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Späte Strafe für einen Schlächter

Im Krieg gegen den Terror verbündeten sich die USA vor 30 Jahren mit einem blutrünstigen Diktator. Jetzt wird er endlich vor Gericht gestellt. Eine Geschichte über ein dunkles Kapitel amerikanischer Außenpolitik und über den Kampf einer Handvoll mutiger Frauen und Männer für Recht und Gerechtigkeit.

Von Michael Bronner

ie Nerven lagen blank in N’Djamena, der man in Washington damit, dass es ihnen ein weite- Hauptstadt des Tschad, in der Nacht des 30. res Mal gelingen würde. Die Amerikaner waren von November 1990. Noch herrschte Präsident Habrés überlegenen militärischen Fähigkeiten über- DHissène Habré, der sich acht Jahre zuvor an die zeugt. Doch sie kannten die Sachlage nur aus den Macht geputscht hatte, aber er stand mit dem Rü- beschönigenden Berichten, die Habrés Entourage cken zur Wand. Von allen Seiten rasten von Libyen ihnen zukommen ließ. Der Minister dagegen wusste, finanzierte und ausgerüstete Rebellen auf die Stadt wie die Dinge wirklich standen: Möglicherweise wür- zu. Ihre Toyota-Pritschenwagen waren mit Maschi- den die Rebellen die Hauptstadt noch in dieser Nacht nengewehren bestückt und mit schwer bewaffneten erreichen, sagte er – viel früher als erwartet. Kämpfern beladen, denen der Wüstensand dank der Foulds brach eilends auf, um den CIA-Beauftrag- Tücher vor ihren Gesichtern wenig anhaben konnte. ten und Botschafter Richard Bogosian zu informie- Sie kamen aus einem Camp hinter der sudanesi- ren. Sie riefen sofort in Washington an und baten schen Grenze, 700 Meilen weiter östlich, und wur- um Weisungen – und um praktische Unterstützung. den von Idriss Déby befehligt, Habrés ehemaligem „Wir wollten versuchen, Habré zu retten“, sagt Bogosi- militärischem Berater. an. „Er hatte uns auf eine Art und Weise geholfen, zu Eigentlich war das nicht der ideale Zeitpunkt für der nicht viele bereit waren.“ eine diplomatische Dinnerparty. Der libanesische Die ganzen 1980er Jahre hindurch hatte der Konsul, der über reichlich Geld und gute Kontakte Mann, in dem die CIA den „Inbegriff des Wüstenkrie- verfügte, hatte sie in letzter Minute organisiert, weil gers“ sah, im Zentrum der verdeckten Operationen ihn einer von Habrés wichtigsten Ministern drin- gestanden, mit denen die Reagan-Regierung die gend darum gebeten hatte. Doch die zwei Dutzend Macht des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi Gäste, zu denen Mitglieder der tschadischen Elite, zu brechen versuchte. Gaddafi war als Drahtzieher Hissène Habré im Jahr 1975. Der französische Geschäftsleute und andere ranghohe des internationalen Terrorismus für die USA zu ei- Rebellenführer wurde sieben Ausländer gehörten, dienten nur als Kulisse für den nem Ärgernis und einer Bedrohung geworden. Ob- Jahre später im Alter von 40 Jah- Mann, um den es in Wirklichkeit ging: den amerika- wohl die Berichte aus dem Tschad über widerrechtli- ren Präsident des Tschad. Unter nischen Militärattaché Colonel David G. Foulds. che Hinrichtungen, Entführungen und Misshand- seinem Terrorregime wurden Der Minister zog sich mit Foulds in eine ruhige lungen in den Gefängnissen nicht abrissen und zu- Zehntausende gefoltert und Ecke zurück. „Er rauchte Kette, war sehr nervös und nehmend Besorgnis erregten, bildeten die USA ermordet. zitterte am ganzen Körper“, erinnerte sich Foulds Habrés Sicherheitskräfte aus; sein Regime wurde Corbis später. Habrés Truppen hatten Débys Rebellen schon von der CIA und der Afrika-Abteilung des Außenmi- einmal zurückgeschlagen, und deshalb rechnete nisteriums insgeheim weiter aufgerüstet. Als Gegen-

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leistung ging Habré unerbittlich gegen die libyschen habe mitten in der Nacht seinen Mercedes auf eines Truppen vor, die damals den Norden des Tschad be- der Transport ugzeuge vom Typ Lockheed L- setzt hielten. Sein Sturz würde alle Anstrengungen Hercules gefahren, das er von den USA bekommen des vergangenen Jahrzehnts zunichte machen. hatte. Mit wenigen Getreuen  og er in den Senegal Außerdem stellten die nach N’Djamena eingesi- und landete in Dakar, wo man ihm – vermutlich ver- ckerten libyschen Geheimagenten eine unmittel- mittelt vom französischen Geheimdienst – Exil ge- bare Bedrohung dar, denn ungeachtet der he igen währte. Der Tschad ist eines der ärmsten Länder in Proteste amerikanischer Experten hatte die CIA ein Afrika, doch Habré soll genug Geld aus der Staatskas- Dutzend Stinger-Raketen an Habré geliefert. Diese se gestohlen haben, um sich in Dakar ein solides Si- Ein-Mann-Lu abwehrraketen, die von der Schulter cherheitsnetz zu knüpfen: Seine Mittel reichten aus, aus abgefeuert werden, waren bei den Rebellen und um Politiker, religiöse Führer, Journalisten und die Terroristen der ganzen Welt äußerst begehrt. Da Polizei zu bestechen und sich zwei üppige Villen ein- Gadda seine Bereitscha demonstriert hatte, auch zurichten. Hier konnte er viele Jahre lang unbehel- Passagier ugzeuge zum Absturz zu bringen, durf- ligt leben. ten sie unter keinen Umständen in seinen Besitz Aber nicht für immer. Als Débys Truppen gelangen. N’Djamena im Lauf des folgenden Vormittags unter Und es gab ein weiteres Problem: Einige Kilome- ihre Kontrolle brachten,  üchteten die Bewacher der ter außerhalb der Hauptstadt hatte die CIA ein Trai- geheimen Gefängnisse, und die Insassen verließen ningslager eingerichtet, in dem eine libysche Elite- ihre Zellen. Die Straßen füllten sich mit abgemager- truppe für den Kampf gegen Gadda ausgebildet ten politischen Gefangenen, an deren Narben man wurde – mindestens  Mann, die von der CIA un- erkennen konnte, dass sie gefoltert worden waren. ter anderem mit sowjetischen Panzern ausgestattet Sie erzählten von Hinrichtungen, Massengräbern wurden. Die würden sie nicht ohne weiteres wieder und unsäglichen Gräueltaten. Einer von ihnen war hergeben. Wenn Débys von Gadda  nanzierte Souleymane Guengueng, ein ehemaliger Buchhalter, Truppen und die von der CIA ausgerüsteten Libyer der fast zweieinhalb Jahre lang gefangen gehalten aufeinander träfen, wäre ein Blutbad in der Haupt- und gefoltert worden war. Dabei war er körperlich stadt unvermeidlich. zum Wrack geworden und fast erblindet. Doch ihm Nach der Party in der libanesischen Botscha ist es zu verdanken, dass Habré im Jahr  von sei- brach auf den Straßen N’Djamenas das Chaos aus, ner Vergangenheit eingeholt wurde. als sich Gerüchte über den Zusammenbruch von Ha- brés Truppen ausbreiteten. Seit dem Ende der Kolo- nialzeit hatte es im ethnisch heterogenen Tschad immer gefährliche Spannungen gegeben: Im Süden lebten Christen, im Norden verschiedene muslimi- Tschad sche Gruppierungen, die alle mehr oder weniger ver- feindet waren, obwohl sie nach Bedarf wechselnde Sabhah Bündnisse eingingen. Diese Spannungen hatten sich AFRIKA unter Habré enorm verschär . Er gehört zum Volk LIBYEN der Gorane, und solange er an der Macht war, hatten es sich die Angehörigen seiner Ethnie gut gehen las- ÄGYPTEN sen. Jetzt  üchteten sie mit schwer beladenen Fahr- Aozou i zeugen panisch aus der Stadt, bevor die Zhagawa t T i b e s einrückten, die von Habré brutal unterdrückt wor- den waren und deshalb für Déby kämp en. S a h a r a In der amerikanischen Botscha zog Foulds sich Wadi Doum eine kugelsichere Weste über und legte ein gelade- Faya-Largeau nes Gewehr neben sich. Während die ersten Rebellen in der Stadt eintrafen, fütterte er zusammen mit ei- nem Mitarbeiter den Reißwolf mit geheimen Akten TSCHAD und zerstörte die Kommunikationssysteme, denn er Tschad- fürchtete, die Botscha würde den Rebellen in die see Hände fallen. Der CIA-Beau ragte tat in seinem Büro in einem anderen Stockwerk das gleiche. N’Djamena Unterdessen ging bei Botscha er Bogosian ein Anruf aus Washington ein: Zwei C- Starli er wur- Tschari den aufgetankt und mit Wa en, Munition und ande- NIGERIA rem Material beladen, um Habré Beistand zu leisten. Muslime „Sie standen startbereit auf der Piste“, sagt Bogosian. „Doch wir riefen zurück und sagten: ‚Bleibt zu Hause, ZENTRAL- Christen es ist zu spät.‘“ KAMERUN AFRIKANISCHE REPUBLIK So sah es auch Habré, der noch nie zuvor einem 200 km Quelle: © www.nationmaster.com Kampf ausgewichen war. Es heißt, der Wüstenkrieger

