II. BÜRGERKRIEG UND BIBLIZISMUS

Ye will find a verrie near paralel betuixt Izrael and this churche, the only tuo suorne nations to the Lord. (Johnston, Diary I, S. 344)

1. Schottland auf den Spuren des Volkes Israel

a) Der National Covenant Am 28. Februar des Jahres 1638 trafen sich zahlreiche einflußreiche schottische Adlige und Gutsbesitzer in der Greyfriars Kirk in Edinburgh, um durch ihre Un- terschrift unter den Text der eigens hierfür verfaßten Confession of Faith einen Bund mit Gott einzugehen.1 Es folgten am nächsten Tag die Unterschriften von dreihundert Predigern sowie an den beiden darauffolgenden Tagen die der Stadt- bevölkerung von Edinburgh. In ganz Schottland war die Bevölkerung dazu auf- gerufen, dem Beispiel Edinburghs zu folgen und dem National Covenant beizu- treten.2 Die Namen der Unterzeichner wurden ebenso protokolliert wie die Na- men derjenigen, die sich weigerten, diesen Schritt zu vollziehen.3 Der gedruckte Text der Confession of Faith hatte allein im Jahr 1638 zehn Auflagen und verbrei- tete sich schnell in ganz Schottland. Dieser National Covenant markiert in Schottland den endgültigen Bruch mit der Regierungspraxis Karls I. Nachdem der Versuch des Königs, das in England gebräuchliche Book of Common Prayer auch in Schottland in nur wenig modifi- zierter Gestalt zur Grundlage des Gottesdienstes zu machen, bereits am 23. Juli 1637 in Edinburgh zu Tumulten geführt hatte, ließ sich der Graben zwischen den Erwartungen des Königs Karl auf weitgehende Konformität der englischen und der schottischen Kirche einerseits und dem in der schottischen Kirche und Ge- sellschaft verbreiteten Wunsch nach der Reinhaltung ihrer reformierten Kirche vor jedweden Elementen scheinbar katholischer Provenienz andererseits nicht mehr schließen. Der Bundesschluß des schottischen Volkes mit Gott suchte die schottische Nation in dem offen ausgesprochenen Wunsch nach Abwehr aller als

1 Sir , einer der wichtigsten Initiatoren des Bundes, spricht vom „glorious marriage day of the Kingdome with God“; Sir Archibald Johnston of Wariston, Diary, hrsg. v. David Hay Fleming u. a., 3 Bde., Edinburgh 1896–1940, hier Bd. 1, S. 321 f. 2 Zu den Ereignissen vgl. David Stevenson, The Scottish Revolution 1637–1644. The Triumph of the Covenanters, Worcester/London 1973, S. 82–84; David Hay Fleming, The Subscribing of the National Covenant, Edinburgh 1912; , Letters and Journals, hrsg. v. David Laing, 2 Bde., Edinburgh 1841–42, hier Bd. 1, S. 78 f.; Johnston, Diary, Bd. 1, S. 322–325. 3 Vgl. Morrill, Covenant, S. 14 f.

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Neuerungen deklarierten Eingriffe in die Religionsausübung der schottischen Kirk zu einen: gegen den König, der für diese Neuerungen verantwortlich war und der das Book of Common Prayer in Schottland als königliches Edikt in Kraft zu setzen suchte.4 Es kann nicht verwundern, daß im Dokument des National Covenant selbst von einem Bruch mit dem König nicht die Rede ist. Vielmehr waren die Autoren bestrebt, ihren folgenreichen Schritt so weit wie nur irgend möglich abzusichern durch die Anknüpfung an die schottische Rechtstradition. Die Covenanters in- szenierten ihren Bund als Wiederbelebung des Bundes, der im Jahr 1581 von Kö- nig Jakob selbst initiiert wurde und als King’s Confession in die Geschichte ein- ging. Der Text dieses Bekenntnisses, der seinerzeit zuerst vom König selbst und seinem Hofstaat und anschließend von der überwiegenden Mehrzahl der Schot- ten unterzeichnet wurde, wird in vollem Wortlaut wiedergegeben und bildet da- mit zugleich den ersten Teil des National Covenant. In diesem Bekenntnis hatte der König geschworen, den römischen Antichristen vollständig in der schotti- schen Kirche auszumerzen, mit all seinen Riten, Zeremonien und seiner falschen Lehre. Diese Agenda machten sich die Covenanters zu eigen. Des weiteren sollte eine Auflistung einer beeindruckenden Zahl von Parlamentsbeschlüssen, die der- selben Agenda verpflichtet waren, gleichfalls belegen, daß sich die Covenanters auf dem festen Boden der schottischen Rechtstradition befanden.5 Den Covenanters dienten diese Präzedenzfälle als Ermutigung, dem Beispiel König Jakobs zu folgen und ihrerseits einen Bund mit Gott einzugehen, im Rah- men dieses Bundes das politische Anliegen zu formulieren und mit einem Eid zu beschwören.6 Obzwar sie in ihrer Rhetorik um Zurückhaltung bemüht waren, wurde mit dem Bundesschluß gleichwohl der Gehorsam zu Karl I. faktisch auf- gekündigt, zumindest an ihm unannehmbare Bedingungen geknüpft. In ihrem Eid schwören die Covenanters zunächst, die Religion des Landes gegen alle „cor- ruptions“ zu verteidigen. Dies bezog sich zunächst sicherlich auf die Einführung des Book of Common Prayer. Zugleich sollten aber auch alle in der Vergangenheit eingeführten Neuerungen in der Liturgie annulliert werden, sofern sie nicht von „free assemblies“ und vom Parlament verabschiedet worden waren. Damit waren

4 Allan I. Macinnes, Covenanting Ideology in Seventeenth-Century Scotland, in: Jane H. Ohlmeyer (Hrsg.), Political Thought in Seventeenth-Century Ireland. Kingdom or Colony, Cambridge 2000, S. 191–220; Ders., Charles I and the Making of the Covenanting Moment 1625–1641, Edinburgh 1991, S. 158–173; J. B. Torrance, The Covenant Concept in Scottish Theology and Politics and its Legacy, in: Scottish Journal of Theology 34 (1981), S. 225–243; S. A. Burrell, The Covenant Idea as a Revolutionary Symbol: Scotland, 1596–1637, in: Church History 27 (1958), S. 338–350. 5 Die Auswahl der den Covenant legitimierenden Parlamentsbeschlüsse war wesentlich das Werk von Sir Archibald Johnston, Lord Wariston, der zu einem der wichtigsten Politiker der Covenanters aufsteigen sollte. Er verfaßte den Text des Covenant; vgl. John Coffey, Sir Archibald Johnston, Lord Wariston, in: ODNB 30 (2004), S. 338–346. 6 The Confession of Faith of the Kirk of Scotland, Edinburgh 1638, hier zitiert in: W. Croft Dickinson/Gordon Donaldson/Isabel A. Milne (Hrsg.), A Source Book of Scottish History, 3 Bde, London u. a. 1953, hier Bd. 3, S. 95–104.

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nicht nur alle unter Karl I. erlassenen Weisungen mit einem Schlag annulliert, sondern auch kirchenpolitische Neuerungen seines Vorgängers Jakob VI. standen nun in Frage, sofern die Covenanters die General Assemblies, die diesen Neue- rungen zustimmten, nicht als frei einstuften.7 Als weiteres Ziel formulierten die Covenanters, man wolle „the Kings Majesty, his Person and Authority, in the defence and preservation of the foresaid true Religion, Liberties and Lawes of the Kingdome“ verteidigen. Gilt die Verteidigung des wahren Glaubens uneinge- schränkt, so ist die Verteidigung der Königsherrschaft an eine klare Bedingung geknüpft, nämlich, die Religion Schottlands unangetastet zu lassen.8 Die Verteidi- gung richte sich „against all sorts of persons whatsoever“.9 Sollte sich daher der König nicht zum Schutz der in Schottland etablierten Glaubenspraxis bereit er- klären, sondern im Gegenteil weiter an der Einführung der Neuerungen festhal- ten, so müßte man den wahren Glauben in diesem Fall auch vor dem König schützen.10 Daß der Bund als Rebellion gedeutet werden könne, war den Unterzeichnern bewußt.11 Und die Reaktion Karls I. ließ keinen Zweifel daran, daß er den Covenant mit Rebellion und Hochverrat gleichsetzte.12 Die Konzeption eines „covenanted king“, also eines in seiner Herrschaftsgewalt beschränkten Königs in einem theokratischen Staat, dessen Rechtgläubigkeit von der General Assembly als oberster Kirchenversammlung überwacht werden sollte, war für Karl unan-

7 Vgl. John Morrill, The National Covenant in its British Context, in: Ders. (Hrsg.), The Scottish National Covenant in its British Context, Edinburgh 1990, S. 1–30, hier S. 11 f.; ferner Allan I. Macinnes, The Scottish Constitution 1638–51. The Rise and Fall of Oligarchic Cen- tralism, in: Morrill, Scottish National Covenant, S. 106–133, hier S. 109–111; Interpretationen, die den National Covenant nur als Abwehr von „Laudian religious innovations“ auffassen, greifen daher zu kurz; vgl. hierzu Ian Michael Smart, The Political Ideas of the Scottish Covenanters 1638–88, in: History of Political Thought I/2 (1980), S. 167–193, hier S. 167. 8 Hierzu überzeugend Conrad Russell, The Fall of the British Monarchies 1637–1642, Ox- ford 1991, S. 51 f.; Macinnes, The Scottish Constitution, S. 111 f. 9 Dickinson/Donaldson (Hrsg.), A Source Book, Bd. 3, S. 102. 10 Macinnes, Covenanting, S. 201–203. 11 Dickinson/Donaldson (Hrsg.), A Source Book, Bd. 3, S. 103: „neither do we fear the foul aspersions of rebellion, combination, or what else our adversaries from their craft and malice would put upon us“. 12 [Walter Balcanquhall], A Large Declaration Concerning the Late Tumults in Scotland, from their First Originalls together with a Particular Deduction of the Seditious Practices of the Prime Leaders of the Covenanters. By the King, London 1639, S. 70: „That band which was made in defence of Our person and authoritie, against all treason at home and invasion from abroad, is now principally made against Us, if We shall oppose their courses; and next, against all such of Our loyall subjects as shall adhere to Us in defence of Our person and au- thoritie: For these words, against all persons whatsoever, not excepting Us, shewes their bad meaning too well.“ Ebenso auch Karl I., A Proclamation and Declaration to Inform our Loving Subjects of our Kingdom of England of the Seditious Practises of Some in Scotland, Seeking to Overthrow our Regall Power under False Pretenses of Religion, London 1638, worin verlautbart wird: „which Band and Covenant (or rather Conspiracy) of theirs, could not be with God, being against us the Lords anointed [sic] over them.“ Diese Sicht der Dinge sollte von den Kanzeln aller englischen Gemeinden verkündet werden.

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nehmbar.13 Damit war offenkundig, daß von den drei proklamierten Zielen der Covenanters – die Aufrechterhaltung des wahren Glaubens, der Königsherrschaft und des Friedens in Schottland – nicht alle zugleich Wirklichkeit werden konn- ten. Ebenso stand fest, daß der Kampf für eine weitgehend presbyterianisch aus- gerichtete Kirche für die Covenanters uneingeschränkte Priorität hatte. Sofern der König nicht zur Unterschrift unter den Covenant und damit zur vollständi- gen Aufgabe seiner kirchenpolitischen Vorstellungen bereit war, ließ sich ein be- waffneter Konflikt kaum vermeiden. Verschärfend kam hinzu, daß die Covenan- ters auf der General Assembly in Glasgow Ende 1638 die Kirchenpolitik der Stu- arts vollständig revidierten. Auf dieser Sitzung verdammte der schottische Klerus nicht nur das Book of Common Prayer, sondern auch die Existenz von Bischöfen in der Kirche, die fünf Artikel von Perth aus dem Jahr 1618, die High Commis- sion als bischöfliches Disziplinargericht in der Kirche etc. Vom Furor des Klerus waren daher auch Maßnahmen betroffen, die auf Initiative von Karls Vorgänger, Jakob VI., in die Kirche eingeführt worden waren, und zwar nach Zustimmung sowohl der General Assembly als oberster Kirchenversammlung als auch des schottischen Parlaments. Wenn von Friedeburg hervorhebt, daß der Covenant keine Absage an die Mon- archie gewesen sei,14 so ist dies zwar vordergründig richtig in dem Sinne, daß der National Covenant kein Zeugnis einer republikanischen Gesinnung der Unter- zeichner darstellt. Daß der Bundesschluß gleichwohl ein Akt des Widerstands gegen den König war, zeigt schon ein Blick auf die Ereignisse selbst. Die Zusam- menkunft der Unterzeichner erfolgte, nachdem König Karl in einer proclamation ausdrücklich jegliche Zusammenkunft von Protestierenden gegen das Prayerbook unter der Androhung verboten hatte, eine Mißachtung dieser Anweisung als Hochverrat anzusehen und dementsprechend bestrafen zu lassen.15 Auch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Monarchie theokratischer bzw. hierokra- tischer Prägung, die den Covenanters als erstrebenswerter politischer Idealzu- stand vorschwebte, grundsätzlich andersgeartet war als eine Königsherrschaft, die dem König neben seiner Herrschaftsrolle als Monarch in weltlichen Dingen auch die Funktion als Oberhaupt der Kirche zuschrieb. Die Autoren des Textes des National Covenant verzichteten darauf, die Bibel explizit zur Legitimierung des eigenen Vorgehens einzusetzen. Allein der Akt eines inszenierten kollektiven Bundes mit Gott machte die Vorbildhaftigkeit des

13 Vgl. zur Herrschaftskonzeption der Covenanters Margaret Steele, The „Politick Chris- tian“. The Theological Backround to the National Covenant, in: Morrill (Hrsg.), Scottish National Covenant, S. 31–67, hier S. 56; zur Rolle der General Assembly vgl. Macinnes, The Scottish Constitution, S. 111. 14 Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, S. 134; anders dagegen Macinnes, The Scottish Constitution, S. 108 f. 15 Register of the Privy Council of Scotland, hrsg. v. John Hill Burton, 39 Bde., Edinburgh 1877–1970, hier 2nd series/Bd. 7 (1638–43), Edinburgh 1906, S. 3 f.; Robert Steele, A Bibliog- raphy of Royal Proclamations of the Tudor and Stuart Sovereigns and of Others Published under Authority 1485–1714, 2 Bde., Oxford 1910, Bd. 2, S. 1672.

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Volkes Israel hinreichend sinnfällig. In der Druckfassung des von den Covenan- ters unterzeichneten Textes wird erkennbar, welcher Tradition sich die Unter- zeichner verpflichtet fühlen.16 Drei bereits auf dem Titelblatt angeführte Bibel- stellen liefern Vorbilder, denen die Covenanters nachzueifern beabsichtigten. Er- innert wird an den Bund des Volkes Israel mit Gott auf Initiative des Propheten Josua (Jos 24,25), an den Bundesschluß, der auf Initiative des Hohepriesters Joiada erfolgte (2 Kön 11,17) sowie schließlich an Gottes Versprechen, das Volk Israel als sein Volk anzunehmen, zu entsühnen und aus der babylonischen Ge fangenschaft herauszuführen (Jes 44,5). Mehr noch als im Text des National Covenant spiegelt sich in den hier ausgesuchten Textstellen das Selbstverständnis der Covenanters wider. Josuas Bundesschluß gibt den Grundgedanken des Bundes als einen Ver- trag mutua obligatio auf klare Weise wieder: Das Volk schwört Gott Gehorsam, was gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf jede Form des Götzendienstes, um auf diese Weise Gottes Segen und Hilfe zu erhalten. Der nachfolgende Bundes- schluß sowie die Verheißung für das Volk Israel sind Bekräftigungen des ur- sprünglichen Bundes, nachdem das Volk sich dem Götzendienst hingegeben hat- te: im ersten Fall war es der Baalskult, der durch das Haus Ahab betrieben wurde, im zweiten Fall war es die Anlehnung des Königs Ahas an das assyrische Reich und die Einführung des assyrischen Kultes im Jerusalemer Tempel. Es ist auffällig, daß unter den zitierten biblischen Vorbildern des Covenant kein Bund aufgeführt ist, der von einem König initiiert wurde: Der Bund des Königs Hosia (2 Kön 23,1–3) beispielsweise wird übergangen. Die angeführten Initiatoren für den Bund des Volkes mit Gott sind dagegen ein Prophet und ein Hohepriester, also Personen, die man als alttestamentliche Vorläufer für die Kirche – gewissermaßen als Präfiguration der Rolle der schottischen Geistlichen – in Beschlag nehmen konnte.

b) Interpretationshilfe I: Gillespies Traktat gegen die ceremonies Auf welch weitreichende Weise sich das Denken der Covenanters aus einer be- sonderen Interpretation biblischer Texte speiste, wird im Bundestext selbst nur unzureichend deutlich. Die Publizistik gibt hierüber mehr Auskunft. 1637 legte der Theologe , der in den kommenden Jahren zu einem der füh- renden Geistlichen des Landes aufsteigen sollte, einen Traktat mit dem Titel A Dispute against English Popish Ceremonies vor, in dem er auf umfassende Weise gegen die Neuerungen in der schottischen Kirche zu Felde zog und zugleich die Notwendigkeit einer Rückkehr zu den Wurzeln der schottischen Reformation biblizistisch untermauerte. Die Tragweite von Gillespies Argumentation wird

16 Confession of Faith; Die heilsgeschichtliche Dimension, in die die Covenanters ihren Bund einordneten, wird auch in Selbstzeugnissen der Zeit sichtbar, so im Tagebuch von Sir Archi- bald Johnston; Johnston, Diary, Bd. 1, S. 275, wo dieser den Bund mit folgenden Worten beschreibt: „the rebuilding of Gods house, and casting doune of the Kingdome of Anti- chryst“.

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bereits daran erkennbar, daß der schottische Geheime Rat im Oktober des Jahres 1637 anordnete, alle Exemplare von George Gillespies Traktat einzusammeln und durch einen Scharfrichter öffentlich verbrennen zu lassen.17 Den Autor selbst dürfte diese Reaktion der Obrigkeit auf sein Werk kaum überrascht haben: Er hielt es nicht nur für geboten, den Traktat anonym zu veröffentlichen, sondern wählte darüber hinaus Leiden oder Amsterdam als Druckort. Damit reiht sich seine Schrift in eine lange Kette von Werken ein, die aus niederländischen Pressen stammten und die Kirchenpolitik in Schottland und England kritisierten. Die öf- fentliche Verbrennung war ein bereits bewährtes Mittel zur Bekämpfung solcher Traktate18 und zugleich die logische Folge einer Argumentation, die bereits im Titel des Werkes deutlich zum Vorschein kommt. Gleichwohl wirkt der Beschluß des schottischen Rates im Rückblick wie der hilflose Versuch, der Dynamik der Ereignisse auf diese Weise noch Herr zu wer- den. Seit dem Versuch, das englische Book of Common Prayer auch in Schottland einzuführen, war die politische Lage gespannt. Bereits die Zeitgenossen haben diese Ausschreitungen als Auftakt zum schottischen Aufstand gegen den König und damit auch als Beginn des Bürgerkrieges auf den britischen Inseln gesehen.19 Gillespies zur gleichen Zeit erschienene theologische Streitschrift liefert ein brei- tes Angebot an Argumenten, auf das sich auch die Covenanters – wie die Auf- ständischen nach ihrem oben beschriebenen Bundesschluß heißen sollten – zur Legitimation ihrer Politik gegenüber Karl I. stützen sollten. An seinem Traktat läßt sich gut ablesen, wie sich die politische Lage in Schottland darstellen ließ, wenn man sie durch den Filter biblischer Maximen und Exempla betrachtete. Gillespie richtete sein Interesse zunächst auf die sogenannten ceremonies in der Kirche. Darunter fällt die Einführung der kirchlichen Festtage an Weihnachten, Karfreitag und Ostersonntag, Christi Himmelfahrt und Pfingsten, ferner das Knien während der Kommunion, die Möglichkeit, Taufen notfalls auch im priva- ten Rahmen ausführen zu können sowie das Segnen von Kindern im Rahmen einer Konfirmation durch den Bischof. All diese Bestimmungen lehnt Gillespie kategorisch ab und verdammt sie als Götzendienst, als „verrotteten papistischen Abschaum“, den die Kirche bereits einmal zur Zeit der schottischen Reformation „angeekelt ausgespien habe“, der nun aber erneut die schottische Kirche zu ver- giften drohe.20 Es ist bezeichnend, daß sich Gillespies Furor gar nicht gegen die Einführung des Book of Common Prayer richtete – von dieser neuerlichen Zumutung ahnte er

17 Steele, Bibliography, Bd. 2, S. 1667. 18 David Cressy, Book Burning in Tudor and Stuart England, in: Sixteenth Century Journal 36 (2005), S. 359–374; Cyndia Susan Clegg, Burning Books as Propaganda in Jacobean Eng- land, in: Andrew Hadfield (Hrsg.), Literature and Censorship in Renaissance England, Bas- ingstoke 2001, S. 165–186. 19 Vgl. nur die Schilderung der Ereignisse bei [Balcanquhall], A Large Declaration, S. 31. 20 [George Gillespie], A Dispute against the English-Popish Ceremonies, Obtruded upon the Church of Scotland […], [Leiden] 1637, Epistle, Fol. A3r: „rotten dregges of Poperie […] once beene spewed out with detestation“.

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zur Zeit der Abfassung seiner Streitschrift noch nichts.21 Seine Kritik entzündete sich an den fünf Artikeln von Perth, die noch unter Jakob VI. im Jahr 1618 von der General Assembly, der höchsten Kirchenversammlung in Schottland, verab- schiedet und im Jahr 1621 vom schottischen Parlament ratifiziert wurden. Die Artikel von Perth wurden damit sowohl von der schottischen Kirche selbst als auch vom Parlament in Kraft gesetzt, im Gegensatz zu allen kirchenpolitischen Maßnahmen Karls I., die alle auf dem Weg königlicher Edikte Geltung erlang- ten.22 Gleichwohl fanden die Beschlüsse der Assembly zu Perth vor Gillespies Augen keine Gnade. Zum einen erinnert er an den politischen Druck, dem alle An- wesenden der Assembly seinerzeit ausgesetzt waren.23 Zum anderen aber legt Gillespie zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zeremonialbeschlüsse einen Maßstab an, der sich über die Legitimität formal korrekt zustandegekommener Beschlüsse erhebt: We say then, that God tooke away from his people Israell, some of the liberty, which his morall Law permitted to them, because he was the Law giver, and Lord of the Law, and that the King and the Church can not doe the like with us, because they are no more Lords over Gods Law, then the people who are set under them.24 Gillespie unterwirft die ceremonies ebenso dem Gesetz Gottes wie die christliche Glaubenslehre. Damit entzieht er der Kirche ebenso wie der weltlichen Obrigkeit jedwede Verfügungsgewalt über die Einrichtung des Gottesdienstes und sieht al- lein im Gesetz Gottes die dafür maßgebliche Richtschnur, der sich alle gleicher- maßen unterzuordnen hätten. Den Aspekt dauerhafter Gültigkeit unterstreicht Gillespie dadurch, daß er das Gesetz, welches die Einführung neuer ceremonies in der schottischen Kirche verbiete, den Moralgesetzen zurechnet, die auch mit dem Erscheinen Christi auf Erden nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt hätten – im Unterschied zum Zeremonialgesetz und den politischen Bestimmungen, die nur für Juden, nicht aber für Christen, bindend seien. Das Gesetz zur Reinhaltung der Verehrung Gottes und zum Verbot jeglicher Form des Götzendienstes sei al- lerdings im neuzeitlichen Schottland ebenso zu beachten wie in der kanaaniti- schen Wüste nach der Errettung aus der Herrschaft des Pharao. Daß die in Perth festgeschriebenen ceremonies zur Gottesverehrung untauglich und als Götzen- dienst zu verdammen seien, ist für Gillespie allein durch ihre Nähe zu den Riten der katholischen Kirche evident.25

21 Gillespie sollte die Kritik an der Einführung des Book of Common Prayer indes umgehend nachliefern; vgl. [George Gillespie], Reasons, for which the Service Booke, Urged upon Scotland ought to bee Refused, [Edinburgh] 1638. 22 Vgl. hierzu Russell, Fall, S. 46. 23 [Gillespie], Dispute, Teil I, S. 19: “And who among us knoweth not, how in the Assembly of Perth, free reasoning was shut to the doore, and all eares were filled with the dreadfull pale of Auctority?“ 24 Ebd., Teil I, S. 22. 25 Ebd., Teil II, S. 36. „we can not conforme, communicat, and symbolize with the Idolatrous Papists, in the use of the same, without making our selves Idolaters by participation. Shall the

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Gillespie bezieht sich insbesondere auf die im Deuteronomium enthaltene Er- mahnung zur strikten Gesetzestreue (Dtn 4,2) und die darin enthaltene Weisung, zum Gesetz nichts hinzuzufügen oder zu entfernen.26 Diese Auflage gilt für ihn insbesondere bei Fragen, die den Gottesdienst und seine formale Gestalt betref- fen. Die Befürworter der ceremonies waren selbstverständlich gleichfalls davon überzeugt, mit den Vorgaben des Gesetzes Gottes im Einklang zu stehen. Aller- dings waren sie der Auffassung, daß der äußere Ablauf des Gottesdienstes ebenso wie viele organisatorische Belange der Kirche keineswegs durch die Schrift vorge- schrieben sei. Diese „äußeren Dinge“ seien keine Glaubensbestandteile, sondern für die Frage nach dem Seelenheil der Gläubigen irrelevant, sogenannte Adiapho- ra, die auf Geheiß der Kirche oder aber der weltlichen Obrigkeit und angepaßt an die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit jeweils neu einzu- richten seien.27 Weder die Zurechnung der ceremonies zu den Adiaphora noch die sich daran anschließende Behauptung, die Verfügungsgewalt über diese Adiaphora obliege der weltlichen Obrigkeit, hält Gillespie für gerechtfertigt.28 Um dieser Interpreta- tion die Legitimität zu entziehen, wählt er sich mit Marc’ Antonio de Dominis einen prominenten Verfechter dieser Lehre aus und argumentiert gegen dessen Werk De republica ecclesiastica. Gegenstand der Kontroverse ist insbesondere de Dominis Feststellung, daß alle Fragen, die die Kirche betreffen, durch den König und von ihm erlassene Gesetze zu regeln seien.29 Die zahlreichen Schriftstellen, die de Dominis zur Legitimation dieser Position anführt und die Gillespie zu de- ren Widerlegung auf abweichende Weise auslegt, stammen dabei ausnahmslos aus dem deuteronomistischen Geschichtswerk des Alten Testaments, entweder aus den fünf Büchern Mose oder aber aus den beiden Chronikbüchern. Während de Dominis zahlreiche Könige – angefangen von David über Salomon, Hiskija bis zu Hosia – als Exempla anführt, deren Taten in Belangen des Gottesdienstes ihre königliche Amtskompetenz beweisen sollen, ist Gillespie in seiner Auslegung dieser Exempla um den Nachweis bemüht, daß all diese Taten nicht Folge des Königsamtes, sondern entweder wie im Falle Davids oder Salomons Ausdruck ihrer Prophetenstellung oder aber Folge direkter göttlicher Intervention gewesen seien: Könige hätten allenfalls eine ausführende Rolle gespielt.30 Gillespie zufolge

Chast Spouse of Christ take upon her the ornaments of the Whoore? Shall the Israell of God symbolize with her, who is spiritually called Sodome and Egypt? Shall the Lords redeemed people weare the ensignes of their captivity? Shall the Saincts be seen with the marke of the beast? Shall the Christian Church be like the Antichristian, the Holy like the Prophane, Reli- gion like Superstition, the Temple of God like the Synagogue of Sathan?“ 26 Ebd., Teil II, S. 118. Die Parallelstelle Spr 30,6 wird gleichfalls angeführt. 27 Gillespie geht bereits in seinem vorangestellten Brief an den Leser auf diese Unterscheidung ein; ebd., Epistle s.p. 28 Für Gillespie zählen vielmehr alle Dinge, die den Gottesdienst betreffen, gleichermaßen zu den „spiritualia“; ebd., Teil II, S. 126. Zur Auseinandersetzung über die Adiaphora s. u. Kap. V.3. 29 Ebd., Teil II, S. 124. 30 Ebd., Teil II, S. 124–130.

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lasse sich aus den von de Dominis genannten Beispielen nur eine Botschaft an die Könige entnehmen: daß sie in ihrem Herrschaftsgebiet alle Formen des Götzen- dienstes abschaffen sollten. Die von de Dominis aufgeführten Könige hätten die- ser Auflage entsprochen und dienten daher als positive Exempla für die Herrscher der Christenheit. Weitergehende Kompetenzen eines Königs über die Kirche lie- ßen sich daraus jedoch nicht ableiten.31 So wie de Dominis Gillespie dazu diente, die Rolle des Königs als Oberhaupt der Kirche in Frage zu stellen, wendet er sich anschließend gegen Hadrian Saravia und dessen Traktat De imperandi authoritate, insbesondere gegen die von Saravia betriebene Absolutsetzung von Römer 13 und der darin enthaltenen Weisung des Paulus, der Obrigkeit zu gehorchen um des eigenen Seelenheils willen. Gillespie betont in Abgrenzung zu Saravia insbesondere die Grenzen der königlichen Ge- walt: O wisedome of God, by whom Kings doe raigne & Princes decree Iustice upon whose thigh & vesture is written King of Kings & Lord of Lords; make the Kings of the Earth to know that their Lawes are but Regulae regulatae, and mensurae mensuratae. Be wise now therefore. O ye Kings: Be instructed ye Iudges of the Earth. Serve the Lord with feare, and rejoyce with trembling.32 Der Anspruch auf grenzenlose Gewalt sei Gillespie zufolge vor allem ein Kenn- zeichen des Papstes, dem die Könige keinesfalls nacheifern sollten, da nicht zu- letzt dieser übersteigerte Herrschaftsanspruch den Papst als Personifikation des Antichristen entlarve.33 Römer 13 legt Gillespie in bewußter Anknüpfung an David Pareus aus, einen prominenten calvinistischen Theologen der Universität Heidelberg, der 1608 ei- nen bedeutenden Kommentar zur Auslegung des Römerbriefes vorgelegt hatte. Dessen obrigkeitskritische Aussagen veranlaßten bereits Karls Vorgänger dazu, dieses Werk öffentlich verbrennen zu lassen.34 Die offizielle Verurteilung von Pareus’ Deutung von Römer 13 konnte Gillespie jedoch nicht davon abhalten, seine eigenen Aussagen zur Einschränkung des Gehorsamsgebots explizit von Pareus abzuleiten: Die Obrigkeit könne nur dann Gehorsam erwarten, wenn sie erkennbar dem Gemeinwohl und Gottes Gesetzen verpflichtet sei.35 Was auf den ersten Blick wenig spektakulär erscheint – wird Königen doch von niemandem das Recht eingeräumt, Gottes Gesetzen zuwiderzuhandeln – hat gleichwohl ernstzunehmende politische Konsequenzen. Die Bindung der Gehorsamspflicht an das Gemeinwohl, an Gillespies Kautele, der Herrscher müsse „only for our good“ regieren, womit er vor allem das Seelenheil im Blick haben dürfte und den Herrscher auf die Übereinstimmung mit den Forderungen der General Assembly verpflichtete, war eine schwerwiegende Einschränkung der königlichen Herr-

31 Ebd., Teil II, S. 130. 32 Ebd., Teil II, 132. Zu Saravias Traktat s. u. Kap. V.2. 33 Ebd., Teil II, S. 134. 34 Zu Pareus s. u. Kap. VI 3b. 35 [Gillespie], Dispute, Teil II, S. 134.

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schaftsrechte. Die Verknüpfung des salus-populi-Gedankens mit dem Gottesge- setz führt zu folgenden Imperativen für die Untertanen: Whatsoever ye doe (though commanded by Superiours) doe all to the Glory of God. Let all things (though commanded by Superiours) be done to edifying. Whatsoever is not of Faith (though commanded by Superiours) is sinne.36 Für den regierenden Monarchen können diese Einschränkungen vor allem des- wegen gefährlich werden, da ihm die Interpretationshoheit über die Frage, was das Gesetz Gottes im Einzelfall gebiete oder aber ausschließe, vollständig entzo- gen bleibt. Die Entscheidungsgewalt über die Frage, was Glauben und was Sünde sei, liegt vielmehr ausschließlich bei den Amtsträgern der Kirche. Der Kirchen- versammlung obliegt außerdem das Recht auf Exkommunikation, von der auch der König selbst nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann, während er selbst keine Kompetenz für sich in Anspruch nehmen könne, ihm unliebsame Prediger zur Verantwortung zu ziehen.37 Gillespie vermag aus diesen Überlegungen im Zusammenhang mit den Arti- keln von Perth nur folgenden Schluß zu ziehen. Die eingeführten ceremonies zu verweigern sei geradezu die notwendige Gehorsamspflicht aller wahren Gläubi- gen und kein Affront gegenüber der Obrigkeit: Our refusall to conforme to inconvenient Ceremonies, beeing a necessary duty, if the Mag- istrate be provoked therewith, we are blamelesse: neither can it any otherwise provoke him to disgrace those well deserving Ministers, then Moses his seeking of liberty for Israell to goe and serve God according to his will, provoked Pharaoh the more to oppresse them; or then Christs preaching of the truth, and his abstaining from the superstitious Ceremonies of the Pharisees, provoked them to disgrace him, and plot his hurt.38 Gillespie benennt hier die Kontrahenten im schottischen Glaubensstreit: Auf der einen Seite stehen die wahren Gläubigen, präfiguriert durch Moses und Christus, auf der anderen Seite stehen Geistliche, die in der Nachfolge des ägyptischen Pharao und der Pharisäer die Zerstörung der wahren Kirche beabsichtigten. Es fällt nicht schwer, in den Fußstapfen von Moses und Christus die Presbyterianer und auf der Gegenseite ihre Widersacher in der Kirche, insbesondere die Bischö- fe, zu erblicken. Doch welche Rolle ist dem König selbst zugedacht? Auch wenn Gillespie sich zur Rolle des Königs hier nicht äußert, hält sein Vergleich ein für Karl I. wenig schmeichelhaftes Vorbild parat: den ägyptischen Pharao, Inbegriff tyrannischer Übergriffe gegen das von Gott auserwählte Volk. Negative Exempla israelischer Könige gesellt Gillespie als abschreckende Beispiele hinzu. Fände sich im Alten

36 Ebd., Teil II, S. 142. 37 Ebd., Teil II, S. 197. Da der König selbst keinerlei Jurisdiktionsgewalt auf Geistliche in kirch- lichen Angelegenheiten ausüben durfe, könne er dieses Recht auch nicht an andere übertra- gen, z. B. an die High Commission. Diese Einrichtung, die in Schottland in Anlehnung an ihr englisches Vorbild im Jahre 1610 eingeführt worden war, hält Gillespie daher für eine Usur- pation kirchlicher Jurisdiktionsrechte. S. u. Kap. VI 1. 38 [Gillespie], Dispute, Teil II, S. 7.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 3838 118.11.20108.11.2010 11:00:3411:00:34 UhrUhr 1. Schottland auf den Spuren des Volkes Israel 39

Testament aus naheliegenden Gründen kein einziges positives Beispiel für die Einführung von Neuerungen in der Religion, gäbe es an negativen Beispielen keinen Mangel. Gillespie nennt insbesondere die Könige Jerobeam und Ahas als mahnende Anschauungsobjekte für die Folgen frevelhafter Innovationsfreude.39 War Jerobeam gewissermaßen der erste Götzendiener des Nordreichs Israel, der den Tempel in Jerusalem durch zwei neue Heiligtümer in Betel und Dan zu erset- zen suchte, so steht Ahas mit seinem Auftrag, den Altar von Damaskus im jüdi- schen Tempel nachzubauen, am Ende dieser Reihe. Seine Taten waren ebenso wie die seiner Vorgänger für die von Gott ins Werk gesetzte vollständige Zerstörung des Nordreiches Israel verantwortlich – und eigneten sich daher vorzüglich für Gillespie, um die desaströsen Folgen der königlichen Religionspolitik Jakobs VI. und Karls I. für Schottland darzulegen. Dabei wurde das Sakrileg der beiden Stuartkönige in Gillespies Augen noch dadurch vergrößert, daß sie mit ihrer Politik gegen den Eid verstießen, den König Jakob VI. und mit ihm das ganze schottische Volk im Jahr 1581 abgelegt hatten: die sogenannte King’s Confession.40 Dieser Bund sei keineswegs erloschen, sondern unter Jakob VI. wiederholt bekräftigt worden und weiterhin in Kraft. Es gelte daher, gemäß den Bestimmungen dieses Bundes zu handeln. In diesem Argument wird die Übereinstimmung von Gillespies Argumentation mit den Motiven der Covenanters, die 1638 den Bund erneuerten, besonders deutlich er- kennbar. Der Rückgriff auf Maximen und Exempla der Bibel hat in Gillespies Traktat vor allem zwei Funktionen. Die Heilige Schrift ist zunächst der Ort, der über das Gesetz Gottes Auskunft geben konnte. Dieses Gesetz entnimmt Gillespie den deuteronomischen Schriften des Alten Testaments, und er reduziert dessen Es- senz auf eine Aussage: die Pflicht zur Vermeidung des Götzendienstes. Unter dieses Verdikt fallen dabei alle Formen des Gottesdienstes, die sich nicht bereits aus der Heiligen Schrift selbst ableiten lassen. Diese Gesetzesbindung wird von Gillespie absolut gesetzt und entzieht den in Schottland handelnden Akteuren in geistlichen Belangen jeglichen Handlungsspielraum. Neuerungen dürften weder vom König, noch vom Parlament, noch von der Kirche selbst eingeführt werden. Im Umkehrschluß hat diese Auffassung die Konsequenz, daß alle Bestimmungen, die unter Gillespies Verdikt der Neuerungen fallen, auch dann abzulehnen seien, wenn sie auf formal nicht zu beanstandende Weise beschlossen worden sind. We- der Verfahren noch Recht stiften demnach Legitimität, sondern einzig der Gehor- sam gegenüber Gottes Gesetz, so die Konsequenz. Die historischen Schriften des Alten Testaments dienen Gillespie des weiteren als eine Sammlung von Exempla, an denen sich vorbildliches Verhalten der Köni- ge ebenso ablesen läßt wie deren Verfehlungen. Dabei war bereits in den bibli- schen Texten selbst die Haltung der Herrscher zum Götzendienst der zentrale Punkt – wenn auch nicht der einzige, wie z. B. die Geschichte von König Davids

39 Ebd., Teil II, S. 139–141. 40 Ebd., Teil III, S. 35.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 3939 118.11.20108.11.2010 11:00:3411:00:34 UhrUhr 40 II. Bürgerkrieg und Biblizismus

Ehebruch deutlich macht –, auf den die Königsschilderungen jeweils fokussier- ten. Das Verhalten der Könige im Zusammenhang mit dem Götzendienst hatte in jedem Falle Auswirkungen auf das Verhältnis Gottes zu Israel und damit auf Wohl und Wehe des Staatswesens selbst. Diese unmittelbare Kausalbeziehung nutzt Gillespie zu politischen Vorhersagen, indem er das Kausalverhältnis von königlichem Handeln und dem Schicksal des Volkes in die Zukunft fortschreibt. In der Rolle des politischen Mahners tritt er damit automatisch in die Fußstapfen der Propheten des Alten Testaments. Den Königen der Neuzeit spricht Gillespie dagegen jegliche Prophetenrolle ab. Weder könnten sie sich hier auf das Vorbild einiger alttestamentlicher Könige berufen, die noch Könige und Propheten zu- gleich gewesen seien, noch dürften sie diese Exempla als Legitimation für könig- liche Weisungen gegenüber dem Klerus und für Eingriffe in die Autonomie der Kirche in geistlichen Belangen heranziehen. Gillespies Traktat ist paradigmatisch für die Covenanters. Dies ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß er bei der Entstehung des National Covenant eine beson- dere Rolle gespielt hätte; dies ist nicht der Fall. Es ist auch nicht erkennbar, wie umfangreich seine Leserschaft gewesen sein mag. Der Traktat ist sowohl aufgrund seines beträchtlichen Umfangs als auch aufgrund seines theologisch gehaltenen Duktus wohl vor allem in theologischen und theologienahen Kreisen zur Kennt- nis genommen worden, zu denen die Initiatoren des Covenant allesamt zuzu- rechnen sind. Was den Dispute against English Popish Ceremonies zu einer reprä- sentativen Streitschrift macht, ist zum einen die Tatsache, daß die Notwendigkeit zur Ablehnung aller kirchenpolitischen Neuerungen Jakobs VI. und Karls I. durch den notwendigen Gehorsam gegenüber Gottes ausdrücklichem Verbot des Götzendienstes begründet wird. Diese Verpflichtung wiegt aufgrund des von Jakob 1581 eingegangenen Bundes mit Gott in der King’s Confession um so schwerer und läßt den schuldigen Gehorsam gegenüber dem König nachrangig erscheinen. Zum anderen ist Gillespie ebenso wie auch die Covenanters darum bemüht, auf der Grundlage der schottischen Kirchentradition seit der Reforma- tion zu argumentieren. Es ist also gerade nicht Originalität, die Gillespies Traktat auszeichnet, sondern die systematisierte Wiedergabe von Positionen, wie sie innerhalb der schottischen Kirk seit der Reformation zahlreich verfochten wurden. Auch die Schriften derje- nigen Theologen, auf die Gillespie zustimmend (Pareus) oder ablehnend (de Do- minis; Saravia) Bezug nahm, waren bereits vor geraumer Zeit in unterschiedlichen Kontexten erschienen und bestätigen den Eindruck, daß die Debatte über eine bereits längere Tradition verfügte und nicht auf Schottland beschränkt war.41 Den Einklang der eigenen Positionen mit den glorreichen Vorkämpfern für die Rein- heit des Glaubens in Schottland und darüber hinaus unter Beweis zu stellen, diese Legitimationsstrategie einte die Rhetorik der Covenanters zu Beginn der „Erhe- bung“ gegen Karl I.

