Seaside _Kanada

Wildnissegeln in British Columbia

Die schiere Schönheit und Unberührtheit machen die Inseln, Fjorde und Inlets im Gebiet der Strait of Georgia, der pazifischen Wasserstrasse bei Vancouver, zu einem einmaligen und atemberaubenden Segelrevier.

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Brigitte Burri Martin und Brigitte Burri extrem nährstoffhaltigen Wasser aufhalten, das in- folge der starken Strömungen des Pazifischen ­Ozeans Am fünften Tag passierte es – natürlich genau dann, entsteht und auch zahlreiche andere Meeresbe­ als wir sie am wenigsten erwarteten: Wale! Da ­blasen wohner anzieht, etwa die allgegenwärtigen Seehunde. sie ihre mächtigen, über vier Meter hohen Fontänen Nun hatten wir Buckelwale getroffen und unsere Liste in die Luft. Begleitet von urigen Geräuschen markie- der beobachteten Wildtiere im Logbuch wurde mit ren sie ihre Anwesenheit. Dann schwillt das Wasser dieser majestätischen Begegnung gekrönt. und eines der mächtigsten Säugetiere katapultiert Im tiefblauen Himmel ziehen zwei Weisskopfsee­ seine 30 Tonnen Lebendgewicht aus den Fluten, um adler ihre Kreise, die ihren Horst wohl nahe unseres Sekunden danach mit lautem Klatschen auf die Ober- Etappenziels, eine geschützte Ankerbucht auf ­Cortes _01 fläche zu knallen und in einem Gischtsprühregen Island, errichtet haben. ­wieder unterzutauchen. Es sind zwei Buckelwale, die ihrer Lebensfreude Ausdruck geben und uns staunend­ Pulsierendes Küstenstädtchen Sidney BC und sprachlos an Deck zurücklassen. Die bis zu 15 Segeln an der pazifischen Westküste, insbesondere _02 Meter langen Wale tummeln sich in der Bucht vor im nördlichen Bereich der Strait of Georgia, gehört Whaletown am nördlichen Ende der Strait of ­Georgia, zum Besten, was man mit einer Yacht erleben kann. im Sutil Channel. Zwar liegt das Revier nicht gleich «um die Ecke» und Bislang verlief der Tag bei schönstem Wetter fried- die Anreise über Toronto dauert ihre Zeit. Doch das lich und erholsam. Unsere Tagesetappe starteten wir Naturerlebnis und die Ursprünglichkeit der Region in der Ankerbucht Oyster Cove, ganz hinten im lohnen alle Mühe und machen diese schon am ­ersten ­Pendrell Sound gelegen. Als wir nachmittags im spie- Segeltag mehr als vergessen. gelglatten Wasser des breiten Sutil Channels vor uns Unsere Yacht übernahmen wir im Küstenstädtchen hindümpelten und den Gedanken eines Bades in Sidney BC, nicht weit von Victoria, der Hauptstadt ­Erwägung zogen, tauchten die beiden Wale auf und von British Columbia. In der gepflegten und mit Blu- unterhielten uns fast eine Stunde lang mit ­ihren men geschmückten Marina wartete «Mybo III» auf _01 Festmachen mit Heckleine im ­Spielen. Sie sprangen nicht nur, sie klatschten auch uns, eine brandneue Jeanneau Sun Odyssey 379, die Oyster Cove (Pendrell Sound). mit ihren Schwanz- und Brustflossen aufs Wasser, erst für einen einzigen Törn unterwegs gewesen war. _02 Die blumengeschmückte Marina tauchten ab und wieder auf. Und hielten plötzlich auf Mybo III wurde für fast zwei Wochen unser ­Zuhause von Sidney BC im ersten Morgenlicht. unsere Yacht zu: Wir starteten schleunigst den ­Motor, und überzeugte mit stabilen Segeleigenschaften. _03 Leinen los! Die Hafenausfahrt von um aus ihrer Zugbahn zu verschwinden. ­Eigentlich Dass wir mit ihr in den segeln Sidney BC ist von hohen Molen hatten wir mit Orcas gerechnet, die sich hier im wollten, rund 140 Seemeilen vom Starthafen umgeben.