- | habré vor gericht schwerpunkt 15 1999: Ein Opfer des Terrors

nmittelbar nachdem Hissène Habré im Jahr Die Anklage betraf nur einen Bruchteil der von 1982 an die Macht gekommen war, geriet er Pinochet begangenen Verbrechen, aber sie genügte, ins Visier von Menschenrechtsaktivisten aus um der Menschenrechtsbewegung neue Hoffnung Uvielen Ländern. Noch bevor ein Jahr vergangen war, zu geben und in den Kreisen konservativer Diploma- veröffentlichte Amnesty International einen ersten ten Panik zu verbreiten. „Von nun an sind alle ehe- Bericht über politische Morde im Tschad. Dennoch maligen Staatschefs potenenziell gefährdet“, zeterte blieb er jahrzehntelang im Wesentlichen unantast- die ehemalige britische Premierministerin Margaret bar. Als Präsident des Tschad stand er unter dem Thatcher und beklagte den Angriff auf die diplomati- Schutz des mächtigsten Staates der Welt, und danach, sche Immunität, zumal er einem Politiker galt, den im Exil, genoss er lebenslange Immunität, die ehe- sie zu ihren Freunden zählte. „Mit diesem Schritt maligen Staatschefs nach internationaler Tradition wurde die Büchse der Pandora geöffnet, und wenn gewährt wird. Diese Immunität stand im Wider- Senator Pinochet nicht sicher nach Hause zurückge- spruch zur Antifolterkonvention der Vereinten Nati- langt, besteht keine Hoffnung mehr, sie je wieder zu onen: Sie verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, verschließen.“ alle Personen, die der Folter beschuldigt werden, vor Genau dasselbe dachte auch Reed Brody. Brody Gericht zu stellen oder sie auszuliefern. stammt aus Brooklyn und hatte für die New Yorker Im Oktober 1998 wurde plötzlich alles anders: Staatsanwaltschaft gearbeitet, bevor er die Öffent- Augusto Pinochet, der damals 82-jährige ehemalige lichkeitsarbeit bei Human Rights Watch in Manhat- Diktator Chiles, wurde nach einer Rückenoperation tan übernahm. Als der kämpferische Jurist die Be- in einem Londoner Krankenhaus von der britischen richte über die Verhaftung Pinochets im Fernsehen Polizei festgenommen. Ein spanisches Gericht hatte sah, begriff er sofort, dass sich neue Chancen aufta- im Namen spanischer Staatsangehöriger, die Opfer ten. „Wir waren erst kurz zuvor in Rom gewesen, um von Pinochets Regime geworden waren, einen inter- an den Statuten des Internationalen Strafgerichts- nationalen Haftbefehl ausgestellt. Ihm wurde vorge- hofs mitzuarbeiten“ – des ersten ständigen Strafge- worfen, in 94 Fällen Folter zugelassen zu haben. richts, das Völkermord, Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen verfolgen kann – „und nun gab es einen richtigen Fall“, sagt Brody. Mit der Festnahme Pinochets hatten europäische Richter zum ersten Mal das Prinzip der länder­ Personenverzeichnis (in der Reihenfolge des Auftretens) übergreifenden universellen Jurisdiktion angewandt: Hissène Habré Delphine Djiraibe James Bishop Nach diesem Prinzip können Gerichte gegen Perso- Präsident des Tschad, 1982- tschadische Anwältin und Stellvertreter von Chester nen verhandeln, denen schwere Verstöße gegen das 1990 Menschenrechtsaktivistin Crocker im amerikanischen internationale Recht zur Last gelegt werden. Dabei Außenministerium spielt es keine Rolle, welcher Nationalität sie angehö- Idriss Déby Nicolas Seutin Präsident des Tschad, 1990 Stipendiat der Menschen- Peter Moffat ren und wo die Verbrechen begangen wurden. Im Fall bis heute rechtsabteilung der juristi- amerikanischer Botschafter Pinochet war die wichtigste juristische Frage, die das schen Fakultät in Harvard im Tschad, 1983-1985 House of Lords – damals die höchste richterliche Ins- Col. David G. Foulds 1999 tanz in Großbritannien – zu entscheiden hatte, ob die amerikanischer Militärattaché John Propst Blane UN-Antifolterkonvention die Briten dazu verpflichte- im Tschad 1990 Genoveva Hernandez Uriz amerikanischer Botschafter Stipendiatin der Menschen- im Tschad, 1985-1988 te, sich über die diplomatische Immunität hinwegzu- Richard Bogosian rechtsabteilung der juristi- setzen und Pinochet an Spanien auszuliefern. amerikanischer Botschafter Jacqueline Moudeina schen Fakultät in Harvard Da Brody Menschenrechtsverletzungen aus der im Tschad, 1990-1992 tschadische Anwältin und 1999 Zeit Pinochets recherchiert hatte, flog er im Auftrag Menschenrechtsaktivistin Muammar al-Gaddafi von Human Rights Watch nach London, um die Goukouni Oueddei libyscher Regierungschef Abdoulaye Wade Präsident der Übergangsregie- Staatsanwaltschaft zu beraten. Im November 1998 1969-2011 Präsident des Senegal, 2000- rung des Tschad von 1979 bis verkündeten die Richter vor einem vollen Saal ein 2012 Souleymane Guengueng 1982, von Libyen unterstützt sensationelles Urteil über den chilenischen Diktator. politischer Gefangener im und Habré gestürzt Bandjim Bandoum Ein britischer Jurist erläuterte den Tenor des Richter- Tschad unter Habré unter Habré Agent der spruchs so: „Die Anwendung von Folter und Geisel- Charles Duelfer Geheimpolizei DDS, zeitweise nahme darf niemandem gestattet werden. Das gilt Reed Brody 1982 Beamter im Political-Mi- selbst in Haft Anwalt für Human Rights litary Bureau des amerikani- für Staatschefs genauso wie für jedermann, und für Watch schen Außenministeriums Dobian Assingar sie sogar ganz besonders, denn alles andere wäre tschadischer Menschen- eine Verhöhnung des internationalen Rechts.“ Die Peter Rosenblum Chester Crocker rechtsaktivist Büchse der Pandora war geöffnet, und die gesamte 1999 Leitungsmitglied der für Afrika zuständiger Abteilung für Menschenrechte Ministerialdirektor im US- Macky Sall Menschenrechtsbewegung fragte sich gespannt: an der juristischen Fakultät Außenministerium von 1981 Präsident des Senegal, 2012 „Wer kommt als nächster dran?“ der Universität Harvard bis 1989 bis heute Als Brody noch an der Columbia-Universität Jura studierte, erklärte ihm ein Professor die Strategie der

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amerikanischen Bürgerrechtsorganisation NAACP im Kampf gegen die Rassentrennung, und das beein- druckte ihn damals tief. „Sie nahmen sich zuerst die einfachsten Fälle vor, bis sie sich schließlich an die Klage ,Brown v. Board of Education of Topeka‘ wag- ten“, erzählt er. (Anm. d. Red.: In seinem Urteil im Fall „Brown v. Board of Education of Topeka“ erklärte der Oberste Gerichtshof der USA 1954 die Rassentren- nung an staatlichen Schulen für illegal.) Den glei- chen Weg wollte Brody nun auch gehen, und deshalb brauchte er einen Fall, den er gewinnen konnte.

ie zündende Idee kam von Peter Rosenblum, einem Freund und ehemaligen Kollegen, der inzwischen bei der juristischen Fakultät in DHarvard für Menschenrechte zuständig war. Aus ei- nem Hotel in N’Djamena schrieb Rosenblum: „Ich habe den nächsten Fall für dich: Habré, Tschad.“ Die- ser Vorschlag leuchtete Brody sofort ein. Er wusste zwar nicht allzu viel über Hissène Habré und den Tschad, aber er wusste, dass Habré im Senegal nicht wirklich sicher war: Der Senegal war der erste Staat, der das Römische Statut des Internationalen Strafge- richtshofs ratifiziert hatte, und gehörte zu den Un- terzeichnern der UN-Antifolterkonvention. Wenn Brody es schaffen würde, Habré wegen Folter vor Ge- richt zu bringen, müsste der Senegal ihn entweder ausliefern oder selbst gegen ihn verhandeln. „Wenn irgendein Land sich besonders eignete, einen Fall nach dem Weltrechtsprinzip auszufechten, dann war es der Senegal“, sagt Brody. „Dieses Land hat sich im- mer als Vorkämpfer des internationalen Rechts und der Menschenrechte gesehen.“ 1999 wurde Brody von Rosenblum mit einer sehr engagierten tschadischen Juristin bekannt gemacht, die an der Columbia-Universität studierte. Delphine Djiraibe war eine der ersten Rechtsanwältinnen im Tschad. Sie war begeistert, dass Brody etwas unter- nehmen wollte, meinte aber, er müsse äußerst vor- durch die aufgeweichten Straßen der Hauptstadt, François Nadjiasngar wurde sichtig sein: Auch neun Jahre nach Habrés Sturz um mit möglichen Zeugen zu sprechen. Genoveva monatelang in einem Folter- wimmelte es in N’Djamena noch von seinen Hand- sagt: „Wir hatten das Gefühl, beschattet zu werden“, knast festgehalten. Seine Peini- langern – beim Flughafenpersonal, beim Zoll und und offensichtlich hatten ihre Gesprächspartner ger quälten ihn derart, dass er bei der Polizei. Deshalb scheuten sich viele Zeugen, Angst davor, über die Habré-Zeit zu sprechen. einen Gehirnschaden erlitt und auszusagen. Und womöglich würde der tschadische Doch nicht so Souleymane Guengueng. Als sie bis heute kaum sprechen kann. Geheimdienst Verdacht schöpfen. Schließlich war an seine Tür klopften, begrüßte er sie mit einem VICTOR AFFARO Präsident Idriss Déby einmal Habrés Vertrauter ge- strahlenden Lächeln. „Er war sehr bewegt und sagte, wesen, bevor er mit ihm brach. auf diesen Augenblick habe er lange gewartet“, sagt Als erfahrener Schachspieler beschloss Brody, zu- Genoveva. „Und er meinte, es sei Gottes Hand, die Skizzen der Foltermethoden, erst mit seinen Bauern anzugreifen. Zwei Jurastu- uns zu ihm geführt habe.“ Also setzten sie sich mit mit denen Habrés Schergen denten, der Belgier Nicolas Seutin und die Spanierin ihm hinters Haus und hörten sich die Geschichte an, politische Gefangene und Genoveva Hernandez Uris, die als Harvard-Stipendi- die er schon lange hatte erzählen wollen. Regimegegner misshandelten – aten bei Rosenblum zu Menschenrechtsfragen ar- Elf Jahre davor, am 3. August 1988, war nicht viel dokumentiert im Unter­ beiteten, waren bereit, in den Tschad zu reisen. Offi- los bei der Kommission für den Tschadsee, der zwi- suchungsbericht des Tschad ziell würden sie Informationen über eine umstritte- schenstaatlichen Behörde, für die Guengueng arbei- von 1992. ne Öl-Pipeline vom Tschad nach Kamerun sammeln. tete. Umso mehr erschrak er, als seine schwangere Commission of inquiry Mit 4000 Dollar von Harvard und ein paar Kontakt- Frau Ruda, die sonst fast nie an seinen Arbeitsplatz adressen, die sie von Djiraibe bekommen hatten, tra- kam, plötzlich weinend vor seinem Schreibtisch fen sie während der Regenzeit in N’Djamena ein. stand. Zivilfahnder von Habrés gefürchteter politi- Djiraibe hatte ihnen in der katholischen Mission scher Polizei, der Direktion für Dokumentation und in N’Djamena eine unauffällige Unterkunft besorgt. Sicherheit (DDS), hatten nach ihm gefragt. Deshalb Nicolas wohnte bei den Priestern und Genoveva bei beschwor sie ihn in panischer Angst, sich zu verste- den Nonnen im Haus gegenüber. Sie gingen zu Fuß cken. Er versuchte sie zu beruhigen, doch da erschie-

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nen die Polizisten bereits in ihrem charakteristi- schen Toyota vor seinem Büro. Er musste sein Mo- torrad holen, ein DDS-Mann setzte sich auf den Rücksitz, und selbst zum Ort seiner Verhaftung fah- ren. Im Fond des Toyota hatte er noch seinen Cousin sitzen sehen, der bereits festgenommen worden war. Im DDS-Büro fragte ihn der stellvertretende Ge- heimdienstchef als erstes, welcher Religion er ange- höre. „Ich sagte, ich bin Christ. Und er sagte, er sei auch Christ und ich müsse ihm die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit. Andernfalls hätte er viele Möglichkeiten, mich dazu zu zwingen.“

in DDS-Mann fragte ihn, ob er wisse, warum man ihn hergebracht hatte. Als Guengueng das verneinte, bekam er eine Ohrfeige. Dann be- Eschuldigte man ihn, gemeinsam mit seinem Cousin habe er Habré-Gegnern Geld besorgt und Unter- schlupf gewährt, als er in Kamerun lebte. Während einer besonders unruhigen Phase im Tschad war die gesamte Belegschaft der Kommission vorüberge- hend nach Kamerun verlegt worden. Guengueng hat- te damals öfter Flüchtlinge aus dem Tschad bei sich aufgenommen. Doch der Vorwurf, er habe im Auftrag der Opposition subversive Elemente beherbergt, kam ihm so abwegig vor, dass er lachen musste. Daraufhin schlug ihm einer der Wachsoldaten seinen Gewehrkolben über den Kopf. Er wurde in eine Zelle geschleppt, und nun begannen seine zwei- einhalb Jahre in der Hölle. Der arglose Buchhalter wurde in drei verschiedenen Gefängnissen festgehal- ten, zuerst in Einzelhaft und dann in einer Gemein- schaftszelle, die so überfüllt war, dass man sich zum Schlafen erst hinlegen konnte, wenn ein anderer Häftling gestorben war. Das geschah freilich jede Nacht, und dann betteten sich die lebenden Insassen auf die Toten. Erst wenn fünf bis sechs Leichen zu- sammengekommen waren, hielten es die Wachmän- ner für angebracht, sie wegzuschaffen. Clément Abai- fouta, Guenguengs Freund und ehemaliger Zellenge- nosse, wurde vor kurzem in N’Djamena interviewt, und in seinem erschütternden Bericht erzählte er, wie er Tag für Tag Mitgefangene begraben musste, die entweder hingerichtet worden oder ihren Krank- heiten erlegen waren. Im Laufe von vier Jahren waren viele Hunderte zusammengekommen. Fast wäre auch Guengueng darunter gewesen. „Drei Mal war es so weit, dass ich nicht mehr weiterle- ben wollte“, erzählt er. „Ich war sehr krank.“ Wie viele andere politische Gefangene bekam er Malaria, Den- guefieber und Hepatitis. In seiner Zelle war es entwe- der vollkommen dunkel oder sie war monatelang rund um die Uhr hell beleuchtet. Während einiger Monate waren seine Beine gelähmt. Das Schlimmste kam, als er dabei erwischt wurde, wie er seine Mitge- fangenen zum Beten anhielt: Die Wachen hängten ihn an den Hoden auf. „Damals dachte ich: Was kann ich tun, wenn Gott mich rettet?“, sagt Guengueng, und er tat einen gehei- men Schwur: Wenn er am Leben bliebe, würde er es zu seiner Lebensaufgabe machen, Hissène Habrés Schandtaten an die Öffentlichkeit zu bringen. Als Bro-

