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2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED 259

2. Hund und Viehzüchter auf dem Weg zu Moses, Jesus und Mohammed

Eine Skizze der Entwicklung des Kultur; > 168-78 & 186-95) unternommen, Neolithikums im westlichen Teil noch bevor die Keramik erfunden wurde. des Fruchtbaren Halbmonds Man benennt diese Kultur daher mit der Abkürzung PPN A (~ Pre Pottery Neolithic zeigt uns, dass der Hund von Be- A). Die folgende Phase der Entwicklung ginn an dabei ist (> 260: Karte). Wir werden wurde in Jericho entdeckt und definiert und zusätzlich erkennen, dass die Entstehung wegen signifikanter Unterschiede PPN B ge- des Hirten-Nomadismus zeitlich und räum- nannt. Diese Phase konnte nachgewiesen lich in engem Zusammenhang steht mit werden in einem breiten Bogen von der dem Beginn des Neolithikums in dem Raum, Süd-Türkei über Syrien, Israel, Jordanien bis den man mit Länder- und Regionalnamen - hin zum nördlichen Saudi-Arabien. Die im Südwesten beginnend und nach Norden nördlichsten Fundstellen liegen an den aufsteigend und im Südosten endend - so Euphrat-Nebenflüssen Balikh und Kha- definieren kann: Das Jordan-Tal (Israel, bur/Chabur mit dem uns schon bekannten Palästina und Jordanien), der Libanon, Sy- Tell Halaf (> 214-23; > 490: Karte), die süd- rien, Südost-Anatolien, Nord-, Ost- und Süd- lichsten scheinen Bouqras und Tell es-Souab Irak sowie Nordwest- bis Südwest-Iran. Die- 3 zu sein, woraus man schließt, dass Regen- ser Halbmond umschließt als eine Region, feldbau weiter südlich nicht mehr erfolg- die im -8. und -7. Jahrtausend deutlich reich praktiziert werden konnte. Diesen Bo- fruchtbarer war als heute, ein anscheinend gen nennt man nach Moores Definition The leeres Zentrum, das als Jezireh-Steppe bzw. Ancient Levant . Er schloss im wesentlichen -Wüste im Norden als Syrische und in süd- ganz Syrien ein, den Westen Iraks, den größ- licher Fortsetzung als Arabische Wüste zwi- ten Teil Jordaniens und einen Teil des nörd- schen dem Zweistromland (~ die östliche lichen Saudi-Arabien (Zarins, 37). Da die Le- Hälfte des heutigen Irak) und Syrien sowie vante im eigentlichen Sinn nur die Mittel- Jordanien liegt. Es hat sich, wie wir im meerküste der gesamten Region ist, nennt nächsten Abschnitt sehen, frühzeitig eine man diesen Bogen auch Inland Levant. Die Interaktion entwickelt zwischen den im Archäologen unterscheiden drei Phasen: klassischen Sinn neolithischen Siedlungen Das PPN B von -7.000 bis -6.200, das PPN C im Halbmond und den nomadischen Men- von -6.200 bis -5.800 (auch finales PPN ge- schen, die das scheinbar leere Zentrum be- nannt) und das PN, das Neolithikum mit Ke- wohnten. Diese Interaktion zwischen Rand ramik, von -5.800 bis -5.000. Die Zeitanga- und Zentrum nennt man pastoralistischen ben beruhen wohl auf C14-Ergebnissen, Nomadismus (> 263-6). Die Archäologen ha- scheinen aber nicht kalibriert zu sein. Ähn- ben vom Fruchtbaren Halbmond vor allem liche Sequenzen fand man in Fundstätten den nördlichen Rand und da besonders die im Süden Jordaniens, im nördlichen Syrien Grenzlinie des Regenfeldbaus untersucht. und im nördlichen Saudi-Arabien (Zarins, Die ersten Schritte zur gemischten Land- 38-39). Das -7. Jahrtausend bot in der Re- wirtschaft (Ackerbau und Viehzucht) wur- gion ein optimales Klima zur Entwicklung den im späten Epipaläolithikum (~ Natuf- der Landwirtschaft, so dass selbst bis in die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 260

260 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Die frühesten Nachweise über Ort und Zeit der Domestikation von Wildtieren im Vorderen und Mittleren Orient - in zwei Dritteln der Fundorte ist der Hund nachgewiesen. In: Bökönyi, 1976, Fig. 1 (unkalibrierte C14-Daten). Rechts: Siedlungsorte von Jägern und Viehzüchtern in Palästina. In: Clason, 296, Fig. 1.

Steppen hinein neolithisch gewirtschaftet Hüyük (> III, 546-50) im mittleren Anatolien werden konnte. Im Übergang vom PPNB mit Hund und Rind als Haustierarten. In zum PPNC um -6.200 geht der Anteil der dieser „Stadt“ gab es u.a. einen Kultraum Wildtiere drastisch zurück zu Gunsten von der Großen Mutter, in dem die Statue einer Schaf und Ziege. Anatolien wird zeitgleich wohlbeleibten, sitzenden und manchmal mit Zypern und Kreta vom Nordirak aus gebärenden Göttin gefunden wurde (> III, neolithisiert: Zypern vielleicht von der Re- 548: Abb. 107). Die Kontinuität paläoli- gion um Ramad aus, wo der Hund nicht thischer Denkmodelle im neolithischen nachgewiesen ist (> oben). In Anatolien ist Wandel und die Richtigkeit von Herneggers die neolithische Wirtschaftsweise zuerst Theorem der bewusstseinsgeschichtlich- nachgewiesen im östlich gelegenen Çayönü archäologischen Brückenfunktion (> 244) ist ab -7.600 (> 249). Von Çayönü aus werden offensichtlich. Bereits im frühen Neolithi- zum einen Georgien und Armenien, also kum der Levante waren nach dem Hund Zie- der Südkaukasus, neolithisiert, von wo aus gen, Schafe, Rinder, Schweine, verschiedene später in verschiedenen Schüben die Arten von Eseln und Halb-Eseln domesti- zentralasiatischen Steppen einseitig vieh- ziert, wahrscheinlich auch schon die Katze. wirtschaftlich kolonisiert werden, womit Während von den Ziegen bis zu den Schwei- der Entwicklung patriarchal strukturierter nen die Nahrungsproduktion für den Men- Hirtengesellschaften der Boden bereitet schen im Vordergrund stand, wurden die wird. Diese Hirtenvölker werden später im- Pferdeartigen vermutlich schon früh für mer wieder die europäische Entwicklung Transportzwecke genutzt. nachhaltig beeinflussen bis zu den Hunnen hin. Und zum anderen breitet sich von The dog probably had the same major Çayönü, wo aber nur der Hund und keine tasks it has today, and helped men in weitere Haustierart gefunden wurde, zeit- hunting, herding, and guarding, gleich die neolithische Lebensweise aus nach Zentral- und Westanatolien und ent- meint Anati (236) und scheint dabei zu dif- wickelt innerhalb von nur 600 Jahren die ferenzieren zwischen Hüte- (herding) und erste (proto)-neolithische „Stadt“: Çatal Herdenschutzhunden (guarding). Er könnte Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 261

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come from several individuals, all smal- ler than wolf, and ranging from a large type almost wolf size to that of a fox- terrier (Zeuner, 53).

Diese Streuung in der Widerristhöhe wäre für eine Pariahhund-Population nicht re- präsentativ, eher kann man für die wolfs- großen Hunde Herdenschutzhund-Funktio- nen und für die „Fox-Terrier“ Hütehund- Funktionen vermuten. Für den kleinen Typ stellt Zeuner fest, dass

one mandible, which is somewhat lar- ger than fox-terrier, has a small angular process and a straight lower margin. This may suggest a rather long-faced dog (Zeuner, 53).

Diese Kopfstruktur ist allerdings (auch) für sich auf Zeuner berufen, der 1958 (52) über Windhunde typisch und frischt die Vermu- Hund und Katze im neolithischen Jericho tung auf, der eventuelle Hütehund könne nachdachte, und für den Hund zu der schon aus dem Windhund entwickelt worden sein. früher von ihm gestellten Frage kommt, Da aber die Menschen im frühneolithischen Jericho (> 490: Karte) wie in Çatal Hüyük wether gazelles were hunted only, or to selbst kaum Haustiere hielten, hält Zeuner some extent herded with the aid of folgende Alternative für sinnvoll: dogs, or kept in captivity in enclosures. We must therefore picture the inhabi- Zum Hüten von Gazellen bräuchte man - tants as pastoralists who herded only wenn es überhaupt erwägenswert ist - wohl goat (and possibly gazelle) and other- Hütehunde im Windhundtyp. Windhunde wise practised much hunting, or else we im Saluki-Typ sind zwar schon vor dem Neo- have to assume that there was a noma- lithikum dokumentiert (> V), aber die Um- dic or semi-nomadic population outside züchtung vom gerade aufs Gazellenjagen the city, which supplied the latter with spezialisierten Windhund zum Gazellen- meat in exchange for manufactured hüter dürfte ein sehr schwieriges Unterfan- articles (Zeuner, 55). gen mit zahlreichen Misserfolgen und Ver- lusten sein. Eher sollte man gerade bei der Der letzte Teil der Alternative erscheint mir Haltung von Gazellen von Steinpferchen sinnvoller, womit aber die Wahrscheinlich- ausgehen, wobei die Höhe der Stein- keit von Hunden in Hütefunktion für das „mauern“ beträchtlich gewesen sein müsste vorkeramische Neolithikum Jerichos gegen - das alles ist in Bezug auf Gazellen sehr un- Null tendiert. Allerdings ist das beginnende wahrscheinlich. Vielleicht ist - wenn über- Neolithikum nicht auf Viehzucht zu redu- haupt - eine Synthese aus beiden Ansätzen zieren, wie auch Zeuner weiß, der das we- sinnvoll: Gazellen in Steinpferchen werden sentliche Kennzeichen des neolithischen außerhalb des Pferchs von Herdenschutz- Anfangs in der Vorratshaltung sehen möch- hunden behütet und bewacht. Für die PPN- te. Auch Mahlstedt weist auf dieses zentrale Hunde in Jericho stellt Zeuner fest, dass sie Problem hin: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 262

262 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Es war nicht nur Wintervorrat für die Verhaltensmuster für Herdenschutzhunde Menschen anzulegen, sondern auch eher untypisch ist und vielmehr einen Hüte- Futter für das Vieh. Je größer die Herde hund anzeigt - aus der Bronze-Zeit stammen ist, umso schneller sind die Weiden ab- Felsbilder bei Megiddo (> 490: Karte) und gefressen und zwingen zum Weiterzie- Gezer im mittleren Palästina: hen. Große Mengen von Heu für eine Herde zu produzieren und zu lagern One of their principal objects was the war zunächst überhaupt nicht möglich. ox, large herds of which were probably Verkleinerte man aber die Herde, so kept by these people. Other domestic war man umso abhängiger von den animals depicted were goats and dogs Früchten der Erde. Dieser Spagat zwi- (Anati, 294). schen Feldgröße, Ernteertrag und der Anzahl der Herdentiere in Bezug auf Was in Anatis Aufzählung unverbunden ne- die Versorgung im Winter blieb eine beneinander steht, kann man auch in einen weitere Hürde, die das Neolithikum zu Funktionszusammenhang bringen: Ziegen- meistern hatte (Mahlstedt, 46). und Rinderherden - zwei Tierarten mit sehr unterschiedlichem Trinkwasserbedarf - wur- Wie man auch hin und her rechnet: Zunächst den (auch) von Hunden gehütet und behü- blieb das Ernten und Einlagern von Pflan- tet. Dass Hunde im Neolithikum, aber auch zenprodukten für Mensch und Vieh im Win- in der beginnenden Metallzeit sich äußerst ter die Hauptsorge. Und dazu gehört auch hoher Wertschätzung erfreuten, machen das Sichern nicht nur von Gärten und Fel- schlaglichtartig Bestattungszeremonielle dern, sondern auch von Wiesen, die nicht be- des bronzezeitlichen Fundorts Ta´anach (> weidet werden sollen: Das Amt des Feld- 261: Karte) klar, der zur Hauptsache mit den hüters war im Deutschland der 1950er Jahre kleinen Wiederkäuern bewirtschaftet wur- nur noch ein wenig begehrter Arbeitsplatz, de: Dort fand man aber es dürfte im Neolithikum höchste ge- sellschaftliche Anerkennung genossen ha- adult dogs ... in the Early, Middle (II C) ben. Erleichtern konnte man sich die Arbeit and Late Bronze Age, and young ani- gewiss damals schon mit Hunden, die nicht mals in the later periods. They were auch noch Gazellen „hüten“ mussten. Dass deliberately buried or placed together der Hund als Hütehund recht bald in die (Hakker-Orion, in: Clason, 297). neue Wirtschaftsweise integriert wurde, be- zeugt auch die Episode von Tobias mit sei- Der Hund genoss also noch im bronzezeit- nem Hund in der Hebräischen Bibel (> 285). lichen Palästina zumindest in Ta´anach be- Anati zeichnet das Bild einer kontinuierlich, sondere Wertschätzung, was wohl auch mit aber nur langsam wachsenden Hinwendung der Umformung des Urs zum Hausrind zu- der Menschen zur neolithischen Wirt- sammenhängt, denn schaftsweise, die erst voll entfaltet sei im -5. oder gar im -4. Jahrtausend. Die Analyse der the people hunted the aurochs at first Fauna von Beersheba im südlichen Palästina and began to keep their own herds la- des -4. Jahrtausends ergab eine Verteilung ter. It is interesting to note the diffe- von 60,2 % Schaf, 16,7 % Ziege und 12,8 % rences in size between the cattle found Rind. Knochen von nur drei Hunden (Anati, in the Early Bronze Age (EB; ca. -3.000) 241) und einem (Wild?)-Pferd wurden auch layers and those of the later periods. In noch gefunden. Das spräche für die über- the earlier period there was a large wiegende Verwendung von Herdenschutz- number of the bigger cattle. In the later hunden, gäbe es in der Hebräischen Bibel period there were only small-sized, do- nicht eben jenen Hund des Tobias, dessen mesticated cattle (Hakker-Orion, 297). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 263

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Leider vergaß man nach der Bronzezeit, ber auf dieser Halbinsel, denn Hunde sind dass man (auch) dem Hund das Goldene hier schon im Paläolithikum nachgewiesen, Kalb verdankte, und so schlug rasch und ex- während die Araber erst seit -900 bis heute trem tiefgreifend die positive Bewertung die Halbinsel bewohnen. Vor den Arabern des Hundes um in eine Aversion, die nicht gab es in der Jezireh und im Norden des heu- mit dem realen Hund erklärt werden kann, tigen Saudi-Arabien bereits die Aramäer denn der dürfte sein Verhaltensrepertoire (-1.500 bis -900), die Amoniter (-2.500 bis wohl kaum nennenswert verändert haben: -1.800) und die Akkader (-3.000 bis -2.500). Die Menschen in Israel, nicht in Kanaan, Lange glaubten die Prähistoriker, dass Ak- wechselten ihre Religion, tauschten ihre kader ohne längere Vorgeschichte das scheinbar vielen Gottheiten weiblichen und Zweistromland erobert hätten. Seit 1990 männlichen Geschlechts gegen einen einzi- spätestens verdichten sich aber die archäo- gen männlichen Gott, und der Hund avan- logischen Indizien, dass die Akkader bereits cierte zum schlimmsten Feind ihres neuen eine dreitausendjährige Vorgeschichte hin- Gottes. Aber bevor wir uns diese Umwer- ter sich hatten, bevor sie in Mesopotamien tung aller Werte im 3. Kapitel näher anse- um -3.000 die Stadtstaaten erobern. Ihre Ge- hen, wenden wir uns nach der Skizzierung schichte ist eng verwoben mit den Neolithi- des Neolithikums in der Levante dem Ein- kern des Fruchtbaren Halbmondes und mit fluss zu, den die neue Wirtschaftsweise auf der Entstehung des pastoralistischen Noma- die Arabische Halbinsel hatte: dismus, zumindest in dieser Region der Welt.

Die Jezireh Bei Jägern und Hirten in der Jezireh, im Yemen Das altvorderasiatische Nomaden- und an der Levante tum ist bis in unsere Gegenwart in den Be- duinentraditionen der Arabischen Halbinsel lebendig: „Die“ Araber hatten bereits in der Zeit vor dem Islam mehrere Arten von Hun- Noch heute ziehen kamelreitende den, denn schon die präzisen Beschreibun- Beduinen auf den alten Straßen, wenn- gen von Details in altarabischen Sprichwör- gleich auch nicht mehr in derselben tern setzen die Existenz verschiedener Tracht, in der die alten Assyrer sie dar- Grundrassen voraus. Sie werden zunächst al- stellten (Beltz, 52). le einheitlich mit dem Wort kalbu bezeich- net (Albrecht, 40). Der Hund wird vom Scha- Die Arabische Halbinsel ragt von Süden her kal dibu eindeutig unterschieden. Der kalbu als stumpfer Keil in die Regionen des Frucht- muss vor der Islamisierung ein hoch ge- baren Halbmondes hinein, und schätztes Haustier gewesen sein, da sich ein arabischer Stamm nach ihm kalb benannte. historians have regarded Arabia before In den altarabischen Sprichwörtern werden 2000 B.C. as a “waste land” ..., “barely der Jagdhund, vermutlich bereits der saluki, inhabited before the domestication of und ein schwarz und weiß gescheckter Hund the camel” (Gelb u.a., in: Zarins, 33). erwähnt. Der weit verbreitete Pariah-Hund ist im Phänotyp weitgehend identisch mit Im Gegensatz zu dieser traditionellen Auf- dem Arabischen Wolf, meinen Garcia und fassung vom leeren Arabien hat sich hier Rachad. Hunde haben auf der Arabischen frühzeitig jene Interaktion herausgebildet Halbinsel eine lange Geschichte, die auf je- zwischen den im klassischen Sinn neoli- den Fall länger ist als die Geschichte der Ara- thischen Siedlungen im Halbmond und den Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 264

264 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Menschen, die in der Jezireh und der Ara- bischen Wüste lebten. Gemäß der traditio- nellen Auffassung von dieser Interaktion

all pastoral nomads share certain characteristics such as strong, localized kinship and lineage bonds, imperma- nent dwellings, movement to procure pasturage and water for herds, and specific relationships to formal states. Herd animals are viewed as the main form of subsistence although alternate strategies are also known. Thus, pasto- ral nomadism seems to stress animal husbandry along patterned migration routes exploiting marginal environ- ments from a settled point of view (Zarins, 53).

Die enge, geradezu symbiotische Beziehung zwischen Hirtennomaden und städtisch lebenden Mitmenschen war lange ein Muss Neolithisches Felsbild in Jubba, Saudi Arabien. Ein in der Definition des Hirtennomadismus Mensch mit Hundemaske (?) hält ein Wurfholz; seine und hat den Blick auf seine Ursprünge ver- Hand wird von einem Hund (?) verdeckt (> Ausschnitt stellt. Da man sich an die Urbanität klam- unten). In: Zarins, 51, Fig. 9 A. merte, konnte nach traditioneller Auffas- sung der Hirtennomadismus nur mit oder besser noch nach den mesopotamischen Stadtstaaten entstehen und galt auf jeden Fall als dem Entstehen der neolithischen Wirtschaftsweise zeitlich nachgeordnet. Hirtennomadismus konnte dieser Theorie zufolge erst entstehen, als die neolithische Wirtschaftsweise zu einer Verknappung der Ressourcen und gleichzeitig zu einer Bevöl- kerungsexplosion in den Siedlungen führte. Sherrat behauptet sogar, dass der Hirten- nomadismus erst mit der von ihm, Sherratt, erfundenen Zweiten Neolithischen Revolu- tion, nämlich der Nutzung der sekundären Produkte von Schaf und Ziege, wie z.B. Wol- le und Milch, im -4. Jahrtausend möglich nomadisierende Viehzüchter, die ihren geworden sei. Mit der Reduktion auf die stolzen Besitz ungern durch Schlachten angebliche Zweite Neolithische Revolution dezimieren, werden zu erobernden einerseits und die Entstehung der Stadt- Kriegern (Burkert, 1997, 59): staaten andererseits war das Problem räum- lich auf die südliche Hälfte Mesopotamiens Sie (zer)-stören die Stadtstaaten schon vor eingeengt und zeitlich nicht früher denkbar der Mitte des -3. Jahrtausends. Und Funde als die Mitte des -3. Jahrtausends. Aber neolithischer Dokumente wie z.B. Stein- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 265

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Neolithisches Felsbild in Hanakiya, Saudi Arabien: Es zeigt Langhornrinder, geworfene und von einem Mann (?) gehaltene Wurfhölzer, rechts hinter dem Mann zwei Hunde, die Furche stehen. In: Zarins, 52, Fig. 10 B.

kreise, Felsbilder und Werkzeuge in Regio- are chronologically contemporaneous nen, in denen die vollständige neolithische or interrelated, the latter may represent Wirtschaftsweise auch im feuchteren -8. und early pastoral nomads who still exerci- -7.Jahrtausend, also im Klimaoptimum, nicht sed a broad spectrum approach for sub- möglich gewesen ist, in der Jezireh nämlich sistence (Zarins, 54). und ihren Ausläufern, legen mit Zarins nahe, eine neue Auffassung vom Entstehen des Zarins´ Annahmen werden von den Fakten Hirtennomadismus zu konzipieren: belegt: Besonders in ariden Regionen wie z.B. Abu Hureyra und anderswo wurde Pastoral nomadism began by the end of the seventh millennium B.C. as popula- the widespread killing der Wildgazelle tions began to utilize the discovery of in the steppe and desert (Zarins, 54) animal husbandry in a new and drama- tic way. The process can be seen as a ersetzt durch die Haltung der Haustiere three-tiered step. Schaf und Ziege. Die fast gelungene Aus- rottung der Wildgazelle (> II, 223, Abb. 20) First, based on faunal material found in erzwang geradezu, dass the Fertile Crescent, we can conclude that domestic ovicaprids and cattle forager groups in the desert turned were present as early as the mid- toward the domesticated ovicaprids as seventh millennium B.C. an alternative food source (Zarins, 54),

Second, within the steppe region ... her- ohne dabei den Lebensraum der Steppe ding was emphasized. That suggestion und der Wüste aufzugeben. Die Zunahme is based on the location of sites in a very an Zahl und Größe der Siedlungen im spä- low rainfall area (currently less than 150 ten PPNB (~ Vorkeramisches Neolithikum B: mm annually) and the apparent domi- um -6.500) in Wüste und Steppe und die nation of animals over plants in the eco- gleichzeitige Interaktion zwischen diesen nomy. Hirtennomaden und der sesshaften Bevöl- kerung in den feuchteren Regionen sind Third, if domestic animals were known eng miteinander verbunden. Während in to the inhabitants of the Fertile Cres- den Jahrtausenden vorher die spätpaläo- cent and the steppe, and the desert sites lithische Bevölkerung im West-Irak und in Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 266

266 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Süd-Syrien Steppe und Wüste weitgehend Der Yemen aufgab, wird dieser Raum im PPNB durch und seine Regenmacher die Wirtschaftsweise des Hirtennomadismus wieder bewohnbar (Zarins, 54). Und man Man hat die Wüste der Arabischen kann sogar feststellen, dass Halbinsel Asiatische Sahara genannt, um den vielen kulturellen Gemeinsamkeiten the succeeding period within the mit der echten Sahara Rechnung zu tragen. Levantine sedentary zone represented Die bislang ältesten Besiedlungsspuren im a considerable decline in fortunes ..., Yemen, dem südwestlichen Teil der Ara- but that most of the larger Arabian bischen Halbinsel, werden auf -30.000 da- peninsula was occupied largely due to tiert. Das Paläolithikum soll hier, so wollen the exceedingly rapid spread of pasto- es Garcia und Rachad, von -12.000 (?) bis ral nomadism (Zarins, 54). -5.000 gedauert haben, während man Besiedlungsspuren in Bab el Mandeb auf So ergibt sich bereits für die prähistorische -30.000 datiert (94): Ist diese früheste Phase Mesopotamiens seit dem Beginn des yemenitische Epoche an der Meerenge zwi- Neolithikums eine starke Präsenz von semi- schen Afrika und Asien dann so etwas wie tischen Hirtennomaden, die in einer ge- ein Prä-Paläolithikum? Die verwirrende wissen Symbiose leben mit der sesshaften Chronologisierung durch Garcia und Rach- Bevölkerung an Euphrat und Tigris. „Abra- ad wird uns leider noch beschäftigen müs- ham“ als Prototyp des nomadisierenden sen. „Ihr“ Neolithikum reicht von -5.000 bis Hirten hat also eine jahrtausendlange Tra- -3.000, um dann in ein tausendjähriges dition - in diesem Zeitraum bis zum „wirk- Chalcolithikum (~ simultane Verwendung lichen“ Abraham dürfte sich die monotheis- von Stein und Bronze) mit megalithischen tisch-patriarchalische Tendenz im Bewusst- Bauten in der Region von Hadramaout sein dieser Hirten immer weiter intensiviert überzugehen. Die Bronzezeit soll um -2.000 haben. Von -6.000 an leisten sie von der begonnen haben mit Rundbauten und Tu- Jezireh und der Arabischen Wüste aus ihren muluskonstruktion (> 434-42). Diese pro- Beitrag nicht nur zur Geschichte des Zwei- blematische Epocheneinteilung habe ich stromlandes, und ab -3.000 mischen sie sich probeweise von Garcia/Rachad (94) über- in Sumer und anderswo als die „Menschen nommen: Auf das Problem der Epochenein- aus Akkad“ so intensiv ein, dass der spätere teilung werde ich noch zurückkommen. Abschnitt der sumerischen Königsliste mit Garcia und Rachad unterteilen die prähisto- semitischen Namen durchsetzt ist (Zarins, rischen Felsbilder des Yemen in vier Stile: 36). Die Archäologen sehen von ihnen im -4. Jahrtausend schon am westlichen Rand Mesopotamiens Stil 1

large areas of the steppe and marsh wird den ältesten Jägern (Garcia/Rachad, adjacent to the main watercourses ... 39) zugewiesen: Dargestellt werden auf best exploited by mixed farming and halbschematische Weise Büffel und Auer- pastoralism (Rowton, in: Zarins, 37). ochsen. Der Wasserbüffel ist in Mesopota- mien erst im -3. Jahrtausend nachgewiesen. Davor haben sie bereits den Yemen erreicht, Die Datierung von Skelettresten, gefunden wo sie als Regenmacher und Steinbock- im nordyemenitischen Saada, weist ein Jäger künstlerisch wertvolle Spuren hinter- Alter von 6.400 Jahren aus. Der Büffel wäre lassen, durchgängig begleitet vom Hund, demnach im Süden der arabischen Halbinsel der an all ihren Aktionen gehörigen Anteil ca. 1.000 Jahre früher als in Mesopotamien zu nehmen scheint: bekannt, was auf seine wahrscheinliche Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 267

