Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 4 2016

KONZEPT: KUNST MINIMAL ART UND KONZEPTKUNST DER 1960ER JAHRE

HANNAH HÖCH IN NÜRNBERG BADEN-WÜRTTEMBERG: DIE SAMMLUNG PRINZHORN EDITORIAL Farbe, Idee statt Werk, Idee ist Werk. Wo alles nichts war, konnte nichts alles sein: Alles war Kunst, was in den Anspruch versetzt wurde, Kunst zu sein. Konzept als Kunst Nun stand die Kunstgeschichtsschreibung – wie mancher Künstler oder Galerist – vor der Hausforde­ rung, Begriffe zu finden für etwas, das sich nicht be­ greifen lassen wollte: Minimal Art, Land-Art, Fluxus, Performance oder Happening? Konzept statt Kunst? Also „Konzeptkunst“? Ein Zentrum dieses Umsturzes, der heute längst in sich wieder historisch ist, lag im Rheinland, wo visio­ näre Sammler, Museumsleiter, Kuratoren oder Galeris­ ten früh die Zeichen dieser Zeit erkannten, oft gegen erbitterten öffentlichen Widerstand. Um so glücklicher ist die Kulturstiftung der Länder, dass es uns gelun­ gen ist, mit der Sammlung der legendären Galeristen Dorothee und Konrad Fischer eine frühe und hochbe­ deutende Kollektion von Konzeptkunst für das Rhein­ Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder land sichern zu können – Grund genug, den Themen­ schwerpunkt der Dezemberausgabe von Arsprototo einem Blick zurück auf diese Pioniere der Avantgarde Liebe Leserin, lieber Leser, zu widmen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine schöne Kunstgeschichte ist, wie jede Geschichtsschreibung, Weihnachtszeit und einen ebensolchen Jahreswech­ eine Hilfskonstruktion. Sie versucht zu ordnen, zu sor­ sel und empfehle Ihnen in unserer Länder-Reihe über tieren, zu gruppieren; sie wählt aus und scheidet aus, große Sammler ab Seite 54 den Artikel über den „An­ sie entdeckt und vergisst. Namenlosem gibt sie Namen. sammler“ Hans Prinzhorn, dessen heute weltbekannte Das Ergebnis sind die Ismen, die wir alle kennen, und Sammlung zu seiner Zeit ebenfalls die Frage aufwarf, von denen wir glauben, sie bauten aufeinander auf, ent­ was Kunst war und was nicht: Prinzhorn sammelte wickelten sich linear. Das eine, so scheint es, folgt auf Kunst von Psychiatriepatienten. wie durch das andere: Strenges folgt stets auf Bewegtes, Klassizismen auf Barockes, Realismen auf Idealismen, Ihre Avantgarde auf Rückbesinnung, die ihrerseits wiede­ rum als Avantgarde firmiert. Und in der Tat ist viel von all dem aus der Rückschau richtig: Die Dinge sortieren sich. Doch dann schlug mit dem Zweiten Weltkrieg gleichsam die Stunde Null – auch für diese Form der Kunst und Kunstgeschichte. 1945 schien alles aufge­ hoben. Auf das Primat des abstrakten Expressionismus und des Informel, das die Jahre nach dem Krieg be­ stimmt hatte, folgte die wohl radikalste Umwälzung, die das Publikum wie auch die Kunstgeschichte bis dato zu verarbeiten hatten. Jenseits von Geschmacksfragen hatte es jahrhundertelang zumindest Konsens gege­ ben über die Frage, was Kunst war und was nicht, was ein Bild, was eine Plastik. Doch jetzt schickte sich eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern an, Die Goldschmiede K.C. Deckelterrine und ein Paar Saucieren aus diesen Konsens aufzukündigen. Hermann und L. Bührer dem Hofsilber des Königreiches Württemberg Alles, was früher oder später Ordnung in das komplettierten nach 1844 Kunstschaffen und dessen Bewertung gebracht hatte, Silber, innen vergoldet das Tafelsilber des stand auf dem Prüfstand: Eigenhändigkeit und Per­ Stuttgart und Ludwigsburg, um 1845/46 manenz, Ästhetik und Originalität, Bild und Abbild. württembergischen Hofes, Bruce Nauman, Vino Rosso, 1987, nach Entwürfen der Gewicht zus.: 8.550 g Stattdessen: Flüchtigkeit statt Ewigkeit, Serialität statt 61 × 50,9 cm; Kunstsammlung Nord- Londoner Manufaktur Einzigartigkeit, Produkt statt Schöpfung, Weiß statt rhein-Westfalen Mortimer und Hunt.

Galerie Neuse Kunsthandel GmbH, Achim Neuse Volker Wurster ARSPROTOTO 4 2016 3 Contrescarpe 14, 28203 Bremen, Tel.: 0421 32 56 42, www.galerieneuse.com

AUTOREN IMPRESSUM INHALT

1960er Jahre, als – in den USA beginnend – Arsprototo 3 EDITORIAL TITELTHEMA KONZEPTKUNST die Kunst sich konzeptuell neuen Ansätzen Das Magazin der Kulturstiftung der Länder zuwandte. Wie definierten Gilbert & George, Lützowplatz 9, 10785 Berlin Bruce Nauman, Richard Long, On Kawara Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251 4 AUTOREN / IMPRESSUM 20 oder eben Konrad Fischer die Kunst um und Redaktion 030 - 89 36 35-27 was machten sie anders, fragt Imdahl. Und E-Mail [email protected] KEINE wie brachten Dorothee und Konrad Fischer Internet www.kulturstiftung.de 8 GROSSE BUHNE die Werke der Künstler von Minimal Art, von Max Beckmann Aktionskunst oder Land-Art nach Deutsch­ Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, EXPERIMENTE? land? Und ins Museum: Die über Jahrzehnte Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder zusammengetragene Sammlung des Ehepaars Projektleitung Dr. Stephanie Tasch 1 0 „DIE POESIE“ UND gelangte jetzt nebst umfangreichem Archiv in Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll „ERZENGEL MICHAEL“ die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann von Moritz von Schwind REGINA WYRWOLL Düsseldorf. ––– Seite 26 Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Elisa Kaiser, Carolin Kohl Wie entwickelte sich nach dem Startschuss Senior Editor Dieter E. Beuermann 12 FISCHSAURIERFOSSILIEN documenta 2 die fruchtbare, von jungen Consulting Editor Dr. Philipp Demandt Galeristen, mutigen Museumsleuten und Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit AUS POSIDONIENSCHIEFER avantgardistischen Künstlern geprägte reiche Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Kunstszene an Rhein und Ruhr, fragt Regina Vertriebsleitung, Abonnement, Internet 14 SONETTENKRANZ Wyrwoll, von 2001 bis 2011 Generalsekre­ Johannes Fellmann tärin der Kunststiftung NRW in Düsseldorf. Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 von Heinrich Heine Die Kunsthistorikerin, langjährige Kulturkor­ Dr. Ursula Boekels (Zeit Kunstverlag), respondentin für art, Süddeutsche Zeitung, Telefon 040 - 3280-1633 15 „ZARATHUSTRA“-HANDEXEMPLAR aspekte (ZDF) in NRW, Chefredakteurin von  Abonnements „Kunst Intern“ und ab 2002 Herausgeberin Arsprototo – Abonnementservice, von Peter Gast der Reihe „Synergien Energien“, die sich mit Bessemerstraße 51, 12103 Berlin E-Mail der Kunstentwicklung in Nordrhein-West­ [email protected] Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71 16 falen seit den 1960er Jahren beschäftigt, EISENKUNSTGUSS be­schreibt für Arsprototo in Schlaglichtern Jahresabonnement: 20 Euro MICHAEL LADENBURGER Erscheinungsweise den Siegeszug US-amerikanischer Avant­ Viermal jährlich aus der Sammlung Ewald Barth gardekunst im Rheinland. Welche politische Was macht Beethoven, wenn er gerade mal Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 8.12.2016 Relevanz erlangten Fluxus-Aktionen von nicht Symphonien komponiert? Er wirft Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 16.000 Bazon Brock, Wolf Vostell und Joseph Beuys beispielsweise seine Haushälterin raus, weil Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch oder Kunst-Festivals in Aachen? Wie misch­ sie krank wurde. Außerdem hatte sie auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung ten junge Kuratoren mit Happenings den noch den Spinat falsch zubereitet. Kurzer­ der Redaktion. etablierten Ausstellungsbetrieb in Köln auf? hand engagiert Beethoven eine der besten Litho Mega-Satz-Service, Berlin Und welche Rolle spielten vermögende Köchinnen Wiens. Dafür spart der Kompo­ Herstellung Buch- und Offsetdruckerei Sammler beim Kunsttransfer zwischen New nist beim Verschicken von Streichquartetten Wie Minimal Art und Konzeptkunst H. Heenemann GmbH & Co., Berlin York und Krefeld? ––– Seite 20 eifrig Porto: Woher weiß Michael Laden­ Vertrieb OML KG, Berlin ins Rheinland kamen burger, Kustos im Beethoven-Haus in Bonn, — von Regina Wyrwoll diese erstaunlichen Details aus dem Alltag des ISSN 1860 - 3327 äußerst musikalischen Junggesellen? Der Arsprototo erscheint mit Unterstützung des Sammlungsleiter ergattert seit Jahren nicht Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. nur kostbare Handschriften der weltbekann­ 26 ten Kompositionen, ihm gelingen auch Kulturstiftung der Länder FISCHERS immer wieder Erwerbungen, die ein neues Stiftung bürgerlichen Rechts Licht auf einen Komponisten werfen, den Lützowplatz 9, 10785 Berlin man längst zu kennen glaubt. Für Arsprototo Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 E-Mail [email protected] FRIENDS lenkt Ladenburger diesmal den Blick auf Internet www.kulturstiftung.de Beethovens alltägliche Sorgen, wenn der Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nahezu taube und äußerst misstrauische Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Komponist aus Angst, vom Personal betrogen Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner in Düsseldorf erwirbt die Sammlung von zu werden, beispielsweise pingelig täglich die Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dorothee und Konrad Fischer ausgegebenen Kerzen abzählt – und das auf Dr. Stephanie Tasch — von Georg Imdahl GEORG IMDAHL Notizzetteln festhält. ––– Seite 38 Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Kein „spießiger Händler“ sei er gewesen, der Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Galerist Konrad Fischer. Eher Künstler, fand Titelbild: Robert Assistentin des Vorstands Jenny Berg Carl Andre, der 1967 mit berühmt gewor­ Mangold, Column Informationsgemeinschaft zur Feststellung denen Bodenplatten als erstem Kunstwerk Structure XVI, 2007, der Verbreitung von Werbeträgern e.V. Fischers Galerie in Düsseldorf eröffnete. Der 304,8 × 243,8 cm; über Martin Heideggers Frühwerk promo­ Kunstsammlung vierte und an der Kunstakademie Münster Nordrhein-Westfalen lehrende Kunstkritiker Georg Imdahl wirft für Arsprototo einen Blick zurück in die

4 ARSPROTOTO 4 2016 5 INHALT

36 LÄNDERPORTRÄT BADEN-WÜRTTEMBERG  DOPPELTE RUINEN Helfen Sie mit: Im Schloss Bruchsal in Baden- 54 Württemberg brauchen zwei Landschafts­gemälde SCHWEISSWUNDER Ihre Unterstützung

38 UND AUSDRUCKS­ GENIE UND ALLTAG Das Bonner Beethoven-Haus erwirbt ein rares NIEDERSCHLÄGE Doppelblatt mit Notizen von Ludwig van Beethoven — von Michael Ladenburger

44 DADA UND DANACH

14 Gemälde, Aquarelle und Collagen Der Kunsthistoriker, Mediziner und Sammler Hannah Höchs bleiben in Nürnberg Hans Prinzhorn in Heidelberg — von Uta Baier — von Johannes Fellmann 6 0 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN 5 0 HENRY MOORE — IMPULS FÜR EUROPA Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in 6 4 FRISCHZELLENKUR FÜR SANATORIUMSMÖBEL Münster rückt einen der wichtigsten Bildhauer Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder des 20. Jahrhunderts in den Fokus half bei der Restaurierung von Jugendstilmöbeln im Berliner Bröhan-Museum 52 NEUE BÜCHER 6 6 SCHÖN IM DEPOT 53 SPENDEN / ABONNIEREN / BILDNACHWEIS  Nicole Fritz über ein Gemälde von Asger Jorn im Depot des Kunstmuseums Ravensburg

6 ERWERBUNGEN

Trübsinn und Schaffensdrang gingen gen richtet der 21-Jährige 1905 in Berlin werte Einheit hat. Mich Beckmann dem zivilisatorischen Eingriff des Men­ Max Beckmann, Große Buhne, 1905, während Max Beckmanns Paris-Aufent­ ein Atelier ein und erlebt ein Jahr später vorgestellt und ihm gratuliert“, schrieb schen und der Natur, mit dem Men­ 80 × 159,5 cm; Museum der bildenden Der Künstler halt 1903/04 eine Allianz ein: „Wenn mit dem Gemälde „Junge Männer am der legendäre Kunstsammler und Publi­ schen als winzigem Statisten. Die „Große Künste Leipzig ich nicht im Café oder im Bett bin male Meer“ bei der Ausstellung des Deutschen zist Harry Graf Kessler. Mit der „Großen Buhne“ markiert Beckmanns Entwick­ als junger ich Bilder von 5,5 × 4 m Größe. Kurzum Künstlerbundes den Durchbruch: „Sig­ Buhne“ war 1905 bereits ein Meeres­ lung zum eigenständigen Künstler. Das Förderer dieser Erwerbung: benehme ich mich wie es für einen norellisch und mit Qualitäten von Cour­ motiv entstanden: Pastos der Farbauf­ Museum der bildenden Künste Leipzig Kultur­stiftung der Länder, Ernst von Mann ge­nialen Menschen recht und billig ist.“ bet und Cézanne, aber doch von starker trag, rhythmisch die Pinselhiebe – Beck­ konnte das wichtige frühe Werk nun Siemens Kunststiftung, Gerhard und Inspiration durch die Großen der franzö­ Eigenheit im Rhythmus der Akzente und mann inszeniert das extreme Querformat dauerhaft erwerben, nachdem es zuvor Margit Merkel sischen Malerei inklusive. Nach Umwe­ in der Tonalität, die eine bewunderns­ als bildnerische Konfrontation zwischen als Leihgabe die Sammlung bereicherte. 8 9 KUNST AUF LAGER KARTONS VOLLER POESIE Eine Leier im Arm schreitet die geflügelte Poesie über eine Wolke, entblößt dabei anmutig ihr linkes Bein. Mütterlich beäugt sie drei Putti zu ihren Füßen, die, versehen mit Architekturmodell, Farbpalette und antiker Theatermaske, nebst der übergroßen Poesie für die weiteren Künste Architektur, Malerei und Theater stehen. Die Nähe zwischen Lyrik und Musik unterstreichend, führt die engelsgleiche Dichtkunst liebevoll einen vierten Putto mit Geige und Schal- meien an der Hand. Moritz von Schwind (1804 –1871) entwirft seine Personifikation der Poesie als ein empyreisches Wesen, das er in Kohle und Kreide erdet: In Größe und Schönheit lässt er sie die anderen Kunstfor- men überragen, zeichnet sie jedoch zugleich als Mutter der Künste und somit als einen- des Element. Der bedeutende Spätroman­ tiker Schwind legte seine Allegorie der „Poesie“ wie die gleichfalls großformatige Kohle- und Kreidezeichnung „Erzengel Michael“ als Karton an – eine Entwurfs- zeichnung, die dem eigentlichen Werk vorausgeht: Während der Karton, der Michael als Bezwinger des Teufels darstellt, nachgewiesenermaßen als Vorlage für ein verschollenes Ölbild diente, skizziert die Interpretation der Poesie mutmaßlich die Grundidee für ein Fresko. Mit dem An- spruch, selbst Vorzeichnungen zu eigen­ ständigen Kunstwerken zu erheben, führte der in Wien geborene Maler und Zeichner Schwind die beiden Kartons mit größter Sorgfalt aus. Über die Jahre haben die fragilen Papier­bögen, die zum Kernbestand der Graphischen Sammlung des Kultur­ historischen Museums Magdeburg gehören, stark gelitten: Schwinds zarte Linien und Schraffuren verblassten unter Verschmut- zungen und Wasserflecken, frühere Repara- turen von Rissen im Bildträger hinterließen auf den Motiven störende Makel. Mit Hilfe des von der Kulturstiftung der Länder mitgetragenen Restaurierungsbündnisses „Kunst auf Lager“ fanden „Die Poesie“ und „Erzengel Michael“ zu ihrer einstigen Wirkungskraft zurück: Dank aufwendiger Reinigungen, sorgfältiger Retuschen und einer Neuspannung der Papierbögen kön- nen Schwinds großformatige Kartons nun in Magdeburg wieder öffentlich präsentiert werden.

Moritz von Schwind, Die Poesie, um 1860, 217 × 95 cm (links); Erzengel Michael, vor 1848, 170 × 115 cm (rechts); Kultur­- historisches­ Museum Magdeburg

10 KUNST AUF LAGER Dass wir heute die Überreste von Fisch­ lung des Staatlichen Museums für Natur­ frisst. Ganze Knochen können so aus „Kunst auf Lager“. Die urzeitlichen uniter (die frühere Bezeichnung Stenopte- sauriern bestaunen können, die vor 182 kunde in Stuttgart. Umso ärgerlicher, den Fossilplatten herausbrechen. Um Bewohner der Schieferplatten können rygius crassicostatus ist heute wissenschaft- Millionen Jahren die Erde bevölkerten, dass die Fossilien häufig Opfer des ge­ diesen Prozess aufzuhalten, wurden nun wieder gefahrlos der Öffentlichkeit lich nicht mehr gültig), 182 Millionen haben wir den Konservierungskräften fährlichen sogenannten Pyrit-Zerfalls nun sieben besonders angegriffene Fisch­ präsentiert werden und uns die Welt Jahre alt (Jurazeit), 372 × 152 cm, FRISCHER der Natur zu verdanken. Im Jura durch werden: Bei Kontakt mit Wasser und saurier­fossilien fachmännisch gereinigt vor unserer Zeit veranschaulichen. Fundort: Holzmaden, Baden-Württem- Faulschlamm entstanden, gehören Fossil­ Sauerstoff – schon zu hohe Luftfeuchtig­ und imprägniert. Die Kulturstiftung der berg; Staatliches Museum für Naturkunde platten aus Posidonienschiefer deshalb keit reicht aus – entsteht aggressive Länder unterstützte die Restaurierungs­ Schieferplatte mit einem Exemplar der Stuttgart FISCH zu den wertvollsten Objekten der Samm­ Schwefelsäure, die sich in das Fossil arbeiten im Rahmen des Bündnisses seltenen Fischsaurierart Stenopterygius

12 ARSPROTOTO 4 2016 13 ERWERBUNGEN ERWERBUNGEN die Verteilung des vierten Bandes unter strikter Ge­ heimhaltung. Heute ist nur noch der Verbleib weniger verschenkter Drucke bekannt. Schon deshalb handelt es sich bei dem jüngst von der Klassik Stiftung Weimar Bissiges Buch erworbenen Handexemplar des – unter dem Pseudo­ nym Peter Gast tätigen – Komponisten und Schriftstel­ Es beeinflusste die politische Ideologie des 20. Jahrhun­ lers Heinrich Köselitz (1854 –1918) um ein spektaku­ derts wie kaum ein anderes Werk und war doch zu­ läres Zeugnis. Einzigartige Bedeutung aber gewinnt nächst ein Ladenhüter: 1883 und 1884 im Chemnitzer dieser Druck durch ein beiliegendes Blatt mit bislang Verlag E. Schmeitzner erschienen, verkauften sich die unbekannten eigenhändigen Korrekturen Friedrich ersten drei Bände von Friedrich Nietzsches (1844 – Nietzsches, die den im Text vorgenommenen Verände­ 1900) „Zarathustra“ gerade einmal in 60 bis 70 Exem­ rungen seines Freundes zugrunde liegen. Das kostbare plaren. Sein aufwühlendes philosophisches Traktat über Ensemble aus der Sammlung Max Dregers ergänzt den Übermenschen Zarathustra stieß auf Unverständnis somit künftig nicht nur Nietzsches wie Gasts Nachlass – selbst bei seinen ihm sonst gewogenen Lesern. Den im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung vierten und letzten Teil empfand Nietzsche als noch Weimar, sondern verspricht darüber hinaus wertvolle radikaler und so entschied er sich 1885 für einen Aufschlüsse über die Entstehung eines der wichtigsten ­Privat­druck des Manuskripts – in einer Auflage von philosophischen Werke des 19. Jahrhunderts. nur 40 Stück. Ergänzt durch den Hinweis „Für meine Freunde und nicht für die Öffentlichkeit“ – und teil­ Förderer dieser Erwerbung: weise mit handschriftlichen Widmungen wie „Ein Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der verbotenes Buch, Vorsicht es beißt!“ versehen –, erfolgte Bundes­regierung für Kultur und Medien

gesellschaftlichen Leben der Metropole, Anspielungen auf Personen, Moden und über die Heinrich Heine (1797–1856) in Geistesströmungen Heines enge Verbindun- „DOCH LÄCHLE dieser Zeit schreibt: „Berlin ist gar keine gen zum Varnhagen-Kreis und seine enge Stadt, sondern Berlin gibt bloß den Ort Verflechtung mit den Protagonisten der NUR!“ dazu her, wo sich eine Menge Menschen, deutsch-jüdischen Kultur, mit der jüdischen und zwar darunter viele Menschen von Aufklärung und Assimilation. Geist, versammeln, denen der Ort ganz Hegel schickte ihr Pralinen in die Loge, gleichgültig ist.“ Förderer dieser Erwerbung: Heinrich Heine schwärmte von der „Cou- Über die alle begeisternde „Rike“ schreibt Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der sine der Venus von Milo“, Alexander von der junge Dichter: „Sie vereinigt in sich die Bundesregierung für Kultur und Medien Humboldt lag der jungen Frau zu Füßen: Jokaste und die Julia, das Antikste und das Friederike Robert, geb. Braun (1795 –1832) Modernste!“ Und schwärmt: „Madame, galt als „schönste Schwäbin ihrer Zeit“ und Sie sind die Schönste aller Frauen!“ Der verzauberte zahlreiche Geistesgrößen in Student widmet der Angehimmelten den den Berliner Salons des Biedermeier. Doch „Sonettenkranz an Friederike Robert, geb. den erfreulichen Jahren Friederike Roberts Braun“ und übersendet im Mai 1824 eine in Berlin waren düstere vorangegangen: eigenhändige Fassung des Gedichts in Obwohl der Vater ihr noch eine für die sorgfältiger Schönschrift. Den aus drei damalige Zeit ungewöhnlich gute Schul­ Sonetten bestehenden „Kranz“ veröffent- bildung ermöglicht hatte, gab er Friederike lichte Heinrich Heine in einer überarbeite- 17-jährig dem italienischen Schmuckhänd- ten Version erst 12 Jahre später unter dem ler Giambattista Primavesi zur Frau. Jahre- Titel „Friedrike“ in seinen „Neuen Gedich- lang tingelte sie mit ihm über die Jahr- ten“. Im Urtext besingt der Dichter Friede- märkte. Als die Geschäfte immer schlechter rike mit christlicher Metaphorik: „… Doch liefen, soll der skrupellose Primavesi seine lächle nur! Denn wenn du lächelst, greifen / Gattin Friederike sogar zur Prostitution Die Engel droben nach der Harf, und gezwungen haben. Aus den Fängen des singen / Des Halleluja dröhnenden Choral.“ Zuhälter-Ehemannes kaufte die verzweifelte Nun kommt das einmalige biographische Friederike schließlich ihr zukünftiger, Dokument aus der Frühzeit seines Schaffens zweiter Mann frei, der Schriftsteller und in das Archiv des Düsseldorfer Heinrich- Wilhelm Hensel, Friederike Robert, Journalist Ludwig Robert, Bruder der Heine-Instituts, der Forschungseinrichtung, 1823 romantischen Schriftstellerin Rahel Varnha- die die weltweit umfangreichste Sammlung gen, die viele Jahre einen berühmten Salon an schriftlichen Zeugnissen des „letzten in Berlin führte. Kurz nach der Eheschlie- Dichters der Romantik“ bewahrt. Die ßung zog das Paar 1824 nach Berlin, Friede- Handschrift schließt nicht nur eine Lücke rike Robert avancierte innerhalb weniger in der historisch-kritischen Werkedition, Wochen zur vielverehrten Protagonistin im sondern illustriert mit ihren zahlreichen

