Problemstellung

Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut - Aktuell für Internationale Politik und Sicherheit SWP

Kein Frühling in Politischer Stillstand ist die Ursache für anhaltende Unruhen Guido Steinberg

Vor und nach dem zweiten Jahrestag des Beginns der Proteste vom Februar und März 2011 kam es in Bahrain zu schweren Unruhen. Ein Anlass war, dass kurz zuvor ein Gericht die mehrheitlich lebenslangen Haftstrafen gegen 13 Führer der blutig nieder- geschlagenen Proteste bestätigt hatte. Dass sich Anfang Februar 2013 Vertreter von Regierung und Opposition zum Dialog getroffen hatten, konnte die Lage nicht beru- higen. Die Ereignisse sind eher ein Beleg dafür, dass die Regierung in auf Repression vertraut, während sie ihren internationalen Partnern versichert, auf Dialog und Reformen zu setzen. Zwar drängen die USA Manama dazu, ernsthafte Reformen einzuleiten, doch steht dem entgegen, dass Saudi-Arabien die Reformgegner wirksam unterstützt. Die USA, Europa und Deutschland sollten Bahrain und Saudi-Arabien ent- schiedener zu einem Politikwechsel auffordern. Wollen sie am Golf glaubwürdig sein, müssen sie überdies ihre Waffenverkäufe an diese Staaten begrenzen. Die Belieferung Saudi-Arabiens mit Leopard-Panzern, die für die Aufstandsbekämpfung konzipiert sind, verträgt sich nicht mit Bemühungen um eine friedliche Konfliktlösung in Bahrain.

Bei den Mitte Februar 2013 in Bahrain wicklung, in der auf Seiten der Regierung zwischen schiitischen jungen Männern und die Verfechter des autoritären Sicherheits- Sicherheitskräften ausgefochtenen Straßen- staates die Oberhand gewinnen und kämpfen wurde ein Jugendlicher getötet. die moderaten schiitischen Oppositions- Seit nunmehr zwei Jahren herrschen Un- parteien wegen anhaltender Erfolglosigkeit ruhen in den schiitischen Dörfern rund um an Unterstützung verlieren – und sich eben Manama und auf der Insel Sitra. Fast jede deshalb unnachgiebiger zeigen, als dies Nacht kommt es zu Straßenschlachten, bei ihrer Überzeugung entspricht. denen in der »Bewegung des 14. Februar« lose miteinander vernetzte Jugendliche Sicherheitskräfte mit Molotow-Cocktails Frühling in Bahrain und Steinen angreifen. Die Polizei reagiert Am 14. Februar 2011 begannen in Bahrain mit Verhaftungen und willkürlichen Haus- Proteste gegen die Politik der Herrscher- durchsuchungen. Dieser Aufstand auf familie Khalifa. Sie waren eine direkte Reak- kleiner Flamme ist das Ergebnis einer Ent- tion auf den Sturz des ägyptischen Präsi-

Dr. Guido Steinberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika SWP-Aktuell 23 März 2013