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Unten rechts: Eine Szene aus Shob Homeid bei Saada mit zwei Personen in anbetender und/oder tanzender Haltung: Eine Person wird von einem „Schakal“ - wie Garcia/Rachad meinen, angesprungen: Die angesprungene Hand hat wahrscheinlich sechs Finger (vgl. > 197-8).Zur Unterscheidung der Caniden Wolf,Pariah-Hund,Haushund,Schakal und Fuchs merken Garcia/Rachad (27-8) sehr zoologisch an: „Die Canidenbilder sind mehrdeutig ... über den Rücken gelegte Ruten lassen uns an einen Hund im Sloughi-Typ denken ... Schakal und Fuchs können nur über Bein- und Ohrenlänge unterschieden werden, was ziemlich willkürlich ist. Wir sagen gern „Schakal“, vielleicht weil wir ein Faible für Exotisches haben, aber vielleicht auch, weil wir ihn oft im Lauf unserer Erkundungen getroffen haben, wenn er vor uns zwischen den Felsen davonfloh.“ Deshalb dürfte es auch besonders typisch sein für den Schakal, wenn er auf der Gravur vom Shob Homeid seine Fluchtdistanz auf zwei Centimeter reduziert hat, um eine in Tran- ce befindliche menschliche Figur anzuspringen. So verstellt das Faible für Exotisches den Sinn für Mythologisches. Ein ähnliches Motiv vom Jabal Makhroug bei Saada (oben) zeigt eine menschliche Figur mit sieben Fingern an jeder Hand - wieder ist der „Schakal“ sehr neugierig. Zitate & Bilder in: Garcia/Rachad, Abb. 72 & 79. Unten links: Zum Ver- gleich: Umzeichnung des Felsbildes von Kilwa (> 197) auf der Südseite des „Horsfieldberges“. In: Zarins, Abb. 53/11. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 268

268 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

„Prähistorische“ Felsgravur einer Jagdszene in Mosal Haquat bei Saada (Yemen):Vier Hunde greifen einen Steinbock an. Die Felswand diente in neuerer Zeit als Schießscheibe, die Figuren wurden ausnahmsweise verschont... In: Garcia/Rachad, 18, Fig. 12 (vgl. s/w Reproduktion > I, 59, Abb. 2).

Herkunft aus Afrika verweist: Damit ist die gegeben haben, wenn ca. 600 Jahre später bislang als exklusiv gehandelte Herkunft immer noch Büffel erlegt werden konnten, des Büffels aus Asien in Frage gestellt - die von den Auerochsen zu schweigen, die den Büffel im Yemen könnten aus Afrika stam- Beginn der Desertifikation (~ Wüstenbil- men, während die Wasserbüffel im Meso- dung) wesentlich länger aushalten konnten potamien der Akkad-Zeit, auf Rollsiegeln als die auf reichliche Wasservorkommen an- von -2.340 bis -2.200 dargestellt, aus Ost- gewiesenen Büffel: Die von Garcia/Rachad Asien kämen (Garcia/Rachad, 21). Wenn die vorgeschlagene Periodisierung ist also auch Büffel auf den Felsgravuren von ihren Jä- in diesem Punkt problematisch. gern, wie auch Garcia und Rachad anneh- men, und nicht von späteren Generationen Stil 2 aus der kollektiven Erinnerung dargestellt wurden, könnten sie aus dem Ende des wird den folgenden Jägergenerationen zu- Paläolithikums stammen, womit der von geordnet, wobei die Tatsache, dass nun vor- Garcia/Rachad angenommene Beginn des nehmlich Steinböcke repräsentiert sind, ver- yemenitischen Neolithikums um -5.000 pro- muten lässt, dass das Klima sich zumindest blematisch wird: Welche Prämie soll es zu für die auf größere Wasserflächen (Sümpfe) diesem Zeitpunkt für die Neolithisierung angewiesenen Büffel dramatisch verändert Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 269

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Stil 3

ist der Bronzezeit zugeordnet und wird un- terteilt in einen naturalistischen (Herden domestizierter Rinder in großen Dimensio- nen, 41) und einen schematischen Stil mit sehr kleinen menschlichen Figuren, kleinen Rindern und Steinböcken.

Stil 4

reicht von der Bronzezeit bis zur Einführung der Schrift und ist kynologisch nicht rele- Ein typischer Hund der yemenitischen Felsbilder: vant, während in Stil 2 “Jagdhunde” und in Ausschnitt einer „Jagdszene“ in Mosal Haquat bei Stil 3 Herdenhunde, diese in eindeutigem Saada/Yemen im Stil 2, zwischen -3.000 und -2.000? In: Verwendungszusammenhang, dargestellt Garcia/Rachad, 30, Fig. 27; vgl. Bilder in > I, 59,Abb. 12; > II, sind. 287,Abb. 119 & 120 & 330-1,Abb. 23.3, 58 & 59 a; > III, 277, Abb. 28 & 82 sowie 296: Abb. 8 (oben & unten). Der Hund im yemenitischen „Paläolithikum“? hat. Die Figuren sind auf diesen Felsbildern Zum Problem der Chronologie in natürlicher Größe wiedergegeben. Die Steinböcke werden meistens in „Jagd- Die Felsbilder des Yemen bergen szenen“ dargestellt, in denen aber keine die Chance, den Haushund bereits im Paläo- menschlichen Figuren auftreten, wohl aber lithikum als Jagdhund nachzuweisen. Lei- in der Regel Hunde, meist als Meute (Gar- der ist die relative Chronologisierung dieser cia/Rachad, 39). Als Jagdszene verstanden, Felsbilder durch Garcia und Rachad so ver- könnten die Hunde stellvertretend als Ent- worren, dass der Aufwand einer kritischen Schuldigung für die menschlichen Jäger ge- Sichtung den Lesern vielleicht zu hoch er- deutet werden, wie die sibirischen Bärenjä- scheint; es ist aber eine der ganz wenigen ger dem Bären erklären, dass er nicht von ih- Möglichkeiten, die es zur Zeit überhaupt nen, sondern von anderen getötet wurde. gibt, über des Hundes bloße Existenz im Die Häufigkeit der yemenitischen Bilder von Paläolithikum hinaus seine spezifische Ver- Hundemeuten mit Steinböcken spricht viel- wendung als Jagdhund in dieser Epoche leicht gegen eine Deutung des Bildmotivs nachzuweisen. Und das rechtfertigt denn als Darstellung des böswilligen schama- doch die folgenden Überlegungen zur nischen Seelenraubs und für die Deutung Chronologisierung von Garcia und Rachad: als Jagdszene. Irritierend bleibt aber im Yemen die grundsätzliche Abwesenheit der Eine absolute Chronologie ist bei der Tech- menschlichen Jäger, während die Jäger auf nik der Felsritzung nicht möglich - die Felsbildern der spanischen Levante (> I, 52, Forscher sind angewiesen auf begleitende Abb. 21 & > II, 183: Abb. 10) die eigentlichen archäologische Schichten, aus denen Fund- Hauptfiguren des Geschehens sind. Dass es stücke nach der C14-Methode zeitlich be- sich zwar auch um reale Jagdszenen, aber stimmt werden können. Die Verknüpfung wahrscheinlicher doch um Szenen schama- von archäologischen Fundschichten mit den nischer Selbstopferung handelt, begründe- Felsgravuren ist grundsätzlich problema- te ich bereits bei der Vorstellung analoger tisch, im Yemen kommt aber noch hinzu, kalifornischer Felsbilder (> I, 58-60). dass die Lagerplätze, die sich meistens vor Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 270

270 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

den Gravuren befinden, in der Regel bis arabischen frühneolithischen Felsbildern heute von Beduinen genutzt werden, ob- gleichzustellen wäre. Und weil er zweitens wohl der Kamel-Nomadismus der Beduinen von Garcia/Rachad dem Stil 2 zugeordnet sich fundamental unterscheidet vom Esel- wird, der mit dem Beginn der Bronzezeit Nomadismus vorkameliger Zeiten: Die Esel- endet, während das Gerät archäologisch Nomaden konnten nur in Winter und Früh- erst ab der Bronzezeit nachgewiesen ist. ling in der Wüste überleben. Garcia und Hier liegt ein Rachad vermuten selbst, dass es eine wahrscheinlich ungebrochene Tradition in erster Widerspruch der Nutzung dieser Plätze gibt. Die räum- liche Anordnung der Stile kann ebenfalls in der Chronologisierung der beiden For- bei der relativen Chronologisierung hilf- scher vor, der noch fortgesetzt wird mit der reich sein: Stil 1 liegt am Felsfries unten, in Zuweisung von Krummstäben zum Stil 2, der Zone darüber ist Stil 2 angesiedelt usw. der als vorbronzezeitlich datiert wird, wäh- Das entspricht auch den dargestellten Tier- rend die Stäbe archäologisch erst nachge- arten: Zuerst die Wasserbüffel und Auer- wiesen sind seit dem Ende der Bronzezeit ochsen, dann die Steinböcke, die sich noch bis zum letzten yemenitischen Königreich bis in unsere Zeit erhalten konnten, dann (Garcia/Rachad, 40). Ein die domestizierten Haustiere, Rinder vor allem. Eine weitere Hilfe bieten die Tracht zweiter Widerspruch der wenigen menschlichen Figuren und die Geräte, die sie bei sich tragen. in der zeitlichen Einordnung von Stil 2 liegt in der C14-Datierung von yemenitischen In Stil 2 gibt es ein Schlüsselgerät, nämlich Wasserbüffelresten auf -4.400 und der Zu- eine Art Stab, der an einem Ende verdickt ordnung der Büffelbilder auf das Ende des und zurückgebogen ist (Garcia/Rachad, 40), Neolithikums (38). Es muss doch wohl der ab dem Ende der Bronzezeit als Fund- heißen: auf das Ende des Paläolithikums in stück archäologisch nachgewiesen (Zarins, Arabien. Nur ein Druckfehler? Immerhin be- 1990) und der auf Jezireh-Felsbildern eben- steht hier die Chance, die Verwendung des falls abgebildet ist (> 264-5: Abb. 9 a & 10 b). Haushundes als Jagdhund im Paläolithikum Er wird meist horizontal am Gürtel getragen nachzuweisen - und zu verschränken mit und auf eine Länge von 70 cm geschätzt der Darstellung von Jagdszenen der spa- (Garcia/Rachad, 40). nischen Levante (> I, 52, Abb. 21 & > II, 183, Abb. 10), die ebenfalls den Hund in eindeu- Er kann gedeutet werden als Keule, Hirten- tigem Verwendungszusammenhang zei- stab, Musikinstrument oder als eine Art gen. Ein Wurfholz. Waffentechnologisch wäre er ein Vorgänger des Bogens, der in Europa zuerst dritter Widerspruch am Ende der letzten Eiszeit auftritt. In Mexiko wird so ein Hakenstab noch heute ist die Zuordnung von Malereien zur Bron- als Gerät beim Ernten, Hüten und Jagen ein- zezeit, weil einmal stilisierte menschliche Fi- gesetzt (Garcia/Rachad, 40). In Dokumen- guren mit einem Bogen einfacher Krüm- tarfilmen über den Yemen in der Mitte des mung ausgerüstet sind (Garcia/Rachad, 24), 20. Jahrhunderts ist so ein Stab bei traditio- ein andermal sind auf Gravuren Figuren mit nellen Tänzen als eine Art Säbelimitat zu se- einem Bogen doppelter Krümmung (33) zu hen. Der Stab hält uns so lange auf, weil er sehen. Die beiden Autoren beziehen sich an erstens mit dem in Mesopotamien verwen- der Stelle auf S. 33 auf die Malereien auf S. deten Hirtenstab (> III, 98, 46 c & d & Text) 24, ebnen also die Unterschiede im Bogen- zu vergleichen und dem Wurfholz auf nord- stil wieder ein ... Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 271

BEI JÄGERN UND HIRTEN IN DER JEZIREH, IM YEMEN UND AN DER LEVANTE 271

Verwirrung - Entwirrung kerung hinweist, deren Beschäftigung aus- schließlich jagdlicher Natur ist. Nach land- Eine Möglichkeit, den von den bei- läufiger Definition sind es also Jäger und den Autoren angerichteten chronolo- Sammler, die nach ebenso landläufiger gischen Wirrwarr zu erklären, liegt in der Theorie ins Paläo- oder Mesolithikum Tatsache, dass der Hund (bis zu seiner mt- gehören, und es wird an keiner Stelle ange- DNA-Alterung um gut 100.000 Jahre) in deutet, dass die Autoren eine grundsätz- funktionaler Verwendung als Jagdhund, liche Revision dieser traditionellen Eintei- Herdenhund usw. von einigen Archäozoo- lung beabsichtigen. Dennoch werden diese logen erst ab dem Neolithikum gedacht Jäger von Garcia/Rachad zu neolithischen werden durfte. Ich glaube aber nicht, dass Jägern befördert (Garcia/Rachad, 83), die dies das Motiv für Garcia und Rachad zur re- sich ausschließlich von ihrer Jagdbeute striktiven Chronologie ist. Sie begründen ih- ernähren, die also weder Pflanzen- noch re Periodisierung damit, dass es keine ar- Tierdomestikation betreiben geschweige chäologischen Funde im Yemen gibt, die vor denn von den Ergebnissen dieser Domesti- das -7. Jahrtausend datiert werden (Gar- kation leben. Des Rätsels Lösung könnte nur cia/Rachad, 83), und dass folglich die Fels- die Gleichzeitigkeit mesolithischer Jäger mit bilder nicht älter sein können als diese Fun- neolithischen Viehzüchtern in derselben Re- de. Warum sie aber die Felsbilder nicht mit gion sein, wie dies ja z.B. für Skandinavien dem -7. Jahrtausend und dem Paläo- bis (> 119-22 & 144-5) typisch war, für den Mesolithikum korrelieren, was zwei For- Yemen aber keineswegs erwiesen ist. scher vor ihnen unabhängig voneinander getan haben (Inizan und Wahlen), wird Auch für den Stil 2 wird die Verwirrung sys- nicht begründet. Und es ist auch nicht nach- tematisch fortgesetzt: Auch hier handelt es vollziehbar, denn jede Abweichung von ei- sich immer noch um die Kunst von Jägern, ner etablierten Chronologie sollte beson- die offensichtlich fast immer mit Hunde- ders sorgfältig legitimiert werden. Gleich- meuten (Garcia/Rachad, 84) auf die Stein- zeitig sagen Garcia und Rachad, dass sie sich bockjagd gehen. Stil 3 ist eigentlich dem an den ältesten Siedlungsspuren orientie- Neolithikum zuzurechnen, da wir hier ren: hauptsächlich Herden domestizierter Rin- der sehen mit Hirtenhunden, deren friedli- En l´absence de documents antérieurs ches Verhalten von Garcia/Rachad hervor- au VIIe millénaire avant notre ère, nous gehoben und so indirekt mit den Szenen considérerons que le plus vieil art con- der die Steinböcke angreifenden Jagdhun- nu au Yémen remonte à cette époque. de aus Stil 2 kontrastiert wird: Dans cette hypothèse, nous l´asso- cierons aux traces d´occupation qui ont Les représentations rupestres de cette livré les éléments de datation les plus période sont, pour l´essentiel, des anciens (Garcia/Rachad, 83). troupeaux de Bœufs domestiques, reconnaissables à leurs cornes courtes et Und diese Spuren, die die ältesten Datie- grêles et à leurs robes bigarrées. rungen geliefert haben, gehören auch nach Souvent des chiens à l´allure paisible les der Chronologie von Garcia/Rachad ins accompagnent. C´est aussi à cette épo- Paläolithikum, das ihnen zufolge (Garcia/- que qu´apparaissent les premiers per- Rachad, 94) am Ende des -6. Jahrtausends sonnages pourvus de l´arc à double endet. Die Verwirrung wird noch gesteigert, courbure, mais jamais dans des situa- wenn die beiden Forscher (83) feststellen, tions de combat. Tout au plus semblent- dass die Einheit von Kunst, Werkzeugen ils veiller sur les troupeaux (Garcia/ und verzehrten Wildtieren auf eine Bevöl- Rachad, 85). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 272

272 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Garcia/Rachad bilden die Felsbilder von Rin- ren Abbild eines Kults wären. Die Verwir- derherden und sie friedlich begleitenden rung der Epochen wird von Garcia und Hunden leider nicht ab: Ein Vergleich der Rachad nicht nur auf den Seiten 83 bis 85 Jagdhunde mit den Herdenhunden ist des- betrieben, wir finden sie auch auf den Sei- halb nicht möglich. Auch die Menschen, die ten 38 (> 270: d.i. der zweite Widerspruch) mit den Herden abgebildet werden, sind und 45. Hier werden die heutigen Beduinen friedlichen Charakters trotz ihrer Bewaff- in ihrer Wahl des Lagerplatzes verglichen nung mit doppelt gekrümmtem Bogen: Sie mit den Jägern und Hirten aus der yemeni- wachen zusammen mit ihren Hunden über tischen Vorzeit: die Herden. Dieser Stil 3 wird nun von den bei- den Forschern explizit kontrastiert mit dem Il n´est pas rare, en effet, de voir leurs Stil 2, den sie einen neolithischen Stil nennen: cercles de foyers occuper exactement la même place que ceux des chasseurs de À l´opposé de l´iconographie du Néo- Buffles du Néolithique ou des pasteurs lithique, celle de notre Style III semble de l´Âge du Bronze (Garcia/Rachad, 45). beaucoup plus anecdotique... (Gar- cia/Rachad, 85). Ihre Feuerstellen sind genau an dem Platz, den auch die Büffeljäger des Neolithikums Der reine Steinbockjägerstil 2 ist also ein oder die Hirten der Bronzezeit für ihre Feu- „neolithischer“ Stil, während die Bilder des erstellen ausgesucht hatten. Es dürfte den Rinderzüchterstils 3 ans Ende der Bronzezeit Lesern deutlich geworden sein, dass nicht gestellt werden: ich hier bemüht bin, um jeden Preis die Steinbockjagdszenen mit Hundemeuten ins Les peintures sont retrouvées en per- Paläolithikum umzudatieren. Vielmehr manence dans les sites où dominent lar- sieht es so aus, dass Garcia und Rachad aus gement les gisements datés de l´Âge du nicht nachvollziehbaren Gründen die üb- Bronze final. C´est dans ceux-ci qu´ont lichen Epochenbezeichnungen für be- pu être mis en évidence les témoigna- stimmte Wirtschaftsweisen ohne Not um ei- ges de domestication de la faune bovi- ne Stufe nach oben verschoben haben. ne (Garcia/Rachad, 85). Wenden wir uns jetzt nach dieser unum- gänglichen Klarstellung, die die für uns we- Es mag ja sein, dass erst im Bronzezeitalter sentliche Leistung der beiden Forscher nicht die Rinderzucht im Yemen eingeführt wur- schmälern soll, dem wesentlichen Ertrag ih- de, aber wenn es davor keine Hinweise auf rer Arbeit zu. Und das sind die yemeni- neolithische Wirtschaftsweise gibt, wie die tischen Darstellungen von Haushunden in Autoren ja selber schreiben, dann kann man ihrer Verwendung zuerst als Jagd- und spä- die Zeit vor der Bronze als meso- oder paläo- ter als Herdenhunde. lithisch (so Wahlen und Inizan), aber auf keinen Fall als neolithisch bezeichnen, wie dies Garcia und Rachad tun - damit aber wä- Zur Symbolik von re immerhin die Verwendung des Hundes Hunden und Steinböcken als Jagdhund im Paläolithikum bzw. Meso- in der yemenitischen Felsbildkunst lithikum West-Asiens nachgewiesen. Die menschlichen Figuren der neolithischen In der Fundstätte Mosal Haquat bei Szenen werden meistens betend darge- Saada zeigt das nördlichste Bild (> 268, Abb. stellt, so dass sie nicht nur als „alltägliche“ 12) im Stil 2 einen Steinbock, der von vier Schäfer erscheinen: Sie erbitten offensicht- Hunden, mit auf den Rücken gebogener Ru- lich den Schutz einer auf Viehherden spe- te, angegriffen wird (Garcia/Rachad, 47). zialisierten Gottheit, womit die Felsgravu- Auf einem anderen Bild im Stil 2 ist ein Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 273

BEI JÄGERN UND HIRTEN IN DER JEZIREH, IM YEMEN UND AN DER LEVANTE 273

Diese Felswand im Wadi Dhar nordwestlich von Sanaa ist auf einer Länge von 50 Metern und einer Höhe von 6 Metern mit Bildern des 2. Stils bedeckt. Man erkennt u.a. mühelos das „allgegenwärtige Jagdthema: Steinböcke, von Hunden umstellt“. Zitat & Bild in: Garcia/Rachad, 73, Abb. 89.

