Arbeit motiviert. Bezüglich neuer Fanklubs, wie es eben die Rosso Bianco vor 2 bis 3 Jahren noch war, bejaht die Society Graz101 durchaus das Vorhandensein einer Hierarchie, die von der Firm angeführt wird. Als neuer Fanklub „musst du dich auch irgendwie einmal beweisen. Du musst dich einfach einmal unterordnen. […] Du gehst ja trotzdem in einen geschlossenen Raum rein, wo es Gesetze gibt, wo es Hierarchien gibt, […] du musst dich halt unterordnen, und mit der Zeit wirst du ganz normal integriert“. Bezüglich „falsch gelaufener Sachen“ ist man der Ansicht, „die Jugendintegration war in früheren Jahren halt relativ schlecht. Du hast es halt als Junger immer relativ schwer gehabt, dass du irgendwie akzeptiert wirst, und es ist eben so, wenn du keine Akzeptanz hast, dann fährst du halt nicht so gerne auswärts“. „Zum Beispiel nimm mich jetzt her (IP2 – Anm. d. Verf.), bei meinen ersten Auswärtsspielen mit – keine Ahnung, 14 15 Jahren – was ich mitgefahren bin, da bist du eben angeschaut worden, wie ein Schwarzer der gerade beim Ku-Klux-Klan vorbeiläuft […]. Damit hast viele Leute wahrscheinlich – oder junge Leute eben –

99 Interview NFK2 ( 05:20 – 06:31) 100 http://forum.gak.at/index.php?/topic/19928-organisierter-support-unterschied-zu-anderen-fans- fehlentwicklung/ 101 Interview Society Graz (03:55 – 4:35 bzw. 09:40 – 10:50)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 64 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub verschreckt“. Für IP2 „hat das Sturm zum Beispiel sehr gut gemacht, die haben immer geschaut irgendwie, dass sie die Jungen ein bisschen mit einbinden, ein bisserl fördern und so weiter“, was man beim GAK selbst noch vor 10 Jahren „komplett verabsäumt“ hat, und „uns sicher einiges an jungen Fans gekostet hat“.

Was man laut der RAG102 besser hätte machen können, und beispielsweise mehr dem von der Red Firm geprägten Ultragedanken entsprochen hätte, wäre gewesen, „dass man sich mehr einmischt in die Vereinsangelegenheiten“. Dies sei „zwar probiert worden, hätte aber mehr gehört“, was allerdings die RAG selbst, als „eher auf den englischen Support stehende“ Gruppe, ohnehin nur bedingt betroffen hatte. Auch wirft man „gewissen“ Fanklubs ein wenig vor, dass man sich zu einem gewissen Grad vom Verein „doch kaufen lassen hat“. So hätte man beispielsweise diesen „gewissen“ Fanklubs seitens des Vereins die Möglichkeit gegeben, Fanartikel herzustellen, woraufhin diese dann „vielleicht doch nicht mehr so kritisch hinterfragt haben“, was gewisse Aktionen des Vorstands betraf. Die Frage danach, ob man sich als Fanszene vom Verein oder vom Vorstand mehr hätte abgrenzen können, wurde bejaht. „Die, die in den Vorstand rein gekommen sind aus der Kurve, sind dann auch nicht mehr ganz so kritisch gewesen“ wie zu dem Zeitpunkt, bevor sie in den Verein rein gekommen sind, wobei dieser sinkende Hang zur Kritik mit dem Adjektiv „betriebsblind“ beschrieben wird. Für NFK2103 ist „abgesehen von gewissen Spielabbrüchen und Platzsturmgeschichten nicht viel falsch gelaufen. Eigentlich ist es eher richtiger gelaufen“. Als positiv empfindet er, dass die Leute in der Kurve „gegen die Idioten selber vorgehen“ bzw. selbige aus der Kurve schmeißen, wobei er mit Idioten „Becherwerfer oder die Leute, die einen Scheiß drehen“ meint. Besser machen hätte man können, „dass mehr alle zusammenarbeiten, und an einem Strang ziehen“, anstatt – auch in Bezug auf gezielte Aktionen wie beispielsweise Choreografien – „gegeneinander zu arbeiten“, und dass „alle Fanklubs miteinander mehr kommunizieren, und auch mit dem Verein mehr kommuniziert wird, und dass der Verein die Fankurve mehr unterstützt“. Damit greift NFK1 auch Punkte auf, die bereits von der Tifosi Rosso Bianco, NFK2, und im Fanforum angesprochen wurden. Dort schreibt ein User: „Meiner Meinung nach hätten die einzelnen Gruppierungen mehr

102 Interview RAG (09:50 – 11.30) 103 Interview NFK1 (05:20 – 7:40)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 65 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Zusammenhalt zeigen könne. Da gab es z. B. zwischen Society und Firm immer wieder Reibereien.“104

6.3 „Wir“ und die „Anderen“

Ebenfalls Teil des Interviewleitfadens war die Frage danach, was nun die Fans des GAK/GAC zu eben Fans des GAK macht, und ob es wesentliche Punkte gibt, welche den GAK-Anhang von den Fans anderer Vereine unterscheidet. Im Folgenden möchte ich nun ein paar exemplarische Antworten aufgreifen, von denen eine lautete, „ein bisschen ironisch kann man sagen, eine Qualität haben wir, wir sind noch immer da, denn ich weiß nicht, wie viele Konkurse ein anderer Verein überleben würde, auch nicht von der Fanbasis her, weil der LASK tut sich jetzt schon schwer“105. Diese Antwort greift in der Tat einen wahren Kern auf. Der GAK hat es während der Regionalliga und auch nach drei Konkursen geschafft, seine Fankurve einigermaßen zusammenzuhalten, und in der Regionalliga pendelte sich ein Zuschauerschnitt von 3500 Leuten ein, der wie bereits erwähnt, immer eine relativ gut gefüllte Kurve beinhaltete. Auch fuhren bei Auswärtsspielen mehr Fans mit, als zum Teil in Bundesligazeiten, oder im Schnitt bei den Vereinen der zweithöchsten Spielklasse. Wenn man den besagten LASK zum Vergleich heranzieht, sank dessen Zuschauerschnitt bereits nach dem Abstieg von der höchsten Spielklasse in die erste Liga von über 6000 auf 3372, ein Jahr später in der Saison 2012/2013 und nach dem ebenfalls wegen Lizenzverweigerung erfolgtem Zwangsabstieg auf 1426. Auch wenn die Zuschauerzahlen inzwischen wieder im Steigen sind, trug der LASK in der Herbstsaison der Spielzeit 2012/2013 seine Heimspiele meist weit unter 2000 Zuschauern aus, teilweise sogar unter 1000, während der GAK bei seinem ersten Heimspiel mit Zuschauerbeteiligung nach der verpatzen Relegation, 2 Geisterspielen, und neuerlichen Konkursgerüchten, zumindest die Grenze von 2300 Zuschauern durchbrach.106

Die Red Firm107 sieht den Unterschied vor allem in der bunt „durch gewürfelten“ „Struktur innerhalb der Kurve“, die Fankurve besteht letztlich aus einer relativ heterogenen Masse. IP1 glaubt, „dass auch das uns sehr unterschiedet“. IP2 räumt allerdings ein, dass es insofern

104 http://forum.gak.at/index.php?/topic/19928-organisierter-support-unterschied-zu-anderen-fans- fehlentwicklung/ 105 Interview Tifosi Rosso Bianco, IP1 (18:35) 106 Vgl. http://www.transfermarkt.at 107 Interview Red Firm (46:56 – 50:45)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 66 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub eine „interessante Frage ist“, als dass „wenn du uns gefragt hättest, ob wir das Gefühl haben, dass wir uns von den anderen abheben, hätten wir gesagt ja, aber es ist schwer, das in Worte zu fassen“. „Alleine die Tatsache, dass du uns in keiner der klassischen Richtungen (in Bezug auf Fankulturen wie beispielsweise das Ultratum – Anm. d. Verf.) richtig einordnen kannst, unterscheidet uns schon vom Rest“, bzw. zumindest „von sehr vielen“ (IP1). Dies sieht man „an den Liedern die wir singen, das sieht man an den Typen die bei uns rumhängen“, in der Kurve sei „vom Schalträger, der 17 Schals umgebunden hat, bis zum ‚Voll-Ultra’, bis zum ,Hool’“ alles vertreten, wobei zwischen all diesen Facetten des Fan- Seins ein „Grundrespekt“ vorhanden sei, welcher für die Firm einen wesentlichen Wert darstellt. Die Fans des GAK würden auch die „für Außenstehenden normalsten Sachen der Welt“ von anderen Fankurven abheben, wie etwa „dass du den Support der Mannschaft in den Vordergrund stellst“ bzw. „dass du den Verein in den Vordergrund stellst“, und eben „ein bisschen einen Grundrespekt hast zwischen den Leuten“. „Die normalsten sozialen Dinge eigentlich“, aber auch „vor allem das Mitgestalten beim Verein“, wobei wenig Verständnis für das ständige „gegen den Verein arbeiten“ diverser Fangruppen und Kurven anderer Vereine aufgebracht wird. Allerdings stellt dieses Zusammenarbeiten mit dem Verein beim GAK aufgrund seiner Überschaubarkeit in der Regionalliga für die Firm vermutlich ein leichteres Unterfangen dar, wie etwa bei Großvereinen in Deutschland, „wo du die Vereinsführung immer nur von Weiten sehen wirst“.

Auch die Society Graz108 stößt insofern in dasselbe Horn, als dass sie meint, dass es das beim GAK so wie bei anderen Vereinen nicht geben würde, „wo jetzt alles immer bis in kleinste Detail geplant ist, […] wir sind, wenn man so will, ein bisschen ein chaotischer Haufen, […] bei uns ist es nicht so aufgezwungen, bei uns hat irgendwie jeder seine eigene Meinung und macht seinen eigenen Weg“. Diese Einschätzung stützt durchaus die Ansicht der Red Firm, dass die Kurve auch was die fankulturellen Vorlieben ihrer Mitglieder betrifft, als relativ heterogen zu bezeichnen ist, und diese Heterogenität durch unter anderem fehlende Aufgezwungenheit toleriert wird. Auch macht „uns“ laut der Society jener Umstand zu etwas Besonderem, „dass wir in besonderen Spielen auch wirklich eine riesen Masse erzeugen können“. Der Support selbst sei mehr „emotionsmäßiger“ beeinflusst. Man versucht nicht, bei unpassenden Spielverläufen unter Zwang sein Liederrepertoire durchzubringen. Im Gegenzug ist man aber auch der Meinung, dass man sich als GAK-Fan generell – ob bei

108 Interview Society Graz (06:55 – 09:31)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 67 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Heim- oder Auswärtsspielen – selbst viel „mehr feiern lässt“, meist auch in Verbindung mit verhältnismäßig viel Alkohol, und auch wenn der Spielstand nicht zugunsten des GAK ausfällt. Man erzählt mit einem Lachen, dass, wenn auf der Raststationen im Zuge von Auswärtsfahrten zum Beispiel die Fans des SK Sturm aus dem Bus aussteigen, „rauchen sie sich als erster eine an, und gehen halt ‚ludeln’“, während „wenn die Roten aussteigen, als erster der Biersack hinaus fliegt, damit wir einen Platz haben, und dann fliegen einmal fünf Leute die Treppe hinunter“. Dass die GAK-Kurve tatsächlich den Hang dazu hat, auch während aussichtsloser Spiele, wie dem in einer 0:6-Niederlage endenden Cupmatch gegen den WAC im Herbst 2012, sich selbst und den GAK zu zelebrieren, war sogar live auf ORF Sport Plus zu beobachten, als die Fans bei immer weiter steigendem Rückstand den Support erhöhten, letztendlich sogar reihenweise die Schuhe auszogen, um damit in die „Hände“ klatschen zu können und durchaus Spaß daran zeigten.

Die RAG109 quittierte die Frage nach dem Unterschied zu anderen Fankurven ein bisschen scherzend damit, dass es beim GAK „weniger Deppen“ gäbe, aber auch, dass beim GAK „nicht ganz so der Ultra-Mainstream“ wie bei anderen Vereinen vorherrsche, so wie es ähnlich auch Society und Firm sehen. Man hat diesbezüglich „doch ein wenig einen anderen Style, als etwa bei Sturm oder Rapid“, auch wenn die Red Firm als „sehr italienisch geprägt“ wahrgenommen wird. Gleich wie vonseiten der Firm, empfindet NFK1110 die Frage nach wirklichen Unterschieden zu den Fanszenen anderer Vereine als „gute Frage“ im Sinne einer gar nicht so leicht zu beantwortenden Frage, wobei er nach kurzem überlegen sagte, er „wüsste jetzt eigentlich nix“. Auch der zweite von mir interviewte, nicht fanklubgebundene, Kurvenbesucher111 hält sich bezüglich konkreter Unterschiede eher bedeckt, für ihn scheint sich die Frage zu erübrigen, weil sie sich aus der puren Vereinszugehörigkeit ergibt. Dies symbolisierte er mit der Antwort „Wir sind der GAK, bitte!“, was für ihn als ausreichender Unterschied zu gelten scheint. Als GAK-Fan ist man besser als die anderen, „sonst wären wir ja keine Roten“, auch sagt er, dass „wir“ im Gegensatz zu anderen Fanszenen „wenigstens keine Fanfreundschaften notwendig haben“. Dieser letzte angesprochene Punkt entspricht insofern der Realität, als dass zwischen der Fanszene des GAK bzw. den Fanklubs der Kurve und anderen Vereinen keine klassischen Fanfreundschaften festzustellen sind. Dies soll nicht

109 Interview RAG (08:49 – 09:35) 110 Interview NFK1 (04:35 – 05:15) 111 Interview NFK2 (03:50 – 04:35)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 68 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub heißen, dass kleinere Gruppen oder Einzelpersonen der GAK-Anhängerschaft nicht Sympathien oder ein gewisses Fantum zu diversen, vor allem ausländischen Vereinen pflegen. So bestehen zum Beispiel gute persönliche Kontakte einiger GAK-Fans zu Fans des KFC Uerdingen. Das Halten von „offiziellen“ Fanfreundschaften hat und hatte beim GAK/GAC nie eine sonderlich große Tradition, in einem diesbezüglichen Thread im GAK-Forum schreibt dazu etwa ein Teilnehmer: „Also ich persönlich stehe Fanfreundschaften, vor allem im eigenen Land […] sehr kritisch gegenüber. Solidaritätskundgebungen ja, Fanfreundschaften nein.“112

112 http://forum.gak.at/index.php?/topic/19920-fanfreundschaften/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 69 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

7 Keiner mag uns …

„Keiner mag uns, keiner mag uns, keiner mag uns – scheißegal! Wir san Rote, super Rote, wir san Rote von der Mur”

Diese eingedeutschte und auf den GAK zugeschnittene Version des traditionellen FC Millwall-Fangesangs „No one likes us“, der wiederum eine lyrische Adaption von Rod Stewarts „Sailing“ ist, gehört wohl zu den am inbrünstigsten gesungenen und am meisten identitätsstiftenden Chants der GAK-Kurve. Ob dem tatsächlich oder generell so ist, und wer den GAK tatsächlich nicht mögen dürfte, soll nun in den folgenden Punkten etwas genauer hinterfragt werden. Den dazu notwendigen Fokus werde ich hierbei nicht nur auf andere Vereine und deren Fans, die Medien oder auf themenbezogene Aussagen und Handlungen von Verbandsoffiziellen legen, sondern auch auf die diesbezügliche Selbstwahrnehmung der GAK-Fans. Der auslösende Anlass zur Anstimmung dieses Chants im Stadion selbst kann dabei zum einen immer wieder mit (vermeintlichen) oder wiederholten Fehlpfiffen des Schiedsrichters gegeben werden. Zum anderen war und ist „Keiner mag uns“ auch relativ klar im Kontext des (wiederkehrenden) sportlichen und wirtschaftlichen Untergangs des GAK seit dem Zwangsabstieg, und dessen daraus resultierenden Ereignissen und Konsequenzen während der Regionalligazeit zu sehen.