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denten Hosni Mubarak nur wenige Tage kräften damit die Möglichkeit, sich gänz- zuvor. Die mehrheitlich schiitischen lich der Niederschlagung der Proteste zu Demonstranten – Schiiten stellen zwischen widmen. 50 und 70 Prozent der bahrainischen Bevöl- Am 15. März verhängte König Hamad kerung – forderten eine Verbesserung ihrer b. Isa einen dreimonatigen Ausnahme- Lebensverhältnisse, mehr Arbeitsplätze zustand. Währenddessen räumten Sicher- und die Bekämpfung der in der Herrscher- heitskräfte den Perlenkreisel, wobei sie familie grassierenden Korruption. Außer- wiederum mehrere Demonstranten töteten. dem verlangten sie eine Ausweitung der Im Anschluss daran ließ die Regierung legislativen Kompetenzen der zweiten Kam- das Denkmal zerstören und den Platz weit- mer des Parlaments, eine Korrektur des räumig absperren, um eine Wiederholung Zuschnitts der Wahlkreise, der sunnitische der Proteste an diesem Ort zu unterbinden. Kandidaten begünstigt, und ein Ende der Noch im März benannte sie den Platz in Einbürgerung arabischer und südasiati- Faruq-Kreuzung um, nach dem zweiten scher Sunniten. Einige gingen noch weiter Kalifen Umar b. al-Khattab (reg. 634–644), und forderten den Rücktritt des seit 1971 der den Schiiten als Usurpator gilt und amtierenden Premierministers Khalifa b. besonders verhasst ist. Mit dieser demon- Salman Al Khalifa, der als Anführer der strativen Demütigung der schiitischen Hardliner in der Herrscherfamilie gilt. Bevölkerungsmehrheit ließ die Herrscher- Nach dem Vorbild der ägyptischen Pro- familie keinen Zweifel daran, dass ihr an teste auf dem Kairoer »Tahrir-Platz« ließen einem Ausgleich nicht mehr gelegen war. sich die Demonstranten auf einem großen Dies zeigte sich auch während einer un- Verkehrskreisel nahe des Zentrums von mittelbar nach der Invasion einsetzenden Manama nieder, der nach einem in seiner Verhaftungswelle, die zahlreiche Führungs- Mitte errichteten, von einer perlenförmigen persönlichkeiten der Protestbewegung Kugel gekrönten Denkmal »Pearl Round- erfasste. Sie wurden in anschließenden about« genannt wurde, das als Wahr- Verfahren zu langen Haftstrafen verurteilt. zeichen Manamas galt. Die Herrscher- Insgesamt starben rund 30 Personen wäh- familie reagierte schnell und ließ den Platz rend der Proteste, viele wurden verhaftet am frühen Morgen des 17. Februar gewalt- und brutal gefoltert; andere verloren ihre sam räumen – vier Demonstranten starben. Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. In den folgenden Wochen setzten sich die Demonstranten erneut auf dem Platz fest und es kam mehrfach zu Zusammenstößen, Reform und Revolution während die Opposition zeitgleich mit dem Die Verhärtung der Fronten in Bahrain Kronprinzen Salman b. Hamad Al Khalifa erklärt sich aus der Enttäuschung der verhandelte. Opposition über den Verlauf eines Reform- Anfang März eskalierte die Situation, prozesses, der im Jahr 1999 einsetzte, mit weil einige Demonstranten den Sturz der großen Erwartungen verbunden war, aber Herrscherfamilie forderten, das nahegele- nur wenige greifbare Resultate zeitigte. gene Bankenviertel von Manama blockier- Dieser Prozess begann am 6. März 1999 ten und drohten, zum Palast des Königs mit der Thronbesteigung des damaligen zu marschieren. Daraufhin ersuchte die Emirs (und heutigen Königs) Hamad b. Herrscherfamilie Saudi-Arabien und den Isa (geboren 1950), der umgehend innen- Golfkooperationsrat um Hilfe. Am Mor- politische Reformen einleitete. Nach der gen des 14. März 2011 marschierten saudi- Islamischen Revolution im Iran 1979 arabische und emiratische Truppen in hatten bahrainische schiitische Islamisten Bahrain ein. Sie übernahmen strategische mehrfach versucht, die autoritäre Herr- Schlüsselpositionen in und um Manama schaft der sunnitischen Regentenfamilie zu und boten den bahrainischen Sicherheits- erschüttern. Im Dezember 1981 wurde ein