14 ARSPROTOTO 4 2016 15 KUNST AUF LAGER Dessau 24.02. - 12.03.2017 EISERN KURT WEILL GESAMMELT 25 Jahre Nils König Friedrich Wilhelm III. von Preu- Ulrich Tukur Landgren ßen (1770 –1840) und seine Gemahlin Angelika Aurelia Luise von Preußen (1776 –1810) erstrah- Kirchschlager Shimkus len in neuem Glanz: Die lebensgroßen eisernen Büsten – aus dem Besitz des Dessauer Zahnarztes Ewald Barth Kurt Weill (1898 –1968) – rücken nach aufwendiger Restaurierung wieder in das Licht der Öffentlichkeit. Während des Zweiten RevolutionäR Weltkriegs im Zerbster Schloss in Sicher- ! heit geglaubt, wurde die einst 1.800 Russische Avantgarde aus der Objekte umfassende Privatsammlung 1945 unter Schutt und Asche begraben. Sammlung Vladimir Tsarenkov Erst Jahre später gelang Ewald Barth die 11.12.2016 – 12.3.2017 Rettung seiner Schätze aus den Ruinen des Schlosses. Die Restaurierung aus­ Luther, Weill 400 Werke von 110 Künstlern gewählter Exemplare des mit großer & Mendelssohn 1907 – um 1930 Leidenschaft zusammengetragenen Großzügig gefördert von Konvoluts gelang mit Unterstützung des Erleben Sie unter dem Motto „Luther, Weill & Mendelssohn“ unvergessliche Festivalmomente Freundeskreises der Kultur­stiftung der in Dessau, Wörlitz, Wittenberg, Halle und Magdeburg und feiern Sie mit uns den 25. Geburts- Länder im Rahmen der Initiative „Kunst tag des Kurt Weill Fest. Das Festspielangebot reicht vom Solo-Konzert über Orchesterkonzer- te bis zu den großen Bühnen-Werken Kurt Weills und seiner Zeitgenossen. Sichern Sie sich auf Lager“. Über die königlichen Mo- die besten Plätze und lassen Sie sich begeistern für Kurt Weill, seine Musik und seine Zeit. Kunstsammlungen Chemnitz delle hinaus legt die Ausstellung die Theaterplatz 1 | 09111 Chemnitz | www.kunstsammlungen-chemnitz.de Vielseitigkeit des Materials überzeugend Abb.: Alexander Deineka, Baseball, 1935, Vladimir Tsarenkov’s Collection, London © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 dar: Neben Schmuck, Statuetten und Tel. 0341 . 14 990 900 www.kurt-weill-fest.de Büsten nach Entwürfen bedeutender Künstler wie Christian Daniel Rauch oder Karl Friedrich Schinkel gehören gefördert durch die auch Gebrauchs- und Ziergegenstände Arsprototo Russ Avantgarde final.indd 3 10.11.16 14:35 wie Vasen und Plaketten aus Eisen dazu. In Umfang und Vielfalt ohne Vergleich, galt Ewald Barths Eisenkunstguss-Samm- lung bereits zu ihrer Entstehungszeit als die bedeutendste ihrer Art in Deutsch- land. Die unikale Sammlung wird nun im Dessauer Museum für Stadtgeschichte präsentiert.

Aus der Eisenkunstguss-Sammlung von Ewald Barth: je v.l.n.r. Standuhr, um 1820 –30; Wilhelm August Stilarsky, Warwick-Vase, Nachguss nach 1840; Der digitale Erdmann Theodor Kalide, Reiterstatuette des Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. Kunstführer von Preußen, 1830; Christian Daniel Rauch, Büste des Friedrich Wilhelm III. für das von Preußen, 1816; Wilhelm August Stilarsky nach Christian Daniel Rauch, Büste der Königin Luise von Preußen, Ruhrgebiet 1818; Viktoria-Statuette (Teil eines ursprünglich vierarmigen Leuchters), um 1820 –30; Museum für Stadtgeschichte Dessau

16 www.kunstgebiet.ruhr

161110_KGR_Anzeige_Arsproto_215x140.indd 1 10.11.16 11:23 Regina Wyrwoll über Konzeptkunst und Minimal Art TITELTHEMA KONZEPTKUNST im Rheinland der 1960er Jahre — Seite 20 Georg Imdahl über die Sammlung von Dorothee und Konrad Fischer für die Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen — Seite 26 AVANTGARDE UND AKTION

Blick in die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen / K20. Vorne: Richard Long, Circle for Konrad, 1997, Durchmesser 660 cm; Hinten v.l.n.r.: Robert Mangold, Column Structure XVI, 2007, 304,8 × 243,8 cm; Robert Mangold, Irregular Blue Gray Area with a Drawn Ellipse # 2, 1986, 228,6 × 189,2 cm; Frank Stella, Delphine and Hippolyte, 1959, 230,5 × 334,8 × 7,9 cm (nicht Teil der Sammlung Fischer); Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 18 ARSPROTOTO 4 2016 19 TITELTHEMA KONZEPTKUNST sie endlich, die zweite Avantgarde – nach radikal auf aktuelle Kunst – nicht zuletzt der Verfemung der ersten durch die aus Kostengründen – und verursachte Nazis! Dieser Begriff aus der Militärspra­ damit auch überregional widerhallende che, der sich als „Vorhut“ (mit Feindbe­ Skandale wie bereits 1961 mit einer rührung) übersetzen lässt, kennzeichnete Ausstellung von Yves Klein im zu den die folgenden Jahrzehnte wie kein zwei­ Krefelder Museen gehörenden Haus ter. Er ließ sich – je nach Sichtweise – Lange. KEINE EXPERIMENTE? auf die spröde Konzeptkunst eines Carl Andra Lauffs-Wegner, eine der sechs Andre oder Sol LeWitt, auf die Fluxus- Töchter des Unternehmers Walter Lauffs, Wie Konzeptkunst und Minimal Art ins Rheinland kamen Arbeiten eines Joseph Beuys wie auf erinnert sich: Ein Artikel von Hans von Regina Wyrwoll die dem realen Leben abgeschaute und Strelow vom 22. Dezember 1967 in „Die marktfreundliche Pop-Art eines Roy Zeit“ über Paul Wember – interessanter­ Lichtenstein oder Andy Warhol, sogar weise betitelt mit „Keine Experimente“, auf Film und Video anwenden. Die hohe obwohl er das Engagement des Krefelder Aktivität der rheinischen Kunstszene und Museumsdirektors für die Avantgarde Installationsansicht von Joseph Beuys’ ihrer Akteure, mit angefeuert durch die zum Thema hatte – begeisterte ihren „Schmerzraum“ in der Düsseldorfer Mutter- Ey-Straße 5, Dezember 1983. Bereits im Studenten und einen Teil der Professoren Vater so sehr, dass er Kontakt zu Wem­ Frühjahr 1983 hatte Beuys die neuen der Düsseldorfer Kunst­akademie, ließ ber aufnahm. Daraus entwickelte sich Galerieräume­ von Dorothee und Konrad die „Kunstfamilie“ sich rasch vermehren Wembers langjährige Beratung der Fischer mit „Dumme Kiste“ eröffnet und führte zu der weltweit bis heute Familie Lauffs: „Nur ganz selten hat und die oberen Stockwerke und damit einzigartigen Vielzahl von Museen und mein Vater etwas eigenständig gekauft.“ auch unversehens auf die Plätze verwies: Ausstellungshäusern für zeitgenössische Etwa 500 Werke der aktuellen Kunst, Heftige interne Auseinandersetzungen Kunst an Rhein und Ruhr. meist Hauptwerke, wie sich später her­ sowie Besucherreaktionen auf den US- Im Europa der 1960er Jahre stehen ausstellte, wurden zusammengetragen Import waren die Folge. im Wesentlichen sechs Orte und sieben und im Krefelder Museum ohne vertrag­ Doch waren die Frische und Energie Namen für die Avantgarde: in Luzern liche Bindung über 40 Jahre immer dieser Kunst – radikale Experimente mit Jean-Christophe Ammann, in Bern wieder ausgestellt. Andra Lauffs-Wegner Material, Form und Format, zeitbezo­ Harald Szeemann, in Amsterdam Wil­ hat im Krefelder Museum ihre Initiation gene Künste wie Performance oder Film / lem Sandberg und später Wim Beeren, als Sammlerin erfahren: „Wenn man zu Video, Op-Art, Pop-Art, Minimal Art, in Kopenhagen Knud W. Jensen, in Wember gefahren ist, kam man immer Konzeptkunst, Land-Art, die nach und Stockholm Pontus Hultén und später in glücklich nach Hause, richtig beglückt! nach ins Rheinland kamen – nicht zu Eindhoven Rudi Fuchs. In Deutschland, Jede Eröffnung war ein Ereignis.“ Julian übersehen. Einige Museumsdirektoren genauer gesagt im Rheinland, ragte früh Heynen, stellvertretender Direktor des (und mit ihnen eine noch überschaubare eine charismatische und weit über die Krefelder Museums unter Wembers Anzahl von Künstlern, Galeristen, Grenzen strahlende Figur heraus: Paul Nachfolger Gerhard Storck und danach Kunstkritikern und Sammlern) reagier­ Wember, von 1947 bis 1975 Direktor viele Jahre Kurator der Kunstsammlung ten mit einer gewissen Zeitverzögerung, des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld. NRW, erinnert sich: „Paul Wember ist Konrad Fischer und Carl Andre während der Eröffnung der Galerie „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in der dann aber doch entschieden: Hier war Er setzte von Beginn seiner Amtszeit an nicht viel gereist, denn bis man damals Düsseldorfer Neubrückstraße 12 am 21.10.1967. Vorne rechts Carl Andres Werk „5 × 20 Altstadt Rectangle“ eine Dienstreise von der Stadt genehmigt bekommen hat, dauerte es lange. Außer­ ie 60er Jahre des vergangenen Réalistes als Zentrum der Nachkriegs- sekretär der documenta 2, berichtet, dem war Wember Kriegsinvalide. Er Jahrhunderts waren nicht gerade Kunstwelt gefeiert, doch nun machten übernahmen die Verantwortlichen fuhr alle paar Jahre nach Paris. Sein D arm an gesellschaftlichen Um­ zunehmend US-amerikanische Künstler Arnold Bode und Werner Haftmann un­- erster Kontakt im Rheinland war [der brüchen – auf den Straßen der großen und eine junge Künstlergeneration im gesehen ein kostenlos angeliefertes und Galerist] Alfred Schmela.“ Wember Universitätsstädte revoltierten die Stu­ Rheinland von sich reden. Sie wandten vom Museum of Modern Art in New nutzte im Laufe der Jahre die sich schnell denten („Macht kaputt, was Euch kaputt sich von der Malerei ihrer Lehrer ab, York, kuratiertes Konvolut mit Werken entwickelnde Galerienlandschaft des macht!“), die englische Pop-Musik füllte probierten jenseits von Leinwand und von Künstlern wie Jackson Pollock, Mark Rheinlands: Haus Lange wurde 1969 Fußballstadien mit innovativer Musik klassischer Skulptur neue Formate und Rothko und Robert Rauschenberg. mit der legendären Ausstellung „Live in und kreischenden Fans und in der bil­ Techniken aus und entwarfen Visionen Wegen der unerwarteten Größe dieser your Head – When Attitude Becomes denden Kunst stellte eine neue Künstler­ einer Einheit von Kunst und Leben. Bilder – Zwirner musste gestehen, dass er Form“ von Harald Szeemann wiederer­ generation die Ästhetik des Informel in 1959 erschien zum ersten Mal auf ihre Maße nicht überprüft hatte – konn­ öffnet, bei der viele Künstler der beiden Frage und verbannte sie auf die Schreib­ der großen Bühne der documenta 2 in ten sie nur im Erdgeschoss des Museum Galerien Konrad Fischer und Rolf Ricke tische der Kunsthistoriker. Paris wurde Kassel aktuelle US-amerikanische Kunst, Fridericianum präsentiert werden, was vertreten waren. seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit ein Auftritt mit Folgen. Wie der spätere die eher kleinformatige Kunst aus den Auch die beiden anderen Museen, der École de Paris und den Nouveaux Galerist Rudolf Zwirner, damals General­ anderen Ländern in die Nebenräume Kasper König 1966 in New York. Als Vermittler von Kunst und Künstlern nach die entschieden für die deutsche Avant­ Europa hatte er Dorothee und Konrad Fischer von Anfang an beraten

20 ARSPROTOTO 4 2016 21 garde und für die junge Künstlergenera­ Geste in die Höhe hielt – fotografiert nen war die Haltung Ruhrbergs, die tion von der Ostküste der USA eintra­ von Heinrich Riebesehl und als Ikone Museen nicht zu zerstören, wie die ten, standen in der rheinischen Provinz, eingegangen in die Kunstgeschichte. Studenten es forderten, sondern für neue in Mönchengladbach und Leverkusen: Wobei bis heute die Frage unbeantwortet Aufgaben zu öffnen. Johannes Cladders, ab 1957 Assistent ist, warum Beuys das Kreuz mit sich Auch Sammler suchten die Öffent­ von Paul Wember und von 1967 bis führte. lichkeit: 1968 zeigte der Schokoladen­ 1985 Direktor des Mönchengladbacher Auch der eher traditionelle Ausstel­ fabrikant und promovierte Kunsthistori­ Kunstmuseums, nach dem Neubau lungsbetrieb führte zu gehöriger öffent­ ker Peter Ludwig aus Aachen unter dem umbenannt in Museum Abteiberg, und licher Empörung wie Harald Szeemanns Titel „Kunst der sechziger Jahre“ zum die beiden Direktoren von Museum von der Stadt Köln beauftragte Ausstel­ ersten Mal seine rasch wachsende Kollek­ Schloss Morsbroich in Leverkusen, Udo lung „Happening und Fluxus“ von 1970 tion aktueller Kunst mit viel US-ameri­ Kultermann von 1959 bis 1964, gefolgt (Teilnehmer: Joseph Beuys, Günther kanischer Pop-Art, aber auch Franzosen von Rolf Wedewer von 1965 bis 1995. Brus, Alan Kaprow, Charlotte Moorman, und Deutschen, im dortigen Suermondt- Sie machten ihre Museen neben Krefeld Otto Mühl, Hermann Nitsch, Ben Museum, 1969 dann mit ungleich für die kommenden Jahre zu deutschen Vautier und Wolf Vostell) im Kölnischen größerem und nachhaltigem Erfolg im Zentren für Konzeptkunst, Minimal Art Kunstverein, die massenhafte Vereinsaus­ Kölner Wallraf-Richartz-Museum. und später Arte Povera, wobei „Konzept­ tritte zur Folge hatte. ­Diesen Erfolg verdankte Ludwig unter kunst“ durchaus weitherzig ausgelegt Im Rheinland entstanden im Zuge Joseph Beuys beim „Festival der Neuen Kunst“ an der anderem dem Katalog zur Ausstellung, wurde und aufsteigende regionale Mata­ der gesellschaftlichen und künstlerischen Technischen Hochschule Aachen, nachdem er vom den er von Wolf Vostell gestalten ließ dore wie Joseph Beuys, Sigmar Polke Umwälzungen neue Institutionen: 1968 Faustschlag eines Besuchers im Gesicht getroffen und der in fünf Auflagen seinen Sieges­ wurde, 1964 und einschloss. Sie alle gründete Klaus Honnef, Kunstkritiker zug durch die internationale Kunstwelt hatten, wie es Karl Ruhrberg einmal bei den Aachener Nachrichten, mit dem antrat – den Vertrieb hatte Ludwig dem beschrieb, nicht nur keine Scheu, son­ Wirt Will Kranenpohl und der Künstle­ späteren Kunstbuchhändler und Verleger dern im Gegenteil große Lust daran, sich rin Rune Mields den Verein „Zentrum Walther König übertragen. Im Jahr zuvor „mit dem erschütterten Museumsbegriff, für aktuelle Kunst – Gegenverkehr e.V.“, hatte an gleicher Stelle der Chefrestaura­ dem erschütterten Kunstbegriff und dem der bis 1972 existierte und sich ganz der tor der Kölner Museen, Wolfgang Hahn, erneuerten gesellschaftlichen Verständnis zweiten Avantgarde verpflichtet hatte. mit seiner vorbildhaften internationalen von Kunst“ in direkter Kooperation mit Es wurden Undergroundfilme gezeigt, Sammlung ein erfolgreiches Gastspiel den Künstlern zu beschäftigen. So klein Gerhard Richter hatte 1969 dort seine gegeben. die Museen waren, sie wollten an die erste Einzelausstellung, Eat Art von Und zeitgleich erschienen schließlich Spitze der Kunstentwicklung in West­ Daniel Spoerri und Pin-Up Girls von auch Galerien neuen Typs, die eine deutschland. Marianne Stockebrand, Mel Ramos fanden ihren Weg in die Schlüsselrolle in der Öffnung des Rhein­ ehemalige wissenschaftliche Assistentin Grenzstadt. Zeitweise hatte der Verein Installationsansicht der Ausstellung “Live in Your landes hin zu amerikanischer Kunst und Head – When Attitudes Become Form” in der Kunst- am Krefelder Museum, erinnert sich 500 zahlende Mitglieder. Honnef und halle Bern 1969, kuratiert von Harald Szeeman. Die dem Einzug von Minimal Art, Konzept­ gern an die besondere Atmosphäre jener Mields zogen weiter an den Kunstverein Ausstellung machte im selben Jahr Station im Museum kunst und der ihnen verwandten Arte Jahre: „Wir waren damals keine Kon­ in Münster, wo sie ihr radikales Pro­ Haus Lange in Krefeld sowie am Institute of Contem- Povera mit Mario Merz und Jannis porary Arts in London. Zu sehen sind Werke von kurrenten, im Gegenteil, man war froh, gramm fortsetzten. Alighiero Boetti, Mario Merz, Richard Artschwager, Kounellis an den Rhein übernahmen: wenn sich auch andere mit den Künst­ 1967 eröffnete die Städtische Kunst­ Robert Morris, Bruce Nauman und Barry Flanagan 1967 eröffnete der Künstler Konrad lern unserer Avantgarde beschäftigten. halle in Düsseldorf und im gleichen Lueg als Konrad Fischer mit seiner Frau Grundriss der „Prospect 71: Projection“ in der Kunsthalle Düsseldorf mit Zuordnung der Art“ eröffnete, gab es lautstarken Protest Künstler. Die dritte Ausstellung der „Prospect“-Reihe zeigte über 110 Positionen in Form Wir mochten halt die spröde Kunst Jahr eine weitere in Köln. Diese Häuser Dorothee seinen ersten Ausstellungsraum von Filmen, Videos, Diapositiven und Fotografien, 1971 lieber als Pop oder marktgängige sollten keine eigene Sammlung auf­ von Studenten gegen die „elitäre Kunst“, „Ausstellungen bei Konrad Fischer“ in Arbeiten.“ bauen, sondern hatten stattdessen den darunter auch von Jörg Immendorff, der Düsseldorf mit einer Präsentation von Die politisch an Bedeutung gewach­ Auftrag, Ausstellungen losgelöst vom einem anderen Künstler Honig in die Carl Andre. Anfang 1968 kam der sene Virulenz der künstlerischen Akti­ Museumsbetrieb zu machen oder, wie in Haare pumpen wollte. Ruhrberg erin­ Galerist Rolf Ricke aus Kassel nach Köln vitäten und Aktionen, auch die Fluxus- Köln, den städtischen Museen die nötige nerte sich in einem Interview mit Uwe und eröffnete mit Jasper Johns. Den Veranstaltungen mit Bazon Brock, Wolf Ausstellungsfläche bereit zu stellen. Karl M. Schneede kurz vor seinem Tod 2006: jungen Schallplattenhändler hatten die Vostell und Joseph Beuys führten zu teils Ruhrberg, erster Direktor der Düssel­ „Ich war damals noch Mitglied des documenta 1, insbesondere aber die spektakulären Konfrontationen. Erinnert dorfer Kunsthalle, vorher Journalist Boxrings Düsseldorf und stand auf der documenta 2 mit den schon erwähnten sei an die Attacke auf Beuys während des und zeitweise Operndramaturg mit Treppe […]. Und dann habe ich gesagt: Arbeiten von Pollock, Rothko und „Festivals der Neuen Kunst“ 1964 an Ausgleichssport Boxen, geriet mit dem ‚Immendorff, die Garderobe ist da un­ Rauschenberg so elektrisiert, dass er fast der Aachener Technischen Hochschule, damals von vielen Künstlern als architek­ ten!‘ Ich hätte ihm auch eine gelangt. täglich die Ausstellung besucht und sie als der Faustschlag eines Zuschauers bei tonisch völlig ungeeignet abgelehnten Das hat er gemerkt. Und da ist er brav systematisch durchfotografiert hatte. Beuys ein Nasenbluten auslöste und brutalistischen Gebäude zwischen die die Treppe herunter gegangen und hat Die Galerien Fischer und Ricke dieser geistesgegenwärtig aus der Tasche Fronten. Als er 1969 die aus Den Haag die Honigpumpe abgegeben.“ Stein des verband bei allen Unterschieden eins: Installationsansicht der „Prospect 71: Projection“. Mit der Konzentration­ auf ein Kreuz zog und mit deklamatorischer übernommene Ausstellung „Minimal Anstoßes und vieler hitziger Diskussio­ die Leidenschaft für aktuelle, noch nicht das junge Medium Video machten die beiden Organisatoren Konrad Fischer und Hans Strelow die neuesten Tendenzen der Avantgarde für ein breites Publikum zugänglich, 1971

