Viktor Parma Machtgier Wer die Schweiz wirklich regiert

ISBN-10: 3-312-00399-7 ISBN-13: 978-3-312-00399-0

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Es lächelt der See, doch er ladet nicht zum Bade: Das Wasser ist zu kalt, 6,4 Grad heute, am 5.Februar 2007, und Peter Brabeck ist in Eile. Der Nestlé-Chef springt, leicht verspätet, im Gebäude des Konzernsitzes in Vevey in den sechsten Stock hinauf. Oben angekommen, am Eingang zum großen Mehrzwecksaal, bei herrlicher Aussicht auf Genfersee und Savoyer Alpen, muss er die Schweizer Machtelite zu ihrer jährlichen Geheimkonferenz empfangen. Erste Gäste tun sich an Brötchen gütlich, nippen Fruchtsaft, schlürfen . Jeden Februar strömen hier auf leisen Sohlen ganz verstohlen die Spitzen von Politik und Wirtschaft des Landes zusammen. Zu den Geladenen der letzten Jahre gehören zum Beispiel (UBS), Daniel Vasella (Novartis), Franz Humer (Roche), Walter Kielholz (CS) und weitere Spitzenverdiener, Christoph Blocher (SVP), (CVP), Hans-Rudolf Merz (FDP), (FDP) und andere Bundesräte, Rolf Dörig (Swiss Life), Peter Forstmoser (), Ulrich Gygi (Post) und weitere Konzernchefs, nicht zuletzt Rainer E. Gut (CS-Ehrenpräsident), Gerold Bührer (Economiesuisse) sowie Jean-Pierre Roth (Nationalbank), ferner Fulvio Pelli (FDP), Hans-Jürg Fehr (SP) und die übrigen Spitzen der Regierungsparteien. 2007 stieß, kaum gewählt, der jüngste Parteichef natürlich auch sofort zur Runde, Christophe Darbellay (CVP). Wirtschaftsführer, Politiker und Mandarine nehmen sich für ihre große Jahreskonferenz zur Strategie der Schweiz in der Globalisierung jedes Mal anderthalb Tage Zeit. Sie fassen keine förmlichen Beschlüsse und stellen dennoch Weichen. Sie definieren Konzepte für die Schweiz mit Blick auf Welthandel, Finanzmärkte, Gesellschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik, stets hinter verschlossenen Türen. Kaspar Villiger, Nestlé-Verwaltungsrat und Alt-Bundesrat, der die Treffen mit viel Aufwand vorbereitet und leitet, formuliert das Programm in seiner vertraulichen Einladung an die Teilnehmer mit vornehmer Delikatesse: »Wir diskutieren langfristige Trends und Probleme, welche die Schweiz und ihre Wirtschaft betreffen, und bleiben dabei so weit wie möglich praxis- und lösungsorientiert.«

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Der verschwiegene Kreis fand in diesem Sinn im Verlauf der letzten Jahre in strategischen Schlüsselfragen durchaus praxistaugliche Lösungen, etwa bei der Sanierung der Bundesfinanzen und der Steuerpolitik, der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik (Näheres in einschlägigen Kapiteln dieses Buches). Auch im Powerplay der Schweiz mit der EU, gerade bei den Bilateralen VerträgenII, fielen zentrale Entscheide an Rive-Reine-Tagungen. In dieser Sache vertrat Marcel Ospel die Sonderinteressen der Banken mit aller Kraft. Öffentlich forderte er zu Beginn gar, das Zinsbesteuerungsabkommen Schweiz–EU aus dem Gesamtpaket herauszulösen und sofort zu unterzeichnen – ehe auch die andern Abkommen zwischen der Schweiz und der EU unter Dach waren (Schengen, Betrugsbekämpfung). Erst an der Rive-Reine-Tagung kam Marcel Ospel von seiner Taktik ab und erklärte sich mit einer allgemeinen Strategie einverstanden, die auch die anderen Anliegen einbezog. Chefdiplomat Michael Ambühl konnte ihn überzeugen und setzte sich mit seinem Gesamtkonzept durch – zuerst an der Rive-Reine-Tagung, dann in Brüssel. Am Ergebnis änderten Parlament und Volk dann nichts mehr. Sie stimmten ihm zu – nach jahrelangen parteipolitischen Propagandaschlachten pro und kontra. So funktioniert das Schweizer Machtkartell seit Jahren: an den verfassungsmäßigen und demokratischen Institutionen vorbei. Seine Früchte versetzten den sogenannten Souverän schon mehrmals in Erstaunen. Doch ihre Herkunft wurde nie deklariert.

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