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dys Abgesandte seine Geschichte hörten, waren die ten Papier für Guengueng, und in seinem Büro beiden Studenten den Tränen nahe. Und Guengueng schrieb er die Dokumente heimlich ab. Nicolas ver- hatte eine Überraschung für sie: Beweismaterial. steckte sie in der Wäschekammer des Klosters, aber In einem versteckten Winkel seines Hauses la- weder er noch Genoveva wussten, wie sie das Materi- gerten 792 Augenzeugenberichte, zu denen er seine al aus dem Tschad herausbringen sollten. Es einfach überlebenden Mitgefangenen in den Jahren nach in ihrem Fluggepäck zu verstauen, erschien ihnen zu Habrés Sturz hatte überreden können. Sie beziehen gefährlich. In der amerikanischen Botschaft bot ih- sich auf drei Phasen der Verfolgung ethnischer Min- nen jemand an, die Papiere als Diplomatenpost zu derheiten, an deren Loyalität Habré zweifelte. Die verschicken, aber irgendwie kam ihnen die Sache ver- Zeugen beschrieben eine ganze Palette von Folter- dächtig vor und sie ließen die Finger davon. methoden – Waterboarding, Ersticken mit Autoabga- Genoveva musste abreisen, bevor sie eine Lö- sen und die abscheuliche Methode, die als „Arbata- sung gefunden hatten. Ein paar Tage später fasste char“ bekannt ist: Arme und Beine werden auf dem Nicolas einen spontanen Entschluss. Obwohl es ris- Rücken so straff zusammengebunden, dass der kant war, zog er einen der älteren Priester ins Ver- Brustkorb sich extrem nach vorne durchbiegt. Bei trauen, packte die Papiere in seine Reisetaschen und manchen Opfern blieben Lähmungen oder dauer- ließ sich zum Flughafen fahren. Als er an den Schal- hafte Deformierungen zurück. ter von Air Afrique trat, um seinen Flug um ein paar Ehemalige Mitglieder des Regimes, die nach Hab- Tage vorzuverlegen, bereute er seine überstürzte rés Flucht in N’Djamena geblieben waren und weiter- Entscheidung. Der Angestellte inspizierte sein Ticket hin wichtige Positionen bekleideten, hatten irgend- misstrauisch und behauptete, es sei wohl gefälscht. wann von Guenguengs Projekt Wind bekommen und Während Nicolas mit ihm herumstritt und immer gedroht, ihn umzubringen. Deshalb versteckte er sei- nervöser wurde, bemerkte er, wie die Zollbeamten ne Unterlagen und wartete auf bessere Zeiten. Und beliebige Gepäckstücke öffneten und durchwühlten. nun war es so weit, erklärte er seinen Besuchern. Doch dann endete die absurde Auseinanderset- „Jetzt wussten wir, dass wir einen geeigneten Fall zung ebenso plötzlich, wie sie begonnen hatte. Nico- hatten. Wir waren begeistert“, erinnert sich Genoveva. las stellte sich mit seiner Tasche in die Warteschlan- „Wir glaubten, wir hätten zuverlässiges Beweismateri- ge und er hatte Glück – sie wurde nicht kontrolliert. al, auf das wir eine Klage stützen könnten.“ Aber Am nächsten Morgen landete er mitsamt seinen Do- gleichzeitig hatten die beiden auch Angst. Sie besorg- kumenten in Paris.

1982: Habré kommt an die Macht

as Maison de la d’Outre-mer im Pariser besonders unzufrieden, und manche von ihnen ent- Studentendorf La Cité Internationale Univer- wickelten sich in Paris zu linken Revolutionären. sitaire in Paris war während der postkolonia- Eine besonders eindrucksvolle Figur war damals Dlen Wende der späten 1960er und frühen 1970er Jah- Hissène Habré. Meistens sagte er nicht viel, aber re als „Afrikahaus“ bekannt. Hier kamen die jungen wenn es ihn überkam, konnte er zündende Reden Afrikaner zusammen, die an den verschiedenen halten. Er stammte aus einer Familie von Viehhü- Hochschulen der Stadt studierten. Sie diskutierten tern aus dem Norden. Ein französischer Offizier hat- über Marx, Fanon, Che Guevara und über die Bürger- te dafür gesorgt, dass der intelligente junge Mann kriege in ihren Heimatländern. Und sie begeisterten ein Stipendium am Institut des Hautes Études sich für revolutionäre Ideen. d‘Outre-mer in Paris bekam. Dort studierte er Politik Aus dem Tschad kamen nur wenige Studenten, bis zu seiner Promotion, doch er hatte immer vor, in aber sie waren politisch besonders engagiert. Die den Tschad zurückzukehren. „Er war ein sehr beson- französische Kolonialmacht hatte ihr Land 60 Jahre nener Typ und sehr rigoros in seinen politischen An- lang verkommen lassen. Der christliche Süden, in sichten. Damit eignete er sich für eine führende Rol- dem Baumwolle angebaut wurde, galt als „le Tchad le in der Bewegung, die der Hegemonie des Südens Utile“, der brauchbare Tschad; der dürre, hauptsäch- ein Ende setzen wollte“, sagt Acheikh Ibn-Oumar. Er lich von Muslimen bewohnte Norden wurde als „Le hatte einige Jahre lang mit Habré gemeinsam in Pa- Tchad Inutile“ abgeschrieben. Die Franzosen unter- ris studiert, bevor er in den Tschad zurückkehrte, wo nahmen nichts, um die heftigen Ressentiments zwi- auch er als Guerrillaführer und Politiker bekannt schen den verschiedenen Ethnien und Regionen ab- wurde. zubauen. So stand das Land am Rande des Bürger- Habré kam 1971 in die Heimat zurück. Für kurze kriegs, als sie es im Jahr 1960 seinem Schicksal über- Zeit arbeitete er im Staatsdienst, dann verschwand er ließen. Der erste Präsident des unabhängigen Tschad, in den endlosen, dürren Steppen des Nordens, um François Tombalbaye, wurde von großen Teilen der eine Miliz aufzubauen und den Grundstein für seine Bevölkerung abgelehnt. Da Tombalbaye aus dem Sü- politische Zukunft zu legen. Mit seinen Kämpfern den stammte, waren die Muslime aus dem Norden verschanzte er sich rund 500 Meilen nördlich der

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Hauptstadt in den Höhlen des nahezu unbesiedel- mit amerikanischen Unternehmen hatten ihm gi- ten Tibesti-Gebirges und machte sich einen Namen gantische Öleinnahmen beschert, mit denen er jetzt als kompromissloser Hardliner. 1974 schaffte er es in seine Expansionsgelüste in die Praxis umsetzen die Schlagzeilen der internationalen Presse: Er ent- konnte. Ihm schwebte eine panafrikanische Zukunft führte eine blauäugige französische Archäologin na- vor, und der Tschad war ein idealer Ausgangspunkt, mens Françoise Claustre und hielt sie fast drei Jahre um die aus der Kolonialzeit stammenden Grenzzie-

Zu Besuch bei Freunden: Im Juni 1987 empfängt der US-amerika- nische Präsident Ronald Reagan Hissène Habré im Weißen Haus. Corbis

lang als Geisel gefangen. Dann ermordete er einen hungen rückgängig zu machen. Er grenzt nicht nur französischen Offizier, der gekommen war, um über an Libyen, sondern auch an Niger, Nigeria, Kamerun, ihre Freilassung zu verhandeln. die Zentralafrikanische Republik und Sudan – da- Als Acheikh Ibn-Oumar im Tschad wieder mit Ha- mals noch ein wichtiger Bündnispartner der USA, bré zusammentraf, erlebte er ihn als einen Mann, der der nach Ägypten die meisten amerikanischen Hilfs- um jeden Preis an die Macht wollte. Um dieses Ziel zu gelder einstrich. erreichen, machte er N’Djamena beinahe dem Erdbo- Im November 1980 waren bereits um die 4000 den gleich. 1979 wurde durch Vermittlung der Nach- libysche Soldaten im Tschad einmarschiert, und im barländer aus elf verfeindeten tschadischen Grup- Dezember hatten sie zwei Drittel des Landes unter pierungen eine Übergangsregierung gebildet, in der Kontrolle, darunter auch die Hauptstadt N’Djamena. Habré Verteidigungsminister wurde. Bevor die vorge- Habré und seine Truppen flüchteten nach Sudan sehenen Wahlen stattfinden konnten, unternahm er und Kamerun. Im Januar 1981 gaben Oueddei und im März 1980 seinen ersten Versuch, sich mit Gewalt Gaddafi zur großen Bestürzung des Westens und sei- zum Präsidenten zu machen. Aus mobilen Stalinor- ner afrikanischen Bündnispartner bekannt, dass sie geln ging unter markerschütterndem Geheul ein eine Vereinigung des Tschad mit Libyen ins Auge ge- Trommelfeuer von Katjuscha-Raketen auf die Stadt fasst hätten. nieder. Das Unternehmen schlug fehl, doch die bluti- Auf der anderen Seite des Globus war Ronald Re- gen Kämpfe zwischen seinen Truppen und denen des agan zum amerikanischen Präsidenten gewählt wor- Interimspräsidenten Goukouni Oueddei dauerten den. Während der Geiselnahme von Teheran, an der mehr als neun Monate und kosteten rund 5000 sich sein Vorgänger Jimmy Carter bis zu den letzten Menschen das Leben, ohne dass das gespaltene Land Minuten seiner Amtszeit die Zähne ausgebissen hat- aus der Pattsituation herausfand. te, hatten die USA international an Prestige verloren, Doch dann rief Oueddei Muammar al-Gaddafi und diese Schlappe wollte Reagan wieder wettma- zu Hilfe, der sich damals zum wichtigsten Sponsor chen. Er erklärte den internationalen Terrorismus des Terrorismus entwickelte. Der libysche Diktator zur schlimmsten Gefahr für den Weltfrieden. Bereits war gerne bereit zu intervenieren. Seine Geschäfte eine Woche nach seiner Amtseinführung sagte er in