41 S. u. Kap. V.

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c) Die Theokratie als Normensystem Das bereits erwähnte Diktum von Friedeburgs, der National Covenant richte sich nicht prinzipiell gegen die Monarchie, muß an dieser Stelle kritisch erörtert werden, ist damit doch zugleich die Frage nach den politischen Ordnungsvor- stellungen der Covenanters angesprochen. Wenn die Protagonisten des National Covenant keine prinzipiellen Gegner der Monarchie gewesen sind, wirft dies die Frage auf, welche Art von Monarchie ihren Vorstellungen entsprach. Der Bund selbst war ein eindrucksvoller Beleg dafür, daß die Unterzeichner ihre Loyalität gegenüber dem König an die Einhaltung bestimmter Bedingungen knüpften: die Rücknahme der religiösen „corruptions“ sowie die freie Entscheidungsgewalt der General Assembly und des schottischen Parlaments. Der König konnte sein Ein- verständnis durch eine Unterschrift unter den Bund dokumentieren. Andernfalls kündigten die Unterzeichner ihre Loyalität auf. Dies mag zunächst wie ein Plädoyer für eine durch Gesetze und Ständever- sammlung beschränkte Monarchie in Schottland anmuten, eine Forderung, die im 17. Jahrhundert zahlreiche Stände gegenüber ihren Landesherrn durchzusetzen suchten. Gleichwohl geht diese Deutung an dem Kern der Sache vorbei. Zunächst waren die Covenanters nicht einfach Repräsentanten des Parlaments. Es war we- niger das Parlament, für das die Unterzeichner sich einsetzten, sondern die Gene- ral Assembly, also die höchste Kirchenversammlung, deren Recht auf freie Zu- sammenkunft sowie deren Rolle als oberstes kollegiales Leitungsgremium in der Kirche gegen königliche Eingriffe verteidigt werden sollte. Vor allem aber lohnt es sich, das erklärte Ziel der Covenanters ernst zu nehmen und nicht vorschnell als Bemäntelung weltlicher Interessen abzutun.42 Die Befürworter des Bundes kämpften für eine Monarchie, die mit einer Monarchie höherer Ordnung verein- bar war, der „Königsherrschaft Gottes“. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn man Gillespies Argumentation in seinem Dispute against English Popish Ceremonies auf den prinzipiellen Gehalt reduziert. Gillespie gibt sich hier als Verfechter einer radikalen Argumentations- strategie zu erkennen, die Jan Assmann als Mosaische Unterscheidung bezeichnet hat. Gemeint ist damit die Unterscheidung „zwischen wahr und falsch in der Re- ligion, zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern, der wahren Lehre und den Irrlehren, zwischen Wissen und Unwissenheit, Glaube und Unglaube.“43 Assmann deutet diesen Antagonismus als Konsequenz des Monotheismus. Gleichwohl ist die Mosaische Unterscheidung auch in monotheistischen Religio- nen nicht ständig in gleicher Schärfe präsent. Vielmehr ist sie „eine regulative

42 Ähnlich auch Morrill, der den Covenanters ausschließlich religiöse Motive attestiert; Mor- rill, National Covenant, S. 19 f. Cowan hält hingegen die Religion nur für einen Vorwand für weltliche politische Interessen, bleibt den Nachweis dafür aber schuldig; Edward J. Cowan, The Making of the National Covenant, in: Morrill (Hrsg.), Scottish National Covenant, S. 68–89, hier S. 70. 43 Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, S. 12 f.

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Idee, die ihre weltverändernde Wirkung über Jahrhunderte und Jahrtausende hin in Schüben entfaltet hat.“44 Als Potential ist sie sowohl dem Judentum als auch dem Christentum (ebenso wie auch dem Islam) inhärent. Damit ist allerdings nur die Möglichkeit der Anwendung gegeben. Es bedurfte besonderer Konstellatio- nen, damit diese Möglichkeit auch genutzt wurde und die Mosaische Unterschei- dung in jeweils aktualisierter Form Anwendung fand. Diese Aktualisierung läßt sich insbesondere an den von Gillespie zitierten Bi- belstellen nachvollziehen. Sowohl das Alte als auch das Neue Testament enthalten Texte, in denen die Mosaische Unterscheidung in aller Schärfe vorgenommen wird. Im Alten Testament sind es vor allem das deuteronomistische Geschichts- werk sowie die Prophetenschriften, die unbedingten Gehorsam des jüdischen Volkes gegenüber dem Gesetz Gottes einfordern und in denen jede Form der Abweichung oder Idolatrie harte Gottesstrafen nach sich zieht. Ein Hauptcha- rakteristikum der in diesen Texten enthaltenen Mosaischen Unterscheidung ist die antagonistische Energie, die sie gegen alles entfaltet, was mit der wahren Religion nicht vereinbar ist. Ob es sich um die Anbetung des Goldenen Kalbs handelte, um den Baalskult oder um den Götzendienst, der sich im Reich Juda vor der Herrschaft Hosias ausbreitete – ihnen allen war gemein, daß sie durch ein gottge- wolltes Massaker ein Ende fanden.45 Und eben diese Bibelstellen dienten auch Gillespie als legitimierendes Reservoir seiner Argumentation. Gillespie hat sich damit des antagonistischen Potentials der Mosaischen Unter- scheidung bedient: Maßstab der Unterscheidung war dabei der Gehorsam zur lex dei. War der König der Idolatrie schuldig, so habe er damit gegen das Gesetz Gottes verstoßen. Dem Gebot des Gottesgehorsams aber seien alle unterworfen, die Könige ebenso wie ihre Untertanen. Nur eine Obrigkeit, die in Übereinstim- mung mit den Gottesgesetzen regierte, durfte legitimerweise Gefolgschaft einfor- dern. Indem Gillespie die königliche Herrschaftsgewalt mit dem Vorwurf der Idolatrie belegte, konnte er das asymmetrische Herrschaftsverhältnis zwischen König und Untertan neutralisieren und durch das Herrschaftsverhältnis Gottes über die Menschen ersetzen. Ersetzt wurde dabei zweierlei: Das Herrscheramt wird anstelle des Königs von Gott selbst als oberstem Herrscher und Gesetzgeber eingenommen, und an die Stelle des Königs als Adressat von Gottes Gesetzen tritt das Volk, dem von Gillespie ausdrücklich auferlegt wird, den Weisungen des Königs nur insoweit Rechnung zu tragen, als dadurch die Gesetze Gottes nicht verletzt würden.46 Das Herrschaftsideal, das in dieser Argumentationskette zum Ausdruck kommt, ist das einer direkten Gottesherrschaft, einer Theokratie. Gillespie gibt sich zwar zu keiner Zeit als Gegner monarchischer Herrschaft zu erkennen.

44 Ebd., S. 13. 45 Ex 32–34; 1 Kön 23, 1–17; 2 Kön 23, 1–27. 46 Vgl. hierzu Jan Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, Darmstadt 2000, S. 48 f. und S. 52: „Im Zeichen des gesetzgebenden Gottes hat der irdische Herrscher diese Position zu räumen.“ [Gillespie], Dispute, Teil II S. 7.

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Gleichwohl unterliegt die Zustimmung zur Königsherrschaft einer wesentlichen Grundbedingung: die Gesetze Gottes müßten vom König ebenso wie vom Volk vollständig befolgt werden. Die schottische Geistlichkeit, insbesondere die loka- len Presbyterien sowie die General Assembly, sieht Gillespie in der Rolle eines Wächterrates, der über Verfehlungen gegen Gottes Gesetz zu befinden hatte, not- falls durch den Akt der Exkommunikation, der selbstverständlich auch den Kö- nig selbst treffen könnte. Berücksichtigt man, was dies für den König und seine Herrschaftsausübung bedeutete, so war diese Bedingung kein selbstverständliches Charakteristikum vormoderner Monarchien. Vielmehr büßte der König in die- sem Ordnungskonzept zentrale Elemente seiner Herrschaftsgewalt ein. Die Aktualisierung der Mosaischen Unterscheidung war indes an Vorausset- zungen geknüpft. Es bedurfte hierzu einer spezifischen Auslegung des Alten Te- staments. Dies betraf zum einen das Gesetz Gottes und die Frage nach seiner fortdauernden Gültigkeit, zum anderen die Konzeption des Bundes Gottes mit den Menschen. Die lex dei behielt bei allen Aktivisten gegen den Götzendienst in Schottland ihre uneingeschränkte Gültigkeit, auch über den Erlösungstod Christi und den damit einhergehenden Gnadenbund hinaus. Dies betraf zumindest die Bestimmungen des moralischen Gesetzes, die im Unterschied zu den Zeremonial- vorschriften und den strafrechtlichen Normen des Alten Testaments als zeitlos gültig verstanden wurden. Sofern Vorwürfe des Götzendienstes erhoben wurden, war in den Augen der Mahner stets das moralische Gesetz tangiert, stand nichts weniger als der Gehorsam zum zweiten Gebot auf dem Prüfstand.47 Die Covenanters und ihre Mitstreiter hatten ferner ein bestimmtes Verständnis vom Bund Gottes mit den Menschen. Der Bund zeichnete sich in den Augen der Aufständischen durch zweierlei aus. Er definiert erstens die Verpflichtung der Menschen gegenüber Gott: die reine Gottesverehrung, den Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes. Und er knüpft zweitens das Heilsversprechen Gottes an die Bedingung des Gehorsams. Nur im Falle der Gesetzestreue ist Gottes Gnade zu erwarten. Dies gilt nicht nur für den einzelnen Gläubigen, sondern ebenso auch für das Wohlergehen des gesamten Volkes. Verstieß das Volk oder der Herrscher gegen das Gesetz Gottes, so zog dies Gottesstrafen nach sich, die letztlich das Volk in seiner Existenz gefährden konnten, wie sich anhand des Schicksals der Königreiche Israel und Juda gezeigt hatte. Die im Alten Testament enthaltene Mosaische Unterscheidung konnte auch im Schottland des 17. Jahrhunderts in dem Moment politische Dynamik entfalten, in dem die beiden wichtigsten Voraussetzungen zur Anwendung dieser Unterschei- dung erfüllt waren: die Auflage zur Gesetzestreue und die aus dem konditionier-

47 Die starke Akzentuierung der lex dei mag durchaus eine Besonderheit im schottischen und, wie noch zu zeigen seien wird, auch im englischen Protestantismus darstellen. In Frankreich war dieses Argumentationsmuster wohl auch während der Religionskriege weniger stark aus- geprägt; vgl. hierzu die Deutung von Lothar Schilling, Normsetzung in der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 197), Frankfurt a. M. 2005, S. 261–265.

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ten Bundesverständnis heraus sich ergebende Wahl zwischen Heil und Verdamm- nis. Damit waren zugleich die beiden wichtigsten Voraussetzungen erfüllt, um auch das in den Schriften des Alten Testaments beschworene politische Ideal ei- ner Königsherrschaft Gottes wiederzubeleben und auf Schottland zu übertragen. Stand bei den Covenanters das religiöse Element, also der Kampf gegen den Götzendienst, im Mittelpunkt, wie John Morrill annimmt, oder war dies nur eine Bemäntelung politischer Interessen, wie Edward Cowan postuliert?48 Diese Streitfrage läßt sich an dieser Stelle zwar nicht entscheiden. Wohl aber können einige Zweifel an Cowans Argumentationsführung angemeldet werden. Eines der scheinbar schlagenden Argumente Cowans zum Nachweis des eher politischen Anliegens der Covenanters ist seine Annahme, die Aufständischen hätten sich insbesondere von Johann Althusius’ Traktat Politica leiten lassen. Ebenso wie Althusius hätten die schottischen Verschwörer im pactum das Kernelement jeg- licher politischer Vergemeinschaftung gesehen. Ein solcher Vertrag zwischen Herrscher und Volk macht Althusius in Cowans Augen beinahe automatisch zum Anwalt eines Widerstandsrechts gegenüber tyrannischen Herrschern, auch wenn er konzidiert, daß Althusius dieses Recht nicht wie Buchanan Privatleuten zuge- steht, sondern nur Magistraten.49 Robert von Friedeburg hat überzeugend deutlich gemacht, daß Althusius’ Ver- tragstheorie sich keineswegs als eine Art Volkssouveränität deuten lasse. Ferner gibt er einen interessanten Hinweis, an welcher Stelle bei Althusius von einem pactum die Rede ist: es geht dabei nicht um ein pactum zwischen Herrscher und Volk, sondern um den Bund Gottes mit den Menschen, den pactum religiosum.50 Althusius erweist sich dabei als ein Anwalt ebenjenes konditionierten Bundesver- ständnisses, das auch die Covenanters verinnerlicht hatten. Als Paradigma eines Religionsvertrages zitiert er Dtn 26, 17 in voller Länge: „Du [das Volk Israel] hast dir heute vom Herrn sagen lassen, daß er dein Gott sei, daß du sollest in allen seinen Wegen wandeln und halten seine Gesetze, Gebote und Rechte und seiner Stimme gehorchen. Und der Herr hat dich heute sagen lassen, daß du sein eigenes Volk sein wollest, wie er dir verheißen hat und du alle seine Gebote halten wollest“.51 Althusius macht in seinem zentralen Kapitel über die Übertragung der Herr- schaft vom Volk auf den obersten Magistrat ferner deutlich, daß auch diese Herr- schaftstranslation sich in den Bahnen der lex dei bewegt.52 Die Übergabe der Herrschaft erfolge stets unter der Voraussetzung, daß der Herrscher gemäß der beiden Tafeln des Dekalogs als frommer und gerechter Herrscher regieren mö- ge.53 Vorbild für diese konditionierte Herrschaftsübergabe sei dabei das Volk

48 Morrill, National Covenant, S. 13 f.; Cowan, Making, S. 70. 49 Ebd., S. 78–80. 50 Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, S. 75 Anm. 13. 51 Johannes Althusius, Politica methodice digesta…, 3. Aufl. Herborn 1614, Kap. XXVIII, § 15. 52 Ebd., Kap. XIX, § 29–34. 53 Ebd., Kap. XIX, § 31.

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Israel, das den König bei der Einsetzung in sein Amt auf die Bundeslade und die Gesetze Gottes ausdrücklich verpflichtete, wie z. B. aus Dtn 17 hervorgeht.54 Selbst falls die Covenanters sich daher wesentlich von Althusius hätten leiten las- sen, so hätten sie in ihm einen weiteren Anwalt der Mosaischen Unterscheidung sehen können.55 Aus der Althusiusrezeption ergibt sich jedenfalls keinerlei Beleg für die These, das religiöse Element sei nur ein Vorwand für politische Zielset- zungen gewesen.

d) Interpretationshilfe II: Alexander Henderson Der von den Unterzeichnern des National Covenant initiierte und auf der As- sembly 1638 durchgeführte Kehrtwechsel in der schottischen Kirchenpolitik zwang alle Beteiligten zu einer Entscheidung. Die Unterzeichner hatten sich be- reits entschieden. Für ein an dem politischen Ideal der Theokratie orientierten Gemeinwesen gingen sie das Risiko ein, vom König als Hochverräter zur Re- chenschaft gezogen zu werden. Der König stand seinerseits vor der Wahl, dem Bund beizutreten und sich damit von seiner Kirchenpolitik und der seines Vaters zu verabschieden, oder aber den Bund als Akt des Ungehorsams aufzufassen und die politische Ordnung in Schottland wiederherzustellen, notfalls mit Truppenge- walt.56 Karl I. votierte für die zweite Option und stand 1639 mit einer englischen Milizarmee vor der schottischen Grenze. Aus dem Engagement der Schotten für die lex dei drohte ein Waffengang gegen den eigenen König zu werden. Diese Zuspitzung der Ereignisse konfrontierte die Covenanters in aller Schärfe mit der Frage des Widerstandsrechts gegen Karl I. Sie hatten angesichts des zu erwartenden Krieges zwischen königlichen Truppen und denen des Bundes in ge- steigerter Weise die Legitimität des Covenant darzulegen, insbesondere gegen- über denjenigen, die den Bund unterzeichnet hatten und nun der Tatsache eines Kampfes gegen ihren König ins Auge sehen mußten. Die Dynamik der politi- schen Ereignisse hatte daher auch eine Neuausrichtung der politischen Debatte zur Folge.57 Oberster Streitgegenstand war nicht länger die Religionspolitik in Schottland, sondern die Frage nach der Legitimität der Königsherrschaft und ih- ren Grenzen. Diese Debatte wurde nicht mehr ausschließlich auf der Grundlage biblischer Texte geführt. Gleichwohl mochten Autoren nur selten ganz auf bibli- sche Argumente verzichten. Daher bietet die Auseinandersetzung um die Grund- lagen legitimer Königsherrschaft eine Möglichkeit zu klären, welchen Anteil an

54 Ebd., Kap. XIX, § 34 und 69. 55 Ebd., Kap. XXVIII, § 15–19. 56 Ein Beitritt zum Covenant kam für Karl I. zu keinem Zeitpunkt in Frage. Er verwarf diese Idee auch noch 1646, obwohl er mit diesem Schritt die Schotten als Bündnispartner gegen die siegreiche Parlamentsarmee in England hätte gewinnen können; vgl. hierzu Richard Cust, Charles I. and Providence, in: Fincham/Lake (Hrsg.), Religious Politics, S. 193–208, hier S. 197 und 203. 57 Hierzu allgemein Herbert Grabes, Das englische Pamphlet, Bd. 1: Politische und religiöse Polemik am Beginn der Neuzeit (1521–1640), Tübingen 1990, S. 141–150.

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der Begründung des Widerstands gegen den König Argumente hatten, die auf Maximen und Exempla der Bibel Bezug nahmen. Die Gattung, die dabei die größte Öffentlichkeitswirkung besaß, war die Pre- digt. Und da führende Covenanters es nicht dem Zufall überlassen wollten, mit welchen Argumenten für ihre Sache geworben wurde, entwarf einer ihrer Prot- agonisten, Alexander Henderson, im Jahr 1639 eine Art Blaupause, in der er Ar- gumente zusammenstellte, die in seinen Augen den National Covenant rechtfer- tigten: die Informations for defensive Armes against the Kings Majestie. Diese Schrift wurde erst 1642 unter anderem Titel gedruckt, vermutlich, um nun auf die englische Debatte Einfluß zu nehmen, in der sich die Frage des Widerstands ge- gen einen regierenden König nun ebenfalls stellte.58 Hendersons Text darf aller- dings bereits als Manuskript in Schottland eine große Verbreitung unterstellt wer- den, was sich unter anderem daran zeigt, daß mehrere Autoren sich schon weit vor der Drucklegung zu kritischen Stellungnahmen veranlaßt sahen.59 Wie bei dem Kontext dieser Schrift nicht anders zu erwarten, mobilisiert Hen- derson in seinem Traktat jegliches aus seiner Sicht verfügbare Argument, um die bevorstehende Konfrontation mit dem König bzw. mit dessen Truppen zu recht- fertigen. Henderson listet insgesamt zwölf Punkte auf, mit denen die Position der Covenanters in Predigten von der Kanzel gestützt und legitimiert werden soll- ten.60 Die proklamierte Zielsetzung der Covenanters vereint gleichermaßen reli- giöse und politische Anliegen: die Verteidigung der Religion und der Freiheiten in Schottland gegen die Invasion einer vom König aufgebotenen Armee. Als wich- tigstes politisches Anliegen nennt Henderson die zukünftige Absicherung freier und nationaler Assemblies,61 wie sie 1638 zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder zusammengetreten war und ihr kirchenpolitisches Programm gegen den erklärten Willen des Königs durchgesetzt hatte. Henderson betont, daß alle Schotten auf Gottes Vorsehung vertrauen könnten, die Schottland bereits mehr- fach gerettet habe, z. B. bei der Durchführung der Reformation.62 Ebenso ver-

58 [Alexander Henderson], Some Speciall Arguments for the Scottish Subiects Lawfull De- fence of their Religion and Liberty, Extracted out of the Manuscripts of one of their Chiefe Reformers, Amsterdam 1642. 59 S. u. Kap. II 1d. 60 Diese zwölf Punkte sollten auch die offizielle politische Position der Covenanters im Um- gang mit Karl I. bestimmen. In einer gemeinsamen Unterredung in Berwick zur Vermeidung militärischer Kampfhandlungen trugen die schottischen Vertreter diese Agenda in Gegenwart des Königs vor; vgl. Russell, Fall, S. 64–66. 61 [Henderson], Speciall Arguments, S. 2. Vgl. hierzu ferner Allan I. Macinnes, Charles I and the Making of the Covenanting Movement 1625–1641, Edinburgh 1991, S. 175 f. 62 Ein weiterer Beleg für die auch in Schottland verbreitete Vorstellung, Gottes auserwähltes Volk zu sein, findet sich in Samuel Rutherfords Auslegung von Jes 49, in der er Schottland als Erben Israels erblickt und emphatisch verkündet: „Now, O Scotland, God be thanked, thy name is in the Bible“; John Coffey, Politics, Religion and the British Revolutions. The Mind of , Cambridge 1997, S. 228. Dieser Sonderrolle werde Schottland jedoch nur gerecht, wenn es wieder zu seiner Vorbildhaftigkeit einer vollständig reformierten Kirche zurückfinde (S. 230 f.).

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dienten die politischen Anführer des Covenant jedes Vertrauen und volle Loyali- tät, habe sie doch Gott selbst für ihre Aufgabe bestimmt.63 Vor allem aber sei Einig keit vonnöten, wolle man gegen den herannahenden Gegner bestehen. Die Rechtmäßigkeit des Widerstands gegen den König, den Henderson stets mit einer Verteidigung des Landes gegen eine von außen kommende Invasion um- schreibt, belegt er mit zahlreichen Argumenten unterschiedlicher Provenienz. Zum einen rekapituliert Henderson die Haltung des Covenant selbst, daß der Gehor- sam gegenüber der Obrigkeit an die Bedingung geknüpft sei, daß dieser dem Ge- horsam zu den Gesetzen Gottes nicht entgegensteht. Da Schottland mit diesem Fall konfrontiert sei, gelte die Maxime aus Apostelgeschichte 4,19, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Solange Karl I. nicht im Einklang mit Gottes Gesetzen regiere – was in Hendersons Augen erst dann wieder der Fall wäre, wenn sich der König ohne Vorbehalte dem Covenant anschlösse – könne es für die Schotten schon um ihres Seelenheils willen nur eine überirdische Obrigkeit geben: „not disobedience to the Magistrate, but obedience to God, who (in this point so long as the Magistrate runneth this course) becommeth their immediate Superiour“.64 Solange Karl I. sich dem religionspolitischen Anliegen der Covenan- ters verweigere, könne er sich auch nicht auf Römer 13 berufen. Da er nicht das Wohl der Untertanen im Auge habe, sondern vielmehr deren Seelenheil mit seinen Neuerungen gefährde, könne er nicht die Rolle eines „Ministers of God“ für sich in Anspruch nehmen, sei daher um des Seelenheils willen Ungehorsam und nicht Gehorsam notwendig (Röm 13,4).65 Die Covenanters könnten sich hierbei am Beispiel König Davids orientieren, der sich in der Stadt Keilah zusammen mit 600 Soldaten aufhielt, bereit, sich gegen Saul zu verteidigen.66 Dieses Argument zählt zu den Klassikern der Debatte um das Widerstandsrecht und findet sich bei Althu- sius ebenso wie bei George Gillespie und später bei Samuel Rutherford wieder.67 Neben dieser rein theologischen Begründung des Verhaltens der Covenanters gegen Karl I., die insbesondere in der Auslegung von Röm 13 stark an David Pareus erinnert, greift Henderson auch auf zwei weitere Legitimationsbausteine des Widerstandsrechts zurück. Hier kommen Argumente zur Sprache, wie sie in der schottischen Debatte über das Verhältnis von König und Kirche bislang nicht bemüht worden waren. Allenfalls George Buchanan argumentierte in seinem 1579 zuerst erschienenen Traktat De Jure Regni apud Scotos auf vergleichbare Weise. Henderson mußte aber nicht soweit zurückgreifen, um sich mit den not- wendigen Argumenten zur Verteidigung des Widerstandsrechts auszustatten. Während in Schottland und England nach Buchanans Traktat für einen langen Zeitraum keine weiteren Lobreden auf das Recht des Volkes zur Gegenwehr ge- gen einen unrechtmäßig regierenden König mehr in der Öffentlichkeit zirkulier-

63 [Henderson], Speciall Arguments, S. 2: „whom God at this time hath raised up“. 64 Ebd., S. 3 f. 65 Ebd., S. 5. 66 Ebd., S. 6; vgl. 1 Sam 23, 1–13. 67 S. o. Kap. II 1b und unten Kap. II 1 f.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 4747 118.11.20108.11.2010 11:00:3511:00:35 UhrUhr 48 II. Bürgerkrieg und Biblizismus

ten, blieb diese Diskussion sowohl in Frankreich als auch im Alten Reich weiter- hin aktuell und sorgte für immer elaboriertere Traktate, die den Anteil des Volkes an der Königsherrschaft ebenso betonten wie das Widerstandsrecht. Henderson machte sich seinerseits die Konzeption eines ständischen Widerstandsrechts zu- nutze, wie sie zuletzt umfassend Johannes Althusius in seiner Politica ausgearbei- tet hatte. Hendersons Argument liest sich denn auch wie ein Exzerpt des Kapitels 19 aus Althusius’ Politica:68 safety and good of the people is the supream Law, Magistracie the inferiour and subordi- nate Law; The people maketh the Magistrate, but the Magistrate maketh not the people; The Magistrate cannot be without the people. The body of the Magistrate is mortall, the body of the people immortall.69 Henderson greift auch auf die politische Wissenschaft zurück, um zu begründen, daß der Widerstand gegen den König in Schottland nicht von Privatleuten ge- tragen werde, sondern vom „hole body of a kingdome“, niedere Magistrate ein- geschlossen,70 und daß die Auflehnung gegen Karl nicht nur legitim, sondern geradezu zwingend geboten sei, da ein Bruch des Bundes mit Gott nicht nur vom König selbst, sondern auch von all denen zu verantworten sei, die sich nicht dem Bruch des Bundes widersetzt hätten.71 Dies gilt auch für seinen Hinweis auf die „mutual contracts“ zwischen König und Volk, z. B. die vom König im Krönungs- eid eingegangenen Verpflichtungen.72 Desweiteren bemüht Henderson das Notwehrrecht, auf das sich die Covenan- ters berufen könnten. Karl sei einem rasenden Gewalttäter vergleichbar – „mar- ching furiously towards his loyall and well meaning people“ –, Notwehr daher legitim, ebenso wie sich auch ein Kind gegen Eltern verteidigen dürfe, sofern die- se in Raserei das Leben des Kindes bedrohten. Der römische Rechtsgrundsatz „vim vi repellere licet“ liefert hierfür das notwendige Rechtsfundament und wird bei Henderson gleichfalls als Legitimation angeführt.73 Henderson greift in seinen Informations also auf drei unterschiedliche Argu- mente zurück, um die Gegenwehr der Covenanters gegen die Armee des Königs zu legitimieren. Erstens argumentiert er biblizistisch und mobilisiert hier insbe- sondere das Argument von der unbedingten Gehorsamspflicht gegenüber dem

68 Cowan, Making, S. 81 f.; aber hier evt. Überbetonung der Bedeutung Althusius’ („Blueprint of the Revolution“). Daß sich unter den Covenanters aber einige eifrige Leser der Politik des Althusius befanden, geht unter anderem auch aus manchem Selbstzeugnis der Akteure her- vor; vgl. Johnston, Diary, I 348. 69 [Henderson], Speciall Arguments, S. 5. 70 Zur Tradition des ständischen Widerstandsrechts in Hendersons Text kurz Smart, Political Ideas, S. 169 f. 71 [Henderson], Speciall Arguments, S. 5. Henderson spricht von seiner Anlehnung an „sound and religious Politicians“, zu denen er auch Althusius gezählt haben dürfte. Zum Bund zwi- schen Volk und Gott bei Althusius vgl. Althusius, Politica (1614), Kap. XXVIII, § 15–24, hier v. a. § 19. 72 [Henderson], Speciall Arguments, S. 6. 73 Ebd., S. 3 und 6.

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Gesetz Gottes, die im Konfliktfalle auch die Pflicht zum Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit suspendiere. Zweitens stützt er sich auf das ständische Widerstandsrecht, wie es insbesondere von Althusius vertreten worden ist. Diese Debatte bedient sich vor allem verfassungsrechtlicher Argumente und betont die fundierende Stellung des Volkes bzw. der Zwischengewalten in der Monarchie. Und drittens greift Henderson auf das Notwehrrecht zurück, das es jedem ein- zelnen Schotten erlaube, sich gegen einen König zu stellen, der eindeutig von Zerstörungsabsichten getrieben sei. Diese drei unterschiedlichen Legitimationsquellen stehen bei Henderson weit- gehend unverbunden nebeneinander. Weder bemüht er sich um eine Synthese, noch greift er die Widersprüche auf, die sich aus einer Kompilation dieser drei unterschiedlichen Autorisierungsstrategien für das Widerstandsrecht ergeben. Beide Aspekte sollten in der durch die Informations angestoßenen Debatte über die Legitimationsgrundlagen der Monarchie sowohl von den Mitstreitern als auch von den Widersachern Hendersons noch zur Sprache kommen. Der bevorstehen- de Waffengang zwischen König und Covenant stellte die Monarchie auch in der politischen Debatte auf den Prüfstand.

e) Die Widersacher des National Covenant In Schottland mögen die royalistischen Kritiker des Covenant in der Minderheit gewesen sein, sprachlos waren sie nicht. Und während an der schottischen Grenze die Truppen Karls I. aufmarschierten, um in Schottland die Autorität des Königs wiederherzustellen, wandten sich die royalistischen Autoren gegen die Anwälte des Covenant. Es waren dabei insbesondere zwei Legitimationsquellen, auf die sich die Kritiker des schottischen Bundes stützten: Zum einen speiste sich ihre Kritik auf Rechtsargumente und den Verweis auf geltende Gesetze, zum anderen formulierten manche Autoren ihre Angriffe prononciert in der Sprache des Bibli- zismus und betonten das divine right of kings. Der strikt legalistische Diskurs war insbesondere zu Beginn der revolutionären Ereignisse vorherrschend. So war einer der ersten Kritiker des Bundes, der sich in der Öffentlichkeit auf Seiten der Royalisten zu Wort meldete, der Theologe John Forbes. Er erinnerte an die dem Monarchen geleisteten Treueeide,74 betonte dar- über hinaus, daß all die nun aufgehobenen kirchenpolitischen Maßnahmen, ange- fangen von der Bischofsverfassung bis zu den Artikeln von Perth, ordnungsge- mäß vom Parlament beschlossen worden seien und daher befolgt werden müßten, während Zusammenschlüsse ohne ausdrückliche königliche Billigung wie der

74 John Forbes, A Peacable Warning, to the Subjects in Scotland Given in the Yeare of God 1638, Aberdeene 1638, S. 8 f. Diese Schrift veranlaßte wiederum David Calderwood zu einer sofortigen Entgegnung, die ebenfalls auf biblische Legitimation verzichtet und statt dessen auf diejenigen Beschlüsse aus der Anfangszeit der Regierung Jakobs VI. verweist, auf die sich die Covenanters bei ihrem Vorgehen beriefen; David Calderwood, An Answere to M. I. Forbes, of Corse, his Peacable Warning, [Edinburgh] 1638.

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Covenant bereits von Jakob VI. verboten worden seien.75 Selbst in seiner prinzi- piellen Stellungnahme zur Gehorsamspflicht aller Untertanen nutzt Forbes nur zwei der meistzitierten Bibelstellen, Römer 13 und 1 Petrus 2, um die Notwen- digkeit zu bedingungslosem Gehorsam gegenüber dem Monarchen darzulegen, untermauert von Verweisen zu den Kirchenvätern bis zu zeitgenössischen Auto- ren, unter ihnen Jean Calvin und König Jakob VI.76 Der Verweis auf die geltende Rechtslage war auch die offiziell von Karl I. ge- wählte Argumentationsstrategie. Im Traktat Large Declaration, in dem suggeriert wurde, daß er aus der Feder des Königs selbst stammte, berief sich der Autor auf die fortdauernde Gültigkeit von Beschlüssen der Assembly und des schottischen Parlaments, über die sich die Covenanters rechtswidrig hinweggesetzt hätten.77 Stünden alle Maßnahmen der Regierung – einschließlich der Einführung des Book of Common Prayer – im Einklang mit schottischen Gesetzen, so gelte für die Co- venanters das Gegenteil. Deren Wiederaufgreifen der King’s Confession aus dem Jahre 1581 sei nicht vom König autorisiert und daher nicht rechtmäßig gewesen. Schließlich dürfe niemand Gesetze auslegen, der hierfür nicht vom Gesetzgeber ausdrücklich dazu befugt sei.78 Die subversive Qualität der Initiatoren des Covenant zeige sich aber auch an deren Aussagen zur Königsherrschaft generell. Der Autor der Large Declaration dürfte insbesondere Hendersons Instructions im Sinne gehabt haben, wenn er de- ren Argumente mit den Lehren prominenter Jesuiten wie Bellarmin und Suárez vergleicht.79 Dies gelte für die Annahme, das Volk sei Ursprung der königlichen Herrschaftsgewalt ebenso wie für den Anspruch der Assembly, den König im Bedarfsfalle exkommunizieren oder sich über Beschlüsse des Parlaments hinweg- setzen zu dürfen.80 In der offiziell anmutenden Verlautbarung der Large Declara- tion wird ferner der Anspruch der Assembly auf eine von Christus direkt autori- sierte Wächterrolle zur Überwachung von König und Parlament in allen Fragen der Kirchen- und Religionspolitik ausdrücklich verdammt.81

75 John Forbes, Generall Demands Concerning the Late Covenant, together with Answeres to them, and Repleyes to those Answers, Aberdeen 1638, S. 10–14. Zu den Verhandlungen in Aberdeen zwischen den Kritikern des Covenant und den Befürwortern, unter ihnen Montrose, Alexander Henderson, David Dickinson und Andrew Cant; vgl. D. Stewart, The Aberdeen Doctors and the Covenanters, in: Records of the Scottish Church History Society 22 (1984–86), S. 35–44. Der theologisch-politische Konflikt sollte im ersten Bishops War 1539 auch zu militärischen Auseinandersetzungen führen; Stevenson, Scottish Revolu- tion, S. 138–140; Russell, Fall, Kap. 3. 76 John Forbes, Duplys of the Ministers and Professors of Aberdene to Second Answeres of Some Reverend Brethren, Concerning the Late Covenant, Aberdeen 1638, S. 23–33. 77 In Wirklichkeit dürfte der Traktat von Walter Balcanquhal stammen; [Balcanquhall], Lar- ge Declaration, S. 73. Vgl. ferner Peter Donald, An Uncounselled King. Charles I and the Scottish Troubles, 1637–1641, Cambridge 1990, S. 132 f. 78 [Balcanquhall], Large Declaration, S. 68–70. 79 Ebd., S. 3. u. ö. 80 Ebd., S. 410–414. 81 Ebd., S. 416 f.

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Die offizielle Stellungnahme des Königs zum schottischen Aufstand war streng legalistisch formuliert. Der theokratische Anspruch der Covenanters wird in ihr zurückgewiesen, vom König selbst in dieser Schrift aber nicht in Anspruch ge- nommen. Die Gesetze des Landes werden als Argument bemüht, nicht das divine right of kings. Es findet sich nur der Hinweis darauf, „the Lord’s annointed“ zu sein. Andere Autoren waren weniger zurückhaltend mit der Charakterisierung der Monarchie als Verkörperung des theokratischen Ideals auf Erden. John Cor- bet war einer der ersten, der mit diesem Argument Hendersons Argumentation einer vom Volk etablierten Königsherrschaft auf Abruf zurückwies und die Loya- lität gegenüber dem König einforderte.82 Corbets eigener politischer Standpunkt wird bereits darin erkennbar, daß er sein Traktat Thomas Wentworth widmete, einer Person, die sowohl in Schottland als auch in England viele Kritiker des Kö- nigs für den Zustand der Monarchie verantwortlich machten und der das vom Long Parliament angestrengte Impeachmentverfahren denn auch nicht überleben sollte. Ihm gegenüber bezeichnet sich Corbet als einer der letzten Verbliebenen in Schottland vom Stamme Levi, womit er wohl vor allem seine Rolle als Fürspre- cher der Bischofsgewalt im Sinn gehabt haben dürfte.83 Im Zentrum von Corbets Argumentation steht die Unantastbarkeit des Kö- nigs, der von Gott eingesetzt und daher nur Gott gegenüber verantwortlich sei: ein tragendes Fundament in der Lehre vom divine right of kings. Jegliche Idee, daß der König seine Herrschaft ursprünglich vom Volk erhalten habe und daher auch niederen Magistraten gegenüber rechenschaftspflichtig sei bzw. diesen das Recht auf Widerstand zugebilligt werden müsse, komme Corbet zufolge einer Umkehrung aller Hierarchien und letztlich der Blasphemie gleich, da man sich mit dieser Konzeption zugleich gegen die von Gott selbst etablierte politische Ordnung auflehne.84 Vorläufer für diese Gottesvergessenheit findet Corbet be- reits in der Bibel: Corbet stellt Henderson und die Covenanters auf eine Stufe mit der Rotte Corah und ihrer Rebellion gegen Moses und mit Absalom in seinem Aufstand gegen David.85 Umgekehrt sieht Corbet in König Karl einen würdigen Nachfolger König Davids.86 Gerade David sei aber Corbet zufolge ein gutes Bei- spiel dafür, daß ein König selbst als Sünder vor Gott nicht dem Gesetz unterwor- fen sei und daher nicht belangt werden könne.87 Vielmehr gebühre Königen Ge- horsam bei allen Befehlen, die mit den Gesetzen des Landes im Einklang stünden, und Unterwerfung bei denen, die dem Gesetz entgegenstünden.88 Das Ge- horsamsgebot von Römer 13 sei daher mitnichten zu relativieren, sondern gelte absolut. Auch Tyrannen seien schließlich Teil des göttlichen Heilsplanes, von

82 John Corbet, The Ungirding of the Scottish Armour, or, An Answer to the Informations for Defensive Armes against the Kings Maiestie, Dublin [i. e. London] 1639. 83 Ebd., Fol. A3r. 84 Ebd., S. 29. 85 Ebd., S. 20. 86 Ebd., Fol. A4r/v. 87 Ebd., S. 19. 88 Ebd., S. 23. Corbet spricht von „obedience“ und „subjection“.

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Gott gesandt und daher zu erdulden. Selbst das Untier der Apokalypse (Offb 13, 7–10) entspreche göttlicher Providenz und sei daher ohne Widerstand zu er- dulden.89 Während sich Henderson unterschiedlicher Traditionsreservoirs bedient, um das Vorgehen der Covenanters zu rechtfertigen, dient Corbet gerade der Rück- griff auf unterschiedliche politische Sprachen zugleich als Anknüpfungspunkt sei- ner Kritik. Corbet gründete seinen Einspruch gegen die Agenda der Covenanters vorwiegend auf die Bibel. Zum einen unterstellt er Henderson Beliebigkeit im Umgang mit der Heiligen Schrift, die bei ihm nur eine von mehreren Autoritäts- quellen sei, nicht aber die einzige oder wichtigste.90 Auch stütze sich Henderson ausschließlich auf Beispiele des Alten Testaments, was Corbet zu der rhetorischen Frage veranlasst: „What if I would grant it lawful under the Law, and that your testimonies are good for your purpose? But can ye shew it lawfull under the Gospell, where suffering is only commanded?“91 Es ist bezeichnend, daß Corbet es bei dieser Frage nicht bewenden läßt, son- dern zum einen alle von Henderson angeführten Exempla aus dem Alten Testa- ment auf diametral andere Art und Weise auslegt und zum anderen bemüht ist, ihnen jedes Potential als beispielgebende Vorläufer göttlich legitimierten Wider- stands gegen irregeleitete Könige zu nehmen. So pariert er Hendersons Verweis auf das Notwehrrecht mit dem Hinweis, daß David auch das Wüten Sauls klaglos erduldet habe, da dieser Gesalbter des Herrn gewesen sei.92 Und Hendersons Argument, daß zwar ein Volk ohne König, nicht aber ein König ohne Volk denk- bar sei, entgegnet er mit einem Verweis auf Adam, der in der patriarchalistischen Lesart nicht nur der erste Mensch, sondern zugleich auch der erste König gewe- sen sei.93 Das Naturrecht begründe daher Corbet zufolge keine Gleichheit unter den Menschen, sondern etabliere umgekehrt von Beginn an den Zwang zur Un- terordnung unter die Herrschaft. Der aus Schottland stammende Henry Leslie wandte sich von seiner neuen Wirkungsstätte in Irland als Bischof von Down und Connor an seine Landsleute. In seiner Schrift A Full Confutation of the Covenant sah er die Ursache der Krise, ganz im Einklang mit Karl I., in der mangelnden Konformität zwischen der schottischen und der englischen Kirche, wobei er keinen Zweifel daran läßt, daß die schottische Kirche der englischen Bischofskirche angeglichen werden müsse. Die Presbyterianer folgten mit dem Genfer Modell einem falschen Kirchenideal, das nicht nur für das nun zu beklagende Schisma in der schottischen Kirche ver- antwortlich sei, sondern auch für Häresie und Rebellion und letztlich auf eine Täuferherrschaft hinauszulaufen drohe.94 Daß der Covenant nicht rechtmäßig

89 Ebd., S. 25–27. 90 Ebd., S. 37. 91 Ebd., S. 38 f. 92 Ebd., S. 34 f. 93 Ebd., S. 30. 94 Henry Leslie, A Full Confutation of the Covenant Lately Sworne and Subscribed by Many in Scotland, London 1639, S. 3–7.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 5252 118.11.20108.11.2010 11:00:3611:00:36 UhrUhr 1. Schottland auf den Spuren des Volkes Israel 53

zustandegekommen und daher illegitim sei, sucht Leslie sowohl mit rechtlichen Argumenten darzulegen als auch mit biblischen Beispielen zu untermauern, z. B. mit der Warnung Gottes vor einem Meineid.95 Biblische Exempla dienen Leslie zudem dazu, die Schwere des Vergehens darzulegen. Die Covenanters stehen bei ihm auf einer Stufe mit den Israeliten, die das Goldene Kalb anbeteten, mit Absa- lom, der unrechtmäßig gegen David aufbegehrte und, im Falle Schottlands be- sonders sprechend, dem Volke Israels, das sich unter Rehabeam von Jerusalem abwandte.96 Der Biblizismus war keineswegs nur die Sprache von Theologen. So bediente sich z. B. auch der Engländer Henry Peacham – ein Autor von Büchern über Rhe- torik, Emblematik und die Qualitäten des honnete homme97 – im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Covenanters einer weitgehend auf biblische Exempla gestützten Argumentation, um die absolute Gehorsamspflicht aller Untertanen zu untermauern, und führt im Widmungsschreiben seines Traktats The Duty of all True Subjects to their King als zentrale Säule der Königsherrschaft das „Law both of God and Nature“ an, das er anschließend mit zahlreichen meist klassi- schen Bibelexempla zu untermauern sucht.98 Peachams enge Bindung an den ver- storbenen Prinz Henry mag dazu beigetragen haben, daß er sich in der für die Monarchie kritischen Stunde seinerseits in die Rolle eines Apologeten der nur Gott verantwortlichen Krongewalt begab.99 Die dafür notwendigen Argumenta- tionsbausteine und Exempla waren in der Sprache des divine right of kings alle verfügbar und seit Jahrzehnten etabliert: Peacham mußte sich ihrer nur bedie- nen. Die Verteidiger des divine right of kings hatten in ihren Traktaten nicht die Absicht, ihre Originalität unter Beweis zu stellen. Die Legitimität des Königs und die Illegitimität des von den Covenanters betriebenen politischen Kurses bewies man am besten auf der Grundlage bereits etablierter, allgemein geteilter Grund- sätze und Argumente. Die Bibel stellte ein anerkanntes Referenzmedium dar. Ziel der Autoren war es, mit der aus biblischen Maximen und Exempla destillierten politischen Ordnungsvorstellung des divine right of kings ein Fundament zu

95 Lev 19,12; Betonung der Unrechtmäßigkeit des Eides auf den Covenant bei Leslie, A Full Confutation, S. 28–30. 96 Ebd., S. 33 f. Das Beispiel Absalom ist ein Klassiker aller Gegner des Widerstandsrechts und wurde im britischen Bürgerkrieg oft als Argument ins Feld geführt; vgl. nur die im Königsla- ger anonym herausgegebene Schrift: Absalom’s Rebellion. As it is Recorded in the 2. Sam Chap. 15,16,17,18 & 19, with some Observations upon the Severall Passages thereof, to Fit a Patterne for the Present Times, whereinto we are Fallen, Oxford 1645. 97 Seine wichtigsten Werke waren: The Garden of Eloquence (1577); Art of Drawing (1607); Minerva Britannia, or, A Garden of Heroical Devises (1612) und The Complete Gentleman (1622); vgl. John Horden, Henry Peacham (b. 1578, d. in or after 1644), in: ODNB 43 (2004), S. 236–238; Sommerville, Royalists and Patriots, S. 47. 98 Henry Peacham, The Duty of all True Subjects to their King as also to their Native Coun- trey, in Time of Extremity and Danger, London 1639, Fol. *1r. 99 Vgl. Roy Strong, Henry Prince of Wales and England’s Lost Renaissance, London 1986, S. 27.