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mit iranischer Unterstützung geplanter mehrere Forderungen: eine tatsächliche Staatsstreich vereitelt. Das Regime reagierte Gesetzgebungskompetenz für die gewähl- mit verschärfter Repression, die in den te Kammer des Parlaments, einen Neu- 1990er Jahren Anlass gab zu einer Serie von zuschnitt der Wahlkreise, die nach Ansicht Unruhen, die als »bahrainische Intifada« der schiitischen Opposition regimetreue bekannt wurden. Viele schiitische Opposi- sunnitische Kandidaten bevorteilten, und tionelle mussten damals das Land verlassen ein Ende der Einbürgerung von Sunniten oder wurden verhaftet. Hamad b. Isa ord- aus Pakistan, Saudi-Arabien, dem Irak, nete nun am Ende des Jahrzehnts die Frei- Syrien, Jordanien und Jemen. In den Augen lassung der politischen Gefangenen an und der Opposition wollte das Regime mit lud die Exilanten ein, in ihr Heimatland diesen Einbürgerungen die konfessionellen zurückzukehren. Mehrheitsverhältnisse im Land revidieren. Gleichzeitig kündigte der neue Emir Außerdem forderte sie, die wirtschaftliche demokratische Reformen an und gestattete und soziale Diskriminierung der Schiiten die Gründung politischer Vereinigungen. ebenso zu beenden wie die Vernachlässi- Sie durften zwar nicht Parteien genannt gung ihrer Wohngebiete. werden, ähnelten solchen aber doch. Die In den Jahren vor 2011 kam es immer Ankündigungen wurden in einer »Natio- wieder zu vereinzelten Unruhen, die im nalcharta« zusammengefasst, die im August/September 2010 eskalierten. Im Februar 2001 in einem Referendum die Vorfeld der für Oktober angesetzten Par- Zustimmung von mehr als 98 Prozent der lamentswahlen ließ die Regierung rund Wahlberechtigten fand. Die Begeisterung zwei Dutzend Führungspersönlichkeiten der Bevölkerung ließ aber schon 2002 stark der Opposition und etwa 140 ihrer An- nach, als deutlich wurde, dass die Familie hänger verhaften. Sie beschuldigte sie, Khalifa keineswegs bereit war, die Macht einen gewaltsamen Umsturz geplant zu zu teilen und die Diskriminierung der haben. In den folgenden Wochen demon- Schiiten zu beenden. Die 2002 verkündete strierten Jugendliche in den schiitischen neue Verfassung sah zwar die Einrichtung Dörfern rund um Manama; einige Proteste einer zweiten Parlamentskammer vor, eskalierten, als die Demonstranten Polizis- deren Mitglieder das Volk zu wählen hatte. ten angriffen. Ungeachtet dessen fanden Doch sollte parallel der bereits existierende die Wahlen statt. Doch zu diesem Zeitpunkt Konsultativrat, dessen Mitglieder vom lief bereits alles auf die große Konfronta- Herrscher ernannt wurden, als Oberhaus tion von Februar und März 2011 zu. fortbestehen – mit der Vollmacht, Gesetzes- initiativen der gewählten Parlaments- kammer zu blockieren. Auf diese Weise Die schiitische Opposition sicherte sich der von jetzt an »König« Ab 2001 bildeten sich zahlreiche politische genannte Emir von Bahrain faktisch das Vereinigungen, die maßgeblichen Einfluss Recht, sein Veto gegen die Gesetzgebung auf die zehn Jahre später stattfindenden des Parlaments einzulegen. Ereignisse nahmen. Die schon erwähnte Die wichtigste oppositionelle Vereini- wichtigste Oppositionspartei al-Wifaq ver- gung al-Wifaq (deutsch »Konsens«) boy- tritt einen moderaten schiitischen Islamis- kottierte daraufhin die Wahlen vom Okto- mus. Sie fordert weitreichende politische ber 2002. In den nächsten Jahren revidierte Reformen, die auf die Errichtung einer sie diesen Kurs und beteiligte sich an den konstitutionellen Monarchie abzielen. Wahlen von 2006 und 2010, bei denen sie Generalsekretär von al-Wifaq ist der 17 bzw. 18 der 40 Sitze gewann. Unzufrie- charismatische und noch junge Geistliche den mit der mangelnden Implementierung Ali Salman (geboren 1965), der im irani- der ursprünglich viel weitergehenden schen Qom studierte und einer der Führer Reformversprechen von 2001, stellte sie der »bahrainischen Intifada« in den 1990er