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einer Ansprache vor dem Weißen Haus: „Die Terro- nischen Geheimdienste in Bezug auf Saddam Hus- risten sollen wissen, das sie von unserer Seite mit seins mutmaßliche Massenvernichtungswaffen un- umgehender und effektiver Vergeltung rechnen tersucht hat. Schon in den frühen 1980er Jahren hat- müssen, wenn sie die Regeln des internationalen Zu- te er gute Kontakte bei der CIA, und er freute sich sammenlebens verletzen.“ über jede Gelegenheit, aus seinem Büro heraus zu Gaddafis Namen nannte Reagan nicht, aber das kommen. Die Zusammenarbeit mit Habrés Truppen machte keinen Unterschied. Schon bald unterzeich- zu koordinieren war für ihn die ideale Aufgabe. nete er eine geheime Verfügung: Gaddafi sollte daran „Damals nannte man mich ‚Charlie Tschad‘“, er- gehindert werden, die Kontrolle über den Tschad zu zählte er mir. 1982 hatte er einen Posten im Bureau übernehmen. So kam es, dass eines der ärmsten Län- of Political-Military Affairs, einem Ableger des Pen- der der Erde zum wichtigsten Schlachtfeld in der ers- tagon und der CIA innerhalb des Außenministeri- ten Phase des Krieges gegen den Terror wurde. ums, und arbeitete eng mit Chester Crocker zusam- Reagan stellte für die inoffizielle Unterstützung men, Reagans einflussreichem Direktor für Afrika- Habrés mehrere Millionen US-Dollar zur Verfügung – Angelegenheiten. Seine wichtigste Aufgabe war, sich ein Bruchteil der Summen, die im Lauf der folgenden mit einem Kontaktmann bei der CIA zusammenzu- Jahre in den Tschad fließen sollten. Doch zuerst tun, so viel Kriegsmaterial wie möglich zu erbetteln, musste Habré Präsident werden. Der CIA-Beauftragte zu borgen oder zu klauen und es zu Habré in den in Khartum, der französisch sprach, traf sich im Su- Tschad zu bringen. „Wir konnten alles Mögliche dan mit Habré und seinen Beratern und knüpfte die brauchen, aber nur ein Teil davon wurde in den USA ersten Kontakte. Bald flossen Waffen und Bargeld in hergestellt“, sagt Duelfer. „Die sowjetische Panzer- Habrés Rebellencamp an der Grenze zwischen dem faust RPG-7 zum Beispiel war super: Zielen und Tschad und Sudan. Mit Hilfe ihrer Verbündeten in der schießen, ganz einfach. Aber die konnten wir natür- Region schickte die CIA Material nach Khartum. An- lich nicht vom Pentagon bekommen, sondern wir schließend transportierte es der sudanesische Ge- mussten unsere Phantasie anstrengen und sie auf heimdienst, der zur CIA gute Beziehungen pflegte, anderen Wegen besorgen.“ Sein Partner bei der CIA mit der Bahn nach Nyala, dem ehemaligen britischen war Vietnamveteran und schon etwas älter, und er Verwaltungszentrum in Darfur. Dort wurde es von arrangierte den Kauf von Waffen aus den Warschau- Habré abgeholt und über die Grenze gebracht. er-Pakt-Staaten über Mittelsmänner beim ägypti- Dass Habré diese Unterstützung dazu benutzen schen und sudanesischen Geheimdienst. könnte, sein eigenes Volk zu terrorisieren, erregte Mit Hilfe von Crockers findigem Stellvertreter, keine Bedenken. „Aus drei Gründen wurden Men- dem bewährten Afrikaexperten James Bishop, be- schenrechtsprobleme damals fast gar nicht berück- diente sich Duelfer ausgiebig aus dem Waffenarse- sichtigt“, sagt ein ehemaliger CIA-Agent, der mit Ha- nal des Pentagon. „Das gefiel den Leuten im Penta- bré zusammengearbeitet hatte. „Erstens wollten wir gon gar nicht. Wir beschafften uns das rückstoßfreie die Libyer rausschmeißen, und Habré war der einzi- Geschütz M40 und alles, was wir sonst noch brau- ge, der uns dabei helfen konnte. Zweitens sprach au- chen konnten, und flogen es in den Tschad. Für die ßer der Geiselnahme der Französin Francoise Claust- Kosten musste das Pentagon aufkommen.“ Ihre erste re nichts gegen ihn, und diesbezüglich wollten wir große Lieferung bestand aus zehn Jeeps mit fest- ein Auge zudrücken. Drittens war Habré ein guter montierten Gewehren, und dazu gab es Spreng- und Kämpfer. Er brauchte keine Anleitung von uns, und Pfeilmunition. wir brauchten nichts weiter zu tun, als ihn mit Mate- In den nächsten Jahren sah der Flughafen von rial zu versorgen.“ N’Djamena manchmal aus wie die Rhein-Main-Air- base im kalten Krieg, sagte John Probst Blane, der m 7. Juni 1982 eroberte Habré mit 2000 von 1985 bis 1988 als amerikanischer Botschafter im Kämpfern die Hauptstadt N’Djamena zurück Tschad stationiert war. Auf der Startbahn reihten und rief im Tschad die Dritte Republik aus. sich die C-141 Starlifter und die Großraumtransport- VonA Anfang an wandte er brutale Gewalt an, um sei- flugzeuge C-5 Galaxy. „Wir unterhielten dorthin so ne Macht zu sichern: Er ließ Gefangene aus konkur- eine gewaltige Luftbrücke, wie Sie es sich kaum vor- rierenden Milizen hinrichten, politische Gegner stellen können“, erzählt Blane. wurden entführt und erschossen, Zivilpersonen, die Im Sommer 1983 erlebte Habré die erste größere er verdächtigte, mit seinen Gegnern zu sympathisie- militärischen Krise während seiner Präsidentschaft, ren, waren Repressalien ausgesetzt. Oueddei flüchte- als Oueddeis Truppen mit libyscher Unterstützung te nach Libyen, wo Gaddafi seine Truppen reorgani- eine Offensive im Norden des Tschad unternahmen sieren und neu bewaffnen sollte. Und bald brachten und die strategische wichtige Stadt Faya-Largeau er- amerikanische Transportflugzeuge des Typs C-141 oberten, Habrés Heimatstadt. Gaddafi entsandte pa- Starlifter die Waffen in den Tschad, die Habré für die ramilitärische Truppen und Jets der libyschen Luft- nächste Etappe seines Stellvertreterkriegs gegen Li- waffe, um Habrés Stellungen anzugreifen. „Nur zwei- byen benötigte. mal habe ich gesehen, wie Habré die Fassung verlor“, Dieses Projekt wurde von einem cleveren jungen sagt Peter Moffat, der dreieinhalb Jahre lang im Regierungsbeamten namens Charles Duelfer organi- Tschad war, zuerst als Geschäftsträger und dann als siert. Heute kennt man ihn vor allem als den Leiter Botschafter. Der Diktator bekam es offensichtlich der Survey Group, die die Irrtümer der amerika- mit der Angst zu tun.

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Anzeige Nun stellte das Trio Duelfer-Bishop-Crocker eine geheime Sendung zusammen, zu der unter anderem 30 Ein-Mann-Boden-Luft-Raketen vom Typ Redeye gehörten. Außerdem schickten sie amerikanische Ausbilder in den Tschad, um Habrés Truppen zu un- terstützen. Zwei AWACS Radarflugzeuge, Kampfflug- zeuge des Typs F-15 Eagle und Tankflugzeuge samt 600 Amerikanern, die Habrés Truppen Beistand leis- ten sollten, wurden in den Sudan entsandt, um die tschadische Gegenoffensive zu begleiten. Offiziell genehmigte Reagan eine Soforthilfe von 25 Millio- jetzt nen US-Dollar, und ein amerikanischer Diplomat reiste unauffällig nach Paris und versuchte, den da- starten! maligen Präsidenten François Mitterand als Verbün- anmeldeschluss deten Habrés zu gewinnen. am 31.08.2014! Unterdessen traf ein hochrangiger CIA-Agent in Nigeria mit einem Kontaktmann beim nigeriani- schen Geheimdienst zusammen und gab eine Be- stellung für mehrere Dutzend Toyota Hilux Pickups auf, die unauffällig an Habrés Truppen weitergelei- FERNSTUDIUM NEBEN DEM BERUF tet wurden. Die Fahrzeuge waren mit schweren Ma- schinengewehren bestückt und führten in Habrés NACHHALTIGE Gefechten mit den Libyern schließlich die Entschei- ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT dung herbei.

in Mann namens Zakaria, der seinen Nachna- AUSZUG DER STUDIENINHALTE men nicht genannt wissen wollte, kämpfte als ERNÄHRUNGSSICHERHEIT EVALUIERUNG VON 21-jähriger Wehrpflichtiger mit Oueddeis Trup- UND WASSERMANAGEMENT NACHHALTIGKEIT Epen in Faya-Largeau. Er sagte, er würde die Toyotas nie vergessen: Sie kamen in solch rasender Ge- GOOD GOVERNANCE NACHHALTIGKEIT IM schwindigkeit aus dem Norden daher und nahmen & CIVIL SOCIETY REGIONALEN KONTEXT die Rebellen derart heftig unter Beschuss, dass sie von Panik ergriffen wurden. Und dann erfolgte ein SOZIAL- UND NACHHALTIGER ebenso überraschender Angriff aus dem Süden, der UMWELTSTANDARDS TOURISMUS U. A. M. die zur Verstärkung anrückenden Truppen abfing und dezimierte. Zuvor hatte der amerikanische Ver- JETZT teidigungsnachrichtendienst Habré nach Luftauf- INFORMIEREN: nahmen gefertigte Zeichnungen zukommen lassen, www.zfuw.de auf denen die feindlichen Stellungen eingetragen waren. Oueddeis Truppen hatten keine Chance. Um ihren Sieg zu feiern, banden Habrés Männer ihre besiegten Gegner zusammen und schleiften sie gebündelt an den Stoßstangen ihrer Toyotas durch die Wüste, erzählte Zakaria. Dann erschien Habré in Zakaria verbrachte die nächsten viereinhalb Uniform und ließ Gefangene aus bestimmten Städ- Jahre in Habrés grauenvollem Gefängnis Maison ten vortreten, weil sie missliebigen Ethnien ange- d’Arrêt. Im Oktober 2012 kam der inzwischen über hörten. Zakaria konnte wegen seiner schweren Ver- 50-Jährige mit einem weißen Turban und einem letzungen nicht aufstehen und blieb deshalb am Le- langen Wüstengewand nach N’Djamena und bot ben. Etwa 150 Gefangene wurden auf Lastwagen ge- sich einer von der tschadischen Anwältin Delphine laden, in die Wüste gefahren und erschossen. Djiraibe mitbegründeten Menschenrechtsgruppe Eine Woche nach Habrés Sieg in Faya-Largeau als Zeuge an. Reed Brody und der französische An- schickte Gaddafi reguläre libysche Truppen in den walt Olivier Bercault, die gemeinsam die Klage ge- Kampf, wodurch sich der Konflikt dramatisch ver- gen Habré vorbereiteten, befragten ihn mehrere schärfte. Libysche Jets bombardierten Habrés Trup- Stunden lang. pen, und mit offener libyscher Unterstützung er- Er beschrieb, was in Faya-Largeau geschehen war oberten Oueddeis Truppen Faya-Largeau zurück und wie Habré persönlich die Hinrichtung von und besetzten den gesamten Norden des Tschad. Kriegsgefangenen befohlen hatte, und natürlich Nun entschied sich Paris, rund 3000 französische schilderte er, wie entsetzlich es im Gefängnis zuging. Fallschirmjäger zu entsenden, die entlang des 16. „Ich bin sehr gern bereit, als Zeuge gegen Hissène Ha- Breitengrads, etwa 200 Meilen nördlich von bré aufzutreten“, sagte Zakaria mir damals. „Alles, N’Djamena, eine Grenzlinie in den Sand zogen. Die was ich Ihnen gerade erzählt habe, möchte ich ihm Libyer blieben trotzdem noch jahrelang im Tschad. ins Gesicht sagen.“

| 6-2014 22 schwerpunkt habré vor gericht 2000: Die erste Anklage

er Fall Habré lief am Anfang sehr gut“, erin- Dakar, und der „Kardinal“ war Habré selbst. Die „Ju- nert sich Brody 14 Jahre, nachdem er ihn ange- biläumsfeier“ war die Einreichung der Klage, mit der stoßen hat. Ende Januar 2000 reichten Brody Habrés Opfer offiziell den Tatvorwurf der „Folter, Dund seine Kollegen im Senegal ihre erste Klage ein. barbarischer Verbrechen und Vergehen gegen die Schon einen Monat später wurde Habré angeklagt Menschlichkeit“ gegen ihn erheben würden. und verhört, und der Fall machte Schlagzeilen in der Die Klage stützte sich im Wesentlichen auf die Weltpresse. von Souleymane Guengueng gesammelten und in Nicolas Seutins Reisegepäck außer Landes ge- schmuggelten Aussagen der Opfer. Guengueng und sechs weitere Überlebende kamen mit dem Team in den Senegal und hielten sich für Zeugenaussagen zur Verfügung. Sie waren so ausgewählt worden, dass der Norden und der Süden des Tschad, die mus- limische und die christliche Bevölkerung und die von Habré besonders verfolgten Ethnien vertreten waren. Dank fingierter Einladungen zu einem Semi- nar in Dakar konnten sie ihre Ausreise organisieren, ohne Verdacht zu erregen. Das Team kam in einem schäbigen Hotel in Da- kar zusammen. Am Abend, bevor sie die Klage ein- reichen wollten, klopfte Guengueng an Brodys Tür. „Ein großer, magerer Mann; mit den dicken Augen- gläsern, die er damals trug, machte er einen ernsten und entschlossenen Eindruck“, so schildert ihn Bro- dy in seinen unveröffentlichten Aufzeichnungen, die ich einsehen durfte. „Jetzt stand sein Lebensziel vor der Verwirklichung: Hissène Habré vor Gericht zu bringen. Er erklärte mir, dass er diese Sache bis zum Ende durchziehen wolle, und wollte wissen, ob ich das auch vorhatte. Ich sagte ihm, es sei mir eine Ehre, mit einem Menschen wie ihm zusammenzuar- Reed Brody (zweiter von Während sie die Klage vorbereiteten, war ihre beiten, und versprach, alles zu tun, was ich konnte.“ links) im Januar 2000 auf größte Befürchtung, ihr Opfer würde Lunte riechen. Am 26. Januar reichten sie die Klage ein. Zwei dem Weg zum Gericht in Anfangs konnten sie noch nicht beurteilen, welche Tage darauf lud der Untersuchungsrichter die ange- Senegals Haupstadt Dakar, Leute Informationen an Habré weitergeben würden, reisten Tschader vor, und sie berichteten in einer um gegen Hissène Habré erklärte Brody. „Wir hatten wirklich Sorge, dass er nicht öffentlichen Sitzung über ihre Erlebnisse. Bro- Klage einzureichen. versuchen könnte, sich aus dem Senegal abzusetzen.“ dy hatte die Presse informiert. Als die Zeugen aus Seyllou diallo/AFP/getty Im Januar besprach Brody mit seinem Team in New dem Gerichtssaal kamen, wimmelte es von Journa- York, N’Djamena und Dakar in vielen verschlüsselten listen, die sie mit ihren Fragen bestürmten, und der Telefongesprächen und E-Mails, wie sie die „Priester Fall machte in ganz Afrika Schlagzeilen. aus Griechenland zu einer Jubiläumsveranstaltung Vier Tage danach erhob der Richter Anklage ge- zum Kardinal nach Rom“ bringen wollten. Dabei war gen Habré und stellte ihn vorübergehend unter „Griechenland“ der Tschad, die „Priester“ waren sorg- Hausarrest. Ein Leitartikel in der „New York Times“ fältig ausgewählte Personen aus demTschad, die Op- mit der Überschrift „Ein afrikanischer Pinochet“ ver- fer von Habrés Regime geworden waren. „Rom“ war kündete, dass nun endlich ein neues Kapitel in der

1982 1984 1986

7. Juni: Hissène Habré, Verteidigungsminister einer Übergangsregierung, stürzt Präsident Goukouni Oueddei und übernimmt die Macht im Tschad. Fortan versor- 15. April: Die USA fliegen Luftangriffe gen die Amerikaner Habré mit Waffen im Kampf gegen Libyens Regierungschef auf Libyens Hauptstadt Tripolis und Muammar al-Gaddafi, der mit Habrés Gegnern verbündet ist. September: Hissène Habrés Truppen andere Ziele. Sie reagieren damit auf löschen komplette Dörfer aus, einen Bombenanschlag in einer West- Amnesty International veröffentlicht erste Berichte über Morde und Folter im die zu regimefeindlichen Gruppen berliner Diskothek, den sie Gaddafi Tschad. gehören. anlasten.