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schaffen, das auf vergleichbare Weise unantastbar und zustimmungsfähig war. Die Autorität der fundierenden Quelle sollte zugleich die Autorität der aus ihr ab- geleiteten Interpretation begründen. Um im Kampf um die Deutungshoheit der politischen Ereignisse Punktgewinne zu erzielen, reichte es nicht aus, sich dieses Referenzmediums neben anderen zu bedienen. Vielmehr kam es darauf an, die Bibel für die eigene politische Interpretation gleichsam zu monopolisieren und der Gegenseite zu entwinden. In der Logik dieser Argumentationsstrategie kann nur derjenige, der sein politisches Ordnungsmodell ganz auf biblischen Aussagen gründen kann, Legitimität beanspruchen. Bereits John Corbet suchte Henderson in seiner direkten Entgegnung dadurch zu delegitimieren, daß er ihm nicht nur seine Argumentation, sondern auch seine autorisierenden Quellen vorwarf, sofern es sich nicht um die Heilige Schrift han- delte. Sein Mitstreiter John Maxwell bediente sich derselben Strategie, als er im Jahr 1644 sein Traktat Sacro-sancta regum majestas der Öffentlichkeit vorlegte. Maxwell war während der gesamten Regierungszeit Karls I. ein loyaler Fürspre- cher des Königs und seiner Religionspolitik. Dies führte nicht nur zu seiner Ex- kommunikation auf der Glasgower General Assembly des Jahres 1638, sondern auch zu seiner Verurteilung als Aufwiegler und Landesverräter durch das Parla- ment 1641. Der König dankte ihm sein Engagement mit einem Bischofssitz in Irland. Nach dem Beginn des irischen Aufstandes nahm Karl ihn in die Reihe seiner Hofkapläne an seinem provisorischen Königshof in Oxford auf.100 In die- ser Funktion legte Maxwell eine weitere Neuauflage der Lehre vom divine right of kings vor, mit der sowohl den aufständischen Schotten als auch den Anhängern des Long Parliament jegliche Legitimation für ihr Handeln entzogen werden sollte. Bereits in seinem vorangestellten Widmungsschreiben reklamiert Maxwell die biblische Autorität für seine Sicht der Dinge, während er den Kontrahenten vor- wirft, sie würden die Lehren der Heiligen Schrift mißachten und statt dessen die Lehren antiker Staatstheoretiker zu Rate ziehen und damit menschlichen Irrtü- mern erliegen.101 Dabei setzt er Jesuiten und „Puritaner“ in ihrer Lehre von der Volkssouveränität und der damit einhergehenden Untergrabung der von Gott etablierten Königsherrschaft gleich.102 Maxwell nutzt die Schriften des Alten Te- staments dabei als Exempelsammlung, um darzulegen, daß Herrscher, die nicht von Gott, sondern vom Volk Israel als Regenten eingesetzt wurden, ihrer Herr- schaft nicht würdig waren und diese mißbrauchten.103 Dieser Deutung stellt er

100 Vgl. A. S. Wayne Pearce, John Maxwell (d. 1647), in: ODNB 37 (2004), S. 518 f. 101 John Maxwell, Sacro Sancta Regum Majestas, or, the Sacred and Royall Prerogative of Christian Kings, Oxford 1644, Fol. ¶2r: „A wonder then it is that some smatterers in Divini- tie writing in this subject do borrow principles from old poticall fables and toyes, make premises, and inferred conclusions not onely destructive of Monarchie, but also contradicto- ry to that truth Scripture hath revealed.“ 102 Ebd., S. 6–19. 103 Ebd., S. 114–120. Ein Beispiel eines solchermaßen illegitimen Herrschers ist für Maxwell Abimelech (Ri 9).

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die Lehre vom divine right of kings gegenüber, die er konsequent aus biblischen Stellen herleitet. Könige seien entweder direkt von Gott in ihr Amt eingesetzt worden wie Moses und Josua, Saul und David, oder aber sie hätten ihre Amtsge- walt direkt von Gott, auch wenn sie ihr Amt weltlichen Einsetzungsritualen ver- dankten. Diese Rituale fielen indes nicht ins Gewicht: So sei Matthias direkt von Christus zum Apostel bestellt worden, obgleich er vorher durch Los für diese Rolle bestimmt worden war, und auch die durch die Taufe verliehene Gnade ver- danke sich des direkten Beistandes Christi, nicht aber dem Ritual des Übergie- ßens mit Taufwasser allein.104 Maxwell nutzt das Königsgesetz des Deuteronomiums (Dtn 17), um sowohl die Legitimation des Königs direkt von Gott herzuleiten als auch dessen unan- fechtbare Suprematie zu belegen. Er übergeht alle in diesem Kapitel niedergeleg- ten Einschränkungen königlicher Machtausübung, die insbesondere die Kritiker einer unumschränkten Monarchie so gerne zitieren. Statt dessen betont er gegen Suárez, daß hier ein allgemeines Prinzip der Königsherrschaft niedergelegt sei, das nicht nur die Juden betreffe.105 Auch für die anderen klassischen Stellen, die er zur Verteidigung des divine right anführt, postuliert Maxwell zeitlose und kon- textunabhängige Gültigkeit: Spr 8,15 (Durch mich regieren die Könige), Röm 13,2 (Wer sich der Obrigkeit widersetzt, widerstrebt der Anordnung Gottes), Ps 82,8 (Ihr seid Götter und allzumal Söhne des Höchsten), Joh 19,11 (Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre).106 In seiner Ausle- gung vom Gehorsamsgebot im 13. Kapitel des Römerbriefs läßt Maxwell eben- falls keinerlei Ausnahmen oder Einschränkungen gelten. Vielmehr habe man der Obrigkeit, die er umstandslos mit dem König als höchster Instanz auf Erden gleichsetzt, bedingungslos zu gehorchen, schließlich sei diese Maxime zu Zeiten Kaiser Neros verfaßt worden, der kaum als Herrscher gemäß christlicher Nor- men gelten könne.107 Maxwell bemüht wie Corbet wenige Jahre zuvor ebenfalls neben den bibli- schen Aussagen zur Königsherrschaft auch das Naturrecht, um das Prinzip der Monarchie bereits als Teil der Schöpfungsgeschichte anzusehen: Auch ihm gilt Adam nicht nur als Familienvater, sondern als erster Regent.108 Lex dei und Natur- recht sind bei Maxwell die beiden Säulen, auf denen die Monarchie zeitlos grün- det.109 Dabei widerspricht er der Auffassung, daß die Autorität der Obrigkeit nur in abstracto von Gott herzuleiten sei, nicht aber in concreto, d. h. sich weder allein auf die Staatsform der Monarchie allein beziehen lasse, noch dem Herrscher als Person zuteil werde.110 Ferner sei im Naturrecht nicht die Gleichheit der Men-

104 Ebd., S. 20 f. 105 Ebd., S. 24 f. Hierzu auch Maxwells Aussagen über die Könige der benachbarten Völker Isra- els, den Pharao, Nebukadnezar, Cyrus etc. (S. 36–39). 106 Ebd., S. 23–27. 107 Ebd., S. 30–32. 108 Ebd., S. 33 und 84 f. 109 Ebd., S. 33. 110 Ebd., S. 80 f.

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schen festgeschrieben, sondern umgekehrt der Zustand von Herrschaft und Un- terordnung vom Anbeginn der Schöpfung.111 Maxwell zieht aus diesen allgemeinen Überlegungen zur Königsherrschaft ein speziell an die politische Situation in Schottland adressiertes Fazit: Das Volk habe keinerlei Recht, sich gegen die Herrschaft des Königs zu erheben. Die politischen Akteure könnten sich für ihre Taten nicht auf die Heilige Schrift berufen, da in ihr ausschließlich die Monarchie von Gott eingerichtet und dauerhaft als legitime Herrschaftsform etabliert worden sei. Ferner finde sich in der Schrift kein Präze- denzfall für ein Bund des Volkes mit Gott, der gegen den Willen des Königs zu- standegekommen sei.112 Die Covenanters befänden sich damit vollständig außer- halb der von der Bibel etablierten Ordnung, seien daher Aufrührer nicht nur ge- gen König Karl I., sondern gegen Gott, so Maxwells Botschaft an seine Leser.

f) Interpretationshilfe III: Samuel Rutherford: Lex, Rex Der Kampf um die Deutungshoheit über die Heilige Schrift und deren politische Auslegung während des Bürgerkrieges brachte es mit sich, daß Maxwells Ver- such, die Bibel für die Lehre vom divine right of kings zu monopolisieren, nicht lange unwidersprochen blieb. Noch im selben Jahr legte Samuel Rutherford in seinem Traktat Lex, Rex eine prinzipielle Entgegnung auf Maxwells Traktat sowie die Schriften zahlreicher weiterer Gegner des Widerstandsrechts vor.113 Und da Maxwells Vorwurf explizit lautete, die Apologeten der „Volkssouveränität“ könn- ten sich für ihre politischen Ziele nur auf Schriften antiker Autoren stützen, nicht aber auf die Heilige Schrift, nahm sich Rutherford der Aufgabe an, die Position der Covenanters nun stärker auf biblizistische Weise zu untermauern, als es bei- spielsweise Henderson in seinen Instructions getan hatte. Rutherford markiert bei der biblizistischen Legitimation des schottischen Auf- standes gegen Karl I. den Schlußstein. George Gillespie argumentierte kurz vor den Unruhen in Edinburgh und dem National Covenant noch ganz auf der Grundlage der lex dei, die als Maßstab für die Bewertung des Königs diente. Diese Argumentationsstrategie blieb auch nach dem Beginn des Aufstandes gegen den König aktuell. Zugleich nahmen die Covenanters aber auch Anleihen an gängigen Widerstandsrechtslehren der Zeit von Buchanan bis Althusius: Die Frage nach der politischen Rolle des Volkes als Legitimationsquelle aller Herrschaft rückte zunehmend in den Mittelpunkt. Der Biblizismus erscheint z. B. bei Alexander Henderson nur noch als eine politische Sprache neben anderen. Samuel Ruther-

111 Ebd., S. 83. 112 Ebd., S. 155. 113 Samuel Rutherford, Lex, Rex: The Law and the Prince. A Dispute for the Just Prerogative of King and People, Containing the Reasons and Causes of the Most Necessary Defensive Wars of the Kingdom of Scotland, London 1644. Zum Kontext der Entstehung von Lex Rex vgl. Coffey, Politics, Religion, S. 147 Anm. 4 mit kritischen Anmerkungen über die von Wil- liam Campbell vorgenommene Datierung; William Campbell, Lex Rex and its Author, in: Records of the Scottish Church History Society 7/3 (1941), S. 204–228, hier S. 204–206.

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ford unternahm nun den Versuch einer Synthese aller Argumente, die die Legi- timität des schottischen Aufstands gegen den König untermauerten.114 Und er vollzog diese Synthese wesentlich in der Sprache des Biblizismus.115 Ein zentrales Fundament aller divine-right-Theorien zur Legitimation königli- cher Herrschaft ist die Herleitung der Herrschaftsgewalt direkt von Gott. Daraus wird stets abgeleitet, daß der König niemandem auf Erden Rechenschaft schulde und niemandem das Recht zukomme, die Herrschaft in Frage zu stellen und Ge- genwehr zu leisten. Rutherford hält dieser Auffassung entgegen, daß Könige nie- mals direkt von Gott als Herrscher eingesetzt worden seien, sondern vom Volk.116 Mit dieser Auffassung steht er in einer langen Tradition katholischer wie prote- stantischer Autoren, die damit das Widerstandsrecht gegen einen rechtsbrecheri- schen König begründeten. Im Unterschied zu diesen Autoren sah sich Rutherford aber genötigt, diesen Beweis insbesondere auf der Grundlage der Heiligen Schrift anzutreten, statt deren politische Aussagekraft in Zweifel zu ziehen. Für Rutherford zeigt sich das Recht des Volkes zur Wahl des Königs in zahlrei- chen Exempla des Alten Testaments. Insbesondere das sogenannte Königsgesetz (Dtn 17) selbst zitiert Rutherford in seinem Traktat unzählige Male als Beleg: „Wenn du [das Volk Israel] sagst, ich will einen König über mich setzen, wie ihn alle Völker um mich her haben, so sollst du den zum König über dich setzen, den der Herr, dein Gott, erwählen wird“.117 Damit greift er auf exakt dieselbe Stelle zurück, aus der Maxwell die Übertragung der königlichen Herrschaftsgewalt al- lein von Gott ableitete, und er bedient sich dabei exakt derselben Auslegung, die Maxwell an den Jesuiten Suárez und Bellarmin heftig attackierte.118 Rutherfords Deutung lautet wie folgt: Die unmittelbar einsetzende Instanz sei dieser Aussage zufolge das Volk, nicht Gott. Nur die Propheten könnten sich da- rauf berufen, direkt von Gott eingesetzt worden zu sein. Auch wenn Gott auf außerordentliche Weise manche Personen als Könige auserkor, so hätten diese ihr Amt erst dann innegehabt, wenn sie vom Volk formal eingesetzt worden seien. So blieb David auch nach seiner von Gott beauftragten und vom Propheten Samuel durchgeführten Salbung zum König (1 Sam 16) weiterhin ein Untertan unter Sauls

114 Den wesentlich schottischen Kontext der Schrift betont Coffey, Politics, Religion, S. 148. 115 Coffey, Politics, Religion, S. 241 sieht das alles verbindende Narrativ bei Rutherford in sei- ner apokalyptischen Naherwartung und der besonderen Rolle Schottlands für die Erfüllung der Heilsgeschichte. Diese Deutung scheint mir jedoch den Stellenwert apokalyptischen Den- kens bei Rutherford überzubetonen. Zumindest der in Lex, Rex betriebene Biblizismus kommt gänzlich ohne apokalyptische Argumente aus, basiert zu großen Teilen auf dem deu- teronomistischen Geschichtswerk und betont die lex dei. 116 Rutherford, Lex, Rex, S. 77–80. Vgl. hierzu auch John D. Ford, Lex, rex iusto posita. Samuel Rutherford on the Origins of Government, in: Roger A. Mason (Hrsg.), Scots and Britons. Scottish Political Thought and the Union of 1603, Cambridge 1994, S. 262–290, v. a. S. 280 f. 117 Rutherford, Lex, Rex, S. 12. Zur Bedeutung von Dtn 17 für Rutherfords Traktat vgl. David Searle, Lex Rex, the Law and the Prince. Samuel Rutherford, in: The Evangelical Library Bulletin 105 (2000), S. 1–16, hier S. 12 f. 118 Maxwell, Sacro-Sancta Regum Majestas, S. 40–44.

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Herrschaft, bis er vom Volk in Hebron zum König ernannt worden sei (2 Sam 2).119 Auch bei den Inthronisationen von Abimelech (Ri 9,6), Saul (1 Sam 11,15), Salo- mon (1 Kön 1) und Asarija (2 Kön 14,21) betont Rutherford den konstitutiven Anteil des Volkes.120 Dabei sei die Auswahl bestimmter Könige wie Saul und Da- vid durch Gott eine Ausnahme, die sich der besonderen Situation des israelischen Volkes verdankt. Ferner habe die dem Haus David zugesprochene dynastische Kontinuität mit Christus ihr Ziel erreicht. Auf beide Argumente könnten sich zeitgenössische Monarchen nicht mehr berufen.121 Aus der Heiligen Schrift lasse sich daher Rutherford zufolge weder das Prinzip der Erbmonarchie noch die Her- leitung der königlichen Herrschaftsgewalt direkt von Gott schlüssig begründen. Auch das Naturrecht könne zur Begründung der Monarchie nicht herhalten, so Rutherford.122 Vielmehr seien alle Menschen von Natur aus gleich. Adam habe zwar als Familienoberhaupt qua Naturrecht legitime Gewalt über seine Familie, nicht aber politische Herrschaftsgewalt innegehabt, da diese nur durch positives Recht verliehen werden könne.123 Rutherford verwirft auch andere vermeintliche königliche Prototypen aus der Zeit vor der Verkündigung des Gesetzes wie Nim- rod als untauglich, um eine Königsherrschaft zu begründen.124 Ebenso spricht er jeglicher Herrschaft die Legitimität ab, die sich ausschließlich auf Eroberung gründe. Allein die freie Entscheidung des Volkes zur Herrschaftsübertragung an einen König sei das rechtmäßige Fundament einer Monarchie.125 Interessanterweise greift Rutherford bei seiner Legitimation des Widerstands- rechts nicht primär auf die Idee des Volkes als Ursprung monarchischer Herr- schaft zurück. Vielmehr ist seine Argumentation deckungsgleich mit den Argu- menten der Covenanters der ersten Stunde, speist sich also aus dem Zusammen- spiel unbedingter Gehorsamstreue zur lex dei einerseits und den Verpflichtungen aus dem konditionierten Bund zwischen Gott und seinem Volk andererseits.126

119 Rutherford, Lex, Rex, S. 15. 120 Ebd., S. 12–15. 121 Ebd., S. 22. 122 Zum Verhältnis von Naturrecht und Bibelexegese bei Rutherford vgl. Coffey, Politics, Reli- gion, S. 152–157. 123 Rutherford, Lex, Rex, S. 3–5 und S. 89 f.: „There is a subjection in respect of naturall being, as the effect to the cause, so though Adam had never sinned, this morality of the fifth com- mand, should have stood in vigour, that the son by nature, without any positive Law, should have been subject to the father, because from him he hath his being, as from a second cause: But I much doubt, if the relation of a father, as a father, doth necessarily infer a Royall or Kingly authority of the father over the son; or by natures Law, that the father hath power of life and death over, or above his children, and the reasons I give, are, 1. Because power of life and death is by a positive Law, presupposing sin, and the fall of man; and if Adam standing in innocency, could lawfully kill his son, though the son should be a Malefactor, without any positive Law of God, I much doubt. 2. I judge, that the power Royall, and the fatherly power of a father over his children, shall be found to be different.“ 124 Ebd., S. 84. 125 Ebd., S. 85. 126 Vgl. hierzu auch treffend Coffey, Politics, Religion, S. 165 f. gegen Skinner, Foundations, Bd. 2, S. 325.

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Ein Verstoß des Königs gegen das Gottesgesetz – worunter die Einführung des Books of Common Prayer als Element des Götzendienstes zu zählen wäre – ent- binde die Untertanen von ihrer Gehorsamspflicht gegenüber dem König, um Gott den schuldigen Gehorsam zu erweisen.127 Rutherford kleidet auch den zur Zeit des römischen Bürgerkrieges von Cicero formulierten Grundsatz salus populi suprema lex in ein biblizistisches Gewand, indem er die Maxime als Auslegung von Römer 13,4 präsentiert.128 Da die Obrig- keit „Gottes Dienerin dir zugut“ sei, könne auch nur derjenige Gehorsam bean- spruchen, der diese Maxime einhält, d. h. sowohl als Diener Gottes dessen Geset- ze beachte als auch das Wohl des Volkes im Sinn habe.129 Diese Auslegung findet sich ebenfalls bereits bei Gillespie und fußt wesentlich auf Pareus’ Deutung des Römerbriefes. Ein König, der davon abweiche, im Sinne von Gottes Gesetzen und dem Wohl des Volkes zu handeln, könne hierfür nicht länger die Königsrolle für sich in Anspruch nehmen, so Rutherford: David habe in seinem Ehebruch mit Batseba seine Herrschaftslegitimation als König eingebüßt, daher wäre Wider- stand gegen den König legitim und rechtens gewesen.130 Außerdem sei jeder Ein- zelne von Natur aus mit dem Notwehrrecht ausgestattet.131 Welches Verhalten z. B. für den Klerus und das Volk aus dieser Maxime abzu- leiten ist, zeigt Rutherford am Fall des Königs Usija (2 Chr 26), der auf eigene Faust den Tempel betrat, um dort zu räuchern, obgleich dies nur den geweihten Priestern gestattet war. Der Hohepriester stellte sich zusammen mit 80 Priestern dem König in den Weg und hinderte ihn am Zutritt zum Tempel, der König wur-

127 Rutherford, Lex, Rex, S. 98–109 und mit direkter Adaption auf die politische Situation in Schottland (173). Für diese Position greift Rutherford auch auf John Knox zurück (209). 128 Cic., leg. 3, 3, 8. 129 Burgess und Coffey sehen beide die Auseinandersetzung über die politische Zielsetzung der Monarchie bei der Frage nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges als wichtiger an als die Debatte über den Ursprung der Monarchie; Coffey, Politics, Religion, S. 168; Glenn Burgess, Revisionism, Politics and Political Ideas in Early Stuart England, in: HJ 34 (1992), S. 465–478. 130 Rutherford, Lex, Rex, S. 269. Rutherford schloß daher keineswegs ein Handeln Einzelner gegen den König aus, wie von Friedeburg behauptet. Da ein Tyrann nicht gemäß seiner Herr- schaftspflichten handle um damit seine Amtsgewalt eingebüßt habe, dürfe er auch von jedem einzelnen zur Rechenschaft gezogen werden: „every private man may kill a tyrant, void of title“; Rutherford, Lex, Rex, S. 260. Wenn Davids Verhalten gegen Batseba Rutherford zu- folge ihn während dieser Handlung seiner königlichen Legitimität beraube, so geht er damit über Althusius weit hinaus, der zwischen Verfehlungen und Verbrechen einerseits und Ver- stößen, die das Gemeinwohl insgesamt aufs Spiel setzen, unterscheidet; nur in letzterem Falle sei Widerstand legitim; Althusius, Politica (1614), Kap. XXXVIII, § 4. Zur ambivalenten Haltung Rutherfords über die Frage, wer Widerstand leisten dürfe, auch Coffey, Politics, Religion, S. 176–179. 131 Hier bezieht sich Rutherford auf den römischen Rechtssatz „vim vi repellere licet “, den er als Bestandteil des Naturrechts deutet; Dig. 43, 16, 1, 27; ebenso bereits Cic. Sest. 39. Zur Tradi- tion dieser naturrechtlichen Auffassung des Notwehrrechts vgl. Merio Scattola, Das Na- turrecht vor dem Naturrecht. Zur Geschichte des ‚ius naturae‘ im 16. Jahrhundert (Frühe Neuzeit, Bd. 52), Tübingen 1999, S. 76; Skinner, Foundations, Bd. 2, S. 125 f., 197–204, 217–224.

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de von Gott für seinen Frevel mit Aussatz bestraft.132 Auch Jehus Ausrottung des Hauses Ahab im Auftrag Gottes sieht Rutherford nicht als außerordentliche Tat und damit als nicht nachahmenswert an, sondern deutet seine Gewalttat als einen Anwendungsfall der lex dei – deren Bestimmungen in Dtn 13, 6–9 sehen als Strafe für die Verführung zum Götzendienst den Tod vor – und damit als Präzedenzfall für Schottland.133 Der Unterschied zu Schottland bestünde allein darin, daß es zur Zeit Jehus niemanden außer dem Propheten Elias gegeben habe, der sich dem Götzendienst des Hauses Ahab in den Weg gestellt habe, während in Schottland die Institutionen und der Adel des Landes zum Widerstand gegen den sich als Nero gebärdenden Karl I. willens und in der Lage gewesen seien.134 Am Beispiel Davids, als dieser sich mit 600 bewaffneten Männern gegen einen drohenden Angriff König Sauls rüstete, demonstriert Rutherford die Legitimität bewaffneten Widerstands gegen einen regierenden König. Dieses Exempel kon- trastiert Rutherford mit dem vorausgehenden Verhalten Davids, als dieser sich der Verfolgung durch Saul durch Flucht entzog. Rutherford unterscheidet in den beiden Verhaltensweisen Davids das Verhalten von Privatleuten (Flucht) vom notwendigen Verhalten der Stände, deren Aufgabe nicht die Flucht, sondern der Widerstand sei. Dies ist einer der Fälle, in denen Rutherford explizit auf das Prin- zip des ständischen Widerstandsrechts rekurriert und dabei auch auf Althusius’ Politica Bezug nimmt.135 Interessanterweise sieht Rutherford in Christus und den christlichen Märty- rern und ihrem Verhalten des duldenden Leidens im römischen Kaiserreich keine nachahmenswerten Vorbilder. Vielmehr sei Christus’ Verhalten als außerordent- lich anzusehen und nicht als Präzedenzfall, da es auf Gottes ausdrücklichen und nur an ihn persönlich adressierten Befehl zurückginge, sein Schicksal auf sich zu nehmen. Auch Christus’ Botschaft, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen, gelte Rutherford zufolge nur, falls man vor der Wahl stünde, entweder Christus zu

132 Rutherford, Lex, Rex, S. 267 und erneut S. 348: „And by this same reason the Parliaments of both Kingdomes may resume the power once given to the King, when he hath proved more unfit to governe morally, then Uzziah was ceremonially, that he ought not to judge the people of the land in this case. 2. If the priests did execute a ceremoniall law upon King Uzziah, Far more may the three estates of Scotland, and the two houses of Parliament of Eng- land execute the morall law of God on their King“. 133 Ebd., S. 364 f. 134 Ebd., S. 364: „Ahab and Iezabel raised not an Armie of Idolaters, Malignants, such as are Pa- pists, Prelates, and Cavalliers, against the three Estates, to destroy Parliaments, Lawes and Religion, and the people conspired with Ahab in the persecution and Idolatry, to forsake the Covenant throw dowwe the Altars of God, and slay his Prophets, so as in the estimation of Elias, 1 King. 19.9, 10, 11. there was not one man, but they were Malignant Cavalliers, and hath any Elias now power with the Cavalliers, to exhort them to rise in Armes against them- selves, and to shew them it is their duty to make warre against the King and themselves, in the defence of Religion?“ Parallelen dieser Argumentation zu John Knox Appellation (S. 506 f.) sind unübersehbar; vgl. hierzu Kap. III 2a. Zum Vergleich Karls I. mit Nero vgl. Coffey, Politics, Religion, S. 150 f. 135 Rutherford, Lex, Rex, S. 327–329. Vgl. Althusius, Politica (1614), Kap. XXXVIII, § 87.

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verraten oder aber für den Glauben zu sterben.136 Die Verteidigung des Glaubens sei indes allemal die bessere Alternative und stünde in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes. Rutherford ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Auseinandersetzung um die Le- gitimität des eigenen Handelns zwischen den Anhängern des Königs einerseits und den Covenanters andererseits im Bürgerkrieg in eine grundsätzliche Debatte über den Charakter der Monarchie in Schottland und England mündete. Dabei stand die Frage nach dem Widerstandsrecht gegen einen regierenden Monarchen aus aktuellem Anlaß im Mittelpunkt des Interesses. Die Gegner des Widerstands- rechts griffen prominent auf biblische Aussagen zurück, um daraus ein divine right of kings abzuleiten und jeglichen Widerstand gegen den König als Sakrileg zu verdammen. Aber auch die Apologeten des Widerstandsrechts wie Rutherford suchten ihr Argument mit biblischen Mitteln zu untermauern. Die Bibel – insbesondere das im Alten Testament enthaltene deuteronomisti- sche Geschichtswerk – lieferte für beide Seiten verbindliche rechtliche Normen und Präzedenzfälle, denen nicht nur aus politischen Erwägungen Folge geleistet werden müsse, sondern aus einer religiösen Verpflichtung, um Gottes Gesetz zu gehorchen und das individuelle Seelenheil sowie das kollektive Heil des Volkes nicht aufs Spiel zu setzen. Die Konzeption der Monarchie auf demselben Funda- ment biblischer Normen fiel gleichwohl sehr unterschiedlich aus. Die weitgehend unstrittige Autorität der Bibel ließ sich nicht übertragen auf die Autorität der aus ihr abgeleiteten Interpretationen. Letztlich konkurrierten bei der biblizistischen Deutung der Monarchie insbesondere zwei Auslegungstraditionen um Gültig- keit: Die eine sah die Monarchie als einzige von Gott direkt legitimierte Herr- schaftsform an, betonte die Stellung des Königs als Gottes erstem Amtsträger auf Erden, sah den König nur Gott gegenüber in der Verantwortung und verneinte damit jegliches Widerstandsrecht für die Untertanen und die Gemeinschaft. Rutherford gehörte zu denjenigen Autoren, die dieses Monarchiekonzept in Frage stellten und sich gleichfalls auf biblische Argumente stützten: Sie sahen Gott ebenfalls als oberste Legitimationsinstanz der Obrigkeit, beschränkten dies aber weder auf die Monarchie als Herrschaftsform noch auf den regierenden König, sondern sahen vielmehr alle Amtsträger als von Gott legitimiert an. Die Einsetzung des Königs sei ferner erfolgt auf der Grundlage klarer Herrschafts- pflichten sowohl dem Volk als auch Gott gegenüber. Verstieß ein König gegen diese Pflichten, habe er damit dem Zweck seiner Herrschaft zuwidergehandelt und seinen Herrschaftsanspruch verwirkt. In diesem Falle könne der Herrscher bereits auf Erden zur Rechenschaft gezogen werden, sei es durch hierfür vorgese- hene politische Instanzen wie z. B. das Parlament, sei es in Folge aktiver Notwehr zur Verhinderung eines Verbrechens auch durch einzelne Untertanen. Diese Ar- gumente speisten sich aus zahlreichen unterschiedlichen politischen Sprachen, darunter besonders prominent die antike Staatslehre, historische Beispiele sowie

136 Rutherford, Lex, Rex, S. 314–318. Zu diesem Aspekt auch Coffey, Politics, Religion, S. 176.

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naturrechtliche Argumente. Rutherford bündelt die aus unterschiedlichen Spra- chen gewonnenen Argumente und unterstellt sie in seinem Traktat Lex, Rex dem Primat des Biblizismus.137 Ungeachtet der diskursiven Herkunft der Argumente führt er alle unterschiedslos auf biblische Normen und Exempla zurück und schafft damit die Illusion, ein letztlich ausschließlich auf biblischen Aussagen fu- ßendes politisches Ordnungsmodell der Monarchie zu entwerfen, in dem für ein divine right of kings kein Platz mehr war. Im engeren Sinne war der Anlaß dieser Debatte das politische Ereignis des Bürgerkrieges. In einem weiteren Sinne ging es um einen Kampf zweier Deu- tungskonzepte von Monarchie, der weit in die Zeit vor Ausbruch des Bürgerkrie- ges zurückreichte und auch keineswegs auf die Grenzen der britischen Inseln be- schränkt blieb.138 Sowohl Rutherfords Kronzeugen wie Knox, Buchanan, Hot- man, Pareus und Althusius als auch seine bereits im Titel ausgewiesenen Kontrahenten Barclay, Grotius, Arnisaeus und de Dominis zeugen von der langen Tradition der Debatte und dem grenzüberschreitenden Austausch der Argumen- te. Diese Tradition war zugleich ein Speicher zahlreicher unterschiedlicher Argu- mente, auf den Covenanters und Royalisten gleichermaßen in ihrer Auseinander- setzung rekurrierten. Die neuartige Herausforderung einer militärischen Ausein- andersetzung zwischen dem König auf der einen und dem Parlament sowie den Covenanters auf der anderen Seite wurde begleitet von politischen Argumenten, die bereits älteren Datums waren und sich aus unterschiedlichsten politischen Kontexten speisten. Darauf wird später noch zurückzukommen sein.

2. England im Kampf gegen den Antichristen

Der National Covenant und die Auseinandersetzung um die Religionspolitik der Stuarts in Schottland waren wesentlich gespeist von Maximen, Beispielen und politischen Leitbildern aus den Schriften des Alten Testaments. Die Verteidiger der Auflehnung gegen Karl I. bedienten sich einer biblizistischen Rhetorik, die Unter- stützer der legitimen Herrschaftsgewalt Karls I. griffen ebenso auf biblizistische Argumente zurück. Auch in England, so soll im folgenden gezeigt werden, spielte der politische Biblizismus bei der Rechtfertigung des Bürgerkrieges ebenso wie bei der Ermahnung der Untertanen zum Gehorsam gegenüber dem König eine we- sentliche Rolle. Dies soll exemplarisch anhand dreier Debatten aufgezeigt werden: der Auseinandersetzung um drei lautstarke Kritiker der englischen Kirchenpolitik, der biblizistischen Rhetorik in den Fastenpredigten vor dem Langen Parlament sowie schließlich der Kontroverse um Henry Parker und seiner Rechtfertigung der Entscheidung des Parlaments, den politischen Notstand auszurufen und damit die Nichtbeachtung grundlegender Verfassungsprinzipien zu begründen.

137 Über die Widersprüche beim Versuch der Synthese unterschiedlicher Diskurse und über das Primat des religiösen Arguments Coffey, Politics, Religion, S. 180–187. 138 Vgl. hierzu auch Ford, Lex, Rex, S. 289 f.

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Zwar läßt sich anhand dieser Auswahl kein vollständiges Bild der Genese des Bürgerkrieges in England zeichnen. Wohl aber kann anhand der drei Debatten aufgezeigt werden, welchen Anteil der politische Biblizismus an der politischen Diskussion über die Monarchie in England hatte, auf welch spezifische Weise bi- blizistische Argumente die Wahrnehmung und Deutung der aktuellen Ereignisse prägten und damit das ihre dazu beitrugen, daß die politische Auseinanderset- zung zwischen König und Parlament schließlich in einen Waffengang zwischen den Anhängern beider Seiten mündete.

a) Die Zeugen der Apokalypse: Burton, Bastwick und Prynne War in Schottland die Gründung des National Covenant der Auslöser für den Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Bundes und den Truppen des Königs, läßt sich für England der Moment, von dem an die Ereignisse mehr oder weniger unweigerlich auf eine militärische Auseinandersetzung zuliefen, weniger eindeu- tig bestimmen. Erst der Aufbau einer nur dem Parlament unterstellten Miliz im Jahr 1642 war wohl der entscheidende Schritt in den Bürgerkrieg, da sich das Parlament bei dieser Entscheidung vollständig über die etablierte politische Ord- nung hinwegsetzte und nicht nur eindeutig königliche Rechte usurpierte, sondern zugleich das ausdrückliche Veto des Königs in den Wind schrieb. Die politische Initiative war Karl I. jedoch bereits einige Zeit vorher vom Par- lament aus der Hand genommen worden. Mit der Einberufung des Long Parlia- ment und der Zusicherung des Königs, das Parlament nur mit Zustimmung der Abgeordneten wieder aufzuheben, war dem König bereits Anfang November 1640 die Regie über Englands Politik weitgehend entglitten.139 Dies zeigte sich bald in einer Serie von Entscheidungen, die alle ein Ziel hatten: der Politik aus der Zeit des personal rule Karls I. den Garaus zu machen.140 , einer der schärfsten Kritiker des Königs unter den Parlamentariern, sprach in seiner Eröff- nungsrede vom 7. November aus, welcher Aufgabe sich das Parlament verpflich- tet fühlen sollte: Es gelte, den König von den Hochverrätern im Kreis seiner Be- rater zu befreien, die nichts weniger als den vollständigen Umsturz von Religion und Verfassung in England anstrebten.141 Diese Worte waren kaum verhallt, da befanden sich zwei der politisch einflußreichsten Berater des Königs aus der Zeit seines personal rule, der Earl of Strafford, Thomas Wentworth, sowie der Erz-

139 Ich folge in dieser Einschätzung David Cressy, Revolutionary England 1640–1642, in: PP 181 (2003), S. 35–71; Ders., England on Edge, S. 8–10. Dies galt um so mehr für die Autorität des Erzbischofs von Canterbury, , die bereits im Verlauf des Jahres 1640 ero- dierte (ebd., S. 110–129 und S. 149–166). 140 Vgl. Hans-Christoph Schröder, Die Revolution Englands im 17. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, S. 49. 141 Kenyon, Stuart Constitution, S. 189–191. Russell zeigt im Vergleich mit anderen Reden zu Beginn des Parlaments, daß nicht alle Mitglieder des Parlaments sich John Pyms Verdacht zu eigen machten, im Umkreis des Königs und unter den Bischöfen existiere ein Masterplan zur Umgestaltung der Religion in England; Russell, Fall, S. 218–221.