22 ARSPROTOTO 4 2016 23 rie bis heute treu. Thomas Kellein kons­ tatierte 2010: „Seine legendäre Wirkung manifestierte sich zusammengefasst darin, dass er in der rheinischen Kunst­ szene für viele Jahre nach 1967 – ver­ gleichbar nur mit Joseph Beuys – der wahrscheinlich wichtigste Wegweiser für die tragfähigen künstlerischen Richtun­ gen war.“ Und Friedrich Meschede, Nachfolger von Kellein als Direktor der Kunsthalle Bielefeld, ergänzt: „Man muss sich klar machen, dass Konrad Fischer über die Jahre erfolgreich mit drei ver­ Blick in die Ausstellung „Prospect 68“, Kunsthalle Düsseldorf, 1968 schiedenen Künstlergenerationen gear­ beitet hat, eine seltene Leistung!“ Fischer starb 1996, seine Frau Dorothee führte die Galerie bis zu ihrem Tod 2015 wei­ ter, seither leitet Tochter Berta Fischer die Galerie, inzwischen mit einer Depen­ dance in Berlin. Rolf Ricke hatte auf andere Weise Glück: Der Industrielle und Sammler Hans Joachim Etzold aus Moers am Niederrhein gab ihm im Dezember 1964 rund 16.000 DM (damals 4.000 Dollar), um in New York für ihn amerikanische Konrad Lueg, Sigmar Polke, Blinky Palermo und Gerhard Richter Pop-Graphik einzukaufen, wie sie Etzold vor der Galerie Heiner Friedrich in Köln, 1967 bei Paul Wember im Krefelder Haus Lange gesehen hatte. Ricke konnte im den Kunstmarkt zu profitieren. Das Dies war der Start für die Medien- und eine Art Vorschau auf die kommenden Januar 1965 einen Exklusivvertrag für Terrain vorbereitet hatten ihnen in Videokunst in Deutschland. Zwirner Ausstellungen der beteiligten Galerien den Europavertrieb mit der legendären Düsseldorf seit 1957 hauptsächlich die und Stünke, die beide nur wenig Geld geben. Damit lag der Schwerpunkt auf Dorothee und Konrad Fischer mit Bruce Nauman, 1989 Tatjana Grossmann abschließen, die Galeristen Jean-Pierre Wilhelm (der mit ihren Galerien verdienten, gründeten der Qualität der einzelnen Werke und damals sämtliche Graphiken für die seine „Galerie 22“ allerdings schon 1960 1966 mit 16 Galerien den „Verein pro­ weniger auf deren Vermarktbarkeit, was durchgesetzte Kunst, hohe Risikobereit­ erarbeiteten die Ausstellung meist vor Pop-Künstler druckte. Es gelang ihm, aufgab) und Alfred („Vatta“) Schmela. gressiver deutscher Kunsthändler“ und schließlich 1973 auch das Ende von schaft und überaus schmale finanzielle Ort. Diese herz­liche Gastfreundschaft alle Wünsche Etzolds zu erfüllen, der In Köln waren es Hein Stünke mit der veranstalteten 1967 mit ihnen den ersten „Prospect“ besiegelte. Immerhin: Die Mittel. Konrad Fischer hatte als Künstler machte in der New Yorker Kunstszene ihm die Arbeiten für eine Ausstellung in Galerie „Der Spiegel“, die sich seit 1945 Kölner Kunstmarkt. Der damalige Köl­ nationale und internationale Resonanz eine Antenne für Künstler und ihre schnell von sich reden – sie war das erste seiner Kasseler Galerie überließ – da sie zum wichtigsten künstlerischen Diskurs­ ner Kulturdezernent Kurt Hackenberg war sowohl beim Kölner Kunstmarkt wie Bedürfnisse. Aber er hatte auch einen und vielleicht wichtigste Kapital für bereits verkauft waren, hatte Ricke kein ort in Köln entwickelt hatte, und später überließ ihnen die „Wohnstube“ Kölns, auch bei „Prospect“ überwältigend. guten Freund: Kasper König lebte zu der Dorothee und Konrad Fischer, wobei Risiko. 1967 begann er, wie Harald Rudolf Zwirner, der 1962 aus Essen nach den Gürzenich – die traditionsreiche Damit hatte sich das Rheinland mit Zeit in New York und kannte sich bes­ sein immer waches und begabtes Marke­ Szeemann es ausdrückte, „das Abenteuer Köln umgezogen war. Flankiert wurden Festhalle in der Kölner Altstadt. Es Hilfe unterschiedlichster Akteure inner­ tens aus. Er verdiente sich seinen Unter­ tingtalent für seine Künstler bald große mit der Objekt- und Prozesskunst“ mit diese ersten Wegbereiter von der Wup­ wurde ein durchschlagender Erfolg: In halb weniger Jahre nach der Initialzün­ halt als Scout und Vermittler von Kunst Erfolge erzielte. einer Ausstellung von Gary Kuehn, die pertaler „Galerie Parnass“ des Architek­ vier Tagen kamen rund 15.000 Besucher, dung der documenta 2 als wichtigster und Künstlern nach Europa und umge­ In den ersten beiden Jahren reali­ – wie viele spätere in Köln – vor Ort in ten Rudolf Jährling, die sich seit 1949 und es wurden 1,5 Millionen Mark Standort der US-amerikanischen Avant­ kehrt. Da Fischer vorerst aus finanziellen sierte Fischer bereits 25 Ausstellungen Kassel entstand. Ricke, der seine guten bis zu ihrer Schließung 1965 radikal den umgesetzt. garde in Deutschland etabliert; ein Gründen nicht reisen konnte, aber durch in der kleinen Galerie in der Neubrück­ Beziehungen nach New York so eifrig aktuellen Entwicklungen in Frankreich Die Düsseldorfer Antwort blieb Kunsttransfer, der nicht ohne Folgen für Kunstzeitschriften gut informiert war, straße 12, einem elf Meter langen und pflegte wie sein Düsseldorfer Kollege und Deutschland verschrieben hatte und nicht aus: Konrad Fischer, der vom die Entwicklung des Kunstmarktes und bat er König, ihm zu helfen. Er bot ihm kaum drei Meter breiten Tordurchgang. Fischer, wurde zum Galeristen von seit dem Beginn der sechziger Jahre mit Kölner Verein abgelehnt worden war, der Rezeption der Künstler in den Verei­ sogar eine Teilhaberschaft an, die König Die meisten waren Erstpräsentationen Richard Serra, James Rosenquist, Keith ihren Happening- und Fluxus-Veranstal­ zeigte in der Düsseldorfer Kunsthalle nigten Staaten blieb. Die Galerie Fischer aber ausschlug. Jahrelang war gerade in Deutschland: Richard Artschwager, Sonnier, Bill Bollinger, von den Deut­ tungen Kunstgeschichte schrieb: Nam 1968 zusammen mit dem damaligen erscheint in diesem Kapitel deutsch-ame­ genug Geld für den Hin- und Rückflug Richard Long, Hamish Fulton, Dan schen Michael Buthe, Ulrich Rückriem June Paik veranstaltete dort 1963 als Kunstkritiker und späteren Galeristen rikanischer Kunstgeschichte als eine der der Künstler vorhanden; für das karge Flavin, Jan Dibbets, Bruce Nauman, und anderen. Pop-Art verkaufte er jahre­ erste Einzelausstellung seine „Exposition Hans Strelow „Prospect 68“, eine von zentralen Schnittstellen dieses transat­ restliche Budget war Dorothee Fischers Panamarenko, , Law­ lang an Peter Ludwig, der ihn aber of Music – Electronic Television“, bei der externen Fachleuten jurierte Verkaufsaus­ lantischen Austauschs. Gehalt als Lehrerin unverzichtbar. Die rence Weiner und viele mehr. Obwohl er verließ, als Ricke sich der Konzeptkunst sich Joseph Beuys, überraschend für alle, stellung mit internationalen Galerien, ersten Jahre wohnten die Künstler bei keine Verträge mit den Künstlern schloss, zuwandte. Rolf Ricke ging zur Wende einmischte und mit einer Axt und einem die wie eine Avantgarde-Kunstausstel­ den Fischers, wurden gut versorgt und blieben die meisten von ihnen der Gale­ 1967/68 nach Köln, um vom aufstreben­ Paar Schuhe ein Piano zertrümmerte. lung auftrat. Man wollte mit „Prospect“

24 ARSPROTOTO 4 2016 25 TITELTHEMA KONZEPTKUNST FISCHERS FRIENDS Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf erwirbt die umfangreiche Sammlung des Ehepaars Dorothee und Konrad Fischer von Georg Imdahl

Bruce Nauman, Setting a Good Corner (Allegory & Metaphor), 1999, Video-Still; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

ontemporary art is postconceptual art“ – ebenso zwar nicht per se obsolet wurden – doch sahen sich die einfach wie einleuchtend hat Peter Osborne defi­ Künstler nicht mehr als Maler, Bildhauer, Zeichner, C niert, was unter zeitgenössischer Kunst zu verstehen vielmehr entwickelten sie für jede Setzung eine jeweils sei. Der britische Philosoph weist der Konzeptkunst eigene Form und bedienten sich, wenn erforderlich, eine zentrale Bedeutung zu: Was immer heute als nur mehr nach Bedarf des einzelnen Genres. zeitgenössisch gelten kann, hat demnach den Konzep­ So filmt Bruce Nauman die nächtliche Atmosphäre tualismus der 1960er Jahre wie einen Katalysator in seinem verwaisten Atelier oder richtet die Video­ durchlaufen und hinterfragt sich, im Sinne des Kon­ kamera auf sich selbst, als er auf seiner texanischen zeptualismus, als Kunst selbstkritisch. In jenen 60er Ranch einen Zaun errichtet: „Setting a Good Corner Jahren wurde in der Tat noch einmal grundsätzlich neu (Allegory & Metaphor)“. Was immer der Künstler tut, verhandelt, was überhaupt als Kunst zu gelten habe. und sei es eine alltägliche Verrichtung wie jene, ein Aus einer tradierten Geltung heraus sollte sie sich nicht paar Pfosten in den Boden zu rammen, Draht dazwi­ mehr begründen, womit Malerei, Skulptur, Zeichnung schen zu spannen und ein Tor einzuhängen – es wird kunstwürdig bzw. wird selbst zur Kunst. Douglas Huebler bietet als Kunstwerk ein Zertifikat zum Kauf. Hanne Darboven legt ausführliche, hermetische ­Archive an, Stanley Brouwn stellt einen Karteikarten­ schrank aus Metall mit 1001 Karten aus. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer verkörpert den konzeptuellen Aufbruch in der Kunst der 1960er Jahre in solchen exemplarischen Werken und Werkgruppen. Wie ein Scheinwerfer richtet sie sich auf die entscheidenden Jahre und hält prägende Momente in einer – auch persönlich motivierten – Auswahl fest. Das Konvolut entstand in der Ausein­ andersetzung und oft auch in jahrelangen Freundschaf­ On Kawara, NOV.3, 1996, 1996, aus Today Series (1966 – 2013), 20,5 × 25,5 × 4,5 cm; ten mit den Künstlern der Galerie. Keineswegs basiert Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen sie auf einer orthodoxen Vorstellung zeitgenössischer Bruce Nauman, burning small fires, 1968, Künstlerbuch mit Fotoaufnahmen, 31,8 × 24,1 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

26 ARSPROTOTO 4 2016 27 Carl Andre, Copper-Magnesium Alloy Square, 1969, 1 × 200 × 200 cm, Platten je 1 × 20 × 20 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Kunst; den offenen, künstlerischen Geist verbürgen auch er mit einer eigenwilligen deutschen Ausprägung unterschiedliche Ansätze wie jene eines Robert Ryman, der Pop-Art gegen einen hehren, utopisch-modernis­ der die Malerei auf ihre ureigenen Bedingungen ab­ tischen Anspruch von Malerei gestichelt, indem er klopfte, nämlich als Ding an der Wand mit allen seinen Putzlappen, Geschenkpapiere, Handtücher und Tisch­ Bestandteilen, bis zur Aktionskunst von Gilbert & decken zum Motiv machte. Während er solche Muster George im Zeichen einer Kunst für alle. Besonders in aber in seiner eigenen Malerei bald als ausgeschöpft den frühen Jahren – um 1970 – zeichnet sich die sah, erkannte er das serielle Prinzip in der Minimal Art Sammlung durch Klarheit und Stringenz aus, wobei als substanzielle Option – allen voran bei Carl Andre, sich die untrügliche Intuition für Qualität fraglos auch dem Künstler, mit dem er im Oktober 1967 seine aus der Tatsache herleiten lässt, dass Konrad und Galerie eröffnete und so eine enge freundschaftliche Dorothee Fischer beide Künstler waren. „You are a fine Verbindung von Galerist und Künstler eingehen sollte. fellow, an artist, not a stuffy dealer“, hat der Künstler Jenes „5 × 20 Altstadt Rectangle“ mit hundert Platten Carl Andre zu Konrad Fischer bemerkt: Der sei ein aus Walzstahl (siehe Abb. S. 20), das das Publikum mit Kollege, ein Künstler, kein spießiger Händler. der Minimal Art konfrontierte, eliminierte nicht nur Fischer verfügte über einen besonderen sechsten jegliches plastische Volumen der Skulptur, es unterlief Sinn, als es darum ging, die Relevanz neuer Ansätze darüber hinaus auch die üblichen Erwartungen an wahrzunehmen. In den frühen 1960er Jahren hatte Kunst – für viele Galeriebesucher war sie als solche gar nicht erkennbar, wenn sie das Ensemble der Boden­ platten in der Galerie in der Düsseldorfer Altstadt betraten. Man müsse seinen Geist verarmen lassen: Das sei echte Befreiung, befand Andre. Sie führte ihn dazu, „Materialien der Gesellschaft in einer Form zu verwen­ den, in der sie die Gesellschaft nicht verwendet“. Mit Hanne Darboven, Lohn- / Gehaltsliste für Monat Juli 1.–31., 25.7.1968, der am Boden sich ausbreitenden Fläche wie in der 1968, 50,5 × 45,5 × 2,5 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen frühen Arbeit „Copper-Magnesium Alloy Square“ von 1969 schuf Andre einen eigenen Typus flacher Skulp­ tur, mit der er auf die in den Himmel aufragende „Endlose Säule“ von Constantin Brâncuși aus dem Jahr Gilbert & George, Great Expectations, 1972, 41× 66,5 × 2,5 cm; 1937 reagierte. Den Raum der Skulptur hatte Andre Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen regelrecht „herausgepresst“, wie die Kunsthistorikerin

28 ARSPROTOTO 4 2016 29 Daniel Buren, Oct. 1973, 1973, 90,5 × 135,5 × 1,6 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Steinen, Weidenstöcken und Reisig bedeckte. Sol LeWitt beauftragte seine Assistenten, die von ihm erdachten Wandzeichnungen zu realisieren. Fred Sand­ back wiederum spannte Schnüre straff in den Raum und zerteilte diesen in der Reduktion auf minimale Mittel. Solchen autonomen Setzungen stehen Werke mit autobiographischen Momenten gegenüber. Eine in Leben und persönlicher Biographie verankerte Kon­ zeptkunst manifestiert sich in der Sammlung Dorothee und Konrad Fischer im Werk On Kawaras. Erworben hatten die Galeristen bedeutende Werke des japani­ schen Künstlers in New York wie dessen Serie „I Got Up“ mit Ansichtskarten, die, adressiert an die Galerie Konrad Fischer, den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juli 1969 komplett abdecken. Wie die Telegramme, Jan Dibbets, Square perspectief correctie / groot vierkant, die Kawara in den späten Sechzigern mit dem Hinweis 1968, 115,4 × 115,4 × 2,5 cm; „I am still alive“ an unterschiedliche Adressaten ver­ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen sandte, handelt es sich um Chiffren von Existenz, die Sol LeWitt, Isometric Drawing 10/6/81 # 102, ein hohes Maß an Imagination freisetzen und das 1981, 48,6 × 48,6 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Rosalind Krauss schrieb. Dafür, bemerkte Andre, „trägt Paradoxon einer Erinnerung an einen Alltag ermög­ jede Arbeit eine Säule aus Luft, die bis zum oberen lichen, den man selbst nicht erlebt hat. Das gilt auch Rand der Atmosphäre reicht“. Die persönliche Hand­ für Kawaras „Today Series“: Seit dem 4. Januar 1966 schrift auszublenden, den Anschein von Meisterschaft, hatte der Künstler (fast) jeden Tag ein Bild gemalt, gar Genie auszublenden – diese Intention verbindet das das jeweilige Datum zeigt (siehe auch Arsprototo zahlreiche Werke und Ansätze der Sammlung Fischer. 3/2014). In selbstauferlegter Konsequenz stellte er diese Richard Long zog es in die Natur. Dort lief er so lange Arbeiten bis Mitternacht fertig – oder vernichtete sie. auf einer geraden Linie über eine Wiese hin und zu­ In der Schreibweise des Ortes malte er das Datum auf rück, bis daraus eine Zeichnung auf dem Rasen ent­ einfarbigem Grund und schuf damit entleerte, von stand; ein Foto überliefert solche Land-Art. Diese trug allem Ereignis gereinigte Erinnerungsbilder. Die ge­ der Brite in den Galerieraum, indem er den Boden mit dämpften Farben mischte er jeden Tag eigens neu an,

30 ARSPROTOTO 4 2016 31 On Kawara, I GOT UP (1 Apr – 30 July 1969), Auswahl aus 120 Ansichtskarten, 1969, je 9 × 14 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Blick in die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ in der Kunstsammlung Nord- rhein-Westfalen / K20. Im Vordergrund: Carl Andre, Wolke & Kristall / Blei Leib Leid Lied, 1996, Gesamtmaß variabel; Wand: Lawrence Weiner, BARS OF GOLD LAID BUTT TO BUTT ON THE WRONG SIDE OF THE ROAD, cat. # 594, 1988, Maße variabel; im Hintergrund: Pierre Bonnard, La terrasse de Vernon, um 1928, 242,5 × 309 cm (nicht Teil der Sammlung Fischer); Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ARSPROTOTO 4 2016 33 weshalb kein Rot, Grau, Braun oder Blau eines Date Painting mit einem anderen identisch ist. In der Ver­ zahnung der Daten mit dem monochromen Grund entstanden ebenso konkrete wie abstrakte Bilder, die Kawara in Kartons mit der Titelseite der Tageszeitung des Erscheinungsorts aufbewahrte. Mit dem Anwachsen der „Today“-Serie verdichtete sich die Ahnung, dass jedes fertige Date Painting immer schon das letzte sein konnte. On Kawara starb am 10. Juli 2014 in New York. Was das Galeristen-Ehepaar Fischer für sich selbst erwarb – oft auch nach Verkäufen aus eigenen Aus­ stellungen später zurückkaufte –, bezeugt in all diesen Arbeiten exemplarisch einen bis heute virulenten Paradigmenwechsel in der Kunst des späteren 20. Jahrhunderts. Mag die Galerie auch mit vielen später hinzugekommenen Künstlern wie Paloma Varga Weisz, Thomas Schütte oder Gregor Schneider richtig gelegen haben, so liegt die Bedeutung der Sammlung Fischer vorrangig in den Avantgarden von Minimal Art und . Die Kunstsammlung Nordrhein-West­ falen schließt mit dem Erwerb eine beträchtliche Lücke in ihren Beständen. Als Zugabe erhält sie, nicht zu Stanley Brouwn, 1000 mm (card index file cabinet), 1976, vergessen, das Archiv der Galerie, nachdem jenes der Tisch: 78,1 × 78,1 × 47 cm, Karteischrank: 15,3 × 19,8 × anderen legendären Düsseldorfer Galerie – der Galerie 39,8 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Alfred Schmela – vor einigen Jahren ans Getty Re­ search Institute gegangen war. Derzeit wird das Archiv der Galerie Konrad Fischer komplett digitalisiert. Eine Besonderheit liegt bei vielen Archivalien in der Durch­ dringung von Werk und Dokument. Als sie die Aus­ stellung „Wolke & Kristall“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einrichteten, war den Kuratoren der Kunstsammlung aufgefallen, dass viele Zeichnun­ gen, die sie als Anweisungen im Archiv vorfanden, ebenso gut gerahmt als Kunstwerke an der Wand hängen könnten, wie sie umgekehrt zahlreiche Zeich­ nungen, die nun an der Wand hängen, ebenso gut als Dokumente ins Archiv geben könnten. Darin bekun­ det sich dessen künstlerischer Einschlag. Es ist ein Glücksfall, dass Archiv und Sammlung nicht nur zusammen, sondern im Rheinland auch dem Ort erhalten bleiben, an dem sie entstanden.

