Deutsch-Südwestafrika«*
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Aufsatz Matthias Häußler Soldatische Hinterwäldler oder Avantgarde? Über die einsatzbezogenen Erfahrungen der Kaiserlichen Schutztruppe in »Deutsch-Südwestafrika«* Die »alten Afrikaner« könnten nur »Vieh klauen oder einzelne Leute totschießen«, aber auf eine »ernsthafte Kriegführung« verstünden sie sich nicht, notierte Gene- ralleutnant Lothar von Trotha zornig in seinem Tagebuch über die eingesessenen, bewährten Offiziere der Kaiserlichen Schutztruppe in Südwestafrika. Er war im Frühjahr 1904 von Kaiser Wilhelm II. als neuer Kommandeur der südwestafrika- nischen Schutztruppe in die Kolonie entsandt worden, um die seit Januar aufstän- dischen Herero niederzuwerfen, nachdem die Operationen unter der Führung des »alten Afrikaners« Gouverneur Oberst Theodor Leutwein nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt hatten. Obwohl ein ›Haudegen‹ und sicher kein Repräsentant des neuen Soldatentyps, des »wissenschaftlich gebildeten professionellen Militärfachmanns«, brachte Trotha Manches mit, das immer noch den Aufstieg in der Kaiserlichen Armee ver- bürgte: Er entstammte dem Altadel, war Offiziersohn, hatte seine militärische Lauf- bahn in einem der prestigereichen Potsdamer Garderegimenter begonnen und galt als »strammer preußischer Offizier«. Doch setzte der Einsatz in Deutsch-Süd- westafrika seiner Karriere ein jähes Ende, die Schutztruppenuniform entpuppte sich – bildhaft gesprochen – als sein »Leichenhemd«. Ohne entscheidenden Erfolg * Dieser Aufsatz ist aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geför- derten und von Trutz von Trotha (Universität Siegen) geleiteten Forschungsprojekt her- vorgegangen. Der Verfasser dankt der DFG und Trutz von Trotha für ihre Unterstüt- zung. Letzterem sei dieser Beitrag gewidmet, nicht nur als Ausdruck der Dankbarkeit für Lektüre und Kommentierung früherer Versionen dieses Manuskripts und darüber hinaus, sondern als Ausdruck der Vorfreude auf eine noch sehr ertragreiche Erforschung des Phänomens Krieg seinerseits. Von Trotha Archiv (TA) 315, Abschrift der Tagebücher mit Anlagen und Materialsamm- lung, Eintrag 20.7.1904, S. 25. Stig Förster, Optionen der Kriegführung im Zeitalter des ›Volkskrieges‹ – Zu Helmuth von Moltkes militärisch-politischen Überlegungen nach den Erfahrungen der Einigungs- kriege. In: Militärische Verantwortung in Staat und Gesellschaft. 175 Jahre Generalstabs- ausbildung in Deutschland. Hrsg. von Detlef Bald, Bonn 1986, S. 83–107, hier: S. 93. – Von Trotha hatte als Fähnrich an dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 teilgenommen, als Leutnant am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, und während des Boxeraufstandes in China (1900/01) eine der Brigaden des Ostasiatischen Expeditions- korps geführt; die Kriegsakademie hatte er – im Unterschied zu Theodor Leutwein – nicht besucht. Der aggressive Ton gegenüber den »alten Afrikanern«, insbesondere dem bürgerlichen Pastorensohn Leutwein, hatte nicht zuletzt mit den Ängsten der traditio- nellen Eliten vor Statusverlust in einer sich verbürgerlichenden Welt zu tun. George Steinmetz, The Devil’s Handwriting. Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa, Chicago, IL 2007, S. 198. Western Cape Archives (KAB), PMO 199: Correspondence Files Nos. 211/05–286/05, Na- tive Rising in German South West Africa, 1904–1906, File no. 229/05, vol. no. 2. »Aus Deutschland«, Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung (DSWAZ), 28.7.1906, S. 2. Militärgeschichtliche Zeitschrift 71 (2012), S. 309–327 © MGFA, Potsdam, DOI 10.1524/mgzs.2012.0011 04 Aufsatz Matthias Häußler.indd309 309 24.04.2013 11:27:12 310 MGZ 71 (2012) Matthias Häußler kehrte er nach anderthalb Jahren ins Reich zurück und nahm, mit dem »Pour le Mérite« ausgezeichnet, seinen Abschied. Im Hauptquartier Trothas wurden die »alten Afrikaner« und ihre Ratschläge nur »bespöttelt«, wie Franz Epp in seinem Tagebuch vermerkte. Paul von Lettow- Vorbeck, damals Adjutant im Hauptquartier, schätzte die »alten Afrikaner« mili- tärisch deswegen gering, weil die vorrangige Aufgabe der Schutztruppe in der Un- terdrückung der afrikanischen Bevölkerung bestand und die Offiziere so weder mit der ›modernen‹ Kriegführung vertraut noch in der Lage waren, größere Ver- bände zu kommandieren. Kolonialkriege waren nicht eben die hohe Schule der Operationsführung, wie der französische Offizier Albert Ditte wusste, und galten vielen Offizieren als überholt, rückständig, ja geradezu karriereschädlich. Tatsäch- lich wich auch die Kriegführung in Deutsch-Südwestafrika in vielen Aspekten von den Standards europäischer Kriege ab, und der Wechsel in den Kolonialdienst war stets mit zahlreichen Risiken behaftet10. Ob die ›alte‹ Schutztruppe so rückständig war, wie manch ein Militär aus dem Deutschen Reich behauptete, darf indes bezweifelt werden. Einer