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bischof von Canterbury, William Laud, in Untersuchungshaft bzw. unter Haus- arrest, konfrontiert mit einem Impeachmentverfahren vor dem Parlament und der Anklage des Hochverrats.142 Während sich hinter prominenten Entscheidungsträgern der vergangenen Jahre die Gefängnistüren schlossen, standen diese für drei im Jahr 1637 inhaftierte pro- minente Gefangene wieder offen. Die Rückkehr des Geistlichen Herny Burton, des Common-Law-Richters William Prynne und des Arztes John Bastwick von den Kanalinseln nach London gestaltete sich wie ein Triumphzug.143 Die Märty- rer aus den Tagen der von Laud initiierten babylonischen Gefangenschaft der Kirche waren wieder frei, so die Lesart dieses Ereignisses bei all denen, die die Kirchenpolitik Karls I. ablehnten; eine Haltung, die zumindest die Mehrheit der im Unterhaus versammelten Parlamentarier einnahm. John de la March sah in Henry Burton einen der beiden Zeugen Gottes, von denen in der Offenbarung geweissagt wird, daß sie nach der Erfüllung ihres Zeugenauftrags vom Untier der Apokalypse getötet werden, aber nach dreieinhalb Tagen wieder auferstehen soll- ten (Offb 11,7–13).144 Die Wiederkehr Burtons deutet de la March als Zeichen des Unterganges Babylons und der an ihren Dienern zu vollstreckenden Rache (Offb 19, 1–3).145 Und Robert Woodford, Steward von Northampton, verglich in sei- nem Tagebuch die Rückkehr der drei Geistlichen ebenfalls mit dem Ende der baby lonischen Gefangenschaft.146

142 Thomas Wentworth wurde am 11. November 1640 festgenommen und im Tower eingesperrt, William Laud der Obhut von Usher anvertraut; Russell, Fall, S. 211. Zur Rolle Wentworths vgl. Ronald G. Asch, Thomas Wentworth, Earl of Strafford (1593–1641): „Frondeur“ und Favorit? Eine Karriere zwischen Hof und Provinz, in: Klaus Malettke u. a. (Hrsg.), Hofge- sellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jhdt.), Münster 2002, S. 159–174; Zu Laud vgl. Sharpe, Personal Rule, S. 284–292; jetzt auch D. Alan Orr, Treason and the State. Law, Politics and Ideology in the , Cam- bridge 2002, Kap. 3 (Thomas Wentworth) und 4 (William Laud). 143 Vgl. nur die Beschreibung von Robert Woodford, zitiert in Russell, Fall, S. 222. Henry Burton, A Narration of the Life of Mr. Henry Burton, London 1643, S. 29–43; Edward Earl of Clarendon, The History of the Rebellion and Civil Wars in England begun in the Year 1641, 6 Bde., hrsg. v. W. Dunn Macray, Oxford 1992, Bd. 1, S. 264, 268 f. Ferner kamen Alexander Leighton, John Lilburne und Peter Smart aus langer Haft frei. 144 John de la March, A Complaint of the False Prophets Mariners upon the Drying up of Their Hierarchicall Euphrates, London 1641, Fol. A1r–A2v. 145 Ebd., S. 49. 146 „Oh blessed be the Lord for this day; for this day those holy living martyrs Mr Burton and Mr Prynne came to town, and the Lord’s providence brought me out… to see them; my heart rejoiceth in the Lord for this day, it is even like the return of the Captivity from Babylon“; Diary of Roberd Woodforde, New College, Oxford Ms 9502, zit. n. Alastair James Bella- ny, Libels in Action. Ritual, Subversion and the English Literary Underground, 1603–42, in: Tim Harris (Hrsg.), The Politics of the Excluded, c.1500–1850, Basingstoke/New 2001, S. 99–124, hier S. 115 f. Zu dieser Quelle John Fielding, Opposition to the Personal Rule of Charles I. The Diary of Robert Woodford 1637–1641, in: HJ 31 (1988), S. 769–788, hier S. 778. Vgl. hierzu ferner Russell, Fall, S. 222; Paul Christianson, Reformers and Babylon. Eng- lish Apocalyptic Visions from the Reformation to the Eve of the Civil War, Toronto/Buffalo/ London 1978, S. 181 f. Derselbe Vergleich wird auch von Henry Burton selbst angestellt; Henry Burton, The Sounding of the Two Last Trumpets, London 1641, Fol. A4r.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 6464 118.11.20108.11.2010 11:00:3711:00:37 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 65

Auch Burton selbst nutzte die Chance der jüngsten Ereignisse, sich in den Text der Apokalypse einzuschreiben. Konsequent parallelisiert er sein eigenes, jüngst erlittenes Unheil mit der in der Apokalypse enthaltenen Weissagung über das Schicksal der beiden Zeugen (Offb 11).147 Die dreieinhalb Tage, in denen die Leichname der Zeugen nach ihrer Ermordung durch das apokalyptische Untier offen auf der Straße liegen, deutet Burton als metaphorische Umschreibung der dreieinhalb Jahre, die er und seine Mitgefangenen im Gefängnis ausharren muß- ten.148 Diese Deutung verschafft Burton eine Rolle als unmittelbarer Zeuge und Beauftragter Gottes, als Werkzeug in Gottes Heilsplan. Er hatte stets eine Rolle als „Watchman of Israel“ und als zeitgenössischer Nachfolger der Propheten des Alten Testaments für sich in Anspruch genommen.149 Dieses Selbstverständnis zeigt sich auch in einer Erklärung gegenüber den Mitgliedern des Privy Council, d. h. gegenüber den Richtern, die 1637 über Burton und einige seiner Schriften in der Star Chamber zu befinden hatten: „Yea, my Lords, knowe assuredly, that Christ himselfe, my great Lord & Master, hath called me forth to be a publique witnesse of this great Cause, who will certainly mainteyne both it and me against all the Adversaries of God and of the King.“150 Diese Lageeinschätzung mochte während des Prozesses einigermaßen kühn ge- klungen haben. Der Kaplan William Lauds, Peter Heylyn, macht sich im Zusam- menhang mit dem Prozeß gegen Burton unverhohlen lustig über den Anspruch Burtons, gleichsam direkter Bote Gottes auf Erden zu sein.151 Die konsequente

147 Burton stand mit der Idee, einer der beiden Zeugen der Offenbarung zu sein, zu dieser Zeit keineswegs allein. Anderen war mit dieser Selbstdarstellung allerdings weniger Erfolg ver- gönnt. Zwei Weber aus Cockney, Richard Farnham und John Bull, wurden 1636 von der High Commission für die Behauptung, die beiden Zeugen der Offenbarung zu verkörpern, zu einer Haftstrafe verurteilt; vgl. Ariel Hessayon, Art. John Bull (d. 1642), in: ODNB 8 (2004), S. 593 f.; John Walter, Art. Richard Farnham (d. 1642), in: ODNB 19 (2004), S. 77 f.; Alexandra Walsham, Providence in Early Modern England, Oxford 1999, S. 205; sowie die Traktate von Thomas Heywood, die dem Schicksal dieser „Zeugen“ erst die notwendige Ver- breitung bescherten; T[homas] H[eywood], A True Discourse of the Two Infamous Upstart Prophets, London 1636; Ders., A Curb for Sectaries and Bold Propheciers, London 1641; Ders., False Prophets Discovered, London 1642. 148 Burton, Sounding, S. 69 f. 149 Burtons Selbstbeschreibung als „Watchman of Israel“; Henry Burton, A Replie to a Rela- tion, of the Conference between William Laude and Mr. Fisher the Jesuite, [Amsterdam] 1640, S. 16; Ders., An Apology of an Appeale also an Epistle to the True-Hearted Nobility, [Amsterdam] 1636, S. 19; Henry Burton, For God, and the King, [Amsterdam] 1636, Fol. A4r–v. 150 Burton: Apology, S. 28. Zunächst war ein Verfahren vor der High Commission vorgesehen; CSPD 1636–37, S. 198. Laud selbst veranlaßte ein Verfahren an einem „höheren Gericht“, d. h. der Star Chamber; The Works of William Laud, , hrsg. v. William Scott/James Bliss, 7 Bde. in 9, Oxford 1847–60, hier Bd. 5, S. 338. 151 Peter Heylyn, A Briefe and Moderate Answer, to the Seditious and Scandalous Challenges of Henry Burton, London 1637, Vorrede, Fol. c2r: “„Bold men, that durst lay hands upon a Prophet of such an extraordinary calling, who if his power had been according to his spirit, would have commanded fire from heaven, to have burnt them all, or sent them further off with a noli me tangere.“

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Selbststilisierung der drei Verurteilten auf dem Richtplatz zu standhaften Märty- rern152 sowie die Freilassung der Gefangenen und der Triumphzug nach London verlieh der Selbstbeschreibung Burtons als Zeuge Gottes jedoch Glaubwürdigkeit. Mit dieser reklamierten Sprecherrolle stellt sich Burton über die in der Kirche etablierte Hierarchie einer Bischofskirche, in der die Bischöfe zugleich über Art und Inhalt theologischer Sprechakte die Kontrolle ausübten und darüber im Kon- fliktfall in der High Commission auch zu Gericht saßen.153 Burton erhebt das Gesetz Gottes (this great cause) zur entscheidenden Norm und sieht sich selbst als von Gott berufener Anwalt, um die Einhaltung dieser Norm einzufordern. Dem Regiment der Bischöfe billigt Burton in seiner Erklärung an die Mitglieder des Privy Council eine direkte göttliche Legitimation ausdrücklich nicht zu. Viel- mehr hätten sie sich dadurch diskreditiert, daß sie in ihren Maßnahmen und in ihrer Kirchenpolitik gegen die Norm Gottes verstoßen hätten. Sie seien in der Kirche daher keine rechtmäßige Entscheidungsinstanz mit legitimen Jurisdik- tionsrechten, sondern „Adversaries of God“ und aufgrund ihrer angemaßten Stel- lung im Land auch „Adversaries of the King“.154 Die Freilassung Burtons und seiner Mitstreiter sowie die Rolleninszenierung als Zeuge der Apokalypse verlie- hen dieser Sprecherrolle Plausibilität und wiesen Burton eine notwendige Auf- gabe in Gottes Heilsplan zu.155 Das etablierte Kirchenestablishment hatte die politische Deutungshoheit über die Heilige Schrift eingebüßt. Die Kritik der drei ehemals Verurteilten am Erscheinungsbild der englischen Kirche war im Jahr 1640 unvermindert aktuell. Ihre Freilassung ließ sich darüber hinaus als ein Zeichen dafür verstehen, daß das Parlament sich die Kritik zu eigen machte. Daß den Rückkehrern dabei von ihren Sympathisanten die Rolle auf- rechter und standhafter Märtyrer für den wahren Glauben zugeschrieben werden konnte, verlieh auch den Äußerungen, die zu ihrer Verurteilung geführt hatten, neue Aufmerksamkeit und Legitimität.156 Somit wurde deren Anliegen, das ihnen

152 Vgl. Sharpe, Personal Rule, S. 762 zum Auftritt der drei Verurteilten auf dem Schafott. Vgl. auch Bastwicks Darstellung, „Satan cast me into prison“; John Bastwick, The Letanie, [Lei- den 1637], S. 1. Vgl. ferner Bellany, Libels in Action, S. 110–116. 153 Dieser Kontrollfunktion suchten die Bischöfe noch 1640 durch den sogenannten Etc.-Oath gerecht zu werden, in dem sowohl Geistlichen als auch weltlichen Amtsträgern ein Bekenntnis darüber abverlangt wurde, daß sowohl die etablierte Kirchenstruktur als auch die Riten der Kirche rechtmäßig seien; Edward Cardwell (Hrsg.), Synodalia. A Collection of Articles of Religion, Canons and Proceedings of Convocations in the Province of Canterbury from the Year 1547 to the Year 1717, Oxford 1842, ND 1969, Bd. 1, S. 402–404. 154 Henry Burton, The Baiting of the Popes Bull, or An Unmasking of the Mystery of Iniquity, Folded up in a Most Pernitious Breeve or Bull, Sent from the Pope lately into England, to Cause a Rent therein, for his Reentry, London 1627, S. 60; ebenso auch Alexander Leight- on, An Appeal to the Parliament, [1629], S. 5. 155 Vgl. hierzu William M. Lamont, Prynne, Burton, and the Puritan Triumph, in: Huntington Library Quarterly 27/2 (1963–64), S. 103–113; Ders., Marginal Prynne 1600–69, London/To- ronto 1963; R. T. Hughes, Henry Burton. The Making of a Puritan Revolutionary, in: Jour- nal of Church & State 16 (1974), S. 421–434. 156 So auch treffend Christianson, Reformers, S. 138: „These outspoken, irrepressible men made increasingly radical attacks first upon the Arminians and then upon the bishops. Con-

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 6666 118.11.20108.11.2010 11:00:3711:00:37 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 67

drei Jahre zuvor noch einen Schuldspruch wegen Hochverrats, das öffentliche Abschneiden ihrer Ohren sowie eine lebenslange Haftstrafe bescherte,157 nun zumindest für einen Teil der Abgeordneten zum politischen Programm: Es galt, alle Elemente von popery aus der englischen Kirche auszumerzen, die von der „papists party“ sowie vom korrupten Teil des englischen Klerus eingeschmuggelt worden seien, um die englische Kirche wieder dem Joch des Papstes zu unter- werfen.158 Das Ziel der Ausmerzung von popery in der englischen Kirche teilten alle drei Verurteilten.159 In einigen der Schriften, die zur Verurteilung führten, waren da- rüber hinaus auch weitere politische Ordnungsvorstellungen erkennbar, die dem Long Parliament später als Blaupause dienen konnten. Dies galt insbesondere für Henry Burtons Druckfassung einer Predigt, die er am Gedenktag zur Pulverver- schwörung am 5. November 1636 gehalten hatte und die den programmatischen Titel trug: For God, and the King. Insbesondere diese Schrift war für den Erz- bischof von Canterbury, William Laud, der Anlaß, das Verfahren gegen die drei Autoren nicht vor der High Commission zu führen, also dem bischöflichen Ge- richtshof, sondern vor der Star Chamber, also dem Privy Council als oberster Gerichtsinstanz des Landes.160 Burtons Predigt beinhaltet zweierlei: Zum einen war sie – wie zahlreiche weitere Schriften aus seiner Feder und derjenigen seiner Mitstreiter – eine Anklageschrift gegen die Mißstände in der Kirche und deren

temporaries recognized the apocalyptic framework and the force of their arguments. Persecu- tion not only promoted their propaganda, it drove them from defence of the Church of Eng- land to call for demolition of its governing structure.“ Die Popularisierung der antibischöfli- chen Haltung erfolgte dabei in zahlreichen Medien; vgl. nur Helen Pierce, Anti-Episcopacy and Graphic Satire in England, 1640–1645, in: HJ 47 (2004), S. 809–848. 157 Vgl. hierzu Samuel Rawson Gardiner (Hrsg.), Documents Relating to the Proceedings against William Prynne in 1634 and 1637, ND New York 1965, zum Urteilsspruch S. 70–76 [SPD, CCCLXII, 31], zur öffentlichen peinlichen Bestrafung S. 86–90 [SPD CCCLXII, 42]. Prynne bekam als Wiederholungstäter außerdem auf die Stirn die Buchstaben S.L. für „Sedi- tious Libellour“ eingebrannt. Burton benannte diese Buchstaben in einem Gedicht als „Stig- mata Laudis“; vgl. John Bastwick, A Breife [sic!] Relation of Certaine Speciall, and Most Materiall Passages, and Speeches in the Starre-Chamber, [Amsterdam] 1638, S. 22. Vgl. zum Verfahren auch Stephen Foster, Notes from the Caroline Underground. Alexander Leight- on, the Puritan Triumvirate, and the Laudian Reaction to Nonconformity, Hamden (Con- necticut) 1978, S. 47–57. 158 So beispielsweise John Pym in seiner Eröffnungsrede; vgl. Kenyon, Stuart Constitution, S. 190. Als Elemente von popery werden z. B. bei Burton im einzelnen an den Pranger gestellt: die ceremonies in der englischen Kirche, insbesondere die Neuerungen auf diesem Gebiet unter Karl I. bzw. William Laud; die Relativierung der Schrift im Verhältnis zur Liturgie; die Ausgleichsbestrebungen mit Rom als Zeichen einer Annäherung an den Antichristen; die Be- tonung der hierarchisch gegliederten Bischofskirche samt ihrem Repressionsinstrument, der High Commission; vgl. Burton, Sounding, S. 18–25, 54 f., 58 f. Zu Fragen der Rechtferti- gungslehre, Predestination und freiem Willen findet sich bei Burton kein einziges Wort. Es ist eher unwahrscheinlich, daß Pym gerade diese Aspekte im Sinn hat, wenn er gegen den „cor- rupt part of the clergy“ wettert, wie Russell behauptet; Russell, Fall, S. 216 f. 159 Burton, Apology, S. 21. 160 Vgl. hierzu The Works of William Laud, Bd. 5, S. 338.

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Verursacher, die Bischöfe. Zum anderen aber finden sich in ihr prinzipielle Aus- sagen über das Verhältnis von Gottesgehorsam und Königsgehorsam. Burton startet mit einem emphatischen Bekenntnis zum Gehorsam sowohl ge- genüber Gott als auch gegenüber dem König. Zugleich macht er deutlich, daß der Gottesgehorsam dem Königsgehorsam übergeordnet sei. In diesem Sinne inter- pretiert er auch die beiden Klassiker des Neuen Testaments zum Gehorsamsge- bot: 1 Petr 2,13 und Röm 13. Der notwendige Gehorsam zur Obrigkeit ergebe sich zwingend bereits aus der Gehorsamspflicht gegenüber Gott, da die Obrigkeit von Gott gestiftet sei.161 Diese Kopplung weltlicher und transzendenter Obrig- keit bietet Burton die Möglichkeit, die weltliche Herrschaft als konditioniert und abgeleitet zu verstehen und den König als „God’s Minister“ zu umschreiben. Vorbild für die Königsherrschaft sei die Gottesherrschaft, deren Statthalter auf Erden der König sei. Gott fordere den Gläubigen aber keinen größeren Gehor- sam ab als die Einhaltung der Gesetze Gottes. Dieses Prinzip müsse auch für die Königsherrschaft gelten, woraus Burton wiederum den Schluß zieht, daß die Ge- setze des Landes auch für den König gelten. Im Krönungseid, dem „Solemne and sacred Covenant with all his people“, habe der König ferner versichert, der Schutzherr aller Engländer zu sein und gemäß der Gesetze des Landes zu regie- ren.162 Die Rolle des Königs sei die eines Hirten, der seine Herde auf Gottes Wegen halten und vor den Wölfen schützen solle.163 Sollte der König dieser Aufgabe nicht gerecht werden, so Burton, sei die Kongruenz von Gottes- und Königsge- horsam zerstört, stünden die Untertanen vor einem Gehorsamskonflikt zwischen Gott und dem König, bei dem Gott eindeutig der Vorrang gebühre.164 In der ab- strakten Welt der politischen Theorie ist diese Feststellung ein Gemeinplatz. Lauds Gesinnungsgenosse Peter Heylyn läßt diesen Punkt in seiner Entgegnung auf Burton unwidersprochen. Wohl aber widerspricht Heylyn den Konsequen- zen, die Burton daraus ableitet, wie noch näher zu zeigen sein wird.165 Subversi- ves Potential erhält Burtons Argumentation daher erst durch die Art und Weise, wie er sie auf die aktuelle Lage in England appliziert. Besonders gut läßt sich dies anhand von Burtons Argumentation gegen die Prophanierung des heiligen Sonntags veranschaulichen. Das sogenannte Sabbath- gebot, d. h. die Pflicht, am siebten Tag des Herrn zu gedenken, ist für Burton Teil des göttlichen Rechts, und zwar Teil der Moralia, d. h. der dauerhaft gültigen Normen Gottes, die nicht nur die Juden, sondern als Teil des Naturrechts alle Völker gleichermaßen betreffen.166 Alle Versuche, die Gültigkeit des Sabbathge-

161 Burton, For God, S. 36 f. 162 Ebd., S. 41 f. 163 Ebd., S. 43. 164 Ebd., S. 76: „all our obedience to Kings and Princes, and other Superiors, must be regulated by our obedience to God“. 165 Heylyn, A Briefe and Moderate Answer, S. 27–30. 166 Henry Burton, The Lords Day, the Sabbath Day. Or, A Briefe Answer to some Materiall Passages, in a Late Treatise of the Sabbath-Day Digressed Dialogue-wise betweene two

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 6868 118.11.20108.11.2010 11:00:3811:00:38 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 69

bots in seiner strikten Form auf die Juden zu beschränken oder durch neue Rege- lungen wie dem Book of Sports partiell aufzuheben,167 deutet Burton daher als Verstoß gegen die Gottesherrschaft, als Akt des Ungehorsams und der Rebellion gegen Gott: Now as the King will not take it well, if any medle with his Prerogative, and arrogate that to himselfe, which is the Kings right: So is God justly offended, when men presume to as- sume unto themselves a power, which is proper and peculiar to God alone. If any will take upon him to coyne money by counterfeiting the Kings stampe, and Name, his act is trea- son: How then shall they escape, that presume to coyne or stampe for currant, what time they please for Gods solemne worship? Now the Sabbath day is of the Lords owne making and stamping, and therefore stiled Lords day, his image and superscription is upon it, which let no wight presume to counterfeite.168 Die Prophanierung des Sabbaths ist für Burton nur ein Beispiel unter vielen, an- hand derer er aufzeigt, daß der König seiner Rolle eines treusorgenden Hirten nicht gerecht werde. Dabei lautet der Kern des Vorwurfes, daß die unter Karl I. eingeführten „Neuerungen“ Eingriffe in die Sphäre der Gottesherrschaft darstell- ten. Implizit wird damit gegen Karl der Vorwurf erhoben, statt eines Statthalters Gottes auf Erden ein Usurpator zu sein, der sich Kompetenzen angemaßt habe, die allein Gott selbst zustünden. Dies betrifft insbesondere alle Versuche, die im Land etablierte Religion zu ändern: Neither God in his Law, nor the Law of the Land, doe allow the King a power to alter the State of Religion, or to oppresse and Suppresse the faithfull Ministers of the Gospell, against both Law and Conscience. For Kings are the Ministers of God for the good of his people.169 Ähnlich wie Gillespie in Schottland sieht Henry Burton auch in England den Sündenfall darin, daß die unter Karl I. in der Kirche vorgenommenen Eingriffe dem Gesetz Gottes und den Gesetzen des Landes zuwiderlaufen. Zwar richtet sich die Kritik explizit meist nicht gegen den König, sondern ge- gen die führenden Repräsentanten des Klerus, die Bischöfe, und ihre Kirchenpo- litik: Während Burton Karl als Hirten benannte, titulierte er die Bischöfe als Wölfe, die die Herde bedrohten.170 Burtons Diktum, die Engländer seien eher „vessals and slaves to the Prelates“ als „free subjects of the King“ ist jedoch für den König nicht minder despektierlich als für die gescholtenen Bischöfe.171 De- ren Sündenkatalog reiche von der Prophanierung des heiligen Sonntags, der Er-

Divines A. & B, [Amsterdam 1636], S. 6 und 18. Burton zählt das Sabbathgebot übrigens durchgehend als viertes Gebot gemäß der jüdischen Überlieferung. 167 Burton argumentiert insbesondere gegen Francis White, Treatise of the Sabbath Day, 3. Aufl. London 1636. 168 Burton, The Lords Day, S. 12. 169 Burton, For God, S. 72 f. 170 So auch der Eindruck von Heylyn, A Briefe and Moderate Answer, S. 42 f. 171 Burton, For God, S. 129. Burton führt in seiner Schrift, The Lords Day, S. 3, 36, 45, gleich mehrfach Jakob VI. und dessen Schrift Basilikon Doron als Kronzeugen für eine kritische Haltung gegenüber den Bischöfen an.

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richtung von Altären mit Kruzifix statt reiner Abendmahltische, dem Aufbau von Chorschranken und dem Knien während der Eucharistie über die Absetzung ver- dienter Prediger und dem Predigtverbot außerhalb der Messe bis zur Anweisung, in den Predigten das Thema der Prädestinations- und der Gnadenlehre auszuspa- ren.172 Burton listet damit alles auf, was für die Reformer innerhalb der engli- schen Kirche insbesondere unter dem Regiment des Erzbischofs Laud ein steter Stein des Anstoßes war.173 In der Kirchenpolitik Lauds sieht er papistischen Göt- zendienst, der gegen das Gottesgesetz verstoße und daher den Widerspruch aller wahren Gläubigen erfordere. Laud und seine Mitstreiter werden auf apokalyp- tische Weise verteufelt: they are those froggs, uncleane spirits out of the mouth of the Dragon, and Beast, and false Prophet, whose croking cryeth downe the voyce of Gods Ministers, and which doe corrupt the pure streames of the waters of life by their filthinesse. In a word, these are the limbs of the Beast, even of Antichrist, taking his very courses to beare and beat downe the hearing of the Word of God, whereby men might be saved.174 Burton zitiert hier aus der Offenbarung des Johannes (Offb 16,13), allerdings ohne Zitat und Ort als solches kenntlich zu machen. Den unreinen Geistern kommt an dieser Stelle der Offenbarung insbesondere die Aufgabe zu, die Könige der Welt vor dem letzten Gefecht für die Seite des Teufels zu gewinnen. Diesen unreinen Geistern wirft sich nun Burton mit seinem eigenen Schicksal entgegen. Der Clou von Burtons Traktat besteht darin, daß er seinen eigenen Fall zum Test darüber erhebt, ob Karl I. bereit ist, sich den Rechtgläubigen anzu- schließen und damit die notwendige Furcht des Herrn zu beweisen, oder ob er seinen Bischöfen nachfolgt, die Burton zufolge in der Tradition Hamans stünden, dem Inbegriff des bösen Beraters im Buch Esther.175 Da sich Burton aufgrund seiner Schriften vor der Star Chamber zu verantworten hatte, wendet er sich in seinem Traktat an Karl I., damit dieser selbst eine Entscheidung über ihn vorneh- men möge: All which I humbly commit to Your Maiesties Royal Patronage, as Who next under God, are most interessed in the Cause. Now the Lord Iesus Christ, the King of Kings, and Lord of Lords, so unite and combine your heart unto Himselfe, that You being guided by His Spirit of Wisedome and Understanding, of Counsel and Strength, and of the feare of the Lord, You may doe Valiantly, and prosper, in stopping the course of all Innovators and Back-sliders into Popery, that so with and under Christs Kingdome, Yours may be estab- lished in Rightconsnesse to You and your Royall Posteritie, until time shall be no more.176

172 Burton, For God, S. 16–20, 33, 51. 173 Vgl. ferner [William Prynne], Newes from Ipswich, o. O. 1636, Fol. 1v; Bastwick, Letany, S. 11 (hier wird William Laud in Anspielung auf das 12. Kapitel der Offenbarung als „Willi- am, the Dragon“ tituliert). 174 Burton, For God, S. 11 f. Prynne tituliert die Erzbischöfe und Bischöfe als „Luciferian Lord Bishops“, als „Archagents for the Divell, and Pope of Rome“; Prynne, Newes from Ipswich, Fol. ¶2r. 175 Burton, For God, S. 46. 176 Ebd., Vorwort, Fol. A4v.

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Karl wird hier vor die Alternative gestellt, durch eine Freisprechung Burtons von jeglicher Schuld und einen vollständigen Bruch mit seiner bisherigen Kirchenpo- litik seine Gottesfurcht zu beweisen, oder aber im wahrscheinlicheren Falle einer Verurteilung Burtons ein weiteres Mal die in England bereits herrschende Tyran- nei des Klerus zu dulden. Dabei läßt Burton an anderer Stelle anklingen, daß eine religionspolitische Umkehr der europäischen Könige zur Erfüllung der Heils- geschichte zwingend erfolgen wird; nur der Zeitpunkt der Umkehr ist unklar. Hierfür bezieht er sich auf das 17. Kapitel der Offenbarung, in dem prophezeit wird, wie die Könige, nachdem sie zuerst mit der Hure Babylon Unzucht ge- trieben hätten, sich schließlich von ihr abwenden und den Untergang Babylons herbeiführen werden.177 Burtons Aufforderung an Karl I., eine bereits vorgezeichnete Rolle innerhalb der Heilsgeschichte zu übernehmen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei seiner Schrift For God, and the King um eine in hohem Maße subversive Schrift handelte, obwohl in ihr weder das Widerstandsrecht gegen den König the- matisiert noch die Institution des Königtums in Frage gestellt wird. Die konse- quente Unterwerfung der Königs- unter die Gottesherrschaft sowie die Aufli- stung der mit der Gottesherrschaft einhergehenden Prämissen reichte für Burton völlig aus, um das Regiment Karls I. als Tyrannei zu brandmarken, ohne diesen Vorwurf gegen den König ausdrücklich zu erheben. Der konditionierte Gehor- sam gegenüber dem König war de facto ein Aufruf zur Aufkündigung der Ge- folgschaft, da die Bedingung zur Gehorsamspflicht, die Treue zu Gottes Gesetz, in England nicht mehr gegeben sei: „If the Emperour commaund one thing, and God another: what thinkest thou? The greater power is God. Pardon O Emper- our: thou threatenest a prison, He hell.“178 Peter Heylyn verfaßte im Auftrag Erzbischof Lauds A Briefe and Moderate Answer zu Burtons Traktat,179 in der er sich um die möglichst vollständige Wi- derlegung seiner Argumente bemühte. Gerade diese auf umfassenden Wider- spruch angelegte Konzeption der Schrift macht es um so bemerkenswerter, daß die grundsätzliche Prämisse Burtons unwidersprochen bleibt, die Königsherr- schaft dürfe zur Gottesherrschaft nicht in Widerspruch stehen. Vielmehr wählt Heylyn einen vergleichbaren Ausgangspunkt, wenn er betont, daß die königliche Herrschaftsgewalt sich ausschließlich Gott verdanke und im Naturrecht begrün- det sei.180 Menschliche Gesetze könnten die Königsherrrschaft hingegen nicht einschränken. Auf diesem Fundament kann Heylyn Burtons Erinnerung an den Königseid und die Bindung des Königs an die Gesetze des Landes souverän bei- seite wischen.181

177 Ebd., S. 84. 178 Ebd., S. 79. 179 Vgl. hierzu The Works of William Laud, Bd. 4, S. 85 f.; Heylyn, A Briefe and Moderate Answer, Vorwort, Fol. d1r. 180 Heylyn, A Briefe and Moderate Answer, S. 36. 181 Ebd., S. 38–40.

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Die Gehorsamspflicht des Königs zu den Gesetzen Gottes bleibt aber unwi- dersprochen.182 Hier konzentriert sich Heylyn allein darauf, darzulegen, daß Karl I. sich stets an die Gesetze Gottes gehalten habe. Burtons Feststellung, der König dürfe laut dem Gesetz Gottes weder die Religion des Landes ändern noch rechtschaffene Geistliche verfolgen, wird von Heylyn nicht bestritten. Wohl aber verneint er, daß der König sich dies habe zuschulden kommen lassen und Burton samt seinen Glaubensfreunden sich mit dem Titel „faithfull ministers of the Gos- pell“ schmücken dürften. Wenn der König daher Burton zur Rechenschaft ziehe, so Heylyn unter Bezug auf die von Burton zugrundegelegte Bibelstelle Röm 13,4, verstoße er nicht gegen Gottes Gesetz, sondern sei vielmehr dessen Vollstrek- ker.183 Die Konfrontation zwischen Heylyn und Burton war daher im Bezug auf das politische Ordnungsverständnis kein Kampf unterschiedlicher Prinzipien, son- dern ein Kampf um die Interpretationshoheit über die Prinzipien. Der Streit ging nicht um die notwendige Kongruenz der Königsherrschaft mit der Gottesherr- schaft, sondern darum, wer sich mit welcher Autorität auf Gott berufen konnte, um daraus politische Forderungen abzuleiten, also z. B. Aussagen zu treffen über die vorhandene oder aber nicht vorhandene Kongruenz. Letztlich läuft die ge- samte Auseinandersetzung auf die Frage zu, wem das Recht zukommt, die Theo- kratie als Argument in Stellung zu bringen. Während Burton sich selbst und seinen Mitstreitern diese Autorität zugesteht, konzentriert Heylyn dieses Recht in der Person des Königs. Sofern sich die historische Forschung zur politischen Theorie der frühen Stu- artzeit der Auseinandersetzung zwischen Burton und Heylyn annahm, schob sie allerdings andere Fragen in den Vordergrund. Dies gilt insbesondere für die prin- zipielle Kontroverse zwischen Glenn Burgess und Johann P. Sommerville um die Frage – die auch anhand von Heylyns Traktat ausgefochten wurde –, ob in Stuart- england absolutistische Positionen verfochten worden seien oder nicht. Während Burgess unterstreicht, daß Heylyn den König keineswegs generell davon freige- sprochen habe, den Gesetzen des Landes zu gehorchen und betont, daß die Ge- setze ja selbst ein Resultat des königlichen Willens darstellten, sieht Sommerville in Heylyns Traktat ein Plädoyer für den unbeschränkten Gehorsam zum König, nicht aber zu den Gesetzen des Landes.184 Die Fixierung auf die Streitfrage des Absolutismus führt dazu, daß beide Auto- ren Heylyns Argumentation weitgehend loslösten von ihrem Entstehungskon- text. Burtons Traktat wird bei Sommerville kurz angesprochen, bei Burgess gar nicht erst erwähnt. Dabei gerät der rhetorische Schachzug Heylyns nur in den Blick, wenn man beide Traktate direkt miteinander in Beziehung setzt. Während Burton in seiner Schrift insbesondere das Verhältnis zwischen Gott und König thematisiert und sich zum Thema, ob der König den Gesetzen des Landes unter-

182 Ebd., S. 27–30. 183 Ebd., S. 37. 184 Burgess, Absolute Monarchy, S. 103 f.; Sommerville, Royalists and Patriots, S. 240–244.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 7272 118.11.20108.11.2010 11:00:3811:00:38 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 73

worfen sei, eher lapidar äußert, spielt dieser Aspekt in der Entgegnung Heylyns eine ungleich größere Rolle, während die Relation zwischen der Königs- und der Gottesherrschaft ihm nur wenige Bemerkungen wert ist. Burgess’ und Sommer- villes Debatte über die Auslegung von Heylyns Position zum Stellenwert der po- sitiven Gesetze des Landes konnte nur deswegen zustande kommen, da Heylyn in seiner Antwort auf Burton das Thema der Auseinandersetzung neu justierte. Die Frage, weshalb sich Heylyn in seiner Erwiderung auf Burton stärker der Herrschaft des Königs über sein Volk widmet als dem Verhältnis zwischen Gott und dem König, ist ungleich bedeutsamer als die Frage, inwiefern Heylyn in sei- nem Traktat einer von den Gesetzen des Landes losgelösten Königsherrschaft das Wort redet. Offenbar bot das theokratische Argument zu viele Fallstricke, hatte Heylyn zu viele Einschränkungen königlicher Machtvollkommenheit zu konze- dieren, als daß sich damit Burtons Aussagen rhetorisch ausreichend wirksam hät- ten widerlegen lassen. Nur das Argument der Einrichtung der Königsherrschaft allein durch Gott, also das Königtum jure divino, spielt in Heylyns Argumenta- tion eine größere Rolle. Der aktive Part Gottes bleibt in diesem Argument aller- dings auf den Moment der Etablierung der Monarchie beschränkt, ist also Ver- gangenheit. Die Vorstellung eines Gottes als dauerhafte Kontrollinstanz und als handelnder Akteur war jedoch nur schlecht zu vereinbaren mit der Konzeption einer unumschränkten Herrschaft des Monarchen. Weit eher ließ sich mit dieser Vorstellung auf dem Fundament allgemein geteilter Grundpositionen Kritik am König formulieren. Die Gott zugesprochene aktive Rolle verlieh der Kritik ferner die notwendige Relevanz, mußte es doch auch und gerade für den König in seiner ihm zugesprochenen Rolle als Statthalter Gottes immer darum gehen, den poten- tiell zornigen und strafenden Gott gewogen zu stimmen und nicht durch Un- gehorsam zu verärgern.185 Heylyn war jedoch weit mehr daran gelegen, die Ge- horsamspflicht des Volkes aufzuzeigen, als den schuldigen Gottesgehorsam des Königs zu thematisieren.

b) Die Fastenpredigten vor dem Parlament (1640–1642) Die Warnung vor dem drohenden Gottesurteil über England bei ausbleibender Umkehr und fehlender Rückbesinnung zum Ideal einer vollständig reformierten Kirche wurde in keiner anderen Gattung so häufig repetiert und variiert wie in der Predigt. Predigten darf wohl prinzipiell ein bedeutender Einfluß zur Mei-

185 Diese Perspektive findet sich insbesondere bei Henry Burton, A Divine Tragedie Lately Acted, or, A Collection of Sundry Memorable Examples of Gods Judgements upon Sabbath- Breakers, and other like Libertines, in their Unlawfull Sports, Happening within the Realme of England, in the Compass only of Two Yeares Last Past, since the Booke was Published, o. O. 1636, S. 4–25. Burton listet hier individuelle Unglücksfälle von „Sabbath-Breakers“ der letzten zwei Jahre – d. h. seit der Veröffentlichung des Book of Sports im Jahr 1633 – auf, deren Schicksale er ausnahmslos als Beispiele göttlichen Einwirkens und damit göttlicher Gerech- tigkeit deutet (Ebd., S. 30). Die Prophezeiung in Dtn 28,22, die im Falle von Übertretungen der Zehn Gebote göttliches Unheil androht, sieht Burton damit als erfüllt an (ebd., S. 26).

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nungsbildung unterstellt werden, waren es doch Appelle, die sich direkt auf die Autoritätsquelle der Bibel bezogen und daraus Normen für die Gegenwart ab- leiteten.186 Sofern Predigten nach ihrer mündlichen Darbietung auch in Druck gingen, zielten sie neben der Gemeinde auch auf eine tendenziell landesweite Öffent lichkeit. Glaubt man den Zeitgenossen, so hatten die Reden von der Kanzel einen pro- minenten Anteil daran, daß England sich alsbald im Bürgerkrieg wiederfinden sollte. Dabei finden sich Schuldzuweisungen an die Geistlichen beider Lager. klagte die königlichen Hofkapläne an, die Idee einer göttlich einge- setzten Monarchie ins Leben gerufen und damit der Tyrannei in England Vor- schub geleistet zu haben.187 Thomas Hobbes warf den Predigern hingegen vor, sich als Gottes unmittelbare Botschafter aufgespielt und damit die königliche Herrschaftsgewalt letztlich usurpiert zu haben.188 Von besonderer politischer Relevanz waren sicherlich Predigten, die direkt an die politischen Akteure der Zeit adressiert waren, seien es die an den König ge- richteten Hofpredigten oder aber Kanzelreden an die Mitglieder des Parlaments. Im Laufe des ersten Sitzungsjahres des Long Parliament etablierte sich dabei eine Tradition, die bis zum Pride’s Purge Cromwells Bestand haben sollte: die Fasten- predigten vor dem versammelten Unterhaus. Hier begleiteten Prediger mit ihren Reden das politische Geschehen über mehrere Jahre, konnten aktuelle Ereignisse ebenso ansprechen wie Forderungen oder Mahnungen unterbreiten. Zuerst er- folgten die Predigten in unregelmäßigen Abständen anläßlich ad hoc einberufener Fastentage des Parlaments, doch seit dem Sommer des Jahres 1641 etablierte sich die Abhaltung von Fastentagen und damit einhergehenden Predigten vor den Mitgliedern des Parlaments im Monatsrhythmus.189 Bereits die Gattung der Predigt sorgte dafür, daß die vorgetragenen Anliegen stets in das Gewand der Schriftauslegung gekleidet waren, daß Bibelexegese und politischer Kommentar eine Symbiose eingingen. Die Serialität der Fastenpredig- ten machten sie darüber hinaus bei der Suche nach den Charaktermerkmalen ei-

186 Allgemein zur politischen Bedeutung von Predigten vgl. Lori Anne Ferrell, Goverment by Polemic. James I, the King’s Preachers, and the Rhetorics of Conformity 1603–1625, Stanford 1998, S. 10–19; Paul S. Seaver, The Puritan Lectureships. The Politics of Religious Dissent 1560–1662, Stanford 1970, Kap. 1 und 2, v. a. S. 55; Lori Anne Ferrell/Peter E. McCul- lough, Revising the Study of the English Sermon, in: Lori Anne Ferrell/Peter E. McCul- lough, (Hrsg.), The English Sermon Revised. Religion, Literature and History 1600–1750, Manchester/New York 2001, S. 2–21. 187 [Charles Herle], A Fuller Answer to a Treatise Written by Doctor Ferne…, London 1642, S. 6. 188 Thomas Hobbes, Behemoth oder Das lange Parlament, hrsg. v. Herfried Münkler, Frankfurt a. M. 1991, S. 32–34. S. u. S. 421. 189 Einen Überblick über alle gehaltenen Fastenpredigten bei Wilson, Pulpit, S. 237–254 (Ap- pendix I). Zur Tradition kollektiv ausgerufener Fastentage in England vgl. Christopher Durston, Public Days of Fasting and Thanksgiving during the English Revolution, in: The Seventeenth Century 7 (1992), S. 129–149; H. Bartle Cox, The Story of Public Fast Days in England, in: Anglican Theological Review 37 (1955), S. 190–200.

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ner politischen Sprache des Biblizismus zu einem guten Testfall. Gab es – neben den jeweils kontextbezogenen Aussagen in den einzelnen Predigten – Gemein- samkeiten, die es rechtfertigen, sie einer politischen Sprache zuzurechnen? Und kann dieser politischen Sprache, sofern sie sich aus den Predigten destillieren läßt, im Zusammenhang mit dem ausbrechenden Bürgerkrieg politische Relevanz zu- gesprochen werden? Anders gefragt: Liefert der Biblizismus Argumente zur Rechtfertigung einer Überschreitung des politischen Herkommens und der Ge- setze durch das Parlament? Und präfigurierte die biblizistische Sprache bereits die darin ausgedrückten politischen Ordnungsvorstellungen?190 Edward Hyde, Earl of Clarendon, hegte am politischen Einfluß der Prediger vor dem Unterhaus keinerlei Zweifel. In seiner monumentalen History of the Re- bellion, einer Darstellung des Bürgerkrieges aus royalistischer Sicht, griff er ins- besondere zwei Prediger, Cornelius Burges und Stephen Marshall, heraus, deren Predigten vor dem Parlament er ungeheuren politischen Einfluß attestierte und damit verbunden auch die Zerstörung der englischen Monarchie zur Last legte.191 Allgemein bot sich den in die St. Margaret’s Church eingeladenen Predigern die Chance, ihre Forderungen und Wünsche direkt an die dort als Zuhörer versam- melten Parlamentarier des Unterhauses zu richten, sicherlich ein wesentlicher Grund dafür, daß Clarendon ihren Predigten eine so weitreichende Bedeutung zuschrieb. Die meisten dieser Predigten bestimmte das Unterhaus anschließend zum Druck.192 Dies verschaffte den Rednern nicht nur eine größere Öffentlichkeit für ihre Aussagen. Es dokumentiert zugleich, daß das Unterhaus – oder zumindest einige ihrer einflußreichen Mitglieder – sich mit der Erlaubnis der Drucklegung die Argumentation und die politische Sprache der Prediger zu eigen machte. Auch wenn die in den Predigten anklingenden Forderungen nicht sofort in Parlaments- beschlüsse münden sollten, bescheinigte das Parlament mit der Imprimatur der Forderung in jedem Fall die politische Legitimität.193 Die Übereinstimmung von Kanzel und Unterhaus überrascht wenig, da es wie- derum den Parlamentariern vorbehalten blieb, wen sie mit der Predigt betrauten. Zahlreiche Geistliche fungierten als Sprachrohr einflußreicher Parlamentarier. So waren Stephen Marshall, Cornelius Burges und Edmund Calamy nicht nur drei

190 Ähnlich auch das Anliegen von Wilson, Pulpit, S. 16. 191 Clarendon, History of the Rebellion, Bd. 4, S. 34: „the archbishop of Canterbury had never so great an influence upon the counsels at Court as Dr. Burgess and Mr. Marshall had then upon the Houses of Parliament“. 192 Eine Liste der gedruckten Fastenpredigten findet sich ebenfalls bei Wilson, Pulpit, S. 255–274 (Appendix II). 193 Waren zum Druck autorisierte Predigten gewissermaßen das offiizielle Medium im Mei- nungsstreit, so waren die Flugschriften und Straßenballaden das subversive Gegenstück; vgl. hierzu Ansgar Nünning, ‚The World Turned Upside Down‘. Englische Straßenballaden als Medium der Zeitkritik und politischen Meinungsbildung im Zeitalter der Englischen Revolu- tion, in: Barbara Bauer/Wolfgang G. Müller (Hrsg.), Staatstheoretische Diskurse im Spiegel der Nationalliteraturen von 1500–1800 (Wolfenbüttler Forschungen, 79), Wiesbaden 1998, S. 355–392; Sharpe, Personal Rule, S. 856, 860, 875.

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der einflußreichsten Prediger im Long Parliament, sondern auch allesamt Klien- ten von Robert Rich, dem Earl of Warwick, einem der einflußreichsten Protago- nisten des Parlaments, sowie Mitstreiter von John Pym, dem großen Gegenspieler des Königs im Unterhaus.194 Ein weiterer Prediger, Samuel Fairclough, verdankte seinen Auftritt vor dem Parlament einem Parteigänger John Pyms, nämlich sei- nem langjährigen Patron Sir Nathaniel Barnardiston, dem er auch die Predigt in der Druckfassung widmete.195 Dies sind nur wenige Beispiele für das allgemeine Phänomen, das unter dem Stichwort „tuning the pulpits“ firmiert.196 Die persönlichen Beziehungsnetze zwischen den geistlichen Sprechern vor dem Unterhaus und den Parlamentariern legen eine Modifikation von Clarendons Ur- teil über die große Einflußnahme radikaler Prediger im Parlament nahe. Nicht immer scheint festzustehen, ob die Parlamentarier ihre Pflichten von den Predi- gern oder aber die Geistlichen die Botschaft ihrer Predigttexte von den Parlamen- tariern diktiert bekommen hatten.197 Aber auch wenn die Prediger wesentlich ein Sprachrohr bestimmter Gruppen im Parlament waren, so bleibt doch die Frage von Interesse, in welcher Sprache sie diese Aufgabe wahrnahmen und auf welche Weise politische Forderungen in den Predigten übermittelt wurden. Dies gilt es genauer zu untersuchen. In jedem Fall läßt sich feststellen, daß nicht nur die Prediger selbst, sondern auch zahlreiche Parlamentarier den regelmäßigen Predigten vor dem Unterhaus ein großes Interesse entgegenbrachten und sie durchaus als ein bedeutsames Kommunikationsmittel ansahen. Nicht nur Royalisten wie Clarendon, sondern auch Akteure wie Pym unterstellten einer Predigt offenbar eine vergleichbare, wenn nicht größere Wirkungskraft als den eigenen Reden im Unterhaus. Diese größere Wirkung verdankten die Predigten insbesondere der Sprache des Bibli- zismus, derer sich wiederum Geistliche mit weit größerer Legitimität und damit auch mit größerer Überzeugungskraft bedienen konnten als Parlamentarier. Die Wirkung wurde zusätzlich dadurch verstärkt, daß die Predigten schon bald nach ihrem Vortrag im Parlament auf ausdrückliche Anweisung einer Parlaments- kommission in Druck gingen und damit auch der politisch interessierten Öffent- lichkeit zur Verfügung standen. Bedenkt man ferner, daß Parlamentsreden auch zur Zeit des Long Parliament im Regelfall nicht gedruckt wurden – auch wenn

194 Hugh R. Trevor-Roper, The Fast Sermons of the Long Parliament, in: Ders. (Hrsg.), Es- says in British History. Presented to Sir Keith Feiling, London 1964, S. 85–138; Wilson, Pul- pit, S. 17. 195 Richard L. Greaves, Sir Nathaniel Barnardiston (1588–1653), in: ODNB 3 (2004), S. 964–966; Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 93; Die Widmung in Samuel Fairclough, The Troublers Troubled, or Achan Condemned and Executed, London 1641, Fol. A3r-A4r. 196 Der Begriff Tuning the Pulpit war wohl bereits von Elisabeth I. geprägt worden (so: Peter Heylyn, Cyprianus Anglicus, London 1668, Fol. YIr), die in dieser Taktik eine Meisterin war; vgl. nur Arnold Hunt, Tuning the Pulpits. The Religious Context of the Essex Revolt, in: Ferrell/McCullough (Hrsg.), The English Sermon Revised, S. 86–114. 197 Wilson steht dabei der ersteren Auffassung näher, Trevor-Roper kann als Anwalt der letzte- ren Position gelten; Wilson, Pulpit, S. 166 f. sowie S. 146, wo er die Fastenpredigten auch als „engine of influence“ umschreibt; Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 88 f., S. 93–95 u. ö.