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entfernt, fand Larry von der Charterfirma Island sahen wir in der bläulichen Ferne die hohen Berge, ­Cruising machbar. die den Desolation Sound wie eine Krone umgeben. Da wir in der Schweiz weder Literatur noch See­ Tagesziel war Gabriola Island, die nördlichste der karten des über 2000 Inseln umfassenden Reviers Gulf Islands. In der romantischen, fast rundum von auftreiben konnten, verbrachten wir einen halben Wäldern umgebenen Silva Bay liessen wir, rund 50 Tag mit Larry beim Studium der Unterlagen. Er Seemeilen im Kielwasser, den Anker fallen und ­fuhren machte uns auf die Tide und vor allem die Strö­ mit dem Dinghi ans Ufer. Dort gibt es ein kleines mungen aufmerksam, die in besonders schmalen ­Restaurant, in dem wir auf unseren ersten, gelungenen­ Channels bis zu 13 Knoten ausmachen können und Segeltag anstiessen. für die Passage ausschliesslich während der Tiden­ Am nächsten Tag waren 53 Seemeilen bis Beach kenterung ein kleines Zeitfenster von gerade mal 15 ­Gardens an der Sunshine Coast zu absolvieren. Wir Minuten zulassen. Wir liessen uns nicht abschrecken waren gewappnet, dem «Cry Freedom» zu folgen. und planten den Törn akribisch mit Tidentafeln und Revierführern. Der Desolation Sound war unser Refugium für Ruhesuchende Hauptziel, da wollten wir so schnell wie möglich hin. Im Sommer 1792 gelangten zwei Expeditionen un- Nachdem wir Mybo III mit Vorräten für 12 Tage be- ter der Leitung von Entdecker George Vancouver in stückt hatten, verbrachten wir den Abend im pul- die von tiefen Wäldern und hohen Bergen um­gebene sierenden Sidney und liessen uns im Strandrestau- Bucht: «Was für eine einsame Gegend ohne Aus- rant den heimischen Sockey Lachs schmecken. Wir sicht, die dem Auge schmeichelt!» Das soll Van­ wussten: Im Zielgebiet gibt es keine Marinas mehr, couver gesagt haben. Dieser Satz brachte der Bucht bei denen wir uns mit Esswaren, Wasser und Diesel die Bezeichnung «desolation» (= trostlos) ein. Sehr eindecken können. Abenteuerlustig krochen wir erst- zu Unrecht, wie wir fanden. Entweder war der gute mals in die gemütlichen Kojen unseres schwimmen- George blind oder gänzlich immun gegen die gross- den Zuhauses um früh am nächsten Tag, bei Ebbe, artige Naturschönheit, die sich uns bei der Rundung die Leinen los zu werfen. von Sarah Point offenbarte: Die rund 60 Kilometer lange Küstenlinie des Sounds mit ihren Inseln ist von Gulf Islands und Sunshine Coast magmatischem Gestein geprägt, das mit tiefgrünen Zuerst schlugen wir uns durch das Insel-Wirrwarr Nadelwäldern bis zur Wasserlinie bedeckt ist. In den der San Juan und Gulf Islands zur Strait of Georgia steilen, immergrünen Bergen wimmelt es von ­wilden durch. Karte und Navi stets im Blick, passierten wir Tieren. Die tiefen Fjorde sind durch die starke die schmalen Wasserstrassen. Wir achteten beson- ­Vergletscherung während der letzten Eiszeit ent- ders auf eventuell treibende Baumstämme, die von standen. Ein Refugium der Stille mit tausenden von _03 riesigen, geflössten Holztransporten verloren ge­ ruhigen Ankerbuchten, in denen jeder seinen ­eigenen gangen waren. Auch gibt es Riffs und im Wasser Robinson spielen kann. Dank thermischer Quellen _01 Hier lässt es sich leben: Ferien- versteckte Felsen, die zu umschiffen sind. Dies und ist das Wasser zudem so warm, dass es sich bestens­ _03 Desolation Sound: Nach der Rundung von Sarah Point raubt uns der Ausblick den Atem. häuser auf einer der Gulf Islands. die ständig wechselnden Ausblicke auf immer neue zum Baden oder Schnorcheln eignet. Wir kamen uns _04 Unter kanadischer Flagge in einem traumhaften Revier. _02 Malerisch: Ankerplatz Silva Bay Inseln und Ufer gestalteten die Fahrt abwechslungs- vor wie die ersten Menschen in dieser grandiosen auf Gabriola Island (Gulf Islands). reich, und als wir in die Strait of Georgia stachen, Landschaft. Um uns herum und über uns nur noch

