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Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaft Koserstr. 20, 14195 Berlin Abschlussarbeit zur Erlangung des Master of Arts (M.A.) im Fach Kunstgeschichte im globalen Kontext Schwerpunkt Europa und Nordamerika M.A.- Arbeit David Carsons Editorial Design für das Musik-Magazin Ray Gun im Spannungsfeld zwischen Widerstand und Scheinrevolution Eingereicht von Elisabeth Brörmann Geb.: 16.11.1970 in Damme Matrikelnr.: 4218758, Wühlischstr. 33 A, 10234 Berlin Gliederung 1. Virtuoses Spiel...................................................................................... 1 2. Vorläufer von Carsons Magazin-Design ........................................... 9 a) Homogenisierung des Editorial Designs ........................................................... 9 b) Konzentration auf illustrative Elemente ........................................................... 12 c) Neue Impulse durch subkulturelle Ästhetik ..................................................... 13 d) Revision der Geschichte durch Avantgarde .................................................... 14 c) Digitale Experimentierfreude .......................................................................... 18 d) Anstöße durch philosophische Ideen .............................................................. 20 3. Exkurs: Gegenkulturen - Entwicklung der Grunge-Kultur .............. 22 a) Vom Punk zum Hardcore ............................................................................... 22 b) Vom Heavy Metal zum Trash-Metal ................................................................ 25 c) Crossover von Hardcore Punk und Trash-Metal zum „Grunge“ ....................... 26 4. Bedeutungsebenen in Ray Gun........................................................ 30 4.1. Titelseiten ............................................................................................... 30 4.1.1. Verkehrte Welt - Titel mit Dinosaur Jr. ............................................................ 30 4.1.2. Falsche Fährte - Titel mit Jesus and Mary Chain ............................................ 33 4.1.3. Vexierbild weiblicher Performerin - Titel mit Liz Phair .................................... 38 4.2. Interview-Seiten .................................................................................. 43 4.2.1. Spiegel der Vorurteile - Interview mit Mark Lanegan ....................................... 43 4.2.2. Authentische Leere - Interview mit Alice in Chains .......................................... 48 4.2.3. Spiel mit der Erwartung - Interview mit Deconstruction ................................... 53 5. Fazit ..................................................................................................... 59 Abbildungsteil Literaturverzeichnis 1. Erschütterte Lesbarkeit Die digitale Revolution Mitte der 1980er Jahre schob eine rasante Entwicklung im Bereich des Grafik-Designs an. Der Apple Macintosh Computer ermöglichte mit ersten Layout- und Bildbearbeitungsprogrammen eine freie und vielfältige Art der grafischen Gestaltung, wie sie vorher kaum möglich war. Hinzu kam eine nicht gekannte Vielfalt von digitalen Schrifttypen und trieb die Kreativität und den individuellen Ge- staltungswillen der Designer zusätzlich an. Die neue Technik gestattete es, mehrere Ebenen übereinander zu schichten und diese während des Gestaltungsprozesses editierbar zu halten. Auf diese Weise entstanden weit experimentellere Entwürfe als mit der zuvor üblichen zeitraubenden manuellen Layout- und Satztechnik mithilfe von Letraset-Abreibe-Buchstaben und an- schließender Reprografie. Frühe Anwender des Desktop- Publishing, wie April Greiman (vgl. Abb. 1), Rudy VanderLans und Zuzana Licko erprobten die neue Technologie im Rahmen des Magazins des Schriftenverlages „Emigre" und entwarfen selbst digitale Schriftschnitte, die heute als Klassiker gelten.1 Verstärkt experimentierten auch die Studenten der „Cranbrook Academy of Art“ in Michigan mit dem neuen Medium. Katherine McCoy, die Leiterin des Fachbereichs Design hatte ihre Stu- denten bereits vor der Entwicklung dieser Grafik-Programme dazu ermutigt, die konventionellen Regeln „guten“ reduzierten Designs zu hinterfragen. In ihren Arbeiten kombinierten die Abb. 1: April Greiman, Collage Studenten herkömmliche Layout-Techniken wie handgefertigte mit dem Apple Mac- intosh, 1986 (Quelle: Skizzen, Pinselschriften oder auch gefundene Typografie- Meggs, Purvis 2012) Fetzen mit den neuen Möglichkeiten des computerbasierten Layouts, um zu unkonventionellen Design-Lösungen zu gelangen.2 Damit waren sie Vor- reiter einer neuen Freiheit in der grafischen Gestaltung. Kaum ein Grafik-Designer ist im Bereich des Editorial Designs, also des Titel- und Maga- zin-Designs jedoch so bekannt für den expressiven Umgang mit Layout und Typografie geworden wie David Carson. Der Kalifornier, der nur einige wenige Wochen dauernde Grafik-Design-Kurse absolviert hatte, nutzte die Ideen der Avantgarde des Grafik- Designs in virtuoser Weise und machte sie populär.3 In erstaunlich vielen Magazinen der Jugendkultur waren klassische Layouts zu dieser Zeit noch verbreitet. Meist wurde eine 1 Vgl. Meggs, Phillip B., Purvis, Alston W., Meggs‘ History of Graphic Design, 5. Aufl., Hoboken/New Jersey 2012, S. 530-533. 