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Entwicklung des internationalen Strafrechts einge- Prominente wie Samuel L. Jackson, Joan Baez und leitet worden sei. Nancy Pelosi um den bescheidenen afrikanischen Gleich danach bot der französische Botshafter Buchhalter, dem Brody stets zur Seite stand. Guen- im Senegal den tschadischen Zeugen vorläufiges gueng sprach sogar in der Kathedrale John the Divi- Asyl in Paris an; er war überzeugt, dass ihr Leben in ne in New York vor 1000 Zuhörern. Seine Leidensge- Gefahr wäre, wenn sie nach Hause zurückkehren schichte trug dazu bei, dass eine breite Öffentlichkeit würden. Alle warteten ab, was Guengueng dazu zu sich für das Verfahren interessierte. sagen hatte. Der Botschafter war tief beeindruckt, als Während der Reise wandte sich Brody an die Ini- Guengueng erklärte: „Bevor ich nach Dakar kam, um tiative für Folteropfer in der New Yorker Universi- diesen Fall vor Gericht zu bringen, war ich bereit zu tätsklinik Bellevue und erreichte, dass die Linsentrü- sterben. Morgen werde ich in den Tschad zurückge- bung in Guenguengs Augen operiert wurde. Die Be- hen, und falls sie mich töten, wenn ich aus dem Flug- handlung dauerte einige Monate, und in dieser Zeit zeug steige, werde ich als Held sterben.“ wohnte Guengueng bei den Brodys in Brooklyn, wo Guengueng blieb im Tschad am Leben. Human er sich bald zum Champion im Monopoly-Spiel ent- Rights Watch verlieh ihm einen mit 10.000 US-Dol- wickelte. Im Winter machte er erstmals mit dem lar dotierten Preis und lud ihn zu einer Vortragsreise Schnee Bekanntschaft und ging mit Brodys Sohn Zac in die USA ein, bei der Spenden für das Verfahren ge- Schlitten fahren. Als er in den Tschad zurückkehrte, sammelt wurden. Während hochkarätiger Veranstal- fühlte er sich hinreichend gestärkt, um sich weiter tungen in New York und Kalifornien scharten sich mit voller Kraft seiner Lebensaufgabe zu widmen.

1987: Der Sieg in der Wüste

m Abend des 14. April 1986 stieg ein Geschwa- Als Rechtfertigung für den Angriff diente der Ter- der von 58 amerikanischen Kampfflugzeugen roranschlag auf eine Westberliner Diskothek, bei dem von vier britischen Luftwaffenstützpunkten neun Tage zuvor zwei amerikanische Soldaten getötet Aauf und flog in der Dämmerung nach Süden. Wäh- worden waren. Ein Telex aus Tripolis war abgefangen rend die Bomber, die elektronischen Störflieger und worden, in dem libysche Agenten in Ostberlin zu einer die Tankflugzeuge einige Stunden später lautlos das erfolgreichen Aktion beglückwünscht wurden, des- Mittelmeer überquerten, katapultierten zwei ameri- halb wurde Gaddafi für die Tat verantwortlich ge- kanische Flugzeugträger weitere Kampfjets in die macht. Aber eigentlich hatte Präsident Reagan nur auf Nacht. eine Gelegenheit gewartet, endlich einmal zurückzu- Als es in der libyschen Hauptstadt Tripolis 1:50 Uhr schlagen. Bisher hatte seine Regierung auf eine Serie war, legten die Amerikaner zunächst die modernen terroristischer Angriffe in den frühen 1980er Jahren Radarsysteme von Gaddafis Luftabwehr mit elektroni- nicht weniger hilflos reagiert als die viel geschmähte schem Störfeuer lahm. Dann griffen die Kampfjets Regierung seines Vorgängers Jimmy Carter. verschiedene Ziele mit HARM- und Shrike-Raketen an. Der Stellvertreterkrieg, den Habré in Reagans Auf- Mehr als zwölf Minuten lang beschossen die amerika- trag führte, kostete nur einen Bruchteil der spektäku- nischen Bomber einen Flugplatz in Tripolis, eine liby- lären Operation Eldorado Canyon. Doch 200 Mal sche Marineakademie und die Festung Bab al-Azizia, mehr libysche Soldaten kamen darin um und Libyen in der sich Gaddafi mit seiner Familie aufhielt. Gleich- verlor militärische Ausrüstung im Wert von 1,5 Milli- zeitig flogen zwölf Kampfflugzeuge nach Bengasi und arden Dollar. Dieser Krieg wurde mit so einfachen Benina und zerstörten Kasernen und einen Fluglande- Mitteln geführt, dass die letzte Etappe der Kampf- platz. Etwa 37 Libyer, darunter auch Zivilisten, kamen handlungen schlicht „Toyota-Krieg“ genannt wurde. ums Leben, ebenso zwei amerikanische Offiziere, de- Dass Libyen die nördliche Hälfte des Tschad dau- ren Jagdbomber F-111 abgeschossen wurde. erhaft besetzt hielt, war für Habré ebenso demüti-

1987 1988 1990 1992

2. Januar: Habré vertreibt die Libyer aus dem Norden des Tschad. 3. August: Der Buchhalter Souley- 30. November: Habré wird von mane Guengueng wird von der tscha- Rebellen aus N’Djamena vertrieben 19. Juni: Der amerikanische Präsident dischen Geheimdienstpolizei DDS und flüchtet in den Senegal. Sein Eine Untersuchungskommission im Ronald Reagan empfängt Habré in festgenommen und als politischer ehemaliger Berater Idriss Déby wird Tschad wirft Habré systematische Washington. Gefangener eingesperrt und gefoltert. neuer Präsident. Folter vor.

| 6-2014 24 schwerpunkt habré vor gericht

gend wie Gaddafis Terroranschläge für die Regierung schwer bewachtes libysches Kommunikationszent- Reagan. 10.000 libysche Soldaten kontrollierten riesi- rum in Fada, indem sie die mit 1000 Mann besetzte ge Teile des Landes, und 1986 überquerten Rebellen Garnison von allen Seiten umzingelten und mehr- mit libyscher Unterstützung den 16. Breitengrad und fach blitzartig angriffen. Die Libyer konnten mit ihren näherten sich der Hauptstadt. Den Aouzou-Streifen sowjetischen T-55-Panzern und ihrer schweren Artil- im Norden des Landes hatte Gaddafi schon lange für lerie gegen diesen unkonventionellen Überfall nichts Libyen in Besitz genommen. Von hier aus flog seine ausrichten. Die tschadischen Truppen feuerten von Luftwaffe regelmäßige Einsätze über dem Tschad, ihren Pickups aus kurzer Entfernung panzerbrechen- und im tschadischen Wadi Doum errichtete er einen de MILAN-Raketen ab und vernichteten die Panzer- riesigen Luftstützpunkt, von dem aus er Habré an- fahrzeuge, die im Sand steckenblieben. In panischer greifen konnte. Angst flüchteten die libyschen Soldaten. Unterdessen Die Franzosen hatten Ende 1984 ein Abkommen versorgte der militärische Nachrichtendienst in Wa- mit Gaddafi getroffen und ihre Truppen zurückgezo- shington Habré mit aktuellen Luftaufnahmen von gen, doch jetzt schickten sie ein neues überwiegend Gaddafis Minenfeldern und Truppenbewegungen. defensiv ausgerichtetes Kontingent, bestehend aus Kampfflugzeugen, Spezialeinheiten und 1000 regulä- un entsandte Gaddafi drei Bataillone und ren Soldaten, mit dem sie noch heute in Mali operie- enorme Mengen an Waffen und Munition ren. Sie flogen einen kurzen Bombenangriff auf Wadi nach Wadi Doum. Schon bald verlor er zwei Doum und verschanzten sich dann in einer sicheren NPanzereinheiten mit 800 Soldaten, als sie von Wadi Stellung. Habré rieten sie, es ebenso zu machen und Doum aus ihre Garnison in Fada zurückzuerobern Gaddafi nicht zu einem Angriff auf N’Djamena zu versuchten und in einen Hinterhalt gerieten. Die provozieren. tschadischen Truppen verfolgten die Überlebenden Ein Soldat der tschadischen Doch Habrés amerikanische Freunde waren ande- zurück nach Wadi Doum und schossen sich den Weg Armee posiert im April 1987 rer Meinung. John Probst Blane, damals Botschafter, in den Stützpunkt frei. Innerhalb der Umzäunung nach dem Sieg über libysche erzählt: „Ich sprach fast jeden Tag mit dem Präsiden- von Wadi Doum attackierten die Tschader aus nächs- Truppen in Faya Largeau vor ten, zumindest aber drei bis vier Mal die Woche, und ter Nähe. Nach zwei Stunden waren 1300 Libyer und einem Portrait Muammar al- gemeinsam waren wir, wie mir scheint, recht erfolg- 200 Tschader gefallen. Gaddafis. reich. Es ging ihm in erster Linie darum, die Libyer Im September fielen Habrés Truppen in Libyen Dominique Faget/AFP/Getty rauszuwerfen – das war sein einziger Gedanke.“ Die ein. Mit einem Überraschungsschlag gelang es ihnen, Amerikaner verstärkten ihre Waffenlieferungen an die libysche Luftwaffe am Boden zu zerstören. „Sie Habré, und weil die Libyer den Luftraum über machten den Stützpunkt vollkommen platt. Alles war N’Djamena verletzten, bestellten sie bei ihrem dama- hinüber – alle Flugzeuge, die am Boden standen“, sagt ligen Verbündeten Saddam Hussein eine Blitzliefe- Blane. „Und offensichtlich hatten sie viele Leute dabei, rung von sowjetischen Flugabwehrraketen des Typs die Auto fahren konnten, denn sie brachten 600 SA-2, mit denen man einen Flughafen verteidigen LKWs zurück.“ Außerdem eroberten sie riesige Men- konnte, wie ein hochrangiger amerikanischer Beam- gen an Ausrüstung aus sowjetischen Beständen – ein ter sagte, der mit dem Geschäft zu tun hatte. Glückstreffer für den amerikanischen Geheimdienst. Habré gab jedoch keine Ruhe, bevor er nicht zwei „Damals wollte man dringend herauskriegen, wie die weitere attraktive Artikel aus dem amerikanischen sowjetischen Waffensysteme funktionierten, wie ef- Waffenarsenal bekam, die dort am schärfsten unter fektiv sie waren, welche Radiofrequenzen sie nutz- Verschluss gehalten wurden: die tragbare Ein-Mann- ten“, sagt Charles Duelfer. Nun gab es intakte Mi- Boden-Luft-Rakete FIM-92 Stinger und die drahtge- 25-Kampfhubschrauber, SA-6-Flugabwehrraketen lenkte Panzerabwehrrakete BGM-71 TOW. „Er lag uns und 2D-Radargeräte. Duelfer half mit, alles zu regist- ständig in den Ohren: Ich brauch Stingers, ich brau- rieren. Die wertvollsten Teile wurden verpackt und che TOWs, ich brauche Stingers, ich brauche TOWs“, mit riesigen C-5-Galaxy-Flugzeugen abtransportiert, sagt der Beamte. „Vielleicht hätten wir es nicht tun damit amerikanische und französische Experten sie sollen, aber schließlich gaben wir nach.“ auseinandernehmen und untersuchen konnten. Am 2. Januar 1987 startete Habré seine Gegenof- Nachdem Gaddafis Truppen in Wadi Doum aufge- fensive im Norden. Seine Truppen zerstörten ein rieben worden waren, bekam Blane ein Telegramm

1998 1999 2000

26. Januar: Brody reicht im Senegal eine Klage gegen Habré ein; Guengueng und Oktober: Der ehemalige Diktator Der Menschenrechtsanwalt Reed Bro- sechs weitere Opfer sagen vor Gericht aus. Senegals Gerichte erklären sich später Chiles Augusto Pinochet wird in dy aus New York nimmt Ermittlungen für nicht zuständig. England festgenommen und als im Fall Habré auf. Zwei Mitarbeiter erster ehemaliger Staatschef wegen reisen in den Tschad, dort treffen sie 30. November: In Belgien erstatten tschadische Opfer Strafanzeige gegen Habré. Foltervorwürfen vor Gericht gestellt. Souleymane Guengueng. Der Senegal weigert sich, den Ex-Diktator auszuliefern.