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf Telefon 0211-83 81-204 Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa, So 11 – 18 Uhr www.kunstsammlung.de Die Ausstellung „Wolke & Kristall. Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ ist noch bis zum Harald Klingelhöller, Nothing is true, Heft 6 (Postfach 175, 8.1.2017 zu sehen. Liverpool L69 8DX 4Y), 1995, 95 × 70 × 120 cm; Kunst- sammlung Nordrhein-Westfalen Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Land Nordrhein-Westfalen, Ernst von Siemens Kunststiftung, Kunststiftung NRW, Gesellschaft der Freunde der Kunstsammlung NRW und weitere Stifter

Dan Flavin, Untitled (to Don Judd, colorist) 1, 1987, 132,7 × 122 × 10 cm; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen 34 35 ie Bezeichnung „Ruine“ trifft be­ sonders für das erste der beiden hier HELFEN SIE MIT: D vorgestellten Gemälde aus Schloss Bruchsal im doppelten Sinne zu: Teile eines alten Bauwerks sind zu erkennen, beschädigt, von Rissen durchzogen DOPPELTE RUINEN und umgestürzt. Ebenso fragmentarisch präsentiert sich die Leinwand selbst, in der ein großes Loch klafft. Die dort Im Barock-Schloss Bruchsal brauchen fehlenden, bemalten Leinwandstücke zwei Landschaftsgemälde Ihre Unterstützung werden sorgsam verwahrt. Welche Qua­ lität dieses Gemälde einst auszeichnete, von Petra Pechaček und Elena Hahn verrät das ebenfalls restaurierungsbedürf­ tige Gegenstück, die „Tempelruine in einer Landschaft“. Hier ist zwar die Historische Aufnahme des Galeriezimmers in Schloss Bruchsal von Leinwand unbeschädigt erhalten, doch 1920/30, Blick nach Nordwesten. Die „Tempelruine“ in der Mitte das Gemälde macht einen trüben Ein­ der unteren Gemäldereihe druck, denn die Firnisschicht ist im Schönborn, angekauft hatte. Die beiden einbezogen werden, da ihre Restaurie­ Laufe der Zeit stark nachgedunkelt. Eine hier vorgestellten Gemälde zählen zum rungen den Kostenrahmen des umfang­ erste probeweise Firnisabnahme zeigte, originalen Bruchsaler Gemäldebestand, reichen Projekts gesprengt hätten. Nach dass unter der gelblichen Schicht und der 1939 und 1944 gemeinsam mit unserer Schätzung belaufen sich die dem Staub und Ruß der vergangenen anderen Kunstgegenständen ausgelagert Kosten für die Restaurierung beider Jahrhunderte weitaus strahlendere Far­ wurde und dadurch die vernichtende Gemälde auf insgesamt 7.000 Euro, die ben verborgen sind, die man durch eine Bombardierung Bruchsals am 1. März Sicherung und Ergänzung der beiden fachgerechte Reinigung wieder sichtbar 1945 überstand. Originalrahmen auf rund 5.000 Euro. machen könnte. Das in weiten Teilen zerstörte Durch die Restaurierung der beiden Die beiden großformatigen Ölge­ Schloss wurde ab 1947 wieder aufgebaut, „Ruinenlandschaften“ könnten mit Ihrer mälde entstanden in der zweiten Hälfte denn die wertvollen erhaltenen Mobilien Hilfe die beiden originalen Bruchsaler des 17. Jahrhunderts im Stil des bekann­ sollten an ihrem ursprünglichen Ort Gemälde an ihren ursprünglichen Ort ten Ruinenmalers Johann Heinrich Roos wieder gezeigt werden. In der ehemaligen zurückkehren und damit die geplante (1631–1685) und befinden sich noch in Beletage wurden für diese musealen Ausstattung des Galeriezimmers mit ihrer originalen, wenn auch beschädigten Präsentationen moderne zweckmäßige Bruchsaler Meisterwerken in barocker Rahmung. Solche Darstellungen verfalle­ Räume geschaffen und das Schloss mit Hängung komplettieren. ner antiker Bauten, die die Vergänglich­ einigen wenigen rekonstruierten Sälen Dr. Petra Pechaček ist die für Schloss keit symbolisieren, waren im Barock sehr im Jahre 1975 wiedereröffnet. Bruchsal zuständige Konservatorin und beliebt. Ein Gemäldeinventar aus dem Seit 2002 wird die ursprüngliche Projektleiterin der Staatlichen Schlösser Jahr 1891 verzeichnet die Bilder als Struktur der ehemaligen fürstbischöf­ und Gärten Baden-Württemberg für die „Architekturstück mit Thieren“ im lichen Appartements der Beletage Wiedereinrichtung der Beletage Bruchsal, sogenannten Galeriezimmer. Historische wieder­hergestellt, um die rund 350 Elena Hahn ist wissenschaftliche Mit­ Aufnahmen des Raumes aus dem ersten originalen Ausstattungsstücke in ihrem arbeiterin bei diesem Projekt. Drittel des 20. Jahrhunderts belegen, einstigen Raumkontext erlebbar zu dass es sich um diese beiden Ruinenland­ machen. Die Schloss Bruchsal betreuen­ schaften handelt. den Staatlichen Schlösser und Gärten Schloss Bruchsal Schloss Bruchsal, die einstige Resi­ Baden-Württemberg kommen damit Schloßraum 4, 76646 Bruchsal Telefon 07251 742661 denz der Fürstbischöfe von Speyer und ihrem Auftrag nach, das historische Erbe „Ruinenlandschaft“, stark www.schloss-bruchsal.de beschädigtes Gemälde aus späterer Witwensitz der Markgräfin des Landes zu bewahren und es zugleich Schloss Bruchsal, 122 × 105 cm Amalie von Baden, war zu dieser Zeit für ein breites Publikum zu öffnen, die Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und lieber Leser, um Unterstützung für bereits öffentlich zugänglich. Die präch­ Bedeutung der Bauwerke zu vermitteln „Tempelruine in einer Land- Schloss Bruchsal. Spenden Sie für die schaft“, Ölgemälde aus dem tig ausgestatteten Appartements waren und sie weiter zu entwickeln. Die Wie­ Restaurierung der Gemälde „Tempel­ 17. Jahrhundert, 122 × 105 cm mit kostbaren Tapisserien, erlesenen dereröffnung der Neupräsentation der ruine“ und „Ruinenlandschaft“ und Möbeln und nicht zuletzt mit einer Beletage von Schloss Bruchsal ist für überweisen Sie bitte unter dem Stich- wort „Schloss Bruchsal“ auf eines der umfangreichen Gemäldesammlung Ende April 2017 geplant. Konten der Kulturstiftung der Länder. eingerichtet. Unter den 233 Bildern Stark beschädigte Objekte wie die Überweisungsträger finden Sie im Heft waren auch Stücke, die bereits der Er­ „Ruinenlandschaft“ konnten bisher nicht nach der Seite 66. Vielen Dank! bauer des Schlosses, Damian Hugo von in das Konzept der Wiedereinrichtung

36 ARSPROTOTO 4 2016 37 ERWERBUNGEN GENIE UND ALLTAG Das Bonner Beethoven- Josef Karl Stieler, Beethoven mit Haus erwirbt ein rares dem Manuskript der Missa solemnis, Doppelblatt mit Notizen 1820; Beethoven-Haus Bonn von Ludwig van Beethoven Zielsetzung haben ein gänzlich anderes von Michael Ladenburger Erscheinungsbild. Will man die Notizen besser ver­ stehen, so ist ein Blick in das parallel uch heute noch ist das romantisch benutzte Konversationsheft hilfreich, das überhöhte Beethoven-Bild weit die Gesprächspartner des tauben Beet­ A verbreitet: Der geniale Komponist hoven und gelegentlich auch er selbst sei in höchsten Sphären geschwebt, habe zur Verständigung mit seiner Umwelt sich nahezu ausschließlich seiner Kunst benutzte. Da ist viel von Problemen und widmen, sich auf die göttliche Inspira­ Fluktuation beim Hauspersonal die tion verlassen können und demgemäß Rede. Ein Grund war Beethovens (wohl große Werke geschaffen. Das berühmte nicht immer berechtigtes) tiefes Miss­ Beethoven-Porträt von Joseph Karl trauen gegenüber dem Personal, was sich Stieler aus dem Jahre 1820 zeigt ihn etwa in den wiederholten Notizen zur nicht zufällig in der Pose des Evangelis­ Zahl der herausgegebenen Kerzen nie­ ten. Dieses vom – schon zu seinen Leb­ derschlug. So warf er der scheidenden zeiten einsetzenden – Beethoven-Mythos Haushälterin Lindner vor, sie habe einen geprägte Bild von der Lebenssituation Löffel mitgehen lassen (oder gegen einen des Komponisten ist aber schlicht falsch. anderen ausgetauscht) und wollte des­ Zwar haben wir Berichte, dass der Kom­ wegen einen Teil des noch ausstehenden Notizen Beethovens aus dem Frühjahr 1826, 1 Doppelblatt, 4 beschriebene Seiten, ponist gelegentlich über seiner Arbeit Tinte (nur die ersten zwei Zeilen) und Bleistift auf Kanzleipapier mit dem Wasserzeichen ersten drei Lebensjahrzehnten –, so sind übermittelte und die sich heute ebenfalls Lohns einbehalten. Die Haushälterinnen alles andere vergaß, nicht trank und aß „C & I HONIG“, 23,8 × 19,1 cm; Beethoven-Haus Bonn diese Notizblätter doch eine Rarität. Sie in der Sammlung des Beethoven-Hauses mussten täglich eine Abrechnung über oder Besucher nicht bemerkte. Das heißt erlauben uns einen Einblick in Beetho­ befindet. Die Notizen sind auffallend ihre Einkäufe vorlegen. Da sich etliche aber nicht, dass er sich den Mühen des Transkription S. 38: vens Alltag, es mischen sich Eintragun­ sorgfältig und systematisch notiert. erhalten haben, wissen wir, dass Beetho­ Alltags hätte entziehen können. 16 kr:[euzer] pr: Tag Monathl[ich] 8 fl: Kommt hiezu, daß jährl[ich] 100 fl: gerechnet gen zu seinen Aktivitäten als Künstler Allerdings finden sich auch hier – wie ven sie tatsächlich minutiös kontrollierte. In welchem Spannungsfeld zwischen werden, so werden noch 20 Kr[euzer] drauf bezahlt. mit solchen zu banalen Verrichtungen in vielen seiner Musikhandschriften – Umgekehrt beklagte sich die Haushäl­ Kunst und Alltag Ludwig van Beethoven ------und Sorgen. Außerdem verrät der einige Korrekturen. Wenn Beethoven terin, nicht genug Geld für die Einkäufe am Mittwoch den 5ten Aprill das Unglück. (1770 –1827) tatsächlich stand, lässt ------Schriftduktus Beethovens innere Ver­- eine Angelegenheit als erledigt ansah, zu erhalten und ließ deswegen anschrei­ sich sehr anschaulich an einem Doppel­ den 22ten April Schlesingers Brief erhalt.[en], u. auch selben beantwortet fasstheit. strich er den Eintrag durch. Angesichts ben, was sich im Laufe der Zeit zu einem ------blatt mit Notizen zeigen, das im April Die Notizen machte sich Beethoven der Tatsache, dass er die Notizen als erklecklichen Betrag summierte und zu dieses Jahres versteigert wurde und für Transkription S. 39: ein Jahr vor seinem Tod, im März /April Erinnerungsstütze für sich selbst anfer­ einer bösen Überraschung wurde. Wie die Sammlung des Beethoven-Hauses × am < 9 >12ten März 6 Kerz[en] gegeb.[en] 1826. Er arbeitete damals an seinem tigte, überrascht die Großräumigkeit pingelig Beethoven diesbezüglich war, gesichert werden konnte. Obwohl von × am 11ten nach Petersburg an galizin Streichquartett cis-Moll op. 131, dessen und Sorgfalt der Notation. Gelegent- zeigt sich pars pro toto daran, dass sein Beethoven sehr viele Dokumente über­ × am 12ten März die neue Haußhält.[erin] eingetret.[en] Stichvorlage (eine vom Komponisten liche eigenhändige Eintragungen in den Neffe ihm erläuterte, die alte Köchin × 6 Krüge Selterwasser < im Keller. – > liefert sind – allerdings gibt es auch < vom > bis 1ten März ein Monath / dann noch 16 Täge korrigierte Kopistenabschrift) er im sogenannten Konversationsheften oder habe beim Spinat die Stengel mitge­ schmerzhafte Lücken vor allem in den August dem Verlag Schott in Mainz anderen Dokumenten mit ähnlicher kocht, während die neue sie wegschneide

38 ARSPROTOTO 4 2016 39 und daher mehr Spinat kaufen müsse. des musikbegeisterten Cellisten und Nach all dem wundert es nicht, dass Beethoven-Verehrers her, dieser möge für Beethoven sich nun notierte, dass er ihn ein, zwei oder drei Streichquartette beide neuen Dienstboten (Haushälterin komponieren und ihm schon vor der und Dienstmagd/Küchenmädchen) am Drucklegung zur Verfügung stellen – die 23. März, dem Gründonnerstag, mit späteren opp. 127, 132 und 130. Am 14-tägiger Kündigungszeit entlassen 11. März war wohl die Abschrift des habe. Die nächste Eintragung betrifft Streichquartetts B-Dur op. 130 (mit der deren Entlohnung. Die Haushälterin Großen Fuge als Schlusssatz) fertig. Sie namens Bruckl war erst am 12. März wurde am 16. März mit einem Begleit­ eingetreten, fünf Tage später stieß ihre schreiben, das nicht erhalten ist, per Schwester hinzu. Erstere dürfte einen Kurier (er hieß Augustin Lipscher) nach Unfall gehabt haben, jedenfalls krank St. Petersburg geschickt. Sicherlich bat geworden sein, denn sie ging am 4. oder Beethoven auch um die Auszahlung des 5. April ins Krankenhaus. Selbst den Honorars, das aufgrund der kriegeri­ Namen der behandelnden Ärzte kennen schen Zeitläufte und finanziellen Eng­ wir. Sie hatte offenbar Fieber, was wohl pässe beim Fürsten erst ein Vierteljahr­ zunächst u. a. mit einer Maß Bier der hundert später ausgezahlt wurde. Die Marke „Kaiserbier“ zu senken versucht für Galitzin erstellte Abschrift auf ganz wurde. Beethovens Bruder Johann, von kleinformatigem Briefpapier (ursprüng­ Beruf Apotheker, gab ihm den Rat, lich der Portoersparnis wegen!) befindet Personal erst dann zu entlassen, wenn es sich seit 1889, dem Gründungsjahr des wieder gesund sei, weil Beethoven sonst Vereins Beethoven-Haus, als Geschenk für alle Behandlungskosten aufkommen von Joseph Joachim in der Bonner müsse. Da sie in einigen Tagen wieder Sammlung. Joachim war damals die genesen sei, solle er ihr erst dann ein graue Eminenz des deutschen Musik­ Zeugnis ausstellen und drauf vermerken, lebens und Ehrenpräsident des Vereins. „dass Sie gesund von dir entlaßen wor­ Die Notizen befanden sich in Beet­ den ist“. Tatsächlich quittierten beide hovens Nachlass und wurden bei dessen ihren Dienst am 6. April und wollten Versteigerung vom Verleger Domenico keinesfalls länger bleiben, obwohl noch Artaria erworben. Nach dem Tod von keine Nachfolgerinnen gefunden waren. dessen Sohn August Artaria († 1893) Da die Haushälterin, die sich vorstellte, lieferten wohl dessen Söhne die Blätter erst ihre bisherige Stelle kündigen beim Wiener Antiquariat und Auktions­ musste, hatte Beethoven eine Woche haus Gilhofer & Ranschburg ein, wo sie ohne Personal auszukommen. Sein in der Auktion vom 21. – 23. Februar hilfsbereiter Freund, der Geiger Karl 1898 angeboten wurden. Eine Genera­ Holz, der das bisherige Haushaltsperso­ tion später tauchten sie neuerlich bei nal als „Bagage“ bezeichnete, kam eigens einer Auktion auf, diesmal am 14. Mai Notizen Beethovens aus dem Frühjahr 1826, 1 Doppelblatt, 4 beschriebene Seiten, Bleistift auf vorbei, um es Beethoven zu ersparen, die Kanzleipapier mit dem Wasserzeichen „C & I HONIG“, 23,8 × 19,1 cm; Beethoven-Haus Bonn die Arbeit. Es blieb bei einer kurzen kurze Zeit herablassen, er läßt die Schnur 1925 auf der Auktion 104 von Henrici beiden selbst auszahlen zu müssen. Er Skizze. Kurz vor seinem Tod benannte fallen, und sieh – die Haushälterin hat in Berlin. Zuletzt befand sich das Manu­ riet ihm, in dieser Zeit zum Speisen ins Beethoven Wolfmayer als Widmungs­ ihn schon wieder.“ skript in schweizerischem Privatbesitz. Transkription S. 40: Wirtshaus zu gehen. Als neue Wirtschaf­ träger seines letzten Streichquartettes Der auf der vierten Seite erwähnte Nun hat es im Bonner Beethoven-Haus < am 17ten März die Schwester eingetret.[en] – terin wird eine in Armut gestürzte Frau am 16ten März abends < 6 > 5 Kerz[en] geg[eben] > F-Dur op. 135. Holz fasste die Grund­ Kopist Wenzel Rampl erhielt wohl am seinen endgültigen Aufbewahrungsort in Aussicht genommen, die eine der am 16ten der Kurir nach Petersburg mit mein[em] Brief an galizin! – konstellation nicht ohne Ironie am 1. April zehn Gulden für die Kopiatur gefunden. besten Köchinnen von Wien und mit < am 21 März 5 Kerz. [en] geg. [eben]> 30. März gegenüber Beethoven so zu­ der 9. Sinfonie, die erst fünf Monate dem sehr vermögenden, mit Beethoven am 13ten april die neue Haußhälter.[in] samt Küchenmädch. [en] eingetreten. – sammen: „Beethoven kommt mir vor, später in gedruckter Form vorlag. Die Beethoven-Haus Bonn befreundeten Tuchhändler Johann Nepo­ wie ein Adler, der zum Himmel fliegt. von Rampl erstellte Abschrift diente als Bonngasse 24­ –26, 53111 Bonn Transkription S. 41: Telefon 0228-98175-25 muk Wolfmayer verwandt sei. Dieser < Rampel 10 fl fl. C[onventions] m[ünze] auf die Sinfonie [überschrieben:] bezahlt> An den Füssen (nicht an den Flügeln) Widmungsabschrift für den preußischen www.beethoven-haus-bonn.de hatte Beethoven 1818 für den Fall, dass < vom 23ten März gründonnerstag beyde Dienstboth.[en] mit 14 täg.[en] entlaßen> hat er aber eine Schnur, die zur Erde König Friedrich Wilhelm III. Sie befin­ er ein Requiem komponiere und ihm reicht. Diese wird von – einer Haus­ det sich heute in der Staatsbibliothek zu Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der nach Fertigstellung eine Abschrift der hälterin festgehalten. Oft reißt er sich Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Bundes­regierung für Kultur und Medien, Partitur zukommen lasse, den stolzen plötzlich los, und fliegt schnell in seinen Die zweimalige Erwähnung von Gielen-Leyendecker-Stiftung Betrag von 100 Dukaten zugesagt. Himmel hinauf; wenn er aber des irdi­ Fürst Nikolaus Galitzin rührt von dem Beethoven macht sich dennoch nie an schen Lebens gedenkt, will er sich auf im November 1822 geäußerten Wunsch