2 Vgl. Meggs, Purvis 2012, S. 534. 1 eher dienende visuelle Gestaltung verfolgt, um eine optimale Lesbarkeit von Texten zu garantieren. Carsons Editorial Design dagegen brach die bewährten Gestaltungs- grundsätze von Layout und Typografie auf offensive Weise (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Titel des Magazins „Ray Gun“, Art Director David Carson (Quelle: Blackwell, Carson 1995) Beispiele für David Carsons Editorial Design für die Zeitschrift „Ray Gun", 1992 So verzichtete er auf eine eindeutige Hierarchie der Elemente einer Seite und orientierte sich nicht an einem Raster, das traditionell die Grundlage der regelmäßigen Struktur ei- nes Magazins ist. Form, Weite und Platzierung von Textspalten variieren bei ihm oft völlig 3 Vgl. Poynor, Rick, Zeichen der Anarchie. Grafik-Design von den Achtzigern bis heute, Basel 2003, S. 61. 2 frei. Darüber hinaus separierte und verdrehte er Buchstaben oder ließ diese überlappen.4 Stark beschnittene und teils zerfetzte Schriftzeichen verteilen sich in seinen Layouts scheinbar wahllos über die Seiten und erschüttern so die Lesbarkeit des Textes. Auch die verwendeten Bilder und grafischen Elemente einer Seite wirken oft wie Fundstücke oder Zufallsprodukte, und bilden mit den typografischen Versatzstücken zunächst oft ein wil- des Durcheinander. Die sich überlagernden Schichten müssen vom Auge erst mühsam entwirrt werden, um den Inhalt einer Seite wahrnehmen zu können. Oft scheint der Inhalt der Seiten unerschließbar.5 Der ehemalige Profi-Surfer und studierte Soziologe David Carson machte seine ersten Gehversuche als Grafik-Designer ab 1983 bei den Zeitschriften „Transworld Skateboar- ding“, „Musician“ und „Surfer“. Diese waren nicht von großem Erfolg gekrönt. Mit dem folgenden Surfer-Magazin „Beach Culture“ gewann er dann zwar überraschend einige Designpreise, doch 1991 musste dieses Heft bereits nach sechs Ausgaben eingestellt werden. Erst die von Marvin Scott Jarrett gegründete Zeitschrift „Ray Gun“ für „Alternati- ve Music“ wurde zu einem großen Erfolg. Von einem kleinen Subkultur-Heft entwickelte sie sich zu einem auch kommerziell erfolgreichen Magazin des „Grunge“ bzw. des „Alter- nativ “ und schließlich zum gesuchten Sammelobjekt. Dies ist nicht zuletzt auf Carsons Gestaltung zurückzuführen, die den Nerv der Zeit und das Lebensgefühl der Counter- culture des Grunge traf.6 Das Heft wurde außerdem schnell zu einer Inspirationsquelle für junge Designer und vielfach kopiert. Carsons Ausdrucksform entwickelte sich so in den 1990er Jahren zum prägenden Stil in Grafik-Design und Typografie.7 Für seine Arbeit hat sich der Stil-Begriff „Dekonstruktion“ etabliert, der aus der Architektur entlehnt ist. Das „Museum of Modern Art“ in New York hatte diese Bezeichnung mit ihrer Ausstellung „De- constructivist Architecture“ im Jahr 1988 für Bauten mit verzerrten und zersplitterten For- men, die den architektonischen Raum unübersichtlich und verschachtelt erscheinen las- sen, geprägt.8 In der Fachwelt werden Carsons Entwürfe sehr unterschiedlich beurteilt. Während sie den einen als Kunst gilt, tun andere sie schlicht als zielgruppengerechtes Design für die Fernseh-Generation ab.9 Albrecht Bangert ist etwa überzeugt, dass der kalifornische Gra- fik-Designer sich künstlerisch mit den Themen des Musik-Magazins auseinandersetzt und hierbei außerdem die Grenzen des Editorial Designs auslotet. So fänden sich darin 4 Vgl. Berger Warren, The Wunderkind of Design. As David Carson breaks all the typograpaphic rules, in: Graphis, 1, 1995, S. 20. 5 Vgl. Meggs, Purvis 2012, S. 535/537. 6 Vgl. Poynor 2003, S. 63/64. 7 Vgl. Berger 1995, S. 19. 8 Vgl. Böhmer, Achim, Hausmann, Sara, Retro Design. Stylelab, Mainz 2009, S. 286. 9 Vgl. Böhmer, Hausmann 2009, S. 286. 3 lyrische und erzählerische Elemente, deren Gehalt sich allerdings nur der kundigen jun- gen Leserschaft offenbare.10 Susan Olcott sieht vor allem in Carsons regelwidriger und schwer lesbarer Typografie den großen Mehrwert. Bewusst bräche er damit die gängigen Regeln des Magazin-Designs, um sich selbst herauszufordern und daran zu wachsen. Er schaffe derart unkonventionelle Lösungen, dass er damit nicht nur ein Erneuerer des Editorial Designs sei, sondern auch ein Künstler. Mit seiner Methode erzeuge er beein- druckende Kompositionen, die teils narrative Qualitäten