6-2014 | habré vor gericht schwerpunkt 25

aus Washington: Präsident Reagen wollte Habré im milien und dann gegen die gesamte Ethnie. Zwei Jah- Oval Office die Hand schütteln. Am 19. Juni 1987 tra- re später sagte sich Habrés enger Berater Idriss Déby fen die beiden im Weißen Haus zusammen. „Es lief von ihm los – mit der Folge, dass sein Volk der Zagha- wunderbar“, erinnert sich Blane, der 2012 verstarb, in wa nun ebenso brutal verfolgt wurde. Auch diesmal seiner mündlichen Geschichte der amerikanischen wurde die Zivilbevölkerung Opfer der kollektiven Ra- Diplomatie. „Meine Frau kam mit und kümmerte sich cheaktion. die ganze Zeit um Frau Habré. Also, es war ein voller Während dieser Zeit wurde Habré von der ameri- Erfolg. Habré und Reagan kamen bestens miteinan- kanischen Regierung und insbesondere vom Ge- der aus.“ heimdienst CIA weiter unterstützt – selbst dann Genauso überschwänglich äußerte sich Reagan noch, als das Interesse Washingtons an Libyen ab- selbst über diese Begegnung. „Wir glauben, die Erfolge nahm. Auch dass sich Hinweise von Gruppen wie in der tschadischen Wüste sind ein gutes Omen, das Amnesty Intenational auf die abscheulichen Vorgän- Frieden und Stabilität in Afrika verheißt“, sagte er. ge in den Gefängnissen des Tschad häuften, änderte „Präsident Habré hat mir heute versichert, dass er es nichts daran. Der Verdacht, dass Tausende Menschen als wichtige Aufgabe seiner Regierung ansieht, die Le- unter unsäglichen Bedingungen inhaftiert waren, bensbedingungen seines Volkes zu verbessern.“ und zwar direkt gegenüber dem Gebäude der ameri- Doch als Habré in den Tschad zurückkehrte, un- kanischen Behörde für Entwicklungszusammenar- ternahm er zwei der schlimmsten Repressionskampa- beit USAID, sollte sich später bewahrheiten, sagte der gnen seiner ganzen Regierungszeit. 1987 formierte amerikanische Botschafter Richard Wayne Bogosian, sich eine oppositionelle Bewegung um einen Offizier der im Tschad war, als Habré gestürzt wurde. Doch all aus dem Volk der Hadjerai, und die Regierung antwor- das konnte Hissène Habrés Position als Washingtons tete darauf mit einer brutalen ethnischen Säube- Partner in N’Djamena nicht erschüttern, denn „die rungswelle. Zuerst richteten sich die Angriffe gegen Beziehung hatte eine gewisse Eigendynamik entwi- die führenden Mitglieder des Stammes und ihre Fa- ckelt“.

2001: Ein Archiv der Folter taucht auf

eed Brodys erste Erfolge bei seiner Jagd auf His- Verpflichtung auf die Antifolterkonvention der Ver- sène Habré waren nicht von langer Dauer. Bald einten Nationen. wurde ihm klar, dass es eher von den politi- Das war nur der erste von vielen Rückschlägen. Rschen Umständen abhing als von den Gesetzen, ob Jacqueline Moudeina, eine der prominentesten Juris- der Diktator auf der Anklagebank landen würde. tinnen des Tschad und die Leiterin des Anwaltsteams, Am 4. Juli 2000, dem Tag, an dem die amerikani- das die Habré-Opfer vertrat, wurde überfallen und sche Unabhängigkeit gefeiert wird, spielte Brody schwer verletzt. Sie hatte im Namen von 17 Folterop- Softball bei einer Party in der Provinz des Staates New fern in N’Djamena Anzeige gegen sämtliche Mitglie- York, als er einen dringenden Anruf erhielt: Dem se- der von Habrés Sicherheitspolizei erstattet, und ehe- negalesischen Richter, der gegen Habré Anklage er- malige DDS-Beamte, von denen einige immer noch hoben hatte, war der Fall schon wenige Monate spä- hohe Regierungsämter bekleideten, wurden vorgela- ter entzogen worden. Offenbar sollte der Fall zu den den und vernommen. Derartiges war im Tschad noch Akten gelegt werden – und so geschah es tatsächlich. nie vorgekommen. Einer der Beschuldigten war unter Zuerst wies das Appellationsgericht die Klage zurück, Habrés Nachfolger Déby in eine leitende Stellung bei und im folgenden Jahr erklärte sich der oberste Ge- der Polizei aufgestiegen, und im Juni 2001 attackierte richtshof des Senegal als nicht zuständig für Habrés ein Polizist Jacqueline Moudeina mit einer Handgra- im Tschad begangene Verbrechen. Diese Entschei- nate, die zwischen ihren Beinen explodierte. Brody dung stand in eklatantem Widerspruch zu Senegals war damals in den USA, und er sammelte Geld, damit

2001 2009 2012 2013

Mai: Brody entdeckt weiteres Beweismaterial in einem ehemaligen 30. Juni: 22 Jahre nach seiner Flucht Foltergefängnis im Tschad. 19. Februar: Belgien wendet sich in den Senegal wird Habré in Dakar an den Internationalen Gerichtshof 20. Juli: Der IGH fordert den Senegal verhaftet und vor Gericht gestellt. Juni: Die Opferanwältin Jacqueline (IGH) in Den Haag, um den Senegal auf, Hissène Habré entweder selbst Voraussichtlich 2015 wird das Moudeina wird in N’Djamena über- zur Kooperation mit der belgischen vor Gericht zu bringen oder ihn Sondertribunal sein Urteil gegen den fallen und schwer verletzt. Justiz zu zwingen. auszuliefern. ehemaligen Diktator fällen.

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sie in Paris mehrfach operiert werden konnte. Außer- von Habrés politischer Polizei DDS aufnehmen, das Links: Aldoumngar Mbaidje dem mobilisierte er alle Journalisten, die er kannte, direkt nebenan lag. Boukar war Polizist, bis ihn Ha- um Druck auf den damaligen senegalesischen Präsi- Eigentlich hatte Brody sich von dieser Aktion nur brés Handlanger verschleppten denten Abdoulaye Wade auszuüben. „Ich wollte ihm erhofft, dass der Fall wieder einmal in den Medien er- und im Gefängnis „Piscine“ ein in dieser Sache keine Ruhe mehr lassen und dafür scheinen würde. Doch in dem alten Polizeigebäude halbes Jahr misshandelten. sorgen, dass man ihn auf Schritt und Tritt mit dem stand er auf einmal knietief in einem Berg von Akten, Fall konfrontierten würde“, sagt Brody. in denen Habrés unmenschliche Praktiken säuber- Mitte: Charlot Mbaireubeu wur- Vor allem aber prüfte er nun alternative Standor- lich dokumentiert waren. Tausende von zerknitter- de 15 Monate von der Geheim- te, an denen Habré vor Gericht gestellt werden könn- ten Seiten aus den Aktenschränken der Geheimpoli- polizei DDS gequält, seitdem ist te. Am 30. November 2000 erstatteten nach Belgien zei lagen lose auf dem Boden herum: Listen der Ge- sie schwer traumatisiert. emigrierte tschadische Opfer Strafanzeige in Brüssel. fangenen, Protokolle von Verhaftungen und Verhö- Sie beriefen sich darauf, dass Belgien 1993 das Welt- ren, Totenscheine und Spionageberichte – „ein Rechts: Haoua Matangar wuchs rechtsprinzip eingeführt hatte, nach dem auch Pino- aufgelöstes und vergessenes Archiv der dunkelsten als Tochter eines Folteropfers chet in England verhaftet worden war. Anfang 2002 Periode in der Geschichte des Tschad“, sagt Brody. Es auf. Der Staatsterror hat im hatte ein Brüsseler Richter mit einer Pferdeschwanz- traf sich gut, dass Débys Regierung Wert darauf legte, Tschad das Leben tausender frisur einen sensationellen Auftritt im Tschad, als er sich vom Habré-Regime zu distanzieren. Brody er- Familien zerstört. mit vier kräftig gebauten belgischen Polizisten und hielt die Genehmigung, die Dokumente zu kopieren. Victor Affaro einem Staatsanwalt nach N’Djamena kam, um in Der Dokumentarfilm über das ganze Unternehmen dem Fall zu ermitteln. Dass er darauf bestand, die wurde von dem Schweizer Journalisten Pierre Hazan ehemaligen politischen Gefängnisse zu inspizieren, als „Chasseur de Dictateurs“ – Jäger der Diktatoren – sollte sich als ein entscheidender Wendepunkt erwei- herausgebracht. sen, obwohl es noch weitere zwölf Jahre dauerte, bis diese Recherchen Wirkung zeigten. ie DDS-Akten ließ Human Rights Watch in Paradoxerweise stieß Brody während der langjäh- New York von einem unabhängigen Statistik- rigen Verzögerung auf weiteres erdrückendes Beweis- unternehmen auswerten. Dabei kam heraus, material. An einem heißen Tag im Mai 2001 stand er Ddass sie Daten von 1208 Gefangenen enthielten, die vor dem berüchtigten Piscine, einem Schwimmbad im Gefängnis gestorben oder hingerichtet worden aus der Kolonialzeit im Zentrum von N’Djamena, das waren, und von 12.321 Personen, die Opfer schwerer von Habrés politischer Polizei in ein unterirdisches Menschenrechtsverletzungen geworden waren. Au- Verlies umgewandelt worden war – wahrscheinlich ßerdem ging aus ihnen hervor, dass die Geheimpoli- das schlimmste unter allen geheimen Gefängnissen zei 1265 Mitteilungen über 898 Gefangene direkt an der Habré-Zeit. Brody brachte ein Team von Doku- Habré adressiert hatte. mentarfilmern mit und hatte der Regierung die Er- Ein Dokument war jedoch aus einem anderen laubnis abgerungen, mit ihnen die verlassenen Zel- Grund bemerkenswert: Es enthielt die Namen von len zu besichtigen. Sie nahmen die Graffiti auf den zwölf Personen, die 1985 einen speziellen Fortbil- Wänden des Piscine auf, um die stummen Hilfe- dungskurs in einer geheimen Einrichtung in der schreie der armen Seelen festzuhalten, die dort ein- Nähe von Washington D.C. besucht hatten. Es waren gesperrt gewesen waren. Und da sie schon dabei wa- zum Teil DDS-Leute und zum Teil Habrés persönliche ren, wollten sie auch das ehemalige Hauptquartier Bodyguards. Bandjim Bandoum, ein rundschädeliger,