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Jahren wurde. Schon kurz nach ihrem Aus- Vorwürfe zurück, ihre Argumente aber bruch musste er Bahrain 1995 verlassen waren nicht frei von Widersprüchen. Zwar und verbrachte die nächsten Jahre im Exil verwehren sich alle gegen die Behauptung, in London. Im März 2001 kehrte er zurück dass sie auf einen islamischen Staat im und fungierte als Führer der im darauf- Sinne der Theorie von der Herrschaft des folgenden November gegründeten Vereini- Rechtsgelehrten hinarbeiten. Doch weisen gung. Die anderen Mitglieder der Führungs- einige zusätzlich darauf hin, dass der schi- spitze von Wifaq sind säkulare Intellek- itische Gläubige seinem Marja‘ at-Taqlid tuelle, die als Parlamentarier der Gruppe nur in religiös-kulturellen Fragen folge und wirkten. Ebenso wie Ali Salman gelten sie die Orientierung an Khamenei nicht poli- als kompromissbereite Pragmatiker, die tisch zu verstehen sei. Andere leugnen, dass sich für strikte Gewaltlosigkeit, Dialog Isa Qasim und die Führung von al-Wifaq zwischen Regime und Opposition und für der Marja‘iya Khameneis folgen. Häufig politische Reformen ausgesprochen haben. beteuern sie, dass sich die Mitglieder der Der spirituelle Führer von Wifaq, Aya- Vereinigung an ganz unterschiedlichen tollah Isa Qasim (geboren 1937), ist gleich- Gelehrten orientieren. Wieder andere wei- zeitig der bedeutendste schiitische Gelehrte chen Fragen zum Thema Marja‘iya aus. Dies des Landes. Er ist vor allem deshalb um- deutet darauf hin, dass al-Wifaq eine öffent- stritten, weil er als geistlicher Vertreter des liche Debatte vermeiden möchte, weil die iranischen Revolutionsführers Ali Khame- Vereinigung sich der potentiellen Spreng- nei in Bahrain gilt. Die meisten Schiiten kraft des Themas durchaus bewusst ist. wählen einen führenden Gelehrten als Abgesehen von der fehlenden Trans- »Quelle der Nachahmung« (arabisch »marja‘ parenz ihrer Haltung zu dieser Frage gibt at-taqlid«) und orientieren sich in ihrem es keine hinreichenden Belege dafür, dass täglichen Leben an dessen Stellungnahmen al-Wifaq eine pro-iranische Agenda verfolgt. zu religiösen und rechtlichen Fragen. Der Ihren öffentlich geltend gemachten Forde- gegenwärtig wichtigste Marja‘ ist der im rungen nach ist die Vereinigung vor allem Irak lebende Iraner Ali as-Sistani, aber auch an der Situation in Bahrain orientiert und Ali Khamenei hat eine große Gefolgschaft. ausgesprochen gemäßigt. Im Laufe des Die bahrainische Regierung bezichtigt Isa Konflikts ist al-Wifaq jedoch dadurch unter Qasim, nicht nur als religiöser, sondern Druck geraten, dass radikalere schiitische auch als politischer Sachwalter Khameneis Gruppen ihren kompromissbereiten Kurs zu fungieren und die Theorie der Herr- scharf kritisierten. Die wichtigste dieser schaft des Rechtsgelehrten (Wilayat al-Fa- Gruppen nennt sich al-Haqq (Die Wahr- qih) zu vertreten. Nach dieser von Revo- heit). Sie hatte sich unter der Führung von lutionsführer Ruhollah Khomeini (1902– Shaikh Hasan Mushaima‘ (geboren 1948) 1989) entwickelten Lehre gilt für die Zeit schon 2005 von al-Wifaq abgespaltet, weil der Abwesenheit des Imam genannten sie die Teilnahme an Wahlen ablehnte. Der Nachfolgers des Propheten Muhammad, Dissens verschärfte sich seit 2011, weil der dass der qualifizierteste Religionsgelehrte Kurs von al-Wifaq offenkundig nicht zu die Herrschaft im islamischen Staat aus- Erfolgen führte. Viele Jugendliche wandten üben müsste. Die Regierung wirft Isa sich daraufhin von ihr ab und organisierten Qasim, Ali Salman und al-Wifaq nicht nur sich selbst. Nicht wenige forderten nun vor, dass sie diese Theorie vertreten und einen Sturz der Herrscherfamilie. Wollten auf die Schaffung eines schiitischen isla- Ali Salman und seine Mitstreiter ihre Posi- mischen Staates in Bahrain hinarbeiten, tion als wichtigste oppositionelle Vereini- sondern darüber hinaus auch als »fünfte gung behaupten, mussten sie sich kompro- Kolonne« Irans agieren. missloser zeigen. Infolgedessen sperrte sich In Interviews mit dem Autor im Dezem- al-Wifaq gegen mehrere Dialogangebote ber 2012 wiesen Vertreter von Wifaq diese der Regierung, bis sie Anfang Februar 2013