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nach 1640 deutlich mehr Publikationen die Redeauftritte der Parlamentarier do- kumentierten als in den Parlamenten zuvor198 –, waren die Predigten der am leichtesten greifbare und gleichsam seriell verfügbare Kommentar für die Zeit- genossen. Und dieser erfolgte fast ausschließlich in der politischen Sprache des Biblizismus. Auf der Suche nach den in den Fastenpredigten geäußerten politischen Ord- nungsvorstellungen läßt sich bereits die erste Predigt dieser Art vor dem Long Parliament zu Rate ziehen: Am Gedenktag anläßlich der Thronbesteigung Köni- gin Elisabeths I., dem 17. November 1640, gab Cornelius Burges mit seiner Pre- digt vor dem Unterhaus die Richtung vor für all die zahlreichen Fastenpredigten, die in den kommenden Monaten und Jahren am selben Ort folgen sollten. Bur- ges’ Predigt enthält bereits zahlreiche, in den späteren Predigten immer wieder- kehrenden Grundmuster und läßt sich als eine Art Blaupause oder Drehbuch für die meisten der in den folgenden Jahren vor dem Parlament gehaltenen Fasten- predigten verstehen.199 Er beschrieb seine Aufgabe damit, „to seek what the Lord would command us to deliver in his Name, at such a time, to such an Honourable and [l]awfull Assembly“.200 Der Verweis auf den 82. Psalm, der in der Druckfassung dieser Predigt auf dem Rand vermerkt ist, ist ein erster Hinweis, worin Burges zufolge der Wille Gottes bestehen könnte. In diesem Psalm bestellt Gott die Könige vor seinen Richtstuhl, um sie zu fragen, wie lange sie noch Ursache von Ungerechtig- keit und Gottlosigkeit sein wollten. Aufgrund ihres Fehlverhaltens ebenso wie ihrer mangelnden Einsicht hätten sie auch ihr Ende selbst zu verantworten: „Wohl habe ich gesagt, ihr seid Götter/und allzumal Söhne des Höchsten; aber ihr wer- det sterben wie Menschen/und wie ein Tyrann zugrunde gehen“. Burges geht in seiner Predigt nicht weiter auf die Rolle des Königs ein. Statt dessen richtet er seine Ansprache direkt an seine Zuhörer im Unterhaus und ver- sucht diese für sein Anliegen zu gewinnen: England erneut einer reinigenden Re- formation zu unterziehen, wie es einst Königin Elisabeth I. getan hatte, und einen Bund mit Gott einzugehen.201 Burges wählte als Motto der Predigt Jer 50,5, die Weissagung vom Untergang Babylons und von der Erlösung Israels aus der Ge- fangenschaft. Er läßt wenig Zweifel daran, daß England sich in derselben Lage befindet wie einst das Volk Israels im Exil. Seine Auslegung der Worte Jeremias präsentiert er in einer Art und Weise, daß sie als Prophezeiung der noch einzu- treffenden Ereignisse in England verstanden werden kann: „This Northern Army should be the confusion of Babylon, the confusion of Babylon should prove the

198 A.D.T. Cromartie, The Printing of Parliamentary Speeches November 1640–July 1642, in: HJ 33 (1990), S. 23–44. 199 Tai Liu, Cornelius Burges in: ODNB 8 (2004), S. 751–755: „he had set the basic tone of puri- tan preaching throughout the years of the English revolution“. Es wird allerdings noch zu zeigen sein, daß die einzelnen rhetorischen Bausteine der Predigt meist älteren Datums sind. 200 Cornelius Burges, Two Sermons Preached to the Honorable House of Commons Assem- bled in Parliament at their Publique Fast, Novem. 17, 1640, London 1641, Fol. A2r. 201 Ebd., S. 66.

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restoring of the Church (vers. 3.) And the restoring of the Church should pro- duce a Covenant with God.“202 Karl hatte das Long Parliament einberufen müssen, da sich die schottischen Kontrahenten weigerten, mit ihm direkt über einen Friedensschluß zu verhan- deln, sondern diese Verhandlungen nur mit dem Parlament zu führen bereit wa- ren. Als Faustpfand hielten die Truppen der Covenanters den Norden Englands besetzt. Wenn die Zerstörung Babylons daher durch eine „northern army“ erfol- ge, so war dies in Jeremias Rede die Armee der Meder und der Perser. Burges dient diese Rede als Analogie zum aktuellen politischen Geschehen in England, d. h. als Anspielung auf die schottische Armee, die den Norden Englands besetzt hielt.203 Folgt man dieser Analogie, bliebe nur noch die Frage zu klären, wer Babylon repräsentiere, wenn das englische Volk doch mit dem Volk Israels gleich- zusetzen sei. Burges gibt anhand mehrerer Bibelstellen darüber Aufschluß. Babylon sei gleichzusetzen mit dem Ungehorsam gegen Gott, mit Mißbräuchen in der Kirche wie dem Götzendienst sowie mit Unglauben, wobei er „Popery“, „Arminianis- me“ und „Socinianisme“ unmittelbar benennt.204 Um Babylon zu verlassen, sei daher eine Umkehr nötig; Burges spricht von der „restoring of the church“. Diese Umkehr müsse die Vernichtung jedweden Götzendienstes einschließen. König Asa gilt Burges als vorbildliches Beispiel dafür, da er bei der Verfolgung des Göt- zendienstes selbst seine eigene Mutter nicht verschonte und sie von ihrer Rolle als Königin absetzte.205 Das im Deuteronomium überlieferte Gesetz Gottes (Dtn 13,7–9) ging in seiner Forderung sogar noch weiter, wie Burges ebenfalls nicht zu erwähnen ausläßt.206 Auch im unmittelbaren persönlichen Umfeld müßten Göt- zendiener mit dem Tode bestraft werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um die eigenen Kinder, Eltern oder Ehepartner handelte. Dies alles sei notwendig, um einen neuen, dauerhaften Bund mit Gott einzugehen, wozu Burges die Parlamen- tarier nachdrücklich auffordert. Dieser landesweite Bund binde dann die ganze Nation, auch die Ehefrauen, wie Burges ebenfalls eigens erwähnt.207 Dieser Bund sei notwendig, um England Gottes Schutz und Rettung zu versichern.208 Der Rekurs auf biblische Exempla gibt Burges die Möglichkeit, eine äußerst heikle Materie auf indirektem Wege zur Sprache zu bringen und mit weitreichen- den Forderungen zu verknüpfen, ohne dabei Namen zu nennen, nämlich die ka- tholische Konfession der aus Frankreich stammenden Gemahlin Karls I., Henri- ette Maria. War im Verständnis des Königs die Konfession seiner Gemahlin das letzte, worüber er mit dem Parlament zu verhandeln beabsichtigte, so macht Bur- ges daraus ein Thema von nationaler Tragweite und setzt es den Parlamentariern

202 Ebd., S. 6. 203 So auch die Deutung von Wilson, Pulpit, S. 39. 204 Burges, Two Sermons, S. 3 f. 205 Ebd., S. 11, unter Bezug auf “ 2 Chr 14 und 15 sowie auf Dtn 13,6. 206 Ebd., S. 12. 207 Ebd., S. 29, unter Bezug auf Spr 2,17. 208 Ebd., S. 30–35.

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auf die politische Agenda. Das Beispiel König Asas markiert dabei die notwendi- ge Voraussetzung einer für das Heil aller notwendigen Umkehr zum vollständi- gen Gehorsam gegen Gott: Nimmt man dieses Beispiel zum Maßstab, so läßt sich daraus nur schlußfolgern, daß Henriette Maria, sollte sie weiterhin im katholi- schen Glauben verbleiben, zumindest als Königin des Landes nicht länger tragbar wäre. Wenn das Parlament sich Burges’ Forderung nach einem erneuten Bundes- schluß mit Gott zu eigen machen wolle, so hätte es den König daher vor die Alter native zu stellen, seine Gemahlin entweder von einer Konversion zu über- zeugen oder aber sich von ihr zu trennen. Diese Schlußfolgerung allerdings bleibt den Zuhörern überlassen und wird nicht eigens artikuliert. Nur ein Jahr später schien sich das Unterhaus Burges’ Forderungen zu eigen zu machen, nachdem sich in Folge des irischen Aufstandes im Herbst 1641 die poli- tische Lage verschärft hatte. Die Königin brachte sich im Januar 1642 vor den politischen Ereignissen in England in Sicherheit und floh auf den Kontinent, nachdem das Unterhaus Ende 1641 den Hofstaat der Königin zum Thema von Beratungen machte, John Pym die Forderung erhob, daß auch alle Bediensteten der Königin, einschließlich der katholischen Geistlichen, den oath of allegiance ablegen müßten und kurz darauf sogar das Gerücht die Runde machte, die Köni- gin solle einem Impeachmentverfahren unterzogen werden.209 Zwar hatten diese Forderungen nicht nur mit dem von Burges und seinen Mitstreitern propagierten Kampf gegen den Götzendienst zu tun, sondern waren eine Reaktion auf den kurz zuvor aufgedeckten Army Plot. Gleichwohl war nun der Moment gegeben, wo ernstlich die Gefahr bestand, daß das Unterhaus bei seinem selbsterklärten Kampf gegen den Götzendienst auch vor Mitgliedern der Königsfamilie nicht mehr haltmachte. Burges’ Forderung nach Umkehr und erneuter Hinwendung zu Gott und seinen Gesetzen erhält wahre Dringlichkeit durch den Verweis auf das Ende der Welt, die vollständige Errettung der wahren Kirche und den endgültigen Unter- gang Babylons. Das Wort des Propheten Jeremias von der Zerstörung Babylons stellt Burges in einen direkten Zusammenhang mit der endgültigen Zerstörung Babylons am Ende der Zeiten.210 Gerade diese Alternative von Heil und Ver- dammnis zwinge auch das mit weltlichen Fragen befaßte Parlament dazu, Eng- lands Platz auf der Seite des Heils zu sichern – ein Platz, der England in früheren Jahren gewiß war, wie die wundersame Errettung sowohl gegen die spanische Ar- mada als auch gegen die Pulververschwörung hinreichend bewies.211 Der Rück- fall Englands in die Arme Babylons zwinge nun aber die Parlamentarier zur Um- kehr und zur Bekräftigung des Bundes mit Gott.212 Burges betont ausdrücklich, daß sich das Parlament nicht darauf beschränken dürfe, die eigenen Rechte und

209 Russell, Fall, S. 420, 447, 458 f. 210 Burges, Two Sermons, S. 36 f. 211 Ebd., S. 40. 212 Ebd., S. 45 und 54.

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Freiheiten zu verteidigen. Der Bundesschluß mit Gott sei vielmehr der eigentliche Schlüssel zur Errettung Englands.213 Soweit Burges’ Rede zur Lage der Nation. Die Forderung nach einem nationalen Bund mit Gott hatte in England weit weniger Tradition als in Schottland.214 Die Reformation war in England auf dem Wege des üblichen Gesetzgebungsverfahrens vom King-in-Parliament durchge- führt worden und wurde nicht gegen die Monarchie erstritten, wie es in Schott- land der Fall war. Auch hätte es Elisabeth I. denkbar fern gelegen, sich als Initia- torin eines nationalen Bundes zu inszenieren, wie dies Jakob VI. als schottischer König 1581 betrieben hatte. Wenn Burges daher nun den Parlamentariern einen solchen Bund als letzten Ausweg anempfiehlt, liegt es nahe, daß er hierbei neben den Bundesschlüssen im Alten Testament auch das schottische Beispiel als Vor- bild vor Augen gehabt haben dürfte.215 Dies ist zumindest deswegen pikant, da es der National Covenant war, der Karl I. zu militärischen Maßnahmen gegen Schottland veranlaßte, und die Niederlage gegen die Schotten im sogenannten zweiten Bischofskrieg, besiegelt durch den Vertrag von Ripon, ihn nun zur er- neuten Einberufung eines Parlamentes zwang.216 Die schottischen Aufständi- schen forderten die Einberufung, um über einen Friedensvertrag zwischen Schott- land und England nicht mit dem König, sondern mit dem Parlament zu verhan- deln – ein weiterer irreparabler Autoritätsverlust für Karl I.217 Nicht ohne Grund sahen die Schotten in den Befürwortern eines Parlaments zugleich Verbündete für ihre religionspolitischen Anliegen. Unter den schotti- schen Aufständischen herrschte ferner die Überzeugung vor, daß von dem militä- risch potentiell stärkeren England erst dann für Schottland keine Gefahr mehr drohe, wenn auch in England eine religions- und kirchenpolitische Kehrtwende einsetzen sollte, d. h. eine Entmachtung der Bischöfe, eine Abschaffung der strit- tigen ceremonies etc.218 War der schottische Aufstand 1637 losgebrochen, weil sich Schottland einer Angleichung an die englische Kirchentradition im Zuge der Einführung des Book of Common Prayer widersetzte, führte der Erfolg der Co- venanters nun zum selben Ziel unter umgekehrten Vorzeichen, d. h. zur Forde- rung nach einem Vollzug der in Schottland durchgeführten Kirchenreform auch in England. Im weiteren Verlauf des Bürgerkrieges sollte sich schnell zeigen, wie unter- schiedlich die religionspolitischen Konzeptionen der englischen und der schotti-

213 Ebd., S. 45. 214 Vgl. hierzu jetzt Edward Vallance, Revolutionary England and the National Covenant. State Oaths, Protestantism and the Political Nation 1553–1682, Woodbridge 2005, S. 6–48 (Kap. 1: The Origins of the Idea of a National Covenant in England). 215 Explizit wird dies formuliert bei Burton, Sounding, S. 40 f. 216 Russell, Fall, S. 162 f. 217 Ebd., S. 163. 218 Die in London versammelten schottischen Gesandten quittierten daher jedes Zeichen für ei- nen religionspolitischen Wechsel Englands mit großer Freude. Vgl. nur Robert Baillie, der am 12. Dezember 1640 an seine Frau schrieb, er sei guter Hoffnung, daß es mit der englischen Bischofskirche und mit den verhaßten ceremonies bald ein Ende haben werde; Baillie, Let- ters, Bd. 1, S. 278.

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schen Geistlichen waren, ihrem gemeinsamen Kampf gegen die englische Amts- kirche Laudscher Prägung zum Trotz.219 Für die ersten Jahre des Long Par- liament wird man jedoch eine weitgehende Interessengemeinschaft zwischen schottischen Covenanters und englischen Parlamentariern unterstellen dürfen. Und Burges’ Predigt vor dem Parlament gibt einen Hinweis darauf, daß er und seine zahlreichen Nachfolger auf der Kanzel in St. Margaret seine Zuhörer auch in der Religionspolitik auf das schottische Vorbild einschwörten.220 Von der er- sten Predigt an war es das Ziel der Geistlichen, das Parlament auf das Ideal der Theokratie zu verpflichten und dieses Anliegen allen anderen Streitfragen voran- zustellen.221 Dabei bedienten sie sich folgender Leitmotive: In den meisten Predigten ist der Ausgangspunkt der Argumentation die Gleichsetzung des zu erwartenden Schick- sals Englands mit demjenigen Israels und Judas im Alten Testament.222 Zum ei- nen geschah dies, um England in der Rolle einer von Gott auserwählten Nation zu preisen. Dies war eine im protestantischen England seit langem etablierte Überzeugung.223 Auch die stereotype Erwähnung des Sieges über die spanische Armada und die Aufdeckung des Gunpowder Plot diente stets als Beweis für die von Gott mehrfach dokumentierte Bereitschaft zur wundersamen Errettung Eng- lands. Ebenso wie für das israelische Volk bedeutet die Auserwähltheit Englands jedoch nicht nur eine Auszeichnung, sondern zugleich eine besondere Verpflich- tung zum Wohlverhalten gegenüber Gottes Gesetz. Stets diente der Vergleich da- her auch dazu, die in den historischen Schriften des Alten Testaments ablesbare Reaktion Gottes auf das Wohl- wie auch das Fehlverhalten von Israel und Juda zu übertragen auf die in England herrschenden Verhältnisse, um daraus eine über- zeugende Zukunftsprognose sowie Handlungsempfehlungen abzuleiten. So dient Stephen Marshall in seiner ersten Predigt vor dem Parlament das Schicksal Israels

219 Chad B. van Dixhoorn, Unity and Diversity at the (1643–1649). A Commemorative Essay, in: Journal of Presbyterian History 79/2 (2001), S. 103–117; Robert S. Paul, The Assembly of the Lord. Politics and Religion in the Westminster Assembly and the Grand Debate, Edinburgh 1985; R. D. Bradley, The Failure of Accommodation: Reli- gious Conflict between Presbyterians and Independents in the Westminster Assembly 1643–1646, in: Journal of Religious History 12 (1982), S. 23–47. 220 Vgl. nur Henry Parker, A Discourse Concerning Puritans, London 1641, S. 39. 221 Predigten mit gleichlautendem Inhalt erfolgten auch in zahlreichen Gemeinden des Landes; vgl. hierzu William Sheils, Provincial Preaching on the Eve of the Civil War. Some West Riding Fast Sermons, in: Roberts/Fletcher (Hrsg.), Religion, S. 290–313; J. Eales, Provincial Preaching and Allegiance in the First English Civil War, in: Thomas Cogswell/Richard Cust/ Peter Lake (Hrsg.), Politics, Religion and Popularity in Early Stuart Britain, Cambridge 2002, S. 185–210. 222 Holmes, The New World, Fol. A2r, redete die Parlamentarier als „Wirthies of Israel“ an. Zahlreiche Beispiele genannt in Wilson, Pulpit, Kap. VI, v. a. S. 168 f.; vgl. ferner allg. Wil- liam Haller, Foxe’s Book of Martyrs and the Elect Nation, London 1963. 223 Ronald G. Asch, An Elect Nation? Protestantismus, nationales Selbstbewußtsein und natio- nale Feindbilder in England und Irland von zirka 1560 bis 1660, in: Alois Mosser (Hrsg.), Gottes auserwählte Völker. Erwählungsvorstellungen und kollektive Selbstfindung in der Geschichte, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 117–141.

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als Vergleichsmaßstab, um die desaströsen Folgen von Englands Abtrünnigkeit von Gottes Gesetzen darzulegen.224 Der Rückblick auf das Schicksal Israels hat in beinahe allen Fastenpredigten dieselbe Funktion: den Zuhörern die Notwendigkeit der Umkehr zu verdeut- lichen.225 Eine solche Umkehr hatte sich dabei in folgenden Schritten zu vollzie- hen: Zunächst bedurfte es einer Einsicht in die kirchlichen Mißstände, die auf alttestamentliche Weise umschrieben werden als Götzendienst und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz. Diese Einsicht zog als notwendiges Zeichen der Umkehr eine vollständige Ausmerzung aller Formen des Götzendienstes nach sich, da sich nur darin der schuldige Gehorsam gegenüber Gott manifestierte. Und schließlich bedurfte es nach diesen notwendigen Signalen des Gehorsams einer erneuten Be- kräftigung der unbedingten Treue zu Gott, wie es nur ein allgemeiner Bundes- schluß leisten konnte. Dieses allgemeine Skript lag so gut wie allen vor dem Long Parliament gehaltenen Fastenpredigten zugrunde. Der Wert, dem alles andere untergeordnet werden müsse, war in den Predigten übereinstimmend die „true religion“. Alle anderen gesellschaftlichen Werte und Pflichten wurden stets an die Bedingung geknüpft, daß sie zur Reinheit des Glau- bens nicht in Widerspruch stehen dürften. Dies war für sich genommen noch keine allzu aufregende Prämisse und dürfte von den meisten Zeitgenossen auch außerhalb der britischen Inseln akzeptiert worden sein. Die Brisanz entstand dadurch, daß das Verständnis von „true religion“ bei einer Mehrheit der Kanzel- redner und wohl auch bei einer Mehrheit der Mitglieder des Unterhauses deutlich abwich von der Kirchengestalt, wie sie sich seit der englischen Reformation ent- wickelt hatte. Dadurch war das wiederholt vorgetragene Bekenntnis nicht eine Bekräftigung des etablierten Gesellschaftszustands, sondern die Aufforderung an das Parlament zu mitunter weitreichenden Maßnahmen. Die Dringlichkeit der Reformmaßnahmen wurde mit einem Verweis auf die ansonsten zu befürchten- den kollektiven Gottesstrafen unterstrichen, wobei man entweder auf die Gottes- strafen verwies, mit denen Israel und Juda für ihren zeitweiligen Ungehorsam bestraft wurden, oder aber den bevorstehenden Untergang der Hure Babylon be- schwörte, von der man sich tunlichst fernzuhalten hatte.226 Der Hinweis auf die vielen und schwerwiegenden Verfehlungen der englischen Kirche fehlte zwar in keiner Predigt. Formeln von der „corruption“ der Religion und des Klerus in England, von Götzendienst, Aberglauben und der Nähe zu Babylon waren Legion. Weniger deutlich wurde aber benannt, worin diese Ver- fehlungen im einzelnen bestünden und wer dafür verantwortlich zu machen sei.

224 Stephen Marshall, A Sermon Preached before the Honorable House of Commons [17. No- vember 1640], London 1641, S. 30–41. 225 Vgl. auch Wilson, Pulpit, S. 186 f. und 199 f. Damit korrespondierte zu dieser Zeit auch die Rede von der Krankheit, die England befallen habe, und die geheilt werden müsse; Cressy, England on Edge, S. 30–36. 226 Hinzu sammelten einzelne Autoren Idizien dafür, daß das Strafgericht Gottes gegen England bereits im Gange sei. Auf diese Weise wurde z. B. die Rückkehr der Pest in England gedeutet; vgl. hierzu mit zahlreichen Belegen Cressy, England on Edge, S. 60–67.

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Konkrete Vorwürfe wurden erhoben gegen die Prophanierung des Sonntages,227 gegen das Knien beim Abendmahl,228 gegen Altäre mit Kruzifixen,229 die Verur- teilung rechtschaffener Prediger230 und die fehlende Abgrenzung zur katholi- schen Kirche.231 Weitaus seltener kamen dagegen Fragen der Lehrmeinung zur Sprache, meist vorgetragen in der Form pauschaler Angriffe auf „Arminianer“ und andere.232 Als Urheber all dieser Mißstände machten die Prediger oftmals die führenden Vertreter der Kirchenhierarchie aus, ohne dabei allerdings Namen zu nennen;233 Burton beispielsweise benennt sie als „faction of Egypt“.234 Die Abgeordneten des Unterhauses im Long Parliament machten die Reforma- tion der Kirche in der Tat von Beginn an zu einem ihrer wichtigsten politischen Anliegen. Dies war in England ein Novum, da Religions- und Kirchenangelegen- heiten bislang stets in den Kompetenzbereich des Königs als Supreme Head of the Church sowie den von ihm ernannten Bischöfen fielen und das Parlament daher nur in fundamentalen Fragen damit betraut wurde, religionspolitische Entschei- dungen per Gesetzbeschluß mitzutragen. Dies änderte sich mit der Einberufung des Long Parliament gründlich. Es nahm sich zahlreicher Aufgaben an, die vorher der König und die Bischöfe des Landes durchführten. Hierzu zählte die Freilas- sung von Gefangenen, die von der High Commission oder der Star Chamber zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Ebenso zählte hierzu die Verfolgung von Geistlichen, die man für die Neuerungen in der Kirche verantwortlich machte, unter ihnen zahlreiche Bischöfe, die sich nun vor dem Parlament zu verantworten hatten. Und schließlich annullierte das Parlament binnen Wochen Entscheidun-

227 Marshall, A Sermon, S. 32; , Two Sermons Lately Preached at Westminster, London 1641, S. 12 und 17; Holmes, The New World, S. 44; , Sions Joy. A Sermon Preached to the Honourable House of Commons, London 1641, S. 26 f.; Stephen Marshall, Reformation and Desolation, or, A Sermon Tending to the Discovery of the Symptomes of a People to whom God will by no meanes be Reconciled, London 1642, S. 33. 228 Marshall, A Sermon, S. 35; Case, Two Sermons, S. 12; Holmes, The New World, S. 30; Burroughs, Sions Joy, S. 26 f.; Henry Burton, Englands Bondage and Hope of Deliverance, London 1641, S. 15–17 [irrt. S. 20–23]. 229 Case, Two Sermons, S. 17; Burton, The Sounding, S. 25. 230 , The Best Refuge for the Most Oppressed in a Sermon Preached to the Hon- ourable House of Commons at their Solemne Fast, London 1642, S. 59 f. 231 Burton, The Sounding, S. 58 f. 232 Holmes, The New World, S. 44; Edmund Calamy, Gods Free Mercy to England Presented as a Pretious, and Powerfull Motive to Humiliation: in a Sermon Preached before the Honor- able House of Commons, London 1642, S. 20; , The Workes of Ephesus Ex- plained in a Sermon before the Honourable House of Commons at their Late Solemne Fast, [London] 1642, S. 51. 233 Holmes, The New World, S. 30; William Sedgwick, Scripture a Perfect Rule for Church- Government, London [1643]; Ashe, The Best Refuge, S. 31 und 61; Thomas Wilson, Davids Zeale for Zion: a Sermon Preached before Sundry of the Honourable House of Commons, London 1641, S. 4; Burroughs, Sions Joy, S. 40 f.; Jeremias Burroughs, A Glimpse of Sion’s Glory, London 1641, S. 2 f.; Burton, Sounding, S. 18f und 54; Caryl, The Workes, S. 51 und 55 f. 234 Burton, Englands Bondage, S. 13 [irrt. S. 3].

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gen der Bischöfe wie die Canons von 1640, mit denen das Kirchenregiment Lauds noch im Frühjahr 1640 kirchenrechtlich untermauert werden sollte.235 Viele der Prediger von St. Margaret waren unter dem Kirchenregiment Lauds selbst vor Kirchengerichte zitiert und dort mit Predigtverboten und Schlimmerem belegt worden. Nun erhielten sie vom Parlament eine privilegierte Sprecherrolle zuge- wiesen.236 Sichtbar wurde die Kehrtwende auch in der Kirche St. Margaret selbst: die in ihr enthaltenen Chorschranken wurden nach Burges’ Predigt herausgerissen und statt eines Altars an der Ostwand wieder ein Abendmahltisch in der Mitte des Chores aufgestellt.237 In ganz England erfolgten in den Kirchen „Reinigungs- aktionen“ gegen vermeintlich katholische Restbestände in der Kirche, wobei oft- mals nicht nur die neu errichteten Chorschranken und Altäre betroffen waren, sondern auch das Book of Common Prayer sowie das surplice, das Chorhemd der Geistlichen, den Flammen zum Opfer fielen. In zahlreichen Fällen gab es darüber hinaus auch Übergriffe gegen einzelne Geistliche in den Gemeinden.238 Die Rede von der Ausrottung allen Götzendienstes fiel offenkundig auf fruchtbaren Boden. Zugleich fielen auch die Ziele unity, order und peace, die die Kirchen- und Reli- gionspolitik seit Elisabeth I. bestimmten, der reformatorischen Aufwallung zum Opfer. Die Suche nach Leitmotiven und Gemeinsamkeiten in den Predigten an das Parlament beinhaltet das Risiko, den spezifischen Kontext der jeweiligen Predigt geringzuschätzen oder zu übersehen. In wie weit waren die Predigten situative Sprechakte, mit denen die Redner sowie ihre Patrone im Parlament versuchten, auf einzelne politische Entscheidungen konkret einzuwirken? In wie weit ließen sich biblische Exempla rhetorisch so einsetzen, daß sie eine spezifische, aktuelle Lesart mit einer gewissen Eindeutigkeit evozierten, ohne diese explizit anzuspre- chen? Diese Fragen lassen sich exemplarisch anhand zweier Predigten diskutie- ren, die als außerordentliche Predigten vor dem Unterhaus kurzfristig anberaumt und am 4. April 1641 vor dem Unterhaus gehalten wurden: Samuel Faircloughs The Troublers Troubled und Thomas Wilsons David’s Zeale for Zion.239 Trevor-Roper sieht die Predigt von Fairclough als Plädoyer des Geistlichen im Auftrag von John Pym für die später vom Parlament beschlossene Hinrichtung

235 Vgl. hierzu ausführlich John Morrill, The Nature of the English Revolution, Harlow 1993, S. 45–90; Fincham/Tyacke, Altars Restored, S. 172–175 und S. 274 f. Zu den Canons von 1640 s. u. Kap. V 2. 236 Vgl. hierzu Cressy, England on Edge, S. 168–172. Die Prediger Stephen Marshall, Cornelius Burges und Henry Burton hatten sich alle vor Kirchengerichten zu verantworten, um nur drei der berühmtesten Prediger in St. Margaret zu erwähnen. 237 Commons’ Journal, Bd. 2, S. 24, 32 f., 37, 40. 238 Fincham/Tyacke, Altars Restored, S. 274–283; Cressy, England on Edge, S. 199–209; ferner J. Walter, Popular Iconoclasm and the Politics of the Parish in Eastern England 1640–1642, in: HJ 47 (2004), S. 261–290. 239 Vgl. Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 93; Wilson, Pulpit, S. 44–46; Christianson, Reform- ers, S. 186 f.

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Thomas Wentworths. Auf Thomas Wilsons Predigt am gleichen Tag geht er nicht näher ein. Die näheren Umstände der beiden Reden legen einen Zusammenhang zum Verfahren gegen Wentworth in der Tat nahe. Gehalten wurden sie nur zwei Tage, nachdem John Pym und Francis Russell, Earl of Bedford, vom sogenannten Army Plot Kenntnis erhielten, einem Plan, Wentworth mit Waffengewalt aus dem Tower zu befreien.240 Wilson deutet beide Predigten hingegen weniger aus der konkreten politischen Situation, sondern sieht sie als typische Beispiele puritani- scher Rhetorik vor dem Parlament.241 Ob es sich bei den beiden Predigten um spezifische Sprechakte handelte, die eindeutig auf eine Hinrichtung Thomas Wentworths abzielten oder nicht, läßt sich nur durch eine Interpretation der ein- gesetzten biblischen Exempla in den Predigten klären. Da der Name Wentworth in beiden Predigten kein einziges Mal genannt wird, oblag es den Zuhörern, ob sie anhand der Predigt eine Assoziation zu Wentworths Prozeß herstellten oder nicht. Und sollte dies das Anliegen Faircloughs gewesen sein, so wird zu untersu- chen sein, welcher rhetorischer Mittel er sich bediente, um den Bezug zur causa Wentworth als zwingend erscheinen zu lassen. Samuel Fairclough wählte die Figur des Achan als Gegenstand seiner Predigt (Jos 7). Achan hatte nach der Zerstörung Jerichos gegen den Bann des Herrn ver- stoßen und Dinge aus der Stadt entwendet, weshalb Israel von Gott kollektiv bestraft wurde und gegen die Kanaaniter sieglos blieb. Erst die kollektive Steini- gung des Übeltäters Achan stellte den Schutz Gottes wieder her. Für Trevor-Ro- per besteht kein Anlaß zum Zweifel, daß mit Achan niemand anders gemeint war als Thomas Wentworth.242 Auf den ersten Blick spricht auch einiges dafür, daß Fairclough mit seiner gegen Achan gerichteten Predigt direkt an das Parlament appelliert, sich für Wentworths Hinrichtung auszusprechen.243 Zunächst richtete Fairclough seinen Appell an das Parlament als zuständige Obrigkeit und sieht in der Josuastelle alles enthalten, was zur Ausübung von Strafjustiz gegen Aufwieg- ler nötig sei.244 Dann streicht er heraus, daß eine Aufdeckung der Vergehen Achans die sofortige Bestrafung des Übeltäters nach sich ziehen müsse, um eine weiterreichende „infection“ von der Gesellschaft abzuwenden.245 Gerade die Aufforderung zur Eile und zur unverzüglichen Strafvollstreckung macht es ne- ben dem Zeitpunkt der Predigt wahrscheinlich, daß sich hinter Achan Thomas Wentworth verbirgt. Die Predigt ließe sich dann als ein Plädoyer für das später vom Parlament ergriffene Verfahren, einem sogenannten Act of Attainder, verste- hen, der Verhängung der Todesstrafe durch einfachen Mehrheitsbeschluß in bei-

240 Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 93; hierzu auch Russell, Fall, S. 292–299. 241 Wilson, Pulpit, S. 44–46. 242 Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 94. So auch Hill, Bible, S. 82. 243 Samuel Fairclough, The Troublers Troubled, or Achan Condemned, and Executed. A Sermon, Preached before Sundry of the Honourable House of Commons at Westminster, April, 4. 1641 […], London 1641, S. 24: „that those that have authority under God, doe totally abolish and extirpate all the cursed things whereby it was disturbed“. 244 Ebd., S. 1 f. 245 Ebd., S. 47–49.

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den Kammern des Parlaments, nicht aber als Urteil im Rahmen eines ordnungs- gemäßen Impeachmentverfahrens.246 Trevor-Roper blendet indes alle Aspekte aus, die eine einfache Gleichsetzung von Achan als Wentworth in Zweifel ziehen könnten. Davon gibt es jedoch eini- ge: Zunächst bemüht sich Fairclough kaum darum, Achan mit denselben Vorwür- fen zu überziehen, die im Impeachmentverfahren gegen Wentworth vorgebracht wurden. Wentworth war des Hochverrats angeklagt, wobei John Pym in seiner Rede einen dreifachen Verrat anprangerte: Verrat gegen Gott, da Wentworth es unternommen habe, England der kirchlichen Tyrannei des Papstes zu unterwer- fen, und Verrat gegen den König und das Volk (commonwealth), da er den König gegen Parlament und Volk aufhetzte und damit die gegenseitige Treue- und Schutzbeziehung in Frage stellte.247 Von Hochverrat ist bei Faiclough jedoch kei- ne Rede. Er hebt nur den Verrat an Gott hervor. Dabei zeigt sich weniger am Akt des Diebstahls Achans wahres Verbrechen, sondern vielmehr am entwendeten Diebesgut. Daß ein babylonischer Mantel aus Jericho entwendet wurde, deutet Fairclough als Abfall vom wahren Glauben und als Einschleppung von Götzen- dienst, und er läßt wenig Zweifel daran, daß er Götzendienst gleichsetzt mit den Riten in der englischen Kirche, die sich vom römischen Vorbild nicht hinreichend abgesetzt hätte.248 Zwar gehen Faircloughs Vorwürfe in die gleiche Richtung wie Pyms Anklage des Verrats gegen Gott. Allerdings sieht Fairclough in England eine Vielzahl von Achans am Werke: neben den Jesuiten seien es Bischöfe und Geistliche, die ihrer Residenzpflicht nicht nachkämen, Schwörer von Meineiden, Prophanierer des Sonntags etc.249 Auf eine vergleichbare Weise hatte Herny Burton bereits im Jahr 1628 – ebenfalls in einem an das Parlament gerichteten Appell – als unter ihnen lebende Achans die Jesuiten sowie die „Arminianer“ ausgemacht.250 Ein anony- mes Pamphlet, das zur Zeit des Wentworthprozesses in London kursierte, zeugt davon, daß die Figur des Achan als Beispiel und als Typus des Unruhestifters nicht nur gegen Thomas Wentworth, sondern auch gegen andere unliebsame Personen

246 John Rushworth, The Tryall of Thomas Earl of Strafford, London 1680, S. 658 f.; zu den Ereignissen Russell, Fall, S. 287–302. Dasselbe Schicksal sollte später auch William Laud er- eilen, der am 4. Januar 1645 ebenfalls nicht durch ein ordnungsgemäßes Impeachmentver- fahren, sondern mittels eines Act of Attainder zum Tode veruteilt werden sollte. Das Urteil wurde sechs Tage später vollstreckt; vgl. zum Prozeß gegen Laud ausführlich Anthony Milton, William Laud, in: ODNB 32 (2004), S. 655–670, hier S. 666–668. 247 Vgl. Kenyon, Stuart Constitution, S. 191–193. 248 Fairclough, Troublers, S. 10 f.; Christianson, Reformers, S. 186 erklärt etwas pauschal, Fairclough hätte Achan mit den „Arminianern“ gleichgesetzt. 249 Fairclough, Troublers, S. 11. 250 Henry Burton, Israels Fast. or, a Meditation upon the Seventh Chapter of Ioshuah a Faire Precedent for these Times, London 1628, S. 32; vgl. ferner Burton, Baiting, S. 44. Vgl. ferner zur weiteren Verwendung der Figur des Achan in der politischen Rede Blair Worden, and the Sinn of Achan, in: Derek Beales/Geoffrey Best (Hrsg.), History, Society and the Churches. Essays in Honour of Owen Chadwick, Cambridge 1985, S. 125–145. Zur Charakterisierung des Herzogs von Buckingham als Achan s. u. Kap. VI. 6.

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wie den inhaftierten Erzbischof von Canterbury, William Laud, verwendet wur- de.251 Auch Fairclough dürfte durchaus Laud und seine Anhänger im Sinn gehabt haben, als er seine Anklage gegen einen Teil des Klerus formulierte. Dies heißt je- doch auch, daß Achan eher als Platzhalter für die Lord Bishops diente als für Went- worth. Kam Wentworth dann aber überhaupt in der Predigt zur Sprache? Faircloughs Fazit, daß erst die Vernichtung all dieser Unruhestifter die Um- kehr und die damit einhergehende Wiederkehr von Gottes Gnade ermögliche,252 hatte nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, die Hinrichtung Thomas Went- worths zum Ziel. Vielmehr dürfte der Kreis der Nachfolger Achans und damit der zu Bestrafenden in Faircloughs Augen wesentlich weiter zu ziehen sein, auch wenn er sich alle präzisen Aussagen hierzu versagt. Ein weiteres Beispiel aus dem Buch Esther läßt bei Fairclough jedenfalls eine andere Zielsetzung vermuten, die noch weit radikaler war, als Trevor-Ropers Deutung nahelegt. Der Schlüssel zum Verständnis der Predigt ist nicht das Beispiel Achan allein, sondern ein weiteres von Fairclough zur Sprache gebrachtes biblisches Beispiel: die Geschichte von Mordechai und Haman am Hof des persischen Königs Ahasver. Haman wurde vom König zum höchsten Würdenträger am persischen Hof ernannt und war ein biblisches Paradebeispiel für den Typus des Favoriten. Um den Konkurrenten Mordechai aus dem Weg zu räumen, animierte er den König dazu, den Befehl zur Ausrottung der Juden zu erteilen. Der jüdischen Gemahlin des Königs, Esther, gelang es allerdings, Ahasver umzustimmen. Statt Mordechai und der Juden wur- den Haman und seine ihm Gleichgesinnten hingerichtet bzw. massakriert; soweit die biblische Erzählung. Faircloughs auf die Situation in England bezogene Auslegung enthält ebenso unausgesprochene wie ausgesprochene Elemente. Nicht eigens erwähnt wird, wer sich hinter der Figur des Haman verbirgt. Es dürfte für die Zuhörer indes nahege- legen haben, Haman mit niemand anderem als mit Thomas Wentworth gleichzu- setzen. Haman war in der Sprache des Biblizismus ein ebenso klassisches Beispiel für den Typus des Favoriten wie die Gestalt des römischen Prätorianerpräfekten Sejan in der Sprache des civic humanism.253 Wentworth wiederum galt den Abge- ordneten spätestens seit den beiden Bishops Wars gegen Schottland als Favorit Karls I. sowie als politischer Widersacher, den es zu bekämpfen galt.254 Die bloße

251 Mercuries Message Defended, Against the Vain, Simple and Absurd Cavils of Thomas Herbert a Ridiculous Ballad-Maker, London 1641, S. 2; in ähnlicher Weise auch verwendet bei , Babylons Downfall, London 1641, S. 19. Als Synonym von allgemeiner Sündhaftigkeit dient Achan bei Edmund Calamy, Englands Looking-Glasse, London 1641, Fol. A3r. 252 Fairclough, Troublers, S. 50. 253 Am besten zur Sprache gebracht in der Tragödie Ben Johnsons aus dem Jahr 1603 mit dem Titel Sejanus his fall; Ben Jonson, Sejanus His Fall, The New Mermaids, hrsg. v. Whitney F. Bolton, London 1966; vgl. Uwe Baumann, Die Tragödien Ben Jonsons als humanistische Auseinandersetzung mit Niccolò Machiavelli, in: Staatstheoretische Diskurse im Spiegel der Nationalliteraturen von 1500 bis 1800 (Wolfenbüttler Forschungen, Bd. 79), Wiesbaden 1998, S. 295–318. 254 Asch, Wentworth.