_01 _02 _04 Oyster Cove George Harbour Prideaux Heaven Lund

Beach Gardens Canada

Pender Harbour

Vancouver Island Snug Cove Vancouver Silva Bay

USA Sidney

[email protected] • www.marina-online.ch [email protected] • www.marina-online.ch 70 marina.ch_Juni_2016 marina.ch_Juni_2016 71 Tel. 031 301 00 31 • Tel. Abodienst: 031 300 62 56 Tel. 031 301 00 31 • Tel. Abodienst: 031 300 62 56 Seaside _Kanada

die Berge, die über ein scheinbar noch unberührtes Stück Erde wachten. Gott sei dank hatte auch der Staat eingesehen, dass der Desolation Sound schützenswert ist: Er rief 1973 den Desolation Sound Provincial Marine Park ins ­Leben. Im geschützten, 33 Quadratmeilen ­grossen Gebiet, ist das Wegwerfen von Müll und Ablassen von Schwarzwasser bei Busse verboten. Wir suchten und fanden die Einfahrt zum Ankerplatz Prideaux Haven, einem Buchtsystem, das mehrere geschützte Ankerplätze beherbergt. Dort waren wir nicht die Einzigen. In der Hochsaison sind viele ­Motor- und Segelyachten zumeist mit amerikanischen _03 « » ­Flaggen in diesem fantastischen Revier unterwegs. Niemand kann es ihnen verdenken. Dennoch: Alle Ein Refugium der Stille mit halten sich erstaunlicherweise an die Regeln. Vor dem Nachtessen blieb Zeit, das Dinghi klar zu tausenden von ruhigen machen und in gemächlichem Tempo die anderen Ankerbuchten zu erforschen, zu baden und den atem- Ankerbuchten, in denen jeder beraubenden Sonnenuntergang im Sound zu genie- ssen. Trunken von all der Schönheit und fasziniert seinen eigenen Robinson von der Ruhe, kamen wir uns wohltuend klein und nichtig vor in Anbetracht der über allem herrschen- spielen kann. den Natur. Die Freude am Dasein wurde auf das ­Einfachste reduziert, Entschleunigung hat sicher nichts mit Trostlosigkeit zu tun…

Den Mount Rainier im Blick Wir hielten uns länger im Fjordsystem des Desola- _04 tion Sound auf, «erforschten» den Homfray, Pryce und Waddington Channel und ankerten zuhinterst im Pendrell Sound, von wo wir uns langsam wieder _01 Abendstimmung über dem Hafen von Lund (Malaspina Penisula). Richtung Süden aufmachten und im Sutil Channel _02 Dank thermischer Quellen ist das Baden in den Buchten auf die Wale trafen. In Gorge Harbour gingen wir um Prideaux Haven angenehm warm. vor Anker und erstmals auch wieder an Land, um _03 Ausrangierte Lastkähne in Pender Harbour. im kleinen Restaurant zu Abend zu essen. _04 Neugieriger Besuch: ein Seehundbaby notiert unsere Ankunft. Der nächste Tag bescherte uns so viel Wind wie _05 Der Hafenmeister von Snug Cove (Bowen Island) residiert _01 noch nie, sodass wir Mybo III von der Leine liessen: in einem schwimmenden Gebäude. Bis zu 9,5 Knoten machte die Sun Odyssey. Wieder in der Strait of Georgia, sahen wir südlich die weisse Kuppe des Mount Rainier näherrücken. Er ist _02 _05 einer der höchsten Berge Kanadas. Nach einer Nacht im schmucken­ Küstenstädtchen Lund, von wo wir mit dem Dinghi an den weissen Strand von Savary ­Island übersetzten und uns wie in der Südsee fühl- ten, fassten­ wir den Howe Sound ins Auge. Dieser Fjord mit seinen Inseln und unzähligen Buchten ist das Naherholungsgebiet von Vancouver. Auf Bowen ­Island, im Snug Cove, gingen wir ein letztes Mal in der Wildnis vor Anker, bevor wir am nächsten Tag Vancouver anliefen.