7.1 Selbstwahrnehmungen der Fans

Als das relevanteste Internetligaportal liga3.at der österreichischen Regionalligen im August 2012 dem GAK zum 110. Geburtstag gratulierte, stellte man via Facebook an dessen Fans die Frage, was den GAK nun zum „geilsten Verein" der Welt machen würde. Aufgrund der laut eigenen Angaben enormen Resonanz veröffentlichten die Macher der Seite daraufhin die besten Antworten wiederum auf liga3.at.113 Unter diesem „Best off“ tauchte auch die Meinung „weil uns keiner mag“ auf, was erstens tatsächlich dem Bauchgefühl vieler GAK- Fans entsprechen dürfte, und was zweitens inzwischen innerhalb der Fanszene mit einem Augenzwinkern auch als „Running Gag“ gesehen werden kann. So etwa, wenn im offiziellen GAK-Forum die Möglichkeit eines höheren Ligaeinstiegs im Zuge einer Neugründung von einzelnen Usern aus dem Grunde „keiner mag uns“ als unwahrscheinlich erscheint, obwohl für eine solche Entscheidung seitens des Fußballverbandes wohl andere Gründe als Sympathie

113 Vgl. http://www.liga3.at/mitte/news/144-news/5610-der-gak-wird-110-liga3at-gratuliert

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 70 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub oder Antipathie ausschlaggebend sein dürften114. Unabhängig davon erfüllt dieses kollektive Zelebrieren des "Nicht gemocht werdens" zwei wesentliche Funktionen: Es schafft eine gemeinsame Identität und es stärkt den Zusammenhalt innerhalb der Fankurve.

7.1.1 Diesbezügliche Wahrnehmung der Interviewpartner

Wie sich aus den Interviews ergab, wurde die Frage, ob dem tatsächlich so ist, dass „uns keiner mag“ auf verschiedene „gegnerische“ Gruppen und Personen bezogen, von denen die erste Gruppe jene der der gegnerischen Fans ist. Bezug genommen wurde dabei häufig auf Fans von Vereinen, die man beim GAK zuletzt in Bundesligazeiten zu Besuch hatte. Diese mögen aufs Erste irrelevant für die jetzige Situation bzw. die Situation in der Regionalliga erscheinen. Allerdings ist hier ebenfalls wieder zu sagen, dass der Großteil der Regionalligavereine nicht über eine ausreichend große Fankultur verfügt, um unter anderem eine demonstrative Antipathie oder Sympathie gegenüber dem GAK oder seiner Anhängerschaft zur Schau stellen zu können. Auch muss man der Fankurve des GAK attestieren, dass unabhängig von der sportlichen Realität der Regionalliga bis zuletzt durchaus die Qualität des Supports bundesligawürdig war.

So meint man etwa vonseiten der Society Graz115, „es haben ja viele Leute privat Kontakte, einer zu Rapid, der andere zur Austria, nach Salzburg. […] also von dem her glaube ich nicht, dass uns absolut keiner mag“. Allerdings wird eingeräumt, dies sei in Graz anders, denn dort „mag uns wahrscheinlich keiner“. Auch bei der Red Firm116 bezieht man dieses „nicht gemocht werden“ unter Anführungszeichen eher auf Graz bzw. Sturm und weniger auf andere Vereine, wobei man halt doch ein wenig auf die „Opferrolle steht“. Die Ursprünge liegen dabei scheinbar schon in den sich dem Ende zuneigenden 1990ern, in denen der GAK sportlich sehr gut dastand, Sturm allerdings noch besser, und man als GAK-Fan durchaus auch schon in der Minderheit war. Dadurch entwickelte sich das Dasein als GAK-Fan ein wenig zum „Undergroundgschichtl“. „Da warst du halt in der Schule, und da waren halt 2 Leute drinnen, die waren Rote, […] 5 hat es nicht interessiert, und die Restlichen 20 waren Schwoarze, und da bist du halt immer nur ‚geschält’, ‚geschält’, ‚geschält’ worden“. Im Gegenzug „kommt dann einer her und sagt: ‚Hey schau, was du bist a Roter?’, und auf

114 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/18058-medien-thread-zeitungsartikel-homepageberichte-etc/ 115 Interview Society Graz (14:21 – 15:13) 116 Interview Red Firm (53:00 – 56:09)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 71 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub einmal bist mit einem befreundet, der ist 4 Klassen über dir“, wobei sich dadurch eine gewisse Freude an der Außenseiterrolle entwickelte. In der Schulklasse war man „dann halt so eine coole Partie […], wo du sagst "Hey wir sind Rote, wir sind stolz drauf". Man war zumindest in den 1990ern der „Underdog immer im Vergleich zu den Schwarzen“, was eine Rolle ist, die man „jetzt super weiterpflegen“ könne, und zwar in der „Regionalliga, erste Klasse, was auch immer“, was zum Entschluss führte: „Und wenn uns keiner mag – scheißegal!“. Einer der nicht fanklubgebundenen Interviewpartner117 vertritt bezogen auf die Fans anderer Vereine überhaupt die Ansicht, dass er „überhaupt nicht glaubt“, dass „uns keiner mag“. Ausnahme bilden dabei allerdings die Fans des SK Sturm, denn „auch wenn sie noch immer sagen zu uns, sie mögen uns, und sie wollen uns zurück, und bla bla bla – nein, die mögen uns glaube ich nicht“. Abschließend sei zum SK Sturm noch zu sagen, dass beispielsweise die von mir interviewten Vertreter der RAG die Erfahrungen gemacht haben, dass „wenn du teilweise mit Leuten redest in Österreich oder in der österreichischen Fanszene, dann heißt es […] aus Graz war ihnen immer der GAK sympathischer als Sturm“118.

Eine zweite Gruppe, welche bei den Interviews angesprochen wurde, ist jene, die ich im Rahmen dieser Arbeit als „Offizielle“ zusammenfassen möchte. Die Gruppe der Offiziellen meint all jene, die abseits einzelner Fußballvereine Teil des steirischen oder österreichischen Fußballverbandes sind, mögen es nun Funktionäre oder Schiedsrichter sein. So gab einer der von mir interviewten Fans119 an, dass man schon sagen kann, „dass man sich zu einem gewissen Teil benachteiligt fühlt“, da „doch sehr viele Entscheidungen gegen uns fallen, und nicht für uns“. „[…] Das hat angefangen mit dem Zwangsabstieg […], wo damals so radikal durchgegriffen worden ist“ (im Gegensatz zu Sturm Graz, bei diesem Klub war damals ebenfalls ein Konkursverfahren anhängig – Anm. d. Verf.), „oder vor allem in der Regionalliga gewisse Schiedsrichterentscheidungen […], wo viel gegen uns gehandelt worden ist“. Allerdings wird eingeräumt, dass es sich dabei um eine persönliche subjektive Einschätzung handelt, und es vielleicht „nur“ dem Interviewten selbst „so vorkommt“. Auch wird dieses „keiner mag uns“ als „vielleicht ein bisserl übertrieben“ angesehen, und es gäbe „sicher auch ein paar Vereine oder ein paar Fangeschichten in Österreich, die den GAK

117 Interview NFK1 (12:20 – 13:06) 118 Interview RAG (12:43) 119 Interview NFG2 (11:47 -13:06)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 72 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub sympathisch finden, und die sympathisieren mit dem GAK, aber selbst die Bundesliga – der liebe Bundesligavorstand – sich ausspricht […], dass er den GAK nicht mag, quasi“. Auch jener Interviewpartner120, der zuvor eigentlich nur den Sturm-Fans attestierte, dass sie den GAK nicht mögen, ist „überzeugt davon“, dass die Ligaverantwortlichen seitens des ÖFB es auf den GAK abgesehen haben, wobei er lachend anmerkt: „Man sagt ja den GAK-Fans sowieso einen leichten Verfolger nach“. Als Beispiele dafür, die ihm „auf die Schnelle“ einfallen, spricht er erstens der Umstand an, dass es „bei uns vor dem Relegationsspiel schon darum gegangen ist, dass jeder gewusst hat, die Lustenauer (der FC Lustenau 07 aus Vorarlberg befand sich zum damaligen Zeitpunkt im unteren Tabellendrittel der zweithöchsten Liga – Anm. d. Verf.) sind pleite“.“[...] Die hätten keine Lizenz kriegen dürfen, der ÖFB hat es auch gewusst, hätte ihnen die Lizenz nicht geben dürfen […]. Da hätten wir ohne das, ohne Relegationsspiel aufsteigen dürfen, das wäre alles nach den Regeln gewesen, und der ÖFB hat alles gemacht, dass, dass das halt nicht ist.“ Zweitens kritisiert er, dass beim Relegationsspiel in Hartberg, bei dem es zu einem folgenschweren Spielabbruch durch GAK-Fans kam, „der ÖFB eigentlich reagieren hätte müssen, dass du das dort nicht austragen kannst“, und dass „der Verein einfach nicht eingebunden wird in die Sicherheitsvorkehrungen“.

7.1.2 Diesbezügliche Wahrnehmung im offiziellen GAK-Forum

Im offiziellen Forum des GAK wurde von mir ein Thread121 ins Leben gerufen, der das Ziel hatte, bei den Forumsteilnehmern einen dem Chant innewohnenden wahren Kern zu erfragen. Auch wenn der Response auf die Thread-Eröffnung nicht so groß war, wie von mir erhofft, möchte ich etwas genauer auf einen Beitrag eingehen, der zumindest einigen anderen Teilnehmern aus der Seele sprechen dürfte. Dieser wiederholt zum Teil bzw. greift auch Wahrnehmungen auf, die zuvor bereits bei den von mir interviewten Fans bzw. Fangruppenmitgliedern zu beobachten waren, und konzentriert sich im Wesentlichen ebenfalls auf Sturm Graz und die „Offiziellen“.

Auch in dem Forumsbeitrag wurde, wie zuvor bei den Interviews, auf eine Ungleichbehandlung des GAK hingewiesen, der, ebenso wie Sturm im Jahre 2006/2007, ein

120 Interview NFG1 (13:06 – 15:29) 121 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19921-keiner-mag-uns-scheissegal/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 73 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Konkursverfahren anhängig hatte. Der GAK musste im Gegensatz zu Sturm aber sowohl durch Lizenzverweigerung als auch durch die Vergabe eines hohen Punktabzuges durch den ÖFB in die dritthöchste Klasse im österreichischen Fußball (Regionalliga) absteigen. Es wird kritisiert, dass man sich in den Zeitungen „nur lustig gemacht darüber“ hat, als der GAK „pleite ging“, aber „wenn Sturm ein Spiel verloren hat, war man auch bereit, 3 Seiten drüber zu berichten“. Im umgekehrten Fall fand man nach dem Platzsturm in Hartberg „Zeit darüber, 2 Wochen zu schreiben“, während in Kapfenberg randalierende Sturm-Fans „egal und keine Seite wert“ waren, und in der UPC-Arena wurde man so behandelt, als „wären wir der zweite unwichtige Verein, der in einer schwarzen Arena spielt“.

7.2 Versuch einer objektiven Wahrnehmung des „nicht Mögens“

Als „Versuch“ sind die nächsten Zeilen und Absätze deswegen zu betrachten, da ich als Verfasser dieser Arbeit mit dem Problem zu kämpfen habe, selbst bekennender GAK/GAC- Fan zu sein. Deswegen versuche die in 5.1 wiedergegebenen Ansichten und Gefühle mit diesbezüglich relevanten Fakten und tatsächlichen Ereignissen zu vergleichen, und zwar mit Konzentration auf „gegnerische“ Fans, der Kleinen Zeitung, und Offizielle bzw. deren getätigten Aussagen, Handlungen, und Entscheidungen. Zu entscheiden, ob ein Gefühl des „Nicht gemocht Werdens“ bei den Fans des GAK nachzuvollziehen wäre, bleibt somit in weiterer Folge den LeserInnen selbst überlassen.

7.2.1 Die Fans der anderen österreichischen Vereine abseits von Graz

Was die Gruppe der „gegnerischen“ Fans betrifft, muss erwähnt werden, dass unter anderem die Fans des SV Ried und Austria Salzburg bei Heimspielen ihrer Mannschaften, welche beide im Großen und Ganzen nichts mit der Regionalliga Mitte zu tun haben, durchaus klare Solidaritätsbekundungen an die Fans des GAK adressiert haben, als der GAK im Herbst 2012 geschlossen wurde. So präsentierten z. B. eben die Salzburger – mit Anspielung auf ihre eigene Geschichte – ein Transparent mit der Aufschrift „Grazer: Nicht Aufgeben – Alles ist möglich“. Selbst die Fans von LASK Linz bekundeten auswärts gegen den GAK bei dessen bis dato letztem Heimspiel im Dezember 2012 Solidarität mit der GAK-Kurve, in dem sie ein gegen „Bittmann und Konsorten“ (Benni Bittmann war der letzte Präsident des GAK, welcher gegen den Willen der eigenen Fans einen den letzten Konkursantrag eingereicht hat –

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 74 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Anm. d. Verf.) gerichtetes Transparent präsentierten, während die GAK-Kurve ihrerseits ein gegen Peter Reichel, den Präsidenten des LASK gerichtetes Transparent hochhielt, welchem wiederum vonseiten der LASK-Fans die Schuld am sportlichen und finanziellen Untergang ihres Vereines gegeben wurde. Wenn man die Kommentare zur Schließung des GAK in Österreichs größtem Internetfußballforum Austrian Soccer Board122 durchliest, wird man auch hier feststellen, dass – wenn man die Kommentare vieler Sturm-Fans außen vor lässt – jene User überwiegen, denen es um den GAK leid tut. So schreibt etwa ein Fan des FC Lustenau: „Schade um einen legendären Klub, dessen Geschichte heute zu Ende ist (auch wenn's eine Neugründung mit ähnlichem Namen geben sollte). Für die friedlichen Anhänger, Freunde und Fans tuts mir leid“. Auch der Umstand, dass bei einem von GAK-Fans organisiertem Solidaritätskonzert im Jänner 2013 Bands für nichts anderes als Unterkunft, Verpflegung, Benzingeld auftraten, und deren Mitglieder sich zum Teil und unter anderem aus bekennenden Fans von Rapid, Austria Wien oder Austria Salzburg zusammensetzen, spricht nicht unbedingt für die These, dass der GAK von keinen anderen Vereinsfans gemocht wird. All dies entspricht aber im Großen und Ganzen auch der diesbezüglichen Wahrnehmung der GAK-Fans selbst.