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Anzeige untersetzter ehemaliger DDS-Agent, war einer von ihnen. Sein Name findet sich auf einer weiteren Liste. Eine nationale Untersuchungskommission des Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) Tschad versuchte im Rahmen der dortigen Möglich- keiten, die Verbrechen des Habré-Regimes aufzuklä- Bewerbungsschluss für das ren. Im Jahr 1992 nannte sie die Namen von 14 DDS- SEMINAR FÜR LÄNDLICHE ENTWICKLUNG (SLE) Leuten, die den politischen Gefangenen als beson- ders sadistisch aufgefallen waren und als Habrés 31. Juli 2014 „grausamste Folterknechte“ bezeichnet wurden. Einer Das Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE) der Humboldt-Universität davon war Bandoum. „Oft besuchte er das Gefängnis, zu Berlin bildet seit über 50 Jahren Nachwuchskräfte in einem einjähri- in dem ich festgehalten wurde, und scherzte mit den gen interdisziplinären Postgraduiertenstudium für die Internationale Frauen“, erzählt mir die ehemalige politische Gefan- gene Ginette Ngarbaye. „Aber in der Nacht kam er, Zusammenarbeit aus. um Leute abzuholen und sie zu töten.“ Die Inhalte des Studiengangs sind an den Erfordernissen des Berufsfeldes Bandoum vermied es, zu diesen Anschuldigun- orientiert. Planungs-, Management- und Kommunikationsmethoden sind gen direkt Stellung zu nehmen, als ich ihn 2012 in ei- neben aktuellen entwicklungspolitischen Themen zentraler Bestandteil nem Café beim Pariser Gare du Nord zwei Mal zum des Programms. Erfahrungslernen steht im Vordergrund. Methoden Gespräch traf. Zugleich wollte er die Welt offensicht- werden eingeübt und praktisch angewandt. Der Studiengang ist praxis- lich an seinem Insiderwissen teilhaben lassen. „Es bezogen und beinhaltet einen dreimonatigen Auslandsaufenthalt: wurden etwa 40.000 bis 45.000 Menschen getötet“, Lernprozesse werden durch das SLE-Team intensiv begleitet. sagte er, „und diese Leute zählen genauso viel wie ich. 90 Prozent der TeilnehmerInnen finden nach Abschluss einen Mir liegt daran, dass Habré vor Gericht kommt. Ich Arbeitsplatz im In- oder Ausland. kann Namen nennen und viele Dinge aufklären. Und ich bin auch bereit, mich dafür zu verantworten, was Voraussetzungen: ich selbst getan habe.“ - Abgeschlossenes Universitäts- oder Fachhochschulstudium Die Gäste am Nebentisch spitzten die Ohren und (Diplom oder Master) waren sichtlich schockiert, als sie zu hören bekamen, - Gute englische und deutsche Sprachkenntnisse sowie Kenntnisse wie die Geheimpolizei funktioniert und sich an den einer weiteren für die Internationale Zusammenarbeit relevanten Massenmorden mitschuldig gemacht hatte – etwa Sprache als Bandoum erzählte: „Viele Gefangene wurden - Tropentauglichkeit nachts unauffällig exekutiert.“ Oder: „Ich wusste, - Entwicklungspolitisches Interesse und Engagement dass man alle, die ich festnahm, foltern würde.“ Dann - Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedslandes oder eines beschrieb er, wie die Gefangenen, nachdem man sie Transformations-, Schwellen- bzw. Entwicklungslandes gefoltert hatte, einem Team von zehn bis zwölf DDS- Leuten vorgeführt wurden, die über ihr Schicksal ent- Dauer: Januar bis Dezember 2015 (inkl. Stipendium) schieden. Informationen und Bewerbungsunterlagen: Bandoum hatte sein Handwerk im Süden des www.sle-berlin.de Landes gelernt, wo die Bevölkerung erbitterten Wi- Telefon (030) 2093-6900 . Fax: (030) 2093-6904 derstand gegen Habré leistete, seit er 1982 die Macht Hessische Str. 1-2 . 10115 Berlin an sich gerissen hatte. Unter dem Befehl von Idriss [email protected] Déby, Habrés damaligem Oberkommandeur, wurden sowohl Rebellen als auch Zivilisten zu Tausenden ex- ekutiert. Da Bandoum aus dem Süden stammte und einen Cousin bei den Rebellen hatte, sollte er dort In- ten in Empfang genommen, die mit ihnen zum Dul- formationen sammeln und seine familiären Kontak- les International Airport bei Washington weiterflo- te dazu nutzen, zur Führung der Rebellen geheime gen. Dort bestiegen sie ein Privatflugzeug mit ver- diplomatische Verbindungen aufzubauen. dunkelten Fenstern. Auch in dem Bus, der sie vom Im September 1984 hatte er die Rebellen so weit Landeplatz zum Trainingslager brachte, waren die gebracht, dass sie zu einem Friedensabkommen be- Fenster geschwärzt. Nun wurden Bandoum und sei- reit waren. Doch als sie die Waffen niederlegten und ne Gefährten zehn Wochen lang von amerikanischen herbeikamen, um das Abkommen zu unterzeichnen, Ausbildern in französischer Sprache im Handwerk wurden sie von Habrés Soldaten niedergeschossen, der „Terrorabwehr“ unterwiesen. Sie lernten wie man erzählte Bandoum. Mit diesem Massaker begann die Sprengstoff identifiziert und mit ihm umgeht, wie schlimmste Phase der Massenmorde im Tschad. man Chemikalien, die zur Bombenherstellung die- Während des „Schwarzen September“ liquidierten nen, am Geruch erkennt, wie man Bomben aufspürt die Regierungstruppen ganze Dörfer, die verdächtigt und entschärft, Minen unschädlich macht und als wurden, mit den Rebellen zu sympathisieren. Von Bodyguard agiert. „Sie brachten uns bei, wie Terroris- Déby erfuhr Habré, wie erfolgreich sich Bandoum bei ten zu denken“, sagte Bandoum. diesen Gräueltaten engagiert hatte, und so wurde er Dass er selbst und seinen Kollegen die eigenen direkt danach in die USA geschickt. Landsleute terrorisierten und dass es keine gute Idee Der Kurs fand 1985 statt. Die Teilnehmer flogen war, ihnen dabei amerikanische Unterstützung zu- nach Paris und wurden von amerikanischen Beam- kommen zu lassen, spielte damals keine Rolle. „Es

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passierten viele schlimme Dinge“, erinnert sich Duel- gen und Verhören von Gefangenen derart zu, dass er fer. 1983 gab es einen Anschlag auf das Hauptquartier 1987 einen psychischen und physischen Zusammen- des U.S. Marine Corps in Beirut und eine Autobombe bruch erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert werden beschädigte die amerikanische Botschaft in Kuwait. musste. Er konnte über ein Jahr lang nicht mehr ar- Im März 1984 wurde William F. Buckley, der Chief-of- beiten und als er einen Pass beantragte, machte er Station der CIA, in Beirut entführt. Einen Monat spä- sich bei der DDS verdächtig. Er wurde in die Haupt- ter eröffneten libysche Agenten aus der inoffiziellen stadt gebracht und von einem Team von 15 Kollegen libyschen Botschaft in London das Feuer auf die Pas- einem „sehr aggressiven, sehr harten“ Verhör unter- santen; eine englische Polizistin starb und weitere zogen. Sie warfen ihm konspirative Machenschaften zehn Personen wurden verletzt. Im September 1984 gegen Habré vor und steckten ihn in eine Zelle ganz wurden im Suez-Kanal Minen gelegt. Möglicherweise in der Nähe seines ehemaligen Büros bei der DDS. steckte Gaddafi dahinter, ebenso wie hinter einer Kofferbombe, die in den Tschad geschickt wurde, um tets kurz vor Mitternacht wurden andere Gefan- Habré zu töten. Ein Jahr darauf starben mehrere gene aus Bandoums Zelle von drei bewaffneten Amerikaner, als Terroristen ein TWA-Flugzeug, eine Bewachern abgeholt und hingerichtet. Ban­ ägyptische Boeing 737 und eine Maschine der Kuwait Sdoum zermarterte sich den Kopf, wie er es schaffen Airlines entführten, den internationalen Flughafen könnte, eine Waffe an sich zu reißen und wenigstens Rom-Fiumicino angriffen und das Kreuzfahrtschiff einen zu töten, bevor er selbst sterben würde. Doch Achille Lauro in ihre Gewalt brachten. als sie ihn schließlich abholten, leistete er keinen Wi- Diese Welle von Terroranschlägen versetzte Präsi- derstand und ergab sich wehrlos seinem Schicksal. dent Reagan in Rage. Im Juli 1985 hielt er eine mili- Aber dann trat eine überraschende Wendung ein: Der tante Rede vor der amerikanischen Anwaltsvereini- Leiter des Gefängnisses erschien, umarmte Band- gung, in der er seine Prioritäten folgendermaßen de- oum und sagte ihm, er werde freigelassen. finierte: „Das amerikanische Volk wird Einschüchte- Drei Tage darauf ließ ihn der neue DDS-Chef zu rung, Terror und offene kriegerische Angriffe auf sich kommen und bot ihm einen Job an. Hätte er ab- unsere Nation nicht tolerieren. Wir werden diese An- gelehnt, wäre er wieder eingesperrt worden, und so Links: Reed Brody findet 2001 im griffe nicht dulden, vor allem nicht von Schurken- nahm Bandoum seine Tätigkeit wieder auf. Aber er Hauptquartier der Geheimpoli- staaten, die von der absonderlichsten Ansammlung nutzte seine Kontakte in der französischen Armee zei Beweismaterial. Souleymane von Asozialen, Geisteskranken und schmutzigen Kri- und gab ihnen von nun an Informationen weiter. Ha- Guengueng (Mitte Links) hilft minellen seit dem Dritten Reich regiert werden.“ brés einstige Förderer in Paris waren nämlich mit der bei der Auswertung. Nun erwiesen sich Bandoums in den USA erwor- zunehmenden Brutalität seiner Diktatur nicht mehr Reed Brody bene Fertigkeiten offenbar für beide Seiten als nütz- einverstanden und wollten erfahren, was es mit den lich: Er wurde zum Chef der Terrorbekämpfungsab- Massengräbern, den Hinrichtungen und den Strafla- Mitte Rechts: Habré 2013 nach teilung bei der DDS befördert und beschlagnahmte gern auf sich hatte. Im Jahr 1990 brachten sie Band- einer Gerichtsanhörung in Dakar. persönlich eine libysche Kofferbombe, worauf ein oum außer Landes. AFP/Getty Images CIA-Mann namens John zu ihm ins Büro kam, um Doch Bandoum konnte seine Vergangenheit ihm zu danken und die Bombe abzuholen. nicht abschütteln. Unter den Tschadern in Paris war Rechts: Mitglieder des Sonder- Doch Bandoum war auch für weniger edle Aufga- er als ehemaliger Folterknecht bekannt, und so sah tribunals erklären die Gründe ben zuständig, und schließlich setzte ihm das Einfan- er sich ständigen Vorwürfen und Bedrohungen aus- für die Verhaftung Habrés. p icture alliance / dpa

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gesetzt. Ende 2001 oder Anfang 2002 traf er schließ- zu geben, sollte Brodys Team es schaffen, den Fall vor lich auf Dobian Assingar, einen bekannten Men- Gericht zu bringen. schenrechtsaktivisten aus dem Tschad, der sich Reed Im Juli 2008 setzte sich Bandoum im Pariser Brodys Team angeschlossen hatte und den seine Ar- Büro von Human Rights Watch insgesamt 15 Stunden beit am Fall Habré regelmäßig nach Paris führte. „Ich mit Brody und anderen Mitgliedern des Anwalts- habe Sie beobachtet und verfolgt, was Sie in dieser teams zusammen und erläuterte die Berge von Do- Sache unternehmen“, erklärte ihm Bandoum. „Ich kumenten, die Brody im Hauptquartier der Geheim- war an den Verbrechen beteiligt, mit denen Sie sich polizei gefunden hatte. Dann gab er ein ausführli- befassen.“ ches Statement ab, in dem er die direkten Verbindun- Bandoum lud Assingar zu sich nach Hause ein. gen zwischen dem Diktator und der DDS detailliert Assingar hatte Bedenken, weil Kollegen ihm davon aufzeigte. „Es gibt in diesem Fall nicht das eine ent- abgeraten hatten, aber dann konnte er doch nicht wi- scheidende Dokument, in dem Habré befiehlt: ‚Geht derstehen. „Das war für uns eine einmalige Gelegen- und tötet diese Leute‘“, erklärt Brody. „Aber Bandoum heit“, sagt er mir. Bandoum machte ihm etwas zu es- kann nachweisen, dass die Dokumente Habré direkt sen, und nach vielen Stunden und noch mehr Ge- ausgehändigt wurden und dass er über alles genau tränken willigte Bandoum ein, als Zeuge gegen Habré Bescheid wusste. Hunderte dieser Schreiben sind an aufzutreten. Als ich ihn in Paris interviewte, bestätig- Habré adressiert. Bandoum kann bestätigen, dass sie te er seine Bereitschaft, über seine Beteiligung an Ha- vom DDS-Chef persönlich überbracht wurden, und brés Verbrechen vollständig und detailliert Auskunft so wissen wir auch, dass er sie gelesen hat.“