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unter großen Vorbehalten dann doch dar- auch der »Minister des Königlichen Hofes«, auf einging. Khalid b. Ahmad Al Khalifa, und dessen Bruder und Oberbefehlshaber des Militärs, Khalifa b. Ahmad. Im Land werden sie nach Die Herrscherfamilie und die einem ihrer Vorfahren »die Khalids« (al-Kha- regimeloyale Opposition walid) genannt und sind in den Augen der Auch auf Seiten der Herrscherfamilie und schiitischen Opposition Inbegriff des dikta- ihrer Unterstützer gaben die Ereignisse torischen Flügels der Herrscherfamilie. Anlass zu heftigen Debatten. Die kompro- Sie profitieren davon, dass sie die Unter- missbereiten Reformer gerieten dabei ab stützung der saudi-arabischen Regierung 2011 immer mehr in die Defensive. Ins- haben, die ebenso wie sie die Bereitschaft besondere ihr prominentester Vertreter in zu einem politischen Ausgleich mit der der Herrscherfamilie, Kronprinz Salman schiitischen Opposition als gefährliches b. Hamad (geboren 1969), verlor gegenüber Zeichen der Schwäche ansieht. Die Un- seinen innerfamiliären Konkurrenten an ruhen von 2011 hatten letzten Endes eine Einfluss. Machtverschiebung zugunsten der Hard- Viele Bahrainis bescheinigen ihrem liner zur Folge. Anfang 2013 war unklar, König Hamad trotz aller Misserfolge bis inwieweit der König und sein Kronprinz heute den Willen, Reformen des politischen überhaupt noch Einfluss auf die Politik der Systems durchzusetzen. Sein Sohn und Regierung hatten. Hält der schwelende Kon- Kronprinz Salman b. Hamad hat in den ver- flikt in der Herrscherfamilie an, ist nicht gangenen Jahren immer wieder den Dialog auszuschließen, dass er Auswirkungen auf mit der Opposition gesucht. Dass er als die Thronfolge haben wird. wichtigster Vertreter des Reformflügels in Die Herrscherfamilie kann sich dabei auf der Herrscherfamilie gilt, hat nicht nur mit zahlreiche regimetreue Sunniten verlassen, seiner Weltläufigkeit, seinen einnehmen- die ebenfalls in politischen Vereinigungen den Umgangsformen und seinem geschlif- wie dem zur Muslimbruderschaft gehören- fenen Englisch zu tun, sondern auch mit den Islamischen Forum (al-Minbar al-Islami) Initiativen wie den »sieben Prinzipien«. und der salafistischen Islamischen Ur- Kurz vor der saudi-arabischen Intervention sprünglichkeit (al-Asala al-Islamiya) orga- im März 2011 präsentierte er diese Prin- nisiert sind. Im Februar 2011 bildete sich zipien, die unter anderem ein gewähltes auch in diesem Lager eine außerparlamen- Parlament mit vollen legislativen Kompe- tarische Bewegung namens »Versammlung tenzen, neue und faire Grenzziehungen der Nationalen Einheit« (Tajammu‘ al-Wah- für die Wahlkreise und Änderungen in der da al-Wataniya) unter der Führung des bahrainischen Einbürgerungspraxis vor- Predigers Abdallatif Al Mahmud. Sie steht sahen. Laut Salman könnten diese Vorschlä- loyal zum Regime der Al Khalifa, fordert ge Gegenstand einer ergebnisoffenen Dis- gleichzeitig aber, dass entschlossener gegen kussion sein. die schiitische Opposition vorgegangen Doch der innerfamiliäre Widerstand wird. Ebenso wie die Regierung wirft sie gegen diese Ideen ist gewachsen. Mächtig- dieser Opposition vor, ein willfähriges ster Hardliner in der Familie ist der Onkel Instrument Teherans zu sein und auf einen des Königs und langjährige Premierminis- Machtwechsel hinzuarbeiten. Im Zuge der ter Khalifa b. Salman (geboren 1935). Er Aktivitäten dieser sunnitischen Gruppen führt seit 1971 die Regierungsgeschäfte des sah sich die Regierung seit 2011 zusehends Landes und galt bereits zu Zeiten von Emir gedrängt, keine Zugeständnisse an die Isa b. Salman (regierte 1961–1999) als Ver- Opposition zu machen. Dies trug nicht fechter eines autoritären Sicherheitsstaates. nur zur Verhärtung der Positionen, son- Zu dem von ihm vertretenen Flügel der Fa- dern auch zu einer Konfessionalisierung milie gehören neben dem Premierminister des Konfliktes bei, die zu Beginn der Pro-