7.2.2 Der SK Sturm und seine Fans

Was den SK Sturm und seine Fans betrifft, ist die Sache differenzierter zu betrachten. Einerseits hatte man in Graz mit den beiden Mannschaften nicht nur zwei Traditionsvereine, sondern auch ein prestigeträchtiges Derby. Andererseits hat man natürlich die den meisten Lokalderbys innewohnende Rivalität der Fans in allen möglichen Härtegraden. In Graz ist es wohl gleichermaßen wie beispielsweise in Wien so, dass es zwei große Vereine gibt, und die Frage in unserem Fall letztendlich darauf hinausläuft, wird man als fußballinteressierter Grazer Sturm- oder GAK-Anhänger? Beides zu sein schließt sich zwar nicht aus, ist aber eher die Ausnahme als die Regel. Die GAK-Fankurve hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie vom SK Sturm und seinen Anhängern in ihrer Rolle als Fans nicht viel hält. Es erscheint im umgekehrten Falle nur logisch, dass auch die meisten Sturm-Fans den GAK und seine Anhänger bis zu einem gewissen Grade nicht mögen, immerhin ist bzw. war der GAK ja der Stadtrivale. Wenn also mit „keiner“ unter anderem auch die Fans des SK Sturm gemeint sind, dann ist die Aussage teilweise richtig. Auch ist es so, dass der SK Sturm von der Zahl seiner

122 Siehe http://www.austriansoccerboard.at/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 75 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Anhänger immer der größere Verein war. Wenn man zum Vergleich vergangene Zuschauerstatistiken123 hernimmt, hatte der SK Sturm zwischen den Saisonen 1974/1975 und 1997/1998, also in einer Zeit, in der beide Vereine noch ein eigenes Stadion hatten, im Schnitt um 1313 Zuschauer mehr pro Heimspiel, als der GAK. Dies bedeutet im Schnitt gute 22 % mehr, wobei allerdings Sturm Graz in diesem Zeitraum die zweithöchste Korrelation zwischen Tabellenstand und Zuschauerzahl von allen zehn untersuchten Vereinen aufwies, während der GAK unter der durchschnittlichen Korrelation aller zehn Vereine lag. Dies bedeutet, dass der GAK prozentuell gesehen über treuere Anhänger verfügt, was den Stadionbesuch betrifft, als der SK Sturm. Die höchste durchschnittliche Zuschauerzahl pro Saison des SK Sturm war in diesem Zeitraum mit 12709 um 5000 Personen höher als die des GAK. Allerdings liegt die niedrigste durchschnittliche Zuschauerzahl des SK Sturm mit 3200 nur um 300 Besucher über der des GAK, wobei der GAK in dieser Saison den Großteil seiner Spiele im 60 km entfernten Kapfenberg austrug. Den höchsten Zuschauerschnitt hatte der GAK in der Meistersaison 2003/2004 mit durchschnittlich 9234 Fans im Schnitt, Sturm hatte in seiner letzten Meistersaison 2010/2011 einen von 12115. Wenn also das „Nicht mögen“ auch an der Quantität der Fanbasis beider Vereine gemessen wird, dann kann man zumindest sagen, dass der GAK auch von der Mehrheit der Grazer Fanszene nicht gemocht wird. Fairerweise darf aber – gerade in Bezug zur finanziellen und sportlichen Entwicklung des GAK der letzten Jahre – vermutet werden, dass dieses „Nicht gemocht werden“ zwischen ehrlich gemeintem Bedauern über das wegfallende Derby oder dem Niedergang eines weiteren Traditionsvereines, und tatsächlicher Schadenfreude oder tatsächlichem Hass variieren dürfte.

Um diese Annahme zu unterlegen, reicht es vielleicht, einen Blick auf die SK Sturm- Internetzeitung „Sturm12.at“ zu werfen. Als dort ein Artikel124 über den möglichen Wiederaufstieg des GAK veröffentlicht wurde, waren im Kommentarbereich Kommentare wie „der GAK gehört in die Bundesliga – schon allein wegen der Tradition“ oder „Ich hoff, dass der GAK bald wieder in der Bundesliga ist, lieber vier Derbis als 4x gegen Wrn. Neustadt spielen“ genauso zu finden sind, wie Kommentare a la „ich wünsche Hartberg alles Gute. Nieder mit der roten Brut!!!!!“ oder „die Rote Bruat braucht kein Schwein“. Was den

123 Vgl. Haller, Max (Hrsg.). Fußballspiele und ihr Publikum. Ergebnisse eines soziologischen Lehrforschungsprojektes. KF Graz, 1998. 124 http://www.sturm12.at/2012/06/05/rote-ruckkehr/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 76 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Verein SK Sturm abseits der Fans betrifft, so kann man zumindest seitens der Sturm-Spieler oder Funktionäre keine wirklich systematische Anfeindung gegenüber dem GAK abseits des Derby-Alltages feststellen. Faktum ist aber auch, dass es „Schwarze“ gibt und gab, die sich mit zumindest wirtschaftlich bedingten Antipathien gegenüber dem GAK in der roten Fanszene nicht sonderlich beliebt gemacht haben. So war es unter anderem der damalige Sturm-Präsident Hans Rinner, der 2009 in einem Interview mit der Sportzeitung „Sportwoche“ auf einen Nichtaufstieg des GAK in die zweithöchste Spielklasse hoffte, und verkündete: „In Graz kann man sich nur einen Profiklub leisten“ – wobei dies Rinner just 3 Jahre später und als Bundesliga-Präsident „rein kommerziell gesehen schon“ immer noch unterschreiben würde125.

Ein weiterer angesprochener Punkt, nämlich die Ungleichbehandlung des GAK in der UPC- Arena zugunsten des SK Sturm, war zumindest in den Jahren der Regionalliga durchaus gegeben und die GAK-Fans können ein Lied über wegen der Vorrangstellung des SK Sturm verschobene GAK-Heimspiele singen. Die Platznutzungsbedürfnisse des SK Sturm wurden aufgrund der höheren Ligazugehörigkeit des SK Sturm auch höher gewichtet. So durfte beispielsweise der GAK für den Fall, dass der SK Sturm am selben Wochenende an einem Samstag ein Heimspiel hatte, selbst nur am Sonntag, nicht aber am für die Regionalliga üblicheren Freitag spielen, damit der Platz geschont wird. Ob diese Handhabung seitens der Stadt Graz, welche der Eigentümer der UPC-Arena ist, nun gerechtfertigt ist oder nicht, soll nicht Thema dieser Arbeit sein. Es dürfte aber zumindest empathisch nachvollziehbar sein, dass man sich dabei als Fan des bis dato ältesten und immer noch zweitgrößten Fußballklubs der Steiermark nicht sonderlich fair behandelt vorkommt.

7.2.3 Seitens der „Offiziellen“

Zum Thema Schiedsrichterfehlpfiffe beim GAK, und in Österreich allgemein, werden viele Regelkundige und Ligakundige behaupten, dass es bei GAK-Spielen in der Regionalligazeit immer wieder zu Fehlentscheidungen oder zumindest unverständlichen Entscheidungen gekommen ist. Jedoch kann objektiv nicht behauptet werden, dass diese Fehlentscheidungen in Summe und über die Jahre betrachtet immer nur zuungunsten des GAK ausgefallen wären, sondern gleichermaßen alle Mannschaften betraf, die in GAK-Spiele involviert waren.

125 Ebd.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 77 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Eine Sache, die seit Jahren an der roten Seele nagt, sind die Ereignisse Rund um den Zwangsabstieg 2006/2007, als zuerst im Oktober 2006 der SK Sturm einen Konkursantrag stellte und der GAK mit März 2007 nachfolgte. Der GAK hätte zumindest sportlich den Klassenerhalt geschafft, wurde aber vom ÖFB mit 28 Punkten Abzug bestraft, was den Abstieg in zweithöchste Spielklasse bedeutete. Aufgrund der finanziell desolaten Situation des GAK bekam dieser auch für die zweithöchste Spielklasse die Lizenz verweigert, was den Gang in die Regionalliga unausweichlich machte. Sturm wurden unterdessen nur 10 Punkte abgezogen und erhielt letztendlich auch für 2007/2008 eine Bundesligalizenz. Während Sturm zumindest in den Folgejahren sportlich und finanziell wieder auf die Beine kam, zog sich die finanzielle Misere des GAK fort und endete 2012 nach der Einbringung des vierten Konkursantrags sowie mit einem vom letzten GAK-Präsidenten zugestimmten Schließungsantrag beim Handelsgericht. Zusätzlich wurden beim Verein noch finanzielle Altlasten in Höhe von drei Millionen Euro wieder akut, die aus einer nicht eingehaltenen Zahlungsvereinbarung mit der Finanzbehörde stammten, aber bereits vor dem ersten Konkursantrag 2007 entstanden.126

Zusätzlich zu den eigenen Konkursen hätte in der Saison 2011/2012 ein möglicherweise absehbarer Konkurs eines anderen Vereins den GAK zumindest sportlich den Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse bescheren können. Ob sich damit allerdings auch die finanziellen Probleme bewältigen hätten lassen können, bleibt dabei spekulativ. Mitte März 2013 wurde vom Landesgericht Feldkirch gegen den ältesten Vorarlberger Fußballklub FC Lustenau ein Insolvenzverfahren eröffnet, der bereits seit Längerem mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Mehrere Tage zuvor wurde der Verein von der Ligaführung selbst zum Zwangsabstieg aus der ersten Liga verurteilt, und zwar aufgrund mehrfacher Verstöße gegen Verpflichtungen aus dem Lizenzierungsverfahren. Ein Schicksal, das dem GAK nicht unbekannt ist und eine Saison zuvor den LASK ereilte.127 Der Umstand, dass der LASK in der Saison 2011/2013 ebenfalls am sogenannten „grünen Tisch“ keine Lizenz erhielt, führte überhaupt erst dazu, dass der GAK daraufhin seine Relegation gegen den TSV Hartberg spielen musste. Dieser hätte bis zu diesem Zeitpunkt als Tabellenletzter fix absteigen müssen, rückte aber durch die Lizenzverweigerung für Lustenau auf den vorletzten Tabellenplatz auf.

126 Vgl. http://sportv1.orf.at/070226-7476/index.html 127 Vgl. u.a. http://www.format.at/articles/1312/958/355087/fc-lustenau-aeltester-vorarlberger-fussballclub- konkurs vom 20.03.2013

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 78 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Der TSV Hartberg bekam somit als Neunter die Möglichkeit, über die Relegation gegen den GAK den Klassenerhalt zu schaffen, was letztlich auch gelang. Schon im Sommer 2012 vermehrten sich die Gerüchte darüber, dass Lustenau bereits in der Saison 2011/2012 zahlungsunfähig war, sich die damalige Lizenz erschlich (ein Vorwurf, der übrigens auch dem GAK in der Saison 2006/2007 zur Last gelegt wurde) und somit ebenfalls keine Berechtigung gehabt hätte, in der kommenden Saison in der ersten Liga zu verbleiben.

Im Zuge dieser turbulenten Ereignisse bot sich der GAK an, für die Saison 2012/2013 für den FC Lustenau einzuspringen.128 Dies schürte die Hoffnung vieler GAK-Fans, dass der GAK auch trotz der verlorenen Relegation noch aufsteigen könnte, was auch im offiziellen GAK- Forum ab Ende Juni 2012 ausführlich thematisiert wurde. Im GAK-Forum wurde der Gedanke aufgriffen, dass dem GAK die Relegation erspart geblieben wäre, wenn der ÖFB früher und genauer die Finanzen der Lustenauer unter die Lupe genommen hätte.129 Solche Entwicklungen gepaart mit öffentlichen Wortmeldungen einzelner ÖFB-Funktionäre, die recht klar ausgedrückt haben, dass sie den GAK nicht mehr in der Bundesliga sehen wollen, erzeugten bei vielen GAK-Fans den Eindruck, auf der Beliebtheitsliste des Österreichischen Fußballverbandes nicht sonderlich weit oben zu stehen. Dies mag so sein, aber was die Verbände betrifft, ist man auch nicht abgeneigt, Selbstkritik walten zu lassen. So kommentierte etwa ein Mitglied der RAG das Thema „Verbände“ folgendermaßen: „Alles andere mit den Verbänden, da hat sich der GAK halt auch nicht wirklich hervorgetan und hat Aktionen geschossen. Das einen da die Bundesliga nicht mehr haben wollte, braucht einen nicht zu verwundern, siehe Sükar und Konsorten (Harald Sükar, GAK-Präsident von Juni 2005 bis Juli 2006 – Anm. d. Verf.). […] Wer die Bundesliga angreift mit blöden Kommentaren, wo man sagt, dass sie schuldig war für den Konkurs, braucht man das nicht auf die Bundesliga abwälzen.“130

7.2.4 Die Kleine Zeitung

Zuletzt soll noch kurz das „besondere“ Verhältnis zwischen der Kleinen Zeitung, als größte regionale steirische Tageszeitung mit Hauptsitz in Graz, und dem GAK beleuchtet werden.

128 Vgl. u.a. http://steiermark.orf.at/news/stories/2539297/ vom 29.06.2012 129 Vgl. u.a. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19638-fc-lustenau-keine-lizenz-steigen-wir-nun-doch- auf/?hl=lustenau 130 Interview Rag (13:10)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 79 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Diese schenkte dem GAK als Regionalligaverein sowohl in ihrer Print- als auch in ihrer Onlineausgabe immer relativ viel Aufmerksamkeit, agierte dabei jedoch nicht immer nur zur Freude der Fans. Die Kleine Zeitung berichtete in einem, für Regionalligavereine unüblich hohem Maß über den GAK, was aber auch darin liegen mag, dass der GAK vom Fanpotential her bis zuletzt der zweitgrößte Verein der Steiermark war und unter anderem in der Regionalliga mehr Zuschauer in die Stadien lockte, als der Kapfenberger SV zeitgleich in der Bundesliga. Von diesem hohen Maß an Berichterstattung waren einerseits der Platzsturm in Hartberg oder in Weinzödl gegen Lustenau sowie die vier Insolvenzen betroffen. Es gab also viele Negativschlagzeilen, für die der GAK bzw. ein Teil seiner Fans durchaus selbst verantwortlich war. Andererseits wurde aber auch über das sportliche Geschehen beim und rund um den GAK in einem bei weitem höheren Maße berichtet, als über andere Vereine, wenn auch weniger als über den zwei Ligen höher spielenden SK Sturm. Auch der sich ab Anfang 2013 abzeichnenden Neugründung des GAK als nunmehriger GAC wurde entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet. Die Berichterstattung darüber erfolgt durchaus im Sinne der Kurve, da die Kleine Zeitung im Gegensatz zu anderen Medien sehr wohl vom „GAK-Nachfolgeverein GAC“ spricht und eben nicht dem Projekt „GAK²“ diesen Status zuerkennt131.

Tatsache ist, dass dem Platzsturm in Hartberg mit allen seinen Konsequenzen sehr viel Platz eingeräumt wurde, vor allem in der Onlineausgabe. Dabei waren sich die zuständigen Redakteure nicht immer ganz im Klaren darüber waren, ob nun „die GAK-Fans“ den Platz stürmten, oder der Terminus „rund 60 enttäuschte ‚Anhänger’“ eher angebracht wäre132. Die Szenen in Hartberg waren keine Schönen, allerdings waren es auch keine Szenen, die nicht schon zuvor in anderen österreichischen Stadien vorgekommen wären. Ziemlich genau ein Jahr zuvor stürmten die Fans des SC Rapid Wien den Rasen des vereinseigenen Stadions, als im Stadtderby gegen die Austria Wien selbige 0:2 in Führung gingen. Über diesen Platzsturm wurde in der Kleinen Zeitung weniger berichtet, als über den Platzsturm in Hartberg. Allerdings ist die Kleine Zeitung eben eine steirische Regionalzeitung mit Hauptsitz in Graz und ihr Fokus ist dementsprechend stärker auf Graz bzw. die Steiermark gerichtet. Fortführend gab es gerade mit Bezug auf die Insolvenzen und die Geschehnisse in Hartberg

131 http://www.kleinezeitung.at/sport/fussball/gak/3313908/gac-holt-karner-sportlichen-leiter.story 132 http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3037599/hartberg-fuehrt-gegen-den-gak-2-0.story

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 80 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub den einen oder anderen Kolumnisten, der doch deutlich Antipathie gegenüber dem GAK äußerte, und Unmut bei vielen GAK Fans erzeugte.