Vor Anker mitten in der Stadt Der Schnitt hätte nicht härter sein können – aus der unberührten Natur direkt nach Downtown ­Van­couver: In False Creek fanden wir den ­perfekten ­Ankerplatz, mitten in der Stadt, umgeben von ­Wolkenkratzern und geschäftigem Treiben im ­Hafen.

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Per Dinghi waren wir in zwei Minuten auch schon _01 Ankerplatz mitten in der Stadt _02 mitten in Granville Island, dem angesagten Viertel und erst noch umsonst in False Creek. der «City of Glass». Einen Tag Sightseeing räumten Revierinfos _02 Vor Vancouver liegen Fracht- wir uns ein, und bald schon waren wir von der sym­ schiffe auf Reede – Segeln wird pathischen, pazifisch geprägten 1,5-Millionen-­ zum Parcours. Metropole begeistert. Standesgemäss machten wir _Lage: Das Revier liegt zwischen dem kanadischen Festland und Vancouver Island, sowohl in als auch _03 Volkssport in Vancouver: einen Abstecher an die Water Front und dort ins nördlich der Strait of Georgia, einer rund 240 km langen und 25 bis 30 km breiten Wasserstrasse des Drachenbootfahren. Maritime Museum. Die Sonderausstellung «Die Pazifischen Ozeans, im südwestlichen Teil British Columbias. Die Meerenge ist Teil der . Die _04 Wasserflugzeuge sind das ­Entdeckung der Nordwestpassage» war sehr pas- Ufer werden von inselreichen Fjorden geformt. Nördlich befinden sich der Desolation Sound und die übliche Transportmittel der Insel- send, und zusammen mit dem ausgestellten ­Schoner , ein vielarmiges System von Fjorden und Kanälen mitten in einem Naturschutzgebiet, bewohner. Sie starten und landen «St. Roch» der Royal Canadian Mounted Police dessen Nadelwälder bis zum Wasser reichen. Die Region ist dünn besiedelt, das Naturerlebnis ist hier an der Waterfront von Vancouver. ­spürten wir es wieder: das Entdeckergefühl. Die St. ­einzigartig. Wichtigster Hafen ist Vancouver. Ein sehenswertes Spektakel. Roch war das zweite Segelschiff, das die Nordwest- _Wind und Wetter: Es herrschen nordwestliche oder südwestliche Winde vor, die relativ konstant passage durchfuhr und das erste überhaupt,­ das sind aber ziemlich auffrischen können. Im Juli und August, der Hauptreisezeit, wird es auch tagsüber diese Reise in West-Ost-Richtung, also vom ­Pazifik nicht wärmer als 25 Grad Celsius und kühlt nachts merklich ab. _03 zum Atlantik, unternahm. Die Gezeiten und die damit verbundenen Strömungen verlangen eine vorausblickende Törnplanung und Der letzte Segeltag brachte uns zurück zum Aus- eine präzise Navigation. Der Tidenhub liegt je nach Region bei 4 bis 6 m, in der Region der Discovery­ gangshafen Sidney BC. Unsere Herzen wurden Islands kann die Strömung bis zu 13 kn erreichen! schwer, als wir Mybo III räumten und schliesslich _Handbücher: Die besten Revierführer gibt es von Anne & Laurence Yeadon-Jones «Dreamspeaker verliessen. Sie hatte uns eine faszinierende Welt Cruising Guide», Nr. 1 bis 6. Die grossformatigen und reich bebilderten Bücher liefern viele unabding- ­zugänglich gemacht. Und es gäbe noch so viel mehr bare Revierinfos und zusätzliche Insidertipps (in Englisch). Sie sind auf den meisten Charter-Booten zu entdecken. Einziger Trost: Wiederkommen, und vorhanden oder können vor dem Törn im Internet bestellt werden: www.dreamspeakerguides.com. zwar bald!

[email protected] • www.marina-online.ch [email protected] • www.marina-online.ch 74 marina.ch_Juni_2016 marina.ch_Juni_2016 75 Tel. 031 301 00 31 • Tel. Abodienst: 031 300 62 56 Tel. 031 301 00 31 • Tel. Abodienst: 031 300 62 56