Hund mit auf den Rücken gebogener Rute ne Rute und sind tief eingraviert, und bei al- isoliert dargestellt (48). In einer weiteren len ist die Silhouette poliert worden; alle Bildgruppe im Stil 2 werden zwei große Tiere sind sehr belebt dargestellt (66-7). Steinböcke von Hunden angegriffen (50). In Weiter nördlich haben Garcia und Rachad der Fundstätte Al-Hazira-al-Hamazat nörd- (68) schlecht erhaltene Hundedarstellung lich von Saada gibt es in der Bildgruppe 3 gefunden. In der Umgebung der Haupt- ebenfalls Darstellungen von Hunden in der stadt Sanaa sind die Jagdszenen mit Stein- Nachbarschaft von Steinböcken (57). In der böcken und Hundemeuten oder einzelnen Bildgruppe 6 wird ein Steinbock von einem Hunden allgegenwärtig: An Bildern, die Hund angegriffen. In der Gruppe 7 sind auf nicht ohne Gerüst angefertigt werden einer Länge von 2,50 m fünf Tiere zu sehen: konnten (> oben), wird besonders deutlich, Drei Esel und zwei Hunde, deren Rute dies- dass es sich nicht um einen Jäger- oder Schä- mal aufgerichtet und gerade ist (61). Im Wa- ferzeitvertreib handelt, sondern dass die di Robià gibt es in der Fundstätte 4 ein Bild- Aktion geplant und in den Dienst einer ver- fries von 5 m Länge und 1,20 m Höhe: Hier mutlich (noch) höheren Sache gestellt war: sind insgesamt gut fünfzehn Tiere zu sehen, Ein Vergleich mit kalifornischen Felsbildern, das schönste nach Meinung von Garcia und die zwei „Coyoten“ und ein Mufflon zeigen Rachad (64) ist ein Steinbock; Hunde und (> I, 57), lehrt uns, dass es sich hier keines- weitere Steinböcke sind neben katzenarti- wegs um Jagdbilder handelt, sondern um gen Tieren auf diesem Fries dargestellt. Im die in einem einzigen Motiv kondensierte Jabal Gobir ist ein großer Steinbock von drei Darstellung des Seelenraubs oder von He- Hunden umstellt. Zwanzig Meter weiter xerei ganz allgemein, vom böswilligen Scha- wird eine Eselgruppe von einer Hundemeu- manen verübt (Whitley, 92). Diese Deutung te angegriffen (> III, 277: Abb. 28 & 82); die ist vermutlich schon für kalifornische Ver- Hunde haben eine auf den Rücken geboge- hältnisse aufs rein Schamanische und selbst Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 274

274 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

dies auf schwarze Magie vereinseitigt. Zu- Die Steinbockmaske trägt der zu opfernde mindest komplementär, wenn nicht vorran- männliche Regenmacher als Darsteller des gig ist wohl im Yemen auszugehen von ei- Mond- bzw. Wettergottes. Da der Wetter- ner lunaren Fruchtbarkeits-Symbolik, da der gott in der Bewusstseinsentfaltung zum Mondgott Almaqah - auch Reichsgott von Monotheismus i.d.R. aufsteigt zum zentra- Saba - in einigen Texten als Stier, in anderen len Himmelsgott und zum Inbegriff und Ga- aber auch als Herr der Steinböcke bezeich- ranten sittlichen Handelns, ergibt sich aus net wird. Auch dürfte dieser beginnenden Denktradition des Mo- notheismus, dass der Hund als Gegner des das ursprüngliche einheimische Mond- Wettergottes umdefiniert werden muss Tier der Steinbock gewesen sein, zum unsittlichen Tier. Anders bei den Iroke- sen (> I), bei denen der Garant der Sittlich- wie Hernegger (436) meint. Und im Yemen keit wie bei den Römern über die Einhal- waren der Adler - wie auch in der syrischen tung von Schwüren und Verträgen als höch- Oase Palmyra (> 414-6) - und der Steinbock stes, alles sehendes und alles wissendes We- die regionalen Sonnen- bzw. Mond-Tiere, sen wacht: Im Gegensatz zu den Römern die deshalb an Stelle des Stiers dem Wetter- aber ist der Weiße Hund im irokesischen Ze- gott zugeordnet wurden; somit wird auch remoniell keine Zumutung fürs höchste We- hier der Hund als Gehilfe bei der Zeremo- sen, für das der Hund in tiefenpsycholo- nialjagd der Königinnen (von Saba) und als gischer Perspektive als Animus im matriar- Vollstrecker der Hinrichtung des männ- chalen Uroboros konzipiert ist: lichen Wettergottes (~ Erlegung des Stein- bocks, um Regen ~ Fruchtbarkeit zu gewin- Bei den nordamerikanischen Indianern nen) der anderen, nämlich der weiblichen lässt sich an Hand der vorhandenen Seite zugeordnet. Zeugnisse verfolgen, wie dieser Glaube an die himmlischen Geister und vor Der Steinbock ist als „Mondtier“ allem an den „Großen Geist“ als den bekannt und gehört auch in Südarabien Hort von Treue und Sittlichkeit zu ihrer zweifellos zum Mondgott ... In Ma´in eigenen Humanisierung beitrug, gehört er ... zu Wadd (> 413), vielleicht zu einer seiner speziellen Gestalten zitiert Hernegger (437) aus Pettazonis Buch (Höfner, in: Gese, 312). über die Höchsten Wesen (1957, 107), ohne zu ahnen, was für ein großartiges Kompli- Auf einem Säulenkapitell aus Hadramaut ment er damit dem Hund macht, den die sind Steinböcke dargestellt, Irokesen und viele andere nordamerika- nische Indianer als Abbild ihrer eigenen dazwischen eine menschliche Figur mit Treue dem Höchsten Wesen opfern. Hern- einem Stab in der Hand und Steinbock- egger nimmt an, dass diese Humanisierung hörnern oder einer ganzen Steinbock- als neue „Stufe“ menschlichen Bewusstseins maske auf dem Kopf. Diese Figur erin- bereits in der Zeit des Geisterglaubens be- nert an die Tänzer des heute noch in ginnt und sich als Abhebung vom Tier und Hadramaut geübten Steinbocktanzes, vom animalischen Verhalten vorbereitend die Steinbockhörner auf dem Kopf manifestiert: tragen - wohl zweifellos ein Rest einer uralten Kultübung, die vermutlich auf Damit aber daraus eine neue Bewusst- dem Kapitell dargestellt ist. Auch auf seinstufe entsteht, musste noch die Er- Gebäuden sind vielfach Steinbock- fahrung der „neolithischen Revolu- hörner angebracht, jedenfalls als tion“, vor allem der Domestizierung der Apotropaion (Höfner, in: Gese, 312). Tiere hinzukommen, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 275

NEOLITHISIERUNG UND BEWUSSTSEINSENTFALTUNG 275

meint Hernegger (437-8) und übersieht, Neolithisierung dass erstens neben den nur leicht neoli- und Bewusstseinsentfaltung thisierten Irokesen auch andere indianische Stämme das Zeremoniell des Weißen Hun- des praktizieren, obwohl sie nicht neoli- Der Prähistoriker A. Sherratt nahm thisiert sind, und zweitens vergisst Herneg- 1981 an, dass es nach der Neolithischen Re- ger, dass der Hund selbst schon die Erfah- volution - wie Childe die Erfindung von rung der Domestizierung der Tiere in ge- Viehwirtschaft und Ackerbau nannte - einer wisser Weise voraussetzt. Wenn Rachad und zweiten Revolution bedurft habe, um die Garcia die Steinbock-Jäger als Neolithiker Nutzung der secondary products der Her- und gleichzeitig als Mesolithiker definieren, dentiere in die Wege zu leiten: Vorher habe entziehen sie sich elegant, ohne es zu ah- man die Herde hauptsächlich nur als Fleisch- nen, der Schwierigkeit, in die Hernegger mit lieferanten genutzt (neben der Nutzung seiner These gerät. Dieselbe Technik der der Knochen zur Werkzeugherstellung frühen Felsbilder des Yemen findet man im usw.); jedenfalls habe es ungefähr bis zur Maghreb, genauer im Sahara-Atlasgebirge Bronzezeit gedauert, bis die Neolithiker be- (Garcia/Rachad, 19). Obwohl sie gleicher- griffen hätten, dass die Haustiere auch er- maßen schematisiert sind, offensichtlich neuerbare Ressourcen spenden, ohne dass derselben Konvention verpflichtet, unter- man sie gleich schlachten müsste, nämlich scheiden sich Auerochs und besonders Wolle und Milch. Büffel des algerischen Atlasgebirges zwar von ihren Verwandten im Yemen, aber die 1983 hat der Archäologe Thomas E. Levy die Bildkonvention bleibt gleich (Garcia/Rach- Thesen Sherratts in der südlichen Levante ad, 88). Auch der Afrikanische Wildesel überprüft, und zwar in der nördlichen Ne- gehört zur prähistorischen Fauna des gev-Wüste, wo - wie er meint - dieses neue, Yemen. Beide Arten unterstützen die These auf der Secondary-Product-Revolution be- der Paläontologen, dass die gesamte Fauna ruhende traditional crop-livestock system der Arabischen Halbinsel afrikanischen Ur- 5.000 Jahre lang bis ins 20. Jahrhundert hin- sprungs ist (Garcia/Rachad, 30). So könnte ein weitestgehend unverändert praktiziert man die räumliche Kontinuität vom Mag- worden sei. Da pastoralistischer Nomadis- hreb bis zum Yemen erklären; zudem gibt es mus niemals ein autarkes System war, son- im Yemen selbst eine zeitliche Kontinuität dern immer auch nichtpastorale, also acker- der Hunde-Darstellungen bis ins 4. Jahr- bauliche Produkte wesentliche Bestandteile hundert - so z.B. auf einem Relief an einem der täglichen Nahrung waren, sei die ar- Tempel in Raybun im Süd-Yemen aus der chäologisch kaum nachweisbare Verände- südarabischen Epoche (> II, 330: Abb. 59 a: rung im Weidesystem der Hirten mittelbar Zeichnung; im Museum von Sanaa) und auf am besten zu bestätigen durch die paralle- einem Relief an einem anderen Tempel aus len Veränderungen in Feld- und Ackerbau, der süd-arabischen Epoche des Yemen (> II, die besonders durch die Einführung des 331: Abb. 58: Zeichnung; ebenfalls aus dem Pflugbaus möglich wurden. 4. Jahrhundert; im Museum von Seyoun): Eine erstaunliche Kontinuität in Thema und Es ist wahrscheinlich, dass die von Sherratt Stil, die auf afrikanischer Seite ausgeprägt und seinen Kollegen postulierte grundsätz- wiederzufinden ist (> II & III). Kommen wir liche Revolution eine Evolution war wie das nun von den Jägern und Hirten des frühen Neolithikum selbst: Es ist nicht einzusehen, Yemen und ihrer Steinbock-Mythologie zu warum man mit der Nutzung der Milch und den frühen Hirten in Palästina, die sich Wolle von Haustieren so lange gewartet ha- ebenfalls auf dem Weg ins Paradies des ben soll. Gleichwohl können archäologisch monotheistischen Bewusstseins befinden: feststellbare Veränderungen in der Sub- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 276

276 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

sistenz Schwellenwerte markieren. Deshalb schaften optimal angepasst; heute beste- können wir uns Levys Untersuchungsergeb- hen die Herden hauptsächlich aus Awassi- nissen in der südlichen Levante anvertrau- (Fettschwanz)-Schafen und einer geringe- en, auch wenn wir seine Prämisse(n) nicht ren Anzahl (ca. 25%) an Ziegen. Vom Schaf vollständig teilen: In der nördlichen Negev- werden Fleisch, Milch und Wolle, von der Wüste gibt es zwei unterschiedliche semi- Ziege Milch, Fleisch und Haar (zur Zeltdach- aride (~ halbtrockene Zonen): die feuchtere herstellung) genutzt. Übersteigt die Pro- Küstenregion und die trockenere Inland- duktion die eigenen Bedürfnisse, verkauft region der Berghänge: man v.a. Milch(produkte). Optimal ist die Milch- und Fleischproduktion im späten Das schmale Randgebiet an der Mee- Winter und im Frühjahr - also zwischen De- resküste nimmt teil am mittellän- zember und Mai -, wenn frisches Grün zur dischen Klima mit seinem Wechsel von Verfügung steht; schon im April stockt das winterlichen Regenzeiten und sommer- Graswachstum, wenn die ersten trockenen lichen Trockenperioden, die die Bestel- Winde aus der Wüste aufkommen. Deshalb lung des Ackers in der feuchten Jahres- ist eine kluge räumliche und zeitliche Auf- zeit ebenso ermöglichen, wie sie in der teilung der frischen Weide sehr wichtig; da- Trockenzeit, vor allem in den zur Ver- zu muss die Herde entsprechend geleitet sumpfung neigenden Talbecken, aber werden. Grünland gibt es in dieser Periode auch in den heute in der Hauptsache in den westlichen Ebenen, an den warmen die Westhänge der westjordanischen östlichen Hängen, in breiten Wadis (~ Fluss- Gebirgsstöcke schmückenden Wäldern trockentälern) und an den übrigen Stellen, und auf den Stoppelfeldern Kleinvieh- an denen örtlich etwas Regen fällt. Im Fe- herden aus Fettschwanzschafen und bruar können dann auch die Grenzbereiche Ziegen Weide bieten. Umgekehrt gibt dieser Zonen mitbeweidet werden, v.a. in es in den östlich angrenzenden, im Richtung Osten bis ans Hügelland vor dem Regenschatten liegenden Wüsten- Toten Meer. Wenn die Trockenzeit einsetzt, gebieten dann keine ausreichenden werden die Herden Ende April auf Gers- Weidegelegenheiten, während im testoppel- und im Mai auf Weizenstoppel- Spätherbst und Winter die größere felder geführt; spät grünende Sträucher u.ä. Luftfeuchtigkeit und vereinzelte Re- neben den Feldern werden ebenfalls abge- genschauer hinreichende Vegetation weidet. Im Juli und August sind die letzten für den Weidebetrieb sprießen lassen. Stoppeln verschwunden und die Herden be- Vom Gesichtswinkel der Kleinvieh- ginnen mit der Wanderung in nördliche und nomaden aus gesehen zerfällt das Jahr westliche Richtung zu den Trockenweiden räumlich und zeitlich grob gesprochen (Steppen) z.B. an die Küstenebene des Ne- in zwei Hälften: in die Regenzeit gev. Besonders kritisch ist die Zeit von Ok- draußen in der Wüste und in die regen- tober bis Dezember, wenn die Weidequa- lose Zeit im Kulturland, beide verbun- lität schlecht und die Quantität gering ist, den durch mehr oder minder lange aber schon die ersten Lämmer geboren wer- währende Wanderungen (Rost, 205). den. Mit dieser etwas trocken geratenen Be- standsaufnahme der ökologischen Zwänge Levy studierte in beiden Regionen den Zeit- blendet Levy die aufregenden Zeiten des raum vom -5. bis zum -4. Jahrtausend, in Hirtenlebens über Gebühr aus: dem der Übergang vom Späten Neolithi- kum über das Chalcolithikum zur Frühen Gerade diese Wanderungen mit ihrem Bronzezeit stattfand und in dem es vor et- Übergang in neue, wenn auch erst ein wa 5.400 bis 4.500 Jahren eine Feuchtphase halbes Jahr vorher verlassene Verhält- gab. Schaf und Ziege sind semi-ariden Land- nisse sind das Erregende und letztlich Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 277

NEOLITHISIERUNG UND BEWUSSTSEINSENTFALTUNG 277

Beunruhigende. Wie werden Mensch in der Nähe der Quellen angewiesen. So war und Tier die Wanderung überstehen? die Nutzfläche für Feldbauprodukte sehr Welche Weide- und Wasserverhältnisse begrenzt, und der tägliche Speiseplan muss- werden sie antreffen? Wenn irgend- te zusätzlich durch Jagd aufgebessert wer- welche Zeitpunkte im Leben der Hirten, den. Die Israeliten, die zu einem erheb- dann sind es die Wanderzeiten, richti- lichen Teil vor ihrer Sesshaftwerdung in Ka- ger wohl die Augenblicke des Antritts naan Wanderhirten waren, überliefern in einer dem Weidewechsel dienenden ihren Festen - auch wenn die durch Acker- Wanderung, die ihm nahelegen, rituel- bau und Baumzucht überformt sind - mehr le Begehungen vorzunehmen, die oder weniger durchschimmernde Hirtenri- Mensch und Vieh unter den Schutz der tuale, wie dies am Passah-Fest (Ostern) auch Gottheit stellen sollen (Rost, 206). für den Laien klar erkennbar ist:

Wir haben schon in der Grünen Sahara, also Feiere Ostern und ziehe aus, feiere etwa 3.000 Jahre früher, solche Zeremoniel- Kreuzfest (27. September) und ziehe ein le vermutet, und es liegt nahe, dass auch in (in: Rost, 206, FN 1), der Steppe des Negev und an der Küste ähn- liche Feste begangen wurden weit vor der dieser Spruch ist kein Tipp für umzugslusti- Secondary-Product-Revolution. Neben die- ge Yuppies, sondern gliedert das Jahr der ser angenommenen Kontinuität gibt es Hirten, die noch zu Beginn des 20. Jahrhun- aber auch archäologisch belegbare Verän- derts derungen, wie Levys Untersuchungen zei- gen: Im Chalcolithikum (~ Übergang von im März und April mit ihren Herden aus der Stein- zur Metallzeit) nahm die Zahl der dem Jordantal nach dem Osthang des Menschen im nördlichen Negev stark zu, Berglandes, im Sommer (August und wie dies in demselben Zeitraum auch fest- September) in das Küstenland, in die zustellen ist in anderen Regionen Palästinas, Gegend von Lydda und Gaza ziehen, bis z.B. im Golan, im Beth Sean-Tal, im Jezreel- der Regen kommt (Rost, 206, FN 1). Tal und im Jordan-Tal: Im Vergleich zur letz- ten Phase der Steinzeit mit elf Fundorten Es liegt nahe, vom Passah-Fest im Frühjahr weist die folgende Phase 57 Fundstellen aus zu schließen, dass es ein komplementä- auf; die Größe der Siedlungen am Ende des res Zeremoniell auch im Herbst gab; anders Neolithikums im frühen -4. Jahrtausend als das Passah ist aber dieses Herbstfest we- schwankte zwischen 0,19 ha und 3,0 ha und sentlich stärker überformt worden, wie wir die der folgenden Phase zwischen 0,09 ha noch sehen werden. Auch das Passah wurde und 9,5 ha. Es wird gleich klar, dass auch den reformiert, z.B. von Josia, der die Schlach- Neolithikern nichts anderes übrigblieb, als tung des Opferlamms ausdrücklich ans Je- sich den Bedingungen der Region anzupas- rusalemer Heiligtum verlegte, weil alle an- sen: Auch sie betrieben bereits große Trans- deren landwirtschaftlichen Feste insgesamt humanz und extensive Landwirtschaft an den Besuch eines Heiligtums gebunden (Hackbau), womit sie einerseits auf den Er- sind. halt des Grundwassers angewiesen waren und zum anderen alles dazu beitrugen, den Es war den frühen Wanderhirten natürlich Grundwasserpegel nicht negativ zu verän- nicht möglich, sich mit Zelt und Habe zu ei- dern. Obwohl eine jährliche Durchschnitts- nem Heiligtum zu begeben, um in dessen niederschlagsmenge von 250 mm bis 300 Nähe das Ritual der Bestreichung von Zelt- mm für Hackbau ausreicht, waren die Feld- oder Hausteilen mit dem Blut des Opfertiers bauern doch fast ausschließlich auf die be- zu vollziehen - das wäre nur unter beson- sonders Grundwasser speichernden Böden ders günstigen Bedingungen möglich. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 278

278 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Hundezeremoniell und Sünden- Kopf, Schenkel und Eingeweide mitge- bock: Vergleich des Hirten„opfers“ braten werden sollen. Offensichtlich mit dem paläo- und mesolithischen sollte alles Essbare an dem Tier in glei- Jagdzeremoniell cher Weise zubereitet und verspeist werden, wobei kein Knochen gebro- Die ursprüngliche, also den Hirten chen werden durfte. Das Tier ... sollte eigene Form des Passah ist vermutlich Teil von den Hausbewohnern ganz verzehrt der rituellen Begehungen gewesen, die vor werden, doch wohl um ihnen die ganze dem Weidewechsel in eine andere Region Schutzkraft zuzuführen. Sollte wider durchgeführt wurden. Dazu schlachtet der Erwarten etwas bis zum Morgen übrig „Älteste“ jeder Sippe Kleinvieh je nach Zahl bleiben, so war es zu vernichten. der Sippenmitglieder. Dabei ist die Art der Anscheinend hatte das Fleisch nur wäh- Schlachtung so bekannt, dass sie nirgends rend der Nacht Schutzkräfte in sich, besonders beschrieben wird. In breiter Aus- oder richtiger, konnte das mit Schutz- führlichkeit aber wird die mit dem Blut des kräften geladene Fleisch nur während Opfertiers zu vollziehende Handlung ge- der Nacht verzehrt werden, da es schildert: offenbar später schädigend wirken konnte (Rost, 210). Ein Büschel Ysop ist in das in einer Schale aufzufangende Blut einzutau- Das eat-all-Prinzip und das Knochen-Tabu, chen und so an der Oberschwelle und uns schon aus reinen Jäger-Gesellschaften die beiden Türpfosten etwas von dem bekannt (> I), ist gar nicht so anachronis- Blut anzubringen. Niemand von den tisch, wie es auf Rost zu wirken scheint, da Hausbewohnern aber darf das Haus bis Levys Analyse ergeben hat, dass der tägliche zum Morgen verlassen. Denn das Blut Speiseplan immer noch zusätzlich durch an dem Türsturz und den Türpfosten Jagd aufgebessert werden musste - die schützt die Bewohner gegen den vor- Übertragung des archaischen Jagd-Zeremo- beigehenden Jahwe, der dem „Verder- niells aufs Haustier spricht für paläomenta- ber“ nicht gestattet, in das Haus einzu- le Kontinuität bis weit ins Neolithikum hin- dringen (Rost, 208). ein. Der „Impf-Schutz“ durch den rituellen Verzehr des Opfertiers, dessen Bratenge- JHWH ist hier wohl eine Neuerung, denn er ruch als Rauchopfer verstanden werden verdoppelt durch sein Vorbeigehen die kann (Josias Neuerungsversuch, das Fleisch Schutzwirkung des Blutanstrichs. Der „Ver- zu kochen, konnte sich nicht durchsetzen), derber“ gehört in der neueren Fassung zum dieser Schutz war dringend erforderlich zu Gefolge JHWHs und handelt in seinem Beginn der Transhumanz, der als Einschnitt Auftrag, erlebt wurde. Der „Impfschutz“ wurde noch verstärkt durch den Zeitpunkt, zu dem das ursprünglich aber war er wohl ein Dä- Mahl stattfinden sollte, nämlich in der Voll- mon ..., der Menschen und Herden ge- mondnacht der Frühlingstag- und -nacht- fährlich werden konnte (Rost, 208-9). gleiche:

Das Fleisch des geschlachteten Tiers wurde Dafür spricht manches. Einmal die Tat- aber, wie heute noch in Palästina üblich, sache, dass eine längere Wanderung nicht weggeworfen, auch nicht verbrannt, natürlich eher gefährliche Lagen für die sondern verzehrt: Wanderer mit sich bringen kann als der Aufenthalt in einem Kulturland auf Es soll in der Nacht gegessen werden, einem Gebiet, dessen Abweidung durch und zwar am Feuer gebraten ... wobei Verträge gesichert ist, so dass sich vom Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 279

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psychologischen Standpunkt aus der Und in der Tat spricht mehr dafür, dass einer Beginn der Wanderung besser für eine der beiden Böcke durch Losentscheid in die Schutz gewährende Begehung empfahl Wüste geschickt wird, als Abgabe an die als etwa der Abschluss. Zum andern Gottheit der Wüste, Azazel, und dass das aber lässt sich so der eigentümliche Zug Handaufstützen zunächst lediglich eine unterbringen, dass die Teilnehmer am Geste der Zueignung des Bocks an die Wüs- Mahl Wanderkleidung anlegen sollen, tengottheit war. Der zweite Bock wurde den Gürtel um die Hüfte, der das dann geschlachtet und sein Fleisch wurde Gewand aufschürzt, Schuhe an den entweder rituell verbrannt oder rituell Füßen und den Wanderstab in der Hand verzehrt, und sein Blut schützte Mensch und (Rost, 211). Vieh wie schon die Blutbesprengung beim Passah-Fest. Das könnte die Urform des Es ist also die Re-Inszenierung des Trans- Hirtenrituals gewesen sein, und die Analo- humanz-Beginns, der sich in diesem Zere- gien des zweiten Bocks mit dem Hunde- moniell ereignet, nicht der Auszug aus zeremoniell in Ost-Asien (> I) lassen mich Ägypten, wie man historisierend hinein- darauf schließen, dass zunächst der Hund interpretiert hat: Die bitteren Kräuter wie von den frühneolithischen Viehzüchtern im Ysop waren ursprünglich Wüstenpflanzen, Hundezeremoniell durch einen Ziegenbock mit denen das letzte, feierliche gemeinsame ersetzt wurde und dass später, als sich der Mahl gewürzt wurde vor der Wanderung in Zwang zur Transhumanz ergab, der zweite das Sommerweidegebiet an die Küste bzw. Bock als Abgabe an die Wüstengottheit ins Jordantal und die anderen o.g. Täler. Azazel zum Zeremoniell hinzukam. Das Umgekehrt findet sich kein so ausdifferen- Zwei-Bock-Zeremoniell wäre also die Ver- ziertes Zeremoniell, das in ähnlicher Weise wandlung des Hunde-Zeremoniells in zwei die Rückkehr in die Wüste zur Winterweide Stufen; das Bestreichen von Türsturz und kennzeichnet. Wohl kann man in den Türpfosten dürfte man beim Hunde- Vorschriften zur Reinigung des Heiligtums zeremoniell zusätzlich annehmen zur ritu- u.a. mit dem Entsenden eines Sündenbocks ellen Beisetzung des Hundes unter die in die Wüste das ursprüngliche Ritual Schwelle. Für die nächste Stufe schließt schemenhaft wiedererkennen - Jesus wird Rost, dass die beiden Ziegenböcke nach der es später umkehren, indem er als Kultur- Sesshaftwerdung der Israeliten eingebaut heros vom Geist in die Wüste geführt wird, wurden in ein kanaanäisches Kulturland- um zunächst dort den Kampf gegen einen Zeremoniell, in dem ursprünglich nur der Dämon zu bestehen und um dann selbst Stier Opfertier war. Zu einem ähnlichen Er- und später in der Stadt Jerusalem den Sün- gebnis kommt Garelli 1974, wenn er sich denbock zu geben. Nun reicht zur Entsüh- nicht hat direkt inspirieren lassen von L. nung der priesterlichen Familie das Hand- Rosts Beitrag aus dem Jahr 1943: auflegen auf den Bock, den man danach in die Wüste schickt, man braucht also gar Ainsi la Pâque était-elle probablement, nicht, wie vorgeschrieben, einen Farren (~ à l´origine, un rite de pasteurs avec le Jungstier) und aus zwei Ziegenböcken den sacrifice d´un jeune animal pour obtenir mit dem Los ermittelten Bock zu schlachten, la fécondité et la prospérité du trou- wie es das Reinigungszeremoniell in merk- peau au moment de la tanshumance de würdiger Überfrachtung verlangt. Daraus printemps; elle fut associée à la fête des schließt Rost (213) fragend, ob Azymes (massôt) liée à la jouissance des fruits de la nouvelle moisson, à la coupe der in die Wüste entsandte Bock des premiers épis et, surtout, à la ursprünglich gar nicht der „Sünden- célébration de la sortie d´Égypte (Ga- bock“ gewesen wäre? relli u.a., 192). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 280