Unter anderem schrieb „Stadtflaneur“ Günter Eichberger in der Printausgabe vom 25.06.2012 über die Anhänger des GAK: „Einige meiner besten Freunde sind GAK-Anhänger. Das gibt mir zu denken. Denn in so einem Umfeld kann kein gesunder Geist gedeihen.“133 Dass vonseiten Eichbergers offensichtlich der gesunde Geist des GAK-Anhangs infrage gestellt wird, während er gleichzeitig unter anderem der Meinung ist, der GAK-Anhang gäbe „beim Eintritt ins Stadion jeden Realitätssinn ab“, oder dass der GAK „gar keine Mannschaft ist, sondern ein Konstrukt“, lässt es durchaus legitim erscheinen, hier von „nicht mögen“ zu sprechen. Drei Wochen zuvor, und noch vor dem ersten Relegationsspiel, erschien bereits ein anderer Artikel, der auf philosophische Art und Weise versuchte, das Wesen des GAK-Fans zu ergründen. Allerdings reduzierte der freie Mitarbeiter Werner Krause dieses Wesen darauf, dass die wahren Fans des GAK nur „vorwärts zu neuem Leid und neuen Leiden“ als Ziel kennen, und verwendete dabei Phrasen wie „Leuten mit niederträchtigem Gemüt“ und der (den GAK-Fans innewohnenden – Anm. d. Verf.) „Hoffnung auf Pein, Plage, Schweiß und Tränen“134. All dies führte im offiziellen GAK-Forum zu heftiger Kritik an der Kleinen Zeitung, wobei Kommentare wie „Das ist mit Abstand die größte Frechheit, die ich jemals in der Kleinen Zeitung gelesen habe“ noch die Netteren waren135. Trotz alledem dürfte das Blatt in seiner Gesamtheit dem GAK gegenüber neutral eingestellt sein. Man muss in der „Causa“ Kleine Zeitung auch bedenken, dass diese während der Regionalligazeit für mehrere Spielsaisonen als Sponsor der Dressen fungierte.

133 Printausgabe der Kleinen Zeitung vom 25.06.2012, Seite 24 134 http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/graz/3034770/lasset-uns-leiden-gak-fans.story 135 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19637-kleine-zeitung/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 81 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

8 „Worst Case“ Hartberg away

„Hurra, Hurra, die Grazer die sind da!“

Am Freitag den 08.06.2012 ging beim Relegationsrückspiel gegen den TSV Hartberg in Hartberg letztendlich sowohl sportlich als auch seitens der Fans alles schief, was schief gehen hätte können. Nach einem 0:0-Heimspiel in der mit knapp 15000 Zuschauern ausverkauften UPC-Arena begaben sich an die 2000 GAK-Fans ins 50 Autominuten entfernte oststeirische Hartberg, um ihren Verein im Spiel um die lang ersehnte Rückkehr in den Profifußball zu unterstützen. Das Spiel wurde von vornherein als Hochsicherheitsspiel eingestuft, was nicht zuletzt daran lag, dass eben an die 2000 GAK-Fans erwartet wurden. Viele der GAK-Fans hatten dem TSV Hartberg nie verziehen, dass dieser in der letzten Runde der Regionalligasaison 2009/2010 durch einen in dieser Höhe unerwarteten Sieg (der TSV besiegte im letzten Spiel den SAK 6:0, wobei weder Hartberg jemals zuvor in dieser Saison so hoch gewonnen, noch der SAK jemals so hoch verloren hatte) dem GAK aufgrund der besseren Tordifferenz den Meistertitel und somit den Fixaufstiegsplatz „vor der Nase“ wegschnappte. Der GAK gewann zeitgleich sein letztes Spiel auswärts vor gut 2000 mitgereisten Fans in Linz, nachdem er eine Runde zuvor in Liebenau vor knapp 8000 Zuschauern seinerseits dem TSV die Tabellenführung abgenommen hatte. Die Ereignisse von damals nagten lange an der Seele vieler GAK-Fans. Wochenlang gab es Gerüchte um einen möglichen Spielbetrug beim Match Hartberg gegen den SAK, wobei diese Gerüchte aber nicht Teil dieser Arbeit sein sollen, und auch nie bewiesen wurden.

Im Vorfeld wurde es von den Fans als Ungerechtigkeit empfunden, dass die Ligabestimmungen den GAK dazu zwangen, sich als überlegener Meister der Regionalliga Mitte einem Relegationsspiel zu stellen, anstatt direkt aufzusteigen. Manche GAK-Fans bezeichneten es als „Fügung des Schicksals“, dass der Gegner Hartberg hieß, der noch in letzter Minute als Tabellenletzter der ersten Liga in die Relegation rutschte. Ursache war die, dass der LASK keine Lizenz für die Saison 2012/2013 erhielt und daher statt dem TSV Hartberg zum Fixabstieg gezwungen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war noch völlig offen, ob es sich um eine glückliche oder unglückliche Fügung handeln würde. So feierte am frühen Nachmittag vor Spielbeginn ein großer Teil der mitgereisten Fans ausgelassen, noch relativ friedlich, optimistisch, aber in vielen Fällen ebenso alkoholgetränkt in der Hartberger Innenstadt, bevor man geschlossen, lautstark, und mit Unterstützung von Knallkörpern und

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 82 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Pyrotechnik zum Stadion marschierte. Sowohl dem ÖFB, der örtlichen Polizei, dem TSV Hartberg, aber auch dem GAK war die Brisanz dieses Spieles bekannt, trotzdem verwarf man den Vorschlag seitens des GAK, das Spiel zu verlegen, womöglich sogar in die UPC-Arena nach Graz. Grund für die gewünschte Verlegung waren die baulichen Gegebenheiten des Hartberger Stadions, in dem kein Zaun die Fankurve des GAK, welche in diesem Fall eine gesamte Längsseite einnahm, vom Spielfeld trennte. Die Schuld am stattfindenden Platzsturm und den damit verbundenen Ausschreitungen dem ÖFB, Hartberg, oder der Polizei zuzuschreiben, wäre in der Tat alles andere als wissenschaftlich korrekt, jedoch soll an dieser baulichen Gegebenheit verdeutlicht werden, dass die Durchführung des Platzsturmes den betreffenden Fans des GAK nicht schwer gemacht wurde. Auch wenn man hier einwenden kann, dass das bei Weitem sicherere Stadion auf der Linzer Gugl zwei Jahre zuvor viele GAK-Fans nach Spielabpfiff ebenfalls nicht daran hindern konnte, aufs Spielfeld zu gelangen, um sich dort zum Teil an Prügeleien mit Linzer Fans zu beteiligen. Nachdem dem TSV Hartberg die 3:0 Führung gelang, trat für den GAK sportlich der „Worst Case“ ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die ersten GAK-Fans die Laufbahn überquerten, um den Rasen zu betreten, was auch ein massives Polizeiaufgebot nicht verhindern konnte. Wie die Fanszene des GAK im Nachhinein mit diesem Platzsturm umgegangen ist und geht, soll in den nächsten zwei Punkten anhand der hoch frequentierten spezifischen Threads des offiziellen GAK-•Forums und der von mir durchgeführten Interviews gezeigt werden.

8.1 Im offiziellen Fan-Forum

Auch wenn wir hier erneut das Problem auftritt, dass sich viele der Forumsteilnehmer nicht klar oder nur bedingt der Kurve zuordnen lassen, bieten zwei Threads, die es insgesamt auf weit über 800 Beiträge gebracht habe, zumindest eine gute Übersicht, wie die im Internet vertretene GAK-Community über die Vorfälle in Hartberg denkt bzw. dachte. Der erste Thread lief unter dem Titel „Abbruch in Hartberg und seine Konsequenzen“136 und brachte es auf 494 Beiträge. Die Mehrheit der Beiträge distanziert sich vom Platzsturm und steht den Ereignissen in Hartberg negativ gegenüber. Vor allem die ersten paar Seiten enthalten oftmals Beleidigungen gegenüber den Platzstürmern, wie etwa „Vollpfosten“, „Vollidioten“, „Arschlöcher“, oder „Gesindel“. Es wird von „Schande“, „schämen“, und „schwer enttäuscht“ gesprochen, es werden teils (auch überregionale) Stadionverbote bis hin zu

136 Vgl. http://forum.gak.at/index.php?/topic/19617-abbruch-in-hartberg-und-konsequenzen/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 83 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Anzeigen bei der Polizei gefordert, und es wird deutlich zwischen „echten“ Fans, nämlich jenen, die sich an keinem Platzsturm beteiligt haben, und „so genannten“ Fans, nämlich jenen, die beim Platzsturm dabei waren, unterschieden. Auch das Thema Stadion in Hartberg wird aufgegriffen, so schreibt unter anderem ein User: „Leider sind alle meine Befürchtungen eingetreten, weil das "Stadion" in Hartberg solchen Vollidioten die ideale Bühne bietet“. Vereinzelt wird der Hartberger Polizei, aber auch dem ÖFB die Schuld gegeben, weil das Spiel in Hartberg ausgetragen werden durfte, was aber auch postwendend von anderen Usern die Kritik einbringt, dass die Verantwortlichen für den Platzsturm ausschließliche jene sind, die aufs Spielfeld gestürmt sind. Mit zunehmender Dauer der Debatte im Thread wurde der Ton wieder etwas umgänglicher, und die Diskussion verlief sich zum Teil darin, welche Konsequenzen die Vorfälle für den Verein selbst haben könnten. Immer wieder zu lesen ist auch, dass von den Fanklubs Red Firm und Society ein klares Statement gegen die Platzstürmer erwartet wird, sie sollen eine „Trennlinie machen“, und werden bezüglich der Lösung des Gewaltproblems „gefordert“.

Doch wer waren nun diese Platzstürmer, die nicht nur den Platz stürmten, sondern sich auch Schlägereien mit der Polizei lieferten, einen beträchtlichen materiellen Schaden anrichteten, und dem GAK die Aufmerksamkeit der meisten österreichischen Medien – vom ORF bis hin zu diversen Regionalzeitungen – einbrachte? Zumindest im Internet war sowohl im Thread „Abbruch in Hartberg und seine Konsequenzen“ als auch im zeitgleich startenden Thread „Danke RAG“137 ein Hauptschuldiger schnell gefunden, nämlich eben der Fanklub Rote Armee Graz. Diese wird vor allem im Thread „Danke RAG“ heftig angegriffen, es wird auch hier unter anderem gefordert „Weg mit den RAG-Verbrechern“, „Stadionverbote für all die Wixxer“ oder man wünscht sich, „dass sich die RAG auflöst und nie wieder ins Stadion kommt“. Ein User schreibt, dass „man ihnen jegliche Akzeptanz entziehen und sie mit Verachtung strafen“ sollte, allerdings meint er auch, „Kennen tuts eh ein jeder. Da werden vor dem Sektor Eingang zu Spielbeginn Hände geschüttelt, gelacht und gescherzt aber Sympathien für die Burschen will nachher wieder keiner haben.“ Einige Diskussionsteilnehmer räumen ihrerseits zu dem Vorfall ein, dass sie die RAG zwar weg haben wollen, sich aber selbst öffentlich nicht gegen sie vorgehen trauen würden, weil sie z. B. ihre „Kauleisten noch behalten“ wollen.

137 http://forum.gak.at/index.php?/topic/19615-danke-rag/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 84 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Die RAG fuhr an jenem Tag in einer Gruppe mit geschätzten 60 bis 80 Personen in zwei Bussen nach Hartberg. Es wurde ein Dresscode vereinbart, der es vor allem Außenstehenden leicht machen sollte, jene Leute optisch zu identifizieren, welche mit den RAG-Bussen angereist waren, denn dieser Dresscode schrieb das Tragen eines Hawaii-Hemdes vor. Wie wir uns erinnern (3.1.2.2) besteht der Kern der RAG aus ungefähr 25 Personen, die restlichen mitgereisten „Hawaii-Hemden-Träger“ kamen demnach aus dem direkten Umfeld bzw. aus dem Bekanntenkreis. Auch wenn der Platzsturm von einzelnen RAG-Mitgliedern initiiert wurde, befanden sich weder alle Personen in Hawaii-Hemden auf dem Spielfeld, noch war der RAG-Kern vollständig am Platzsturm beteiligt. Es war auch nicht so, dass die Platzstürmer sich nur aus Mitgliedern der RAG und deren Umfeld zusammensetzten. Am Platzsturm beteiligten sich viele Personen, die definitiv nicht in den RAG-Bussen angereist waren, wie man unter anderem in einem veröffentlichten Video der Kleinen Zeitung138 sehen kann, auch wenn diese Personen im Forum vermehrt als „Mitläufer“ bezeichnet werden. Analysiert man den Forumsbeitrag „Da werden vor dem Sektor Eingang zu Spielbeginn Hände geschüttelt“ genauer, bringt dieser einen springenden Punkt an Tageslicht. Die RAG ist und war in der Fanszene durchaus integriert. Man kennt sich vielerorts, man toleriert sich, man sieht sich bei Heim- und Auswärtsspielen, man steht gemeinsam beim Bierstand an, man betrachtet sich gegenseitig als Teil eines Ganzen, und unterstützt sich auch gelegentlich. Der Vorwurf, keine „echten“ Fans zu sein, mag auf manche zutreffen, doch hier vertrete ich die Meinung, dass sich Hooliganismus und Fan-Sein nicht per se ausschließen und Gewalt in keinem Widerspruch zu einer der emotionssoziologischen Definitionen von Fußballfans steht.

8.2 Anhand der Interviews

Bei den von mir interviewten Vertretern der RAG139 sieht man das Ganze im Nachhinein mit gemischten Gefühlen. IP2 meint bezüglich der nachträglichen Sicht dieses Vorfalls: „Einerseits finde ich, hat es Hartberg irgendwie drauf angelegt auch, und ja, ist passiert. Andererseits ja, hätte man es sich vielleicht sparen können.“ Kritisiert wurde an dieser Stelle auch die ihrer Meinung nach unverhältnismäßige Strafe gegen den GAK, welcher in der Regionalliga zwei Geisterspiele (selbige müssen aufgrund von Sanktionen ohne Publikum ausgetragen werden – Anm. d. Verf.) spielen musste. Zugleich bekam der GAK die gleiche

138 http://www.youtube.com/watch?v=lq_Iq7j83Wc 139 Interview RAG (22:30 – 25:05)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 85 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Geldstrafe wie der Bundesligist Rapid Wien, dessen Fans ein Jahr zuvor einen Platzsturm zu verantworten hatten, allerdings musste Rapid zwei Ligen über dem GAK nur ein Geisterspiel austragen. IP2 räumte daraufhin ein: „Der GAK hat diesbezüglich eine Vorgeschichte, das ist nicht zu leugnen, andererseits passiert ist nicht so viel. Als Fanszene hätte man sich das vielleicht sparen können, andererseits, es war auch jedem klar, wenn der GAK nicht aufsteigt, kommt dieses Dilemma, in dem sich der GAK dann im Endeffekt wieder gefunden hat (die neuerliche Insolvenz – Anm. d. Verf.). Von dem her war es ein Zeichen, ob das nun gut oder schlecht war, sei dahin gestellt.“ Auch lässt man den Vorwurf nicht gelten, alleiniger Schuldiger an der Situation zu sein, denn „es waren genügend Leute anderer Fanklubs oder fanklublose Leute auf dem Spielfeld“. Auch bei den Verhandlungen (gegen 15 identifizierte Platzstürmer – Anm. d. Verf.) „waren nicht die große Masse Mitglieder der RAG, die verurteilt worden sind“. Laut IP1 hätte eine „ähnliche Situation schon nach dem 2:0 auf der anderen Seite des Stadions bei anderen Fanklubs passieren können, wo schon der Versuch war, Richtung Spielfeld zu gelangen“. Des Weiteren drängt sich für IP1 die Frage auf, warum die anderen Fans im Stadion geblieben sind, denn „es regen sich scheinbar viele Leute darüber auf, was passiert ist, ich habe aber keinen das Stadion verlassen sehen“, viele Leute seien „schaulustig und nicht angewidert“ im Stadion geblieben. Angemerkt sei, dass wenn von „Zeichen“ gesprochen wird, dies im Gesamtkontext der Ereignisse und der von mir durchgeführten Interviews betrachtet werden muss. Es wurde mit dem Platzsturm insofern ein Zeichen gesetzt, als dass damit – nicht nur aber auch – der Unmut über den wieder nicht erfolgten Aufstieg und den damit befürchteten sportlichen und finanziellen Konsequenzen ausgedrückt wurde. Wäre der GAK im Siegen begriffen gewesen, hätte ein Platzsturm keinen logischen Sinn ergeben.