40 ARSPROTOTO 4 2016 41 Im 16. Jahrhundert war die Reichsstadt Augsburg einer der lung des Kästchens erfolgt mit Öffnen der Deckplatte. Sei- Zentralorte des Alten Reiches – internationaler Finanz- und ner Funktion als Geheimfach entspricht der Wechsel von Handelsplatz, Sitz weltweit agierender Unternehmen, von christlichen zu profanen Bildthemen. Wie ein Warnschild den Habsburger Kaisern bevorzugter Aufenthaltsort und zeigt die Innenseite die antike Sagengestalt Aktäon, der auf damit ein politisches Machtzentrum. Regelmäßig stand sie der Jagd versehentlich Diana samt Gefährtinnen beim Ba- im Blickpunkt der Zeit, wie die Reichstage von 1518 (Wahl den überrascht. Um ihn zu verscheuchen, bespritzt sie ihn Kaiser Karls V.), 1530 (Confessio Augustana) und 1555 mit Wasser. Damit er nichts ausplaudert, verwandelt sie ihn (Augsburger Religionsfrieden) belegen. Davon profitierte in einen Hirsch, worauf seine Hunde ihn zerreißen. In die vor allem das Kunsthandwerk. Augsburg wurde eine der prächtige Darstellung hat der Kistler sein ganzes Können großen Kunstmetropolen Europas, das von hier Uhren, gelegt – selbst die Wellenlinien des Wassers sind eingelegte Waffen, Goldschmiedearbeiten und Möbel bezog. Auf den Holzteilchen. Als Vorlage diente erneut ein Holzschnitt des strengen Qualitätsbestimmungen der Zünfte und der Inter- Nürnberger Illustrators Solis. Die Jagdszenen der Innensei- Kostbarer Tugendspiegel nationalität ihrer Erzeugnisse beruhte der Erfolg hiesiger ten sind Allegorien auf Liebe und Sexualität, während das Luxuswaren. Wie geschickt die Kunsthandwerker Trends Obstbouquet des Bodens Fruchtbarkeit symbolisiert. Das von auswärts aufgriffen und perfektionierten, zeigt dieses Kästchen entfaltet in einer allegorischen, mythologischen Kästchen, dessen Prototyp um 1500 als sog. „escritorio“ in und christlichen Bildsprache eine spezifisch weibliche Iko- Die Ernst von Siemens Kunststiftung Spanien entwickelt wurde. Es handelt sich um ein transpor- nografie, die Liebe, Scham, Fruchtbarkeit und die christli- erwirbt ein Reisemöbel der Spätrenaissance für das tables Schreibmöbel, dessen Vorderwand herunterklapp- che Heilslehre thematisiert. Als Empfängerin des um 1570 bar ist und dessen Deckplatte hochgeklappt werden kann. entstandenen Möbels kommt wohl nur eine Dame aus Maximilianmuseum in Augsburg Im Inneren enthält es verschieden große Schubladen und fürstlichem Hause in Frage. Fächer für Schreibgerät, Dokumente, Wertgegenstände und Das im Wortsinne umfassende Leitthema bildet die persönliche Dinge. Seitliche Tragegriffe erleichtern den schöne Tugendheldin Judith. Gerade im von Glaubenskrie- Transport. In Augsburg lernte man diese Miniaturkanz- gen und Türkengefahr geprägten 16. Jahrhundert war die leien auf den Reichstagen im Gefolge diplomatischer Ge- sandtschaften kennen. Kaufleuten waren sie von Reisen ins Ausland vertraut. Da es keinen Patentschutz gab, übernah- men die heimischen Kistler, wie die Kunstschreiner hie- ßen, diesen Möbeltypus, den sie nach spanischem Vorbild „Schreibtisch“ nannten. Das Kästchen zeigt eindrucksvoll, warum die Augsburger Kistlerarbeiten der Spätrenaissance so erfolgreich waren: Es ist ein Intarsienmöbel, bei dem hauchdünne Furnierhölzer unterschiedlichster Färbung als fein ausgesägte Elemente mosaikartig auf ein Trägerholz geleimt sind. Unverwechselbar für Augsburg ist die extrem kleinteilige Technik: Alle Details, selbst Linien und Punkte sind Einlegearbeiten; nichts ist aufgemalt oder gezeich- net. Dass alle sichtbaren Flächen aufwendige Furnierbil- der aufweisen, macht das kleine Kästchen zu einer großen Kostbarkeit. Die Außenseiten zeigen die alttestamentliche Ge- Innenseite der geöffneten Frontklappe des Schreibkabinetts mit einer Darstellung schichte von Judith und Holofernes. Der heidnische Feld- der Verkündigung Mariens herr belagerte mit seinem Heer das jüdische Bethulia. Die gottesfürchtige Judith suchte ihn auf und gewann seine Gunst. Nach einem rauschenden Fest blieb sie in Holofer- mutige Gottesstreiterin sehr populär. Dies belegt beispiel- nes’ Zelt und enthauptete ihn. Während die Oberseite und haft das Drama „Judith“, das Augsburgs Stadtbibliothekar die Schmalseiten Rüstungen und Waffen zeigen, ist auf der Sixt Birck 1539 verfasst hatte. Die „Beschlußred“ des belieb- Rückseite der Feldherr im Heerlager zu Pferde dargestellt. ten Stücks preist sie als Tugendvorbild für Mann und vor Die Vorderseite zeigt Judith und ihre Magd mit Holofernes’ allem Frau: „Du weybßbild schau den spiegel an / den du Kopf und im Zelt dahinter den Enthaupteten. Als Vorlage hie magst in Judith han / Hertz, muot, und manhait ist bey der von Blattranken und Rollwerk gerahmten Szene diente ir / Es stat bey ir nit wie bey dir / Dir ist nur wol mit klappe- ein Holzschnitt von Virgil Solis. Die bei geöffneter Front- rey / Gott geb woß bett [Gebet] und Gottsforcht sey [...].“ klappe sichtbaren Szenen – die Verkündigung Mariens auf der Innenseite, die vier Evangelisten und vier Szenen aus Dr. Christoph Emmendörffer der Apostelgeschichte auf den Schubladenfronten – folgen Maximilianmuseum, Kunstsammlungen und Museen gleichfalls den Holzschnitten von Solis „Biblischen Figu- Augsburg ren“ aus dem Jahr 1560. Die Tür des zentralen Faches zeigt Jesus und die Samariterin am Brunnen. Die letzte Wand- Höfisches Schreibkabinett, Augsburg, um 1570. Blind- bzw. Konstruktionsholz: Nadelholz; Furnier Birnbaum, geschwärzt; Intarsien: Esche, Zwetschge, Ahorn und andere Hölzer, teilweise gefärbt und mit Brandschattierungen; Beschläge: Bronze, Kupfer, graviert und feuervergoldet. Höhe 26 cm, Breite 32 cm, Tiefe 23 cm } www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de ERWERBUNGEN DADA UND DANACH 14 Gemälde, Aquarelle und Collagen Hannah Höchs bleiben in Nürnberg von Johannes Fellmann

or fast nichts macht sie halt. Alles wird zerstückelt. scheinbar primitiven Methoden. Und die junge Studen­ Illustrierte bevorzugt, die langjährige Mitarbei­ tin Hannah aus wohlhabendem, bürgerlichen Haus V terin des Ullstein Verlags hat Zugang zu vielen stieß ironischerweise von der Klasse für Graphik und bunten Gazetten ihrer Zeit. Die Schere kreißt und Buchkunst des Berliner Kunstgewerbemuseums zu den gebiert den bunten, wilden, spöttischen, den manchmal Revoluzzern, die die spießbürgerlichen Deutschen mit fiesen und prophetischen Schnipselkosmos der Hannah ihrer aggressiven „Anti-Kunst“ provozieren wollten. Höch (1889 –1978). Ein Kosmos, der vieles kann, der Kleinfamilie, monogame Zweierbeziehung und die Fotomontage miterfindet, der Dada Inkunabeln patriarchale Gesellschaft: eine abscheuliche Vorstellung schenkt, der in der inneren Emigration künstlerische für den österreichisch-deutschen Künstler und Dada- Opposition in rätselhaften Naturbildern tarnt, der nach Protagonisten Raoul Hausmann. Fanatisch und humor­ 1945 dann wieder die Abstraktion wagt, den die Pop- los soll er stattdessen die „ganzheitliche“ Beziehung Art stark beeinflusst, oder Fluxus. Doch ein Tabu steht propagiert haben. Das hieß für ihn hauptsächlich: bei aller Transplantationslust, eins blieb immer heil im Neben seiner eigenen Familie wollte er um die 1920er papiernen Gemetzel: das Auge. 1971, zu Höchs Colla­ Jahre auch eine offene Beziehung mit der Künstlerkolle­ gen-Retrospektive in der Berliner Akademie der Künste, gin Hannah Höch nebst gemeinsamen Kindern ausle­ prangt als Signet dann auch der vieläugige Strauß (siehe S. 49) auf Plakat und Katalogtitel. 1929 entstanden, sind Höchs Blumen ein eher zwiespältiger Schmuck in Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Stranguliert, doch kaum gehalten von einem dicken Band, sieht man vor lauter Augen kaum Gewächse. Die hübsch gedachte, aber im Kern brutale Neuanordnung von Natur, die bürgerliche Strauß-Collage, sie ist ein besonders pralles Trugbild, ein hintersinnig farbenfrohes Stillleben. Wie ein künstlerisches Manifest führt das Werk Höchs Technik in aller Pracht vor, zeigt aber auch ihren künst­ lerischen Anspruch, als vieläugige Kommentatorin auf die bürgerliche Gesellschaft zu blicken. „Bis heute versuche ich konsequent das Foto auszubeuten. Ich benutze es wie die Farbe, oder wie der Dichter das Hannah Höch, Auf Aquarellengrund, Wort“, erläutert Höch einmal ihre virtuose Montage 1936/1945, 29,6 × 26,7 cm; Germanisches von Wirklichkeitsfragmenten. Nationalmuseum, Nürnberg Das „Hannchen“, wie der Kreis um Richard Huel­ senbeck, Johannes Baader, Salomo Friedlaender, George Grosz und John Heartfield sie nannte, war die einzige Künstlerin im Gründungszirkel des Berliner „Club Dada“, der sich nichts weniger als die Revolte gegen den Staat, gegen bürgerliche Konvention und die Hannah Höch mit Raoul Hausmann vor ihren beklagte „fette Idylle“ des Expressionismus auf die Werken bei der „Internationalen Dada-Messe“, links Höchs Werk „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada Fahnen geschrieben hatte. Die Berliner Jungkünstler durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche zerlegten die traditionellen ästhetischen Werte mit Deutschlands“ von 1919, Berlin 1920; Berlinische Galerie

44 ARSPROTOTO 4 2016 45 Hannah Höch, Geselligkeit, 1925, 26 × 23 cm; Germanisches National­ museum, Nürnberg ben. Die erzwungene Emanzipation jedoch fand keine Gegenliebe bei der jungen Künstlerin, die sich zweimal für eine Abtreibung entschied. 1922 trennte sie sich endgültig von Hausmann, behielt allerdings zeitlebens eine, wenn auch zwiespältige Freundschaft mit ihm bei. Höchs Entwurf von 1921, das Aquarell „Geburt“, zeigt dann auch eher ein Schmerzensbild als ein freudiges Ereignis, in frontaler Ansicht klammert sich an den Stuhl eine erschöpfte Mutter, mit ihrem noch angena­ belten Neugeborenen in bedrückender, kärglicher Stube erbarmungslos ausgeleuchtet von einem unwirklichen Abendrot. Anders dann im Gemälde von 1924: Es ist das einzige Mal in der Werkgruppe zur Geburtsthe­ matik, dass Höch, die kinderlos blieb, eine glückliche, emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind als Motiv zeigt. Der Schmerz weicht der Entspannung, der innigen Zweisamkeit. Mit Höchs Augenstrauß aus schwierigsten Zeiten der Weimarer Republik und den Werken zur Geburtsthematik befanden sich drei zent­ rale Werke der Künstlerin seit vielen Jahren auf Wunsch der Künstlerin als Leihgaben im Germanischen Natio­ nalmuseum in Nürnberg. Diese wurden jetzt zusam­ men mit weiteren kostbaren Aquarellen, Collagen und Gemälden von der Nürnberger Sammlung erworben. Mit Dada und mit ihrem Geliebten Raoul Haus­ mann, der sie in den Berliner Zirkel mitbrachte, wird Höch, die mit abstrakten Bildern angefangen hatte, rasant zur Pionierin der Fotomontage: „[…] ein neues, und ungeheuer phantastisches Gebiet für den schöpfe­ Hannah Höch, Straßen und Kreuze, 1959, 25 × 18,9 cm; Germanisches National- rischen Menschen. Ein wundersames Neuland, das zu museum, Nürnberg entdecken als erste Voraussetzung hat: Hemmungslosig­ keit. Aber nicht Disziplinlosigkeit. Denn auch inner­ halb dieser neuentdeckten Möglichkeiten gelten Form-

46 ARSPROTOTO 4 2016 47 diese kostbaren Materialien für die Nachwelt. Zwar rer Kunst unterschied sich Hannah Höch fundamental hatte Höch 1920 die programmatische Inkunabel von den Dadaisten. „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Den weiten Bogen von den frühen Gemälden bis Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ für zu Höchs abstrakten Schöpfungen der Nachkriegszeit die „Internationale Dada-Messe“ beigesteuert, doch so spannt die Erwerbung von 14 Werken durch das richtig als vollwertiges Mitglied nehmen die Dadaisten ­Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, eines der Hannah Höch nicht in ihren Kreis auf. Sie, die für ihre vielseitigsten Museen der Welt. Dort, in der neu ein­ dadaistischen Experimente und surrealen Bilderschöp­ gerichteten Sammlung zu Kunst und Design des fungen heute als eine Schutzpatronin des Dada verehrt 20. Jahrhunderts, kann die Kollektion viel erzählen wird, fühlte sich für eine Vereinnahmung sowieso zu von Dada und vom Danach. vielseitig. Andere Kunstströmungen lockten, wie die Johannes Fellmann ist Leiter der Kommunikation der niederländische Künstlergruppe De Stijl um Theo van Kulturstiftung der Länder. Doesburg und Piet Mondrian, das Bauhaus, die surrea­ len Welten des als Kunstgeschwister empfundenen Max Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Ernst oder die Ideen ihres lebenslangen Freundes und Kartäusergasse 1, 9042 Nürnberg Telefon 0911 - 13310 von Dada verstoßenen Multikünstlers Kurt Schwitters. Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 21 Uhr Ob Gemälde, Zeichnungen, Entwürfe für Stoffmuster, www.gnm.de Tapeten, bei Text- und Buchillustrationen, in Skulptu­ Förderer dieser Erwerbung: ren und anderen Objekten, als Bühnen- und Kostüm­ Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens bildnerin fürs Theater: In ihrem offenen Bekenntnis Kunststiftung auch zu traditionellen Techniken und Einflüssen ande­

Hannah Höch, Geburt, 1924, 75,3 × 90,5 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg und Farbgesetze, die eine gelöste Bildfläche gestalten. Hannah Höch, Konstruk- Aber immer wenn wir diese ‚Fotomaterie‘ zu Neu­ tion mit Blau, 1919, 30,5 × 24,5 cm; Germani- schöpfungen zwingen wollen, müssen wir uns auf sches Nationalmuseum, Entdeckungsreisen einstellen, müssen wir vorausset­ Nürnberg zungslos starten, und vor allem – uns aufnahmebereit halten für: die Reize des Zufälligen, die hier mehr noch als sonst wo, unentwegt und verschwenderisch, bereit sind, unsere Phantasie zu beschenken“, schreibt Han­ nah Höch 1933. Den neuen Machthabern im national­ sozialistischen Deutschland sind schöpferische Phanta­ sie und ihre dekonstruktivistische, kritische Kunst mehr als suspekt. Als „Kulturbolschewistin“ verfemt, über­ dauert Hannah Höch unter ärmlichen Umständen, zunehmend vereinsamt, die Nazi-Ära in Heiligensee vor Berlin. Dort vergräbt sie im Garten ihres kleinen Refu­ giums in Kisten Werke emigrierter Künstlerfreunde, aber auch Dokumente der Dada-Episode und rettet so Hannah Höch, Der Strauß, 1929/1965, 22,3 × 23,7 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

48 ARSPROTOTO 4 2016 49 AUSSTELLUNGEN ab 1932 die Chelsea School of Art, um zuletzt mit seiner Ausstellung in der dort die folgenden sieben Jahre als Do­ Buchholz Galerie von Curt Valentin zent zu unterrichten. Über die Jahre 1944 in New York auch international entwickelte Henry Moore unter prägen­ durch. HENRY MOORE den Einflüssen seine unverwechselbare Henry Moores zentrales Thema Formensprache: So studierte er altägyp- blieb bis zu seinem Tod 1986 das — IMPULS FÜR tische Plastiken und präkolumbische menschliche Sein, das Verhältnis zwi­ Kunstobjekte im British Museum, ließ schen Mensch und Landschaft und die sich von den Arbeiten Michelangelo Beziehung zwischen Mutter und Kind. EUROPA Buonarrotis und Giovanni Pisanos Ob aus Holz, Stein, Bronze oder Gips inspirieren und stand im regen Aus­ geformt – mit den biomorphen, fließen­ Das LWL-Museum für tausch mit Künstlerkollegen wie Pablo den Formen seiner Arbeiten bewegte Kunst und Kultur in Picasso, Hans Arp, Alberto Giacometti sich Moore stets zwischen Figuration Münster rückt einen der und Barbara Hepworth. Zwischen 1933 und Abstraktion und setzte wichtige und dem Ausbruch des Zweiten Welt­ Impulse für die Figur im öffentlichen wichtigsten Bildhauer Henry Moore, Working Model for Three kriegs stellte Moore regelmäßig mit den Raum. Doch wie schaffte es Moore, die Way Piece No. 1: Points, 1964, Tate: N i e d e r l ä n d i s c h e des 20. Jahrhunderts in Surrealisten aus und setzte sich nicht Bildhauerei, auch international, in einem Presented by the artist 1978; LWL- Museum für Kunst und Kultur Münster Moderne den Fokus von Jenny Berg solchen Maße zu dominieren, dass sich auch Die Sammlung jüngere Künstlergenerationen an ihm orien­ Veendorp aus Groningen Aus Recklinghausen, Wuppertal und tierten? Dieser Frage geht die von der Kultur­ Berlin sind sie angereist: stattliche stiftung der Länder geförderte Ausstellung 29.10.2016 − 29.01.2017 Schwergewichte, teilweise über 500 kg auf den Grund und zeigt neben Moores

schwer. Normalerweise fest im Stadtbild eindrucksvollen Skulpturen und Plastiken Museum, Foto: Marten de Leeuw © Groninger ihrer Heimat verankert, haben sich die Objekte 16 weiterer europäischer Künstler, drei kraftvollen Plastiken Henry Moores darunter Hans Arp, Joseph Beuys, Alberto SUERMONDT-LUDWIG-MUSEUM AACHEN nach Münster begeben, um dort für die Giacometti und Pablo Picasso. www.suermondt-ludwig-museum.de kommenden Monate als Ausstellungs­ Besuchte Henry Moore das LWL-Museum objekte zu brillieren. Für die erste um­ für Kunst und Kultur bereits 1976 anlässlich fassende Werkschau des Künstlers in der feierlichen Übergabe der Plastik „Working Deutschland seit 18 Jahren hat sich das Model for Stone Memorial“, holt die – in LWL-Museum für Kunst und Kultur Kooperation mit der Tate in London entstan­ durchaus anspruchsvolle Gäste einge­ dene – Einzelausstellung den Künstler nun laden: Auf den Millimeter genau musste wieder nach Münster zurück und würdigt ihn die Platzierung der großformatigen als wichtigen Impulsgeber und einfluss­reichen Leihgaben im Vorhinein geplant, die Bildhauer des 20. Jahrhunderts. maximale Bodenbelastung überprüft und Jenny Berg ist Assistentin des Vorstands der die Sockel auf die besonderen Anforde­ Kulturstiftung der Länder. rungen der schweren Bronzen angepasst werden. Inzwischen haben sich die Henry Moore. Impuls für Europa hochkarätigen Exponate auf ihren vorge­ LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster bis 19.3.2017 sehenen Plätzen eingefunden und bieten www.lwl-museum-kunst-kultur.de – gemeinsam mit weiteren bedeutenden Leihgaben und Eigenbeständen des Henry Moore. Im- Museums – noch bis zum 19. März 2017 puls für Europa. Hg. vielseitige Einblicke in das Œuvre des von Hermann Arn- bekannten britischen Bildhauers. hold, LWL-Museum für Kunst und Kul- 1898 in Castleford, Yorkshire, gebo­ tur, Münster. Hirmer ren, studierte Henry Moore ab 1919 an Verlag, München. Ca. Hans Baldung Grien der Leeds School of Art – als bis dahin 280 Seiten mit ca. 150 farbigen Abbil- einziger Schüler – Bildhauerei. Mit dungen, 39,90 Euro einem Stipendium ausgestattet, wech­ selte er 1921 zunächst an das Royal Henry Moore, Three Way Piece No. 2: (The) Archer, 1964/65; Staatliche Museen zu Berlin, 17. September 2016 bis 15. Januar 2017 College of Art in London und besuchte Nationalgalerie, temporär aufgestellt am LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster AUGUSTINERMUSEUM Haus der Graphischen Sammlung Salzstraße 32 | 79098 Freiburg | Di – So 10 – 17 Uhr | www.freiburg.de/museen