280 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Streicht man mit Rost und Garelli also die oberung Kanaans entwirft (will man nicht Kulturland-Komponenten aus dem Ritual annehmen, dass die folgende Passage auf- des Yom-Kippur, des jüdischen Versöh- grund der späteren, erfolgreichen Unter- nungstages, dürfte man die Urgestalt des nehmungen hier nachträglich in ein chro- (nach dem Passah) zweiten Begehungszere- nologisch frühes Buch eingebaut wurden): moniells der transhumanten Hirten weit- gehend rekonstruiert haben, das bereits Halte dich an das, was ich dir heute auf- eine intensive Aversion gegen das „Kultur- trage. Ich werde die Amoriter, Kanaani- land“ offenbart: ter, Hetiter, Perisiter, Hiwiter und Jebu- siter vor dir vertreiben. Du hüte dich Jedenfalls aber stehen nun zwei Riten aber, mit den Bewohnern des Landes, in in Parallele, der des Passah als Feier vor das du kommst, einen Bund zu dem Antritt der Wanderung in die Som- schließen; sie könnten dir sonst, wenn merweide mit der Absicht, die Men- sie in deiner Mitte leben, zu einer Falle schen und Herden vor dem „Verder- werden. Ihre Altäre sollt ihr vielmehr ber“, der wohl im Kulturland hausend niederreißen, ihre Kultpfähle (~ ab- gedacht wurde, zu schützen, und die ... strakte Lebens- und Weltbäume der Begehung, die die Herde durch Abgabe Großen Göttin Aschtart bzw. Aschera in eines Bockes an den Herrn der Wüste Kanaan) umhauen. Du darfst dich nicht vor Antritt der Wanderung in die Win- vor einem andern Gott niederwerfen terweide schützen sollte, die ein halbes (z.B., um die Sonne anzubeten). Denn Jahr später gefeiert wurde (Rost, 215). Jahwe trägt den Namen „der Eifersüch- tige“: ein eifersüchtiger (~ monopolis- Der andere Bock wurde wahrscheinlich ana- tischer) Gott ist er. Hüte dich, einen log zum Opferlamm des Passah als Blut- Bund mit den Bewohnern des Landes (~ schutz für Mensch und Tier geschlachtet. Kanaan) zu schließen. Sonst werden sie Eigentlich hat JHWH in Exodus (34, 23) drei dich einladen, wenn sie mit ihren Göt- Feste zu seinen Ehren gefordert, nämlich tern Unzucht treiben (Exodus 34, 11-5). zusätzlich das Fest der Erstlingsfrüchte von der Weizenernte, daraus kann man erstens Diese Unzucht Abhängiger mit Unabhängi- schließen, dass die transhumanten Hirten gen ist die Re-Inszenierung der Heiligen auch schon vor ihrer Niederlassung als sess- Hochzeit der Großen Göttin und ihres Sohn- hafte Bauern in Kanaan auch Ackerbau geliebten, in der der Hund als Symboltier praktizierten, was Levy archäologisch für immer noch ein große Rolle spielt, wie wir den Negev nachweist. Und man kann mit im 3. Band der Kynosophischen Zeitreise Rost zweitens schließen, dass die Israeliten schon sehen werden. Auch davor warnt nach ihrer Sesshaftwerdung mental immer JHWH: Keine Integration in die Kultur des noch mehr Hirten als Bauern waren: Gastgeberlandes, no fraternization nach der Eroberung. Zusätzlich ergeben sich mit Der Festritus der Wanderhirten hat hier Pater W. Schmidt, dem ich in seinen Ansich- über den der Ackerbauer gesiegt. ten zum Ursprung der Gottesidee kaum zu- Dieser Festrhythmus der Wanderhirten stimmen kann, bemerkenswerte Parallelen aber war gebunden an den Weide- zwischen dem Passah-Fest der westasia- wechsel (Rost, 216). tischen Schafzüchter und dem Himmels- opfer der innerasiatischen Pferdezüchter: Ein später Sieg Abels über Kain. Und wir Das apotropäische Bestreichen von Tür- halten hier zusätzlich fest, dass JHWH be- elementen wäre in Schmidts Terminologie reits im Buch Exodus für das israelitische dem Primitialopfer (~ z.B. den ersten Bissen Volk ein klares politisches Programm zur Er- ins Feuer zu werfen; > I) gleichzusetzen. Das Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 281

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Feuer übernimmt nicht nur, wie Schmidt bar dem Opfergedanken abträglich (132) meint, die Umwandlung des ersten sein müsste ... die Eigenart der Vieh- Bissen (> I) oder der wertvollen Teile zucht liefert neue Tiere als Lebensmittel nicht mehr jeden Tag (wie die Jagd), da in den „Geist“-Zustand, damit das Le- der echte Viehzüchter nicht jeden Tag bensmittel zum Höchsten Wesen gelan- ein Zuchttier schlachtet, sondern viel- gen könne, so dass das Feuer als Mittler mehr sie schont und anhäuft. Stärkeren zwischen Gott (den Schmidt sich natür- Zuwachs auf einmal erhält der Vieh- lich als männliches Wesen denkt) und züchter nur zu einer Zeit des Jahres, im den Menschen fungierte (Schmidt, 132). Frühling, wenn die Muttertiere ihre Jungen ... werfen. Hier stellt sich nun Schmidt geheimnist hier den patriarchalen der Antrieb zum Primitialopfer sehr Monotheismus hinein in das Zeremoniell stark ein, denn es besteht der Glaube, der Kulturen, die im Feuer allererst ihre Ah- dass Gott wie den Menschen, so auch nen(göttin) sehen: Das Feuer ist also zuerst den Tieren ihre Fruchtbarkeit verleiht nicht Mittler, sondern direkter Empfänger (Schmidt, 131 &132). des Primitialopfers. Später erst wird das Feuer reduziert auf die Mittlerfunktion, die Da aber, wie Schmidt meint, nur im Großbe- noch viel später verlorenging, als man das trieb, also nicht in der Kleinfamilie, sondern Feuer nur noch als inneres Element des in der Großfamilie, die Herdenviehzucht Höchsten Wesens begriff - da ist dann aber möglich und rentabel sei, werde die Großfa- die Orientierung nicht mehr chthonisch- milie (~ Clan?) als Trägerin des Herdenbesit- unterirdisch, sondern himmlisch-patriar- zes zwar bei vielen Gelegenheiten eines, chal. Und dann steht auch der Hund längst nicht mehr in substantieller Nähe zum manchmal auch mehrere der Herden- Feuer, das er als Erscheinungsform der tiere als Opfer darbringen. Für das Früh- Ahnengöttin, die immer auch Herdgöttin jahr aber, wenn neue Tiere den Herden war (> 186-94: Die alte Frau von Ain Malla- zugefügt werden können, vereinen sich ha und ihr Welpe waren in einer Herdstelle auch die Großfamilien eines ganzen bestattet), oder als ihr Begleittier den Men- Geschlechtes (~ Stamm?) und bringen schen brachte (> II: Feuerbringer Hund als im Namen aller ihrer Großfamilien ein Kulturheros). Aber das sind nicht die einzi- oder mehrere Tiere ihrer Herden als gen Unterschiede, die sich ergeben durch Opfer dar. Das ist dann das feierlichste die Substitution des Wildtiers bzw. des Hun- Opfer des ganzen Jahres (Schmidt, 133). des durch domestizierte Herdentiere: Das Das Primitialopfer sieht Schmidt jetzt Wildtier stand nicht unter der Verfügungs- auf die Zeiten des Gebärens der Her- gewalt des Jägers, sondern musste von der dentiere im Frühling beschränkt und es Schutzgottheit freigegeben werden, es kam richtet sich auf die Erstgeburten und auf die erste Milch des Frühlings erst durch den Akt der Tötung in die (Schmidt, 134). Hand des Opfernden ... während das Herdentier sich bereits in seiner vollen Selbst wenn man kein Anhänger der Secon- Gewalt befindet, da es ja ein Teil seiner dary-Product-Revolution ist, wird man den Herden und ein Produkt seiner Zucht ist Akzent stärker auf die Erstgeburt legen, ... Bei der Viehzucht ist jedes neue Stück zumindest zu Beginn des Neolithikums. Vieh, das der Viehzüchter durch die Schmidt kann man zustimmen, wenn er erst natürliche Vermehrung seiner Herde aus der ständigen Verfügbarkeit der Her- gewinnt, wohl ein Produkt seiner eige- dentiere zu zeremoniellen Zwecken die Er- nen züchterischen Arbeit, was schein- findung von (weiteren) Bitt- und Dank- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 282

282 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

opfern ableitet, die sich von der Familie über Dieser Unterschied wird erst recht spät ein- Sippe, Clan und Stamm später bis zum getreten sein in einer insgesamt profanier- Staatskult entwickeln werden. Das ist ja auch ten Gesellschaft, da noch die klassischen an Josias Reform der Zeremonielle erkenn- Griechen das Einverständnis eines zu bar, wenn er die Schlachtung des Lamms ans schlachtenden Tiers herbeizuführen ver- Heiligtum - hier: Jerusalem - bindet. Stam- suchen, wenn auch trickreich (> V). Und die- mes- und Staatszeremonielle sind doppelt se Griechen setzen ebenfalls bruchlos die neu, weil sie auch mit steigender Feierlich- Tradition des „Kopf- und Langknochen- keit abgehalten werden (Schmidt, 134). Be- Opfers“ fort. Es änderte sich also zunächst in merkenswert ist für Schmidt in zweierlei Hin- der praktischen Durchführung nichts sicht, dass man sich in Inner-Asien Wesentliches, als man das Zeremoniell vom Wildtier und vom Hund aufs Herdentier zu den öffentlichen Opfern ... auf Er- übertrug. Dem Primitialopfer folgt die, wie höhungen begibt, von denen man freie- Schmidt meint, nichtsakrale Nahrungs- re und weitere Sicht auf den Himmel aufnahme des geschlachteten Tiers (hier das genießt, auf Hügel, Berge und selbst Pferd, an dessen Stelle einzusetzen wäre zu- auf hohe Berggipfel (Schmidt, 134), erst der Hund, der vom Ziegenbock, Lamm bzw. Pferd in den diversen neolithischen Kul- was aber so neu nicht ist, da der Kult der turen verdrängt wird. Schmidt (140) nimmt Bergkönigin (> III) direkt aus der Vorstel- seine These, es handle sich nach dem Pri- lung hervorgeht, dass die Höhle der Bärin mitialopfer nicht um einen rituellen Verzehr, oben im Gebirge gedacht wurde. Auch ist im nächsten Satz gleich zurück, wenn er die die Erhöhung des rituell getöteten Bären zu verzehrenden Teile als geheiligt ansieht auf einem Gerüst (> I, 164: Abb. XLIX) be- durch das Primitialopfer von kleinen, aber dingt durch die Lokalisierung seiner Höhle besonders wertvollen Teilen (Schmidt, 129): im Gebirge. Das wird bewahrt noch von den klassischen Griechen, die die Knochen des An diese Heiligung scheint nun die rituell getöteten Haustiers aufs Dach wer- Hirtenkultur angeknüpft zu haben; fen, das hier das Gebirge vertritt (> V). denn überall findet sich eine Art sakra- ler Mahlzeit, die sich unmittelbar an das Auch muss die Vertikale nicht, wie Pater Opfer anschließt, eine Art Weihe erhält Schmidt es gern hätte, verknüpft sein mit und deutlich von der allgemeinen Fest- dem Himmel, auch Chthonisches kann hoch mahlzeit geschieden ist, die zumeist im Gebirge liegen, wie wir an der Bären- den Beschluss der Feier bildet (Schmidt, höhle sahen, und die Transhumanz, die 140). wohl schon sehr früh zur neolithischen Wirt- schaftsweise gehörte, führt eher zum Auch und nicht nur bei den innerasiatischen Wunsch nach panoramischer Sicht denn Völkern gilt das eat-all-Prinzip (> I), das ja nach Orientierung zum himmlischen Vater. ohne die geringste Änderung aus dem Auch nimmt Schmidt irrtümlich an, dass Jagdzeremoniell übertragen ist, wobei das beim Herdentierzeremoniell der an den Knochen noch haftende Fleisch ... Tötungsakt mehr und mehr als zum We- abgeschabt und für die folgenden bei- sen des Opfers selbst gehörend be- den Abende aufbewahrt wird. Die Kno- trachtet wird. Das gelangt auch darin chen dürfen nicht beschädigt werden; zum Ausdruck, dass beim Opfer ge- sie werden, auch die kleinsten, gesam- wöhnlich eine andere Tötungsart ange- melt auf Birkenreiser, diese auf das Op- wendet wird als bei der rein profanen fergerüst gelegt und mit Birkenzweigen Schlachtung (Schmidt, 131). und Blättern bedeckt (Schmidt, 140). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 283

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Die Birkenreiser, -zweige und -blätter als das Ganze wird über ein horizontales Teile des Lebensbaums (> II) entsprechen Holzgerüst so gelegt, dass es von unten wahrscheinlich dem Ysop, mit dem das schräg nach oben und nach Osten ragt, Passah-Lamm gewürzt wird und der ver- so dass es den Anschein erhält, als wolle mutlich die heilige Pflanze der Wüstengott- das Pferd nach oben und Osten hin in heit ist. Alles, was nicht aufgezehrt werden den Himmel hinauf sprengen (Schmidt, konnte, 138).

wurde sorgfältig verbrannt, damit es Die Form des Gerüsts wie die gesamte Pra- nicht von Katzen oder Hunden geges- xis sind natürlich keine Erfindungen neoli- sen würde, was eine Entweihung wäre thischer Pferdezüchter: Wir kennen das al- und Unglück bringen würde (Schmidt, les schon vom Bären-Zeremoniell her (> I), 142). wobei allein die Orientierung des Protoms nach Osten vielleicht eine Neuerung ist. Die Natürlich übernimmt Schmidt hier ungefil- sich anschließende Opfermahlzeit, die tert die mit der Islamisierung übernomme- Schmidt (145) irrtümlich für etwas von der ne Aversion gegen den Hund, wenn er von Hirtenkultur neu Geschaffenes hält: Entweihung und Unglück spricht: Das Un- glück besteht darin, dass nicht mehr intak- Damit wurde wiederum von der Hirten- te Knochen das getötete Tier nur fehlerhaft kultur etwas Neues geschaffen, die oder gar nicht reinkarnieren lassen (> I). Da- Opfermahlzeit (Schmidt, 145), zu gehört auch, dass das Tier erwürgt wird, dass also kein Blut fließt, man sollte meinen, sie kennen wir beispielsweise schon von den dass das Tier also integral den Adressaten Nivkh und Ainu, und sie dürfte schon lange erreicht. Zur Integralität des Opfertiers vor dem Neolithikum originaler Bestandteil gehört auch, dass kein Knochen gebrochen des Zeremoniells gewesen sein. Natürlich wird (das Brechen des Rückgrats bei den Al- haben die Hirten das aus ihrem Jägerdasein taiern lässt zwar das Tier oberflächlich in- stammende Zeremoniell auch weiterent- takt, bedeutet jedoch gegenüber dem Erd- wickelt, aber nicht in den von Schmidt an- rosseln eine qualitative Abweichung vom genommenen Bereichen: Wenn er das Ze- Prinzip der intakten Knochen). Diese Lang- remoniell von Beginn an als Himmelsopfer knochen sind mit dem Kopf zusammen das sieht, nimmt er eine anachronistische Ein- eigentliche Opfer, während der Rest rituell schränkung vor. Schmidt ist zuzustimmen in verzehrt wird. Es wurde also gar nicht, wie Reduktion der Ritual-Anlässe und Verlage- auch Schmidt feststellt, rung des Zeremoniells in eine bestimmte Jahreszeit und Vermehrung der Ritual-Kom- an das Fleisch des Tieres als Opfer ge- ponenten sowie Steigerung der Feierlich- dacht ..., sondern ... zu Beginn waren keit. Nicht zuzustimmen ist Schmidt, der ja das einzige wirkliche Opferobjekt das besessen ist von der Idee, die Menschheit im uneröffneten Schädel enthaltene habe von Beginn an einen, und zwar nur ei- Hirn und das in den uneröffneten Lang- nen einzigen, himmlischen Vatergott ver- knochen enthaltene Mark. Diese wer- ehrt, wenn er die neolithische Schutzgott- den hier in einer besonders empha- heit der Tiere (Wild- und Haustiere) grund- tischen Form geopfert, indem der Kopf, sätzlich männlich konzipiert. Wir werden sowie die Langknochen der vier Extre- gerade am Beispiel der hebräischen Reli- mitäten mit der Haut verbunden blei- gion sehen, wie schwierig es gewesen sein ben und nun eine lange Stange von hin- muss, schon allein den Monotheismus und ten hindurch gesteckt wird, die als eine gleichzeitig auch noch den ausschließlich Art Rückgrat bis in den Schädel geht; männlichen Gott durchzusetzen. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 284

284 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Zurück zu den frühen Israeliten auf Bis zur Vertreibung und fast gelungenen ihrem Weg zum Monotheismus Ausrottung einiger dieser Völker dauert es und zur Aversion gegen den Hund aber noch eine kleine Weile, denn zunächst werden die Wanderstrecken der Herden, Der Hund, der in anderen, d.h. die in den trockeneren Gebieten des Negev nicht-monotheistischen Kulturen seinen ho- zuhause waren, länger, und das erfordert hen Symbolwert behält oder ihn sich mit spezialisierte Hirten, die die Wanderungen Konkurrenzhaustieren teilt, er wird in dieser der Herden überwachen, und professionelle ersten monotheistischen Religion der Welt- Schäfer, die für längere Zeiträume von ihren geschichte unter die Räder kommen: Anders in den Trogtälern bleibenden und Feldbau als bei den übrigen Völkern Asiens scheint betreibenden Familien getrennt sind: Mit der Hund bei den Israeliten selbst zu diesem der Ausweitung der feldbaulich genutzten frühen Zeitpunkt zwar durchaus noch eine Flächen verringerte sich das Weideland für alltagspraktische, aber schon keine symboli- die Herden, für die man folglich fern von sche Rolle mehr zu spielen - das hat mit der den eigenen Feldern Weiden suchen Warnung des eifersüchtigen JHWH vor musste. Die Nutzung dieser Fernweiden fremden Gottheiten zu tun, wie wir gleich musste geplant und - wenn möglich - mit sehen werden. Kommen wir nach diesem anderen Interessenten abgestimmt werden, Ausblick zurück zu den Israeliten vor ihrer denen ja ebenfalls das Weideland vor der großen Nordwanderung, als sie noch in der Zelttür zu knapp wurde. Eine Zunahme an Negev-Wüste „umherirren“, wie die ost- Konflikten und Wanderdistanzen und eine westlich ausgerichtete Transhumanz später Abnahme des früheren Synergieeffekts zwi- historisierend und vernebelnd zugleich um- schen Fernweidewirtschaft und Feldbau schrieben wird: Insgesamt ergibt sich in der war die Folge, denn auch im eigenen Gebiet Negev-Wüste fürs späte Neolithikum das wurde das Miteinander von Vieh- und Feld- Bild einer auf kleine Flächen konzentrierten wirtschaft problematischer und erzwang Bevölkerung. Die Bevölkerungszunahme in spätestens jetzt einen intensiven Schutz der der Übergangszeit zwang zu einer quanti- Anbauflächen vor unkontrolliertem Abgra- tativen Steigerung der Herden, zu einer sen durch die Herden - auch dazu wird der noch intensiveren Nutzung der jetzt durch Hund des Tobias beigetragen haben (> 285): Einführung von Pflug und künstlicher Be- wässerung größeren Weide- und Stoppel- Thus, the need to protect intensely cul- flächen und schließlich zu einem Metho- tivated land on the ancient floodplains denwechsel, der die bisherigen Zwänge ver- from domestic animal herds would schärfte, z.B. die ohnehin prekäre Zusam- have increased the need for specialized menarbeit zwischen Hirt und Ackerbauer pastoralists to move these animals während der Nutzung der Stoppel- und across the northern Negev (Levy, 31). Strauchflächen - die Kain-Abel-Problematik dürfte hier ihre historischen Wurzeln haben, Diese Bilanz kann noch erweitert werden als politische Geschichte aber dreht sie wohl um den Aspekt, dass auch außerhalb des die späteren Verhältnisse im Kulturland Ka- kultivierten Landes eine intensive Kontrolle naan um: Nicht der Ackerbauer Kain er- über die jeweilige Herde ausgeübt werden schlägt dort den Hirten Abel - eher wird um- musste, da insgesamt die verfügbare Fläche gekehrt ein Schuh daraus, wie die bereits zi- je Tiereinheit geringer wurde und die Kon- tierte Eroberungsprogrammatik ahnen lässt: kurrenz der Hirtengruppen zwischen ver- schiedenen Gemeinden miteinander so zu- Ich werde die Amoriter, Kanaaniter, nahm wie das Konfliktpotential zwischen Hetiter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter Hirt und Feldbauer in einer Gemeinde. Die vor dir (~ Israel) vertreiben. möglichst totale Kontrolle über die Herde Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 285

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war also zu jeder Zeit und an jedem Ort er- Tempelherden, in der Hierarchie unter ihm forderlich. Auch das motiviert mich, in dem war der naqidu, und diejenigen, die die Her- Hund des Tobias einen Hütehund zu sehen. de tatsächlich hüteten, waren die re´u, die Allerdings scheint die Hypothese nicht über- Hüter, die für rund 500 Kühe oder 2000 Scha- all möglich zu sein, die Herdenkontrolle er- fe und Ziegen verantwortlich waren. Die Be- zwinge generell den Hütehund: Den Indi- zeichnung für den Schafzüchter stammt aus zien, die einen Einsatz von Hütehunden ne- der Wurzel *nqd (~ markieren). Wie die Is- ben Herdenschutzhunden in der mesopo- raeliten ihre Sklaven markierten, so verfuh- tamischen Viehwirtschaft wahrscheinlich ren sie auch mit den Schafen und anderen machen (> III), scheint vielleicht eine Stelle Haustieren, um sie unverwechselbar zu ma- im Gilgamesch-Epos zu widersprechen, in chen: So kennzeichneten sie ihr Eigentum. der es über die Göttin Ischtar heißt: Der Begriff noqed ist also in semitischen Sprachen gut bezeugt, und man findet ihn Dem Tammuz, deinem Jugendgelieb- auch im Sumerischen, wo er den Schäfer ten, Hast Jahr für Jahr du Klagen be- oder Schafzüchter bezeichnet. Aus diesem stimmt. Du liebtest den Hirten, den Hü- noqed hat sich dann der Beschauer von ter, Der ständig dir Asche streute, Täg- Schaflebern als neuer Beruf entwickelt, der lich dir Zicklein schlachtete: Du schlugst aus der Leber die Zukunft weissagt (Jeffers, ihn, in einen Wolf verwandeltest du ihn; 112). Im israelitischen Buch Amos wird der Es verjagen ihn seine eignen Hirtenkna- prophetische Träger dieses Namens als ben, Und seine Hunde zerbeißen ihm boqer (~Rinderzüchter) und Anbauer von die Schenkel (in: Neumann, 1949, 61). Feldfrüchten bezeichnet. Er wird aber auch als noqed benannt, ist also Kain und Abel zu- Eher scheinen - wie in der Mesta, der großen gleich, und seine zuerst genannten alltäg- spanischen Transhumanz der Wollschafe - lichen Tätigkeiten lassen ihn als einen eben- die Hirtenknaben die Rolle der Hütehunde so profanen Hirten erscheinen. Aber der Be- zu spielen, aber dies dürfte - analog zur Me- griff boqer erscheint eindeutig auch in ei- sta - in erster Linie bei den Wollschafherden nem Aktionszusammenhang, der an eine der Tempel der Fall gewesen sein. Auch in rituelle Tätigkeit (Beschau von Innereien) den Beschwörungsritualen an Dumuzi wer- und an eine bestimmte Tageszeit (Morgen) den die Hirtenknaben nicht vergessen: gebunden ist: Der Prophet züchtete also sei- ne Tiere für den Tempel in Jerusalem (Jeffers, Eiskaltes Wasser und mit Röstkorn 116). Der Sprung des Begriffs in den religiö- gewürztes Bier libierst (~ den Göttern sen Bereich gelang über die Hüter der Tem- ein Getränk ausgeben) du. Für die pelherden, die wahrscheinlich über ihre pro- Hirtenknaben des Dumuzi stellst du fane Alltagsbeschäftigung hinaus auch in sa- einen Auflauf hin (in: Farber, 141). krale Aktivitäten eingebunden waren, viel- leicht sogar die Handlungen bewahrten, die Die Bezeichnung für den Hirten ist im Akka- aus der Frühzeit der Domestikation stamm- dischen naqidu. Das verwandte Wort noqed ten und wahrscheinlich als Zeremoniell kon- wird zweimal im Alten Testament verwen- zipiert waren. So erfasst die simple Überset- det und immer mit Schafzüchter, Schaf- zung von noqed als Schäfer nicht, dass der händler oder Schafhalter übersetzt. Im Ara- Hirte zum religiösen Personal eines Tempels bischen bezeichnet es eine besonders gute gehörte und quite a high social status in- Wollschafrasse (Jeffers, 111), und mit dem nehatte (Jeffers, 116): Dass der König Mesha abgeleiteten Wort naqqad bezeichnet man von Moab als noqed bezeichnet wurde (2 im Arabischen jemanden, der über diese Könige 3, 4), erweitert das semantische Feld Schafrasse wacht. In Mesopotamien war der des Wortes nur scheinbar beträchtlich, denn rabu buli der oberste Aufseher über große dass sich ein König als Hirte seines Volkes be- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 286