In der Society Graz140 ist man der Ansicht, „grundsätzlich muss man das ablehnen“, jedoch hinterfragt man auch hier die Wahl des Stadions, vor allem angesichts dessen, dass im Vorfeld ernsthafte Bedenken bezüglich der Spielstätte geäußert wurden. Was das Verständnis über den Platzsturm betrifft, äußert sich IP2 wie folgt: „Es ist natürlich auch so, die Leute warten jahrelang, dass sie aus der Arschloch-Liga rauskommen, dann hast zum vierten Mal die Chance, dass du aufsteigst, und wieder haut es nicht hin, und dann haut es halt ein paar Leuten die Sicherungen. Ob man es gut heißen kann oder nicht, ist natürlich jedem selber

140 Interview Society Graz (19:35 – 20:50)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 86 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub freigestellt“. IP1 kann den Platzsturm ebenfalls „emotional“ nachvollziehen, jedoch „musst du es halt ganz neutral sehen und sagen, es hat uns eigentlich nur geschadet“. Für die Red Firm141 gibt es „mehrere Sichtweisen, wie man es betrachten kann“, auch hier kann man den Platzsturm in gewissen Dingen emotionell nachvollziehen. Was aber IP1 „furchtbar anfuckt“, sind „solche Sachen wie ‚eine Bande’ werfen, die unglaubliche Aggression, die gegen die Polizei – oder gegen die Bullen aufgebaut wird, die komplett wertlos ist, und nix mehr was (mit Fußball – Anm. d. Verf.) zu tun hat […]“. „Es ist halt ein Sumpf aus ‚Aktion und Reaktion’-Geschichten, aber ich kann einen gewissen Frust auf jeden Fall nachvollziehen und verstehen“. Als Problem sieht er, dass „vielen Leuten der Weitblick fehlt“, auch was persönliche Konsequenzen betrifft, und dass man damit viel kaputt machen würde, was aufgebaut wurde. Laut Firm hat „Hartberg uns nicht den Sargnagel hineingetrieben“, was den Konkurs betrifft, auch wenn es sehr wohl ein „Punkt“ war, „der dem Verein gewaltig geschadet hat“. Es hätte aber „viel eher dem Nachfolgeprojekt Probleme bereitet“, denn wäre in Hartberg nichts passiert, „hätten wir es viel leichter gehabt, in den Verband zu kommen“. IP2 kann den Platzsturm nicht nachvollziehen, auch weil er Meinung ist, dass es zum Großteil nicht einmal der Kern an 30 bis 40 Personen war, der zu jedem Auswärtsspiel fährt. Dieser Kern wäre nicht dabei gewesen, aber „du hast eine paar Leute andererseits dabei, die wir in unserem Leben noch nie gesehen haben“.

Aus Sicht der Rosso Bianco142 war der Platzsturm „eine ausgemachte Geschichte ganz einfach“. „Es war irgendwie klar, dass wenn wir die kriegen (als Gegner kriegen; gemeint ist eben der TSV Hartberg – Anm. d. Verf.), wird’s einen Wirbel geben, wenn wir das Heimspiel nicht gewinnen“. Man ist im Fanklub überzeugt davon, hätte man daheim gewonnen, oder kurz vor Ende der ersten Halbzeit in Hartberg den Ausgleich gemacht (beim GAK schoss man aus wenigen Metern am leeren Tor vorbei, man vergab also eine „hundertprozentige“ Chance – Anm. d. Verf.), wäre es zu keinem Platzsturm gekommen, man vermutet aber ebenso, dass der GAK auch mit geglücktem Aufstieg wieder insolvent gewesen wäre. Trotzdem sei „ein Platzsturm kein Mittel, um seinem Unmut Luft zu machen“, es gäbe auch ausreichende andere Formen des Protestes auf „friedlicher Basis“. Der Platzsturm habe nur dazu geführt, ein schlechtes Bild in der Medienlandschaft zu bekommen, und alle GAK-Fans stünden „dann in

141 Interview Red Firm2 (38:30 – 43:10) 142 Interview Rosso Bianco (43:40 – 47:24)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 87 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub den Medien nur als Vollpfosten da“. Für NKP2143 war der Platzsturm ebenso wie für die Rosso Bianco „aufgelegt“, es habe „eh jeder gewusst, dass das passieren wird“. Für ihn hätte es „wahrscheinlich gereicht, wenn sie nur hinein gelaufen wären, ein Statement abgegeben hätten, und wieder Frieden gegeben hätten“. Dass es „so ausarten“ musste, davon ist „er auch kein Freund“, er kann den Platzsturm aber auf „jeden Fall“ nachvollziehen bzw. zumindest verstehen, auch wenn er ihn „nicht in Ordnung“ findet, „weil wir uns ja nix gutes tun damit“ – vor allem nicht bezüglich des öffentlichen Bildes. NFK1144 kann den Platzsturm ebenso „emotional“ nachvollziehen und wäre am liebsten selbst hinein gerannt, doch „die Vernunft sagt, nein, das bringt eh nix, das hat keinen Sinn“. NK1 hat nichts gegen „verbale Gewalt“, sprich „Beschimpfungen“, am Fußballplatz, sieht sie viel eher als „Aggressionstherapie“. Körperliche Gewalt, so wie im Zuge des Platzsturms, lehnt er ab.

143 NFK2 (18 50 – 21:30) 144 NFK1 (21:30 – 23:00)

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 88 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

9 Zusammenfassung und persönliches Resümee

Entsprechend der Gliederung der Arbeit selbst, der Reihenfolge der Kapitel, und den von mir eingangs beschrieben Fragestellungen, dient nun das letzte Kapitel dieser Masterarbeit wie schon erwähnt dazu, bereits Geschriebenes zusammenzufassen, inhaltlich Relevantes noch einmal hervorzuheben, einzelne Passagen und Punkte zu ergänzen, und anfangs besagter Leserschaft den Eindruck einer schlüssigen bzw. in sich geschlossenen Masterarbeit zu hinterlassen. Beendet wird diese Masterarbeit mit einem von mir verfassten Resümee, welches gleichzeitig auch im Sinne eines Schlusswortes zu verstehen ist, und dieser Arbeit zu einem befriedigenden Ende verhelfen soll.

9.1 Allgemeines

Um zuerst auf Kapitel 2 und 3 zurückzugreifen: Ausgangspunkt dieser Arbeit war und ist es, dass eine Fankurve allgemein, aber auch die des GAK/GAC ein soziales Gebilde darstellt. Die Fankurve unterliegt dabei einer örtlichen Bestimmung, wie es unter anderem bei Heimspielen des GAK mit dem Sektor 22 der Fall war. Diese örtliche Gegebenheit ist dabei aber nicht auf einen permanent fixierten Platz wie eben den Sektor 22 der UPC-Arena fixiert. Die Fankurve des GAK ist ebenso dann seine Fankurve, wenn sich ihre Akteure in anderen Stadien bzw. bei Auswärtsspielen treffen, und dort in dem zugewiesenen Sektor Platz finden. Auch kann man in weiterem Sinne von der Fankurve sprechen, wenn deren Akteure sich nicht in einem Stadion zum Support der eigenen Mannschaft treffen, sondern sich beispielsweise zu anderen auf den GAK bezogenen Aktivitäten treffen, wie etwa dem Solidaritätskonzert für den GAK im Jänner 2013 im Grazer Explosiv, solange sie dabei als Fankurve oder zumindest als Teil dieser auftreten und signalisieren, dieser anzugehören. Es gilt also nach wie vor, dass eine bestimmte Gruppe von Fans (Akteure) für eine bestimmte Zeitdauer an einem bestimmten Tag in einem bestimmten Bereich des Stadions (oder im weiteren Sinne auch abseits des Stadions) miteinander auf eine bestimme Weise agieren. Dies gilt für die Fankurve des GAK/GAC gleichermaßen, wie für jede andere Fankurve und deren Akteure, wobei gerade in der örtlichen Gegebenheit des Stadions die Fankurven-Fans zumeist diese örtliche Gegebenheit optisch durch Markierungen wie Transparente oder Klubfahnen nach außen hin abgrenzen. Innerhalb dieser örtlichen Gegebenheit gelten bestimmte Normen, Regeln und Verhaltensweisen, die sich in bestimmten Bereichen ebenfalls von den Normen, Regeln und Verhaltensweißen des „Außen“ unterscheiden.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 89 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Diese Akteure waren und sind im Sinne dieser Arbeit als Fans zu verstehen, die ein wenig leidenschaftlicher und damit auch emotioneller sind, als die unter Anführungszeichen „normalen“ Fans, beispielsweise jene auf der Längstribüne. Dieses „leidenschaftlicher“ und „emotioneller“ muss insofern relativiert werden, da auch die GAK-Fans außerhalb der Fankurve durchaus leidenschaftlich und emotionell bei Spielen mitfiebern, dieses Mitfiebern sich aber weniger leidenschaftlich und emotionell im aktiven Support ausdrückt, wie es in der Fankurve geschieht. In beiden Fällen – also innerhalb der Fankurve als auch außerhalb der Fankurve – sind Emotionen (siehe 2.1) das zentrale Merkmal des Fan-Seins. Wenn diese Gruppe nun als Gruppe der Fankurven-Fans auftritt oder (inter)agiert, kann man von einer sozialen Gruppe sprechen, wie sie auch von Hartmut Esser verstanden wird (siehe 2.3). Dies ist wiederum ebenso auf die Fankurven-Fans des GAK/GAC als auch auf die Fankurven-Fans anderer Vereine anzuwenden. Die Fankurven-Fans des GAK/GAC treten oftmals als relativ reine Form der nach Heitmeyer und Peter als „fußballzentriert“ kategorisierten Fans auf (siehe 2.4), allerdings auch vereinzelt als „konsumorientiert“ oder „erlebnisorientiert“ bzw. in einer Mischform aus diesen drei Kategorien. Während eine bestimmte örtliche Gegebenheit bzw. Gebundenheit wie in Absatz 1 dieses Punktes beschrieben weder zwingend fixiert noch unflexibel sein muss, sind die Akteure der Fankurve als „bestimmte Gruppe von Fans“ unverzichtbar dafür, um überhaupt von einer Fankurve sprechen zu können. Die Fankurven- Fans eines Fußballvereins können über die Jahre quantitativ variieren, es können Generationswechsel stattfinden, jedoch werden ausreichend lang existierende Fankurven immer über einen gewissen und zumindest kurz- und mittelfristig gleichbleibenden Kern aus denselben Personen verfügen. Es wird in den seltensten Fällen passieren, dass dieser Kern an Personen von einem Tag auf den nächsten durch einen Kern an anderen Personen ersetzt wird. Vielmehr ist es so, dass über die Jahre Fans diesen Kern verlassen, aber dafür im Gegenzug immer wieder neue Personen dazustoßen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass im Regelfall und je nach Größe der Kurve immer eine bestimmte Anzahl von Fans Schulter an Schulter über einen längeren Zeitraum Teil dieser Kurve ist. Dies ist im Einklang damit zu sehen, dass Fans im Sinne dieser Arbeit als regelmäßige und kontinuierliche StadionbesucherInnen zu verstehen sind, und lässt sich auch besonders gut an der Kurve des GAK demonstrieren. So sind etwa unter anderem alle zehn von mir interviewten Personen einem mittelfristig gleichbleibenden Kern zuzurechnen, da sie allesamt schon vor dem Zwangsabstieg des GAK Teil der Fankurve waren, und diesem über die gesamte Regionalligazeit hindurch die Treue hielten.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 90 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Die Fankurve des GAK kann man– ebenso wie die meisten anderen Fankurven – als äußerst männlich dominiert bezeichnen, es findet oftmals eine regelrechte Inszenierung von Männlichkeit statt, zum Beispiel im Verhalten gegenüber gegnerischen Fans. Die deutsche Kulturwissenschaftlerin Almut Sülzle spricht hier auch von Fußball als Schutzraum der Männlichkeit145. Sie stellt unter anderem die Thesen auf, dass Fußball männerbündisch organisiert ist (1) und die (männlichen) Fans auf Ideale wie unter anderem Kampf, Einsatz und Treue setzen (2). Auch gehöre Sexismus mit zur Fankultur (3). Diese Thesen widersprechen weder den von in 2.2.1 vorgestellten Ansichten Schäfers, Schmidt-Lux, und Meusers, noch können sie prinzipiell am Beispiel der Fankurve des GAK widerlegt werden. Zumindest These (2) war immer wieder in den Interviews mit den Vertretern der Fanklubs herauszuhören, These (3) ließ sich zum Teil am Habitus der Fankurvenfans, aber auch an gewissen Sprechchören feststellen. Was These (1) betrifft: Laut Sülzle definieren sich Männerbünde „zuallererst durch den Ausschluss von Frauen und haben das Ziel, die gesellschaftliche Vorherrschaft von Männern aufrecht zu erhalten“. Diese These ist am Beispiel der GAK-Fankurve nicht zu bestätigen, da beispielsweise keinem der Fanklubs aus den Interviews oder dem Verhalten im Stadion heraus eine solche Motivation zu unterstellen wäre, und auch Frauen zwar in der Minderheit, aber in der Fankurve durchaus in der Rolle aktiv supportender Fans vorhanden sind. Allerdings ist auch hier entsprechend der Einleitung noch einmal betonen, dass die Rolle des Geschlechts im Zusammenhang mit Fußball und Fußballfankultur kein primäres Thema dieser Arbeit war.

9.2 Die Fankurve des GAK/GAC im Speziellen

Das Publikum der Kurve setzt sich aus fanklubgebunden und nicht fanklubgebunden Fans zusammen, das unterscheidet den GAK/GAC nicht von anderen Vereinen. Viele der nicht fanklubgebunden Fans sind im Umfeld der einzelnen Fanklubs zu finden, die in den Unterpunkten 4.1 und 4.2 vorgestellt wurden. Unter „Umfeld“ ist zu verstehen, dass sich zum Beispiel bei Auswärtsfahrten viele nicht fanklubgebundene Fans an den traditionell von den Fanklubs organisierten Busfahrten beteiligen, und im jeweiligen „Fanklub-Bus“ mitfahren. „Sich im Umfeld befinden“ kann aber auch bedeuten, dass sich die nicht fanklubgebunden

145 Sülzle, Almut (2005). Fußball als Schutzraum für Männlichkeit? Ethnographische Anmerkungen zum Spielraum für Geschlecht im Stadion in: Hagel, Antje; Selmer, Nicole, Sülzle, Almut (Hrsg.) Gender Kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht. Frankfurt/M. 2005. Seite 37 – 56.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 91 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Fans im Fansektor in der Nähe der Fanklubs positionieren, um aktiver und engagierter in den Support einzustimmen. Wir erinnern uns: Bis auf die RAG sind die Fanklubs zentral im Fansektor angesiedelt, der Support der Fans schwächt in seiner Intensität und Dauerhaftigkeit oftmals ab, je näher sich die Fans in Richtung Kurven- bzw. Fan-Sektorgrenze positionieren.

Wie sich aus den Interviews, aber auch aus persönlichen Gesprächen mit anderen Fans und persönlichen Kontakten zu anderen Fans ergeben hat, dürfte das Publikum der Fankurve politisch relativ heterogen sein. Die Kurve an sich verfolgt weder eine spezielle parteipolitische Richtung noch eine bestimmte politische Ideologie. In der Fankurve scheint man bemüht, die Politik außen vor zu lassen und sich in einer gegenseitigen Grundakzeptanz zu üben. Das bedeutet aber im Gegenzug auch, dass politisch motivierte Sprechchöre egal welcher Richtung nicht gern gehört werden. So kommt es zwar unter anderem immer noch vereinzelt vor, dass sich einzelne Fans bzw. Kleingruppen rassistisch äußern. Dies wird aber von der Mehrheit der Fans weder unterstützt noch wirklich geduldet. Vielmehr ist man bemüht, wie zum Beispiel vonseiten der Red Firm, derlei Umtriebe zu unterbinden und in Richtung eines „positiven Supports“ des Teams zu lenken. Dies gelang über die letzten Jahre im Großen und Ganzen und auch im Vergleich zu Bundesligazeiten relativ gut. Politik hat nach allgemeiner Einschätzung nichts im Stadion verloren, außer wenn es sich um Politik handelt, die den Verein oder den Fußball im Allgemeinen betrifft. Die einzelnen Fans der Kurve decken dabei ein politisches Spektrum ab, das von weit „links“ bis hin zu weit „rechts“ reicht, wobei die überwiegende Mehrheit der Fans primär in ihrer Rolle als GAK-Fan ins Stadion gehen dürfte, und nicht in ihrer Rolle als politisierter bzw. politisch ideologisierter Bürger.