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Erwähnung der Figur Haman dürfte daher bei den Zuhörern eindeutige Assozia- tionen ausgelöst haben. Eine Identifikation mit Wentworth lag hier weitaus näher als bei Achan.255 Sollte Haman in der Predigt als Platzhalter für Wentworth dienen, bot sich hier für Fairclough die Möglichkeit, sein Plädoyer für dessen Hinrichtung zu halten, laut Trevor-Roper ja der eigentliche Anlaß, weshalb Fairclough sich an die Abge- ordneten richtete. Dieses Plädoyer bleibt indes aus. Statt dessen richtet er an seine Zuhörer die rhetorische Frage, ob Mordechai es dabei bewenden ließ, daß Haman gehängt worden sei, und fährt sogleich fort, zu erwähnen, daß das daraufhin voll- zogene Strafgericht auch die persönliche Umgebung Hamans sowie alle „Churches enemies“ umfaßte.256 Die Hinrichtung Wentworths galt Fairclough offenbar be- reits als Selbstverständlichkeit. Die Botschaft der Predigt war kein Plädoyer für Wentworths Hinrichtung, sondern eine Mahnung an die Abgeordneten, nicht zu glauben, daß mit dem Tode des königlichen Favoriten der Gerechtigkeit bereits Genüge getan worden sei. Weitere Bestrafungen müßten folgen. Sucht man die Rede Faircloughs im biblizistischen Sinne zusammenzufassen, so müßten nach Haman auch alle Achans in England zur Rechenschaft gezogen werden. Der Gat- tung entsprechend macht Fairclough keine weiteren Angaben, wen konkret eine Bestrafung hätte ereilen müssen. Sollte er tatsächlich in biblischen Dimensionen gedacht haben, hätte das Blutbad gewaltig ausfallen müssen: das neunte Kapitel des Buches Esther spricht von 75 000 Toten. Trevor-Roper mag Recht gehabt haben mit seiner Annahme, Faircloughs Pre- digt habe sich ganz konkret auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der causa Wentworth bezogen, auch wenn er mit seiner Textinterpretation in die Irre ging. Zugleich trifft allerdings auch der Befund Wilsons zu, der Faircloughs Kanzel- rede als typische Äußerung im Rahmen der Parlamentspredigten versteht. In der Tat bedurfte es keinerlei neuer Rhetorik oder Argumentation, um das Geschehen rund um den Wentworthprozeß zu kommentieren. Das bereits in Burges’ Predigt erkennbare Grundmuster der Fastenpredigten bot alle notwendigen Versatzstücke, um jederzeit gegen die proklamierten Glaubensfeinde in Stellung gebracht wer- den zu können. Auch in Stephen Marshalls Predigt vom 17. November 1640 fin- det sich nicht nur ein Verweis auf die Figuren des „wicked Haman“ sowie des Achan, sondern auch die Applikation dieser Figur auf diejenigen in England, die nicht nur den König von seinem Volk, sondern auch England von Gott entfrem- det hätten.257 Nur sechs Tage nach der Verhaftung von Wentworth und Laud dürfte eine Assoziation mit ihnen nahegelegen haben. Marshalls Worte klingen ihrerseits wie ein Widerhall der Worte Pyms aus seiner Rede vom 7. November

255 Selbstverständlich war auch Haman nicht eindeutig und für alle Zeiten mit Thomas Went- worth konnotiert. Schließlich findet sich Haman als Beispiel für gottlose Männer mit Einfluß auch nach der Hinrichtung Wentworths in den Predigten, so z. B. bei Calamy, Gods Free Mercy, S. 5 (der damit wohl Laud und seine Anhänger meinte); Ashe, The Best Refuge, S. 30 (der damit die Lord Bishops charakterisierte). 256 Fairclough, Troublers, S. 27; Est 9, 16. 257 Marshall, A Sermon, S. 17 f.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 8888 118.11.20108.11.2010 11:00:4011:00:40 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 89

vor dem Parlament, als dieser der „papists party“ vorwarf, die Uneinigkeit zwi- schen König und Untertanen zu befördern und die Religion in England zu unter- wandern. Und sie finden erneut Verwendung in Pyms Anklage gegen Wentworth am 25. November, als er ihn mit denselben Vorwürfen bedachte wie zuvor die „papists party“. Fairclough brauchte diese Interpretation nur aufzugreifen und zu wiederholen; eine weitergehende Anpassung des Skripts an die politischen Gege- benheiten war nicht vonnöten. Ein wesentliches Element, das in den meisten Fastenpredigten nicht fehlen durfte und sich ebenfalls bereits in Burges’ Vorlage findet, ist die Betonung der Unbedingtheit und Radikalität im Kampf gegen alle Feinde Gottes. Auch die zweite Predigt in Sachen Wentworth, die Thomas Wilson in St. Margeret am 4. April vortrug, betonte vor den Parlamentariern die Notwendigkeit zu unbe- dingtem Eifer im Kampf für Gottes Sache.258 Wilson empfiehlt den Parlamenta- riern König David als Vorbild, da er das Versprechen abgelegt habe, alle Gott- losen seines Landes zu vernichten (Ps 101,8). Dabei seien auch Könige nicht von der Bestrafung ausgenommen, sollten sie Gottes Gesetz übertreten (Esr 6,12).259 Auch die Heilsgeschichte sowie das nahende Endgericht ließen es als notwendig erscheinen, allen Ungehorsam gegen Gott ohne Ansehen der Person und ohne Rücksichtnahme zu bestrafen. Nur die Reinen fänden Aufnahme im neuen Jeru- salem (Offb 21,27), was eine vollständige Umkehr geradezu erzwingt und jedwe- de Kompromisse in dieser Frage ausschließt.260 Jegliche Unentschiedenheit und Wankelmütigkeit zöge dagegen das Schicksal Laodizeas nach sich, das heißt die Verdammnis durch Gott (Offb 2,14–22).261 Wilson leitet daraus folgenden Appell an das Parlament ab: „Surely Reformation will be, for the present should be, put it not off for after times to doe it, doe your utmost that no Canaanite may be left, no leaven uncast out or cursed, no superstitions be left to posterity, but the word of God as an heritage for ever.“262 Ähnlich wie in Faircloughs Predigt bleibt es der Phantasie der Zuhörer überlas- sen, selbst zu ermitteln, wer aktuell in England den Kanaanitern zuzurechnen sei. Der Stimmungslage der Zeit entsprechend darf man aber vermuten, daß die vom Parlament inhaftierten Wentworth und Laud und ihre jeweiligen Anhänger sicher lich dazuzurechnen sind. Daß Wilson mit seinen Worten ausschließlich zur Frage der Hinrichtung Wentworths Stellung nahm, wirkt jedoch wenig wahr- scheinlich. Die hier zusammengetragenen Leitmotive betreffen insbesondere diejenigen Predigten vor dem Long Parliament, die anhand von Beispielen aus dem Alten

258 Wilson, Davids Zeale. Motto der Predigt war Ps 69, 10: „Denn der Eifer für Dein Haus hat mich gefressen“. 259 Ebd., S. 29 f. 260 Ebd., S. 6. 261 Ebd., S. 16. Wilson sieht diese in die Zukunft gerichtete Prophezeiung offenbar als bereits in der Vergangenheit erfüllt an, betont er doch, daß die Stadt durch ein Erdbeben vollständig zerstört worden sei. 262 Ebd., S. 44.

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Testament die Notwendigkeit unbedingter Treue zu Gottes Gesetz hervorhoben und daraus die Forderung nach einer Abschaffung zahlreicher Traditionsbestand- teile in der englischen Kirche ableiteten, die sie als götzendienerische Mißstände deklarierten. Weit mehr als die Hälfte der Predigten bis ins Jahr 1643 sind eindeu- tig diesem Typus zuzurechnen. Eine starke Minderheit von Predigten speiste sich jedoch aus einer anderen biblischen Texttradition: den apokalyptischen Schriften, vor allem der Offenbarung des Johannes.263 Hatte dies auch abweichende Aussa- gen zum politischen Ordnungsverständnis zur Folge, wurden die Abgeordneten in diesen Predigten mit anderen Forderungen konfrontiert? Für den untersuchten Zeitraum bis ins Jahr 1643 fallen die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Predigtgruppen stärker ins Gewicht. Ein verbindendes Ele- ment ist beispielsweise die Chiffre „Babylon“ als Synonym für die Kopplung von Unglauben und übersteigertem Machtanspruch, und das hieß in Augen der Predi- ger stets das Papsttum in Rom. Diese Gleichsetzung galt sowohl für das Babylon des Alten Testaments, das die Existenz des Königreichs Juda beendete und das jüdische Volk in Gefangenschaft zwang, als auch für die Hure Babylon als Wider- sacher Christi, von der insbesondere in der Johannesoffenbarung die Rede ist. Bereits Burges hat in seiner Predigt das alte und das neue Babylon typologisch aufeinander bezogen, andere Prediger taten es ihm nach.264 Diese Gleichsetzung führte auch zu identischen Verhaltensvorschriften. Jedwe- der Umgang mit „Babylon“ hatte zu unterbleiben, wollte man sich nicht an deren Unglauben und Götzendienst beflecken und auf diese Weise selbst seelischen Schaden nehmen. Und da von Babylon meist dann die Rede war, wenn die Ge- fährdung Englands zur Sprache gebracht wurde und der Vorwurf an die Kirche lautete, sich Babylon bereits zu sehr angenähert zu haben, d. h. papistische Tradi- tionsbestände in der eigenen Kirche zu dulden, mündete diese Diagnose in beiden Fällen in eine Ermahnung zur Umkehr, d. h. in der Forderung, jegliche Bestand- teile der römischen Kirche entschieden auszumerzen. Sofern hierbei die Offenba- rung der fundierende Text war, fehlte nur selten ein Verweis auf die Aufforderung der Stimme des Himmels, die Stadt zu verlassen, um nicht mitschuldig zu werden an ihren Sünden (Offb 18,4).265 Die Notwendigkeit zur Umkehr wurde oftmals abgeleitet aus einer weiteren Paradestelle, dem Vergleich Englands mit Laodizea, einer der sieben Gemeinden Asiens, an die Johannes zu Beginn seiner Offenbarung seine Sendschreiben ab- schickt. Der lauwarme, unentschiedene Zustand Laodizeas sorgt dafür, daß ihr die Gnade Gottes nicht zuteil wird, eine Charakterisierung, die seit Thomas Brightmans Traktat Revelation of the Revelation wiederholt auf die englische

263 Christopher Hill hat dies auch mit Zahlen zum Ausdruck gebracht. Von 240 Fastenpredigten, die im Zeitraum von 1640 bis 1653 in Druck gingen, kreisten 181 um Stellen des Alten und nur 59 um Stellen des Neuen Testaments. Hiervon stammten wiederum allein 12 aus der Of- fenbarung des Johannes. Im Zeitraum bis 1645 standen 123 Predigtstellen aus dem Alten nur 26 aus dem Neuen gegenüber, ein Verhältnis von beinahe 5:1; Hill, Bible, S. 83. 264 Burges, Two Sermons, S. 36 f. 265 Caryl, The Workes of Ephesus, S. 39.

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Kirche übertragen wurde, da sie ebenfalls unentschieden zwischen den wahrhaft protestantischen Kirchen und der katholischen Kirche hin- und her laviere, statt sich nicht nur in der Lehre, sondern auch in ihrer äußeren Gestalt und in ihrer Organisation klar am Vorbild der reformierten Kirchen Europas zu orientie- ren.266 Es sei hier nur am Rande angemerkt, daß Edmund Calamy in seiner Pre- digt Gods free mercy to England für Laodizea wiederum eine alttestamentliche Entsprechung bereithält, als er die Kirche Englands mit denjenigen Juden ver- gleicht, die Babylon nach ihrem Exil nicht mehr in Richtung Jerusalem verlassen wollten.267 Die Botschaft aus all diesen Belegstellen aus der Offenbarung war stets, die Notwendigkeit zur entschiedenen Reform der Kirche in England zu verdeutli- chen, was dem prinzipiellen Fazit auch der Predigten entsprach, die in ihren Aus- sagen auf alttestamentliche Bibelstellen zurückgriffen. Auch die Konsequenz, die England drohte, sollte die angemahnte Reform ausbleiben, war so unterschiedlich nicht. In der Tradition des Alten Testaments konnten die Prediger England schwe- re Gottesstrafen prophezeien, die bis zur völligen Zerstörung des Gemeinwesens reichen konnten. In eschatologischer Perspektive blieb den Engländern, sollten sie keine Anstrengungen zur Umkehr unternehmen, der Eintritt ins Himmlische Jerusalem versperrt. Interessanterweise wird der Zusammenhang von Gottesge- horsam und Heil, Ungehorsam und Strafgericht in den hier untersuchten Predig- ten beinahe immer nur in einer kollektiven Dimension angesprochen.268 Das be- schworene Strafgericht Gottes über die identifizierten Mißstände in der engli- schen Kirche bedrohte nicht nur diejenigen, die sie hervorgebracht hatten, d. h. nach der gängigen Lesart die Bischöfe sowie die sie stützende weltliche Obrig- keit, sondern stets alle Engländer gleichermaßen. Das individuelle Seelenheil be- durfte als Voraussetzung der kollektiven Umkehr.269 Daß in den Predigten vor dem Parlament über Stellen aus der Offenbarung weitgehend dieselbe politische Zielrichtung verfochten wurde wie in den übrigen Predigten, wird hier auch deswegen stark betont, da den apokalyptisch gehalte-

266 Thomas Brightman, Revelation of the Revelation that is, the Revelation of St. John, 2. Aufl. Amsterdam 1615, S. 137 und 165; vgl. hierzu Asch, The Revelation, S. 324–326. Als Motiv in den Predigten findet sich Laodizea als Chiffre für den heilsgeschichtlichen Zustand Englands u. a. bei Calamy, Gods Free Mercy, S. 48; Wilson, Davids Zeale, S. 16 f.; Burton, Sounding, S. 28; , Zerubbabels Encouragement to Finish the Temple. A Sermon Preached before the Honourable House of Commons, London 1642, S. 16; Caryl, Workes of Ephesus, S. 47. Besonders prägnant drückt sich Nathanael Holmes aus; Holmes, The New World, S. 20: „the mixture are smokey distinctions, popish evasions, carnall pretences, phari- saicall conclusions, human rules and traditions, fleshly formes of warship, seeming pretences of flattering devotions, by all which to blinde the eyes and puddle the streames of the Scrip- tures.“ 267 Calamy, Gods Free Mercy, S. 47. 268 Etwas abweichend hierzu allerdings William Sedgwick, Zions Deliverance and her Friends Duty, or The Grounds of Expecting, and Meanes of Procuring Jerusalems Restauration, Lon- don 1642, S. 31. 269 Caryl, The Workes of Ephesus, S. 39 f.

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nen Reden vor dem Parlament bisweilen größere Radikalität unterstellt wurde.270 Diese einseitige Betonung nur einer Traditionslinie führt insbesondere bei Paul Christianson zu der Schlußfolgerung, es seien vor allem die an der Apokalypse orientierten Predigten, die mit besonders radikalen Forderungen an das Parla- ment herantraten und damit zum Ausbruch des Bürgerkrieges beitrugen. Gerade die Predigten seiner beiden Kronzeugen Thomas Goodwin und Joseph Caryl, beide gehalten am 27. April 1642, sind jedoch typische Beispiele für Positionen, die auf der Kanzel in St. Margaret vertreten wurden, und fallen aus dem von Bur- ges vorgegebenen Deutungsschema nicht heraus.271 Wenn Goodwin die in Eng- land durchgeführte Reformation für unvollkommen hält, ferner die zahlreichen Neuerungen in der Kirche beklagt und die Vollendung der Reformation anmahnt, dürfte er die Parlamentarier mit dieser Predigt schwerlich überrascht haben. Der Ruf zu den Waffen, den Christianson in dieser Predigt deutlich vernommen ha- ben will, war nicht lauter vernehmbar als in den bisher gehaltenen Predigten am selben Ort auch.272 Dies gilt auch für Caryls Predigt über The Workes of Ephesus explained, die entgegen der Interpretation Christiansons keine explizit ausgespro- chene Aufforderung zum Bürgerkrieg enthält, wohl aber die Forderung nach einer Bestrafung aller „mixing innovators“ und „false teachers“ innerhalb der Kirche durch das Parlament.273 Allerdings ergaben sich aus der eschatologischen Perspektive naturgemäß auch spezifische Argumente zur Bewertung der politischen Lage in England. Eine un- mittelbare Verschränkung des politischen Geschehens in England mit der Heils- geschichte erreichten mehrere Redner dadurch, daß sie die Ereignisse in England als Erfüllung der in der Offenbarung enthaltenen Prophezeiungen deuteten. Das politische Geschehen sei bereits Teil der Auseinandersetzung mit dem apokalyp- tischen Untier, wobei der entscheidende Schlag, die Zerstörung Babylons, aller- dings noch ausstehe.274 Wenn Henry Burton sich aufgrund seines jüngst erlitte- nen Schicksals als einer der beiden Zeugen der Offenbarung stilisiert, macht er mit dieser Analogie zugleich eine Aussage über das England unmittelbar bevor- stehende Weltende. Nach der Auferstehung der beiden Zeugen folgt in der Of- fenbarung unmittelbar die siebte Posaune, die die direkte Herrschaft Christi an- kündigt und das Strafgericht gegen „Babylon“ einleitet.275 William Sedgwick ist

270 Vgl. etwa Paul Christianson, From Expectation to Militance. Reformers and Babylon in the First Two Years of the Long Parliament, in: JEH 24 (1973), S. 225–244, hier S. 227. Ferner B. Capp, The Political Dimension of Apocalyptic Thought, in: Constantinos A. Patrides/ Joseph A. Wittreich (Hrsg.), The Apocalypse in English Renaissance Thought and Literature. Patterns, Antecedents and Repercussions, Ithaka (New York) 1984, S. 93–124, hier S. 109. 271 Dies mag auch der Grund dafür sein, daß Hugh Trevor-Roper beide Predigten in seinem Aufsatz über die Fastenpredigten gar nicht erst erwähnt. 272 Christianson, From Expectation to Militance, S. 239 f. 273 Caryl, The Workes of Ephesus, S. 54–56. Auch stammt bei Caryl zwar die Bibelstelle der Predigt aus der Offenbarung (Offb 2, 2–3), die Forderungen an das Parlament werden jedoch größtenteils aus Exempla der historischen Schriften des Alten Testaments abgeleitet. 274 So z. B. Burroughs, A Glimpse, S. 2 f. 275 Burton, The Sounding, S. 62–70.

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sich in seiner Predigt Zions Deliverance ebenfalls sicher, daß der Endkampf mit dem Antichristen unmittelbar bevorstehe und die Königsherrschaft Christi auf Erden nicht mehr lange auf sich warten lasse, auch wenn es über den genauen Zeitpunkt keine Gewißheit geben könne.276 Was bis zum Anbruch des Milleni- ums und der Herrschaft der Heiligen noch eintreten müsse, sei zum einen die Konversion der Juden, zum anderen die Vertreibung des Antichristen aus dem Tempel.277 Die zwei Gewißheiten, die in Predigten aus der Johannesoffenbarung abgeleitet wurden, waren zum einen der Untergang Babylons und zum anderen, daraus re- sultierend, die Ankunft des himmlischen Jerusalems. Babylon wurde zumindest auf der Kanzel von St. Margaret stets mit Rom als Sitz des Papstes gleichgesetzt. Damit England aber dem Untergang Babylons mit freudiger Erwartung entge- gensehen konnte, hatte es in Augen zahlreicher Prediger noch einige Korrekturen vorzunehmen. Unstrittig war dabei, daß der bald erwartete Beginn des Welten- endes die Dringlichkeit zur Umkehr nur unterstrich. England hatte dafür Sorge zu tragen, daß es bei der Vernichtung Babylons nicht selbst in Mitleidenschaft gezogen würde. Weniger eindeutig waren hingegen die Hinweise von der Kanzel, ob, und falls ja auf welche Weise, England aktiv auf den Untergang Babylons hinwirken solle. Aktivistische Vorschläge unterbreitete William Bridge in seiner Predigt, die sich ganz Babylons Downfall widmete. Bridges zufolge solle jeder Engländer aktiv auf die Zerstörung Babylons hinwirken. An die weltliche Obrigkeit richtete er insbe- sondere den Auftrag, den Vertretern von Babylon ihre Grausamkeit mit gleicher Münze heimzuzahlen. Was dabei vergolten werden sollte, macht er mit einem

276 Sedgwick, Zions Deliverance, S. 23. 277 Ebd., S. 22. Der Hinweis auf die bislang ausgebliebene Judenkonversion findet sich auch bei Nathanael Holmes, The New World, S. 12; und als schottischer Vertreter George Gillespie, A Sermon Preached before the Honourable House of Commons at their Late Solemn Feast, in: The Works of George Gillespie. With Memoir of his Life and Writings by W.M. Hetherington, 2 Bde., Edinburgh 1843, Bd. 1, S. 23 f. Um das letzte Hindernis vor dem Anbruch des Milleniums, die Judenkonversion, auf den Weg zu bringen, trafen sich Johann Amos Comenius, und Samuel Hartlib auf Einladung des Parlaments im Winter 1641/42 in London und planten im einzelnen eine Akademie zur Erforschung des jüdischen Schrifttums, den Wiederaufbau des Tempels Salomons sowie die Publikation des Mishna; vgl. Mark Greengrass u. a. (Hrsg.), Samuel Hartlib and Universal Reformation, Cambridge 1994; Hugh R. Trevor-Roper, Religion, the Reformation and Social Change, London 1967, S. 237–293. Die nach Nordamerika ausgewanderten Kongregationalisten deuteten in den 1640er und 1650er Jahren die Indianer als einen der verlorenen Stämme Israels und machten sich daher auch bei der Indianermission eifrig ans Werk; vgl. hierzu den exzellenten Beitrag von Hans-Dieter Metzger, Heiden, Juden oder Teufel? Milleniarismus und Indianermis- sion in Massachusetts 1630–1700, in: GG 27 (2001), S. 118–148. Der Libertin Isaac de La Peyrère ist mit seinem Traktat Rappel des Juifs aus dem Jahr 1643 ein Beispiel dafür, daß die eschatologische Vision einer Bekehrung der Juden als Voraussetzung für das Anbrechen des Milleniums weder auf England beschränkt war noch prinzipiell antimonarchische Züge trug. Bei La Peyrère regiert der französische König als Universalherrscher von Jerusalem aus die Welt, nachdem die Juden sich zum Christentum bekannt haben. Ich danke für diesen Hinweis Andreas Pietsch (Münster).

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Sprachspiel deutlich: „An Eye for an eye, a tooth for a tooth, burning for burn- ing, eare for eare, liberty for liberty, and blood for blood.“278 Daß in Bridges Aufzählung Ohren miteinander verrechnet wurden statt Hände oder Füße wie im biblischen Text (Ex 21, 24–25) läßt sich als klarer Hinweis auf die öffentliche Be- strafung von Burton, Bastwick und Prynne verstehen, die im Jahr 1637 als Strafe für Hochverrat auf dem Richtplatz ihre Ohren einbüßten. Dieser Bezug doku- mentiert allerdings, daß Bridge die Vertreter von Babylon nicht im fernen Rom ausfindig macht, sondern in Canterbury und in London. Bridge fordert in seiner Predigt offenkundig die gewaltsame Bestrafung des Kirchenestablishments Karls I., dessen Bestrafung und dessen Abschaffung zur heilsgeschichtlich not- wendigen Umkehr unerläßlich seien.279 Die Frage, wer zu den Werkzeugen Gottes im Endkampf mit dem Antichristen zu zählen sei, war von besonderer politischer Aussagekraft: War es der König al- lein, der König und das Volk zusammen oder aber nur das Volk? In Kapitel 17, 12–17 der Offenbarung ist von zehn Hörnern des Untieres die Rede, die zehn Könige symbolisieren, welche zwar zunächst mit der Hure Babylon Unzucht ge- trieben hätten, sich dann aber von ihr lossagten und sie vernichteten. Diese Stelle inspirierte gleich mehrere Prediger zu einer auf die Ereignisse in England bezoge- nen Auslegung. Henry Burton sah den heilsgeschichtlichen Auftrag, der Hure Babylon den letzten Todesstoß zu versetzen, in der Offenbarung gewissermaßen an den King- in-Parliament adressiert und betonte, daß nicht der König allein diese Rolle für sich in Anspruch nehmen könne: „because the Kings alone shall not make Baby- lon desolate, but their Kingdomes, to wit, their people taken together […].“280 Nathanael Holmes sieht ebenfalls das Parlament beauftragt, den Kampf gegen Ba- bylon aufzunehmen, der König sei nur Haupt des Parlaments, nicht aber eine Größe sui generis.281 Und der anonyme Autor von A Glimpse of Sion’s Glory scheint den König für diesen Kampf gar nicht mehr zu benötigen. Da Christus sich stets dem einfachen Volk offenbart habe, das im Parlament vertreten sei, sei es auch die Aufgabe des einfachen Volkes, die Herrschaft Christi auf Erden vor- anzutreiben, d. h. den Kampf mit dem Antichristen aufzunehmen.282 Die Auslegung der Textstelle in der Offenbarung, in der von den zehn Hör- nern des Untieres alias den zehn Königen die Rede ist, zeigt geradezu paradigma- tisch die schleichende Abwendung der Redner vom König als höchster Autorität

278 William Bridge, Babylons Downfall, London 1641, S. 10. 279 Ebd., S. 23. 280 Burton, The Sounding, S. 92. 281 Holmes, The New World, S. 38: „I can see you are the promised people, you the Parliament and Parliaments of his Maiesties three kingdomes to be leaders and examples to the Christian world to pull downe that of Antichrist that is yet standing“. 282 Burroughs, A Glimpse, S. 4–8: „First, that though the Kingdome of Christ may be darkned for a while, yet certainly Christ will reigne in his Church gloriously, at which the Saints will sing Halleluljah. Secondly, that the beginning of this glorious Reigne of Christ, the Multitude of the People shall bee the furtherers of it, and take speciall notice of it.“ (S. 8)

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und die Übertragung dieser Autorität auf das Parlament. Die Prediger brachten dieses Thema nicht offen und direkt zur Sprache. Auch unmittelbare Attacken auf den König finden sich in den Predigten nicht. Die Vorwürfe zielen vielmehr auf die geistliche Obrigkeit, treffen Karl I. daher nur indirekt, da er die Auswahl der Bischöfe zu verantworten hat und deren Kirchenpolitik nicht verhinderte. Aber auch diese Kritik wird nicht direkt erhoben, sondern anhand von biblischen Beispielen vorgeführt. Das Ausbleiben unmittelbarer Angriffe auf Karl I. heißt aber nicht, daß seine königliche Herrschaftsstellung unangetastet blieb. Die Erosion seiner Autorität läßt sich gerade anhand der Parlamentspredigten ablesen. Neben der Marginali- sierung der Rolle des Königs bei der Anbahnung des Milleniums zeigt sich auch in der Auslegung klassischer Bibelstellen zur Königsherrschaft in einigen Predig- ten der Trend, das Parlament an die Stelle des Königs zu setzen. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist die Predigt von William Sedgwick vom 29. Juni 1642, gehalten zu einem Zeitpunkt, als das Parlament den Führungsanspruch des Königs offen in Frage gestellt hatte, zum einen mit der Entscheidung, eine eigene Miliz aufzubauen, zum anderen mit den sogenannten Nineteen Propositions, ei- nem Forderungskatalog, der die königlichen Prärogativrechte vollständig kassier- te und dessen Exekutivgewalt ohne Ausnahme der Kontrolle des Parlaments unterwarf.283 Sedgwick konfrontierte die Abgeordneten mit gleich mehreren Beispielen aus dem Alten Testament, um sie zum einen aufzufordern, es den vor- bildlichen Königen nachzutun, und zum andern vor den Verfehlungen der sünd- haften Könige zu warnen. König Saul dient ihm beispielsweise als abschreckendes Beispiel für Ungehorsam gegen Gott, da dieser Gottes Aufforderung zur Ver- nichtung aller Amalekiter nur unvollkommen nachkam und deren Anführer Agag verschonte. Davids Gelübde im Psalm 101, alle Gottlosen in seinem Reich auszu- rotten, wird dem Parlament hingegen zur Nachahmung empfohlen. In beiden Fällen sieht Sedgwick das Parlament in den Fußstapfen der alttestamentlichen Könige, nicht aber König Karl I. Dies mag vielleicht zu einem Teil auch der Rede- situation geschuldet sein, war die Predigt doch direkt an die Abgeordneten ge- richtet. Gleichwohl ist unverkennbar, daß Stellen zur Charakterisierung der Kö- nigsherrschaft an das Parlament adressiert wurden, um gute und schlechte Exem- pla für die anstehenden politischen Entscheidungen bereitzustellen. Daß Sedgwick sich an die Abgeordneten mit den Worten richtet, „Governours are stiled Gods in Scripture“, ist ein weiterer Beleg für diese Umdeutung – bezog man beispiels- weise den Psalm 82 mit seiner Aussage, „Ihr seid Götter und allzumal Söhne des Höchsten“ bislang regelmäßig auf die Königsherrschaft.284 Und wenn Stephen Marshall an das Parlament appelliert, die Rolle des „nursing fathers“ zu überneh-

283 Kenyon, Stuart Constitution, S. 222–226. Zu den Ereignissen Russell, Fall, Kap. 13. 284 Sedgwick, Zions Deliverance, S. 52. Vgl. zur gängigen Interpretation von Psalm 82 nur die erste der Fastenpredigten von Cornelius Burges (s. o. S. 77–80). Zur Charakterisierung der Königsherrschaft s. u. Kap. V 4.

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men, wird damit ebenfalls ein klassisches Element biblizistischer Königslegitima- tion an das Parlament transferiert.285 Wie weit sich die Geistlichen in ihren Predigten an das Parlament und wohl auch die Parlamentarier selbst im Sommer 1642 bereits von klassischen Grundpo- sitionen monarchischer Herrschaftslegitimation entfernt hatten, zeigt die Predigt von Thomas Cheshire, der am selben Tag wie Sedgwick sprach, allerdings vor dem Oberhaus. Liefert Sedgwicks Zions Deliverance das Beispiel einer Predigt, die den Parlamentariern den Kampf gegen den König als unausweichlich und not- wendig schildert, so sucht Cheshire die Mitglieder des Oberhauses zur Treue zu Karl I. anzuhalten. Cheshires Predigt ist in ihrer Art singulär, da sie sich dem von Cornelius Burges vorgezeichneten Skript sowie dem alarmistischen Aufruf zur kollektiven Umkehr verweigerte und er vermutlich aus diesem Grund vom Kom- mitee des Parlaments auch keine Druckfreigabe erhielt.286 Cheshires Predigt eig- net sich gut als Testfall dafür, was die Mitglieder des Parlaments nicht hören, vor allem aber nicht gedruckt sehen wollten.287 Cheshire nutzte zur Beschreibung des Sündenfalls Adams und Evas konsequent das Vokabular der Königsherrschaft. Gott wird umschrieben als „König der Könige“, das Naschen an den Früchten des Baums der Erkenntnis gilt als Angriff auf die Prärogativrechte Gottes, der wiederum dieses Verhalten als Hochverrat abstraft. Die Austreibung aus dem Pa- radies als Gottesstrafe für den begangenen Hochverrat stünde England nun wie- derum bevor, so Cheshire, wobei er das Regiment Karls I. mit dem himmlischen Paradies metaphorisch gleichsetzt288 und den Sündenfall in der Infragestellung der Autorität des Königs erblickt.289 Diese Deutung der aktuellen Geschehnisse entsprach zwar voll und ganz der royalistischen Sicht der Dinge, wie sich anhand zahlreicher Traktate zeigen läßt, die ab 1643 in Oxford zur publizistischen Unter- stützung des Königs gedruckt wurden.290 In den Fastenpredigten an das Parla- ment sucht man aber vergebens ein zweites Beispiel für eine Ermahnung der Ab- geordneten zum Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit. Wenn England im Sommer 1642 auch noch eine Monarchie sein mochte, vor dem Parlament war die Sprache der Königsherrschaft bereits weitgehend verstummt. Nun darf man aus dieser Feststellung nicht den Umkehrschluß ziehen, daß die Parlamentarier in den Predigten direkt dazu aufgerufen worden seien, ihren Ge-

285 Marshall, Reformation, S. 7. 286 Christianson, Reformers, S. 183 Anm. 12. 287 Thomas Cheshire, A Sermon Preached at Saint Peters Westminster on Saint Peter’s Day, being the Monethly Fast, before the Lords and Judges […], London 1642. Das Exemplar der British Library enthält auf der Titelseite unter der Zeile „printed by the author“ den hand- schriftlichen Vermerk, „because none other would“. 288 Ebd., S. 22: „the voice of God walking in this our Garden of England a long time, the voice of peace, and the voice of the Gospell of Christ.“ Ferner hob Cheshire die lange Friedensperiode in England zur Zeit des in Europa tobenden Dreißigjährigen Krieges hervor. 289 Ebd., S. 24 f. 290 Zu Oxford als Sitz der royalistischen Presse vgl. Joad Raymond, Pamphlets and Pamphletee- ring in Early Modern Britain, Cambridge 2003, S. 152.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 9696 118.11.20108.11.2010 11:00:4211:00:42 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 97

horsam gegenüber Karl I. aufzukündigen. Dies war nicht der Fall. Auch fand in den Predigten keine formale Abwägung von der Reichweite und den Grenzen der Königsherrschaft statt, geschweige denn eine Diskussion des Widerstandsrechts. Der Versuch, die Predigten daraufhin abzuklopfen, inwiefern sie ihre Aussagen aus dem Textfundus der Protagonisten des Widerstandsrechts gewonnen haben, fördert ebenfalls keine größeren Erkenntnisse zutage.291 Dies mag auch der Grund sein, weshalb die Fastenpredigten zwar einige Aufmerksamkeit gefunden haben, seltener allerdings in Untersuchungen, die sich dem politischen Gesche- hen der Zeit widmeten.292 Die Aushöhlung der monarchischen Autorität funktionierte nach anderen Me- chanismen als denen des juridischen Diskurses. Die Predigten erörterten nicht die Frage, wem die Kompetenz zugesprochen werden dürfe, sich unter welchen Be- dingungen gegen Befehle des Königs zu stellen. Statt dessen war der Fokus darauf gerichtet, was zu tun sei, um den Gott schuldigen Gehorsam wieder herzustellen. Nun wirkt es auf den ersten Blick wie ein Allgemeinplatz, wenn vom Gehorsam zu Gott die Rede ist. Gottesgehorsam war schließlich erklärtermaßen für alle Protagonisten die höchste aller Tugenden. Ein Plädoyer zum Ungehorsam gegen- über Gott und seinen Gesetzen war schlechterdings unvorstellbar. Auch die Re- präsentanten des Feindbilds der Abgeordneten, d. h. vor allem William Laud und die Führungsschicht des Klerus der englischen Kirche, nahmen für sich und ihr Handeln den Gottesgehorsam in Anspruch. Gleichwohl war die Forderung nach der Wiederherstellung des Gottesgehorsams die rhetorische Waffe, die den König seiner Legitimität zunehmend entkleiden sollte, jenseits aller Debatten um das Widerstandsrecht. Die binäre Unterscheidung von Gehorsam und Ungehorsam gegen Gott war für Karl I. und seine Autorität deswegen gefährlich, da seine Person, seine Familie und sein politisches und kirchliches Umfeld in den Predigten vor dem Parlament allesamt eher als Zeugnis für die in England diagnostizierte Abkehr von Gott denn als Garanten des Gottesgehorsams galten. Der Aufruf zur Umkehr an das Parlament war damit fast zwangsläufig verknüpft mit einem Aufruf zur Abkehr vom König, auch wenn diese Schlußfolgerung selten offen artikuliert wurde. So- fern der politische Konflikt bzw. der sich seit Anfang 1642 abzeichnende Bürger- krieg überhaupt zur Sprache kommt, so wird er konsequent jeglicher konstitutio- neller Elemente entkleidet.293 William Sedgwick redet in seiner Predigt am 29. Juni

291 Einen Versuch dieser Art unternimmt Russell, Fall, S. 461, der allein aus der Tatsache, daß Edmund Calamy in seiner Predigt „Englands Looking Glasse“ Pareus in die Reihe Augusti- nus, Ambrosius und Martin Luther einreiht, bereits ein klares Bekenntnis zum Widerstands- recht erblickt. Daß der Inhalt der Predigt dieses Bekenntnis noch weit stärker vermittelt als die Nennung von Pareus als Zeugen Gottes, scheint Russell entgangen zu sein. 292 Vgl. nur Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, S. 118–130 ohne jeglichen Bezug auf die Predigten vor dem Parlament. 293 Ähnlich auch Hill, Bible, S. 94: „no one who has read the Fast Sermons of the 1640s can sup- pose that the niceties of constitutional theory were uppermost in MPs’ minds. The question was rather Marshall’s, ‚whether Christ or Antichrist shall be lord or king?‘“

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1642 nicht von einem möglichen Kampf zwischen Anhängern des Königs und denen des Parlaments. Vielmehr macht er folgende Unterscheidung geltend: „If Heaven and Earth should make warre, there would be no corner of the world so safe, as on Gods, and the Churches side“.294 In einer solchen Auseinandersetzung zwischen Himmel und Hölle stelle sich die Frage nach den Prärogativrechten des Königs und den Kompetenzen von König und Parlament nicht mehr, so die un- ausgesprochene Botschaft hinter Sedgwicks Worten. Auch der Vorwurf, Aufruhr und Rebellion zu betreiben, dürfe die Protagonisten nicht von ihrem Werk abhal- ten. Das Beispiel der Reformation in England wie in Schottland zeige hinreichend, wie eine ursprünglich mit demselben Vorwurf von Verschwörung und Aufruhr konfrontierte Gruppe aufrechter Streiter für Gottes Wort sich schließlich habe durchsetzen können: „by rare, invisible, and unexpected providences, beyond what we were able to aske ort hinke, they have stood, and prospered“.295 Sedg- wick diskutiert nicht die Frage, ob der Vorwurf der Rebellion gerechtfertigt sei oder nicht. Statt dessen macht er den Abgeordneten deutlich, daß sich diese Frage im Falle des Erfolgs nicht mehr stellt, und daß Gottes Vorsehung über Erfolg und Mißerfolg entscheidet. Wenige Wochen zuvor, am 27. April, plädierte auch Tho- mas Goodwin dafür, Gottes Providenz zu vertrauen: Sollten die Parlamentarier die notwendigen Maßnahmen zur Reform der Kirche einleiten, so mache auch Gott seine Heilsversprechen wahr und stünde England z. B. im Kampf gegen die aufständischen Iren bei, sowohl durch Männer, die in göttlichem Auftrag handel- ten, als auch durch „coincident acts of Providence“.296 In der sich abzeichnenden Schlacht zwischen Heil und Verdammnis, wie sie in den beiden soeben genannten Predigten in leuchtenden Farben ausgemalt wurde, rückt Gott zugleich selbst in die Rolle des Herrschers ein. Sedgwick redet dabei über den Zustand im Tausendjährigen Reich, wenn „Christ will take his Church by the hand, and publickely owne his people“.297 Die metaphorischen Umschrei- bungen der Kirche als „the Kings wife“ und „the Kings palace and court“ strei- chen die Qualität des Gottessohnes als weltlicher Herrscher auf Erden besonders deutlich heraus.298 Sedgwick verweist nicht nur darauf, daß dieser Moment nicht mehr fern sei. Im Anschluß daran erwähnt er auch, daß zugleich auch alle weltli- che Obrigkeit ein Ende habe.299 Bei Goodwin hat es den Anschein, als würde die

294 Sedgwick, Zions Deliverance, S. 11. 295 Ebd., S. 26. 296 Goodwin, Zerubbabels Encouragement, S. 42–44. 297 Sedgwick, Zions Deliverance, S. 16; Prophezeiung anhand von Jes 62 sowie Offb 19,7. 298 Ebd., S. 17 f. Vgl. auch Calamy, Englands Looking-Glasse, S. 3 f., der von den Prärogativrech- ten Gottes über alle Königreiche sowie der „supremacy of Gods power“ spricht. 299 Sedgwick, Zions Deliverance, S. 20 f. Sedgwick bezieht sich auf 1 Kor 15,24, wo davon die Rede ist, daß Christus das Reich seinem Vater übergeben wird, nachdem er „alle Herrschaft, Macht und Gewalt vernichtet hat“. Sedgwick fügt diesem Zitat eine bemerkenswerte Ergän- zung zu: „i. e. all his enemies, be they of rule, the highest degree; of authority, the middle or second degree; or of power, the lowest and meanest; all must be subject to Christ“. Eine ver- gleichbare Aussage findet sich in Burroughs, Glimpse, S. 8.

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direkte Weltherrschaft Gottes nicht erst im Tausendjährigen Reich Wirklichkeit, sondern Christus als „King Jesus, the Conqueror“ bereits vor dem letzten Ge- fecht mit Babylon seine Herrscherrolle einnehmen.300 Er betont Gottes Doppel- rolle als „King of Nations“ und als „King of Saints“ und folgert daraus „Christs supremacie acknowledged both in matters Civill and Ecclesiasticall“.301 Mit die- ser Umschreibung kleidet Goodwin die Herrschaft Christi in exakt dieselben Be- griffe, mit denen spätestens seit dem sogenannten Act of Supremacy Elisabeths I. von 1559 die Herrschaft des englischen Königs charakterisiert wird.302 Da auch Goodwin den Moment der entscheidenden Auseinandersetzung mit der Hure Babylon als nicht mehr fern ansieht, stellt sich die Frage, wann und auf welche Weise die Herrschaft über England aus den Händen Karls I. in die Hände Christi übergeht. Dazu gibt Goodwin nur einen indirekten Hinweis, wenn er das Unter- haus für den jüngst gefaßten Beschluß zur Abschaffung aller „innovations“ in der Kirche beglückwünscht und dessen baldige Durchsetzung mit den Worten an- mahnt: „Go to establish it; you will establish a Kingdome by it“.303 Welches Königreich könnte Goodwin gemeint haben wenn nicht das Königreich Christi, eingeführt durch eine vom Parlament betriebene konsequente Reformation der englischen Kirche? Für Karl I. blieb in diesem eschatologischen Fahrplan offen- kundig keine Rolle mehr zu spielen. Ähnlich wie im Falle des schottischen National Covenant oder im Fall von Burtons Traktat For God, and the King, war die fortdauernde Loyalität zum König abhängig von seiner Bereitschaft, seine bisher protegierte Religionspolitik vollständig fallenzulassen und sich dem Diktat des jeweiligen Reformflügels in der schottischen und der englischen Kirche zu beugen. Die binäre Unterschei- dung zwischen Gottes- und Königsgehorsam konnte Karl I. nur dann nicht mehr gefährlich werden, wenn er sich seinerseits die Forderungen der Reformer zu ei- gen machte, was zugleich einen Verzicht auf die eigene Kirchenpolitik der letzten anderthalb Jahrzehnte beinhaltete. Seine Weigerung, diesen Schritt zu vollziehen, führte zwangsläufig zur Konsequenz, das Heil Englands notfalls auch gegen den Willen des Königs sicherzustellen und die religionspolitische Umkehr zu voll- ziehen. Die Art und Weise, wie sich diese erneute Hinwendung zu Gott vollziehen sollte, war ebenfalls von einiger politischer Brisanz. Der Gottesgehorsam zeige sich nicht darin, daß er sorgsam und vorsichtig gegen alle anderen Loyalitäts- pflichten abgewogen werde, sondern in einem besonderen Einsatz für Gott, der alle anderen Bindungen als bedeutungslos erscheinen lasse. In mehreren Predig-

300 Goodwin, Zerubbabels Encouragement, S. 37, das Zitat bezieht sich auf Offb 6, 2. 301 Ebd., S. 32 f.; eine vergleichbare Redeweise findet sich auch bei Samuel Rutherford; vgl. Coffey, Politics, Religion, S. 232 f. 302 Vgl. zum Act of Supremacy Elton, Tudor Constitution, S. 372–377. 303 Goodwin, Zerubbabels Encouragement, S. 41. Goodwin dürfte mit diesen Worten auf die Resolution des Unterhauses über „Ecclesiastical Innovations“ vom 1. September 1641 anspie- len; vgl. hierzu Commons’ Journal, Bd. 2, S. 279; auch abgedruckt in Kenyon, Stuart Con- stitution, S. 236 f.