286 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

jubeln lässt, ist eine naheliegende metapho- von der Aneignung auf die Produktion der rische Lüge, es sei denn, er behandele sein fleischlichen Nahrungsmittel - für Pflanzen- Volk tatsächlich so wie ein Schäfer. Da Mes- produktion geht man heute sogar von einer ha dem König von Israel angeblich 100.000 bis zu 10.000 Jahre älteren Tradition aus. Das Lämmer und die Wolle von 100.000 Böcken bedeutet ziemlich unmittelbar, dass die Fol- als jährlichen Tribut schuldet, muss der Kö- ge der Domestikation von Pflanzenfressern nig von Moab tatsächlich auch (oberster eine Bewachung der Felder war, die Chef seiner) Schäfer gewesen sein. Die me- zunächst von Frauen, dann auch von Män- taphorische Qualität des Begriffs noqed als nern übernommen wurde, von kleinen Hun- Schäfermeister steht also noch frisch und al- den begleitet, wie die Natuf-Hunde nahe- lerhöchstens gleichberechtigt neben der legen: realen Bezeichnung des tatsächlichen Schä- fers. In der Entwicklung vom realen Beruf Es kommt dabei zu einer mehrfachen des Schäfers zur königlichen Metapher als und zeitweisen Arbeitsteilung zwischen Hirte des Volkes (> III) muss der Schafleber- Feldwachen, Hirten und Jägern, sowie beschauer das Zwischenglied gewesen sein: zwischen Hirten, Bauern und Jägern. Noch Nebukadnezar z.B. gab sich der Be- Die Größe der Gemeinschaften steigt schau von Schaflebern höchstpersönlich hin. auf 150 bis 200 je Dorf (Salonen, 9). Daraus könnte man mit Jeffers (115) ablei- ten, dass der König als oberster Schafleber- Die oft angenommene geschlechtsspezi- beschauer auch der oberste Schafzüchter fische Arbeitsteilung (Männer jagen, fi- seines Reichs war, der Schafe züchterisch se- schen, verteidigen das „Revier“ und betäti- lektierte - für die Weissagung der Zukunft. gen sich künstlerisch, während Frauen am Der Beginn der Hirtenprofessionalisierung heimischen Herd die Kinder aufziehen und geht einher mit den Spezialisierungen in der nebenbei ein paar Pflanzen sammeln), dürf- frisch entdeckten Metallurgie, in der Verfei- te eher den Klischees des 19. und 20. Jahr- nerung der Keramik, in der Bewässerungs- hunderts entsprechen als der paläo- und technik und weiteren davon betroffenen ge- mesolithischen Wirklichkeit, wie ich ja schon sellschaftlichen Bereichen: Das bewirkt den am Wandlungscharakter der Frau(engrup- Anfang ungleicher Kontrolle über die pe) (> I) mit den entsprechenden Konse- erwirtschafteten Güter und endet in einer quenzen kynologischer und gesellschaftlich- patriarchal hierarchisierten Gesellschaft, in spiritueller Art darstellte. Erst die Umstel- der für rein matriarchale Kulte zunächst der lung auf Vorsorge- und dann Profitwirt- Platz knapp wird und die sich dann, beson- schaft - natürlich nur in Wechselwirkung mit ders in den existenziell gefährdeteren Grup- zahlreichen weiteren Faktoren - bewirkte ei- pen mit Fernweidewirtschaft, in eine Hir- nen bis an die Grundlagen der Gesellschaft tenkriegergesellschaft verwandelt, die sich reichenden Prozess, der sich verzögert in den in einem ebenso kriegerischen und männli- Mythen niederschlug und von ihnen wie- chen Gott spiegelte, um sich vor sich selbst derum befördert wurde: und anderen ideologisch zu überhöhen - Is- rael bedeutet: El streitet. El ist zunächst so Die Kulturleistungen ... - wie die Kulti- etwas wie das Mana, wird dann aber immer vierung von Pflanzen und Domestizie- mehr personifiziert bis hin zum männlichen, rung von Herdenvieh, Lagerung und aber dennoch asexuellen Gott. So führt die Konservierung von Vorräten, neues Neolithisierung und besonders die Nomadi- Ackergerät und Webstühle - wurden als sierung zu einer ganz bestimmten Entfal- Herabreichungen mythischer Ahnen tung des Bewusstseins. Rekapitulieren wir: erfahren. Alle Handlungen der Men- Ungefähr um -9.000 begann im Nahen schen wurden einer mythischen Ahnen- Osten die Umstellung der Wirtschaftsweise gestalt einverleibt (Mahlstedt, 39). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 287

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Mit der zunehmenden Dominanz des Man- vorzugsweise Wildschafe und -ziegen, spä- nes als Hirte, der militante Fernweidewirt- ter zogen sie Wildschweine und -rinder vor, schaft (~ „Nomadismus“) betreibt, müssen die wohl erst weiter entfernt vom Dorf ihre die männlichen Ahnen in den Vordergrund, Weidegründe hatten. Wildschweine gibt es während Frau und Hund als Symbolfiguren noch heute südwestlich der Siedlung, Wild- in den Hintergrund rücken - deshalb wollte ziegen streifen noch heute in den ersten und musste man wohl vergessen, dass Ketten des Taurus umher und das Wildschaf, das in großen Herden in der Region vorkam, die ältesten Jagd- und auch Haustiere wurde erst im späten 19. Jahrhundert aus- der vorderasiatischen Menschen ... Zie- gerottet. Wenig Anreize also, vor 8.500 Jah- gen, Schafe, Schweine, Bären und Wölfe ren in dieser Gegend mit der neolithischen waren. Man beachte, dass Bären und Wirtschaftsweise zu beginnen, die man im Schweine „jägerspielerisch“ von Frauen relativ nahen Çatal Hüyük schon erfolgreich gesäugt wurden ... Man kann also ausprobierte und im benachbarten Zawi behaupten, dass diese Tiere: Ziege, Chemi Shanidar im Irak (> 31: Karte) schon Schaf, Schwein, Bär und Wolf zusam- 3.000 Jahre vor Suberde praktizierte. Das men mit dem Menschen unsere Kultur frühe Aussterben von Wildschaf und -ziege in ihren Anfangsstufen geschaffen in der nächsten Umgebung des Dorfs und haben! der Wechsel von diesem kleinen Jagdobjekt zum Wildrind bei gleichzeitiger Beibehal- stellt Salonen (10) fest, und er hätte noch tung des Wohnorts stellte die Ausgräber vor den besonderen Beitrag der Frau und des Verständnisprobleme: Wäre es nicht klüger Hundes an der Schaffung unserer Kultur gewesen, den Ort aufzugeben und dort neu hervorheben können, was ich für ihn hier zu siedeln, wo das Hauptjagdwild sich auf- nachholen will: Der Hund ist während des hielt? Der See lieferte trotz Fischreichtum gesamten Neolithisierungsvorgangs in einen kaum nennenswerten Beitrag zum West-Asien präsent (> 260: Karte), so z.B. im Speiseplan und mithin auch kein Argument meso- und proto-neolithischen Cayönü zum Bleiben. Da von den verzehrten Wild- Tepesi in der südöstlichen Türkei: In der rindern wesentliche Knochen nicht im Dorf untersten Schicht fand man gefunden wurden, hat man von einem ent- fernten Tötungs- und Zerlegeplatz auszuge- neben Steinwerkzeugen, Waffen und hen - und von dem Zwang, ca. gut 200 Pfund Geräten nur Reste gesammelter Wild- Schlachtausbeute in den Fellen der erlegten pflanzen und erbeuteter Wildtiere: Tiere ins Dorf zu transportieren. Perkins Wildrind, Ziege, Schaf und Schwein. (104) denkt, dass die Jäger den Transport in Lediglich der Hund war schon domesti- Gruppen organisierten, indem sie die mit ziert (Hernegger, 372). Fleisch gefüllten Felle ins Dorf schleppten. Da the domestic dog was present, wie Per- Wieder können wir annehmen, dass der kins (98) lakonisch feststellt, läge es nahe, Hund u.a. als Jagdgehilfe verwendet wurde. die Transporttechnologie der Hidatsa (> I) Das bestätigt die Fundsituation im anato- als Lösung des Problems zu erwägen, zumals lischen Dorf Suberde: Auf einem etwa 1.000 Perkins auf nordamerikanische ethnohisto- Meter hohen Hügel, der als Halbinsel in ei- rische Parallelen zwischen Wildrind- und nen großen See hineinragt, dort, wo die Bisonjagd hinweist. Aber vor lauter Knochen Ebene von Konya ins Taurus-Gebirge über- sieht er den „Wald“ nicht und erwägt den geht, hatten Jäger um -6.500 eine sesshafte Hund als mögliches Transporttier mit keiner Siedlung westlich von Çatal Hüyük und Can Silbe; natürlich verlautet auch über die Hassan nahe dem heutigen Dorf Suberde mutmaßliche Widerristhöhe der Hunde von gegründet. Von hier aus jagten sie zunächst Suberde nichts. Eine vertane Chance! Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 288

288 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Vom Dorf zur Stadt: Fernweide- mitglieder. Erst das Zusammenleben wirtschaft als Bewusstseinsschub vieler Stämme und Völker in einem Gemeinwesen bildet den Nährboden Schon 1.000 Jahre früher als in Sub- kultureller Innovationen, da nur das erde bauten im -8. Jahrtausend Neolithiker Zusammentreffen verschieden begab- in Jericho eine etwa 2,5 ha große Wohn- ter Stämme mit unterschiedlichen tech- siedlung und leiteten so mit den Neolithi- nischen und kulturellen Fähigkeiten kern in Catal Hüyük den Urbanisierungs- zur wechselseitigen Verwertung von prozess ein, dessen vorläufiges Endergebnis Erfahrungen und Kenntnissen führen wir in der Verödung der Innenstädte be- und zu neuen Erfindungen anregen trachten können. Das war zu Beginn - wie so konnte (Hernegger, 383). oft - nicht abzusehen, im Gegenteil: Das Zusammenleben auf engem Raum von rela- Das musste geradezu zwangsläufig zu einer tiv vielen Menschen unterschiedlicher Her- Verstärkung der Philoxenie (~ Fremden- kunft führte u.a. zu einer Ablösung der freundlichkeit) führen, die paradoxer Weise Clan-Strukturen und Stammesorganisation dem doch eigentlich so revier- und terrain- durch neu zu definierende Verwandt- orientierten Hund zum Glanz- und Höhe- schafts- und Politik-Systeme, die natürlich punkt seiner Karriere als Symboltier verhalf: auch keine totemistische Basis mehr brau- Schon in den paläo- und mesolithischen Kul- chen konnten. Schlechte Karten also für die turen hatte der/die/das Fremde nicht nur et- Totem-Tiere, von denen der Hund noch die was Unheimliches, sondern auch etwas At- besten Chancen zum Überleben als Symbol- traktives, nämlich Numinoses, Göttliches. tier hatte, weil die „städtischen“ Siedlun- Das führte bei isolierten Kulturen mangels gen als Marktplätze einen Umgang ihrer wirklicher fremder Besucher zur Maskie- Bewohner mit Fremden (~ Händlern, Käu- rung und somit zur Verfremdung eigener fern) erzwangen, der das frühere Revierbe- Gruppenmitglieder in Übergangsritualen, wusstsein der Stadtbewohner so modifi- wie wir sie beispielsweise bei den Inuit ken- zierte, dass der/die/das Fremde nicht mehr nenlernten (> I) - und dass diese Rituale sehr nur, aber immer noch auch als Gefahr er- oft hündisch konnotiert waren, liegt in der kannt wurde. Natürlich zeigen die dicken Natur der Sache: Hier schon geht es nämlich Stadtmauern Jerichos, dass die grund- um die Einkörperung fremder Fähigkeiten sätzliche Ambivalenz des Fremden erhalten und deren Weitergabe auf sexuellem Weg - blieb, aber zunächst war der Fremde, v.a. und dieses Zeremoniell der Heiligen Paa- wenn er als tauschende Einzelperson in die rung in Zeiten größter materieller und see- „Stadt“ kam, eher ein Mensch mit kom- lischer Not (zu Beginn des Neuen Jahres und plementären denn mit konträren Interessen zur Mitte des Winters) ist deshalb hündisch - man konnte sich über technologische und konnotiert, weil der Hund ein Sex- und kulturelle Neuerungen austauschen, da der Fruchtbarkeitssymbol ersten Ranges war. transhumierende Viehzüchter, landläufig Daran hatte sich auch in der ersten Hälfte Nomade genannt, weiter herumkam als der des Neolithikums noch nicht viel geändert, Sesshafte, dabei sicher auch schwunghaften obwohl die Stadt-Gemeinde und der späte- Fernhandel betrieb wie Abraham, und re Stadt-Staat ein neues politisches Ord- nungsprinzip an die Stelle der alten Clan- auf diese Weise lernte der Neolithiker Strukturen setzen mussten, denen der Hund die Fremden als Menschen anzuerken- ja gerade seine Existenz als Symboltier ver- nen, mit denen ihn mehr verband als dankte. Die kulturelle Basis für den Hund als mit seinen Tieren ... Für stammesge- Symboltier bröckelte also, aber doch recht bundene Gruppen reicht die mensch- langsam, wie wir in Mesopotamien sehen liche Solidarität nur auf die Stammes- konnten (> III). Aber die neolithische Wirt- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 289

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schaftsweise allein bewirkte noch keine König wurde zum gottähnlichen Helden radikale Änderung der Mentalität: Erst der stilisiert, der die jetzt als Chaos diffamierte Schritt von der bloßen Produktionswirt- Gleichheit vor-patriarchaler Ordnungen ab- schaft zu einer Wirtschaftsweise, die nicht schafft, indem er die vormals Große Göttin nur das zum Leben Notwendige produziert, ausschließlich als negativen Elementar- sondern mehr Wert herstellt als die Produ- Charakter wahrnehmen lässt und sie zierenden selbst verbrauchen können, erst endgültig und mit ihr den Hund als ihr dieser Übergang von der „nur“ produzie- zentrales Symboltier in die Untere Welt renden Wirtschaftsweise zur Profitwirt- verbannt, wie wir an Hekate (> III) erkann- schaft bei gleichzeitiger Reduktion und ten. Diese widersprüchliche Gleichzeitigkeit schließlicher Aufgabe der potlatch-Rituale zwischen der immer intensiver werdenden (> I & > II) ließ einen neuen Bewusstseinstyp Dämonisierung des Hundes und seiner entstehen, der trotz seiner rationalen, sach- immer noch positiven Wertung im Zeremo- und zielorientierten Entscheidungsweise niell der jetzt Heiligen Hochzeit (> III) wird (Hernegger, 387) insofern dem Irrationalen auch dazu beitragen, dass mit der bröckeln- wieder mehr Raum gab, als auch er eher den positiven Sicht des Hundes auch die den von ihm initiierten Abläufen zu gehor- Heilige Hochzeit zum Auslaufmodell wird, chen als diesen von ihm in Gang gesetzten das in Mesopotamien im -1. Jahrtausend, im Prozess zu steuern scheint. Die politischen westsemitischen Bereich der Levante erst Innovationen in der bereits stratifizierten am Ende des -1. Jahrtausends sein Ende Gesellschaft führten vom Ältestenrat über findet - bis auf wenige Ausnahmen im Liba- den Priesterkönig zum weltlichen Herrscher, non und in Arabien, die bis ins 19. Jahr- dem die Mitglieder der Gesellschaft sich hundert belegt sind. Aus diesem neuen weitgehend bedingungslos unterzuordnen Bewusstsein, das „naturgemäß“ in den hatten, was ihnen schmackhaft gemacht obersten Schichten der Gesellschaft am wurde durch die Umdeutung der weltlichen stärksten ausgeprägt ist, entstehen bzw. Unterordnung in die mit ihr praktizierte werden erzeugt die Götter, die eben dieses Anerkennung eines himmlischen Herr- Bewusstsein spiegeln und bestärken, schers: Zwei verschiedene Wege, um dieses während Ziel zu erreichen, erkannten wir im frühdynastischen Ägypten wie in Mesopo- das Volk ... sich oft nur schwer mit tamien (> III). Die Menschen streben und diesen Göttern identifizieren und in schauen also in jeder Hinsicht nach „oben“ ihnen wiedererkennen kann und des- und vermögen nun, wie Hernegger (391) halb seine Zuflucht nimmt bei den meint, früheren Kult-Tieren und Geistern, durch die sein Identitätsbedürfnis zum erstenmal im Rahmen der um- besser gestillt wird (Hernegger, 395). fassenderen Kollektiv-Identität nicht nur eine personale, sondern auch eine Diese Dichotomie wird personifiziert in der Ich-Identität ... auszubilden, die ein voll hundegestaltigen Göttin Hekate noch von entwickeltes Ich- und Selbstbewusstsein den Chaldäischen Orakeln Mesopotamiens impliziert. (> III, 511-4) bis nach Griechenland (> III, 470- 2) und in Israel schon vom Goldenen Kalb, Die Orientierung nach „oben“ favorisierte einem alten Sonnen- und Himmels-Tier, so- natürlich auf Dauer die schon vorher wie dem Kult der Großen Göttin. Dennoch bekannten himmlischen Symbol-Tiere und hatte sich im Zuge der Neolithisierung auch sorgte für eine gleichzeitige Dämonisierung das Bewusstsein der unteren Schichten ver- der erdorientierten, chthonisch konnotier- ändert, besonders im Verhältnis des Men- ten Tiere, Geister, Gottheiten. Der tote schen zum Tier: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 290

290 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

Die Kluft zwischen Mensch und Tier kon der semitischen Sprachen: Der von mir wurde immer größer: der Mensch stand „Korridor“ genannte Bereich ist das Haupt- weit über dem Animalischen, er be- verbreitungsgebiet der semitischen Sprach- gann, sich des mit dem Tier Gemeinsa- familie, und eine der frühesten schriftlich men zu schämen und war bestrebt, das dokumentierten Sprachen ist das Akka- Tierische abzulegen und natürlich auch dische, das als Verkehrssprache um -2.000 von seinem Gegenbild, den überir- im Zweistromland das nicht-semitische Su- dischen Geistern, zu entfernen ... Nach- merisch ablöst. Im Akkadischen Handwör- dem dieser Prozess der Absonderung terbuch finden wir nicht nur unter dem des Menschen vom Tier in Gang ge- Stichwort kalbu(m) ~ Hund interessante Ein- kommen war, wurden immer neue tie- tragungen, sondern kalb- als Hauptkompo- rische und menschliche Merkmale der nente bezeichnet als kalbanu oder kal-ba(a- Unterscheidung gefunden, die sich nun /an)-nu den Hundsstrauch, der im Sume- nicht mehr auf den Körper des Tieres rischen als gis(mas-)hus samasduqu (~ Rot- beschränkten, sondern auf das anima- kreuz - Haus des Samas) bezeichnet wird: lische Verhalten ausgedehnt wurden. Samas bzw. Schamasch ist der Sonnengott Bei den Griechen war das Animalische der Sumerer (> III, 99: Abb. 264). In den schließlich die Negation des Mensch- astronomisch-astrologischen Texten der Su- seins (Hernegger, 398). merer bezeichnet der Hund das Sternbild des Löwen und erscheint als ur-ME.ME/dUTU Nicht für alle Griechen trifft diese Beobach- ~ Sonnenhund: Wenn also ein Strauch tung exakt zu, da besonders die Kyniker (> durch seine sumerische Benennung als V), aber erstaunlicher Weise auch Platon (> Wohnung des Sonnengottes konzipiert ist, V) sich der einseitigen Orientierung nach dann entspricht diesem hündisch konno- oben und der Absonderung vom Tier - und tierten Strauch ein auch am Himmel dem hier besonders vom Hund - mit guten Argu- Sonnengott zugeordneter hündisch konno- menten widersetzen. Aber insgesamt ist es tierter Stern, dessen astronomische Iden- richtig, dass gerade die Griechen in einem tität im Akkadischen Handwörterbuch (425) menschlichen Verhalten, das ihnen anima- leider unklar bleibt. Unser Strauch wird also lisch vorkommt, z.B. in der Kopulation a ter- eindeutig religiös konnotiert von den Su- go die Negation des Menschseins nicht nur merern, die ihn - analog zum brennenden passiv sehen, sondern in ihrer Reaktion dar- Dornbusch als Erscheinungsform bzw. Haus auf auch aktiv praktizieren: Under-dog ma- des JHWH - als Repräsentant ihres Sonnen- kes them human, wie den Griechen die so- gottes betrachten. Wenn also auch auf ak- genannte abendländische Geistesgeschich- kadischer Seite eine religiöse Konnotation te bereitwilligst bestätigt. Doch bevor der des Hundsstrauchs nachweisbar wäre, könn- nichtgriechische Dog-Man zum Under-Dog ten wir annehmen, dass der Strauch des Griechen wird, übt der Hund als „tie- grundsätzlich religiös konnotiert war, auch risches“ Vorbild großen Einfluss auf die Be- als Strauch des Hunde(gott)s bei den Akka- wusstseinsentfaltung des Dog-Man aus: Die dern wie als Strauch des Sonnengottes bei Auswirkungen seines wahrscheinlich ersten den Sumerern. Nun ist über einen Hunde- Haustiers auf die Bewusstseinsentfaltung gott kein unmittelbares akkadisches Zeug- der Anatomisch Modernen Menschen sind nis überliefert, aber da der Hundsstrauch als jedenfalls im Fruchtbaren Halbmond be- Frucht und Droge verwendet wird, wie das sonders intensiv, und sie sind deshalb auch Akkadische Handwörterbuch unter dem gut rekonstruierbar (> III), wenn wir auch Stichwort kalbanu bzw. ka/ulbannu ~ mit Verzerrungen und Verschüttungen zu Hundsstrauch informiert, können wir auch rechnen haben - Reflexe dieses positiven von einem schamanistischen, d.h. religiösen Einflusses findet man schon gleich im Lexi- Gebrauch dieser Strauchfrucht ausgehen. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 291