Auch wenn der GAK lange Zeit als Akademikerverein galt, ist keine schicht- oder klassenspezifische Mehrheit unter den Fankurvenfans auszumachen. Es sind Arbeitslose, ebenso wie Facharbeiter und Angestellte, Schüler und Lehrlinge genauso wie Studenten und Akademiker in der Fankurve zu finden. Über die genaue Verteilung kann an dieser Stelle ebenso wie über die Altersverteilung keine wissenschaftlich-empirisch haltbare Angabe gemacht werden, jedoch kann aufgrund der Interviews als auch aufgrund meiner Beobachtungen und persönlichen Kontakte davon ausgegangen werden, dass sich der Altersdurchschnitt zwischen 20 und 30 Jahren befinden dürfte. Der Altersdurchschnitt liegt somit schätzungsweise im Altersdurchschnittsbereich der meisten anderen Fankurven. Fankurven ziehen nach einschlägigen soziologischen aber auch kulturwissenschaftlichen

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 92 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Annahmen ein im Schnitt deutlich jüngeres Publikum an als jene Bereiche des Stadions, die nicht der Fankurve zuzuordnen sind, also im Regelfall vor allem die Bereiche der Längs- und Sitzplatzsektoren. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Altersdurchschnitt in der GAK- Fankurve in Relation zu anderen Fankurven eher höher geschätzt werden kann, denn zwei Faktoren erschwerten es der GAK-Kurve, durch jungen Zuwachs den Altersschnitt in den letzten Jahren unten zu halten bzw. nach unten zu korrigieren. Der eine Faktor ist der Umstand, dass der GAK mit dem SK Sturm einen in den letzten Jahren zumindest national relativ erfolgreichen Stadtrivalen hatte, während der GAK seine Spielzeiten in der Regionalliga verbrachte, und sich somit insgesamt für neu dazukommende und vor allem junge Fans weniger attraktiv erschien, als der SK Sturm. Der zweite Faktor ist jener, dass, so wie etwa die Society Graz (vgl. 6.2.2) einräumt, die Jugendintegration nicht immer die Beste war und dies dem GAK/GAC „sicher einiges an jungen Fans gekostet hat“. Dazu kommt noch, dass sich die Treue der Fans beim GAK, welcher ja generell über einen relativ treuen und großen Kern an Stammfans verfügt (vgl. 7.2.2), auch auf die Treue der Fankurvenfans gegenüber „ihrer“ Kurve zu übertragen scheint. Das ist unter anderem ebenfalls daran zu sehen, dass, wie schon erwähnt, alle von mir interviewten Fans aber auch viele andere Fans der Kurve bereits zu Bundesligazeiten bzw. zum Teil sogar schon seit der Bundesligameistersaison 2003/2004 oder noch länger Mitglieder der Fankurve waren. So mancher Fankurven-Fan ist also schon seit 10 Jahren und länger „mit von der Partie“, was angesichts des wirtschaftlichen und sportlichen Werdegangs und der eher jugendhaft orientierten Struktur von Fankurven ein bedeutender Zeitraum ist.

Wie wir in Kapitel 4 erfahren haben, gibt es zusätzlich zu den Elementen österreichischer oder besser gesagt deutschsprachiger Fankultur einen großen Einfluss der zwei prägenden europäischen Fankulturen, deren Elemente des Supports bei vielen heutigen Fankurven auf dem europäischen Festland in irgendeiner Form zu finden sind – die des englischen und die des italienischen Fußballs. Elemente der englischen Fankultur drücken sich in der Kurve des GAK einerseits vor allem durch das Singen von Football oder Terraces Chants aus., Diese greifen meist auf Melodien populärer Musik zurück, spielen oftmals mit Klischees, welche sowohl die eigene Mannschaft aber auch die gegnerische betreffen können und sind textlich oftmals humoristisch oder sarkastisch gestaltet. Auch gibt es beim GAK schon lange das Phänomen des Hooliganismus, der in den letzten 12 bis 13 Jahren vor allem durch den Fanklub RAG verkörpert wurde. (Die RAG feierte im Sommer 2009 ihr 10jähriges Jubiläum,

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 93 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub unter anderem mit einem Überzieher während eines Heimmatches, auf dem zu lesen stand „Was sind schon 100 Jahre Sturm gegen 10 Jahre RAG“ sowie mit einer Feier mit musikalischer Untermalung durch die Grazer Hardcore–Band Father & Gun, deren Sänger ebenfalls GAK/GAC-Fan ist, allerdings selbst nicht der RAG angehört.) Meine Grundannahme vor dem Interview mit zwei Vertretern der RAG war die, dass die RAG sich am Vorbild englischer Firms bzw. Mobs orientiert. Dies stimmt teilweise, wobei die RAG aber nicht den klassischen Vorstellungen von Hooliganismus entspricht, wie sie z. B. Eric Dunning vertreten wird. Für den Großteil der Mitglieder der RAG, welche sich selbst als „britisch“ orientiert bezeichnen, steht der Fußball bzw. der Verein im Vordergrund was sich auch, wie von mir bereits beschrieben, mit meinen Beobachtungen deckt. Ihre Mitglieder setzen sich aus verschiedenen sozialen Schichten zusammen und nicht primär aus der Arbeiterklasse. Damit sind zumindest die ersten beiden der von Dunning beschriebenen Hauptmerkmale segmentärer Bindungen unter Hooligans im Falle der RAG widerlegt. Bei der RAG macht man kein Geheimnis daraus, dass man nach Möglichkeit ein „bisserl einem anderen Hintergedanken als andere“ hegt, ihre Mitglieder sehen sich jedoch hauptsächlich als GAK-Fans und wollen nicht auf bloßen Hooliganismus reduziert werden. Der vorhin erwähnte „Jubiläums-Überzieher“ und das stattfindende Konzert stützt ebenfalls den sich aus 8.1 ergebenden Schluss, dass die RAG in ihrer Rolle als Fanklub durchaus in der Fankurve integriert ist. Die Elemente der italienischen Fankultur drücken sich vor allem durch Anleihen beim italienischen Ultratum aus, und werden vor allem durch die Red Firm und Society Graz, aber teilweise auch durch die Tifosi Rosso Bianco verkörpert. Das bedeutet unter anderem den Einsatz von Pyrotechnik, Überziehern, Doppelhaltern, Megaphonen, Choreografien usw. Allerdings greift es auch hier zu kurz, wenn man etwa die Firm oder die Society als stereotypische Ultragruppierung bezeichnen würde. Dies liegt darin begründet, da sich keiner der Fanklubs selbst als solche im Gesamten sehen oder bezeichnen würde, vor allem auch im Vergleich zum „neudeutschen“ bzw. „dem neuen Ultratum in Italien“. Mit diesem kann man sich kaum identifizieren, da es dabei häufig nur um Selbstdarstellung und einen sprichwörtlichen „Schwanzvergleich“ mit anderen Gruppierungen geht und das eigentliche Ziel, nämlich die Unterstützung des Vereins, aus den Augen verloren wird. Viel eher ist es bei allen drei Fanklubs so, dass man mit Ultratum eine Art persönliche Einstellung verbindet, die eine bestmögliche Unterstützung und Repräsentation des GAK beinhaltet, und auch bedeutet, „sein Herzblut“ in den Fußball bzw. den Verein zu stecken. Unter einer solchen Definition

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 94 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub bzw. Wahrnehmung von Ultratum haben die von mir interviewten Fanklubmitglieder kein Problem damit, sich persönlich als Ultras zu bezeichnen, allerdings will man sich generell nicht wirklich in eine Schublade stecken lassen. Wenn man bei der Firm davon spricht, „ultraorientierten, englischen Stehplatzsupport“ zu betreiben, dann lässt sich dies auf die Kurve insgesamt übertragen, da sich diese tatsächlich in ihrem Support nicht auf eine einzige Ausrichtung beschränkt. Auch unter den einzelnen, nicht fanklubgebunden, Kurven-Fans variieren die diesbezüglichen Präferenzen.

Gleich wie die RAG betrachten sich weder, Firm, Society, noch Tifosi Rosso Bianco als politisch ideologisiert, was zumindest Firm und Society als am „ehesten“ Ultra-orientieren Gruppen vom ursprünglichen Ultratum in Italien unterscheidet. Auch sieht man sich im Gegensatz zu vielen anderen Ultragruppierungen nicht als vom Fußballverein und seiner Führung prinzipiell abgekoppelt oder in ständiger Opposition zu selbiger, sondern versucht, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Um hier noch einmal auf die politische Heterogenität der Kurven-Fans zurückzukommen, ist dieser Konsens des "Außen vor Lassens der Politik“ letztendlich für den sozialen Frieden innerhalb der Kurve mit verantwortlich. An dieser Stelle sei noch angesprochen, dass sich aus den Interviews im Gesamtkontext heraushören lässt, dass sich zumindest unter diesen drei Fanklubs eine Hierarchie herausgebildet hat. Auf deren oberster Stufe steht die Firm, nachfolgend die Society, und danach die Tifosi Rosso Bianco bzw. auch beispielsweise die nur am Rande erwähnten Everreds (vgl. auch 6.2.2). Diese Hierarchie ergibt sich hauptsächlich aus dem Alter der Fanklubs, deren ältester eben die Red Firm ist, aber zum Teil auch dadurch, dass die Red Firm spätestens mit der Regionalligazeit auch den führenden Anteil an der Gestaltung des organisierten Supports übernommen hat. Die RAG ist in diesem Hierarchiegefüge nur schwer einzuordnen, da sie einerseits hauptsächlich einen am englischen Fußball orientieren Support pflegt, und trotz „netter und guter Kontakte,“ etwa zur Red Firm, lange Zeit eigenständig agierte.

9.3 Zusammenfassung der GAK-spezifische Fragestellungen

Das Ergebnis, dass es für die von mir interviewten Fans nie ein Thema war, trotz sportlicher und wirtschaftlicher Misserfolge den Verein zu wechseln, überrascht nicht sonderlich, es gilt: „Rot und Weiß ein Leben lang!“ Die Treue zum eigenen Verein entspricht ebenso wie die kontinuierlichen und regelmäßigen Besuche der Spiele der Theorie, dass (in diesem Fall

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 95 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub langfristig an den Verein geknüpfte) Emotionen als Hauptmerkmal des Fan-Seins zu betrachten sind. Die essentiellen Ansprüche, die an den neuen Verein GAC – also dem „GAK der Zukunft“ – gestellt werden, damit sich dieser weiterhin die Unterstützung der Fankurve erfreuen kann, können mit (1) Beibehaltung der Vereinsfarben, (2) Beibehaltung eines klar mit dem GAK in Verbindung zu bringenden Namens, (3) einer transparenten und demokratischen Vereinsführung als Mitgliederverein, (4) das Streben nach einer finanziell soliden Basis, und (5) eine auf den „alten“ GAK bezogene Möglichkeit der Identifizierung zusammengefasst werden. In welcher Spielklasse dabei als Verein neu eingestiegen wird, spielt dabei nur eine äußerst untergeordnete Rolle, solange der Verein auf einer finanziell soliden Basis steht, was aber nach Ansicht vieler Fans vorerst nur in den untersten Ligen möglich ist. Zumindest bis zum Zeitpunkt der Beendigung dieser Masterarbeit hat der GAC diese Ansprüche nicht zuletzt auch durch Mitarbeit mehrere Fankurven-Mitglieder im Wesentlichen erfüllen können.

Was den GAK der Vergangenheit betrifft, ist man sich weitgehend einig, dass sich der organisierte Support seit dem Zwangsabstieg insgesamt qualitativ verbessert hat, und die Fanszene an sich vom Zwangsabstieg insofern profitiert hat, als dass sie stärker zusammengewachsen ist und sich ein besserer Zusammenhalt entwickelt hat. Auch mein persönlicher Eindruck als Besucher von vielen Bundesligaspielen in der UPC-Arena ab Anfang 2002 und Regionalligaspielen ab 2007 ist dahingehend, dass sich der Support qualitativ verbessert hat, und die Kurve trotz oder gerade wegen der sportlichen und wirtschaftlichen Misserfolge näher zusammengerückt ist. Quantitativ ging der Support während der Regionalligazeit jenem der Bundesligazeiten kaum zurück. Selbst die quantitative Entwicklung könnte man insofern zum Positiven relativieren, als dass vermehrt versucht wurde, auch die Längssektoren in den Support einzubeziehen. Wenn also in dem GAK zugeordnetem Wikipediaeintrag zu lesen ist, dass „die Qualität des organisierten Supports“ während der Zeit in der Regionalliga „gestiegen“ sei146, kann dies als wahre Aussage akzeptiert werden.

Trotz der positiven qualitativen Entwicklung insgesamt gab es den einen oder anderen Fehler, der in den Interviews aber auch im GAK-Forum angesprochen wurde. Diese „Fehler der Vergangenheit“ wurden hauptsächlich darin verortet, dass die Fanklubs stärker untereinander

146 http://de.wikipedia.org/wiki/Grazer_AK#Fans

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 96 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub zusammenarbeiten bzw. mehr Zusammenhalt zeigen hätten sollen und eine bessere Integration der Jugend im Sinne eines Fankurvennachwuchses betrieben werden hätte müssen. Auch kam zur Sprache, dass sich die Kurve vermehrt in die Vereinspolitik einmischen hätte sollen, worauf aber von „gewissen“ Fanklubs zugunsten von Zugeständnissen („Herstellung von Fanartikel“) verzichtet wurde. Die hier erwähnten Fehler sind als Einzelmeinungen zu betrachten und stehen weder stellvertretend für die jeweiligen Fanklubs oder die nicht fanklubgebunden Fans insgesamt, noch für die Kurve im Allgemeinen. Alles in allem wurde weder bei den Interviews noch im Fanforum der Eindruck vermittelt, dass es sich dabei um Fehler gehandelt hätte, die man als „kapital“ bezeichnen kann, die man überbewerten sollte, oder die nicht in Zukunft korrigierbar wären. Die im Forum konkret zwischen Society und Red Firm angesprochenen „Reibereien“ (siehe 6.2.2) werden im selben Thread von Mitgliedern der Firm und Society gleich wieder relativiert: „Reibereien gibt's in jeder Kurve. Darf man net überbewerten. Selbst in einer Ehe gibt´s mal Ärger. Die Kunst ist, sich danach wieder zusammen zu raufen. Und damit sollte das Thema beendet sein.“147 Der Umstand, dass die Fankurve inklusive Society und Firm letztendlich relativ geschlossen hinter dem GAC steht, dürfte als Beleg ausreichend erscheinen, dass dieses „Zusammenraufen“ durchaus funktioniert.