50 ARSPROTOTO 4 2016 Ann und Jürgen Wilde (Hg.), Karl Blossfeldt frischen, unverstellten Blick auf ein faszinieren­ UNTERSTÜTZEN SIE UNS triebskosten zu beteiligen. Bitte überweisen Sie unter – Meisterwerke. Schirmer/Mosel Verlag, des und durchaus heterogenes Zeitalter: Anhand dem Stichwort „Arsprototo“ auf eines unserer Konten NEUE BÜCHER München. 160 Seiten mit 70 Tafeln und 70 der Leitthemen Raum, Körper, Wissen, Glaube, Abbildungen in Duotone, 49,80 Euro Ordnung und Zeit zeichnen über 60 Fachbeiträ­ (beispielsweise 20 Euro). Vielen Dank! ge ein kaleidoskopisches Bild dieser vielfältigen, RETTEN SIE KUNST Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine komplexen und widersprüchlichen Zeit. Von der Spendenbescheinigung ausstellen. DER TRAUM VOM Schwierigkeit des Begriffs „Barock“ ausgehend, Unterstützen Sie die Spendenaufrufe von Arsprototo. erörtern sie Geschichte und Gegenwart, Sinn So können Sie Arsprototo bestellen: und Unsinn der Epochenzuteilung und verschaf­ Spenden Sie unter dem Stichwort „Schloss Bruchsal“ PARADIES fen so ein im schönsten Sinne „barockes“, mit und helfen Sie bei der Restaurierung der Gemälde „Tem­ mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag Ein deutsches El Dorado in der Südsee – für üppigen Farbabbildungen garniertes Lesevergnü­ pelruine“ und „Ruinenlandschaft“. ––– Siehe Seite 36 per E-Mail: [email protected] heutige Begriffe eine im Wortsinn entlegene gen, das zugleich wissenschaftlich fundiert unter im Internet: www.kulturstiftung.de Vorstellung. Und doch war der Traum vom Beweis stellt: Barock ist eben nicht nur schöner Paradies am anderen Ende der Welt bis zum Schein! Untergang des Kaiser- wie des Kolonialreichs Wirklichkeit, zumindest aus der Perspektive Alfried Wieczorek, DIE KULTURSTIFTUNG des heimischen Herds. Dass auch die Künstler Christoph Lind, FREUNDEN SIE SICH sich von der Utopie einer ursprünglichen Welt Uta Coburger (Hg.), Barock. Nur schöner DER LÄNDER verführen ließen, führen Paul Gauguins Tahiti- Bilder virtuos vor Augen. Seinerseits inspiriert Schein? Schnell & MIT UNS AN! Steiner, Regensburg. vom Vorbild Gauguin und beseelt von der Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger­ 232 Seiten mit 178 Vorstellung, im Pazifik ebenfalls sein Paradies farbigen Abbildun- lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Seit 1999 wird die Kulturstiftung der Länder von einem zu finden, brach Max Pechstein mit seiner Frau gen, 34,95 Euro Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame Freundeskreis begleitet. Mit unserer Arbeit unterstützen Lotte im Mai 1914 nach Palau auf. Die von seinem Kunsthändler Wolfgang Gurlitt vorfinan­ Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die wir die Bewahrung und Vermittlung unseres kulturel- KARL BLOSSFELDT zierte Reise endete nach nur vier Monaten Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. len Erbes: Im Rahmen des Bündnisses „Kunst auf La- Walter Benjamin (1892 –1940) war von ihrer Aufenthalt mit der Besetzung der Inseln durch Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den ger“ werden Restaurierungen insbesondere in Ost- und poetischen Strahlkraft fasziniert, erkannte in Japan. Erstmals lässt sich im Vergleich der Ländern der Bundes­republik Deutschland gegründet Mitteldeutschland gefördert. Jährliche Reisestipendien ihnen „älteste Säulenformen“, „Totembäume“ Tagebuchnotizen des Paares das Verhältnis von und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf. ermöglichen dem Museumsnachwuchs den Besuch der Ideal und Wirklichkeit ausloten; zudem be­ und „gotisches Maßwerk“. Neo Rauch (*1960) Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei. Kunstmesse TEFAF in Maastricht. Mit ihrem Jahres- erlag bereits als Kind dem Reiz ihrer „kristallinen schreibt die Verfasserin des Pechstein-Werkver­ PAUL GRAUPE zeichnisses klug differenzierend den Widerspruch Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und berät beitrag von mindestens 500 Euro fördern die Mitglie- Anmut“. Seit ihrer Entdeckung Ende der 1920er Parallel zur Provenienzforschung in Museen, zwischen realem Inselleben unter den Bedingun­ Jahre zählen Karl Blossfeldts (1865 –1932) Bibliotheken und Archiven entwickelt sich auch deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei der Er­ der auch das Stiftungsmagazin Arsprototo. Der Junge gen der Kolonialzeit und Pechsteins künstleri­ Pflanzenbilder zu den Inkunabeln der Fotografie­ das Interesse an den Akteuren des Kunstmarkts werbung und Bewahrung von national wertvollem Kul­ Freundeskreis ermöglicht mit seinem Beitrag ab 100 scher Verklärung seiner Eindrücke aus dem geschichte. Ob Weiße Zaunrübe, Büschelschön, im 20. Jahrhundert, und so tragen inzwischen verlorenen Paradies nach seiner Rückkehr nach turgut. Darüber hinaus widmet sie sich wichtigen kul­ Euro Museumsvolontären den Besuch der Kunstmesse Rosen-Zwerglauch oder Fächerahorn – der Studien etwa zu Karl Haberstock oder Hilde­ Europa 1917 und im Spätwerk der 1950er Jahre. turpolitischen Themen wie dem„Deutsch -Russischen Art Basel und prämiert mit einem Volontärspreis künst- gelernte Modelleur und Kunstgießer porträtierte brand Gurlitt wichtige Mosaiksteine zu unserem zahlreiche Pflanzenarten und erhob sie zu Bild des NS-Kunstraubs bei. Versteigerungskata­ Museumsdialog“ und hat mit „Kinder zum Olymp!“ lerische Projekte an Museen. Aya Soika, Der reiz­vollen Motiven, die in Stil und künstlerischer loge sind wichtige Recherchequellen, doch die Traum vom Para- eine erfolgreiche Bildungs­initiative für Kinder und Auf gemeinsamen Reisen haben die Mitglieder bei- Gestaltung die moderne Fotokunst entscheidend dies. Max und Lotte Personen am Auktionatorenpult, ihre Akquise- Jugendliche ins Leben gerufen. der Freundeskreise exklusiven Zugang zu den Kunst- beeinflussen sollten. Was Blossfeldt ursprünglich Pechsteins Reise in und Verkaufsstrategien sind für den deutschen ––– www.kulturstiftung.de schätzen unseres Landes in Museen und Sammlungen, als Dokumente für die Kunsterziehung seines Kunsthandel bis heute weitgehend unerforscht. die Südsee (Hg. Schlössern und Gärten und begeben sich auf die Spuren Förderers, des Hochschullehrers Moritz Meurer, Kunstsammlungen Mit der Biographie des bedeutenden Berliner an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Zwickau). Kerber Kunsthändlers und Auktionators Paul Graupe unseres kulturellen Erbes. Berlin schuf, zählt heute zu den Ikonen der Verlag, Bielefeld. (1881–1953) legen die drei beteiligten Autorin­ Wenn Sie mehr über die Aktivitäten unserer Freun- Neuen Sachlichkeit. In Schwarzweiß vor hellem 224 Seiten mit 90 nen und Autoren in einer deutsch-französischen deskreise und ihre Fördertätigkeit erfahren möchten, Grund eingefangen, offenbaren seine Protagonis­ farbigen und 79 Koproduktion eine Lebens- und Kunstmarkt­ ARSPROTOTO / AB0 ten faszinierende Details der botanischen Welt: Abbildungen in geschichte vor, die von Berlin über das vom informieren Sie sich unter www.kulturstiftung.de/ feine Zeichnungen auf Blättern und Blüten, Schwarzweiß, 39,95 NS-Regime erzwungene Exil in Paris, London Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Länder, freundeskreis/ oder sprechen Sie uns direkt an: expressive Silhouetten eigenwillig geformter Euro und der Schweiz bis nach New York führt. erscheint viermal im Jahr. Das Abonnement ist kosten­ [email protected] oder 030 - 89363515 Gewächse, raffiniertes Ornament ineinander los. Wir möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit (Geschäftsführung: Prof. Dr. Frank Druffner) verschlungener Ranken und Kannelierungen Patrick Golenia, emporwachsender Stängel. Der im großzügigen Kristina Kratz-Kes- einem kleinen Beitrag an den Herstellungs- und Ver­ Hochformat erschienene Band vereint 70 der semeier, Isabelle Le eindrucksvollsten Werke Karl Blossfeldts, dessen Masne, Paul Graupe BILDNACHWEIS S. 31 u.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 32: © Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf / VG Archiv heute als Teil der „Stiftung Ann und BAROCK — NUR SCHÖNER (1881–1953). Ein Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 33: © The Estate of On Kawara / Foto: Achim Kukulies; S. 34 o.: © Stanley Brouwn / Titel: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 3 o.: © Oliver Helbig; S. 3 u.: © VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Achim Kukulies; S. 34 u.: © Harald Klingelhöller / Foto: Achim Kukulies; S. 35: © Estate of Dan Flavin / VG Jürgen Wilde“ der Münchener Pinakothek der Berliner Kunsthänd- 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 4 l.o.: © Burkhard Maus; S. 4 l.u.: © Beethoven-Haus Bonn; S. 4 r.: © Sujin Seo; Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 36 u. 53: © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg; Moderne angegliedert ist. 2011 konnte das SCHEIN? ler zwischen Repu­ S: 4 r.u.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 5 l.u.: © Museum für Stadtgeschichte Dessau / S. 37: © Landesmedienzentrum Baden-Württemberg; S. 38-41: © Beethoven-Haus Bonn; S. 44 u. 46-49: © VG blik, Nationalsozia- Foto: Ulrich Lange, Dessau, vierzig-a.de; S. 5 r.o.: © Gilbert & George; S. 6 l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 6. r.: Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 45: © Berlinische Galerie / Foto: Kai-Annett Becker / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 50: Museum – mit Unterstützung der Kulturstiftung Perücken, Puder und Pomp staffieren die Vor­ © Erich Spießbach / Foto: Stefan in der Beeck; S. 8-9: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 10-11: © Hans-Wulf Kunze; © Reproduced by permission of The Henry Moore Foundation / Foto: LWL / Hanna Neander; S. 51 o.: © der Länder – selbst 75 Originalfotografien des lismus und Exil. S. 12-13: © Staatliche Museen für Naturkunde Stuttgart / Foto: U. Stübler; S. 14 o.: © Heinrich-Heine-Institut, Reproduced by permission of The Henry Moore Foundation / Foto: © Tate, London 2016; S. 51 u.: © Hirmer Verlag, stellungen aus, die wir uns heute vom Barock Böhlau Verlag, Düsseldorf; S. 14 u.: © bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Jörg P. Anders; S. 15: © Klassik Stiftung Weimar / München; S. 52 o.l.: © Schirmer/Mosel Verlag, München; S. 52 m.: © Kerber Verlag, Bielefeld; S. 52 o.r.: © Künstlers aus seinem Nachlass erwerben. Flan­ Schnell & Steiner, Regensburg; S. 52 u.r.: © Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Berlin; S. 54-56 u. 58-59: © Sammlung machen: Keiner anderen Epoche haften Kitsch Köln, Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv; S. 16: © Museum für Stadtgeschichte Dessau / Fotos: Ulrich Lange, Dessau, vierzig-a. kiert werden die hochwertig reproduzierten de; S. 18-19: © Achim Kukulies, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 20: © Nachlass Manfred Leve, Courtesy Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg; S. 57: © Erich Spießbach / Foto: Stefan in der Beeck; S. 60 1. v.l.: und Klischee so unnachgiebig an wie jener zwi­ Berlin. 303 Seiten, Museum Kunstpalast, AFORK, Düsseldorf; S. 21 o.: © Dorothee Fischer / VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 21 u.: © ©VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 60 2. v.l.: © Museum im Kulturspeicher / Foto: Klaus Bauer; S. 60 3. v.l.: © bpk / Bildtafeln von Erläuterungen des renommierten schen Renaissance und Aufklärung. Mit einer 174 Abbildungen in Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels ZADIK; S. 22 o.: © picture alliance / obs / Stadt Aachen; S. 22 u.: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders; S. 60 r.: © Potsdam Museum / Foto: Holger Professors für Pflanzenökologie, Hansjörg © Siegfried Kuhn, StAAG / RBA1-1_AusstellungKunst_ExperimentelleKunstKunsthalle-Bern 1969-45_41; S. 23 u.: Vonderlind; S. 61 1. v.l.: © Privatbesitz; S. 61 2. v.l.: © Stiftung F.C. Gundlach; S. 61 3. v.l.: © Städel Museum, Ausstellung zum Thema entlarvt das Zeughaus Farbe und Schwarz- © by www.tischer.org, Courtesy Kunsthalle Düsseldorf; S. 24 o.: © Peter Fischer, HAStK; S. 24 u.: © Josef W. Frankfurt am Main / Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; S. 61 r.: © Museum Atelierhaus Rösler-Kröhnke, Küster, die sich den Aspekten Wachstum, Mannheim derzeit die vorherrschenden Stereo­ weiß, 40 Euro Froehlich; S. 25: © Konrad Fischer Galerie; S. 26: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 27 o.: Kühlungsborn; S. 62 1. v.l.: © Uschi Blume; S. 62 2. v.l.: © Christo 2014 / Foto: Wolfgang Volz;S. 62 3. v.l.: Verbreitung, Blütenstand und Namensentste­ © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 27 u.: © The Estate of On Kawara / Foto: Achim Kukulies; © Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln / Foto: Christina Vollmert; S. 62 r.: © Stiftung typen rund um den Barock als trügerisch und S. 28 o.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 28 u.: © Gilbert & George / Foto: Achim Kukulies; Saarländischer Kulturbesitz; S. 63 1. v.l.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2016; S. 63 2. v.l.: © Kunstmuseum Kloster Unser hung der – heute zum Teil ausgestorbenen – bietet mit der zugehörigen Publikation einen S. 29: © Hanne Darboven Stiftung, Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 30: © VG Lieben Frauen / Repro: Hans-Wulf Kunze; S. 63 3. v.l.: © Kunsthalle zu Kiel, Foto: Sönke Ehlert; S. 63 r.: Pflanzenarten widmen. Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; S. 31 o.: © DB / VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Foto: Achim Kukulies; © Kunstsammlung Jena; S. 64-65: © Bröhan-Museum, Berlin / Foto: Martin Adam, Berlin; S. 66: © Oliver Mark

52 ARSPROTOTO 4 2016 53 LÄNDERPORTRÄT Hans Prinzhorn, BADEN-WÜRTTEMBERG um 1925 Die Sammlung Prinzhorn SCHWEISSWUNDER UND AUSDRUCKSNIEDERSCHLÄGE

Ausgewählt hat der Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn die Objekte seiner Sammlung nicht, doch er hat ein Buch über sie geschrieben. Seine „Bildnerei der Geisteskranken“ wurde eines der einflussreichsten Bücher über Kunst von Uta Baier

Max Junge, Collagierter Umschlag (recto), um 1918/1919, 14,2 × 18,8 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg

lles begann mit einem Bettelbrief. Der Heidel­ In der Tat hatte Prinzhorn keinen Einfluss auf das, berger Psychiater Hans Prinzhorn (1886 – was da nach Heidelberg geschickt wurde. Auf das, was 1933) schickte ihn 1919 und 1920 an private daraus wurde, jedoch sehr wohl. Denn Hans Prinzhorn Kliniken und große Heilanstalten im deutsch­ sichtete, sortierte und bewertete die eingegangenen Asprachigen Raum und bat um künstlerische Werke nicht nur, er schrieb das Buch „Bildnerei Werke von Psychiatriepatienten. Es war die Zeit, in der der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und sich Behandlungskonzepte für psychisch Kranke ent­ Psycho­pathologie der Gestaltung“. Es erschien 1922 wickelten, in der Heilung ein Ziel des Klinikaufenthalts und wurde nicht nur sein berühmtestes Buch. Es ist ein wurde. Die Bitte aus Heidelberg, initiiert von Prinz­ bahnbrechendes und wirkungsmächtiges Buch über horn und seinem Chef Karl Wilmanns, dem Leiter der Kunst überhaupt geworden. Daran hatte der Verlag Psychiatrischen Klinik, kam daher zur richtigen Zeit Julius Springer einen entscheidenden Anteil. „Es gibt – Ärzte anderer Kliniken hatten bereits Kunstwerke 170 in Farbe abgebildete Werke. So reich bebildert war von ihren Anstaltsinsassen gesammelt. In kürzester Zeit kein anderes Buch dieser Zeit“, sagt Thomas Röske. schickten sie 4.500 Werke von 435 ihrer Patienten an Diese üppige Ausstattung hatte direkten Einfluss auf Hans Prinzhorn. Verbreitung und Rezeption. Zahlreiche Künstler bezo­ Der war bestens für die Auswertung der Einsendun­ gen geeignet, hatte er doch vor seinem Medizinstudium Karl Genzel, Die Frau mit dem Storch oder Jesin, Kunstgeschichte und Gesang studiert. Zur Medizin kam undatiert, 18,5 × 12,5 × er, als seine erste Ehefrau in einer psychiatrischen Klinik 3 cm; Sammlung behandelt werden musste. Die persönliche Erfahrung Prinzhorn, Universitäts- klinikum Heidelberg brachte ihn auf die Idee, „das Künstlerdasein aufzu­ geben und einen rechtschaffenen Beruf anzugehen, in dem man unzweifelhaft etwas Gutes tun muss: Dies ist das Arzten“, schrieb er 1913 in einem Brief. Sechs Jahre später zog Prinzhorn nach Heidelberg und wurde „eher zum Ansammler als zum Sammler“, wie es der heutige Sammlung-Prinzhorn-Leiter Thomas Röske beschreibt.

54 ARSPROTOTO 4 2016 55 von Interesse geleitet, vorurteilslos, staunend und nicht wertend argumentierte. Zum Staunen hatte er allen Grund, denn die Ein­ sendungen seiner Kollegen waren vielfältig: Zeichnun­ gen, Collagen, Plastiken, selbstgefertigte Bücher, musi­ kalische Kompositionen, Gedichte, Texte und deren Kombinationen. August Natterer etwa schuf phantas­ tisch-surreale Figurenbilder, Carl Lange stellte in Texten und Bildern das „Heilige Schweisswunder in der Ein­ legesohle“ dar, Karl Genzel schnitzte Holzfiguren, in denen Menschen und Tiere verschmelzen, Barbara Suckfüll gestaltete Blätter mit geradezu haptischer Qualität, deren Grundlage Umrisse ihres Anstaltsge­ schirrs sind. Agnes Richter stickte ihre autobiographi­ schen Texte auf eine Anstalts­jacke. Politik, Alltag, Kriegserlebnisse, Beschwerden, Wünsche, Wahnträume – all das (und noch viel mehr) fand Eingang in die Arbeiten der Patienten, von denen August Natterer, ohne Titel, undatiert, einige eine künstlerische Ausbildung hatten, viele 13,9 × 9 cm; Sammlung Prinzhorn, jedoch nicht. Von manchen Patienten gibt es nur ganz Universitätsklinikum Heidelberg wenige Werke, von anderen ganze Konvolute, die über gen sich auf Prinzhorns Werk. Paul Klee hat die Samm­ mehrere Jahre entstanden – oder in wenigen Wochen. lung sogar besucht, ebenso wie Jean Dubuffet, der in Welchen Einfluss die individuelle Krankengeschichte Auseinandersetzung mit Prinzhorns Buch 1950 den auf die Bildmotive hatte, darauf wollte sich selbst Begriff der „Art brut“ prägte. Eine Ausstellung über die Prinzhorn nicht festlegen: „[...] der Glaube an die Adaption von Motiven aus der Sammlung Prinzhorn Objektivität von Krankengeschichten ist leicht zu war 2013 in Heidelberg zu sehen. Ihr Fazit: Die Kunst­ erschüttern. Dagegen sind Bildwerke objektive Aus­ geschichte des 20. Jahrhunderts wäre ohne die Samm­ drucksniederschläge. Und werden sie von einem Beob­ lung Prinzhorn und ihre Wirkung sicherlich anders achter gedeutet, der seine theoretischen Vorausset­ verlaufen. Die Aufzählung von Künstlern, die sich zungen aufdeckt, so mag leicht auf diesem Wege ein direkt nach Erscheinen des Buches explizit und nach­ höherer Grad von Objektivität erreichbar sein.“ weislich mit der Sammlung beschäftigten und Motive Während Künstler begeistert auf die Sammlung in die eigene Kunst übernahmen, belegt das eindrucks­ Prinzhorn reagierten, begannen die Nationalsozialisten, voll: Hans Bellmer, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, der Kunst Vorschriften zu machen, die letztlich in Paul Klee, Alfred Kubin oder Jean Tinguely. Menschen- und Kunstvernichtung endeten. Überra­ Diese große Wirkung hatte einerseits mit der schenderweise sicherte diese Nazi-Ideologie der Prinz­ Anfang des 20. Jahrhunderts allgegenwärtigen Suche von Künstlern nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu tun. Sie war aber auch die besondere Leistung Hans Prinzhorns, der auf eine Weise in das Leben, Leiden und das bildnerische Werk der Patienten einführte, die nicht abwertete und stigmatisierte, sondern vor allem beschrieb. Dabei war er sich der Besonderheit seines Unternehmens sehr wohl bewusst: „Das Wort Kunst mit seiner festen affektbeladenen Bedeutung schließt ein Werturteil ein. Es hebt gestaltete Dinge vor ganz ähnlichen heraus, die als ‚Nichtkunst‘ abgetan werden. Da nun die Bildwerke, um die es sich handelt, und die Probleme, zu denen sie führen, durchaus nicht wertend gemessen, sondern psychologisch erschaut werden, so schien es passend, den sinnvollen, aber nicht gerade üblichen Ausdruck ‚Bildnerei der Geisteskranken‘ für das außerhalb der psychiatrischen Fachwissenschaft bislang fast unbekannte Gebiet festzuhalten“, heißt es Barbara Suckfüll, Zeichnung ohne Titel (verso), 1910, im Buch. Diese wenigen Sätze zeigen, wie Prinzhorn 33 × 42 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg

Erich Spießbach, Alles ist möglich, das Dümmste aber am wahrscheinlichsten, 29,5 × 20,7 cm, 1952; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg 56 57 Sicher ist, dass die Sammlung nach 1945 in einem Heidelberger Klinikschrank weitgehend unbeachtet lagerte, während ihr Mythos lebte. 1963 öffnete sich der Schrank für den Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann. Er zeigte eine Ausstellung mit 250 Prinzhorn-Werken in der Kunsthalle Bern und 1972 auf der von ihm geleiteten documenta 5 in Kassel. Hier wurden sie in der Abteilung „Individuelle Mythologien“ Teil der Weltkunst. Und wieder begannen sich Künstler mit der Sammlung zu beschäftigen – Arnulf Rainer etwa oder Georg Baselitz. Inge Jádi, die die Sammlung seit 1980 betreute, hat entscheidend zu dieser Wiederentdeckung und Popula­ risierung der Sammlung beigetragen. Allerdings plädiert sie dafür, trotz aller Begeisterung für die Kunst, die Paul Goesch, ohne Titel (Kirchenfassade), Bedingungen, unter denen die Werke entstanden, nicht undatiert, 31,2 × 20,9 cm; Sammlung Prinz- zu verdrängen: „Geeint wird dieses divergierende Mate­ horn, Universitätsklinikum Heidelberg rial, dieses interessante Durcheinander von Beiläufigem und Hervorragendem, durch die Gemeinsamkeit des So sollte der ehemalige Hörsaal der Klinik nicht zum Schicksals seiner 435 Autoren, darunter 20 Prozent Museum umgebaut werden, weil es den Verdacht gab, Frauen. Sie alle waren als psychiatrische, meist schizo­ dort habe der Obergutachter des Euthanasieprogramms phrene Anstaltspatienten über Jahre und Jahrzehnte T4 Carl Schneider Vorlesungen gehalten. Forschungen verwahrt, oft bis zum Tod [...].“ der Universität Heidelberg widerlegten diese Vermu­ Ein Museum mit allen Aufgaben, die ein Museum tung. Auch ein Umsiedeln der Sammlung nach Berlin, hat, wurde unter Jádis Leitung erst 2001 in Heidelberg wo es ein intensives Bemühen um eine Gedenkstätte für eröffnet. Die Diskussionen, die es vor und während die Opfer der „Euthanasie“ gab, wurde von Heidelberg Adolf Nesper, Es braust ein Ruf wie Donnerhall, zwischen 1906 –1913, dieser Eröffnung gab, zeigten einmal mehr, wie beson­ nach vielen Diskussionen abgelehnt. 28,8 × 42,7 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg ders diese Sammlung und wie schwierig der Umgang Seitdem wird die Sammlung kontinuierlich in mit der Kunst der Psychiatriepatienten noch immer ist. wechselnden Ausstellungen gezeigt, erforscht und auch hornsammlung das Überleben. Denn Werke aus ihrem Lungenembolie aufgrund einer Typhuserkrankung. Er erweitert. So soll aktuell mit Hilfe der Kulturstiftung Bestand wurden in der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurde 47 Jahre alt. der Länder das Werk des Psychiatriepatienten Erich gezeigt, um eine denunziatorisch gemeinte Nähe mo­ Sein früher Tod ersparte ihm nicht nur die Erfah­ Spießbach (1901–1956) angekauft werden. Er stammt derner Kunst zu den Werken von psychisch Kranken zu rung der Nazi-Herrschaft, sondern auch eine eindeutige aus dem Nachlass seines Psychiaters Manfred in der illustrieren. Auf Grund dieses ideologisch motivierten Haltung zu deren Menschen- und Kunstvernichtungs­ Beeck, der nach Prinzhorns Vorbild plante, ein Buch dokumenta­rischen Werts blieb die Sammlung komplett ideologie. Thomas Röske sieht Prinzhorn als einen, der über seinen Patienten und dessen Kunst zu schreiben, erhalten. Mindestens 22 Künstler-Patienten wurden – wie viele Intellektuelle seiner Zeit – als „Sinnender“ es jedoch nie vollendete. jedoch ermordet. Diese Zahl kann sich jederzeit erhö­ auf die „Handelnden“ Einfluss nehmen wollte. In Große Pläne haben auch die Mitarbeiter der hen, denn längst ist nicht alles Material ausgewertet. seinen Schriften „übte er zwar auch Kritik, letztendlich Sammlung. In den nächsten Jahren wird es Ausstellun­ Dass Forschungen nötig, noch nicht abgeschlossen entschuldigte er jedoch das Vorgehen der Nazis gegen gen zu Themen wie „Humor und Schizophrenie“ oder oder noch gar nicht begonnen wurden, hört man im­ andere politische und weltanschauliche Gruppierungen zur Bedeutung des Fahrrads für die Patienten oder zu mer wieder, wenn man sich mit der Sammlung Prinz­ sowie viele gesellschaftliche Minderheiten immer ­ Architekturphantasien geben. Außerdem wünscht sich horn beschäftigt. Selbst eine Biographie des Hans wieder mit den besonderen Gegebenheiten der Zeit“, die stellvertretende Museumsleiterin Ingrid von Beyme Prinzhorn existiert noch nicht. Allein die Eckdaten sagt Röske und kommt zu dem Schluss: „Wie sich ein Digitalisierungsprojekt für die fragilen Arbeiten. seines Lebens sind bekannt: 1886 geboren, schloss er das Verhältnis Prinzhorns zu den neuen Machthabern Denn die Werke wurden selten auf Leinwand oder das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie gestaltet hätte, lässt sich schwerlich bestimmen.“ gutem Künstlerpapier gemalt und gezeichnet, sondern mit einer Dissertation über Gottfried Semper ab. An­ auf Toilettenpapier, Anstaltszetteln, verschiedenen Cover der 1922 erschienenen schließend begann er ein Gesangsstudium, um dann ersten Ausgabe von Hans Stoffen. Häufig wurden Collagen geklebt, farbige, zur Medizin zu wechseln. Prinzhorn war drei Mal Prinzhorns „Bild­nerei der schnell verblassende Tinten verwendet. verheiratet und hatte mehrere Liebesbeziehungen, unter Geisteskranken“; Sammlung Um Erweiterung geht es im derzeit wichtigsten Prinzhorn, Universitätsklini- anderem zur Tänzerin Mary Wigman. Nach seinem kum Heidelberg Projekt von Museumsleiter Thomas Röske. Das Mu­ Weggang aus Heidelberg war er Assistenzarzt im Sana­ seum braucht mehr Platz. Die Pläne stehen, allein die torium „Weißer Hirsch“ in Dresden, arbeitete in einer nötigen zehn Millionen Euro fehlen noch. Sind die Klinik in Wiesbaden, eröffnete eine eigene Praxis in besorgt, könnte das Museum endlich auch eine Ausstel­ Frankfurt am Main, schrieb weitere Bücher und hielt Adolf Wölfli, Skt. Adolf=Groß=Gott=Wasser=Edel=Schlange, 1915, lung zur eigenen Geschichte etablieren. Vorträge auf der ganzen Welt. 1933 starb er an einer 34 × 25,5 cm; Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin.

58 ARSPROTOTO 4 2016 59 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN BREMEN HAMBURG HESSEN MECKLENBURG-VORPOMMERN von Carolin Hilker-Möll BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN BERLIN BRANDENBURG

Max Liebermann, Polospieler im Jenischpark, 1903 Peter Keetman, Selbstbildnis Stuttgart, 1948 — Franz von Stuck, Adam und Eva, ca. 1920–1926 MAX LIEBERMANN VOM - FREIZEITVERGNÜGEN ZUM PETER KEETMAN. GESTAL — - Waldemar Rösler, Zwei Frauen am Meer, 1911–12 MODERNEN SPORT TETE WELT EIN FOTOGRA GESCHLECHTERKAMPF — Fritz Bamberger, Albufera-See bei Stefan Velten, Ringende, 1988 FISCHES LEBENSWERK FRANZ VON STUCK BIS Valencia, 1862 — Der Siegeszug des Sports begann in FRIDA KAHLO WALDEMAR RÖSLER EIN DIE WILDEN 80ER JAHRE IN Deutschland vor über hundert Jah­ Peter Keetmanns (1916 – 2005) fo­ SECESSIONIST AM MEER tografisches Lebenswerk zeichnet WÜRZBURG UND DIE Ernst Ludwig Kirchner, Frauenkirch im Winter, DER DEUTSCH-DEUTSCHEN ren: Max Liebermann (1847–1935) Die traditionelle Definition von - sich durch seine Aufmerksamkeit für Der Tod des Malers Waldemar Rös­ ROMANTISCHE LAND 1918/19 MALEREI war der erste deutsche Künstler, der männlich und weiblich als aktiv/pas­ Otto Dix, Vanitas, 1932 SCHAFTSMALEREI DES sich intensiv mit diesem Thema aus­ Linien und Formen, Flächen und siv, rational/emotional, Kultur/Natur ler beraubte – wie sein Freund Max 19. JAHRHUNDERTS ERNST LUDWIG KIRCHNER — Die 1980er Jahre waren ein beson­ einandersetzte. Die Ausstellung un­ Strukturen aus. Allein mit fotogra­ war in der Kunst der Moderne ein Liebermann bemerkte – „die deut­ OTTO DIX — ALLES MUSS HIEROGLYPHEN deres Jahrzehnt in der deutsch-deut­ tersucht erstmals Liebermanns Blick fischen Mitteln gestaltete Keetman intensiv behandeltes Thema: Viele sche Kunst um eine ihrer schönsten ICH SEHEN! Romantische Landschaftsmalerei ist schen Geschichte, das mit der Wie­ auf Bewegung und Sport. Anhand die Bildfläche, deren Motive oft­ Künstler führten ihrem Publikum Hoffnungen“. Sein künstlerisches eine Konstante im von politischen, Als Hieroglyphen beschreibt Ernst dervereinigung Deutschlands 1990 der Geschichte von Reiten, Tennis mals seinem unmittelbaren Lebens­ überzogene Charaktereigenschaf­ Potential konnte Rösler nicht aus­ Otto Dix (1891–1969) malte das, gesellschaftlichen und künstlerischen Ludwig Kirchner seine künstleri­ seinen historischen Abschluss fand. und Polo um 1900 wird anschaulich umfeld entstammten. Mit einem ten vor Augen und untermauerten schöpfen: Traumatisiert aus dem Ers­ was er sah. Maßstab der eigenen Revolutionen geprägten 19. Jahrhun­ sche Übersetzung des Gesehenen Das Potsdam Museum setzt nun ein Bild des Großbürgertums der spezifischen Vokabular widmet er in ihren Werken stereotype Rollen­ ten Weltkrieg zurückgekehrt, nahm Arbeit waren dabei nicht das ex­ dert. Weder technische Neuerungen und Gelebten: Skizzenhaft über­ Gemälde und Graphiken beider ehe­ Kaiserzeit vermittelt, das diese neuen sich Natur- und Stadtlandschaften, bilder. Andere griffen gängige Rol­ sich der 34-Jährige 1916 das Leben. plizit Hässliche oder Schöne, son­ wie die Fotografie noch Avantgar­ zeichnet erscheinen seine Gemälde maliger deutscher Staaten aus dieser englischen Sportarten betrieb. Nach Abstraktionen von Materialformen, lenklischees an und versuchten, diese Als Mitglied der von Liebermann ge­ dern die Wirklichkeit. Aus Anlass den wie Realismus, Impressionis­ und Skulpturen, in denen Gebäude, Dekade in einen Dialog, in dem viele dem Ersten Weltkrieg entdeckten Porträts und Fotogrammen. Die durch Strategien wie Ironie, Über­ gründeten Berliner Secession wurde des 125. Geburtstags des Künstlers, mus oder Symbolismus konnten die Landschaften und Figuren abstra­ Schnittmengen in den künstlerischen jüngere Künstler wie Helmut Kolle Ausstellung verfolgt die Fotografie zeichnung, Maskerade und Hybridi­ er mit seinen Landschaften nach der von 1933 bis zu seinem Tod am Sehnsuchtslandschaften verdrän­ hiert und auf einzelne Elemente Haltungen sichtbar werden. Im (1899 –1931) den neuen Boxsport Peter Keetmans von den 1920er bis sierung aufzubrechen. Anhand einer Motiven aus dem Berliner Umland Bodensee lebte, zeigt das Zeppelin gen. Dabei werden nicht nur südli­ hin verdichtet werden. Unter die­ Zentrum der Betrachtung steht die als Motiv. Ihre Bilder und Skulptu­ in die 1990er Jahre – vom Neuen Auswahl von etwa 140 Werken der schnell bekannt. Die Ausstellung Museum aus seinem umfassenden che Gefilde wie Italien oder Spanien sem ­Fokus lenkt die Ausstellung den menschliche Figur, sei es in expressi­ ren veranschaulichen den Kontrast Sehen und Neuer Sachlichkeit bis Malerei, Skulptur, Graphik, Foto­ würdigt Röslers in Vergessenheit Werkbestand Gemälde, Zeichnun­ zu beliebten Bildmotiven, sondern Blick auf 17 Gemälde Kirchners aus ver oder realistischer, in abstrahieren­ zwischen Liebermanns eleganten zur Gruppe fotoform. grafie sowie Filmen macht es sich das ­geratenes Werk mit einer Auswahl gen und Graphiken aus allen Schaf­ auch deutsche Landschaften wie das dem Bestand der Nationalgalerie. der oder neo-surrealer Malweise. Das Amateursportlern und dem Starkult Deichtorhallen – Haus der Ausstellungsprojekt zur Aufgabe, be­ seiner Berliner Landschaftsgemälde. fensperioden des Malers bis zu sei­ Mainfränkische Gebiet. Im Mittel­ Gerahmt wird die Ausstellung von breite Spektrum der Positionen führt im Berliner Sportpalast. Photographie, Hamburg sonders prägnante künstlerische Posi­ Selbstporträts und Bildnisse aus www.deichtorhallen.de seinem privaten Umfeld ergänzen nem Spätwerk und greift dabei alle punkt der Ausstellung „Sehnsucht. zwei zeitgenössischen Positionen: vor, wie intensiv sich die Künstlerin­ Kunsthalle Bremen tionen von der Mitte des 19. Jahr­ bis 12.2.2017 die Präsentation, um den Platz des wichtigen Inhalte und Motive seines Landschaft“ stehen Künstler, die ei­ Rudolf Stingel hat Gemälde nach nen und Künstler mit globalen und www.kunsthalle-bremen.de hunderts bis zum Ende des Zweiten Œuvres auf: Akte, Porträts, religi­ nen direkten Bezug zu Würzburg ha­ fotografischen Vorbildern Kirchners existenziellen Themen ihrer Zeit be­ bis 26.2.2017 Weltkriegs zu bestimmen und in Künstlers in der Geschichte der Ber­ öse Themen, Kriegsdarstellungen, ben, so etwa Fritz Bamberger, Franz geschaffen, und Rosa Barbas Film schäftigt haben. GEORGE GROSZ — DER ­einen Dialog zu stellen. liner Secession zurückzuerobern. Stadt- und Landschaftsbilder. Ne­ Leinecker, August Christian Geist führt zur Sammlung im Depot der Kunstmuseum Ahrenshoop Potsdam Museum, Potsdam A MARQUEE PIECE OF SOD — GROSSE ZEITVERTREIB Städel Museum, Frankfurt a. M. ben frühen expressionistischen Wer­ und Ferdinand Knab. Nationalgalerie. www.potsdam-museum.de www.staedelmuseum.de www.kunstmuseum-ahrenshoop.de FILME ZUM ERSTEN WELT- bis 19.3.2017 ken sind u. a. Lithographien, Holz­ Museum im Kulturspeicher Neue Galerie im Hamburger 3.12.2016 –12.3.2017 Mit spitzer Zeichenfeder kom­ bis 19.3.2017 schnitte, Aquarelle und Zeichnungen Würzburg Bahnhof, Berlin KRIEG VON MARY REID mentierte der Maler, Graphiker zu sehen, die sich mit tabuisierten www.kulturspeicher.de www.smb.museum RUDI MEISEL. LANDSLEUTE KELLEY und Karikaturist George Grosz TONY CRAGG — UNNATURAL SIBYLLE — ZEITSCHRIFT FÜR Themen wie Erotik und Sexualität 17.12.2016 – 2.4.2017 bis 26.2.2017 (1893 –1959) die Verhältnisse in der MODE UND KULTUR auseinandersetzen. 1977–1987. TWO GERMANYS In ihrer ersten Einzelausstellung in Weimarer Republik. Seine Bildsati­ SELECTION Europa präsentiert Mary Reid Kelley ren sind Klassiker der Neuen Sach­ Zeppelin Museum, Friedrichshafen ALBERT RENGER-PATZSCH — SURREALE SACHLICHKEIT — Über einen Zeitraum von elf Jahren Die großformatigen Skulpturen aus Die Frauenzeitschrift SIBYLLE er­ (*1979) ihren vierteiligen Zyklus von lichkeit, die unseren Blick auf die www.zeppelin-museum.de - - hat der westdeutsche Fotograf Rudi Metall, Marmor, Holz und Glas des schien ab 1956 sechsmal jährlich in 2.12.2016 – 5.3.2017 RUHRGEBIETS WERKE DER 1920ER UND Filmen über den Ersten Weltkrieg. Zwischenkriegszeit prägen. „Der Meisel (*1949) das Alltagsleben in britischen Bildhauers und ehemali­ kleiner Auflage in der DDR. Die LANDSCHAFTEN 1930ER-JAHRE AUS DER Gemeinsam mit ihrem Partner Pa­ große Zeitvertreib“ präsentiert der DDR und in der Bundesrepu­ gen Rektor der Düsseldorfer Kunst­ Macher – vorrangig Modeschöpfer NATIONALGALERIE trick Kelley schafft sie Performances, Grosz-Glanzstücke der 1910er und EMIL NOLDE — DER MALER In den Jahren 1927-1935 fotogra­ blik eingefangen: Seine Bilder von akademie Sir Tony Cragg (*1949) und Fotografen mit hohem kultu­ Zeichnungen und Skulpturen, die -20er Jahre: Rund neunzig Aquarelle, rellen Anspruch – produzierten ein fierte Albert Renger-Patzsch, ei­ Die Ausstellung wirft einen neuen, biederer Behaglichkeit, bierseligen sie in ihren anspielungsreichen und sind von organischen Naturformen Mit 60 hochkarätigen Werken Emil Zeichnungen und Lithographien stilprägendes Magazin, das insbeson­ ner der wichtigsten Fotografen der durch den Surrealismus geschärften Stammtischen, unwirtlichen Wohn- wortwitzigen Filmen zu einer Art inspiriert und hochästhetisch: mit Noldes gibt das Kunstmuseum Ra­ aus der Zeit vor seiner Emigration dere von künstlerischen Aspekten be­ Neuen Sachlichkeit, Stadtrand- und Blick auf das Phänomen der Neuen siedlungen, jugendlicher Rebellion Gesamtkunstwerk zusammenführt. fast wesenhaftem Charakter „wach­ vensburg einen Überblick über das 1933, darunter eindringliche Blätter stimmt wurde. Regelmäßig war die Haldenlandschaften, Landstraßen, Sachlichkeit. Bilder von Protagonis­ oder baufälligen Straßenzügen sen“ sie förmlich in den Raum. 20 Werk des bedeutenden Expressio­ Kunsthalle Bremen aus den Mappen „Gott mit uns“ und SIBYLLE in Rekordzeit vergriffen. Hinterhöfe und Vorstadthäuser, ten der Neuen Sachlichkeit wie Otto hüben wie drüben fügen sich zu Skulpturen sowie Teile der Mine­ nisten. Nach dem Credo „der Maler www.kunsthalle-bremen.de „Ecce Homo“, geben einen umfas­ Die Kunsthalle Rostock untersucht Schrebergärten und Zechenanla­ Dix, Christian Schad und Alexan­ einem erstaunlichen zeitgeschicht­ ralien- und Fossiliensammlung des braucht nicht viel zu wissen, sondern bis 19.2.2017 senden Einblick in Figurenkosmos das Phänomen SIBYLLE aus künst­ gen im Ruhrgebiet. Diese Aufnah­ der Kanoldt treffen dabei auf ausge­ lichen Archiv. In der Gegenüber­ Künstlers werden im Großen Saal wesentlich seinem Instinkt zu fol­ des Künstlers. lerischer und fotografischer, aber men sind heute aktueller denn je wählte Werke von Max Ernst, René stellung seiner bildjournalistischen des Museums präsentiert. gen“, setzte Nolde innere und äußere Ernst Barlach Haus, Hamburg auch aus sozialer Sicht. und geben einen visuellen Kommen­ Magritte und anderen Surrealisten. Dokumente verschwimmen die Hessisches Landesmuseum Wahrnehmungen spontan und un­ tar zur Diskussion um Urbanität, Grenzen zwischen „spezifisch West“ www.ernst-barlach-haus.de Kunsthalle Rostock Sammlung Scharf-Gerstenberg, Darmstadt vermittelt ohne Rücksicht auf Per­ Zersiedlung und Umnutzung von und „spezifisch Ost“. bis 15.1.2017 www.kunsthallerostock.de Berlin www.hlmd.de spektive und Form in starkfarbige Folgelandschaften. 2.12.2016 – 26.3.2017 18.12.2016 – 26.02.2017 Aquarelle und Ölmalerei um. www.smb.museum Dieselkraftwerk Cottbus Pinakothek der Moderne, München bis 23.4.2017 www.museum-dkw.de Kunstmuseum Ravensburg www.pinakothek.de bis 15.01.2017 www.kunstmuseum-ravensburg.de 16.12.2016 – 23.4.2017 bis 5.2.2017

60 ARSPROTOTO 4 2016 61 NIEDERSACHSEN NORDRHEIN-WESTFALEN RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SACHSEN SACHSEN-ANHALT SCHLESWIG-HOLSTEIN THÜRINGEN