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Und: Der Gebrauch und damit die Anbe- Nachbarn der Sumerer, ebenfalls religiös tung des Hundsstrauchs bei den Akkadern konnotiert, sehr wahrscheinlich über den hat eine präzise Parallele im holzgebären- Hundsstrauch als Heilpflanze (~ Heilgöttin ~ den Hund (Pausanias 10, 38, 1) der italischen Gula > 467-79), aber vermutlich auch als Hal- Lokrer (> III, 10, 20, 102, 156, 411, 524 & > V), luzinogen. So könnten wir diese erschlosse- die analog zu den Hebräern und ihrem ne Information verschränken mit dem Fels- brennenden Dornbusch den Hundsstrauch bild aus Matalem-Amazar (Tassili/Algerien), als ihren Wegweiser in Raum und Zeit an- das ein Mischwesen darstellt aus einer beten bzw. ihn als Repräsentant ihrer Gott- hundeschnauzenähnlichen Tierkopfmaske heit anerkennen; und etwas weniger präzi- und einem Menschenkörper, der mit hallu- se Parallelen finden wir in der europäischen zinogenen Pilzen übersät ist (> II, 210). In Antike in Gestalt der Weissagung (~ Weg- beiden Fällen erscheint der Gebrauch von weisung in die Zukunft) aus der entblößten Halluzinogenen als mit dem Hund assoziiert Leber eines in zwei Hälften zerlegten Hun- - Hundsköpfige im Messak sammeln Elefan- des (so zu Füßen des Standbilds von Thrasy- tenkot als Dünger für halluzinogene Pflan- bul), in der zen (> II, 224: Abb. 88). Man mag das als Zu- fall oder als obsessive Perspektive eines Ky- eine sehr bezeichnende Rückkehr des nosophen abtun, aber es gibt die ernstzu- Jamiden (~ Thrasybul; athenischer Poli- nehmende Theorie, dass es eine kulturelle tiker um -400) zu dem weiblich-tellu- Großregion in Form einer Girlande gab von rischen Prinzip des Melampus der grünen Sahara Nord-Afrikas über die „asiatische Sahara“ Arabiens bis nach Indi- zu erkennen ist, wie schon Bachofen (Ed. en (> II, 146); diese Theorie wird von zwei Bernouilli II, 55) meint, der bedeutende, völlig unabhängigen Schulen mit unabhän- zwar nicht deckungsgleiche, aber eindeutig gigen Argumenten vertreten: Einmal von hündisch konnotierte Parallelen aus den Frobenius und seinen Nachfolgern, und verschiedensten Regionen der Antike zi- dann von Camps, Frankfort und anderen Ar- tiert. Der Hundsstrauch als gemeinsamer chäologen. Wir sahen bereits im 2. Band der kultischer Nenner zwischen scheinbar so Kynosophischen Zeitreise, dass die Institu- weit entfernten Völkern wie den italischen tion des rituellen Königsmordes von Afrika Lokrern und den akkadischen Semiten ver- bis nach Indien mit aktiver Beteiligung des weist m.E. auf eine beiden gemeinsame vor- „Hundes“ nachweisbar ist, womit ein zwei- neolithische Quelle, auf die auch der bren- tes kynosophisch relevantes Indiz zur Gir- nende Dornbusch der Hebräer zurückzu- landen-Theorie hinzukommt; und die hün- führen ist: Es ist der Baumkult, den wir disch konnotierte Heilige Hochzeit erkann- schon in Ost-Asien (> I) und in Afrika (> II) als ten wir im 3. Band (> III) als Weiterentwick- mit dem Hundekult verwandt erkannten. Es lung der Sakralen Promiskuität, die ich im 1. wäre gerade für die Analyse der vor-mono- und 2. Band bereits als hündisch konnotiert theistischen Epoche der Hebräer von größ- nachgewiesen habe. Gerade die Heilige tem Interesse, ihren brennenden Dornbusch Hochzeit ist besonders intensiv nachweisbar botanisch eindeutig zu identifizieren: Es im Bereich jener kulturellen Girlande von würde mich nicht wundern, wenn auch bei Nord-Afrika bis Indien (für Indien lese man ihnen dieses vor-monotheistische Relikt Heinz Hungers Darstellungen). Im 3. Band hündisch konnotiert gewesen wäre. Doch weise ich die hündische Konnotation in drei fernab dieser Spekulation schließt sich der wesentlichen kulturellen und gesellschaft- Kreis von den Akkadern über die italischen lichen Bereichen der Girlande nach: Die Lokrer zur nachgewiesenen religiösen hündisch konnotierte Monarchie als Spät- Konnotation des Hundes bei den Sumerern: form einer ehemals akephal strukturierten Der Hund ist bei den frühen Semiten, den Gesellschaft bzw. als Frühform einer hierar- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 292

292 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

chisch strukturierten Gesellschaft, die hün- dass das Fell des Hundes in der Magie ver- disch konnotierte Heilige Hochzeit als Spät- wendet wurde. Auch dieses Schlaglicht kön- form der Sakralen Promiskuität und die nen wir kynosophisch in den Kontext des göttliche Erleuchtung der Menschen durch Hunde-Protoms (> 607-8 & > I & > II) einbet- Halluzinogene, die sie in irgendeiner Weise ten, dessen Träger die je nach Bedarf er- dem Hund verdanken. Das Akkadische wünschten Fähigkeiten des Hundes durch Handwörterbuch (424) erwähnt leider et- die Bekleidung mit einem Hundefell auf sich was unpräzis eine Textquelle (CT 27, 14, 5), überträgt. Andere Kurzeintragungen im in der von einer Frau die Rede ist, die einen Akkadischen Handwörterbuch verweisen Hund gebiert. Dieser winzige Hinweis könn- (leider etwas knapp) auf eine magische Ver- te ein Indiz für einen Hundestammvater- wendung des Hundekots und der Hunde- glauben in Clans oder Stämmen der frühen milch - Ende und Anfang eines matriarcha- Semiten sein, und ich werde in der Tat für len und hündisch konnotierten Uroboros, die Semiten der Arabischen Halbinsel in de- wie er in Hekate-Artemis Bild geworden ist ren Norden wie in deren Süden je einen (> III, 271: Abb. 51). Wenn Bachofen schon Stamm nachweisen, der sich nach seinem vor 150 Jahren erkennt: Totemtier keleb/kaleb ~ Hund nennt; beide Stämme gehören zu den wichtigsten, mäch- ⌲␪␯␱␥␣␮␫␣ (~ Kynogamia ~ hündische tigsten und ältesten Stämmen der Semiten Hochzeit) eröffnet und schließt den auf der Arabischen Halbinsel. Auch diese Kreislauf der antiken Welt (Bachofen, Tatsache ist ein weiterer Baustein für eine Ed. Bernouilli I, 422), kynosophisch unterlegte Girlanden-Theorie von der Grünen Sahara über das vordynas- dann können wir für den westasiatischen tische Ägypten und die Arabische Halbinsel „Korridor“ der vor-monotheistischen Epo- bis nach Indien. Die Kalebiter (~ die Hun- che Gleiches behaupten - wenn auch mit deähnlichen) galten auch als hebräischer quantitativ und qualitativ geringeren Indi- Stamm, der den hebräischen Heldensagen zien: Der Harpokratianismus, den ich als zufolge maßgeblich an der Eroberung Ka- spätesten Kult der hundegestaltigen Göttin naans für den Zwölfstämmeverbund betei- Hekate vorstellte (> III, 499-502) und der sei- ligt war (> 295-416). Und das Akkadische ne Wurzeln im ägyptischen Alexandria, Handwörterbuch eröffnet uns schlaglicht- aber auch in den Chaldäischen Orakeln hat, artig weitere Einblicke in die wahrscheinlich berührt mit diesen orientalischen Wurzeln ebenfalls hündische Konnotiertheit der die Lehre des Griechen Pythagoras ebenso frühsemitischen Gesellschaft: Eine weitere wie die Gemeinschaft der Güter und Frauen Textquelle belegt den Wunsch, dass Hunde und die Mischung der Brüder und Schwe- keine Leichen fressen sollen. Dieser Wunsch stern in Platons Staat (5, 461) aufs Eindeu- kann nur von Ackerbauern ausgehen, die tigste, wie auch Bachofen (in: Bernouilli I, ihre Leichen in der Erde bestatten, während 419-20) halbnomadische Viehhirten die Erde nicht verunreinigen wollen und deshalb z.B. im die Vergleichung des weiblichen Lebens Iran Leichen in Türmen des Schweigens aus- mit dem der Hunde an die uralte, im legten, wo sie von Vögeln und Hunden ex- Harpokratianismus und in der or- karniert wurden (> V). Der Wunsch nach Lei- phischen Gnosis der Templer (1118 bis chenabstinenz der Hunde deutet auch ei- 1312) wiederkehrende Mutterbedeu- nen Konflikt an zwischen sesshaften Acker- tung des ⌲␸␯(~ Hund) erinnert ... Der bauern und halbnomadischen Viehhirten, Harpokratianismus ist sich seines dessen klassische Ausprägung in der Sage Zusammenhangs mit dem Urzustande von Kain und Abel vorliegt. Weiter erfahren der asiatischen Welt bewusst und wir aus dem Akkadischen Handwörterbuch, unternimmt die Wiederherstellung des- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 293

NEOLITHISIERUNG UND BEWUSSTSEINSENTFALTUNG 293

selben mit jener Entschlossenheit, wel- und seiner hetärischen Lust zuletzt che in der Ahnung des dem alten Glau- sicher den Sieg behaupten wird (Bach- ben drohenden Untergangs ihren ofen, ed. Bernouilli I, 421-22). Grund hat. Dem Christentum und seiner geistigen Paternität wird das mütter- Der Sumpfkot ist für Bachofen eine Meta- liche Sumpfprinzip und der tellurische pher des matriarchalen Uroboros, und das Hetärismus entgegengestellt Bild, das Kurzeintragungen im Akkadischen Handwörterbuch von einer magischen Ver- Diesen Urzustand nicht nur der asiatischen wendung des Hundekots und der Hunde- Welt zu rekonstruieren auf kynosophischem milch andeutet, ist eine, wenn nicht die Weg, das dürfte Bachofen gefallen haben. Variante dieses matriarchalen und hündisch Und wenn diese asiatische Welt sich im Har- konnotierten Uroboros: Hundekot habe ich pokratianismus und im Templerorden des als Heilmittel und als Fruchtbarkeitsstimu- 13. Jahrhunderts ein letztes Mal aufbäumt lanz schon im 1. Band der Kynosophischen gegen das paternale Prinzip des monotheis- Zeitreise bei den Inuit u.a. nachgewiesen; tischen Christentums, so erleben wir im Be- im Schwester-Bruder-Drama der Inuit zeigt reich zwischen Sinai und Libanon im -2. und die Schwester - empört über den Inzest - -1. Jahrtausend ein erstes Aufbäumen der dem als Weißer Hund „maskierten“ Bruder frühesten monotheistischen Propheten ge- ihre Brust: Wenn Bruder und Schwester gen das mütterliche Sumpfprinzip (man „Hunde“ sind, dann entquillt auf metapho- denke an die Schilfbündel der Göttin Inan- rischer Ebene der Schwesterbrust Hunde- na) und gegen den Hetärismus im Zeichen milch, so wie der Bruder sich mit weißem des Hundes, wie er noch bezeugt ist in der Hundekot zum Weißen Hund stilisiert, um die Schwester verführen zu können. Dass phallischen, in tiefster Sinnlichkeit die magische Verwendung des Hundekots gedachten Grundlage des gnostisch- nahezu deckungsgleich ist mit dem Verbrei- templerischen Mysteriums, und für tungsgebiet der Hundemythologie über- halbchristliche Völkerschaften des Liba- haupt, also fast weltweit, sogar noch bei non (~ Drusen u.a.) ... die Fortdauer den Hundehassern der Antike, habe ich aphroditischer Verehrung der weib- bereits mehrfach nachgewiesen. Und dass lichen ⌲␶⑀ ␨ (~ Schoß ~ Hündin) bis auf noch in der historischen Zeit Mesopota- den heutigen Tag (~ 1860). miens Hundestatuen aus Gold unter Tem- peltoren begraben wurden (> 646-55), be- Der „fortschrittlich-patriarchale“ Bachofen weist nur die Kontinuität der Hundemytho- bedauert um 1860 ausdrücklich die Domi- logie auch bei den semitischen Völkern, die nanz des Körperlichen in der von ihm weib- aus „vorgeschichtlichen“, d.h. aus nicht- lich-materielles Prinzip genannten pytha- schriftlichen Epochen über das frühsemi- goräischen Weltkonzeption, wenn er im tische (~ akkadische) Lexikon erschließbar und belegt ist, wie wir gerade sehen konn- Pythagorismus den vollsten, welthisto- ten. Auch die Bezeichnung des Sternbilds risch-merkwürdigen Beweis erkennt, Herkules als mulka/kal-bu, was, wenn ich dass bei einer solchen Mischung des mich nicht irre, König Hund oder Großer Physischen und Metaphysischen, wie sie Hund bedeutet, belegt die hundemytholo- die lunarisch-mathematische Mittel- gische Kontinuität der vorschriftlichen stufe des orphisch-pythagorischen semitischen Kulturen. Der Hund ist im Him- Naturkults in sich trug, das Schwer- mel und auf Erden, aber auch im Wasser gewicht der Materie, des Sumpfkotes und unter der Erde in ihm wesensgleichen (~ als der das Leben erzeugenden und deshalb als „zoologische“ Variante des Schnittstelle zwischen Wasser und Erde) Hundes sowohl hündisch denotierten als Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 294

294 2. KAPITEL · HUND UND VIEHZÜCHTER AUF DEM WEG ZU MOSES, JESUS UND MOHAMMED

auch hündisch konnotierten Tieren präsent: armen Seelen zu betreuen, wie wir an Isch- Im Wasser lebt er als [ur-gi7]kua ~ Hundsfisch tar sehen konnten (> III). Da aber nach dem (Akkadisches Handwörterbuch, 425); als Abstieg der Göttin in die Untere Welt auf kalbum ursi ist er wörtlich der Mörserhund der Mittleren Welt die Fruchtbarkeit von und identisch mit dem Dachs, der wohl als Menschen, Tieren und Pflanzen erlischt - ein auch unter der Erde lebendes Tier die man vergleiche mit Kore/Demeter und der chthonische Seite des Hundes mit über- hündischen Hekate (> III) -, muss die in der nimmt - auch Fischotter und Biber sind als Unterwelt völlig entmachtete Göttin wie- ka-lab me-e hündisch denotiert: Die paläo- derbelebt werden. Dazu schickt der männ- mentale Zoologie Mesopotamiens ist hun- liche Hauptgott des mesopotamischen Pan- dezentrisch - auch in Ägypten erscheinen theons Boten zur Unterweltskönigin, die die Affen als Wächter des Sonnenaufgangs zwar seine Schwester ist, aber keinen Zutritt eindeutig hündisch konnotiert (> III), und so zum Olymp der anderen Götter hat. Diese kann der Hund in verschiedenen Erschei- Unterweltskönigin hat aus Verärgerung nungsformen in allen drei schamanistischen über ihre himmlischen Geschwister einen Hauptwelten präsent sein. In akkadischen Fluch ausgesprochen, dass kein einem weib- Omina und Wundererzählungen nimmt der lichen Schoß entsprungenes männliches Hund einen wesentlichen Platz ein, und sein oder weibliches Wesen je die Unterwelt ver- Fett dient als Heilmittel bzw. Droge, wie wir lassen darf. Der Götterchef trickst und kre- dies bereits von dem nach dem Hund be- iert nun ein Wesen, mit dem die scheinbar nannten Hundsstrauch kennen. Allein diese alles umfassende Definition des Fluchs aus- wenigen und dürren Eintragungen im Ak- gehebelt wird (> III): Dieses Wesen, das kadischen Handwörterbuch unter dem Überleben bzw. Wiedergeburt der Göttin Stichwort kalbu(m) deuten den hohen kul- garantiert, wird in den frühesten schrift- turellen Stellenwert des Hundes bei den se- lichen Dokumentationen des sumerischen mitischen Akkadern, aber auch bei den Mythos als Hündin bezeichnet. Und nur mit nicht-semitischen Sumerern in deren vor- diesem zur ägyptischen Sothis-Hündin (> III) schriftlichen Phasen mehr als nur undeutlich und zur griechisch-anatolischen Hekate an. Schon mit Beginn der ersten schrift- analogen Wesen wird die unerlässliche Wie- lichen Dokumentation religiöser Vor- dergeburt der mesopotamischen Göttin, stellungen in Sumer um -3.000 wird der d.h. ihre und dann die Wiederkehr ihres Hund als Symboltier an der Stelle genannt, Sohngeliebten aus der Unterwelt, erst mög- an der der zentrale Wandlungskult stattfin- lich. Wir sehen, wenn auch schon reichlich det, nämlich die Wandlung definitiv Ge- verzerrt, dass der frühesten Form des Welt- storbener in potenzielle Wiederauferste- erneuerungs-Zeremoniells im vordynas- hungskandidaten. Diese Mär vom Eiapo- tischen Ägypten wie im frühdynastischen peia des Himmels ist zunächst demokratisch Mesopotamien weitgehend homologe, verfasst, da sie für alle Seelen gilt, dann wird hündisch konnotierte Modelle zu Grunde sie reduziert auf die unterprivilegierten See- lagen. Von dieser Basis haben sich einige se- len, die im Diesseits zu kurz kommen und mitische Stämme schon relativ weit ent- mit dem Paradies im Jenseits vertröstet wer- fernt, wenn sie im Westen des Fruchtbaren den, um schließlich individualisiert in einem Halbmonds als Eroberer des „Kulturlandes“ männlichen Gott gebündelt zu werden, der die Bühne der Weltgeschichte betreten. Zu noch nicht Jesus Christus, sondern Tammuz ihnen gehört noch ein Stamm, der sich ex- heißt. Befreit werden die Seelen der Unter- plizit nach dem Hund benennt, aber die un- privilegierten aus der Unterwelt auch noch terschwellige Canophobie ist bereits so fort- nicht von einer männlichen, sondern von ei- geschritten, dass gerade die Krieger dieses ner weiblichen Gottheit, die ihre Unsterb- Stamms, die Kalebiter, als nützliche Idioten lichkeit aufzugeben bereit ist, um diese missbraucht und totgeschwiegen werden. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 295

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 295

3. Kaleb - Dog of God oder: Der 13. Stamm Israels - vom Dog-Man zum Under-Dog

Wie extrem negativ der Hund be- auf einen wertenden Gegensatz der Berufe wertet wurde und wird in der ersten hindeutet: Der sesshafte Ackerbauer Kain monotheistischen Religion der Menschheit, hat sich gegen den teilnomadisierenden deutete ich bereits im 1. Band der Kyno- Hirten Abel wirtschaftliche Vorteile ver- sophischen Zeitreise an: Einige Stellen der schafft, die aber aus Gottes Perspektive Hebräischen Bibel (vulgo: Altes Testament), nicht akzeptabel sind - womit Kain absolut die den Hund betreffen, habe ich schon im nicht gerechnet hat: Beide bringen ihm ver- Zusammenhang mit dem Pariah-Hund ge- mutlich eine Erstlingsgabe, also kein ei- nannt (> I, 21). War diese ablehnende Hal- gentliches Opfer, dar (Jeremias, 1930, 116), tung noch teilweise nachvollziehbar, so be- und zwar Kain von seinen Feldfrüchten und darf die grundsätzlich negative Wertung Abel von seiner Herde, und wie wir bereits des Hundes, wie sie erstmals bei den He- wissen, gibt man dem Höchsten Wesen als bräern deutlich wird, doch einer sehr ein- dem Ehrengast des Rituals das, was dieses gehenden Analyse - und dabei werden wir Wesen nicht hat. Im biblischen Kontext hat erkennen, dass unsere Beschäftigung mit sich das Prinzip des komplementären Schen- der Großen Göttin der Schlüssel zum Pro- kens aber wohl schon verschoben zu einer blem der hebräischen Hunde-Aversion ist. Verpflichtung, das Beste abzugeben, das Waren die Hebräer auch keine modernen man hat (Abrahams Sohnesopfer ist davon Viehzüchter-Nomaden - die entstanden erst deutlichster Ausdruck). Warum Gott Kains später mit Einführung des Kamels - so kann Erstlingsgabe nicht akzeptiert, bleibt un- man sie doch auch nicht als sesshafte Pflan- klar; woran die beiden erkennen, dass eine zer bezeichnen: Sie waren hauptsächlich Gabe angenommen wird, die andere aber Hirten, die mehr und mehr Fernweidewirt- nicht, bleibt ebenso dunkel. Man kann mit schaft betreiben mussten. Die frühe Ge- Jeremias (1930, 116, FN 5) andere Bibelstel- schichte von Kain und Abel zeigt die Träger len heranziehen, die den Geruch des Brand- beider Komponenten der Subsistenz - hier opfers zu einer wesentlichen Komponente Ackerbauer, dort Hirte - schon in klarer Ar- machen: Gott liebt süßen Geruch. Dies kann beitsteilung: Dabei ist bemerkenswert, dass ein Hinweis auf Menschenopfer sein, und die sumerische, gut 1.000 Jahre ältere Vor- Lammfleisch riecht zwar irgendwie auch an- lage der Geschichte noch zwei weibliche ders, aber verbranntes Fleisch, gleich aus Gottheiten für Ackerbau und Viehzucht welcher Quelle, hat einen kleinsten, ge- nennt: Lahar und Ashnan (Kramer, xviii). meinsamen Geruchsnenner, den pflanz- Dass die Hirten nicht zusammen mit dem liches Material nicht haben kann: Dieser Hund stigmatisiert werden, ohne den sie ja Gott war offensichtlich kein Vegetarier. nicht auskommen können, wird an dieser Lässt man diese etwas anrüchige Überle- reichlich dunklen Geschichte von Abel und gung lieber bei Seite, bleibt eigentlich nur Kain (Genesis 4, 3ff.), in der mehr ver- die Annahme, dass die Hörer der Geschich- schwiegen als erzählt wird, immerhin deut- te parteilich sind und dass es für sie a priori lich, auch wenn Kains höhnisch-rhetorische klar ist, dass der Hirte die besseren Karten Frage Bin ich etwa meines Bruders Hirte? hat. Die Adressaten der Geschichte sind Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 296

296 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

wahrscheinlich nomadisierende Hirten und ling (Abel), der für die Menschen (Kain) ge- nicht sesshafte Ackerbauern. Hier wird im opfert wird. Statt einer Erstlingsgabe haben Grunde ein ganzer Berufsstand diskrimi- wir es vielleicht mit einer moralisch defor- niert: Die religiöse Bedeutung der Erzäh- mierten Ausgabe des jährlichen Mensche- lung liegt ja wohl darin, dass sie nopfers zu tun. Wie dem auch sei: Die Hirten können sich mit dieser Geschichte identifi- in eindringlicher Weise den Fluch der zieren, die Ackerbauern nicht. Die Hunde Sünde vor Augen führt, insbesondere der Hirten treten aber nicht in Erscheinung, den Fluch des Mordes, den Gott am jedenfalls nicht als Hunde der Hirten; viel- Mörder rächt (Jeremias, 1930, 117). mehr werden sie ihrer konkret-sinnlichen Er- scheinung beraubt und einer lang zurück- Nun ist die Sünde Moses zufolge konzipiert liegenden mythischen Phase zugeordnet, in als ein rôbes vor der Innentür des Men- der sie Begleittiere der Erde bzw. der Erd- schen. Rôbes ist in anderen Texten ein râbi- göttin sind, und da diese weiblich-sündigen su ~ ein Wächter, auch ein gefürchteter Dä- Geschlechts ist, sind ihre Hunde die Dämo- mon. Die Sünde ist folglich - so Jeremias nen der Sünde, die den gottesfürchtigen (1930, 117) - ein dämonischer “Hüter der Menschen überall belauern, jetzt Rôbes bzw. Schwelle”. Hüter an Schwellen kennen wir Rabisu genannt. Dafür spricht auch, dass die bereits, manchmal, u.v.a. zu Beginn religiö- Geschichte von Kain und Abel keine bib- ser Überlieferungen, sind es mehr oder we- lische Erfindung ist - in sumerischen Texten niger gutmütige, später auch fürchterliche wird erzählt von einem Konflikt zwischen Hunde, manchmal schon Dämonen. Hier ist dem Hirten Dumuzi (> III) und einem Bauern, der Hüter der Schwelle schon ein sehr ab- da beide um die Göttin Inanna werben. straktes Gebilde, das als Sünde überall da Helck (c, 80) sieht in diesem Erzählmuster lauert, wo der Mensch aus sich herauszuge- ein Beispiel für hen droht. Das Blut des ermordeten Bruders hat die Erde mit aufgerissenem Rachen ver- die zahlreichen Texte der Auseinander- schlungen (Genesis 4, 9-11: In der geglätte- setzungsliteratur unter der Frage: „Wer ten Einheitsübersetzung hat der Ackerbo- ist nützlicher?“ den nur seinen Mund aufgesperrt): Die ver- schlingende Erde ist das snatching mouth (> Nur der an Inannas Stelle gerückte männ- 500) der Totenwelt, in Jesaja 5, 14 heißt es: liche Gott ist also eine biblische Neuerung, während die übrigen Komponenten der Ge- Darum sperrt die Unterwelt ihren Rachen schichte frühneolithischer Natur sein dürf- auf, maßlos weit reißt sie ihr Maul auf. ten, die in Sumer unter dem Namen Dumu- zi (~ rechtes Kind) subsumiert wurden, wo- Das Todessymbol der Erde ist der Drache mit eine Mutter impliziert wird, die Helck (wie in Numeri 16, 30-2 und noch im Chris- aber leugnen möchte, da er den „jungfräu- tentum; > III, 185: Abb. 169). Das Verschlin- lichen“ Aspekt der Göttin im biologischen gungsmotiv des aufgerissenen Drachen- Sinn absolut setzen will: Dumuzi ist in Helcks schlunds führt uns an der Oberfläche zum Perspektive aber völlig zu Recht, auch wenn Hund bzw. Wolf, tiefenpsychologisch zur Helck die tiefenpsychologische Identität uroborischen Muttergöttin (> 528-33), die von Sohn einerseits und Geliebtem sowie hier fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt Wi- Bruder der Göttin andererseits verkennt, derpart des angeblich geistvollen Vater- gottes ist - aber einige Kennzeichen sind die urtümliche Kultfigur des geschädig- doch erhalten geblieben trotz aller Ver- ten Liebhabers der Großen Göttin, dar- dampfung der konkret-sinnlichen Einzelhei- gestellt von einem ihr zugeführten ten: Verschlingung, Hund, göttlicher Zwil- Jüngling, den sie umarmte und dann Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 297