Schwieriger gestaltete sich die Antwort darauf, was nun die GAK-Fankurve und ihre Fans von den Fankurven anderer vergleichbarer Vereine unterscheidet. Einig war man sich seitens der Interviewpartner und auch im Forum darüber, dass man sich „natürlich“ von anderen Fankurven unterscheidet. Aus dem Gesamtkontext der Interviews aber auch aus Forumsbeiträgen lässt sich eine Zusammenfassung mehrerer exemplarischer Antworten erstellen, die aber keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit für die gesamte Fankurve hat. Diese exemplarischen Antworten entstammen ebenfalls verschiedensten Einzelmeinungen und können wiederum weder als stellvertretende Aussagen der jeweiligen Fanklubs oder der nicht fanklubgebunden Fans insgesamt, noch der Kurve im Allgemeinen erachtet werden. Obwohl ich ursprünglich die Frage nach den Besonderheiten der GAK-Kurve bzw. deren Unterschied zu anderen Kurven hier im Rahmen des Unterpunktes 9.3 beantworten wollte, nehme ich mir die Freiheit heraus, sie im letzten Unterpunkt (9.5) als Resümee bzw. als Fazit im Sinne einer persönlichen und wertenden Zusammenfassung zu beantworten und die

147 http://forum.gak.at/index.php?/topic/19928-organisierter-support-unterschied-zu-anderen-fans- fehlentwicklung/

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 97 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Beantwortung zugleich als persönliches Schlusswort dieser Arbeit zu verwenden. Die Entscheidung darüber, ob dieses Resümee dem in der Einleitung angesprochenen „Wesen“ der GAK-Fankurve bzw. deren Fans entspricht, überlasse ich dabei jenen, die sich dadurch angesprochen fühlen.

Der „besondere“ Stellenwert des SK Sturm Graz

Von allen Vereinen in Österreich ist der SK Sturm wohl jener, der in der Fankurve des GAK auf die wenigsten Sympathien stoßen dürfte. So ist es vielleicht bezeichnend dafür, was viele GAK-Fans über den SK Sturm denken, wenn zum Beispiel eines der interviewten Mitglieder der RAG (IP2) in Zuge des Interview-Nachgespräches meinte, dass er noch eher dem FC Red Bull Salzburg – der für die meisten Fankurven für all das steht, was den traditionellen Fußball und seine Fankultur kaputt macht – die Daumen drücken würde, als dem SK Sturm. Aufgrund der Interviews, den dementsprechenden Schlachtgesängen, diversen Kommentarbereichen im Internet, oder dem GAK-Fanforum ist ersichtlich, dass das „geliebt“ in Zusammenhang mit „Feind“ mehr und mehr an Bedeutung verliert. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang differenzieren. Man kann Feindschaften als Zuschauer im Stadion pflegen, man kann sie vor dem Stadion austragen, man kann sie an Gewalt in Zusammenhang mit Fußballspielen koppeln, und man kann sie ins Privatleben einfließen lassen. Das gilt für die (Fankurven-)Fans des GAK gleichermaßen wie im umgekehrten Falle für die Fans des SK Sturm, wobei aber das Ausmaß dieser Feindschaft bei beiden Anhängerschaften keiner Homogenität unterliegt, sprich sie wirkt sich bei verschiedenen Fans in verschiedenen Härtegraden aus. Fest steht nur, dass es offensichtlich dem Selbstverständnis der meisten roten Kurvenfans widersprechen dürfte, auch nur ansatzweise Sympathien für den SK Sturm zu hegen. Dies scheint in der Fankurve des GAK/GAC als unausgesprochenes Gesetz zu gelten. Die (gegenseitige) Antipathie drückt sich, wie bereits in Punkt 5 beschrieben, auf verschiedene Arten aus, die von Schmähgesängen im Stadion, Beschimpfungen im Internet, bis hin zu handfesten und teils organisierten Schlägereien reichen.

Dass der SK Sturm nun einen besonderen Stellenwert betreffend vereinstechnischer Rivalitäten einnimmt, hat primär den Grund darin, dass es der Stadtrivale ist, auch wenn zumindest die beiden Kampfmannschaften der Vereine seit der Saison 2006/ 2007 nicht mehr aufeinandergetroffen sind. Dies macht den großen Unterschied zu etwa anderen klassischen Rivalitäten aus, wie die von Austria Wien zu Rapid Wien. Obwohl die beiden Grazer Vereine

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 98 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub nicht mehr in derselben Liga spielen, hat sich die Feindschaft der Anhänger bewahrt. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil die Kampfmannschaft des GAK in der Regionalliga auch auf die Amateurmannschaft des SK Sturm traf. Einen besonderen Stellenwert nimmt der SK Sturm des Weiteren auch ein, weil der Zwangsabstieg des GAK es den „schwoarzen“ Fans trotz der zeitgleichen Insolvenz von Sturm ermöglicht hat, den traditionellen Rivalen von oben herab und überheblich zu behandeln, oder besondere Schadensfreude über sportliche und wirtschaftliche Misserfolge des GAK an den Tag zu legen, wo Fankurven-Fans vielleicht Solidarität erwartet hätten. Dass Sturm – wie in 7.2.2 beschrieben – in Graz aufgrund seiner höheren Ligazugehörigkeit z. B. in der UPC-Arena bevorzugt behandelt wurde, oder sich unter anderem einzelne Funktionäre nicht sonderlich „GAK-freundlich“ zum Thema Wiederaufstieg des GAK geäußert haben, führte letztendlich ebenso dazu, dass die Rivalität oder Feindschaft seitens der GAK-Fans nicht abschwächte, sondern sich teilweise noch verstärkte. Und eine Sonderrolle nimmt der SK Sturm und seine Fans auch deswegen ein, weil es einen Teil der Identität als GAK-Fan ausmacht, im inzwischen äußerst Sturm- dominierten Graz einer Minderheit anzugehören, sozusagen den „Underdogs“, und eben nicht der Anhängerschaft des SK Sturm Graz. Der SK Sturm ermöglich es dem GAK-Anhang „proud to be different“148 zu sein, und verstärkt somit das Gefühl der Besonderheit im positiven Sinne.

9.4 Weiterführende Fragen

Die weiterführende Frage nach dem nachträglichen Umgang der Fankurve mit dem Platzsturm in Hartberg ist relativ schnell beantwortet. Der Platzsturm ist teils als Zeichensetzung gegen das erneute Verfehlen des sportlichen Ziels, aber auch der damit vermuteten wirtschaftlichen Konsequenzen zu sehen, also als Art Ausdruck von vereinsbezogener Politik. Teils muss er aber auch als eine Selbstinszenierung und Selbstdarstellung einzelner Fans gewertet werden, und teils hat sich bei manchen Fans einfach der jahrelang aufgestaute Frust über das Dasein in der Regionalliga und dem wieder nicht erfolgten Aufstieg entladen. Im Nachhinein scheint bei den Fans keiner glücklich darüber zu sein, dass der Platzsturm erfolgt ist, und vor allem auch nicht darüber, wie dieser ausgeartet ist. Undifferenziertes emotionales Verständnis wurde von jedem der mir interviewten Fans

148 Untertitelung eines einmalig verwendeten Überziehers im Fansektor, der eine einzelne Rote Brettspielfigur in einer Reihe von vielen schwarzen Spielfiguren zeigte.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 99 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub aufgebracht, wenn man von IP2 der Red Firm absieht, der deutlich gesagt hat, dass er das Ganze nicht nachvollziehen kann. Alle räumen ein, dass der Platzsturm dem Verein und seinen Fans zumindest einen „enormen“ Imageschaden bescherte. Auch führte der Platzsturm zu Problemen bei der Neugründung des GAK/GAC. Man ist sich aber darüber einig, dass der Platzsturm und die damit verbundenen Strafen das sprichwörtliche „Kraut nicht fett gemacht“ haben, was die vierte Insolvenz und den damit verbundenen Konkurs betrifft. Kurzfristig sorgte der Platzsturm innerhalb Fanszene zu einigen Differenzen. Die RAG als vorschnell identifizierter Alleinschuldiger kann dabei als kurzfristiger „Sündenbock“ betrachtet werden. Wie allerdings bereits in Kapitel 8 erläutert, wäre es zu kurz gegriffen, wenn man der RAG im Gesamten die alleinige Schuld am Platzsturm geben würde, auch wenn die Mehrheit der Platzstürmer zumindest optisch der RAG bzw. deren Umfeld zugeordnet werden kann. Weder im Forum noch in den Interviews äußerten sich die Fans in einem Sinne über den Platzsturm, der als positiv zu interpretieren wäre, auch nicht die Vertreter der RAG selbst. Der Platzsturm wird – so scheint es – als etwas betrachtet, das eben passiert ist, und was man ein Jahr danach nun endlich einmal ruhen lassen sollte. Er wurde durch die Bedingungen in Hartberg und der Vorgeschichte mit Hartberg durchaus begünstig, zu verantworten hat man ihn jedoch letztendlich selbst. Klar ist auch, dass der Platzsturm bei einem Sieg des GAK nicht erfolgt wäre. Interessanter in der Rubrik „weiterführende Fragen“ ist so also vermutlich der Aspekt, der hinter dem Chant „Keiner mag uns, scheißegal“ steckt, und auf den im Folgenden noch kurz etwas genauer eingegangen werden soll.

Etablierte und Außenseiter – Keiner mag uns….

Wenn im Stadion „Keiner mag uns, scheißegal“ intoniert wird, dann ist das, wie wir in Kapitel 7 gesehen haben, nur die halbe Wahrheit. Es ist zum Beispiel mitnichten so, dass seitens anderer Vereine dem GAK/GAC und seiner Fankurve nur Antipathien entgegenschlagen, was auch von den von mir interviewten Fans und in diesbezüglichen Beiträgen im Forum so wahrgenommen wurde. Anders sieht die Sache aus, was den SK Sturm und seine Fans, die „Offiziellen“ bzw. die Medien betrifft. Dass die Sturm-Fans „uns“ nicht mögen, ist insofern nachvollziehbar, als dass die Fans von zwei Vereinen aus der gleichen Stadt, die über Jahrzehnte in den gleichen Ligen gespielt haben, sich traditionell selten gegenseitig wirklich „mögen“, wobei dieses „Nicht mögen“ bei den Fans des GAK und denen des SK Sturm gleichermaßen in verschieden Härtegraden zutage tritt. Auch zu bedenken ist, dass viele Fans von Sturm und GAK den jeweiligen anderen Verein als Verein

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 100 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub nicht mögen bzw. dessen Fans in ihrer Rolle als eben dessen Fans. Nicht immer ist dieses „nicht mögen“ beiderseits tiefgehend persönlich und zieht sich abseits des Fußballalltages auch ins Private. Graz ist klein, man begegnet sich im Alltag oft. Dass Trainer, Spieler, oder Funktionäre des SK Sturm den GAK oder seine Fans per se nicht mögen, ist nicht systematisch feststellbar, sondern ist eher einzelnen Personen z. B. aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus zu unterstellen. Seitens der „Offiziellen“ des Verbandes ist ebenfalls nicht von einem systematischen „nicht mögen“ zu sprechen, wobei sich gerade in Zusammenhang mit Fanausschreitungen oder wirtschaftlichen Misserfolgen ebenfalls immer wieder Einzelpersonen negativ über den GAK und dessen Zukunft geäußert haben. Was die Schiedsrichterleistungen bei Spielen der Regionalliga generell betrifft, scheint es so, als würden sich die Schiedsrichter oftmals dem im Verhältnis zur Bundesliga schwächeren sportlichen Niveau anpassen, wobei es aber auch in der höchsten Liga seit Jahren immer wieder zu eklatanten und zum Teil spielentscheidenden Fehlpfiffen kommt. Dies wird allerdings danach auch meist medial aufgegriffen. Gleiches gilt für die Kleine Zeitung, auch hier finden keine systematischen Anfeindungen statt. Der GAK/GAC „erfreute“ sich zwar immer einer großen Aufmerksamkeit, diese war aber nicht nur negativ behaftet, wobei es schwierig ist, über Platzstürme oder Konkursverfahren positiv zu berichten. Allerdings besteht die Meinung, dass Artikel wie etwa jene von Eichberger und Krause für einen GAK- Fan inakzeptabel sind und in gewissem Grade beleidigend wirken. Zumindest bei diesen beiden Mitarbeitern lässt sich unterstellen, keine sonderlich großen Sympathisanten des ehemaligen GAK gewesen zu sein.

Das Gefühl des „Nicht gemocht werdens“ kann also nachvollzogen werden, ist jedoch klarerweise ein subjektives. Dieses subjektive Gefühl kollektiviert sich darin, das es unter an anderem durch den Chant „Keiner mag uns“ zum Ausdruck gebracht wird. Der Chant entwickelte sich zu einem gewissen „Running Gag“, also zu einem nicht immer ganz ernst gemeinten Stilmittel, um die Situation beim GAK zu beschreiben. Das angefügte „scheißegal“ symbolisiert, dass man aber in Wirklichkeit gar kein Problem mit diesem vermeintlichen Umstand hat. Es erweckt den Eindruck, dass man in gewisser Weise sogar ein bisschen Stolz darauf ist. Die demonstrative „Keiner mag uns, scheißegal“-Mentalität wird also Teil des Habitus der Fankurve, sie wird Teil der Identität. Sie bringt zum Ausdruck, dass dem GAK von außen aufgezwungene, vermeintliche oder tatsächliche Ungerechtigkeiten sowie negative Konsequenzen gewisser Ereignisse und Entwicklungen, auch wenn diese vom GAK oder

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 101 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub dessen Fans mitverschuldet wurden, der Treue zum Verein keinen Abbruch tun. Ein Spieler des GAK bekommt eine rote Karte, der Verein wird mit Geisterspielen bestraft, der Verein bekommt keine finanzielle Unterstützung, die einen Konkurs abwenden, seitens gewisser Bundesligafunktionäre oder dem ehemaligen Sturmpräsidenten Rinner will man nicht mehr im Profifußball gesehen werden – „scheißegal“! Dies stärkt auch den Zusammenhalt, man wird in die Rolle des Außenseiters, des „Stiefkindes“ gedrängt, weiß aber als einzelner Fan, dass man damit in nicht alleine steht, sondern innerhalb der sozialen Gruppe der Kurvenfans des GAK eine Gemeinschaft findet. Wenn „Gott und die Welt“ gegen einen ist, dann weiß man, wo man hingehört und wo man auf Gleichgesinnte trifft. In Grundzügen haben wir bei den Fans des GAK/GAC jene Situation, der Norbert Elias in seinem Buch Etablierte und Außenseiter beschreibt149, allerdings zum Teil mit umgekehrten Vorzeichen. Wenn zum Beispiel Fans von anderen Vereinen (insbesondere die des SK Sturm) oder teilweise die Medien den GAK teilweise zu Recht als nicht „Pleiteverein“ abstempeln, oder dessen Fans als gewalttätig, becherwerfend, und platzstürmend stigmatisieren, dann macht man die Fans bzw. Fankurvenfans des GAK gerade im inzwischen äußerst Sturm-dominierten Graz in gewissem Sinne zu Außenseitern. Bei Elias sind die Etablierten deswegen etabliert, weil sie in der von ihm untersuchten Gemeinde alteingesessen sind. Dies ist bei SK Sturm Graz zwar nicht der Fall, da der GAK ja den älteren der beiden Vereine darstellt. SK Sturm und seine Fans entwickelten den Eindruck einer Etabliertheit dadurch, dass Sturm seit Jahren zwei Klassen über dem GAK spielt und seine „normalen“ Fans bzw. Kurvenfans quantitativ eindeutig eine präsente Mehrheit bilden. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, Sturm und seine Fans in Graz als „Mainstream“ zu bezeichnen. Die Fans des GAK/GAC wollen vom sportlichen Aspekt her über kurz oder lang wieder in die Rangordnung des SK Sturm aufsteigen, jedoch nicht „Fan-Mainstream“ werden.