Stimme kommt bei dieser Frage besonderes Gewicht zu: Sie gehört den jungen Offizieren, die an- lässlich der Kriege in die Kolonie kamen und bei den Feldtruppen ihren Dienst versahen – und fundierte Vergleiche zwischen neu aus dem Deutschen Reich ein- getroffenen und eingesessenen Militärs zogen. Manch ein junger Vertreter der mi- litärischen Elite, die nun verstärkt in den Kolonialdienst drängte11, mochte anfangs Georg Hillebrecht und Franz von Epp, »S’ist ein übles Land hier«. Zur Historiographie eines umstrittenen Kolonialkrieges. Tagebuchaufzeichnungen aus dem Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika 1904. Hrsg. von Andreas E. Eckl, Köln 2005, S. 279. Eckard Michels, »Der Held von Deutsch-Ostafrika«: Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preu- ßischer Offizier, Paderborn [u.a.] 2008, S. 125. Albert Ditte, Quelques Observations sur la Guerre dans les Colonies, Organisation, Exe- cution, Paris 1905, S. 7. Lawrence James, The savage wars. British campaigns in Africa, 1870–1920, London 1985, S. 163. Leutwein räumte ein, dass einiges von dem, was in Deutsch-Südwestafrika praktiziert wurde, in Europa undenkbar war. So stand etwa im Gefecht die Artillerie in der Schüt- zenlinie. Theodor Leutwein, Die Kämpfe der Kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Süd- westafrika in den Jahren 1894–1896 sowie die sich hieraus für uns ergebenden Lehren, Berlin 1899, S. 13. Auf dem Vormarsch waren Aufklärung und Sicherung nahezu ausge- schlossen, da sich in dem unübersichtlichen Gelände kaum Kontakt halten ließ. Georg Maercker, Unsere Kriegsführung in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1908, S. 44. Unter den geringen Truppenstärken und der oft drückenden Überzahl der Gegner litt die Feldher- renkunst: Reserven wurden nicht zurückbehalten, sondern alle Kräfte sofort eingesetzt; die Kämpfe wurden außerdem stets auf kurze Distanzen geführt, Leutwein, Die Kämpfe, S. 28. Dabei waren die Risiken insofern kalkulierbar, als selbst die schwersten Gegner nicht die offensiven Fähigkeiten europäischer Truppen besaßen, ebd., S. 11. 10 Vor den Kriegen hatte die Schutztruppe es in einem Land, das anderthalbmal so groß wie das Deutsche Reich war, auf eine Stärke von gerade einmal 750 Mann gebracht, die teilweise polizeiliche Aufgaben zu übernehmen hatten. Sie wies kaum Spitzenränge auf, der Planstellenkegel war stumpf und die Aufstiegschancen beschränkt. Wolfgang Pet- ter, Das Offizierkorps der deutschen Kolonialtruppen 1889–1918. In: Das deutsche Offi- zierkorps 1860–1960. In Verbindung mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt hrsg. von Hanns Hubert Hofmann, Boppard a.Rh. 1980, S. 163–174, hier: S. 168. Wer einmal aus dem Heer ausgeschieden war, um in die Schutztruppe einzutreten, fand bei seiner Rückkehr möglicherweise keine Planstelle mehr vor, ebd., S. 167. 11 Als der Krieg im Januar 1904 ausgebrochen war, trugen sich allein an der Kriegsakade- mie in Berlin 90 Offiziere in die Bewerberliste ein, und wer berücksichtigt wurde, konnte sich glücklich schätzen. Erich von Salzmann, Im Kampfe gegen die Herero, Berlin 1905, S. 2. 04 Aufsatz Matthias Häußler.indd310 310 24.04.2013 11:27:12 Soldatische Hinterwäldler oder Avantgarde? 311 selbst auch nicht ganz frei von Dünkel gegenüber den vermeintlich rückständigen Truppen vor Ort gewesen sein. Umso mehr nimmt es Wunder, dass Offiziere wie Rudolf Graf von Hardenberg, Werner Freiherr Schenk von Stauffenberg oder Ober- leutnant Stuhlmann nach kürzester Zeit eine Sicht auf die »alten Afrikaner« ent- wickelten, die derjenigen Trothas diametral entgegengesetzt war. Sehr rasch ver- loren sie den Glauben an die Überlegenheit der Militärs mit einer modernen, aber auf Kriegführung auf dem europäischen Kontinent bezogenen Ausbildung. Die Feldzüge in Deutsch-Südwestafrika wären ohne diese »mindestens ebenso gut ge- gangen«, unter Führung eines »alten Afrikaners« möglicherweise sogar »viel bes- ser«, zumal viele der ›Neuen‹ »ganz untauglich und kopflos« wären12. Das Urteil beschränkte sich nicht auf die alteingesessenen Offiziere; die ›alten‹ Verbände ins- gesamt galten den ›neuen‹ Truppen hinsichtlich der Kampfkraft als weit überle- gen13. Bereits ein bloßer »Kern von guten alten Schutztrupplern« sei eine so »vor- zügliche Kraft«, dass sie »auch die anderen mitreisst, es ihnen gleichzutun«14. Auch die Gegner gingen den ›alten‹ Verbänden aus dem Weg, während sie »vor den ›Kin- dern‹, d.h. den neuen Truppen, wie sie sie nennen [...], nicht den geringsten Re- spekt« hatten15. Die folgenden Betrachtungen sollen verdeutlichen, worauf die erwähnte Über- legenheit der eingesessenen Offiziere und Mannschaften basierte16. Einige ihrer Vorzüge liegen auf der Hand. Sie kannten Land und Gegner, waren in der Klein- kriegführung geschult und verfügten über gemeinsame Kampferfahrung, die sie zu Einheiten formte17. Die ›neuen‹ Verbände verfügten