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teste 2011 bei weitem noch nicht so aus- waren. Allerdings scheint es ihr eher darum geprägt war, wie sie es heute ist. gegangen zu sein, dem Druck entgegen- zuwirken, den die USA ausübten, um eine Kompromisslösung herbeizuführen. Kurz Das bahrainische Dilemma der USA nach Beendigung des Ausnahmezustands Die zunehmende Polarisierung der Innen- am 1. Juni 2011 kündigte die Regierung an, politik Bahrains stellt auch die USA als die Ereignisse von Februar und März 2011 wichtigsten Verbündeten Manamas vor ein durch eine unabhängige Kommission auf- Dilemma. Zum einen benötigt das US-Mili- arbeiten zu lassen. Sie berief dafür inter- tär bahrainische Basen zur Aufrechterhal- national anerkannte Völkerstrafrechtler, an tung seiner Präsenz im Persischen Golf der Spitze der ägyptische Jurist Cherif Bas- und ist deshalb auf gute Beziehungen zum siouni (geboren 1937), der unter anderem Regime der Al Khalifa angewiesen. Zum für die UNO Untersuchungen von Kriegs- anderen geraten sie als Verbündeter eben- verbrechen in Bosnien und Libyen geleitet falls in den Fokus, wenn die bahrainische hatte. In ihrem am 23. November 2011 vor- Herrscherfamilie Proteste mit brutaler gelegten Abschlussbericht kritisierte die Gewalt niederschlagen lässt. Kommission die bahrainische Regierung Die Marinebasis in Manama ist heute der scharf und hielt den Sicherheitsbehörden größte amerikanische Flottenstützpunkt vor, bei der Niederschlagung der Proteste in der gesamten Region und wichtigster An- systematisch gefoltert und in überzogenem kerplatz für die Fünfte Flotte. Ohne diesen Maße Gewalt angewendet zu haben. Auch Hafen wäre zurzeit die ständige Präsenz für die von der Regierung behauptete von mindestens einem amerikanischen Rolle Irans fand sie keine Belege. Gleich- Flugzeugträger im Persischen Golf unmög- zeitig verwies die Bassiouni-Kommission lich. Zusätzlich stellt Bahrain den Amerika- auf Gewaltakte der Demonstranten, so dass nern mit der Shaikh Isa Air Base im Süd- beide Seiten sich zumindest teilweise in osten der Insel einen wichtigen Luftwaffen- ihrer Argumentation bestätigt sahen. In stützpunkt zur Verfügung, der in den Krie- jedem Fall führte die Veröffentlichung des gen der letzten Jahre intensiv genutzt wur- Berichts nicht zu einer Annäherung der de. Bahrain setzte im Gegenzug ganz und Positionen. Die Regierung gab einige weit- gar auf den Schutz durch die Supermacht. gehend oberflächliche Reformen bekannt Angesichts dieser schwierigen Ausgangs- und rief zum Dialog auf, setzte parallel lage war die Kritik der Obama-Adminis- aber unbeirrt auf Repression. Dies zeigte tration an dem brutalen Vorgehen des Re- sich in erster Linie in Gerichtsverfahren gimes sehr vorsichtig, was ihr auch teils gegen Oppositionelle, Menschenrechtler heftige Kritik der bahrainischen Opposition und medizinisches Personal: Ein eigens einbrachte. Vertreter der Obama-Adminis- für die Aburteilung von Teilnehmern an tration versuchten das Dilemma aufzulö- den Protesten gebildeter Sondergerichtshof sen, indem sie umso dringlicher politische verhängte teils drakonische Strafen. Reformen einforderten und versuchten, Zwischen März und April 2011 waren die Reformer innerhalb der Herrscher- mehrere führende Oppositionelle verhaftet familie zu stärken. Die US-Regierung mach- und im Juni verurteilt worden, weil sie an- te mehrfach deutlich, dass sie den Kron- geblich »Terrorgruppen begründet hatten, prinzen Salman für diejenige Person hält, um die Monarchie zu stürzen und die Ver- die Bahrains Probleme lösen kann, indem fassung zu ändern«. Es handelte sich mit sie das Land in Richtung einer konstitutio- einer Ausnahme um Schiiten, die als »die nellen Monarchie führt. Bahrain-Dreizehn« bekannt wurden. Zu Die bahrainische Führung reagierte ihnen gehörte der al-Haqq-Führer Hasan mit Maßnahmen, die offenkundig auf die Mushaima‘, über den eine lebenslange Wünsche Washingtons zugeschnitten Gefängnisstrafe verhängt wurde. Noch