Die quantitative Mehrheit der Sturm-Fans und die „Etabliertheit“ des SK Sturm ergibt ein Machtungleichgewicht, das sich unter anderem in der Bevorzugung in der UPC-Arena, der dem SK Sturm geschenkten medialen Aufmerksamkeit oder der demonstrativen Präsenz der Sturm-Fans ausdrückt. Dieses Ungleichgewicht wurde aber von der GAK-Kurve weder wirklich akzeptiert, noch führte es dazu, dass man sich an die Normen der SK Sturm-Fans oder anderer Vereine anpasste. Die „Keiner mag uns, scheißegal“-Mentalität trägt wohl auch

149 Elias, Norbert; Scotson, John L. (1965). Etablierte und Außenseiter. Suhrkamp, Frankfurt/ M. 1993.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 102 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub dazu bei, dass die Fans des GAK, oder zumindest Teile davon, ihrem schlechten Ruf immer wieder folgen, und z. B. in Extremfällen das wahr machen, was “scheißegal“ impliziert. Die GAK-Fans als „Außenseiter“ messen sich, wie von Elias beschrieben, am Maßstab der Etablierten bzw. des Mainstreams, so wie das Selbstbild und Selbstwertgefühl der Etablierten im umgekehrten Falle an den Außenseitern bemessen wird. Allerdings geschieht dies in einem für das Selbstbild der GAK-Kurve positiven Sinne, nämlich im Sinne einer Abgrenzung zu den Anderen und zur Stärkung der eigenen Identität, denn man will ja im Gegensatz zur Elias‘schen Theorie gar nicht zu den Etablierten bzw. zum Mainstream gehören. Jedoch ist es in diesem Falle nicht verfehlt davon zu sprechen, dass sich das Verhalten, zumindest aber der Habitus der roten „Außenseiter“ in interpendentem Zusammenhang mit dem Mainstream steht, allerdings ohne dabei vorhandene Fremdzwänge des Mainstreams zwingend zu Selbstzwängen werden zu lassen. Obwohl die Fans des GAK so gesehen als Außenseiter zu betrachten sind, ermöglicht es ihnen gerade dieser Umstand, den inneren Zusammenhalt zu stärken. Was bei Elias also primär den Etablierten zugute kommt, macht in diesem Fall die Fankurve des GAK zu ihrer Tugend.

9.5 Resümee: WE ARE GAK

„Wir lieben unsern Klub, sind immer mit dabei! Die Nummer 1 der Stadt, seit 1902“

Als „rotes“ Fankurvenmitglied fühlt man sich als etwas Besonderes, man unterscheidet sich von den Fans vergleichbarer Fankurven nicht nur dadurch, weil man nach vier Konkursverfahren immer noch dem GAK/GAC die Treue hält. Als Fan des GAK/GAC kann nur gelten, „Rot und Weiß, ein Leben lang!“, denn wo will man denn sonst auch hin, vor allem in Graz. Klarerweise werden bessere Zeiten wie Europacup, Cupsieg, oder der Meistertitel in der Bundesliga noch lange im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben, und man behält sich das Recht vor, eine gewisse Arroganz gegenüber anderen Vereinen und deren Fans an den Tag zu legen. Jedoch man hat sich mit der Regionalliga arrangiert und wird sich auch mit den untersten Spielklassen arrangieren, da man gerade im letzten Jahr angefangen hat, sich mit der zu erwartenden zukünftigen wirtschaftlichen und sportlichen Realität auch ernsthaft auseinanderzusetzen. Man ist als Kurve im Gesamten vieles, man ist „ultraorientierter, englischer Stehplatzsupport“, man ist vielleicht von außen negativ konnotiert, man ist als GAK-Fan in Graz eine Minderheit, aber man kann zumindest ohne schlechtem Gewissen behaupten nicht dem Mainstream anzugehören, und darauf ist man

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 103 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub stolz. Man ist Außenseiter und „Underdog“, man ist Stiefkind und „Underground“ in einem. Die Frage nach „was nun die Fans bzw. Fankurvenfans des GAK von anderen unterscheidet“, ist evident, und kann am besten mit einem Zitat von NFK2 beantwortet werden (vgl. 6.2): „Wir sind der GAK, bitte!“

Die Kurve kann des Weiteren als heterogen und bunt, zusammengesetzt aus verschiedensten sozialen Schichten und politischen Richtungen betrachtet werden, die auch vom Stil des organisierten Supports her in keine einzelne und bestimmte Schublade einzuordnen ist. Die Fanszene innerhalb der Kurve hat vom Zwangsabstieg eher profitiert, der Zusammenhalt hat sich ebenso wie die Qualität des Supports verbessert. Als GAK-Fan hat man aufgrund der sportlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen gelernt zu leiden. Man hat aber auch gelernt, damit umzugehen, vieles mit Humor zu nehmen, und sich trotzdem feiern zu lassen, als gäbe es kein Morgen – was ja auch jahrelang ein durchaus mögliches und kurzfristig auch wahr gewordenes Szenario darstellte. Man hat sich über die Jahre zu einer Gemeinschaft entwickelt, die dadurch glänzt, dass man versucht, sich gegenseitig trotz aller Unterschiede persönlicher Art und auf die einzelnen Fans bezogen, so weit wie möglich zu respektieren. Der GAK/GAC soll ihm Vordergrund stehen. Jeder Fan, der dies im Sinne einer emotionssoziologischen Definition von Fans im Rahmen der sozialen Gruppe Fankurvenfans des GAK/GAC unter Beweis stellt, hat über kurz oder lang seinen festen Platz innerhalb dieser Kurve. Die Fankurve des GAK erweckt den Eindruck einer Großfamilie, man muss nicht jeden Cousin oder Onkel wirklich mögen, aber letztendlich scheint zu gelten, dass rot- weißes Blut dicker als Wasser ist. Obwohl man glauben könnte, dass beim GAK seit Jahren unter dem Motto „nach uns die Sintflut“ gelebt wurde, schaffte man es innerhalb der Kurve trotz verschiedenster Differenzen und gelegentlicher Reibereien, die meisten Mitglieder zum Weitermachen zu bewegen, als die Sintflut mit der Schließung des Vereins tatsächlich kam. So kann man davon ausgehen, dass der neugegründete Verein ab der Saison 2013/2014 auch in der untersten Spielklasse mit einer Fankurve aufwarten kann, welche viele Vereine in den zwei obersten Ligen nicht zustande bekommen, und über welche in der Regionalliga nur Ausnahmeerscheinungen wie Austria Salzburg (mit ähnlicher Fan-Biografie wie der GAK/GAC) und inzwischen durch den Abstieg der LASK oder Blau Weiß Linz verfügen. Der GAK/GAC mag wohl sportlich bei null anfangen, von der Fankultur her tut er es mit Sicherheit nicht. Mit Abschluss dieser Masterarbeit verfügte der neugegründete GAK/GAC,

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 104 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub der die volle Unterstützung der Kurve genießt, über mehr als 600 eingetragene Mitglieder – Tendenz steigend.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 105 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

10 Literatur und Quellennachweise

10.1 Bibliographie

Beck, Klaus (2006). Computervermittelte Kommunikation im Internet. Oldenbourg, München 2006. Elias, Norbert (1939). Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1979. Elias, Norbert; Scotson, John L. (1965). Etablierte und Außenseiter. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1993. Elias, Norbert; Dunning, Eric (1982). Sport im Zivilisationsprozess. Lit Verlag, Münster 1982. Elias, Norbert; Eric Dunning (1986). Sport und Spannung im Prozess der Zivilisationen. Suhrkamp, Frankfurt/M 2003. Esser, Hartmut (2006). Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 6: Sinn und Kultur. Campus, Frankfurt 2001. Heitmeyer, Wilhelm, Peter, Jörg Ingo (Hrsg.). Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt. Juventa, Weinheim & München 1988. Klein, Gabriele, Michael Meuser (Hrsg.) Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs. Transcript, Bielefeld 2008. König, Thomas (2002). Fankultur. Eine soziologische Studie am Beispiel der Fußballfans. Lit, Münster 2002. Krisch, Richard (2009). Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Juventa, Weinheim 2009. Kühnelt, Wolfgang (2008).Geliebter Feind: Die Geschichte des Grazer Stadtderbys SK Sturm Graz – GAK 1920 – 2007. Leykam, Graz 2008. Langer, Daniel (2010). Faszination Ultras: Aspekte und Erklärungsansätze zur Fußballfan- und Jugendkultur. Scientia Bonnensis, Bonn 2010. Luhrs, Joanne in: The Linguitics of Football. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2008 Neidhardt, Friedhelm (1979): Das innere System sozialer Gruppen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 31, 1979. Pivato, Stefano (1999): Fußball und regionale Identität, in: Gehrmann, Siegfried (Hrsg.). Fußball und Region in Europa. Lit Verlag, Münster 1999. Podaliri, Carlo (1998): The ultras, racism and football culture in Italy, in: Brown, Adam (Hrsg.): Fanatics! Power, identity, and fandom in football. Routledge, London 1998.

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 106 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub

Roose, Jochen; Schäfer, Mike; Schmidt-Lux, Thomas (Hrsg.). Fans: Soziologische Perspektiven. GWV, Wiesbaden 2010. Russel, David (1999): Associating with Football, in: Armstrong, Gary; Giulianotti, Richard (Hrsg.): Football Cultures and Identities. Macmillan Press, 1999. Scaino, Antonio (1979): Abhandlung vom Ballspiel, in: Hopf, Wilhelm (Hrsg.): Soziologie Fußball – Soziologie und Sozialgeschichte einer populären Sportart. Päd. Extra Buchverlag, Fulda 1979. Schäfer, Mike S; Roose, Jochen (2005). Begeisterte Nutzer? Jugendliche Fans und ihr Medienumgang. In: merz – Medien + Erziehung, Ausgabe 2, 2005 Sülzle, Almut (2005). Fußball als Schutzraum für Männlichkeit? Ethnographische Anmerkungen zum Spielraum für Geschlecht im Stadion in: Hagel, Antje; Selmer, Nicole, Sülzle, Almut (Hrsg.) Gender Kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht. Frankfurt/M. 2005.

10.2 Internet de.wikipedia.org en.fanchants.at forum.gak.at gakarchiv.at rossibianci.wordpress.com www.austriansoccerboard.at www.duden.de www.everreds.at www.facebook.com www.kleinezeitung.at www.liga3.at www.news.at

Masterarbeit von Martin Scharf Seite 107 „We are GAK“ – Die Fankurve des Grazer Athletiksport-Klub www.orf.at www.polizei-nrw.de www.regionalliga.at www.socialmediaschweiz.ch www.society-graz.at www.sturm12.at www.taz.de www.transfermarkt.at www.uebersteiger.de www.youtube.com

10.3 Andere Quellen

Gerschel, Sophia (2009). Frauen im Abseits? Eine Untersuchung zu weiblichen Ultras in der Fußballfanszene. Diplomarbeit, Universität Leipzig, Institut für Soziologie 2009.

Haller, Max (Hrsg.). Fußballspiele und ihr Publikum. Ergebnisse eines soziologischen Lehrforschungsprojektes. KF Graz, 1998.

Kleine Zeitung (Printausgabe). Kleine Zeitung GmbH & Co. KG (Hrsg.). Styria Media Group, Graz.

Saturdays Heroes. Fußballfanzine, Ausgabe 2. Polen, Juli 2012.

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11 Abkürzungen und Glossar

Abkürzung oder Begriff Bedeutung Doppelhalter Rechteckiges oder quadratisches Transparent, meist aus Stoff, dickerem Papier oder Karton, an dessen linker und rechter Breitseite zwei Stangen befestigt sind, um das Transparent in die Höhe halten zu können. RAG Rote Armee Graz Red Firm Supporters Club Red Firm, Firm SK Sturm Graz Sturm Graz, Sturm; auch „Schwoarze“ oder „Schwoaze“ aufgrund der Vereinsfarbe schwarz Society Graz Society Tifosi Rosso Bianco Rosso Bianco Überzieher Großes, meist aus Stoff bestehendes Transparent, das von den Fans im Fansektor über ihren Köpfen entrollt wird, und je nach Größe den ganzen Sektor, eine ganze Breit-, oder auch Längsseite überdecken kann. ÖFB Österreichischer Fußballbund SAK Slovenski Atletski Klub; Klagenfurter Fußballverein

Übersetzungen aus dem steirischen Dialekt:

Steirisches Dialektwort Übersetzung A Hetz haben Einen Spaß haben Dodel Dummkopf Einen Verfolger haben Sich verfolgt fühlen Gosch‘n Mund Jmd. schälen Jemanden ärgern/necken Ludeln Urinieren Oarschwoarme Schimpfwort für Homosexuelle Schwoarz oder Schwoaz Die Farbe schwarz Vollposten Vollidiot Watsch’n Ohrfeige Wurscht oder wuascht Egal

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12 Anhang: Interviewleitfaden

Insgesamt gab es drei verschiedene Interviewleitfäden, die sich aber nur minimal voneinander unterscheiden. So bestehen die Unterschiede im Wesentlichen darin, dass die Fanklubs Red Firm, Society Graz, und Tifosi Rosso Bianco in Punkt 2 auf Affinität und Zugehörigkeit zur Ultrabewegung befragt wurden, während die RAG auf Affinität und Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene befragt wurde. Bei den nicht fanklubgebundenen Fankurvenfans wurde der Leitfaden in den Singular gestellt, und auf jene Fragen verzichtet, welche die Zugehörigkeit zum jeweiligen Fanklub betrafen. Aus diesem Grunde ist im Folgenden auch nur jener Leitfaden exemplarisch angefügt, der in dieser Form eins zu eins für die Interviews mit Red Firm, Society Graz, und Tifosi Rosso Bianco verwendet wurde.

Leitfaden (1) Wie seid ihr damals dazu gekommen, GAK-Fans zu werden?

 Wann war das ungefähr?  Warum nicht Sturm Graz?

(2) Erzählt ein wenig über euch?

 Wie viele Mitglieder im Kern/im Umfeld?  Bezug zu Ultras/Orientierung an Ultras?  Seid ihr als Gruppe politisch?  Wie schaut die Zusammenarbeit mit anderen Fanklubs aus?  Wie schaut es bei euch (auch in der Organisation) mit Choreographien/ Auswärtsfahrten/etc. aus?

(3) Wie denkt ihr, hat sich der organisierte Support seit dem Zwangsabstieg (2006/2007) entwickelt?

 Besser? Schlechter? (Auch im Vergleich zu adäquaten Kurven und im Vergleich zu den Bundesligazeiten)  Wie hat sich der Zusammenhalt in der Kurve entwickelt?

(4) Gibt es irgendetwas, was die Fanszene des GAK zu etwas Besonderem macht?

 Was unterscheidet die Fanszene des GAK von anderen Fanszenen?

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(5) Gibt es Etwas, das in den letzten Jahren in der Fanszene/Fankurve des GAK falsch gelaufen ist?

 Wenn ja, was?  Gibt es irgendwas, was an der Fanszene des GAK zu kritisieren habt?  Was hätte man besser machen können?

(6) Keiner mag uns – Scheißegal…

 Ist dem wirklich so?  Wer mag uns nicht? Medien, Schiedsrichter, Fans anderer Vereine, …

(7) Wie denkt ihr über den SK Sturm und seinen Fans?

 Welchen Stellenwert besitzt Sturm (und besitzen seine Fans) für euch?  Stichwort „geliebter Feind“ und „Hassliebe“

(8) Was ist eurer Meinung falsch gelaufen, dass es soweit kommen konnte, dass der Verein nun zumindest vorläufig Geschichte ist?

 Kann man persönliche Schuldzuweisungen vornehmen?  Wenn ja, gegenüber wem?

(9) Warum ist man nach 4 verpatzten Aufstiegen und drei Konkursverfahren immer noch GAK Fan?

 War es für euch ein Thema, den Verein zu wechseln?

(10) Unter welchen Voraussetzungen würdet ihr den GAK bzw. einen Folgeverein auch weiterhin unterstützen?

 Neugründung in erster Klasse?  Weiterführung in welcher Liga auch immer?

(11) Wie denkt ihr über die Ereignisse auswärts gegen Hartberg?

 Habt ihr Verständnis bzw. könnt ihr es nachvollziehen (in Bezug auf den Platzsturm)?  Fandet ihr den Platzsturm in Ordnung?

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