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 297

Links: Eines der ersten Gesichter aus der Frühgeschichte des Anatomisch Modernen Menschen: Die in Elfenbein geschnitzte Dame von Brassempouy (Höhe: 36,5 mm) in den französischen Pyrenäen ist der Prototyp einer Serie von Frauenfiguren, die selbst in der Frisur (> vgl. 311) von den Pyrenäen im Westen bis nach Mal´ta in Sibirien im Osten und in Anatolien, Mesopotamien, Jordanien (und zwar in ´Ain Ghazal, wo der füllige Typ der schwangeren Mutter(göttin) und der schlanke Typ der „jungfräulichen“ Göttin nachgewiesen ist > Rollefson, 1983, Tafel II, 3),in Ägypten und in Nubien im Süden und vom Paläolithikum bis ins Neolithikum hinein nachweisbar sind; in Brassem- pouy ist neben dem schlanken ebenfalls der füllige Typ vertreten, den in Österreich die Venus von Willendorf (rechts; > 65: Karte) repräsentiert. In: Delporte/Clottes, 419 & Holdermann, Tafel 11 (links).

vernichtete. Diese Gestalt haben wir in Die Zerstückelung des jungen Hirten durch dem „Gott“ zu sehen, der aus dem seine Hunde wiederholt das Erlebnis des Urerlebnis vom jugendlichen Hirten Schamanen auf seinem Bittgang zur Schutz- entstanden war, der von einem wilden gottheit der Tiere: Der die Tiere bändigen- Tier umgebracht wurde (Helck c, 79). de Held auf den frühen Siegeln geht, wie Helck (c, 87, FN 17) meint, in irgendeiner Helck (C, 79) hat weiterhin Recht, wenn er Weise auf die Vorstellung vom Hirten Du- die Tötung von Dumuzi/Abel durch ein wil- muzi zurück, und wir brauchen diese Chro- des Tier, dann durch die Hunde des Hirten, nologie nur umzukehren, um eine bruchlo- dann durch Kain als ein Indiz dafür ansieht, se Kontinuität vom vorneolithischen Scha- manen zum Hirten annehmen zu können. dass dieses schöpferische Urerlebnis (~ Und auch die von Helck diesmal zu Recht die Erschaffung der „literarischen“ Fi- unterstellte Filiation von der Göttin zu den gur des jungen, aber todgeweihten Ge- paläolithischen Frauenfiguren des schlan- liebten) weit in der Vorzeit gelegen ha- ken (> oben) wie des fülligen Typs (> oben ben muss, da noch die alten sozialen links) eröffnet einen geographischen Raum Verhältnisse (~ von Frau und Mann als von den Pyrenäen bis zu Mal´ta in Sibirien Schwester und Bruder) erscheinen und und ein Zeitfenster, mit dem die graue Vor- von einer „Ehe“ noch keine Rede ist. zeit Helcks auf zwei bis drei Jahrzehntau- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 298

298 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

sende quantifiziert werden kann. Der von Fruchtbarkeit und ein letzter Rest eines au- Helck (c, 16) erst für Sibirien festgestellte tonomen Sexuallebens der Frau den kurz- Zug zur Abstraktion kann auch an den fast fristigen gemeinsamen Nenner von aufstei- gesichtslosen Damen des Paläolithikums gendem Patriarchat und absteigendem Ma- nachgewiesen werden, womit die Funktion triarchat. Das gemeinsame Auftreten von der Abstraktion in der Anonymität der Frau Frauenfiguren und Steckkalendern, in de- läge, deren Individualität so getilgt wird. nen man Menstruationskalender sehen Dass die Filiation nicht nur behauptet, son- kann (Helck c, 66), birgt ebenfalls die Ambi- dern real ist, sieht man an der fast iden- valenz - frei nach Knaus/Ogino - von Emp- tischen Frisur der Damen in den Pyrenäen fängnisverhütung (~ autonomes Sexualle- wie in Mesopotamien und in der Grünen ben) und Fruchtbarkeitsplanung. Dass bei Sahara (> II, 202-4 & 228: Abb. 64.5). Die dieser Verschiebung der Bedeutung auch mandelförmigen Augen der schlanken Frau andere Komponenten des Mythos verän- von Brassempouy wiederholen sich im Ost- dert werden, und zwar nicht immer sinnvoll, mittelmeerraum des -4. Jahrtausends: Dort sieht man am hethitischen Illuyankas- sind Mythos (> V), in dem die Göttin den Men- schen tötet, der ihr Geliebter war und der charakteristisch ... der überlange Hals und ihr im Kampf gegen den Drachen Illuyankas das Gesicht mit den Schlitzaugen und der geholfen hatte (Helck c, 75): Indem die Göt- hervortretenden Nase (Helck c, 18). tin sich gegen den Drachen (~ Synthese aus Schlange und Hund; > 528-30) als vagina Auch die von Helck (c, 21) erst von der mit- dentata wendet, kämpft sie gegen sich telneolithischen Epoche an bemerkten selbst, um ihrer Fruchtbarkeit den Vorrang Frauenfiguren im „Schneidersitz“ sind vor ihrem freien Sexualleben zu verschaf- schon viel älter, wie wir ebenfalls aus der fen. Immer aber bleiben Schädigung und Grünen Sahara wissen (> II, 250-1: Die meist sogar Tötung des Geliebten (Kandau- menschliche und die hündische Variante der les, Gilgamesch, Dumuzi, Abel) nach der se- Göttin im Lotus-Sitz). Helck sieht diese Figu- xuellen Vereinigung die wesentlichen Kom- ren als Ausdruck des Wunschs nach Sex, ponenten der Handlung - noch die ab dem aber nicht nach Fruchtbarkeit. Letztere sei -1. Jahrtausend zweifelsfrei dokumentier- erst mit der Viehzucht patriarchal hinzuge- ten Priester der Göttin, die sich selbst kas- fügt worden, den freien Sex dabei immer trieren und merkwürdigerweise dennoch mehr verdrängend. Wenn auch mit Helck (c, „Hund“ genannt werden, leben die Schädi- 63) im Matriarchat die Dominanz des Se- gung als Eunuchen in Frauenkleidern (> III) xuallebens der Frau über die Fruchtbarkeit öffentlich vor: Die idäische Aphrodite straft anzunehmen ist, so kann man den Wunsch ihren Geliebten durch Lahmheit (und der nach Reproduktion doch nicht ganz aus- weniger naive Leser ahnt, dass es sich hier blenden, bestimmte er doch schon die vom um Lendenlahmheit handeln muss). Und die Schamanen erbetene Freigabe der Tiersee- Vermenschlichung der strafenden Göttin len. Zuzugeben sei, dass hier Fruchtbarkeit führt zur Erzählung von den Amazonen auf weniger auf den Menschen selbst als viel Lemnos (> II), die ihre Männer angeblich mehr auf die Fauna bezogen war. Die Hin- getötet haben. Ähnlich Vermenschlichtes wendung zur menschlichen Fruchtbarkeit wird von der assyrischen Königin Semiramis wird dann im Neolithikum immer stärker, erzählt, die ihren Liebhaber tötet, nachdem was z.B. im von Herodot (1, 131; > III, ) ge- sie mit ihm in ihrem Garten verkehrt habe schilderten babylonischen Ritual zu Ehren (Helck c, 76). Dass der Verkehr im Garten der Göttin Mylitta (~ die gebären Lassende) und nicht im Haus stattfand, ist eine getreue deutlich wird. In diesem Ritual der einmali- Reproduktion der sakralen Prostitution, die gen „Prostitution“ bilden der Wunsch nach auch nicht im Tempel, sondern, wie schon Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 299

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 299

Herodot bemerkt, im Hain des Tempels Das zeigt sich eindeutig in der akka- durchgeführt wurde (> III). Fast immer ist es dischen Fassung des Epos von Inanna- der „Fremde“ (~ der Hirte, nicht der sess- Ischtars Gang zur Unterwelt, in der hafte Bauer), der zu Schaden kommt, und beim „Tod“ der Göttin „der Bulle nicht Helck (c, 76) leitet daraus eine besondere mehr die Kuh bespringt und nicht der soziale Welt ab, Esel die Eselin, noch beschläft auf der Straße (!) der Mann das Mädchen, in der Gruppen vorhanden waren, bei sondern der Mann legt sich nieder in denen Männer und Frauen gleichbe- seiner Kammer und das Mädchen lag rechtigt nebeneinander standen, und auf seiner Seite“. Mit dem Verschwin- die ihre sexuellen Partner weitgehend den der Inanna verschwindet auch der aus anderen Gruppen wegfingen ... An sexuelle Trieb - von „Fruchtbarkeit“ dieser Stelle unserer Überlegungen ist wird nicht gesprochen (Helck c, 77). von Wichtigkeit, dass das Urerlebnis von der Frau, die die jungen Männer für Helck verwendet diese Textstelle als Argu- sich wegfängt und dann umbringt, ment gegen die Konzeption der Göttin als durch seinen nachhaltigen Eindruck auf Vegetationsgottheit, er übersieht aber, dass die Psyche der damaligen Menschen im- der Aspekt der faunistischen und anthropo- mer weiter wirksam blieb und zu einem zentrischen Fruchtbarkeit in der sexuellen Mythos wurde, in dem nun göttliche Abstinenz von Mensch und Tier zumindest Gestalten die Vorgänge weiter lebten, mitschwingt. Von der Paarung auf der auch dann, wenn die ursprünglich Straße berichtet schon Herodot (4, 180,5), dafür verantwortlichen Verhältnisse den die akkadische Fassung des Epos be- schon lange nicht mehr bestanden stätigt, wenn auch für eine andere Weltge- (Helck c, 76). gend: Sein Hinweis, die Ausees, ein Volk in „Libyen“ (> II, 310-9 & 311: Karte), vollzö- Ob dieser eine Ausgangspunkt nun tatsäch- gen Beischlaf und Promiskuität in aller Öf- lich so soziologisch fundiert war, wie Helck fentlichkeit wie die Tiere, ist immerhin bild- unterstellt, oder ob wir uns lieber ans lich in hündischer Darstellung beglaubigt (> psychologische Matriarchat der Tiefenpsy- II, 228, Fig. 64.5). Es fehlt hier bei Herodot chologie halten, ist für unsere kynosophi- wie im akkadischen Epos die Präzisierung, schen Interessen hier ein zweitrangiges Pro- ob es sich um eine sakrale Kopulation in al- blem. Dieses - wie wir wissen - schamanische ler Öffentlichkeit handelt, denn dann könn- Urerlebnis des Zerstückeltwerdens nimmt te man das Tragen von Masken ~ Teilproto- im Lauf der Zeit mythische und rituelle Ge- men annehmen und fragen, welches Tier stalt an und mündet schließlich in der neoli- Modell für die Maske stand. Leider nur sehr thischen Vorstellung einer Heiligen Hoch- indirekte Indizien sprechen auch hier in Me- zeit zwischen zwei göttlichen Mächten - sopotamien für den Hund als Modell: Du- Vorstellung im doppelten Sinn der my- muzis vorsumerischer Variante gaben die thischen Imagination und der kultischen Re- Sumerer auch den Namen Meine Mutter ist Inszenierung. Erst jetzt wird die Göttin zur der Himmelsdrache. Die vorsumerische Va- Korngöttin, der Gott zum Gewittergott, der riante des Dumuzi wurde in Kullaba bei Ur- die Erde befruchtet. Die frühneolithische uk besonders verehrt (Helck c, 78), und es Getreidegöttin als alte, mütterlich konzi- wäre zu fragen, ob erstens Kullaba etymo- pierte Gestalt degeniert später zur Korndä- logisch mit dem semitischen kaleb (~ Hund) monin, die dann endlich wieder als Hund er- verwandt ist und zweitens der Himmels- scheinen kann (> 378-85). Dazwischen liegt drache hündische Komponenten besaß, die immer wieder ein Changieren zwischen au- ihn zur mythischen Verselbständigung der tonomem Sexualleben und Fruchtbarkeit: zerreißenden und verschlingenden vagina Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 300

300 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

dentata der Göttin machen. Kain träte dann Beispiel des von der Göttin geschädigten an die Stelle des negativen Elementarcha- bzw. getöteten Liebhabers an die Stelle des rakters des Himmelsdrachen, dessen positive Lamms treten. Wie weit dieser Mythos sich Funktion der neue männliche Gott JHWH schon entfernt hat vom einfachen Initiati- übernommen hätte. Kain wäre Handlanger onszeremoniell, das wahrscheinlich einmal des Gottes, der ihn folgerichtig mit dem seine Basis war! Man könnte sich mit dieser Kainszeichen vor Blutrache schützt. Ebenso sehr vermittelten religiösen Erklärung be- konsequent wäre das Nichterwähnen der gnügen als Antwort auf die Frage nach dem Herdenhunde des Abel, da Kain die patriar- offensichtlichen Wertverlust des Hundes chalisierte Funktion des vagina-dentata- nicht nur in der hebräischen Variante des Hundes einnimmt, womit JHWH nochmals entfalteten Patriarchats, da der Hund als an die Stelle der Göttin träte. Unser Dumuzi Herdenschutzhund in diesem komplizierten als Parallelfigur zu Abel bleibt immer Hirte, Zusammenhang auf der mythischen Ebene nur kontraproduktiv sein kann, während er auf den Siegeln, aber auch in der Lite- im Alltag den Hirten gerade vor der grausa- ratur bezeichnet man ihn als „Hirten“, men Tötung durch dieses „wilde Tier“ be- „Herrn der Hürde“, „Herrn des Hirten- wahrt. Auch die tiefenpsychologisch be- hügels“. Seine Mutter ist das „Mutter- gründete Allianz zwischen Hund und Großer schaf“ (Helck c, 79), Mutter wird mit zunehmender Patriarchali- sierung den Hund im Kampf der jungen Hel- und auch bei den Hebräern ist Rahel als den gegen die Ungeheuer der Großen Göt- „Schaf“ die Urmutter eines israelitischen tin aus patriarchalischer Perspektive entwer- Stammes. Der Name der kanaanäischen ten, da er auf der falschen Seite steht - aller- Göttin Aschtart (Astarte) wird von asterot dings kann diese These nicht generell gelten, so´neka (~ Fruchtbarkeit der Schafe) abge- da andere patriarchalisierte Kulturen wie leitet, er wurde zu Astoreth (~ Schändliches die meisten indo-europäischen Hirtenkultu- Ding:Die freizügige Sexualität der Göttin) ren weiterhin ein positives oder zumindest verdreht. Dumuzis Mutter ist als Schaf eine eher positives Bild vom Hund behalten. Auch neolithische Erfindung, und ob Dumuzi stimmt die Tatsache nachdenklich, dass die selbst als Widder vorgestellt wurde, ist nicht Hebräer von hundeliebenden und -vereh- überliefert, immerhin fand man in den sa- renden Völkern geradezu umzingelt waren. kralen Räumen von Çatal Hüyük Widder- Aber da ist neben dem Zwang, sich zu profi- schädel, und auf Terrakotten aus Tello war lieren gegen die schon viel länger in Paläs- der Hirtengott mit Hirtenpeitsche auf ei- tina lebenden Nachbarn vielleicht noch eine nem Widder reitend dargestellt (Helck c, zweite historische Komponente zu beden- 79). Abels Opfer ist ein Lamm, und er hätte, ken: Die lange Zeit, die die Israeliten in unterstellt man weitgehende Identität zwi- Ägypten verbrachten - schen Dumuzi und Abel, sich in Gestalt des Lamms selbst geopfert, ein Opfer, das JHWH it must be considered that the ancestors wohlgefällig war und das er zu gegebener of part of Israel, at least, had lived for Zeit unter leicht veränderten Vorzeichen several centuries in Egypt before von einem seiner späteren Söhne - Jesus - migrating to Palestine (Albright, 184) -, wiederholen lässt. Das im Hirtenalltag vom wilden Tier gerissene Lamm und der Tod des in einem Land, das den Hund verehrte und jungen Hirten im Kampf mit diesem wilden wahrscheinlich besser behandelte als seine Tier aber finden ihre theologische Über- hebräischen Gefangenen oder Gastarbeiter. höhung, wenn an die Stelle des wilden Tiers Aus Sicht der Heilsgeschichte hat sich Israel die ebenso erotische wie aggressive Göttin erst in Ägypten zur Nation gebildet - mit Inanna tritt, so wie Dumuzi alias Abel als den tatsächlichen historischen Fakten muss Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 301

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 301

diese Darstellung aber nicht unbedingt et- zend, deren Uroboros nur matriarchal gewe- was zu tun haben, denn die Ägypter galten sen sein kann. Indem der Drache besiegt den Israeliten auch als kulturelles Vorbild: wird, rettet der Held die Menschheit vor dem Die Ägypter waren zwar nicht das einzige angeblich sicheren Untergang, in Wirklich- Volk des Altertums ..., das die Beschneidung keit versagen die männlichen Anteile des Be- kennt, wie Jeremias 1930 (292) meint, da die wusstseins nicht mehr vor dem furchtbaren Beschneidung seit dem -3. Jahrtausend in Aspekt der Großen Göttin - die Beschnei- Mesopotamien nachgewiesen ist und die Is- dung beider Geschlechter gilt als endgültige raeliten die mesopotamische Methode prak- Festlegung der geschlechtlichen Zuordnung tizierten, aber in diesem allgemeinen (> II, 585-8). In der patriarchalischen Verdre- Kulturmerkmal unterschieden sie sich nicht hung erscheint der Drache als ein schlan- von den Ägyptern, denn die in Ägypten nur genähnliches Ungeheuer, das sich vorzugs- in priesterlichen Kreisen praktizierte Be- weise von Jungfrauen ernährt, dabei waren schneidung der Vorhaut galt als Vorbedin- es in Wirklichkeit die Jungmänner, die von gung des Siegs des Helden im Drachenkampf: der Großen Göttin als einer nicht-biolo- Dem Drachen, der als Nachfolger des Hundes gischen Jungfrau vernascht wurden, und die Große Mutter in ihrer Erscheinungsweise zwar als Jahreskönige. Die patriarchalische als Jung(e)-Frau bewacht (Jeremias, 1930, Umkehrung erlaubt es unserem jungen Be- 726), wurden vom Helden des Lichts Teile wusstseinshelden aber, nicht nur die Hand des Körpers abgeschnitten, v.a. die Zunge, der befreiten Jungfrau zu erhalten: In Meso- aber auch Glieder (> 528-30). Diesen sakralen potamien heißt der Drache Bashmu (eine be- Zusammenhang übertragen die Israeliten: hornte Schlange), und er repräsentiert Nin- Das Messer, mit dem die Vorhaut beschnitten gishzida, angeblich der Herr des Lebens- wird, ist ein Steinmesser und heißt hereb (~ baums, in Wirklichkeit der männliche Nach- Schwert des Drachenkämpfers). folger der Großen Göttin in ihrem Unterweltsaspekt, die wiederum assoziiert ist mit dem Sternbild der Hydra, der weib- Parallelen zum Drachenkampf - lichen Wasserschlange - Schlange, Wasser Vorhaut und Beschneidung und Weib konnotieren zusammen eindeutig die Große Göttin. Bashmu wird dann Man liest recht oft, der Drachen- zunächst eine Trophäe des Ninurta, um spä- kampf sei ein Mythos, der aus dem Vorderen ter in der Gestalt einer Drachenschlange Orient komme. Dem ist nicht so, wie wir Symboltier des Gottes Marduk zu werden, schon von den Chimu-Indianern Perus wissen neben seinen vier kosmischen Hunden. In (> II, 59-78). Die Ersetzung des Hundes durch diesen Kontext des Kampfs zweier Bewusst- den Drachen scheint eine Universalie zu sein, seinskomponenten ist auch des Israeliten die nicht auf eine historische Filiation redu- Sichem Kampf gegen den Drachen zu stellen: zierbar ist. In Sumer schon kämpft der himm- So ist Sichem der Drachenkämpfer (> 411-2), lische Gott Ninurta gegen Asag, den Dra- der um die ausgelobte und mit an patriarcha- chen; aber auch der indo-europäische ve- lischer Sicherheit grenzender Wahrschein- disch-indische Gott Indra erwirbt sich seine lichkeit jetzt tatsächlich jungfräuliche König- ersten Lorbeeren im Kampf gegen den Dra- stochter wirbt - als Bedingung aber wird die chen Vritra; Zeus kämpft gegen Typhon; der Beschneidung der Vorhaut gestellt; um sei- ägyptische Seth gegen Apophis; der babylo- nen Sieg über den Drachen zu beglaubigen, nische Baal gegen Yam, und der hethitische weist er die abgeschnittenen Glieder des Dra- Himmelsgott besiegt Illuyankas. Diese Kämp- chen vor: Die abgeschnittenen Vorhäute ver- fe und Siege sind kosmogonisch, d.h. sie er- treten in der mythischen Erzählung die Glie- klären die Entstehung der aktuellen Welt, derteile des Drachen (Jeremias, 1930, 367). die Existenz einer früheren Welt vorausset- Der Drache (> 411) ist jetzt die Erscheinungs- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 302

302 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

weise der Großen Göttin - selbst noch der as- Und Assurbanipal (Ann. VII, 74 ff.) schildert syrische König sieht in den Feinden nur die Zustände in den babylonischen Städten, männliche Erscheinungsformen der Tiamat, wie sie 1930 Jeremias (438) noch in Bezug der Großen Göttin: Als Drachenkämpfer auf die Pariahhunde vorgefunden hat: schneidet er den Feinden die Glieder ab. Und David soll die jüngere Tochter König Sauls be- Hunde und Schweine versperren die kommen, wenn er 100 Philistervorhäute vor- Straßen und füllen die Plätze und legt (Jeremias, 1930, 501). Der Drache aber ist nähren sich vom Aas. der schon von den Ägyptern und erst recht von den Israeliten nicht mehr erkannte Hund Wenn sie es dabei beließen, hätten sie nur als Begleittier und Repräsentant der Großen halbe Arbeit geleistet: Sie fressen auch den Göttin. Obwohl also die ägyptische Kultur Kot, obwohl jeder Orientale ein Schäufel- die Bräuche der Israeliten nachhaltig beein- chen bei sich tragen soll, um seinen Kot zu flusste, überwog wohl insgesamt die herz- entfernen, denn der ist ein Element der Un- lichste Abneigung, und der Groll der Israe- teren Welt, und in der Höllenfahrt der Isch- liten gegen die Unterdrücker mag sein Ven- tar ist Staub (~ Kot) die Nahrung der Toten. til im Hund gefunden haben: Zuerst wird Neid und dann Hass auf den Hund entstan- Dass der aas- und kotfressende Hund durch den sein, und der Hass reift dann langsam zu eben diese Tätigkeit mit der Unteren Welt jenen stilistisch-ideologischen Verdrän- liiert ist, lässt keine Dankbarkeit mehr auf- gungsmechanismen, wie wir sie an der klei- kommen für seine segensreiche Müllentsor- nen Geschichte von Kain und Abel erkennen gung, die er im Verein mit den Schweinen können. Zwar dient schon in einer Sintflut- betreibt. Eine schöne Gesellschaft, in der Erzählung, die auf der 11. Tafel des Gilga- sich die Hunde da befinden - neben Schwei- mesch-Epos überliefert ist, der Hund als ne- nen sind Huren auch sein angemessener gative Referenz, aber insgesamt behält er Umgang - Ahab fällt im Kampf gegen Aram: hier wenigstens ambivalenten Status, ver- deutlicht er doch immerhin im Vergleich die So starb der König; man brachte ihn hündische Komponente von Göttern: nach Samaria (> 490: Karte) und begrub ihn dort. Als man im Teich von Samaria Die Götter fürchteten die Sturmflut, sie den Wagen ausspülte, leckten Hunde zogen sich zurück, stiegen empor zum sein Blut, und Dirnen wuschen sich Himmel des Anu (~ Vater und König der darin, nach dem Wort, das der Herr Götter). Die Götter waren wie Hunde gesprochen hatte (1 Könige 22, 37). zusammengeduckt, an der Ringmauer gelagert (in: Jeremias, 1930, 133). Hunde lecken sein Blut auf, während sich Huren darin baden: Eine Gesellschaft, die Mit dem göttlichen Vergleichspunkt Hund Huren braucht und gleichzeitig verbietet, sind im sprachlichen Bild wahrscheinlich die ist sexualhygienisch nicht ganz korrekt ver- Pariah-Hunde gemeint, die im Orient noch fasst, sollte man meinen. Und wenn im Deu- in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine teronomium (23, 18f.) von einem Hunde- Landplage waren, aber auch für die Hygie- lohn die Rede ist, dann meint man damit das ne in den Städten sorgten. Moses empfiehlt: Geld, mit dem man gerade mal eine männ- liche Hure mieten kann. Dieses metapho- Als heilige Männer sollt ihr mir rische Verständnis des Tempel-Keleb als gehören. Fleisch von einem Tier, das auf männlicher Prostituierter lehnt Margalith dem Feld gerissen wurde, sollt ihr nicht ab: Es handle sich bei Keleb lediglich um ein essen; ihr sollt es den Hunden vorwer- Homonym (wie im Deutschen Bank und fen (in: Exodus 22, 30) Bank - Sitzgelegenheit und Geldinstitut) Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 303