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bekannter wurde der schiitische Oppositio- Das kleine Bahrain ist wirtschaftlich nelle und Menschenrechtler Abdalhadi und politisch stark von seinem großen Khawaja, der 2012 mit einem 110-tägigen Nachbarn abhängig. Denn das Öl Bahrains Hungerstreik auf sich aufmerksam machte. ist fast versiegt und bis zu 50 Prozent seines In Berufungsverfahren wurden die harten Budgets stammen aus direkten und indirek- Strafen gegen Oppositionelle bestätigt. ten saudi-arabischen Hilfszahlungen. Dem- Im Anschluss an die Verkündung der entsprechend eng sind die Beziehungen ersten Berufungsurteile im September 2012 zwischen Riad und Manama. Dies gilt ins- eskalierten die Auseinandersetzungen. besondere für konservative Hardliner wie Schon in den Monaten zuvor hatte es den Ministerpräsidenten Khalifa, der mit wiederholt Demonstrationen und fast jede dem 2012 verstorbenen saudi-arabischen Nacht auch Zusammenstöße zwischen Innenminister Naif intensive Kontakte schiitischen Jugendlichen und Sicherheits- pflegte. Wie weit der saudi-arabische Ein- kräften gegeben. Letztere riegelten vor- fluss auf die bahrainische Innenpolitik wiegend von Schiiten besiedelte Dörfer reicht, ist nicht immer deutlich. Jedenfalls rund um Manama ab und gingen mit hatten die Hardliner in der Herrscher- Tränengas, Blendgranaten und Gummi- familie während der seit 2011 andauernden geschossen gegen die Protestierenden vor. Krise die volle Unterstützung Riads. Das Diese setzten sich unter Anwendung zuneh- zeigte sich vor allem an der Intervention mender Gewalt gegen die Polizei zur Wehr. des Golfkooperationsrates, die auf ein Hilfe- Im Oktober und November 2012 nahm die ersuchen aus Bahrain zurückging, das mit Frequenz der Angriffe Jugendlicher rasch Riad abgesprochen war. zu, die immer häufiger die ihnen verhass- Die Führung in Riad scheint die Grenzen ten Polizisten zum Ziel hatten. Bis Anfang für die bahrainischen Reformbemühungen 2013 kamen infolge der Proteste zwischen vorzugeben. Ihr geht es vor allem darum, 80 und 120 Menschen ums Leben – mehr- ein Übergreifen der Proteste auf die eigene, heitlich Demonstranten. von rund 50 Prozent Schiiten besiedelte Im Zuge der Eskalation wurde die US- Ostprovinz zu verhindern. Ebenso wie die Regierung von beiden Seiten heftig kriti- Angehörigen der Familie Khalifa sehen siert. Die bahrainische Regierung wirft ihr die führenden Prinzen der Familie Saud Einmischung in innere Angelegenheiten den revolutionären Iran am Werk, der nach und mangelnde Solidarität mit einem ihrer Auffassung versucht, durch einen treuen und wertvollen Verbündeten vor. Umsturz in Bahrain einen Brückenkopf Die schiitischen Oppositionellen hingegen nahe der saudi-arabischen Küste zu errich- beklagen sich, dass die USA aus geostrate- ten, um von dort aus gegebenenfalls Saudi- gischen Gründen die bahrainische Demo- Arabien ins Visier zu nehmen. Da es auch kratiebewegung ignorieren und infolge- in der saudi-arabischen Ostprovinz immer dessen ihrem Schicksal überlassen. Das wieder zu Protesten militanter Jugend- bahrainische Dilemma der USA drohte sich licher kam, die ebenfalls im Herbst 2012 zusehends zu vertiefen. eskalierten, war Riad zusehends besorgt. Weil Saudi-Arabien ebenso wie Bahrain auf eine eher repressive Strategie setzt, wirkt es Die saudi-arabische Dimension auf die Verbündeten in Manama ein, um sie Mindestens ebenso wichtig wie die inner- darin zu bestärken, keine allzu weitgehen- bahrainischen Faktoren ist die saudi- den Zugeständnisse an die schiitische Oppo- arabische Dimension des Bahrain-Konflikts. sition zu machen – und konterkariert da- Auch das schwierige Verhältnis zu diesem mit die amerikanischen Bemühungen um Verbündeten dürfte die Amerikaner von wirksame Reformen. einer entschlosseneren Politik in Bahrain Für die USA ist Saudi-Arabien ein noch abhalten. wichtigerer Verbündeter als Bahrain. Riad