2013: Endlich geht der Prozess voran

m Morgen des 30. Juni 2013 verhafteten sene- sehen Habrés Opfer endlich einen Lichtstreifen am galesische Polizisten Hissène Habré in seiner Horizont.“ Wohnung in Dakar, wo er 22 Jahre lang höchst Habré war nicht bereit, mir für diesen Artikel ein Akomfortabel im Exil gelebt hatte. Es wurden ihm Ver- Interview zu gewähren, und ließ alle Anfragen durch brechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen seine Anwälte ablehnen. François Serres, einer seiner und Folter zur Last gelegt. Er wird in einem proper in Pariser Anwälte, teilte mir mit, dass sein Mandant Stand gesetzten Gefängnis in Dakar festgehalten, bis alle gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe zurückweise. vor einem eigens für dieses Verfahren geschaffenen, Dass die Regierung Obama dieses Verfahren aus- in das senegalesische Justizsystem eingebundenen drücklich befürwortet, bezeichnete er als den Gipfel Sondertribunal gegen ihn verhandelt wird. Das wird der Scheinheiligkeit. In einem an die damalige Au- wahrscheinlich noch bis 2015 dauern. „Die Mühlen ßenministerin Hillary Clinton adressierten Schrei- der Justiz sind angelaufen“, sagte Brody am Tag der ben vom 4. Juli 2012 verurteilte er die amerikanische Verhaftung des früheren Diktators. „Nach 22 Jahren Position, die in einer im Monat zuvor an den Kon-

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gress gerichteten Stellungnahme des Außenministe- wie es die vorige Regierung gemacht hatte“, erklärte riums zum Ausdruck kommt. Er schrieb: „Dies ist kei- mir Aminata Touré, die damalige Justizministerin ne faire und unvoreingenommene Sicht des Verfah- und jetzige Premierministerin, die auch als „Mimi rens. Vermutlich basiert sie auf den falschen Infor- the Storm“ bekannt ist. „Wenn wir A sagen, müssen mationen, die von zahlreichen Organisationen wir auch B sagen.“ verbreitet werden, unter anderem von Human Rights Dann verkündete der IGH am 20. Juli 2012 seine Watch. Vor allem der Sprecher dieser Organisation einstimmige Entscheidung, mit der Senegal angewie- führt trotz einiger gerichtlicher Verfügungen seit ei- sen wurde, Hissène Habré ohne weitere Verzögerun- nem Jahrzehnt mit Unterstützung der gegenwärti- gen vor ein geeignetes senegalesisches Gericht zu gen tschadischen Machthaber eine schändliche Kam- bringen oder ihn auszuliefern. Jetzt war Guengueng pagne gegen Hissène Habré und verstößt damit ge- zufrieden: „Heute sind wir der Gerechtigkeit einen gen die Menschenrechte.“ Schritt näher gekommen – meine Freunde, die gefol- tert wurden, die Menschen, die im Gefängnis umge- s ist den Belgiern zu verdanken, dass Brody die kommen sind und all diejenigen, die die Hoffnung Mühlen der Justiz endlich in Bewegung setzen nicht aufgegeben haben.“ konnte. 2003 war das belgische Gesetz, dem zu- Im Dezember reiste Brody in den Tschad. Er woll- Efolge im Strafrecht das Weltrechtsprinzip gelten sollte, te dabei sein, als vier Ermittlungsrichter aus dem Se- heftiger Kritik ausgesetzt. Sie kam vor allem aus den negal nach N’Djamena kamen, um Zeugenaussagen USA, nachdem gegen den ehemaligen Präsidenten aufzunehmen – ein wichtiger erster Schritt in dem George W. Bush, gegen Colin Powell und gegen den Verfahren. Jetzt glaubten viele von Habrés Opfern ehemaligen Verteidigungsminister Dick Cheney we- aus dem Tschad zum ersten Mal daran, dass ihm tat- gen eines Bombenangriffs auf einen Zivilschutzbun- sächlich der Prozess gemacht würde, und waren des- ker in Bagdad 1991, während des Golfkriegs, Anklage halb bereit, gegen ihn auszusagen. Die Richter führ- erhoben worden war. Auf Druck der Amerikaner wur- ten über 1000 Befragungen durch. In Begleitung fo- de das belgische Gesetz im August 2003 außer Kraft rensischer Archäologen suchten sie Massengräber gesetzt. Doch das Verfahren gegen Habré hatte bereits auf und inspizierten eine Farm im Süden des Tschad, begonnen und konnte fortgesetzt werden. wo Habrés Soldaten Hunderte von Rebellen massak- Als Senegal Habrè trotz mehrerer Aufforderun- riert haben sollen, die sich ihnen ergeben wollten. gen nicht auslieferte, wandte Belgien sich 2009 an „Dies könnte sich als ein Wendepunkt in der Ge- den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, schichte der afrikanischen Justiz erweisen“, sagt Bro- um Dakar zur Kooperation zu zwingen. „Wenn man dy. „Wenn im Fernsehen ein Verfahren vor einem afri- den IGH einschaltet, kommt das auf der Ebene der kanischen Gerichtshof gezeigt wird, in dem afrikani- Rechtsprechung einer Kriegserklärung gleich“, sagt sche Opfer einen afrikanischen Diktator zur Verant- Brody. Im März 2012 trat das Gericht endlich zusam- wortung ziehen, macht das einen tiefen Eindruck auf men und prüfte, ob die Klage als begründet anzuse- die Menschen. Wer zu hoffen begann, als das Gesetz hen sei, um dann eine für den Senegal bindende Ent- die Möglichkeit bot, Pinochet zu verhaften, kann jetzt scheidung zu treffen. noch mehr Hoffnung schöpfen, wenn gezeigt wird, Human Rights Watch brachte Souleymane Guen- wie Souleymane Guengueng im Zeugenstand steht gueng aus New York nach Den Haag. Das Dossier, das und wie Jacqueline Moudeina Hissène Habré ins Brodys Team den belgischen Juristen für ihre Arbeit Kreuzverhör nimmt, obwohl sie noch immer Schrot- an dem Fall zur Verfügung stellte, enthielt die von kugeln im Bein hat.“ Guengueng gesammelten Zeugenaussagen von Op- Der amerikanische Präsident Barack Obama hat fern, die Papiere aus dem DDS-Archiv und eine Reihe sich erfreut darüber geäußert, dass der Senegal Hab- von Rechtsgutachten, die das Team seit der ersten ré strafrechtlich verfolgen will, und die USA haben Klage gegen Habré in Dakar eingeholt hatte. eine Million US-Dollar als Beitrag zur Finanzierung „Dass die Verbrechen, derer Habré beschuldigt des Verfahrens in Aussicht gestellt. Allerdings hat wurde, in allen Einzelheiten laut vorgelesen wurden auch die Obama-Regierung repressive Regierungen und im Prinzip von beiden Seiten und vom höchsten unterstützt, wenn dies im Interesse der USA zu liegen Gericht der UN als Tatsachen akzeptiert wurden, war schien. Und als sie im Jahr 2011 den libyschen Rebel- schon ein gewisser Erfolg“, sagt Brody. Er verfolgte die len dabei half, Gaddafi zu stürzen, brachte sie zu Verhandlungen mit einer Gruppe von Praktikanten Ende, was sich Präsident Reagan schon vor drei Jahr- und half den belgischen Anwälten, die Schriftsätze zu zehnten vorgenommen hatte. Wenn Washington erarbeiten, mit denen sie auf die Stellungnahmen sich jetzt für Gerechtigkeit im Tschad einsetzt, könn- des Senegal reagierten. te man als Zyniker behaupten, die Amerikaner woll- Kurz darauf trat eine vielversprechende politi- ten nur davon ablenken, dass sie jahrzehntelang ei- sche Veränderung ein. Im Senegal wurde Macky Sall nen blutrünstigen Diktator unterstützt haben. Seit zum Präsidenten gewählt, ein junger Politiker, der dem 30. November 1990, als Habré ins Exil ging, ver- zum Durchgreifen entschlossen war. Gleich nach sei- suchen sie darüber Gras wachsen zu lassen. ner Amtsübernahme erklärte Sall, er wolle für Rechts- An jenem Abend, kurz bevor N’Djamena Idriss staatlichkeit sorgen und deshalb solle Habré im Se- Débys Rebellen in die Hände fiel, begab sich David negal vor Gericht gestellt werden. „Wir wollten nicht Foulds von der amerikanischen Botschaft eilends in länger wie die Katze um den heißen Brei schleichen, ein vor der Stadt gelegenes Trainingslager der CIA.

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Dort befand sich nämlich eine „fünfte Kolonne“ von dieser während des ganzen Verhörs über sein Walkie- etwa 200 bewaffneten Libyern, die er schleunigst Talkie Anweisungen von Habré entgegennahm. evakuieren musste, bevor sie Débys Truppen in die Gali ist ein kräftiger, unkomplizierter Mann mit Hände fielen. Er nahm ihnen die Waffen ab, lud die einem Lockenkopf, der gerne lacht, aber während er Männer auf Lkws und fuhr sie zum Flughafen. Dort mir von seinen Erlebnissen erzählt, hat er Tränen in wurden sie so eng in die wartenden amerikanischen den Augen. „Selbst jetzt habe ich noch Angst, wenn Starlifter gepackt, dass sie stehend ausgeflogen wer- ich mit Ihnen darüber rede. Man beobachtet mich – Michael Bronner den mussten. Über die Stinger-Raketen, die Habré das alles ist sehr gefährlich. Habrés System hat die ist Journalist, Drehbuchautur und aus den USA bekommen hatte, wurde Stillschweigen ganze Bevölkerung gespalten; das soziale Gefüge ist Filmemacher. Zuletzt wirkte er bei der bewahrt. Schließlich tauchten sie vollzählig in einem zerrissen. Auch jetzt ist unser Leben noch von His- Produktion des Actionthrillers „Captain Versteck unter dem Treppenhaus des tschadischen sène Habrés Regime geprägt.“ Phillips“ mit. Für diesen Artikel recher- Verteidigungsministeriums wieder auf. Wir sollten uns die Ereignisse im Tschad als War- chierte er mit Unterstützung des Inves- Hisséne Habré hinterließ sein Land in Scherben, nung dienen lassen, meint Charlie Duelfer. „Hat all tigative Fund des Nation Institute und sowohl in physischer wie in moralischer Hinsicht. das Gaddafi überhaupt geschadet? Ich weiß nicht“, der PuffinF oundation. Im Original ist Sein Regime kostete Zehntausende Tschader das Le- sagte er nachdenklich, als wir vor Kurzem in einem sein Beitrag in der Zeitschrift „Foreign ben – sie wurden ermordet oder sie fielen im Kampf irischen Pub in der Nähe des UN-Gebäudes beim Es- Policy“ erschienen. gegen Libyen. Einer von Habrés Opfern, ein Oppositi- sen saßen. „Hätte es irgendeinen Unterschied ge- onspolitiker namens Gali Gatta N’Gothe, vermittelte macht, wenn wir gar nichts unternommen hätten?“ mir einen lebhaften Eindruck davon, in welcher Form Obwohl Hissène Habré etwa 10.000 libysche Solda- der damalige Terror noch jetzt weiter wirkt. Gali hat- ten tötete, blieb Gaddafi noch zwanzig Jahre lang an te seinen Posten als Berater des Diktators aus Protest der Macht. „Wenn man zehn Jahre später all unsere niedergelegt. 1990 wurde er verhaftet, weil er die Ver- Operationen betrachtet, muss man sich doch fragen: teilung von Flugblättern organisiert hatte, die zur Be- Was haben sie gebracht? Nehmen wir Vietnam, neh- endigung der Repression und der Auflösung der men wir den Irak zehn Jahre danach. Bin Laden? Der Gheimpolizei aufriefen. Er wurde brutal gefoltert Krieg gegen den Terror? Im Lauf von zehn Jahren hat und inhaftiert, sowohl im Piscine als auch in der Gen- es uns eine Billion Dollar gekostet, ihm eine Kugel in darmerie, einem Gefängnis, in dem auch Guengueng den Kopf zu jagen. Das halten alle für einen Riesener- ein Jahr zugebracht hat. Einmal wurde Gali vom Chef folg. Ich bin mir da nicht so sicher.“ der DDS vernommen und beobachtete dabei, dass Aus dem Englischen von Anna Latz.

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