Uschi Blume, Worauf wartest Du?, 1980 Christo, Wrapped Beetle 1963 (Objekt 2014), 1963 / 2014 Sighard Gille, Die Apokalyptischen, 2012 /13 Peter Herrmann, Kaspar, Melchior und Balthasar sind mal schnell Zigaretten holen, 2011 UND PLÖTZLICH DIESE HINTER DEM VORHANG — Arnulf Rainer, Ulrich Wildgruber, 1997/98 SIGHARD GILLE — RUHELOS Käthe Kollwitz, Selbstbildnis, 1924 WEITE Römische Glas-Urne, undatiert PETER HERRMANN — MALER- Emile Béchard, Arabischer Maultiertreiber, VERHÜLLUNG UND Die Malerei auf Basis von präziser um 1875 Als Kooperation zwischen dem GRÜSSE AUS BERLIN ENTHÜLLUNG SEIT DER BÜHNENREIF / 2. AKT Beobachtung ist das zentrale Thema KÄTHE KOLLWITZ — Sprengel Museum Hannover, C/O ALTES UND NEUES GLAS RENAISSANCE (1500–1900) von Sighard Gille (*1941), der lange Peter Herrmann (*1937) setzt auf ICH WILL WIRKEN — Berlin und dem Museum Folk­ ORIENTBILDER In der Konstellation von altem und Zeit an der Leipziger Hochschule für eine Malerei, deren farbenkräftige – wang Essen präsentieren die Häu­ Das faszinierende Wechselspiel zwi­ Der „2. Akt“ der Auseinanderset­ Die Graphische Sammlung der FOTOGRAFIEN 1850 1910 neuem Glas dokumentiert sich eine Grafik und Buchkunst unterrichtet Oberfläche durchlässig ist für die ser in ­einem dreiteiligen Ausstel­ schen Verbergen und Zeigen, Ver­ zung mit dem Thema der Bühne in Kunsthalle zu Kiel rückt zum Jahres­ außerordentliche Vielfalt forma­ hat. Gilles fulminanter Farbauftrag inneren Seiten des Lebens. Obwohl Betrachtet man die Geschichte der lungsprojekt Geschichte, Einflüsse hüllen und Enthüllen mit Vorhang, der bildenden Kunst widmet sich der wechsel 2016/17 mit Käthe Kollwitz ler Möglichkeiten der Glasgestal­ und seine überbordenden Komposi­ sich seine Motive oft in verblüffen­ Orient-Fotografie, die in der Kunst­ und Auswirkungen der legendären Schleier oder Draperien wird in der darstellenden und bildenden Kunst (1867–1945) eine zentrale deutsche tung – althergebrachte Formzu­ tionen zeigen ihn als einen Meister der Einfachheit darstellen, entwi­ halle Jena in gut 200 zwischen 1850 Berliner Institution „Werkstatt für in Düsseldorf gezeigten Themen­ vom Barock bis in die Moderne. Die Künstlerin des 20. Jahrhunderts in sammenhänge werden variiert oder des Malerischen. In expressiver Arti­ ckeln sie eine überraschende emotio­ und 1910 entstandenen Aufnah­ Photo­graphie“ und ihrer Akteure. schau mit bedeutenden Kunstwerken gezeigten Werke illustrieren das enge den Fokus. Das Werk der Graphi­ neu formuliert, sodass vermeintlich kulation und leichter Ironie befragt nale Dichte. Herrmanns Bildszenen men aufgeblättert wird, so kann die Die ­Ausstellung im Sprengel Mu­ aus sechs Jahrhunderten vorgestellt. Zusammenspiel von Bild und Bühne kerin, Malerin und Bildhauerin, in Bekanntes neu und zum Teil unge­ er die Kunst zu ihrer Beziehung zum haftet oft etwas Komisches an, selbst allmähliche Verfestigung der Bilder seum Hannover zeichnet zudem die Mit Leihgaben aus internationa­ durch die Zeit – von mittelalter­ dem sie zu einem sehr eigenständi­ wohnt erscheint: Kostbare archäolo­ Leben. In der umfassenden Retro­ wenn sie historische Ereignisse spie­ der Fremde, die doch so vertraut ist, Geschichte der Rezeption ameri­ len Museen und Privatsammlungen lichen Altarbildern, die in szenischen gen Stil mit Elementen von Realis­ gische Neufunde aus der Staatlichen spektive werden Gemälde von den geln. Die Wirklichkeit wird farbiger verfolgt werden. Aus vielen einzelnen kanischer Fotografie nach 1966 in – Gemälden, Zeichnungen, Skulp­ Darstellungen Episoden der Bibel mus und Expressionismus findet, Altertümersammlung des Saarlandes späten 1960er Jahren in der DDR als in Wirklichkeit gezeigt und stellt höchst unterschiedlichen Bildern Deutschland nach. Dabei erfährt die turen, Installationen, Fotografien – illustrieren, über die zentralperspek­ zeigt die sozialen Missstände ihrer treten zu aktuellen Glasdesign-Ob­ bis in die Gegenwart gezeigt, darun­ die Betrachtung der Dinge in einen wird ein Orientbild, das um 1900 so Arbeit der in Hannover ansässigen spannt sich der Bogen von Tizian bis tivischen Bühnenräume des Barock Zeit, Armut, Tod und Trauer und jekten, die in Workshops mit bedeu­ ter auch das selten gesehene Modell ganz persönlichen Rahmen. Die Aus­ allgemein geworden ist, dass es kei­ Spectrum Photogalerie eine beson­ Christo, also von der Renaissance bis bis hin zu den höfischen Masken­ ist stark von persönlichen Erlebnis­ tenden Designern im Centre Inter­ für die Ausmalung der Decke des stellung im Kunstmuseum Kloster ner genaueren Bezeichnungen der dere Würdigung. hin zur zeitgenössischen Kunst. Der bällen und Tableaux Vivants des 18. sen geprägt. Die Ausstellung präsen­ national d’Art Verrier (CIAV) in der Leipziger Gewandhauses. Unser Lieben Frauen zeigt das reiche, aufgenommenen Orte mehr bedarf. Sprengel Museum Hannover Reigen der Schau beginnt mit dem Jahrhunderts. Als Bildmotiv wie als tiert neben zentralen Graphikfolgen In der Kunstfotografie ist der Orient Vogesengemeinde Meisenthal ent­ Museum der bildenden Künste über fast ein halbes Jahrhundert ent­ www.sprengel-museum.de antiken Maler-Wettstreit und wid­ Bildträger erweist sich die Bühne der Künstlerin wie „Ein Weberauf­ standen sind. Die Kombination von Leipzig standene Œuvre des in Berlin leben­ ortlos und auch zeitlos geworden: ein 11.12.2016 –19.3.2017 met sich in weiteren Kapiteln Aspek­ und mit ihr die Welt des Theaters stand“ (1893 –97), der Kollwitz die ungefärbten und farbigen Gläsern www.mdbk.de den Künstlers. reines Reich der Bilder und Phantas­ ten wie „Mysterium des Göttlichen“, als Thema, an dem sowohl kultur­ Anerkennung als Künstlerin brachte, sowie das Miteinander verschiedener bis 22.1.2017 men. Heute, mit zeitlichem Abstand, „Gewalt der Enthüllung“ oder „Reiz geschichtliche Veränderungen wie Kunstmuseum Kloster Unser Lieben „Bauernkrieg“(1902/03 –1908) und Formvariationen lässt faszinierend Frauen, Magdeburg schaut die Ausstellung hinter die Ku­ DAS NEUE HERZOG ANTON des Verborgenen“. auch formale, künstlerische und sieben Holzschnitten zum Krieg schöne Objektlandschaften entste­ www.kunstmuseum-magdeburg.de lissen. Inszenierungsstrategien wer­ ULRICH-MUSEUM technische Entwicklungen anschau­ MALEREI DER ROMANTIK (1922/23) auch Hauptwerke wie Museum Kunstpalast, Düsseldorf hen. So wird das breite und überra­ bis 12.3.2017 den in den Blick genommen und die lich werden. Neben Gemälden, Gra­ „Frau mit totem Kind“ (1903) oder Nach sieben Jahren umfangreicher www.smkp.de schende Spektrum formaler Variati­ Bilder studiert als das, was sie sind: phiken und Skulpturen umfasst die In einem eigens neu geschaffenen „Helft Russland“ (1921) sowie ihre Erweiterungs- und Sanierungsmaß­ bis 22.01.2017 onsmöglichkeiten erfahrbar, das die Bilder des Orients. Ausstellung auch Bühnenmodelle Ausstellungssaal bieten die Kunst­ IINSPIRATION DES eindrücklichen Selbstbildnisse. nahmen öffnete das Herzog Anton und Entwürfe sowie Kostüme und künstlerische Arbeit mit Glas bietet. sammlungen Chemnitz einen reprä­ Kunstsammlung Jena FREMDEN — DIE BRÜCKE- Kunsthalle zu Kiel Ulrich-Museum, eines der ältesten PILGERN — SEHNSUCHT NACH Museum für Vor- und Früh­ sentativen Überblick über ihr Samm­ www.jena.de Theaterrequisiten. www.kunsthalle-kiel.de und größten Kunstmuseen Deutsch­ geschichte, Saarbrücken lungsspektrum der Malerei des 18. MALER UND DIE AUSSER­ 10.12.2016 – 5.3.2017 GLÜCK? Arp Museum Bahnhof Rolandseck, bis 5.3.3017 lands, im Oktober wieder seine Pfor­ www.kulturbesitz.de und 19. Jahrhunderts. Neben einer EUROPÄISCHE KUNST Remagen ten. Den Grundstein der bis heute Weltweit brechen jedes Jahr Millio­ bis 5.3.2017 beeindruckenden Sammlung von www.arpmuseum.org Anfang des 20. Jahrhunderts wand­ ALTENBOURG IN ALTENBURG berühmten Sammlung Alter Kunst nen Menschen zu meist Jahrtausende unterschiedlichen Porträtdarstellun­ WENZEL HABLIK — MALER, bis 7.5.2017 ten sich viele der avantgardistischen legte bereits Herzog Anton Ulrich alten Pilgerstätten auf – eine oftmals gen sind Landschaftsmalereien und Fünfundzwanzig erlesene Ar­ TWO MEASURES OF TIME — europäischen Künstler den Kulturen KUNSTHANDWERKER, von Braunschweig-Lüneburg strapaziöse Reise unter beträchtli­ Stillleben zu sehen. In der dauer­ beiten von Gerhard Altenbourg Afrikas und der Südsee zu. Auch die VISIONÄR (1714 –1774). Neben zahlreichen chem Einsatz von Energie, Zeit und POP UP! BILDIKONEN DER MAX EASTLEY UND MARTIN haften Präsentation werden rund (1926 –1989) umfasst die dem Lin­ Brücke-Künstler wurden durch die Alten Meistern wie Rubens, Vermeer, Geld. Über prominente Pilgerorte 60ER UND 70ER JAHRE RICHES 50 Gemälde aus dem mehrere Hun­ Das Ostholstein-Museum widmet denau Museum geschenkte Samm­ ausdrucksstarke Gestaltung von Mas­ Rembrandt oder Giorgione erwarb wie Köln, Rom, Jerusalem, Mekka dert Werke umfassenden Bestand sich dem reichen Schaffen des Ma­ lung des Ehepaars Pfäffle, die sich Mit den Klanginstallationen von ken und Figuren inspiriert. Ausge­ er auch antike Objekte, kunstvolle oder Lourdes hinaus thematisiert die Pin-up-Girls, Hollywood-Schönhei­ vorgestellt. lers, Graphikers, Innenarchitekten aus exemplarischen Blättern aller Max Eastley und Martin Riches hend von den hier erstmals vollstän­ Möbel oder ostasiatische Lackarbei­ von der Kulturstiftung der Länder ten, Werbeikonen, Kultprodukte, und Kunsthandwerkers Wenzel Hab­ Schaffensphasen des Künstlers zu­ ­präsentiert die Stadtgalerie Saar­ Kunstsammlungen Chemnitz dig gezeigten Werken afrikanischer ten, die bis heute über Europa hin­ geförderte Ausstellung auch weniger Leitfiguren des politischen Aktivis­ lik (1881–1934), der bis heute zu sammensetzt. Die Sonderausstellung brücken zwei Soundkünstler der www.kunstsammlungen- Kunst in der Sammlung Gerlinger aus bekannt sind. Nun werden rund bekannte Stätten, die als Wallfahrts­ mus und massenmediale Großereig­ chemnitz.de den bedeutendsten Expressionisten verbindet die Schenkung Pfäffle mit ­ersten Stunde. Mit Musikmaschinen, zeigt die Ausstellung Gemälde und 4.000 Kunstwerke aus 3.000 Jahren ziele für unterschiedliche Religionen nisse der 1960er und 1970er Jahre Dauerausstellung in Schleswig-Holstein gehört. Nord­ der einer Präsentation der Stiftung klanglichen und visuellen Installa­ Arbeiten auf Papier aus der Samm­ in der neu konzipierten Daueraus­ dienen. Sie führt zu 14 Pilgerorten sind bis heute in unserem visuellen deutsche Landschafts- und Meeres­ Gerhard Altenbourg und lässt erhel­ tionen, sprechenden Maschinen so­ lung sowie ausgewählte Leihgaben. stellung präsentiert. von religiöser und spiritueller Bedeu­ Gedächtnis fest verankert. Die Aus­ bilder, Porträts, Zeichnungen und lende Verbindungslinien zwischen wie Sound-Skulpturen verwandeln Sichtbar wird der kreative Impuls, tung auf der ganzen Welt, an denen stellung zeigt anhand von Graphi­ Aquarelle sowie großformatige Öl­ den Exponaten entstehen. Herzog Anton Ulrich-Museum, die zwei Briten das Haus in ein akus­ den die Rezeption außereuropäischer Braunschweig Gläubige nach Erlösung, Heilung ken und Multiples einen Querschnitt bilder geben einen Einblick in das durch den Zeitgeist des Pop. tisches Gesamtkunstwerk. Kunst auslöste. Lindenau-Museum Altenburg www.3landesmuseen.de oder Sinngebung suchen. facettenreiche Werk des Künstlers. www.lindenau-museum.de Dauerausstellung Wilhelm Hack Museum, Stadtgalerie Saarbrücken Kunstmuseum Moritzburg, Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln Ostholstein-Museum, Eutin 4.12.2016 – 26.2.2017 Ludwigshafen www.stadtgalerie.de Halle (Saale) www.pilgern.koeln www.museum.kreis-oh.de www.wilhelmhack.museum bis 8.1.2017 www.stiftung-moritzburg.de bis 9.4.2017 bis 29.1.2017 bis 15.1.2017 bis 29.1.2017

62 ARSPROTOTO 4 2016 63 FREUNDESKREIS reform um 1900 eng miteinander einher­ Haus Tübingen, Dr. Reformbewegungen um 1900 – den gingen, überrascht es nicht, dass Endell Gmelins Nordsee- Möbelungetümen, die man aus der Kuranstalten auf Föhr, mit einem „ganzheitlichen“ Entwurf für Postkarte von 1910 historistisch geprägten Zeit des Kaiser­ das Nordsee-Sanatorium beauftragt reichs kennt, wurden Entschlackungs­ FRISCHZELLENKUR wurde. Es umfasste neben der baulichen kuren verordnet, sie wurden wie die Hülle auch das Mobiliar der Gmelin­ aufgeschlossenen Damen der Gesellschaft schen Anstalt. in sanft fallende Formen gekleidet oder Für das Bröhan-Museum, das inter­ in ihrer unverfälschten Holzsichtigkeit FÜR SANATORIUMS­ national ausgerichtete Berliner Landes­ gleichsam in Pendants der Freikörperkul­ museum für Jugendstil, Art Deco und tur umgedeutet. Dies alles passt genau zu Funktionalismus, war es ein Glücksfall, den Ideen des Balneologen Gmelin und MÖBEL als ihm die Stiftung Nordfriesland 2015 seines Kollegen Häberlin, die der satu­ ein Konvolut der Endellschen Sanatori­ rierten Gründerzeitgesellschaft eine Der Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder umsmöbel aus Haus Tübingen schenkte. mereinrichtung. Dynamische Schwünge Werkstätten für Handwerkskunst. Bereits ähnliche Verjüngungskur mittels der Man hatte angenommen, sie seien ver­ und Kurvaturen, zurückhaltender, ver­ wenige Monate nach ihrer Eröffnung Rückbesinnung auf die Heilkräfte der unterstützte die Restaurierung von Jugendstilmöbeln lorengegangen. Tatsächlich aber waren halten farbig betonter Ornament­ zeigten die Werkstätten einen Teil der Natur verschrieben. im Berliner Bröhan-Museum sie seit den 1980er-Jahren im Husumer schmuck mit Wellenlinien, die auf die Möbel auf der vielbeachteten Volksthüm- Der Freundeskreis der Kulturstiftung Schloss, dem Sitz des Kulturamts Nord­ Nordsee anspielen, und ein hohes Maß lichen Ausstellung für Haus und Herd. der Länder freut sich, dass er mit einem von Frank Druffner friesland, eingelagert. Nicht zuletzt an Eleganz und Funktionalität zeichnen Dies unterstreicht das Bestreben der namhaften Beitrag Endells Sanatoriums­ aufgrund der langen Einlagerung bestand die einzelnen Stücke aus. Nach der damaligen Gestalter-Avantgarde, durch möbel in einen Zustand versetzen Wer durch den Kurpark in Wyk auf Föhr im Studium geformten Ideen der Natur­ dringender Restaurierungsbedarf, zumal Reinigung und der Abnahme späterer mustergültige Entwürfe auch andere konnte, der ihre zukünftige Präsentation streift, stößt irgendwann auf einen heilkunde in großem Stile um und die teilweise nachträglich übermalten Fassungen erhalten sie eine Schutzlackie­ (Kunst-) Handwerker zu den im damals in der Schausammlung des Bröhan- Gedenkstein, an dessen nur grob bear­ widmete sich gemeinsam mit Carl Großmöbel in ihre Einzelteile zerlegt rung, nachdem Fehlstellen oder Schäden erschienenen Katalog formulierten Museums erlaubt. beiteter Vorderseite ein Bronzerelief mit Häberlin (1870 –1954) den natürlichen worden waren. retuschiert beziehungsweise gekittet Prinzipien zu bekehren: „Imitationen, Prof. Dr. Frank Druffner ist stell­­ver­ dem Profil eines bebrillten Herrn ange­ Heilkräften von Wasser, Sonne und Luft. Mit diesem Möbelensemble lässt sich worden sind. Man ahnt, dass die satten Unechtes, Unwahres kann uns auf die tretender Generalsekretär der bracht ist. Die etwas unbeholfen in den Auf dem Areal eines Parkgeländes die Einrichtung eines Patientenzimmers, Brauntöne des verwendeten Holzes den Dauer ebenso wenig befriedigen wie Kulturstiftung der Länder und Stein gehauene Inschrift darunter lautet: errichtete der Architekt und Kunst­ die fotografisch überliefert ist, nun auch Patientenzimmern ganz im Sinne der Unschönes, Ueberladenes.“ Diese Worte Geschäftsführer des Freundeskreises. „Sanitätsrat Dr. med. Karl Gmelin“. Für theoretiker August Endell (1871 –1925) physisch vollständig wiederherstellen. Reformgedanken eine behagliche und illustr­ieren zuspitzend das Bestreben der Schwaben hat der Familienname einen für Gmelin den Sanatoriumsbau. Endell Es umfasst alle Teile einer von Bett und optisch beruhigende Ausstrahlung ver­ tiefen Klang, bezeichnet er doch Ange­ ist allen Jugendstil-Begeisterten bestens Schrank über Tisch, Toilettenstuhl und liehen haben. hörige der sogenannten Ehrbarkeit, des vertraut, hat er doch mit dem ersten der Sitzmöbel bis hin zu Waschkommode Die lange Zeit verloren geglaubten humanistisch geprägten Patriziertums Hackeschen Höfe, dem Haus am Stein­ und Handtuchhalter reichenden Zim­ Möbelstücke fügen sich trefflich in die Württembergs. In der Tat hatte Gmelin platz und der Trabrennbahn Mariendorf bestehende Sammlung des Bröhan- Möbelensemble aus dem Nord- (1863 –1941) in Tübingen Medizin in Berlin oder dem durch die National­ Museums ein und ergänzen dort den see-Sanatorium in Wyk auf Föhr studiert, bevor er im Anschluss an seine sozialisten verstümmelten und später Sammlungsbereich des deutschen Ju­ von August Endell, gefertigt in Promotion 1898 in Wyk auf der Insel abgerissenen Hofatelier Elvira in Mün­ gendstils. Die Ausstattung von Haus den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst Schmidt und Föhr das Nordsee-Sanatorium Haus chen Ikonen der Jugendstilarchitektur Tübingen entstand als erster Großauftrag Müller, um 1900; Bröhan- Tübingen gründete. Dort setzte er seine hinterlassen. Da Lebens- und Kunst­ in den 1898 gegründeten Dresdner Museum, Berlin

64 ARSPROTOTO 4 2016 65 SCHÖN IM DEPOT 2016/2017 Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Frau Fritz?

DER WETTBEWERB

DER OLYMP ZUKUNFTSPREIS FÜR KULTURBILDUNG

Der Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder In unserem Depot lagern die Werke der „Eine Cobra Gruppe“ von Asger Jorn damit nicht zuletzt den moralischen in Zusammenarbeit mit der Deutsche Bank Stiftung Sammlung Peter und Gudrun Selinka, die (1914 –1973) vor zwei Jahren ein Auslöser Anspruch der Künstlergruppe, dem Tier über 230 Arbeiten des Expressionismus für mich, der Annäherung von Mensch in uns selbst nachzuspüren und sich der sowie der Gruppen Cobra und Spur und Tier in der Kunstgeschichte nachzu­ Frage nach der eigenen Animalität, d. h. umfasst. Sie bilden nicht nur den spüren. Unter dem Titel „We love animals“ die unbewussten instinktiven seelischen JETZT Grundstock meiner Arbeit, sondern sind zeichnen wir im nächsten Sommer die Tiefendimensionen des eigenen Ichs, Informationen unter für mich auch der ideelle Überbau, auf Annäherung von Mensch und Tier seit dem bewusst zu machen. Heute, in Zeiten www.kulturstiftung.de/kinder-zum-olymp BEWERBEN! dessen Grundlage wir das Kunstmuseum 18. Jahrhundert bis heute in einer großen einer digitalen Revolution, in denen die Anmeldung zum Wettbewerb Ravensburg als ein „Lernort der Sinne“ Überblicksausstellung nach. Die „Cobra Sinnlichkeit zunehmend an den Rand bis zum 31. Dezember über die Webseite seit dem Eröffnungsjahr 2013 entwickelt Gruppe“, ein Hauptwerk der Cobra-Bewe­ gedrängt wird, ist diese Fragestellung unter haben. Die Werke im Depot, die wir aus gung der Nachkriegszeit, ist in diesem dem Stichwort Animal Turn in der Gegen- Platzgründen nicht alle permanent zeigen Zusammenhang äußerst faszinierend, weil wart angekommen und aktueller den je. können, wirken wie ein Akku, sie inspi­rie- die Annäherung des Menschen an das Tier ­ren mich und werfen immer wieder neue hier sozusagen motivisch kulminiert. Asger Dr. Nicole Fritz, Leiterin des Kunstmuseums Fragen auf, die wir in thematischen Aus- Jorn hat auf diesem 1964 entstandenen Ravensburg, mit Asger Jorns Gemälde stellungen untersuchen und produktiv Gemälde seine Künstlerkollegen in Tier­- „Eine Cobra Gruppe“ von 1964 im Depot machen. So war beispielsweise das Gemälde gestalt dargestellt. Das Werk symbolisiert des Hauses, fotografiert von Oliver Mark

66 DIE VOLLENDUNG DES RENAISSANCEFLÜGELS ab . April IM DRESDNER RESIDENZSCHLOSS  Neue Dauerausstellungen der Rüstkammer Auf dem Weg zur Kurfürstenmacht und Kurfürstliche Garderobe www.skd.museum