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hat sich seit 2005 jedoch für eine eigen- sition die Unterstützung ihrer Basis zu ständigere Regionalpolitik entschieden, verlieren droht, sollte sie weiterhin auf weil es die Politik der USA zunehmend Verhandlungen setzen. Al-Wifaq will kritisch sieht. Besonders schockierend war heute zurück zu den »sieben Prinzipien«. für die saudische Herrscherfamilie, dass Die Regierung aber ist nicht mehr bereit, die US-Regierung nicht für ihren alten Ver- Gespräche über solch weitreichende The- bündeten Hosni Mubarak eintrat, als der men anzubieten. gestürzt wurde. Sie fürchtet ein ähnliches Das ist kein Argument, nicht weiter auf Schicksal, hält die USA für einen nur eine Entspannung hinzuarbeiten, wie es bedingt verlässlichen Verbündeten und ist neben der US-Regierung nun auch die Bun- darum eher als noch vor wenigen Jahren desregierung tut. Deutschland versucht seit bereit, eigene Interessen gegen den Willen 2011, mäßigend auf die Konfliktparteien in der USA durchzusetzen. Ihre Bahrain-Poli- Bahrain einzuwirken. Es ist jedoch unwahr- tik ist dafür ein deutliches Indiz. Soll ein scheinlich, dass eine solche Politik Erfolg

© Stiftung Wissenschaft und Konflikt mit Riad vermieden werden, müs- haben kann, wenn Saudi-Arabien nicht in Politik, 2013 sen die USA deshalb ihre Forderungen nach die Lösungssuche eingebunden wird. Hier Alle Rechte vorbehalten Reformen in Bahrain vorsichtig formu- kann Deutschland durchaus eine unter-

Das Aktuell gibt ausschließ- lieren. stützende Rolle spielen. Denn die Beziehun- lich die persönliche Auf- gen zwischen Berlin und Riad sind seit fassung des Autors wieder 2003 enorm ausgeweitet worden, auch SWP Eine neue Politik für den Golf wenn die politische Dimension gegenüber Stiftung Wissenschaft und Politik Eine Lösung des Konflikts in Bahrain ist der Förderung des Außenhandels stark Deutsches Institut für auch für Europa und Deutschland von unterentwickelt bleibt. Internationale Politik und Sicherheit Bedeutung. Denn das Inselkönigreich liegt Deutschland muss auch gegenüber Riad inmitten der wichtigsten Öl- und Gasförder- sein Interesse an politischen Veränderun- Ludwigkirchplatz 3­4 region der Welt. Anhaltende Unruhen dort 10719 Berlin gen in Saudi-Arabien wie in Bahrain artiku- Telefon +49 30 880 07-0 könnten auch auf Saudi-Arabien über- lieren. Beide Staaten werden nur stabil blei- Fax +49 30 880 07-100 greifen. Dies gilt vor allem dann, wenn Iran ben, wenn sie mehr Rechtsstaatlichkeit und www.swp-berlin.org [email protected] tatsächlich beginnt, schiitische Opposi- Partizipation zulassen und vor allem damit tionsgruppen in Bahrain zu unterstützen. aufhören, die schiitischen Bevölkerungs- ISSN 1611-6364 Bisher ist dies nicht der Fall, weil die bah- gruppen massiv zu benachteiligen. Deut- rainische Opposition bewusst versucht, sche Politik sollte immer wieder darauf Abstand von Teheran zu halten. Sollten hinweisen, dass eine Fortsetzung der bis- Repression und innenpolitischer Stillstand herigen Politik destabilisierend wirkt. Will fortdauern, ist es jedoch möglich, dass die die Bundesregierung dabei glaubwürdig schiitischen Jugendlichen im Ausland nach auftreten, muss sie auch Grenzen für ihre Hilfe suchen. In einem solchen Fall dürfte Unterstützung vor allem Saudi-Arabiens Teheran nur zu gerne bereit sein, unter- setzen. Dies gilt besonders für Waffen- stützend einzugreifen. exporte. Die noch nicht genehmigte Belie- Das wahrscheinlichste Szenario für die ferung Saudi-Arabiens mit Panzern vom kommenden Jahre ist jedoch, dass Unruhen Typ Leopard 2A7+, die sich besonders gut auf niedrigem Niveau an der Tagesordnung für die Aufstandsbekämpfung in städti- bleiben, ohne dass die Gesamtstabilität schem Gebiet eignen, würde von der bah- von Regime und Staat wirklich gefährdet rainischen und der saudi-arabischen Oppo- würde. Aufgrund der insgesamt unsicheren sition als Zeichen dafür gedeutet, dass sich regionalen Lage hätten permanente Un- Deutschland nicht aufrichtig um eine Kon- ruhen jedoch ein erhebliches Eskalations- fliktlösung in Bahrain bemüht. Alle poli- potential. Eine politische Lösung zeichnet tischen Anstrengungen in Bahrain könnten sich vorerst nicht ab. Die Regierung gibt durch ein solches Waffengeschäft entwertet sich kompromisslos, während die Oppo- werden.

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