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ten werden den Abgeordneten zwei biblische Beispiele genannt, deren Einsatz sich das Parlament zum Vorbild nehmen sollte: zum einen David, der von sich selbst sagt, er habe sich seiner persönlichen Umgebung entfremdet, da der Eifer für Gott ihn schier gefressen habe (Psalm 69,9–10),304 zum anderen Pinhas, der Gottes Wohlgefallen dadurch errang, weil er Simri und seine midianitische Frau Kosbi wegen ihrer Teilnahme an fremden Opferfesten ohne Zögern mit dem Schwert durchbohrte; eine Tat, mit der Pinhas durch seinen Eifer die Plage von Israel abgewendet hat (Num 25, 6–15).305 Was die beiden angeführten Beispiele eint und in den Augen zumindest einiger Prediger zum Exempel statuiert, ist die Bedenkenlosigkeit beider Protagonisten beim Einsatz für Gottes Sache.306 Sofern Gottes Wort und Gesetz auf dem Spiel steht, dürfe es um des eigenen Heils willen keinerlei Kompromisse geben, diese Botschaft eint die meisten der Predigten in St Margaret. Insbesondere bei der Fra- ge, wie mit den Gottesfeinden zu verfahren sei, legten sich die Kanzelredner kei- nerlei Schranken auf. William Bridge betonte im Jahr 1641, daß das Abschlachten zahlreicher „Philister“ Bestimmung des Parlaments sei.307 Und Thomas Wilson trägt den Parlamentariern vor, was sie von Davids Eifer lernen könnten: „a zeale that layeth aside all partiall affection, or respect of persons, great or small, King or people, kinsman or countrey-man, it will doe right to all, without doing a friend a pleasure, or a foe a spite“.308 Wilsons Aussage, daß der Eifer für Gottes Gesetz auf keinerlei Statusunterschiede Rücksicht nehmen dürfe, erhält politische Brisanz durch zwei weitere Punkte: zum einen den Umstand, daß Karl I. und seine per- sönliche Umgebung als diejenigen galten, die das Gesetz gebrochen hätten, zum anderen durch die im Alten Testament vorgesehene Todesstrafe durch Steinigung (Dtn 13,6–12) für diejenigen, die dieses Vergehens schuldig seien. Wilson unter- streicht seine Forderung nach der Todesstrafe noch dadurch, daß er das Beispiel des Königs Asa anführt (2 Chr 15, 16), der seiner Mutter Maacha die Königswür- de entzog, nachdem sie sich des Götzendienstes schuldig gemacht hatte. Was Bur- ges den Abgeordneten in der ersten Predigt vor dem Long Parliament noch als nachahmenswertes Beispiel anempfahl,309 galt Wilson als eine lahme Handlung, die nicht im Einklang stand mit den Erfordernissen des Gesetzes, da Asa das Le- ben seiner Mutter schonte. In Wilsons Augen hätten sich die Parlamentarier nicht

304 Joseph Symonds, A Sermon Lately Preached at Westminster before Sundry of the Honour- able House of Commons, London 1641, Fol. D2v; Wilson, Davids Zeale. 305 Holmes, The New World, S. 41; Marshall, Reformation, S. 44; Sedgwick, Zions Deliveran- ce, S. 23–25, der die Angehörigen des Long Parliament zumindest indirekt in der Rolle von Pinhas sieht. 306 Friedeburg sieht in der Gestalt des Pinhas gleichsam eine biblische Vorlage für ein radikales Widerstandsrecht; Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, S. 13 f. Die Fa- stenpredigten machen darüber hinaus deutlich, daß sich sowohl David als auch Pinhas als Exempla für das gleiche Ziel darstellen lassen. 307 Bridge, Babylons Downfall, S. 22. 308 Wilson, Davids Zeale, S. 30. 309 Burges, Two Sermons, S. 11. S. o. S. 78 f.

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an Asas Beispiel zu orientieren, sondern an Darius’ Befehl zum Schutz des wie- dererrichteten Tempels der Juden (Esr 6, 12): „destroy all kings and people that shall put to their hand to alter and to destroy this house of God which is at Ierusalem“.310 Ob die Abgeordneten diese Aussage auf Karl I. beziehen sollten, ließ Wilson zwar wohlweislich offen. Es ist aber auffällig, daß er gleich mehrfach dem König explizit jegliche Sonderbehandlung abspricht, wenn die Treue zu Gottes Wort auf dem Spiel steht. Die Gottesherrschaft, die sich in Gottes Gesetz permanent manifestiert, läßt dem weltlichen König zumindest auf dem Feld der Kirchenpolitik keinerlei Gestaltungsspielraum. Vor dem Hintergrund der hier angeführten Beispiele fällt es beinahe schwer, John Wilsons Beobachtung zuzustimmen, daß sich der Ton der Predigten nach Bekanntwerden des irischen Aufstandes im November 1641 noch einmal radika- lisiert habe; wohl aber stieg die Anzahl der Predigten mit radikalem Zungen- schlag.311 Auch finden sich 1642 verstärkt bellizistische Metaphern, z. B. wenn Edmund Calamy die nunmehr monatlich gehaltenen Fastenpredigten vor dem Parlament als Zeichen der Mobilmachung und des Kriegszustands der englischen Kirche wertet oder Simeon Ashe die Predigten als „Guns and instruments of Warre“ ansieht.312 Die Prediger suchten den Parlamentariern insbesondere alle Wege zu verbauen, mit den „Feinden Gottes“ zu einem Ausgleich zu gelangen, statt deren unnach- sichtige Bestrafung zu betreiben. Der Furor richtet sich dabei sowohl gegen Irland wie gegen all diejenigen, die man als Fünfte Kolonne innerhalb der Kirche auszu- machen glaubte. Dazu zählten die Protagonisten der hierarchischen Bischofskir- che mit William Laud an der Spitze, aber wohl auch diejenigen, denen man eine klammheimliche Sympathie für die aufständischen Iren unterstellte, nicht zuletzt Karl I. selbst.313 Positionen, die auf Ausgleich und Vermittlung bedacht waren, wurden in zahlreichen Fastenpredigten in ihrem Grundsatz angegriffen. In keiner Predigt wird dieser Aspekt so stark in den Mittelpunkt gerückt wie in Stephen Marshalls Kanzelrede Meroz cursed, die er am 23 Februar 1642 hielt.314 Stephan Marshall gelingt mit dieser Predigt sein Meisterstück, wie er selbst fand. Er tat daher auch alles, um ihr eine größtmögliche Verbreitung zu bescheren. An verschiedensten Plätzen des Landes wiederholte er die Predigt insgesamt ca. 60 Mal, ferner wurde sie gleich mehrfach gedruckt.315 In der Tat hatte Marshall

310 Wilson, Davids Zeale, S. 30. 311 Wilson, Pulpit, Kap. 4; Christianson, Reformers, S. 227–241. 312 Calamy, Gods Free Mercy, Fol. A3r; Ashe, The Best Refuge, Fol. A3v. 313 So beispielsweise der Verdacht von John Pym, geäußert im Unterhaus am 24. Februar 1642, der von Karl I. energisch zurückgewiesen wurde; Commons’ Journal, Bd. 2, S. 453 f. Zum Vorwurf und seiner Wirkung auch Clarendon, Rebellion, Bd. 4, 31; Vgl. ferner Caroline M. Hibbard, Charles I and the Popish Plot, Chapel Hill (NC) 1983; Robin Clifton, Fear of Popery, in: Russell (Hrsg.), Origins, S. 144–167. 314 Stephen Marshall, Meroz Cursed, or, A Sermon Preached to the Honourable House of Commons, at their Late Solemn Fast, Febr. 23, 1641, London 1642. 315 Trevor-Roper, Fast Sermons, S. 99. Im STC ist ein Nachdruck im Jahr 1645 bezeugt.

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getan, was mit der Macht des Wortes getan werden konnte, um England dem Krieg näher zu bringen. Sein Beispiel gewinnt er aus der Zeit der Landnahme und der Kämpfe Israels mit den verschiedenen Völkern Canaans. Die Stadt Meroz wird in Deboras Sie- geslied (Ri 5,23) dafür verflucht, Gott nicht zu Hilfe gekommen zu sein. Die Fra- ge danach, ob man Gott zu Hilfe komme, wird von Marshall generalisiert und zur Richtschnur erhoben, an der er das politische Verhalten allgemein kategori- siert. Als nachahmenswertes Vorbild dient Marshall die Gestalt Jaël, die sich nicht scheute, mit einer heimtückischen Tötung des kanaanitischen Feldhauptmanns Sisera der Sache Gottes zu dienen (Ri 4,19–22). Gottes Bannfluch gegen die hof- färtige Stadt Moab dient Marshall dabei als allgemeine Losung: „Verflucht sei, wer des Herrn Werk lässig tut; verflucht sei, wer sein Schwert aufhält, daß es nicht Blut vergießt“ (Jer 48,10). Es sei nicht möglich, sich zu den Streitfällen in der Kirche neutral zu verhalten:316 Gerade wenn es gilt, gegen Babylon die Ober- hand zu behalten, sei nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig, was sonst bar- barisch genannt werden müsse.317 Marshall faßt diese Haltung mit den Worten zusammen: „Salus ecclesiae suprema lex“.318 Mit dieser Adaption von Ciceros Diktum „Salus populi suprema lex esto“ relativiert Marshall explizit alle Schranken bestehender Gesetze und Traditionen, sofern sie dem erklärten Ziel, die Reformation der Kirche zu vollenden und den Kampf gegen die katholischen Aufständischen in Irland aufzunehmen, im Wege stünden.319 Seine Botschaft, das Heil der Kirche sei das höchste Gesetz, gepaart mit der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit, England aus den Klauen der Hure Baby- lon zu erretten und vor Gottes Dammstrahl zu bewahren, richtete sich an die Mit- glieder des Parlaments und legte ihnen die Verpflichtung auf, Gott zu Hilfe zu kommen. Die biblischen Beispiele lieferten ferner reiches Anschauungsmaterial, wie mit all denjenigen zu verfahren sei, die sich diesem Ziel widersetzten. Gegen wen mochte sich die Warnung an das Parlament, das Schwert aufzuhal- ten, gerichtet haben? Sie war wohl insbesondere eine Drohung für unentschiede- ne Abgeordnete, die zögerten, den entscheidenden Schritt zu unternehmen: mit dem Aufbau einer nur dem Parlament unterstellten Armee in den Krieg zu zie- hen, gegen die aufständischen Iren, falls nötig aber auch gegen die Truppen des Königs und seiner Anhänger. Die Beratungen über diese Miliz waren im vollen Gange, seit am 31. Januar das Unterhaus mit der „Militia Bill“ einen ersten Vor- schlag unterbreitet hatte, der bereits in diese Richtung zielte.320 Nur knapp zwei

316 Marshall, Meroz Cursed, S. 22–24. 317 Ebd., S. 11 f., unter Bezug auf Psalm 137, 8–9: „Yet if this worke be to revenge Gods Church against Babylon, he is a blessed man that takes and dashes the little ones against the stones“. 318 Ebd., S. 18. 319 Ebd., S. 46: „many great things are yet to bee done; much rubbish to be removed; many ob- structions to bee cleared, many enimies to be overthrown. Ireland is to be relieved, Religion to bee established […].“ 320 Die Militia Bill findet sich im Commons’ Journal, Bd. 2, S. 406. Die endgültige Ablehnung des Königs erfolgte am 28. Februar 1642; Commons’ Journal, Bd. 2, S. 459 f. Zur Debatte ausführlich auch Clarendon, Rebellion, Bd. 4, S. 95–99.

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Wochen nach Marshalls Predigt, am 5. März, vollzog das Parlament diesen ent- scheidenden Schritt, der einen Bürgerkrieg zwischen dem königlichen Lager und den Mitstreitern des Parlaments unausweichlich machte. In den Predigten vor dem Unterhaus war dieser Bürgerkrieg – als Auseinandersetzung zwischen Jeru- salem und Babylon – bereits lange zuvor Wirklichkeit geworden, wie bereits Wil- son treffend kommentierte: „As far as the Pulpit in St. Margaret’s was concerned, civil war had already begun.“321 Die hier präferierte Deutung sieht in den Fastenpredigten politische Sprechak- te, mit denen die Abgeordneten in ihrer Entscheidungsfindung beeinflußt werden sollten. Glenn Burgess interpretiert die Fastenpredigten hingegen als rein spiritu- elle Appelle, als Mahnreden gegen Laster und Sündhaftigkeit. Auch und gerade Stephen Marshalls Predigt Meroz Cursed versucht er so die Spitze zu nehmen. Marshall bediene sich zwar blutrünstiger Rhetorik und propagiere einen „Heili- gen Krieg“. Damit sei jedoch nicht der Kampf zwischen König und Parlament gemeint, sondern die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, die jeder Gläubige führen müsse.322 Es gab ohne Zweifel in England eine Tradition spiritu- eller Ermahnungsliteratur, auf die Burgess’ Deutung zutrifft, und in der die Auto- ren dem Kampf mit dem Teufel mit christlicher Seelenstärke und Glaubensgewiß- heit das Wort reden, nicht aber mit Waffengewalt und Blutergießen.323 Die Fa- stenpredigten können jedoch nur teilweise in diese Tradition eingeordnet werden. Um zu dieser Deutung zu gelangen, blendet Burgess alle Hinweise auf den histo- rischen Kontext der Predigten konsequent aus: den Adressatenkreis, die Auswahl der Prediger durch einflußeiche Abgeordnete, den Zeitpunkt der Predigt – im Falle von Meroz Cursed unmittelbar vor der entscheidenden Abstimmung über die Militia Bill und damit voraussichtlich über Krieg und Frieden. Berücksichtigt man all diese Faktoren, lassen sich die hier näher behandelten Fastenpredigten nur als politische Sprechakte verstehen, auch wenn sie der Gattung der Predigt angehören und ihre politische Botschaft in der Sprache des Biblizismus vorge- bracht wurde.324

321 Wilson, Pulpit, S. 64. 322 Burgess, English Civil War, S. 190–192. Glenn Burgess hat ferner kürzlich anhand einer mu- stergültigen Interpretation von William Perkins, A Discourse of Conscience, London 1596 – dem Prototyp des „moral Puritan“ – nachgewiesen, daß auch dieser Typus keineswegs un- politisch war und dessen Prämissen die Gehorsamspflicht gegenüber dem weltlichen König an Bedingungen knüpften; vgl. Burgess, British Political Thought, S. 124–127. 323 Vgl. nur zwei typische Beispiele hierfür: , The Christian Warfare, London 1604; , The Whole Armour of God, or the Spirituall Furniture, which God hath Provided every Christian Soldier, London 1616. 324 Michael McGiffert sieht gleichfalls sowohl einen spirituell-moralischen als auch einen politi- schen Diskurs in den Predigten der „Puritaner“ enthalten. Allerdings schließt er aufgrund der Existenz dieser beiden Diskurse auf zwei unterschiedliche Typen von „Puritanern“, dem „moral“ und dem „political Puritan“; Michael McGiffert, God’s Controversy with Jaco- bean England, in: AHR 88 (1983), S. 1151–1174, hier S. 1159. Es scheint mir aber sinnvoller zu sein, zwischen zwei verschiedenen Arten der Äußerung zu unterscheiden, die durchaus auch von denselben Personen in unterschiedlichen Kontexten vorgebracht werden konnten.

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Die Fastenpredigten leisteten einen wichtigen Beitrag, um die Parlamentarier auf das politische Ziel der Mosaischen Unterscheidung einzuschwören und die Königsherrschaft Gottes gegen die Herrschaftsgewalt des Königs zu verteidigen. Andere Medien wie Flugschriften, Balladen und kleinere Traktate brachten diese Unterscheidung den für das Parlament kämpfenden Soldaten nahe. Wiliam Star- buckes 1644 erschienener Spiritual Song of Comfort zur Ermutigung der Solda- ten, die „in the Cause of Christ“ in den Krieg zögen, wie der Titel ausweist, ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen:325 Behold how Babell it doth stagger, Meethinkes it doth begin to fall. The white Horse rider, and his Army, Will dash their bones against the wall. Im selben Jahr gab es für die Soldaten der Parlamentsarmee auch einen eigenen Katechismus als spirituelle Beigabe zum Marschgepäck.326 Auf die Frage, ob es rechtmäßig sein könne, gegen den eigenen König die Waffen zu erheben, lautete eine der rechtfertigenden Antworten: „Wee take up Armes against the enemies of Jesus Christ, who in His Majesties name make warre against the Church and People of God“.327 Die biblischen Beispiele des Katechismus, anhand derer den Soldaten Verhaltensempfehlungen für den Kampf mitgegeben wurden, waren al- lesamt in zahlreichen Fastenpredigten bereits erprobt worden: Das Volk Israel, das Jonathan vor dem rasenden König Saul in Schutz nahm, wird den Soldaten als Vorbild angepriesen.328 Das Schicksal der Stadt Meroz sowie die Prophezeiung gegen Laodizea in der Offenbarung verdeutlichten den Soldaten die Gefahr, sich aus dem Kampf heraushalten zu wollen.329 Zu den politischen Zielen des Kampfes äußert sich der Katechismus in einer Aufzählung von acht Punkten. Die ersten vier Ziele lauteten wie folgt: Erstens gehe es um die Zerstörung von Babylon, zweitens um die Verdrängung der „An- tichristian Prelacy“, also der Bischofskirche, drittens um die Reformation des korrupten Klerus allgemein und viertens um die Beförderung des Königreichs Christi.330 Dementsprechend sei die Armee des Königs nicht einfach ein politischer Geg- ner auf dem Schlachtfeld, sondern ein Feind Gottes, der zu vernichten sei: „We are not now to look at our enemies as Country-men, or Kinsmen, or fellow-

325 Wiliam Starbucke, A Spiritual Song of Comfort, or, An Incouragement to the Soldiers that now are Gone Forth in the Cause of Christ, London 1644 (Strophe 16); vgl. hierzu mit zahl- reichen weiteren Beispielen Paul Denzer, Ideologie und literarische Strategie. Die politische Flugblattlyrik der englischen Bürgerkriegszeit 1639–1661 (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 21), Tübingen 1991, S. 50–87. 326 Robert Ram, The Souldiers Catechisme, Composed for the Parliaments Army, [London] 1644. 327 Ebd., S. 3. 328 Ebd., S. 4. 329 Ebd., S. 7. 330 Ebd., S. 9.

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Protestants, but as enemies of God and our Religion, and siders with Antichrist; and so our eye is not to pitie them, not our sword to spare them“.331 Dabei wird den Soldaten Jeremias’ Weissagung gegen Moab (Jer 48,10) vor Augen geführt, eine Stadt, deren vollständige Vernichtung Gott befahl und all diejenigen mit einem Fluch belegte, die im Kampf für Gottes Sache mangelnden Eifer und Ein- satzwillen an den Tag legten.332 Das auf der Kanzel von St. Margeret vor den Parlamentariern wiederholt einstudierte Narrativ der Mosaischen Unterschei- dung lieferte auch den kämpfenden Soldaten die Legitimation für ihr Handeln.333 Die Wiederherstellung der Königsherschaft Gottes war dabei eines der erklärten Ziele, für das die Soldaten ihre Waffen einsetzen sollten.

c) Gegenprobe: Die Henry Parker Kontroverse – Der Anfang vom Ende der Monarchie? Der Biblizismus all derjenigen, die seit der Causa Bastwick, Burton und Prynne auf umfassende Reformen in der Kirche aus waren, ging mit einer politischen Theologie einher, in der die Königsherrschaft Gottes zunehmend zum argumen- tativen Vehikel wurde, um die Herrschaft Karls I. zu kritisieren und wenn auch nicht prinzipiell, so doch in ihrer aktuellen Erscheinungsform in Frage zu stellen. Doch bot nicht allein der Biblizismus ein Argumentationsreservoir, um den König einer „höheren Gewalt“ zu unterwerfen. Folgt man Quentin Skinner, so zählten nicht religiöse Spannungen zu den wichtigsten ideologischen Ursachen des Bürgerkrieges, auslösendes Moment war vielmehr die politische Rezeption antiker Staatsphilosophie sowie der darin enthaltene Republikanismus.334 Skinner führt als wichtigsten Kronzeugen für seine These Henry Parker an, insbesondere dessen Schrift Observations upon some of his Majesties late Answers and Expresses. Diese Schrift ist gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert und von hoher politischer Relevanz. Dies liegt sicher im Kontext ihrer Entstehung begründet. Die Schrift erschien im Sommer 1642. Skinner hebt zu Recht hervor,

331 Ebd., S. 14 f. 332 Jer 48, 10: „Verflucht sei, wer des HERRN Werk lässig tut; verflucht sei, wer sein Schwert aufhält, daß es nicht Blut vergießt!“ Stephen Marshall griff zwei Jahre zuvor ebenfalls auf diese Stelle zurück, um das Parlament auf Kriegskurs zu bringen. 333 Im Jahr 1644 besuchte der Royalist und Geistliche Edward Symmons gefangene Soldaten der Parlamentsarmee, um sie nach ihren Motiven zu fragen, weshalb sie gegen ihren König zu den Waffen gegriffen hätten. Die Soldaten antworteten mit Versatzstücken, wie sie in den Fasten- predigten allesamt zum Einsatz gekommen waren: Ihr Kampf galt dem Antichristen und der Hure Babylon, der Verteidigung des Protestantismus in England gegen papistische Bischöfe, sie bezogen sich außerdem explizit auch auf Marshalls Predigt Meroz Cursed; Edward Symmons, Scripture Vindicated, from the Misapprehensions, Misinterpretations and Misap- plications of Mr Stephen Marshall, Oxford 1644, Preface; auch erwähnt in Burgess, English Civil War, S. 173 f. 334 Quentin Skinner, Classical Liberty and the Coming of the English Civil War, in: Ders./ Martin van Gelderen (Hrsg.): Republicanism. A Shared European Heritage, 2 Bde., Cam- bridge 2002, Bd. 2, S. 9–28, hier S. 14.

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daß zu diesem Zeitpunkt alle strittigen Bereiche der königlichen Prärogativrechte sowie der bischöflichen Herrschaftsgewalt längst der Vergangenheit angehörten: das ship money wurde für illegal erklärt, die Star Chamber ebenso wie die High Commission aufgelöst, führende Minister des Königs waren bereits hingerichtet wie Thomas Wentworth oder warteten auf ihren Prozeß wie William Laud.335 Damit war der Machtanspruch des Parlaments indes keineswegs gestillt. Zuneh- mend erstreckte sich dessen Entscheidungswillen auch auf die Kernbereiche der königlichen Exekutive: die Auswahl der Minister des Königs sowie die Verfü- gungsgewalt über die Miliz, mit der der Aufstand der irischen Katholiken nieder- geschlagen werden sollte. Welche Gründe das Parlament zu Beginn des Jahres 1642 auch immer zu die- sem Schritt veranlaßt haben mögen336 – mit dem Aufbau einer eigenen, nur den Befehlen des Parlaments unterworfenen Miliz zu Beginn des Jahres 1642 und der Mißachtung des königlichen Vetos hatte das englische Parlament den Rubikon überschritten. Die Legitimation der vom Parlament ergriffenen Maßnahmen wur- de nicht einfacher dadurch, daß König Karl I. in seiner Answer to the XIX Propo- sitions, einer Zurückweisung der Forderungen des Parlaments, zugleich ein Bild von der englischen Monarchie zeichnete, das sich mit dem bisher vom Parlament verfochtenen Staatsverständnis weitgehend deckte.337 Der Autor deutete die Ver- fassung Englands als mixed constitution, in der Gesetze nur durch das Zusam- menwirken des Königs, des Oberhauses und des Unterhauses zustandekämen. Jeder der drei benannten Herrschaftsträger habe „free Votes and particular Privi- leges“. Die Forderung nach dem Aufbau einer nur dem Parlament unterstellten Miliz und die Verneinung des königlichen Vetorechts brächte diese Mischverfas- sung jedoch zum Einsturz und unterwerfe zwei der Herrschaftsträger dem Diktat des Dritten: dem Unterhaus.338 Das königliche Vetorecht und seine alleinige Exe- kutivgewalt dürften nicht bestritten werden, so die Antwort des Königs, wolle man nicht die Königsherrschaft insgesamt zum Einsturz bringen.339 Auf diese Antwort des Königs auf die Forderungen des Parlaments folgte erst einmal ein längeres Schweigen. Statt einer offiziellen weiteren Erklärung des Par- laments erschien anonym eine Antwort auf die Stellungnahme des Königs, die

335 Ebd., S. 17 f. 336 Die fortwährende Beschneidung der königlichen Prärogativrechte dürfte sich wohl wesent- lich defensiven Motiven der Parlamentsmitglieder verdanken, dem Mißtrauen des Parlaments gegen den König und seine Handhabung ihm zugebilligter Machtmittel und dem daraus re- sultierenden „Sicherheitsradikalismus“, wie es Hans-Christoph Schröder treffend beschrie- ben hat; Schröder, Revolutionen, S. 51–57. 337 XIX. Propositions Made by both Houses of Parliament, to the Kings Most Excellent Majes- tie, with his Majesties Answer thereunto, in: Joyce Lee Malcolm (Hrsg.), The Struggle for Sovereignity. Seventeenth-Century English Political Tracts, 2 Bde., Indianapolis 1999, Bd. 1, S. 145–178. Vgl. als beste bislang vorliegende Deutung Michael Mendle, Dangerous Posi- tions. Mixed Government, The Estates of the Realm, and the Making of the Answer to the XIX. Propositions, Alabama 1985. 338 XIX. Propositions, S. 164. 339 XIX. Propositions, S. 155.

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Observations upon some of his Majesties late Answers and Expresses, geschrieben von Henry Parker. Es kann wenig Zweifel daran geben, daß Parker mit diesem Text als gleichsam inoffizielles Sprachrohr des Parlaments fungierte.340 Parker war es aufgegeben, für die seit Beginn des Jahres 1642 aufgestellten Forderungen des Parlaments, die mit dem klassischen Inventar der im common law festge- schriebenen Rechte und Freiheiten des Parlaments eben nicht mehr zu rechtferti- gen waren, Legitimationsformeln zu entwickeln. Parker ist nicht ohne Grund der wichtigste Kronzeuge für Quentin Skinner und seine These, daß das Erbe der antiken Staatsphilosophie und der darin ent- haltene Republikanismus zu den wichtigsten ideologischen Ursachen des engli- schen Bürgerkrieges zu rechnen sind. Seine Argumentation wird daher ausführ- lich darzulegen sein, bevor Skinners These einer erneuten Betrachtung unterzo- gen wird. Das leitende Prinzip von Parkers Argumentation ist Ciceros Diktum „salus populi suprema lex esto“. Dies sei das Grundprinzip aller Gesetzgebung, das im Zweifel als wichtiger anzusehen sei als die Einhaltung formaler Regeln. Mit dieser Präferenz wendet sich Parker dem konkreten Konfliktfall zu: der Miß- achtung des königlichen Vetos durch das Parlament. Parker konzidiert, daß im Normalfall Gesetze vom König und dem Parlament einvernehmlich verabschie- det werden müßten. Im Ausnahmefall extremer Gefährdung des Gemeinwesens läge es Parker zufolge jedoch in der Hand des Parlaments, das das Volk verkörpe- re, im Falle der Notwehr die Selbstverteidigung des englischen Volkes in die Hand zu nehmen. Sollte der König mit seinem Veto dem Volk dieses Recht auf Selbst- verteidigung bestreiten, so würdige er damit ein freies Volk zu einer Sklavenherde herab und mache es allein abhängig von seinem Willen.341 Es darf vermutet werden, daß Parker mit der Aufgabe, die Antwort des Königs auf die XIX Propositions zu verfassen, betraut worden war, da er sich aufgrund seiner bisherigen Traktate bereits als energischer Fürsprecher der Souveränität des Volkes und der daraus resultierenden Suprematie des Parlaments einen Namen gemacht hatte.342 Aus diesen Traktaten wird gleichfalls sichtbar, aus welchen Quellen er seine Argumentation vornehmlich speiste, und welche Argumenta- tionsreservoirs er in der politischen Debatte für illegitim erklärte. Parker bediente sich vorwiegend der Sprache des civic humanism zur Autorisierung seiner Posi- tionen. Politische Argumente, die vorwiegend auf das common law oder auf bibli- sche Schriften gründeten, hielt er hingegen für wenig überzeugend. Weder Präze- denzfälle noch Exempla der Bibel dürften das Parlament in seiner Entscheidungs- freiheit einschränken, sollte es in außerordentlichen Anlässen dazu gezwungen

340 Vgl. hierzu Michael Mendle, Henry Parker and the English Civil War. The Political Thought of the Public’s „Privado“, Cambridge 1995, v. a. S. 1–31. 341 [Henry Parker], Observations upon some of his Maiesties Late Answers and Expresses, [London 1642], S. 37 f., 41, 46 f., 56; vgl. hierzu Skinner, Classical Liberty, S. 18–23; ferner Friedeburg, Widerstandsrecht, S. 124–126. 342 Die Zuordnung der Autorschaft ist bei den allesamt anonym veröffentlichten Traktaten nicht immer eindeutig möglich. Laut George Thomason war er der Autor von: The Case of Ship- money, London 1640, sowie von: A Discourse Concerning Puritans, London 1641.

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sein, sich gegen sie zu entscheiden.343 Parkers juristische Sozialisation im Lincoln´s Inn, der ältesten der vier traditionellen Londoner Anwaltskammern, hatte ihn nicht zu einem Vorkämpfer für das common law werden lassen. Ebenso führte sein kirchenpolitisches Engagement in mehreren seiner frühen Steitschriften nicht dazu, daß er sich auf die in diesen Debatten vorherrschende Sprache des Biblizis- mus einließ oder sie sich gar zu eigen machte344 – als biblizistischen Autor wird man ihn nicht bezeichnen können. Vielmehr enthält bereits seine Schrift über die Bedeutung des Begriffs Puritan seine letztlich ablehnende Haltung zum politi- schen Biblizismus. Parker setzt die politische Sprache des Biblizismus offenkundig gleich mit der Konzeption einer Königsherrschaft jure divino. Diese Art politische Theologie sei von Hofkaplänen konzipiert worden, so Parker, um damit die Bedeutung der Gesetze des Landes zu mindern und sich selbst an Stelle der Juristen zu Herren über Recht und Unrecht aufzuschwingen.345 Dabei hätten sie das Alte Testament und das Königtum im alten Israel auf irrige Weise ausgelegt, um das Ohr des Königs zu gewinnen und ihr Ziel zu erreichen. Parker versucht nicht, eine eigene Deutung des Königtums im Alten Testament zu entwickeln. Sein prinzipielles Gegenargument gegen die Lehre vom Königtum jure divino war vielmehr die prinzipielle Infragestellung der biblischen Argumentationsgrundlage. Parker zu- folge ließen sich der Schrift keine allgemeinen Regeln zur Königsherrschaft ent- nehmen, sondern nur eine große Anzahl von Beispielen. Diese Beispiele könnten aber über viele grundsätzliche Fragen nach der Ausgestaltung der Monarchie kei- ne klare Auskunft erteilen: ob Könige ihre Herrschaft durch Erbrecht oder qua Wahl antreten, ob die Primogenitur zu gelten habe und auch Frauen in die Erb- folge mit einzubeziehen seien oder nicht – all diese Fragen blieben ungeklärt. Trotz dieser prinzipiellen Abwehrhaltung gegen biblisch fundierte politische Argumente kommt Parker nicht darum herum, sich seinerseits zu zwei promi- nenten biblischen Stellen zu äußern, die zum festen Repertoir aller Beiträge zäh- len, in denen die Königsherrschaft thematisiert werde: das sogenannte „Königs- recht (1 Sam 8) und Paulus’ Gehorsamsgebot gegenüber der weltlichen Obrigkeit (Röm 13). Beide Stellen werden von Parker nicht eigens genannt, sondern nur verklausuliert angesprochen. Gleichwohl macht er sich in beiden Fällen jeweils die Auslegung zu eigen, die der Interpretation dieser Stellen im Sinne des König- tums jure divino widerspricht. Im Falle der Bitte des jüdischen Volkes an Samuel, einen König über sie einzusetzen, betont Parker, daß das den Israeliten vorschwe- bende Vorbild die Herrschergestalten der sie umgebenden Völker gewesen seien, also Tyrannen. Der Wunsch des Volkes habe denn auch Gottes Mißfallen erregt. Röm 13 wiederum sei keine Aufforderung zum Gehorsam allein gegenüber dem König, sondern vielmehr auf alle Obrigkeiten gleichermaßen anzuwenden, d. h.

343 [Parker], Discourse, S. 52. 344 [Henry Parker], The Altar Dispute, or A Discourse Concerning the Severall Innovations of the Altar, London 1642; Ders., Discourse. 345 [Parker], Discourse, S. 50.

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auch das Parlament könne sich in gleicher Weise darauf berufen.346 Außerdem verpflichte der Paulusbrief an die Römer die Obrigkeit darauf, im Sinne des allge- meinen Wohls zu regieren. Daraus könne die Königsseite nur ableiten, daß sie hinreichend Handlungsfreiheit haben müsse, um dieses Ziel zu erreichen. Wie groß dieser Handlungsspielraum aber im einzelnen jeweils sein müsse, lasse sich nicht dem Naturrecht entnehmen, sondern nur den Gesetzen des Landes.347 Par- ker greift diese Argumentation in seinen Observations erneut auf, wiederum ste- hen sowohl Röm 13 als auch 1 Sam 8 im Fokus.348 Parkers rhetorische Strategie im Umgang mit dem Biblizismus der Befürworter der Königsherrschaft war zweigleisig angelegt. Zum einen suchte er den Rück- griff auf biblische Exempla im politischen Diskurs generell zu delegitimieren. Zum anderen aber führte er im einzelnen den Nachweis, daß die Auslegung ein- zelner biblischer Exempla bei den Apologeten des jure divino Königtums auf ir- rige Weise erfolgt sei. Es ist bezeichnend, daß Parker sich nicht mit der prinzipi- ellen Infragestellung des Biblizismus begnügt. Es genügte offenkundig nicht, die biblische Argumentationsbasis allein mit prinzipiellen Erwägungen zu verwerfen. Vielmehr hat es den Anschein, als ob die Exempla einzeln entschärft werden mußten, um mit der eigenen Argumentation überzeugend zu wirken. Die Ablehnung des Biblizismus ging bei Parker Hand in Hand mit der Substi- tution Gottes durch das Volk als wesentliche politische Legitimationsinstanz. In den Observations spricht er nun der Samuelstelle 1 Sam 8 für England auch des- wegen jede Aussagekraft ab, da die Könige nicht mehr wie im alten Israel direkt von Gott eingesetzt seien, sondern vom Volk. Die Parallelstelle im Alten Testa- ment zum Königsrecht in Israel (Dtn 17), in der Könige auf den strikten Gehor- sam gegenüber Gottes Gesetzen verpflichtet werden, deutet Parker dagegen of- fensichtlich als dauerhaft gültig, führt er sie doch seinerseits als Referenz an.349 Gleichwohl lag Parker das Ideal theokratischer Herrschaft denkbar fern. Dies wird selten so deutlich wie in einer ironisch anmutenden Adaption biblischer Formeln zur Legitimation des jure divino Königtums. Könige, so Parker, wären gut beraten, ihr eigenes Wohlergehen an das der Allgemeinheit zu koppeln, „by which they are Kings, to which they are gods, from which their very Diadems receive honour and sanctity, to which their very Royall Order imparts life, and breath, and necessary substance“.350 Parker greift klassische Stellen biblizistischer Königslegitimation auf, um sie auf das Volk als entscheidender Legitimationsinstanz neu auszurichten. So wird ein locus classicus der Königslegitimation, „By me kings reign“ (Spr 8, 15), trans-

346 Besonders prägnant formuliert in Parkers Antwort auf eine der zahllosen Gegenschriften; [Hen- ry Parker], The Observator Defended in a Modest Reply to the Late Animadversions upon those Notes the Observator, [London 1642], S. 7: „St. Paul in the 13. of the Romanes, tells us not what power is the highest, but that that power which is the highest ought to be obeyed.“ 347 [Parker], Discourse, S. 51 f. 348 [Parker], Observations, S. 1. 349 Ebd., S. 19. 350 [Parker], Discourse, S. 53.

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formiert in „by which they are Kings“; war im ersten Fall Gott die Quelle aller Königsherrschaft, so ist es im zweiten Fall das Volk. Auch der von Apologeten des jure divino Königtums gerne unvollkommen zitierte Satz des 82 Psalms („Ihr seid Götter“) verändert seine Bedeutung vollständig dadurch, daß Parker das Re- lativpronomen „to which“ in den Satz einfügt. Dieses von Parker betriebene Sprachspiel entblößt die Königsgewalt ihrer göttlichen Legitimation. Gleichwohl bleibt der König als politische Größe erhalten, wenn auch abgeleitet von der Sou- veränität des Volkes, repräsentiert durch das Parlament. Als politische Potenz vollständig eleminiert hat Parker dagegen Gott – eine eigentümliche Ironie seiner Lehre von der Souveränität des Parlaments. Parker war zweifelsohne ein wichtiger Fürsprecher des englischen Parlaments in den Auseinandersetzungen, die geradewegs in den Bürgerkrieg führten. Gleich- wohl bleibt Skinners Diagnose, der Bürgerkrieg habe sich vornehmlich aus antik- republikanischen Quellen gespeist, fragwürdig. Parkers Säkularismus war zu die- sem Zeitpunkt alles andere als repräsentativ, was Skinner zumindest implizit na- helegt, wenn er ihn für seine Argumentation zum Hauptzeugen ernennt. Skinner blendet nicht nur den britischen Kontext des Bürgerkrieges völlig aus und igno- riert dabei, daß der auslösende Moment für die Krise der Königsgewalt nicht erst in den Parlamentsbeschlüssen von 1642 zu finden ist, sondern bereits in den schottischen Ereignissen des Jahres 1637, als die Schotten sich mit ihrem National Covenant gegen die Religionspolitik des Königs wandten und militärisch nicht bezwungen werden konnten. Die schottischen Beweggründe und ihre Argumen- tationsstrategie stimmten mit derjenigen Parkers jedoch nur sehr bedingt überein. Dies gilt ebenso auch für die zahlreichen Fastenpredigten vor dem Parlament, die bereits zur Sprache gekommen sind. Parker war in der Auseinandersetzung um die XIX Propositions ein Sprachrohr des Parlaments, die Prediger in St. Margaret konnten diese Rolle jedoch gleichfalls für sich beanspruchen. Dem Parlament standen offensichtlich gleich mehrere politische Sprachen zur Verfügung, in de- nen auf jeweils spezifische Weise Forderungen des Parlaments zum Ausdruck ge- bracht werden konnten. Es ist daher anzunehmen, daß sich John Pym und seine Mitstreiter bewußt dafür entschieden, in der Auseinandersetzung um das königliche Vetorecht Par- kers auf der salus populi basierende Argumentation zu nutzen, nicht aber biblizi- stische Argumente. Worin lag also der Vorteil der politischen Sprache des civic humanism? Beide Sprachen deuten die Welt auf manichäische Art und Weise und treffen zur Beschreibung und Beurteilung des Geschehens jeweils spezifische bi- näre Unterscheidungen. Im Falle des Biblizismus ist die dominante Unterschei- dung diejenige zwischen Gottesgehorsam und Götzendienst. Im Falle des civic humanism geht es um die Unterscheidung von Freien und Sklaven. Zwar zeigt beispielsweise Samuel Rutherfords Traktat Lex, Rex, daß der Biblizismus durch- aus auch in konstitutionellen Fragen Argumente bereitstellen kann. Die größt- mögliche Überzeugungskraft erlangte der Biblizismus aber vor allem, wenn mit ihm die Mosaische Unterscheidung aktualisiert werden konnte. In der Auseinan- dersetzung um das königliche Vetorecht war das nicht der Fall, im Gegensatz zu

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zahlreichen anderen Debatten, in denen die Mosaische Unterscheidung im Long Parliament zur Anwendung kam. Parker deutet das königliche Vetorecht als ein Mittel, mit dem der König auf willkürliche Art und Weise den sich im Parlament manifestierenden Willen des ganzen Volkes mißachte, damit das Parlament dem Willen des Königs unterwerfe und das freie Volk so zu Sklaven herabwürdige. Mit dieser Interpretation wendet er die binäre Unterscheidung zwischen Freien und Sklaven auf die Streitfrage um das königliche Vetorecht an und erreicht damit größtmögliche Rückendeckung für die Gegner des Vetorechts. Auf dem Spiel steht Parker zufolge nicht eine Fra- ge des Verfassungsrechts bzw. eine politische Entscheidung über die Einberufung einer Miliz durch das Parlament. Vielmehr geht es um den Fortbestand des engli- schen Volkes als freier Nation generell. Henry Parker und mit ihm die Fürspre- cher des Aufbaus einer Parlamentsarmee griffen zum äußersten Argument, um ihre politischen Maßnahmen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Parkers Traktat ließ bei den Zeitgenossen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß mit seiner Konzeption einer allein der salus populi unterworfenen Königs- herrschaft die Systemfrage im Raum stand und eine Art absolutistisch regierendes Parlament an die Stelle des Königs treten sollte.351 Das publizistische Echo war dementsprechend gewaltig. Dabei verschob sich der Fokus der Debatte schnell weg vom konkreten Streitfall um das königliche Vetorecht hin zur Diskussion um die prinzipielle Legitimation der Monarchie. Parkers Traktat veranlaßte gleich mehrere Verteidiger des Königs zu Gegenschrif- ten, die seit dem Herbst 1642 in der Öffentlichkeit kursierten. Dabei dienten insbe- sondere die beiden politischen Sprachen, denen Parker ausdrücklich ihre Autorität in der politischen Auseinandersetzung absprach, als bevorzugtes Argumentations- reservoir: das common law und der Biblizismus. Die Traktate aus der Feder der Verteidiger Karls I. lassen sich zwei unterschiedlichen Gruppen zuordnen. Zum ei- nen handelte es sich um ad locum Kontroversschriften, in denen Parkers Argumen- tation Punkt für Punkt widersprochen wurde; in diesen Schriften war biblizistische Rhetorik nicht enthalten.352 Die dem Parlament zugeschriebene Souveränität wird von den Autoren vielmehr dadurch zurückgewiesen, daß sie unter Rückgriff auf die englische Rechtstradition die bestimmende Rolle des Königs im Parlament unter- strichen. Das englische common law diente als Rettungsanker der Monarchie. Zum anderen aber einte mehrere Autoren das Bemühen, Parker und seinem Traktat gerade aus der Tatsache, daß er die biblizistische Rhetorik im politischen Diskurs ablehnte, einen Strick zu drehen, ähnlich wie einige Verteidiger der Kron- gewalt in Schottland dies gegen Alexander Henderson versuchten. In deren Schriften stand weniger die englische Rechtstradition im Mittelpunkt als vielmehr das Gesetz Gottes, dem England gleichmaßen unterworfen sei wie das Volk Israel.

351 Mendle, Henry Parker, S. 48. 352 Richard Burney, An Answer or Necessary Animadversions, upon some Late Impostumate Observations Invective against His Sacred Maiesty, London 1642; Animadversions upon those Notes which the Late Observator hath Published, London 1642.

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So entgegnet William Ball auf Parkers Diktum, die Herrrschaftsgewalt läge ur- sprünglich in der Hand des Volkes, mit dem Hinweis, daß alle Herrschaftsgewalt ursprünglich in Gott vereinigt sei.353 Aus den beiden bereits von Parker genutz- ten Stellen Römer 13 und 1 Sam 8 leitete Ball seine Gegenargumentation ab: Das Volk habe nur dann Verfügungsgewalt über Herrschaft, wenn es sich vollkom- men frei für eine Staatsform entscheiden könne, wie dies bei den Juden der Rich- terzeit, vor der Wahl König Sauls, der Fall gewesen sei. Gäbe es aber eine Monar- chie, so läge die Herrschaft in der Hand des Monarchen, der sie unmittelbar von Gott erhalten habe. Diese Herrschaftsgewalt dürfe dem König niemand streitig machen, auch nicht das Parlament.354 In dasselbe Horn stößt Henry Ferne, zu dieser Zeit Erzdiakon und einer der Hofkapläne Karls I. Seine Schrift The Resolving of Conscience hatte innerhalb des royalistischen Lagers eine paradigmatische Stellung und war ihrerseits Anlaß für zahlreiche Gegenschriften der Befürworter des Parlaments.355 Sein Traktat wurde in gleich drei Städten gedruckt, in Oxford lag im Frühjahr 1643 bereits eine zweite Auflage des Werkes vor. Dies läßt darauf schließen, daß der Text sich im königli- chen Lager großer Zustimmung erfreute. Die Anhänger des Parlaments hatten da- gegen weniger Freude an Fernes Publikation. Sowohl dessen Inhalt als auch seine große Verbreitung sorgten dafür, daß sie noch 1643 vom House of Commons als aufrührerisch verurteilt und die Ergreifung des Autors angeordnet wurde.356 Fernes Antwort auf die Observations wirkt zunächst wie eine Bestätigung von Parkers Diagnose, daß der Biblizismus vor allem ein Argumentationsmittel der Befürworter des Königtums jure divino gewesen sei.357 Was Ferne geschrieben und die Unterhausmitglieder erzürnt hatte, war dabei alles andere als neu. In seiner Absicht, dem Parlament jegliches Recht auf Widerstand gegen den König abzusprechen, gab er vielmehr Grundpositionen und Argumente des divine right of kings wieder, die im politischen Denken Englands seit langem etabliert – wenn auch nicht notwendigerweise akzeptiert – waren und insbesondere von den Hof- kaplänen in zahlreichen Predigten immer wieder neu variiert wurden.358 Außer-

353 William Ball, A Caveat for Subjects, Moderating the Observator, London 1642, S. 2. 354 Ebd., S. 3 f., 5, 10 f., 14. 355 Henry Ferne, The Resolving of Conscience upon this Question, wether upon such a Sup- position or Case, as is now Usually Made (The King will not Discharge his Trust, but is Bent or Seduced to Subvert Religion, Laws, and Liberties) Subjects Must Take Arms and Resist, Cambridge 1642. 356 Brian Quintrell, Art. Henry Ferne (1602–1662), in: ODNB 19 (2004), S. 401–404. Das Vor- gehen des Parlaments gegen Ferne bleibt unverständlich, wenn man Burgess Interpretation folgt; Burgess, Absolute Monarchy, S. 177–179 und S. 22 f. Burgess sieht Parkers Argumenta- tion tief in der Tradition des common law verwurzelt, Ferne wiederum sei keinesfalls ein Anwalt unumschränkter königlicher Gewalt, sondern sehe die Königsherrschaft als durch das Gesetz beschränkt an. Worüber der Konflikt dann aber letztlich eskalierte, bleibt bei Burgess vollständig offen. 357 Ferne erwähnt Parkers Traktat nur einmal direkt als Beispiel für Traktate, die das Wider- standsrecht des Volkes gegen den König verteidigten; Ferne, Resolving of Conscience, S. 15. 358 Es finden sich auch zahlreiche Beispiele solcher Predigten aus den einzelnen Grafschaften; vgl. hierzu Cressy, England on Edge, S. 409 f.

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dem stimmten Fernes Aussagen vollständig überein mit dem ersten Paragraphen der Canons von 1640 zur Beschreibung der Königsherrschaft, d. h. der offiziellen Doktrin von Amtskirche und König.359 Neu an seinem Traktat war allenfalls die privilegierte Sprecherrolle, die sich Ferne selbst zubilligte. Er stellt die Frage, ob das Parlament gegen den Willen des Königs eine Miliz aufbauen und sich damit zur Not auch gegen die Truppen des Königs zur Wehr setzen dürfe, nicht vor- dringlich als ein politisches oder juristisches Problem, sondern als eine Angele- genheit für das Seelenheil dar. Als einzigen für das Seelenheil verbindlichen Maß- stab benennt Ferne die Schrift sowie die Vernunft. Dies gibt ihm die Möglichkeit, den Theologen in dieser Debatte einen besonderen Stellenwert einzuräumen.360 Gemäß der angestrebten Transformierung des politischen Konflikts in den Be- reich der Theologie und der Seelsorge warnt Ferne seine Leser eindringlich davor, sich eines Sakrilegs schuldig zu machen und sich gegen den König zu stellen. Ferne führt zur Untermauerung seiner Warnung vor einer Erhebung gegen den König mit Waffengewalt einzelne Bibelstellen an, die allesamt zum klassischen Inventar des Königsdiskurses und des divine right of kings zählten. Er beginnt mit einem Verweis auf Römer 13. Da alle Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, müs- se man ihr gehorchen: „Whoever resist shall receive to themselves damnation“ (Röm 13,2). Diese Maxime gelte ohne Ausnahme und betreffe daher auch den vom Parlament initiierten Widerstand gegen den König.361 Die von Ferne be- mühte Parallelstelle 1 Petr 2, 13–14 dient ebenfalls dazu, die Unantastbarkeit des Königs herauszustreichen. Zugleich deutet Ferne die Worte „being Supreme“, mit denen Petrus den Kaiser beschreibt, als Hinweis darauf, daß der König allein die höchste Obrigkeit verkörpere, das Parlament aber allenfalls eine vom König ab- hängige Stellung einnimmt.362 Daß die in beiden Stellen enthaltenen Aussagen dauerhaft Gültigkeit beanspruchen können und nicht zeit- und kontextgebunden zu verstehen sind, betont Ferne gleich mehrfach.363 Es ist insgesamt augenfällig, in welch starkem Maße Ferne jeweils direkte Gegenpositionen zu Parkers Argu- mentation bezieht. Die Belegstellen, mit denen die Parlamentsseite Ferne zufolge ihren Widerstand legitimierte, sucht er dadurch zu entkräften, daß er sie entweder als nicht zur Sache gehörig abqualifiziert oder aber zu außerordentlichen Beispielen erklärt.364 Allerdings bleibt unklar, auf welche Äußerungen er sich genau bezieht. Parkers

359 Cardwell (Hrsg.), Synodalia, Bd. 1, S. 389–392. S. ferner u. Kap. V 2. 360 Ferne, Resolving of Conscience, Epistle, Fol. A1v: „certainly it belongs to the Divine to con- sider wether it be against Gods Law, and accordingly to instruct his people“. 361 Ebd., S. 5. 362 Ebd., S. 10. 363 Ebd., S. 5, 11 und 15. 364 So sei die Erettung Jonathans aufgrund der Intervention des Volkes gegen Sauls Tötungsab- sicht (1 Sam 14) nicht mit der politischen Lage in England vergleichbar, da das Volk dabei ja nicht zu den Waffen gegriffen hatte. Und Davids Heer, mit dem er sich gegen die Angriffe Sauls habe wappnen wollen, sei gleichfalls kein Akt des Widerstandes gegen Saul, so Ferne, erklärt das Beispiel aber sicherheitshalber zugleich zu den außerordentlichen Exempla; Ebd., S. 5–8.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 113113 118.11.20108.11.2010 11:00:4411:00:44 UhrUhr 114 II. Bürgerkrieg und Biblizismus

Traktat kann er an dieser Stelle nicht im Sinn gehabt haben, da Parker keinerlei biblische Exempla anführt. Auch in den Fastenpredigten lassen sich die genann- ten Beispiele nicht finden. Wohl aber waren die angeführten Beispiele von Alex- ander Henderson im Kontext mit dem schottischen Aufstand vorgebracht wor- den.365 Offensichtlich hatte Ferne den Vorwurf Parkers im Hinterkopf, daß biblische Exempla ein äußerst unsicheres und widersprüchliches Fundament für politische Argumente seien. Er erhob daher den Anspruch, daß sich seine eigene Argumen- tation nicht auf Bibelexempla allein gründe, sondern auf „Precept, Conclusions, Resolutions, which are more safe“.366 Gleichwohl greift Ferne in seinem Traktat wiederholt auf klassische Exempla zurück. Die Unrechtmäßigkeit jedweden Wi- derstands gegen die Obrigkeit belegt Ferne mit einem Hinweis auf die Rotte Corah (Num 16,3) und mit der Schilderung der Folgen einer Königsherrschaft des Propheten Samuel vor dem Volk Israel (1 Sam 8, 11–18). Mit Num 10 nutzt Ferne dann ein eher ungewöhnliches Beispiel, um darzulegen, daß das Parlament seine Rechte als Versammlung nur der Einberufung durch den König zu verdan- ken habe. Die zwei Trompeten, die Mose im Auftrag Gottes herstellen ließ und dann dazu nutzte, das Volk zusammenzurufen, legte bereits Lancelot Andrewes in einer Predigt im Jahre 1606 auf diese Weise aus; die Annahme liegt nahe, daß diese Predigt Ferne in seiner Schrift als Muster diente.367 Ein Gemeinplatz der Obrigkeitsdiskussion war hingegen die Verschonung des Königs Saul durch David, seinen designierten Nachfolger (1 Sam 26,9), der Saul trotz dessen fort- gesetzter Versuche, ihm nach dem Leben zu trachten, unversehrt ließ mit den Worten: „Who can stretch out his hand against the Lords anointed and be guilt- lesse?“368 Es steht für Ferne außer Frage, daß die Könige von Gott gesandt seien. Aller- dings habe sich der Modus geändert, durch den die Könige von Gott jeweils be- stimmt wurden. Ferne greift hier Parkers Argument auf, das Königsrecht im Al- ten Testament habe keine Aussagekraft mehr, da die Könige Israels von Gott be- stimmt worden seien, die Könige Englands indes ihr Amt dem Volk verdankten. Zwar konzidiert Ferne, daß Mose, die Richter Israels, Saul, David und die weite- ren Könige unmittelbar von Gott zur Herrschaft auserwählt worden seien, die englischen Herrscher jedoch nicht. Allerdings wirke Gott Ferne zufolge in neue- rer Zeit mittelbar auf die Auswahl der Herrscher ein, indem seine Vorsehung das Verfahren der Herrschaftsnachfolge beeinflusse, sei es durch Wahl, Erbfolge oder Eroberung.369 Gott bleibt also bei Ferne die entscheidende Legitimationsinstanz des Königtums. Außerdem betont er, daß in England allein die Erbfolge über die Königsherrschaft entscheide. Dem Volk spricht Ferne Mitwirkungsrechte daher

365 S. o. Kap. II 1d. 366 Ferne, Resolving of Conscience, S. 8. 367 S. u. S. 274 f. 368 Ferne, Resolving of Conscience, S. 9. 369 Ebd., S. 17 f.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 114114 118.11.20108.11.2010 11:00:4411:00:44 UhrUhr 2. England im Kampf gegen den Antichristen 115

ausdrücklich ab. Hierfür dient ihm neben seiner aus der Bibel gespeisten Inter- pretation auch ein Hinweis darauf, daß England gleich mehrfach durch Erobe- rung den Herrscher gewechselt habe, was ursprüngliche Mitwirkungsrechte des Volkes an der Königsherrschaft, sollte es sie denn jemals gegeben haben, ohnehin zunichte gemacht hätte.370 Dieser kurze Ausflug in das Reich der Geschichte als Argument stellt aber die Ausnahme dar. Vielmehr bemüht sich Ferne darum, konkurrierende Argumentationsreservoirs neben der Bibel als illegitim auszu- schließen. Insbesondere der Bezug auf Ciceros Leitsatz, „salus populi suprema lex“, gilt ihm als ein Leitsatz römischer Provenienz, mit dem bereits Päpste sich ein Recht auf die Absetzung von Königen zugeschrieben hätten. Bei allen Unterschieden griffen sowohl Henry Parker als auch Henry Ferne in einem Punkt auf dieselbe Diskursstrategie zurück. Beiden ging es in ihren Trakta- ten nicht nur um die jeweils verfochtene politische Position – z. B. für oder gegen den Aufbau einer nur dem Parlament unterstellten Miliz. Ebenso ging es beiden Autoren auch darum, die politische Sprache zu bestimmen, in der der Streit je- weils ausgetragen werden sollte: War für Henry Parker auf der Grundlage des civic humanism die salus populi die höchste politische Norm, an der der König gemessen werden sollte, führte Ferne mit den Mitteln des Biblizismus das divine law ins Feld.371 Vor dem Hintergrund der beiden hier vorgestellten Traktate von Parker und Ferne könnte man vermuten, daß ein klarer Zusammenhang zwischen der vertre- tenen politischen Position einerseits und der dabei benutzten politischen Sprache andererseits besteht. Ebenso könnte man annehmen, daß die Profession des Au- tors wesentlich darüber entschied, in welcher politischen Sprache er seine Agenda jeweils vortrug, daß der Biblizismus daher die politische Sprache der Theologen war. Beide Annahmen erweisen sich jedoch schnell als unzulässige Vereinfachun- gen, wie sich an zwei weiteren Protagonisten dieser Debatte erkennen läßt. Zunächst soll ein weiterer Kontrahent Parkers zu Wort kommen, der Jurist und royalistische Autor Dudley Diggs.372 In Darstellungen zur politischen Kon- troverse zur Zeit des Bürgerkrieges hat er vor allem als „geistiger Vorläufer“ von Thomas Hobbes eine gewisse Prominenz.373 In der Tat genießt bei Diggs der Schutz des Volkes durch den Monarchen den höchsten Stellenwert, zeigt er sich als scharfer Kritiker eines idealisierten Naturzustands freier Menschen und deutet den Herrschaftsvertrag als einen irreversiblen Akt der vollständigen Übertragung

370 Ebd., S. 19. 371 Vgl. hierzu auch Mendle, Henry Parker, S. 101. 372 Nicht zu verwechseln mit seinem Vater, dem berühmten Common-Law-Richter Sir Dudley Digges; vgl. David Stoker, Dudley Digges (1613–1643), in: ODNB 16 (2004), S. 168 f.; vgl. zu Digges ferner John Sanderson, ‚But the People’s Creatures‘. The Philosophical Basis of the English Civil War, Manchester/New York 1989, S. 73–85. 373 Mark Goldie, Absolutismus, Parlamentarismus und Revolution in England, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen, hrsg. v. Iring Fetscher/Herfried Münkler, Bd. 3: Neuzeit: Von den Konfessionskriegen bis zur Aufklärung, München 1985, S. 316 f.; Richard Tuck, Power and Authority in Seventeenth Century England, in: HJ 17 (1974), S. 43–61, hier S. 43.

0029-12429-124 Kap.2Kap.2 Pecar.inddPecar.indd 115115 118.11.20108.11.2010 11:00:4411:00:44 UhrUhr 116 II. Bürgerkrieg und Biblizismus

der Herrschaftsgewalt des Volkes auf den Monarchen, was Hobbes’ Konzeption von der Einsetzung des Leviathan zumindest nahekommt.374 Da Diggs ferner darum bemüht ist, die Argumentation Parkers Punkt für Punkt zurückzuweisen, greift er auf dieselbe Argumentationsgrundlage zurück wie sein Kontrahent, kreist sein Traktat also ebenfalls ausführlich um die von Parker angeführten Lehr- sätze antiker Staatsphilosophie, deren Interpretation allerdings deutlich von Par- kers Lesart abweicht. Seine prinzipielle Verteidigung der Königsgewalt nimmt allerdings direkt auf den Willen Gottes Bezug. So besteht für Diggs kein Zweifel daran, daß die Mon- archie unter allen Herrschaftsformen die größte Legitimität beanspruchen könne, da sie direkt von Gott gestiftet worden sei. Alle anderen Staatsformen seien dage- gen Menschenwerk.375 Die Monarchie entspringe zwar nicht unmittelbar der pa- triarchalen Gewalt, wie sie bereits von Adam selbst und seinen Nachfolgern aus- geübt worden war, wohl aber sei sie am nächsten mit ihr verwandt und allein da- her durch die Schöpfung, d. h. von Gott und Natur, legitimiert.376 Paulus’ Diktum in Römer 13 vom schuldigen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit um des Seelen- heils willen sei Diggs zufolge keineswegs Legitimationsgrundlage für alle Obrig- keiten und Magistrate gleichermaßen, sondern in einer Monarchie allein auf den König bezogen.377 Obwohl Diggs kein Theologe war, gründete er die Monarchie fest auf dem Fundament biblischer Aussagen über Monarchie und Herrschaft. Fand der Jurist Diggs in biblischen Texten die beste Legitimationsgrundlage für die Monarchie, so war es bei dem Theologen Charles Herle, einem englischen Presbyterianer und engen Verbündeten von Henry Parker, genau umgekehrt. Obwohl Herle ein Theologe war, argumentierte er ganz in verfassungsrechtlichen Kategorien.378 Sein Traktat war ein Widerspruch zum Widerspruch von Henry Ferne gegen Henry Parkers Observations. Herle attackierte insbesondere den Schriftgebrauch Fernes sowie dessen Interpretation biblischer Exempla.379 Auch

374 Dudley Diggs, An Answer to a Printed Book, Intituled, Observations upon some of His Maiesties Late Answers and Expresses, Oxford 1642, S. 2–5. Vgl. ferner [Dudley Diggs], The Unlawfulnesse of Subjects Taking up Armes against Their Soveraigne in what Case Soever, London 1643, S. 63: „nemo habet, quod dedit“. Diggs macht jedoch zugleich deutlich, daß seine Auffassungen zum Herrschaftsvertrag Vernunftüberlegungen sind, aber kein Kommen- tar zur Frage nach der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des englischen Parlaments qua Verfas- sung; Diggs, Answer, S. 2. 375 Diggs, Answer, S. 4: „to look back to the Originall of Governments, we might finde that God was the immediate donor of Regall power, whereas other formes referre to him, onely as confirming the peoples Act.“ 376 Ebd., S. 5. 377 Ebd., S. 1 und 45. 378 So auch Charles Herle, An Answer to Doctor Fernes Reply…, London 1643, S. 2: „the laws of the Land, and not Divinity were the proper judge in this controversie“. Und weiter: „Divinitie gives onely generall rules of obedience to all lawfull authority tels us not where that authority is, as in its adaequat subject“ (S. 3); vgl. auch Mendle, Henry Parker, S. 98. 379 [Herle], A Fuller Answer to the Moderatour, [London] 1643, S. 21: „but we make no use of them [den biblischen Beispielen zur Rechtfertigung von Widerstand gegen die Königsgewalt], need them not, and therefore need not answer the Doctors refutation of them“.

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prangerte er ähnlich wie Parker die Korruption der Schrift durch die Apologeten des jure divino Königtums an, wodurch die Verwendung biblischer Exempla im politischen Diskurs für ihn insgesamt diskreditiert sei.380 Selbst Römer 13 sei kein passendes Exempel für die in England zur Debatte stehenden Fragen. Zum einen habe Paulus seine Sätze an die römische Gemeinde der Frühen Kaiserzeit gerich- tet, deren Kontext sich mit den politischen Verhältnissen Englands nicht mehr vergleichen lasse. Zum anderen erstrecke sich das Gehorsamsgebot in Römer 13 nicht nur im besonderen auf die Königsgewalt, sondern auf alle Obrigkeiten gleichermaßen. Das Parlament könne daher aufgrund von Römer 13 genausoviel Loyalität einfordern wie der König selbst.381 Andere Parker wohl gesonnene Theologen hatten wiederum kein Problem da- mit, Fernes Argumentation auf der Grundlage der von ihm benutzten Sprache des Biblizismus zurückzuweisen. So listet beispielsweise Jeremiah Burroughs sämtliche von Ferne genannten biblischen Exempla einzeln auf und stellt Fernes Deutung seine eigene Interpretation entgegen.382 Dabei können seine Entgegnun- gen ebensowenig Originalität beanspruchen wie Fernes Deutung der meist klas- sischen Exempla zur Königsherrschaft. Originell wird Burroughs erst am Ende seines Traktats, wo er sich nicht mehr darauf beschränkt, Fernes Bibelauslegung zu verwerfen, sondern statt dessen das militärische Engagement des Parlaments gegen den König dadurch rechtfertigt, daß er es einbettet in die Heilsgeschichte. Sein Ausgangspunkt ist zunächst noch wenig spektakulär: Frieden sei nur dann erstrebenswert, so Burroughs, wenn es ein Friede unter Rechtgläubigen sei, nicht aber ein Frieden mit den Mächten der Finsternis.383 Allerdings sah Burroughs die Endzeit angebrochen und den entscheidenden Kampf mit dem Antichristen be- reits im Gange. Dieser Kampf sei aber Burroughs zufolge eine Aufgabe des Vol- kes.384 Anhand von Offb 18,2–9 sieht er die Könige für die Durchführung des göttlichen Auftrags zur Vernichtung des Antichristen als eher hinderlich an, da diese mit der Hure Babylon Unzucht getrieben hätten und daher deren Unter- gang und Zerstörung eher bedauerten, als sich selbst an diesem Gotteswerk zu beteiligen.385

380 [Herle], A Fuller Answer, S. 6 f. 381 [Herle], A Fuller Answer, S. 21. So auch seine Auslegung von Ps 82,6. („Ihr seid Göt- ter…“). 382 Jeremiah Burroughs, A Briefe Answer to Doctor Fernes Booke, Tending to Resolve Con- science, about the Subjects Taking up of Arms, [London 1643]. 383 Ebd., S. 13. 384 Ebd., S. 14: „There is a necessitie that in these times peoples Consciences should be further satisfied in their liberties in this case then formerly, because the time is (we hope) at hand for the pulling down of Antichrist, and we find by Scripture this work at first will be by the people.“ 385 Ebd., S. 14. Vgl. dagegen die Erwiderung von Diggs, Unlawfulnesse, S. 110 f., in der er darauf insistiert, daß es die Könige selbst seien, denen in der Offenbarung die Rolle zugebilligt wer- de, die Zerstörer des Antichristen zu sein (Offb 17,16–17). Da der Untergang Babylons sich ohnehin ereignen werde, sei es falsch, hier eine aktive Haltung einnehmen zu wollen und da- für schwere Sünden auf sich zu laden.

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Folgt man Burroughs’ Interpretation, so hatten die Parlamentstruppen auf dem Schlachtfeld nicht die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments zu verteidigen, sondern in göttlichem Auftrag den Antichristen zu besiegen. Zwar steht auch für Burroughs die salus populi an erster Stelle. Statt der Bewahrung der Freiheit und der Vermeidung der Sklaverei lautet für Burroughs das Ziel des Kampfes das See- lenheil der Kombattanten und die endgültige Vernichtung des Teufels sowie all seiner Fürsprecher. Und da die Könige – und mit ihnen Karl I. – die Gesellschaft mit der Hure Babylon nicht gemieden hätten, seien sie zusammen mit ihren Mit- streitern ebenfalls zu den Fürsprechern des Teufels zu zählen und daher zu be- kämpfen. Burroughs nimmt hier Anleihen am Drehbuch, das in den Fastenpre- digten vor dem Parlament allmonatlich zur Aufführung gelangte. In den Fasten- predigten blieb der politische Kontext des Gesagten jedoch stets unausgesprochen. Burroughs baut hier allerdings den heilsgeschichtlichen Moment der endgültigen Vernichtung des Antichristen in seine Argumentation über die Grenzen der Kö- nigsgewalt ein und ermächtigt damit das Parlament zur Übernahme der politi- schen Führungsrolle. Die in zahlreichen Fastenpredigten implizite Botschaft wird von Borroughs in seinem Traktat als zwangsläufige politische Konsequenz offen ausgesprochen. Diese neue Qualität antimonarchischer Agitation hängt wesentlich mit dem Kontext der Schrift zusammen. Burroughs verfaßte seinen Traktat, nachdem bei- de Seiten bereits die Waffen sprechen ließen. Es ging daher nun darum, die Legi- timität militärischen Widerstands gegen den König zu beweisen. Ein solches Ziel verfolgt auch John Goodwin mit seinem Traktat Anti-Cavalierisme. Das Parla- ment befinde sich im Kampf mit der „Legion of Devils“, wie Goodwin die könig- lichen Truppen nennt.386 Er betont mehrfach, daß der Griff zu den Waffen auf Seiten des Parlaments ein rechtmäßiger und geradezu notwendiger Schritt sei, der sich zwingend aus dem Gesetz Gottes ergebe.387 Goodwin gibt zunächst klassi- sche Positionen des Widerstandsrechts wieder, um den Kampf gegen Karl I. zu begründen. So sei die Monarchie keine Einrichtung Gottes, sondern Menschen- werk. Auch hätten Könige nur Anspruch auf Herrschaftsgewalt in den Grenzen des Rechts. Als Aufsichtsgewalt über die Königsherrschaft dienten die niederen Magistrate, im englischen Fall wohl das Parlament. Diese Magistrate könnten für sich das Gehorsamsgebot von Röm 13 in gleicher Weise in Anspruch nehmen wie der König.388 Mit Elias gegen Ahab und David gegen Saul bedient sich Goodwin ebenfalls langerprobter Klassiker des Widerstandsdiskurses.389 Zusätzlich zum Widerstandsrecht bemüht Goodwin aber auch die nahende Endzeit zur Rechtfertigung des Kampfes. Der Moment sei gekommen, so Good-

386 John Goodwin, Anti-Cavalierisme, or, Truth pleading as well the Necessity, as the Lawful- ness of this Present War for the Suppressing of that Butcherly Brood of Cavaliering Incendi- aries, London [1642], S. 2. 387 Ebd., S. 3–6 passim. 388 Ebd., S. 7–10. 389 Ebd., S. 11–16.

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win, wo der Antichrist erkannt wird und dessen Vernichtung naht. Dieses Werk habe das gemeine Volk zu erbringen, gegen den Willen und gegen den Befehl ih- rer Könige, die sich mit der Hure Babylon eingelassen hätten und deren Unter- gang daher zu verhindern suchten.390 Goodwin gesteht zwar zu, daß in der Of- fenbarung 17,16–17 die Rede davon ist, daß die zehn Könige selbst die Vernich- tung Babylons ins Werk setzen werden. Er sieht damit jedoch nicht die Könige persönlich angesprochen, sondern die Königreiche in ihrer Gesamtheit, also die Bevölkerung als Ganzes.391 Auch hier wird eine Position, wie sie bereits 1641 in der Fastenpredigt A Glimpse of Sions Glory vertreten wurde, nun zur konkreten Rechtfertigung des Kampfes gegen Karl I. dienstbar gemacht. Die in der Debatte um monarchische Herrschaftsrechte und das Recht des Vol- kes auf Widerstand vorgebrachten biblizistischen Argumente hatten bereits alle- samt topische Qualität. Ein gewisser Neuigkeitswert kann allenfalls der politi- schen Interpretation der Offenbarung und der dabei gewonnenen Aussage zu- gesprochen werden, daß nicht die Könige, sondern das Volk den Kampf mit den Repräsentanten des Antichristen zu führen hätte.392 Es kam in dieser Deutung offenkundig darauf an, dem Königtum die heilsgeschichtliche Legitimation abzu- sprechen und für das Parlament zu reklamieren. Die sich daraus ergebenden Kon- sequenzen für die Königslegitimation waren erheblich. Es verwundert daher nicht, daß die Befürworter der Krongewalt diese Auslegung der Offenbarung so- fort als Mißbrauch der Schrift brandmarkten und ihrerseits darauf beharrten, daß es in der Prophezeiung des Untergangs Babylons den Königen allein auferlegt sei, das Untier zu vernichten, wie beispielsweise Diggs entschieden betont. Diggs spricht außerdem dem apokalyptischen Argument jegliche politische Dringlich- keit ab. Da der Fall Babylons eine Tatsache sei, die allein in Gottes Hand liege, sei keinerlei Aktivismus nötig, ließe sich mit ihm ein Widerstand gegen den König nicht rechtfertigen.393 Die Parker-Kontroverse, die mit Henry Parkers auf antiken Legitimationsfor- meln beruhenden Ideen in den Observations ihren Anfang nahm, hatte sich im Laufe nur eines Jahres zu einem generellen polemischen Meinungskampf ausge- weitet, der in allen verfügbaren politischen Sprachen gleichermaßen ausgetragen wurde. Die auf antike Staatsphilosophie und römischem Recht fußenden Elemen- te in diesen pamphlet wars hat Quentin Skinner mustergültig dargelegt. Die vom Parlament vorgenommene Verurteilung von Henry Fernes weitgehend biblizi- stisch argumentierendem Traktat gegen Parker dokumentiert jedoch, daß das Par- lament einer politischen Argumentation, die zumindest den Anschein erweckte, sich auf die Heilige Schrift zu gründen, große Aufmerksamkeit entgegenbrachte.

390 Ebd., S. 31 f. 391 Ebd., S. 32 f. 392 Diese Deutung findet sich allerdings bereits bei Thomas Scott, allerdings noch ohne direkten Bezug auf die sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen; s. u. Kap. VI 2d. 393 Diggs, Unlawfulnesse, S. 110 f., unter ausdrücklicher Berufung auf die von Goodwin und Burroughs vorgelegte Deutung.

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Berücksichtigt man ferner die zahlreichen Argumente, die sich in dieser Ausein- andersetzung aus anderen Autoritätsquellen speisten, so fällt es schwer, Skinners These zu teilen, das Parlament hätte die Auseinandersetzung mit dem König vor- nehmlich mit dem Slogan gerechtfertigt, die Versklavung des Volkes zu verhin- dern.394 Als das Parlament sich vor die Notwendigkeit gestellt sah, dem König sein Ve- torecht gegen Entscheidungen des Parlaments abzusprechen, obwohl es sich hier- bei um einen festen Bestandteil des traditionellen Verfassungsgefüges handelte, war die Unterscheidung zwischen einer freien englischen Nation und einer ent- mündigten Sklavenherde ein willkommener Notanker, um die Überschreitung der parlamentarischen Befugnisse damit zu legitimieren. In der sich daran an- schließenden Generaldebatte um die Legitimation der Königsherrschaft war das Sklavenargument jedoch nur ein Argument unter vielen. Und es waren nicht nur die Königsbefürworter, die unter Rückgriff auf die Heilige Schrift die von Gott eingesetzte Königsherrschaft propagierten. Unter den Verteidigern der Sache des Parlaments war der Kampf gegen den Antichristen ein Argument, das mindestens ebenso zur Mobilisierung der eigenen Anhänger beigetragen hatte. Die Mosaische Unterscheidung trug ebenso zur Deutung und Bewertung der politischen Lage in England vor Ausbruch des Bürgerkrieges bei wie die Unterscheidung zwischen Freien und Sklaven.

3. Zwischenergebnis: Biblizismus und Bürgerkrieg

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“.395 Dieses Diktum Carl Schmitts macht deutlich, worum in Schottland und England in den Jahren 1637 bis 1643 gerungen wurde: um das Recht, die etablierte Herrschaftsordnung unter Bezug auf höchste Normen in einer spezifischen politischen Situation zu suspendieren. Dieses Recht nahmen die schottischen Covenanters für sich in An- spruch, als sie die Kirchenpolitik der Stuarts annullierten und die Bischofskirche durch eine rein presbyterianische Kirchenstruktur ersetzten, und in England be- diente sich das Long Parliament des Notstandsarguments, als es eine nur dem Parlament unterstellte Miliz auszuheben begann. Ungeachtet dieser Parallele werden in der historischen Forschung für den Aus- bruch des Bürgerkrieges in Schottland und in England unterschiedliche Gründe genannt. Während es im schottischen Fall ziemlich eindeutig die Religion gewe- sen sein dürfte, die das Handeln der Akteure wesentlich bestimmte, spielten im englischen Falle konstitutionelle Belange, insbesondere das Verhältnis von König und Parlament, eine mindestens ebenso entscheidende Rolle wie Bekenntnisfra- gen. Es soll an dieser Stelle nicht der Versuch unternommen werden, die Debatte

394 Skinner, Classical Liberty, S. 28. 395 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, ND der 1934 erschienenen 2. Aufl. Berlin 1993, S. 11.

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um die Ursachen des englischen Bürgerkrieges um eine weitere Position zu berei- chern. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß auf der Ebene der politischen Legiti- mationsrhetorik – trotz der unterschiedlichen Ursachen der beiden Rebellionen gegen Karl I. und trotz der teilweise divergierenden Intentionen der Akteure – die Gemeinsamkeiten klar überwiegen, zumindest sofern diese Legitimation in der politischen Sprache des Biblizismus erfolgte. Es hat sich gezeigt, daß sowohl in Schottland als auch in England der Biblizismus einen entscheidenden Beitrag leistete, um diese folgenreichen politischen Akte zu rechtfertigen: Er ermöglichte erstens bestimmten Sprechern, unmittelbar oder verschlüsselt politische Aussagen zu tätigen, ohne entsprechende politische Ämter innezuha- ben, die solche Sprechakte legitimierten. Zwar war der protestantische Klerus qua Amt zur Schriftauslegung berufen und hatte daher stets die Möglichkeit, diese Kompetenz auch zur Kommentierung der zeitgenössischen Politik zu nutzen, sei es in Form der Allegorie, sei es in Form von Mahnreden. Das Alte Testament lieferte in Gestalt der Propheten jedoch ein Vorbild für eine weit bedeutendere Sprecherrolle: Propheten bezogen ihre Legitimation aus dem direkten Verhältnis zu Gott und immunisierten sich damit gegen die Notwendigkeit der Rechtferti- gung vor weltlichen Autoritäten. Eine solche Sprecherrolle beanspruchten zahl- reiche prominente Kritiker der königlichen Kirchenpolitik wie George Gillespie in Schottland und Henry Burton in England. Mit ihren Sprechakten stellten sie sich außerhalb der etablierten Kirchenhierarchie und leugneten die Jurisdiktions- gewalt der Bischöfe. Die notwendige Autorität für diese Haltung bezogen sie aus ihrer Auslegung der Bibel, die sie der offiziellen Religionspolitik entgegensetzten. Mit „ihren Wertungen und Interventionen in der Politik wirkten sie an der Defi- nition und Durchsetzung ‚legitimer‘ Weltsicht mit“.396 Der Biblizismus lieferte den Sprechern zweitens die normativen Kategorien, an denen die Legitimität politischer Entscheidungen und im weiteren Ablauf der Er- eignisse zunehmend auch die Legitimität der Entscheidungsträger gemessen wur- de. Der verbindliche Referenzrahmen war dabei stets die lex dei. Das moralische Gesetz Gottes war die oberste Richtschnur, zu der sowohl der König als auch seine Politik in einem dienenden Verhältnis zu stehen hatten. Die Monarchie be- zog in dieser Konzeption ihre ganze Legitimation nur in ihrer Rolle als Mani- festation einer Theokratie. Kollidierte die Politik des Königs mit den Normen Gottes, stand seine politische Legitimation auf dem Prüfstand. Sofern namhafte Sprecher daher die Diskrepanz zwischen den Normen der lex dei und der Reli- gionspolitik Karls I. anprangerten, war eine Rechtfertigung gegeben, dem König den Gehorsam zu verweigern. Wie gezeigt werden konnte, mangelte es an sol-

396 So Ingrid Gilcher-Holtey treffend über die Rolle der Intellektuellen in der Moderne, eine Feststellung, die sich auch auf die Geistlichen der Frühen Neuzeit übertragen läßt; vgl. In- grid Gilcher-Holtey, Eingreifendes Denken. Die Wirkungschancen von Intellektuellen, Weilerswist 2007, S. 7. Vgl. hierzu auch Pierre Bourdieu, Mit Weber gegen Weber. Pierre Bourdieu im Gespräch, in: Ders., Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgesche- hens, Konstanz 2000, S. 111–130.

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chen Äußerungen in den Jahren vor Ausbruch des Bürgerkrieges weder in Schott- land noch in England. Fanden die Sprecher für diese Haltung bei einflußreichen politischen Akteuren Resonanz, sei es bei den schottischen Covenanters oder aber bei den Mitgliedern des Long Parliament, war die Herrschaft Karls I. auf längere Sicht in Frage gestellt. Neben der prinzipiellen Norm des moralischen Gesetzes Gottes stellte der Bi- blizismus drittens auch normative Beispiele bereit, die den politischen Akteuren als Vorbild für deren eigenes Handeln präsentiert wurden bzw. als Mahnung die- nen sollten, um bestimmte politische Optionen auszuschließen. Insbesondere bei den Fastenpredigten vor dem Unterhaus präsentierten die Prediger den Abgeord- neten wiederholt Beispiele, in denen der unbedingte Eifer für das Gesetz als ober- ste Handlungsmaxime angepriesen wurde: Pinhas war hier das positive Vorbild, die Stadt Meroz und ihr Schicksal diente der Abschreckung. In beiden Fällen geht es um die gleiche Botschaft: Verlangt wurde von den Parlamentariern nicht allein passive Gesetzestreue, sondern aktiver Einsatz für den im Gesetz offenbarten Willen Gottes. Gemessen wurde das Verhalten der Abgeordneten auch und gera- de an der Intensität ihres Einsatzes. Mit dem biblisch hergeleiteten Vorbild des Eiferers wird den Mitgliedern der beiden Kammern in religionspolitischen Belangen nicht nur jeglicher Weg zum Ausgleich und zur Neutralität verbaut. Ihr Eifer bemaß sich in der Logik dieser Exempla gerade an ihrer Bereitschaft, sich zur Durchsetzung der Normen Gottes über bestehende Schranken hinwegzusetzen. Standen parlamentarischen Anliegen wie dem Aufbau einer eigenen Miliz zum Kampf gegen die aufständischen Ka- tholiken in Irland, die unter dem Gesichtspunkt der Treue zur lex dei notwendig erschienen, konstitutionelle Schranken wie das Veto des Königs im Weg, so be- maß sich der Willen der Parlametarier zur Gottestreue an ihrer Bereitschaft, die Gesetzmäßigkeiten der Entscheidungsfindung beiseitezuwischen und dafür den Bürgerkrieg in England in Kauf zu nehmen. Mit diesen drei Elementen – einer emphatisch aufgeladenen Sprecherrolle au- ßerhalb bestehender Amtshierarchien, einer die Gesetze des Landes übersteigen- den normativen Richtgröße in Gestalt der lex dei und dem Maßstab der Unbe- dingtheit bei der Durchsetzung der eigenen religionspolitischen Ziele – stellte der Biblizismus alle notwendigen Kategorien, um einen Ausnahmezustand zu kon- statieren und die Akteure mit klaren Verhaltensregeln auszustatten. Weitere Bau- steine wie die apokalyptische Zuspitzung der Entscheidungssituation konnten hinzukommen, waren aber nicht zwingend notwendig, um im Namen der Herr- schaft Gottes die Herrschaft des Königs in Frage zu stellen. Der Biblizismus stellte bereits eine hinreichende Bedingung zur Ausrufung des „Ausnahmezustands“ und damit zur Rechtfertigung des Bürgerkrieges dar. Gleichwohl bedienten sich die Befürworter einer Erhebung gegen Karl I. weder in Schottland noch in England ausschließlich der Sprache des Biblizismus. Viel- mehr fand im Zusammenhang mit der drohenden Auseinandersetzung mit dem König in beiden Ländern eine Ausweitung der politischen Argumente statt. Ne- ben die notwendige Treue zur lex dei und die damit verbundene Berufung auf

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Gott trat sowohl beim Schotten Alexander Henderson als auch beim Engländer Henry Parker die Berufung auf das „Volk“ und die salus populi als konstitutives Element und Endzweck jeglicher politischer Herrschaft. Speiste sich das erste Ar- gument aus dem Biblizismus, entstammte das letztere Argument der antiken Staatsphilosophie und damit dem civic humanism. Und war in der Logik des lex-dei-Arguments Monarchie nur als Verwirklichung der Theokratie zu recht- fertigen, so war die Königsherrschaft in der Logik des salus-populi-Gedankens letztlich nur mehr die Umsetzung der im Parlament vollzogenen politischen Wil- lensbildung. In der Debatte über die Königsherrschaft, die den Ausbruch des Bürgerkrieges begleitete, nahmen die Protagonisten zum Verhältnis zwischen Biblizismus und civic humanism die unterschiedlichsten Positionen ein. Unter den Gegnern Karls I. sahen manche Sprecher nur in einer von beiden Sprachen ein legitimes Argumentationsreservoir. So speisten sich die Fastenpredigten fast ausschließlich aus biblizistischen Argumenten, während Parker dem Biblizismus die Rolle einer Autorisierungsinstanz politischer Argumente absprach. Andere Autoren wie die Schotten Henderson und Rutherford strebten hingegen nach einer Symbiose von biblizistischen und antiken staatsphilosophischen Positionen. Wohl nicht zufällig steht für einen solchen Versuch der Symbiose Althusius’ Buch Politica Pate, spei- ste er seine Argumente doch gleichfalls wesentlich aus diesen beiden Traditions- speichern. Die Anwälte des Königs formulierten ihrerseits die Argumente sowohl in der Sprache des Biblizismus als auch mit dem Hinweis auf das in Schottland und England geltende Recht. Sofern biblizistische Argumente bemüht wurden, waren die verwendeten Beispiele und Argumente jedoch gänzlich andere als bei den Kritikern Karls I. Royalisten wie John Corbet, Henry Ferne und John Maxwell diente die lex dei nicht dazu, konkrete Handlungen des Königs zu rechtfertigen, sondern zur prinzipiellen naturrechtlichen Untermauerung seiner Herrschafts- stellung. Es war die Königsherrschaft allgemein, die direkt von Gott hergeleitet wurde und deren Ausübung sich aufgrund einer königsfreundlichen Auslegung von Römer 13 jeglicher Kritik seitens der Untertanen entzog. Zwar leugneten die Anwälte des Monarchen nicht prinzipiell die Möglichkeit einer Diskrepanz zwi- schen den Normen des Gesetzes Gottes und den Handlungen des Königs. Wohl aber schlossen sie aus, daß dies irgendwelche Konsequenzen für die Gehorsams- pflicht der Untertanen nach sich zog. Sollte die Königsherrschaft entarten, so sei sie gleichwohl Teil der Heilsgeschichte und als Gottesstrafe für die Sünden des Volkes klaglos zu ertragen.

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