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 303

und nicht um eine Metapher - Margalith Warum flucht dieser tote Hund meinem kann diese künstliche Position nur halten Herrn, dem König? Ich will hinüber- mit der Annahme von Tautologien und dem gehen und ihm den Kopf abschlagen Ausblenden aller Konnotationen. Alle an- (in: 2 Samuel 16, 9), deren Exegeten gehen selbstverständlich von der„Tempel-Prostitution“ der „Tempel- aber wir müssen nicht erst die Dominikaner Hunde“ aus, ebenso selbstverständlich den (~ Hunde des Herrn) abwarten, um zu se- sakralen Charakter des Vorgangs ausblen- hen, dass der Hund des Herrn etwas durch- dend, von der mythologischen Rolle des aus Ehrenvolles sein kann: Im Buch Richter Hundes als Symboltier ganz zu schweigen. (7, 2-8) werden die Mitstreiter Gideons vor- Nur weil Margalith vom Hund als Symboltier gestellt - sie werden am „Wasserlecken“ absolut keine Kenntnis hat, kann er zu sei- nach Hundeart erkannt, so trinken bzw. ner These vom beziehungslosen Homonym schlappen sie wie Hunde Wasser aus einem gelangen. Bach (> III, 621). Auch hier versucht Marga- lith, die metaphorische Rede vom Hund zu tilgen und an ihrer Stelle „Hund“ lediglich Erstes Treffen der Leser mit Kaleb als Homonym zu verstehen: Diese als Seru- fim bezeichneten Krieger trinken Wasser Die blutbadenden Huren haben an- nicht aus Bechern, sondern aus der hohlen dererseits etwas Emanzipiert-Amazonen- Hand: Da ein Hund keine Hand habe und haftes an sich - die den Kopf des enthaup- somit aus selbiger auch nicht trinken könne, teten Täuferjohannes küssende Salome er- könne man Hund hier nur als Homonym scheint zwar auch als unerzogene Kindfrau, verstehen, meint Margalith. Dazu ist dreier- andererseits hat sie ihren eigenen Kopf lei zu bemerken - erstens: Saul Levin hat bzw. den ihrer Mutter, wenn sie dazu den 1995 in seinem großen Werk Semitic and In- Kopf des Jochanaan fordert für den Tanz do-European: The principal etymologies in der sieben Schleier. Hure erscheint vor die- der Terminologie für Ackerbau und Vieh- sem Hintergrund als deformierende Meta- zucht besonders intensive Gemeinsamkei- pher für emanzipierte Frauen - Amazonen ten der beiden Sprachfamilien nachgewie- eben, deren Männer sich angeblich wie sen, woraus er ableitet, dass die beiden Hunde benehmen. Und über das Ende der Sprachfamilien experienced a time of inti- emanzipierten, aber leider auch intriganten mate linkage und dass die beiden popula- Frau des Ahab, die schlaue Isebel, heißt es: tions learned from each other (455). Levin führt u.a. eine Etymologie an, die nicht auf Die Hunde werden Isebel an der Mauer allgemeine Zustimmung stößt, weil der je- von Jesreel auffressen. Wer von der weilige referentielle Bezug im Proto-Indo- Familie Ahabs in der Stadt stirbt, den europäischen bzw. im Proto-Semitischen für werden die Hunde fressen, und wer auf einige Kollegen keinen gemeinsamen Nen- dem freien Feld stirbt, den werden die ner aufzuweisen scheint: Es handelt sich um Vögel des Himmels fressen (in: 1 Könige die dreikonsonantische Wurzel *klp/gnb, 21, 23-4). deren ursprüngliche Bedeutung von Levin für die semitische Sprachfamilie mit Tier- Kohärent ist das Buch der Bücher leider fell/Haut angegeben wird, während sie im nicht in seiner Wertung des Hundes: Zwar Indo-Europäischen sich zu Stahl bzw. Rüs- gilt einigen Exegeten Hund in der Selbstbe- tung entwickelt habe. Wer die Benutzung zeichnung dein Knecht, dein Hund als Be- eines Tierfells als Protom früher Krieger schimpfung servilen Verhaltens, und Hund kennt, wird den Zusammenhang zwischen oder gar toter Hund ist die stärkste Be- Fell und Rüstung ohne weiteres anerken- schimpfung überhaupt: nen. Wer dann noch weiß, dass *klp in der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 304

304 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

semitischen Sprachfamilie den Hund be- The word “keleb” is applied to human zeichnet, der sich als Welpe ins Indo- beings in the O.T. (= Old Testament) Europäische retten konnte, der ahnt, dass three more times: ... Judg. vii 5, 6 where diese proto-semitischen und proto-indo- God designates all those who will lap as europäischen Krieger als Rüstung ein the “keleb” laps, and 300 lapped thus Hunde-Protom (> 607-8) trugen. Und zwei- with their hands to their mouths. Here tens: Margalith hat offensichtlich noch the commentators have tried hard to nichts von Kriegern gehört, die sich vor dem explain the contradiction between v. 5 Kampf ihrem Totem- oder in diesem Fall “lap like a “keleb”” and v. 6 “with their eher: Geheimbundtier ekstatisch anglei- hands”, since dogs do not have hands. chen, er kennt auch nicht die paläomentale However, if we accept here “keleb” Jägersitte, vom frisch erlegten Bären nicht meaning “servant” or “slave” there is direkt zu berichten, sondern sich wie ein Bär no problem, zu benehmen (> I): Die Kraft des getöteten Bären ist mit seinem ganzen Verhaltensre- meint Margalith (493) mit einer selbstzu- pertoire auf den Töter übergegangen, so friedenen Zuversicht, die wir nicht nur als wie des Drachen undurchdringliche Haut Kynosophen gar nicht teilen können: Es auf den Drachentöter Siegfried als gewach- bleiben 300 Krieger übrig, die Wasser nicht sene Rüstung übertragen wird. Diese Seru- mit der Hand schöpfen, sondern wie ein fim versetzen sich also in Totalidentifikation Hund trinken, und 21.700 Kämpfer werden mit dem Hund, um kämpferischen Erfolg zu nach Hause geschickt. Es gibt also gar kei- haben; mit Gideon stürzen sie den Baal-Kult nen Widerspruch, den es aufzulösen gilt, da und setzen die Verehrung JHWHs an dessen die 300, die wie ein Hund trinken, nicht Stelle - ein klassischer Fall von ideologi- identisch sind mit den 21.700, die nicht wie schem Vatermord, wie er für die Verbände ein Hund trinken. Diese 300 hundezungen- der Junghirtenkrieger geradezu typisch ist. wasserschlappenden Krieger des Gideon Und drittens: Margalith hat den Zusam- sind die Elitetruppe seiner Armee, und es menhang vom 7. Kapitel des Buches Richter sind, wir sahen es bereits, Krieger, die sich nicht begriffen: Der Herr spricht nämlich zu vor dem Kampf die Identität ihres Totem- Gideon, er solle aus Propagandagründen oder Geheimbundtier ekstatisch aneignen. seine Armee von 32.000 Mann deutlich ver- Und es sind die Krieger, die der Herr per- ringern. Erstes Selektionskriterium für den sönlich auswählt aus insgesamt 32.000 Heimaturlaub ist die Feigheit: Da blieben Mann, und mit diesen 300 Kämpfern feiert nur noch 10.000 Kriegerlein übrig. Doch die Gideon militärische Triumphe. Hatte der sind dem Herrn immer noch zu zahlreich: Herr ein Faible für Hundskopfkrieger? Nächstes Kriterium zur Verringerung der Offensichtlich! Leider sind fast alle weiteren Truppenstärke ist der Trinkstil der Mannen - Formulierungen im Alten Testament, in nur denen der Hund als Denotat oder Konnotat vorkommt, nicht so positiv gemeint wie die- wer mit der Zunge Wasser leckt, so wie se Stelle im Buche Richter. Dass die Hunds- der Hund es tut, köpfe in Israel nicht nur gute Krieger waren, sondern auch eine spezielle Auffassung von so des Herrn eigene Worte, darf am Kampf Erotik hatten, überliefert eine Stelle im 2. teilnehmen, alles übrige Kriegsvolk aber soll Buch Samuel: Im 3. Kapitel wird von Abners nach Hause zurückkehren, sprach der Herr. Einbruch in den Harem des Saul berichtet Nun hat Margalith, und angeblich mit ihm (ich folge diesmal der katholischen Über- die Überzahl der Exegeten, ein großes Pro- setzung von Hamp & Stenzel (1964, 16. Auf- blem, das Margalith mit seiner Homonym- lage) - ein Sohn Sauls zieht Abner zur Theorie zu lösen verspricht: Rechenschaft: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 305

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 305

Saul hatte nun eine Nebenfrau gehabt sage deutlich, wie verhasst der Hund den ... Diese hat Abner sich geholt. Eschbaal Hebräern sein muss. Nun ist es aber so, dass aber machte dem Abner den Vorwurf: die Hebräer in zu unterschiedlichen Zeiten „Warum bis du zur Nebenfrau meines entstandenen Teilen ihrer Bibel, v.a. im Buch Vaters eingegangen?“ Abner war über Numeri und im Buch Josua sowie in der 1. Eschbaals Worte sehr ergrimmt und Chronik des öfteren im Zusammenhang mit rief: „Bin ich denn ein Hundskopf aus ihrer Landnahme bzw. Razzia (Beltz, 24) Juda? Liebe erweise ich heute dem und Landverteilung sowie der ihnen so Hause deines Vaters Saul, seinen Brü- wichtigen Genealogie einen Stamm erwäh- dern und Freunden. Ich ließ dich nicht in nen, der in einem eigentümlichen Span- die Hände Davids fallen. Und da willst nungsverhältnis steht sowohl zu den He- du mich heute wegen des Fehltritts mit bräern selbst als auch zu ihrer Unwertschät- dem Weibe zur Rechenschaft ziehen?“ zung des Hundes - es ist der Stamm der Kale- (in: 2 Samuel 3, 7-8). biter, den Crawford nicht als israelitischen Stamm ansieht: Der Stammvater Kaleb sei Der Fehltritt mit einem Weibe macht noch Keniter, er gehöre, so Crawford (27), zum keinen Hundskopf aus Juda, dazu gehört wohl systematische Promiskuität - von Kennizite tribe, centered in the Negev. außen betrachtet und so bezeichnet, von innen wohl angemessen als Heilige Hoch- Crawford stützt seine Einschätzung auf zeit benannt. Der Hundskopf ist also schon zwei Stellen der Hebräischen Bibel: ein beleidigender Titel für den aufrechten Vergewaltiger einer einzigen Frau, da hätte Nur der Kenasiter Kaleb, der Sohn Je- Abner gleich den ganzen Harem vernaschen funnes, und Josua, der Sohn Nuns, müssen, um diesen Titel zu verdienen: Zu waren ausgenommen, denn sie hielten Sauls und Davids Zeiten muss es also noch treu zum Herrn (in: Numeri 32, 12), Hundsköpfe in Juda gegeben haben, und Juda stand in den Zeiten des Buches Gene- und in Josua 14, 6 wiederholt der Dichter (die sis (38) sehr freundschaftlich zu den Kanaa- Kapitel 1 - 12 wurden wahrscheinlich früher nitern, wie wir gleich sehen werden... Schon und von einem anderen Autor verfasst) die aus dieser Voransicht einiger Textstellen Abstammung des Kaleb wortwörtlich, zum Hund wird gleich deutlich, dass die He- während einige Sätze weiter deutlich wird, bräer - untertrieben formuliert - eine Ab- dass Kaleb den härtesten Brocken im „Ver- neigung gegen den Hund kultivieren, ob- heißenen Land“ für die anderen Israeliten wohl sie ihm als dem Symboltier einiger he- aus dem Weg zu räumen hatte, was der Au- bräischer Sippen oder Clans eigentlich Dank tor des Buches Numeri kaschiert, indem er als schulden, weil er gerade in kritischen Situa- Subjekt der Unternehmungen stets Israel er- tionen für die Hebräer aktiv wird - Undank scheinen lässt, während in der 500 Jahre äl- ist des Patriarchen Lohn: teren und ursprünglicheren Fassung Juda, die Keniter und Kaleb als die tatsächlich Han- Denn der Hund galt in Israel nichts, delnden erwähnt werden, ja, Kaleb, d.h. die sondern gehörte zu den Tieren schlech- Kalebiter, erobern Hebron allein, wie schon ten Nachrufs, Steuernagel 1901 (74-5) rekonstruiert hat:

wie Walter Beltz 1974 in seiner Analyse der Deshalb gehört Hebron bis zum heuti- Kaleb-Traditionen im Alten Testament et- gen Tag dem Kenasiter Kaleb, dem was angepasst zuspitzt, so als ob der Hund Sohn Jefunnes, weil er treu zum Herrn, schon tot wäre, denn nur dann eignet ihm dem Gott Israels, gehalten hat. Hebron ein Nachruf. Unfreiwillig wird in dieser Aus- hieß früher Kirjat-Arba (Stadt des Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 306

306 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Arba); Arba war der größte Mann unter die zentrale Stadt Kanaans zu als Lohn für den Anakitern (~ die Vorbevölkerung in ihre Loyalität, während die weniger loyalen Kanaan ~ angeblich Riesen; > 399-405). übrigen Israeliten Kalebs Nachfahren später Danach war der Krieg zu Ende und das aus Hebron zu Gunsten des israelitischen Land hatte Ruhe (in: Josua 14, 14). Stammes der Leviter verdrängten. Diese Le- viter werden unter den Stämmen Israels zu Die näheren Umstände der Eroberung Ka- Beginn von Numeri 13 (1-16) nicht aufge- naans durch die Israeliten bzw. ihre ideolo- zählt, weil der Stamm nach dem vergeb- gische Darstellung des Vorgangs werden lichen Versuch, Sichem zu erobern, fast er- uns gleich noch intensiv beschäftigen. Ge- loschen war (Genesis 49, 5ff.). Diese Leviter gen Crawfords Expatriierung der Kalebiter verdrängten also die Kalebiter, die nur noch steht der Auftrag JHWHs an Moses, er mö- außerhalb der Stadt, aber immerhin weiter- ge aus den israelitischen Stämmen Kund- hin im jetzt israelitischen Land geduldet schafter auswählen, die das Gelobte Land wurden. Wenn also Kaleb vielleicht gar kein militärisch ausspionieren sollten: Israelit war, so hatte ihn der hebräische Gott doch besonders ins Herz geschlossen, wie Der Herr sprach zu Mose: Schick einige die 300 hundezungenwasserschlappenden Männer aus, die das Land Kanaan er- Krieger des Gideon, mehr jedenfalls als sei- kunden, das ich den Israeliten geben ne Israeliten, und er pflanzte ihn und seinen will. Aus jedem Väterstamm sollt ihr ei- Stamm doch ins Herz des neuen Israel. Der nen Mann aussenden, und zwar jeweils Umgang der Israeliten mit ihrem Gott und einen der führenden Männer. Da schick- seiner besonderen Beziehung zu Kaleb ist in te Mose von der Wüste Paran die Män- der Tat merkwürdig - über Kaleb sagt ner aus, wie es der Herr befohlen hatte. JHWH, nachdem er den übrigen, murren- Sie alle waren führende Männer unter den, an ihm zweifelnden Israeliten zur Stra- den Israeliten und das sind ihre Namen: fe den sofortigen Zugang zum Gelobten ... aus dem Stamm Juda Kaleb, der Sohn Land verwehrt: Jefunnes ... (in: Numeri, 13, 1-6). Meinen Knecht Kaleb aber, der anders Dieser göttliche Auftrag und erst recht der denkt (~ eben nicht an JHWH zweifelt) menschliche Kommentar zu seiner Aus- und treu zu mir hält, ihn werde ich in führung implizieren klar, dass die Kalebiter das Land bringen. Er darf es betreten als führende Abteilung des Stammes Juda und seine Nachkommen sollen es erben zum israelitischen Stammesverband gehör- (in: Numeri, 14, 24). ten, also (noch) keine (hundeköpfigen) Außenseiter waren, Söldner etwa, die für Kaleb unterscheidet sich also wohltuend die Israeliten die anakitischen Kastanien aus von den anderen Israeliten und soll den ge- dem Feuer holten - das seine Erkenntnis lei- rechten Lohn für seine Loyalität erhalten - tende Interesse Crawfords, die Kalebiter zu seine Andersartigkeit ist aus Gottes Sicht einem nicht-israelitischen Stamm zu ma- äußerst positiv und sollte den anderen Bei- chen, will ich vorerst nicht qualifizieren, spiel sein. Die Differenz ist aber so groß, aber die Position Crawfords ist schon jetzt dass die elf übrigen Stämme Israels Kaleb nicht sehr stabil, wie sich aus weiteren De- und seine Nachkommen vermutlich zu tails ergibt: Denn wenn Kalebs Stamm der Nicht-Israeliten deklarieren mussten, um Kenasiter nicht als Stamm zu Israel gehören den Spruch des Herrn, das Gelobte Land sollte, verwundert die Landzuteilung erst gehöre den Kalebitern und nicht den ande- recht in höchstem Maße - Hebron lag im- ren elf Stämmen, dennoch in ihrem Sinn in- merhin im Zentrum des eroberten Landes, terpretieren zu können: Das Land war ih- JHWH teilte also Kaleb und seinen Leuten nen ja immerhin lange vor dieser beschä- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 307

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 307

menden Situation versprochen worden, deutung des Stammesnamens der Kalebiter dafür waren sie ja nicht (angeblich) jahr- nicht Schall und Rauch, sondern relevant für zehntelang durch die Wüste „geirrt“, müh- die Rekonstruktion ihrer kultisch-mytholo- selige Fernweidewirtschaft treibend, um gischen Vergangenheit, die sie trotz aller nun kurz vor dem Ziel der Sesshaftigkeit Treue zum neuen Gott JHWH schon wegen enterbt zu werden: Wenn Kaleb ein Nicht- ihres Clannamens nie ganz verdrängen Israelit war, dann war er es erst nach der konnten. Insofern stimme ich Crawford zu, Landnahme, nicht vorher, und er wurde wenn er Kaleb und die Kalebiter als Auslän- auch erst nach der Landnahme expatriiert. der in Israel auffasst, es kommt halt auf den Hinzukommt, dass der gesamte Stamm Ju- Zeitpunkt an, ab wann sie als Ausländer be- da, von dem Kaleb ja nur einen, wenn auch trachtet werden. Als Ausländer aber ver- führenden Clan darstellt, nach dem an- körpern sie das ganz Andere wie schon ihr fänglichen Eroberungskrieg im wesent- Stammvater Kaleb selbst: lichen friedlich vordringt: Alle Männer, die meine Herrlichkeit und Juda steht in Gen. 38 sehr freundschaft- meine Zeichen gesehen haben, die ich lich zu den Kananitern (Steuernagel, 80). in Ägypten und in der Wüste vollbracht habe und die mich jetzt schon zum Zu freundschaftlich für den Geschmack der zehnten Mal auf die Probe gestellt und orthodoxen Monotheisten, flammen doch doch nicht auf mich gehört haben, sie vermutlich kultische Gemeinsamkeiten auf alle werden das Land nicht zu sehen be- zwischen den Kalebitern (~ den Tapferen kommen, das ich ihren Vätern mit ei- nach Hundeart) und den Kanaanitern, in de- nem Eid zugesichert habe. Keiner von ren Zeremoniell der Großen Göttin der denen, die mich verachtet haben, wird Hund als Tempel-Keleb eine hervorragende es zu sehen bekommen. Meinen Knecht Rolle spielt. Immerhin rekonstruiert Steuer- Kaleb aber ... (s.o.) (in: Numeri, 14, 22-4). nagel (77), dass der Eroberungszug der Ju- däer und der Kalebiter von Süden ausging, Diese Sonderbehandlung des Anderen und und zwar von Kadesch über Tamar nach die Beschämung des Eigenen muss in der Tat Arad. Kadesch ist das am Nordwesthang des für die Israeliten schwer zu ertragen gewe- Ramon-Massivs gelegene Kadesch Barnea, sen sein. Man muss sich von Bibelkennern heute zu Ägypten gehörend. Vom Ramon- bestätigen lassen, dass dieses göttliche Lob Massiv aus ziehen sich noch heute Weide- des Kaleb fast einzigartig im Buch der gebiete nach Norden bis hin nach Beershe- Bücher dasteht: ba und Arad: Der Eroberungszug des Stam- mes Juda folgt also genau der 150 km lan- God states that Caleb has “a different gen Achse seines Weidegebiets, um hinter spirit with him” (haytah ruach acheret dessen Grenze bei Arad wahrscheinlich die imo) - an evocative phrase used only Weidegebiete am westlichen Gebirgsrand once in the Hebrew Bible ... Thus a for- des Toten Meers nutzend nach Norden bis eign body is in control of an area central auf die Höhe von Hebron zu ziehen, wo to early Israel´s self identity. But it doe- dann die Kundschaftergeschichte der zwölf sn´t last long. Joshua 21:11-12 reassigns israelitischen Stämme einsetzt. Aus altägyp- Hebron to the Levites instead; Caleb is tischen Texten ist bekannt, dass die semi- given control only over the fields and tische Fruchtbarkeitsgöttin auch Kadesch villages bordering the city. Like a dog, hieß - Kadesch ist daher der übliche Name he is not allowed in the city itself. Ever für einen Ort, an dem - wie in Kadesch Bar- loyal to his master, yet always an out- nea - ein Heiligtum der Großen Göttin steht sider. This is what Caleb, Dog of God, (> 359: Abb. 514). Insofern ist die Grundbe- shares with other dogs (Crawford, 27). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 308

308 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Die anderen elf Stämme sinnen also auf ser besondere Hund, im Niemandsland baldige Abhilfe, indem sie den so gut wie zwischen der menschlichen ~ israelitischen erloschenen Stamm der Leviten als neuen und der nicht-menschlichen ~ nicht-isra- 12. Stamm Israels reaktivieren, der nun an elitischen Welt. Beide sind Kreaturen die Stelle der Kalebiter tritt. Die Kalebiter zwischen den Welten, kein vollwertiger werden aus Hebron verdrängt, der Zutritt Mensch, aber auch kein Untermensch; sie zur Stadt wird ihnen wie den Pariah- nehmen einen hohen Status ein bei Gott, sie Hunden verboten. Kaleb, der Mann mit sind gesegnet mit schier übermenschlichen dem hundeartigen Mut, vormals Gottes Fähigkeiten (der Hund im Geistersehen und Hund, sinkt nun auf den Status des Pariah- als Seelengeleiter; die Kalebiter als die ei- (Hundes) ab. Insgesamt ist der Status des gentlichen Eroberer Kanaans und Bezwin- Kaleb also widersprüchlich, und wenn wir ger der riesigen Krieger der Anakiter), aber uns erinnern, dass Kaleb so etwas Ähnliches sie gelten beide den Israeliten (wenig spä- wie Hund bedeutet, dann spiegelt sich in ter) als Angehörige einer niederen Kaste, Kalebs Status die grundsätzliche Ambiva- die sie aus ihren schönen Städten fernhalten lenz des Hundes: Kaleb ist wie der Hund in wollen - die Pariah-Hunde und die Kalebiter Israel ein Außenseiter - zumindest haben gehören in den Augen der Israeliten zur noch heute Bibel-Historiker wie Crawford Kaste der Unberührbaren. Das ist in der Tat ein handfestes Interesse an dieser Ein- starker Tobak, und deshalb werde ich diese stufung. Auf Kaleb und die Kalebiter trifft These sogleich und ausführlich erläutern: cum grano salis Serpells Beschreibung der Ganz so einfach, wie Crawford es gerne hät- Ambivalenz des Hundes zu: te und es sich ja auch macht, verhält es sich z.B. noch nicht einmal mit dem Namen des In symbolic terms, the domestic dog Kaleb: Crawford (26) hält ihn zu Recht für exists precariously in the no-man´s land einen der zahlreichen sprechenden Namen between the human and non-human in der Bibel, will ihn aber auf methodisch worlds. It is an interstitial creature, nei- unzulässige Weise verstehen als die Verkür- ther person nor beast, forever oscillating zung eines theophorischen (~ Gott tragen- uncomfortably between the roles of den) Namens: So wie Jakob eine Kurzform high-status animal and low-status per- von Jakob-el (~ Gott wird beschützen) sei, so son. As a consequence, the dog is rarely verhalte es sich auch mit Kaleb, der eine accepted and appreciated purely for Kurzform von klb-el sei (~ Hund Gottes, ein what it is: a uniquely varied, carnivorous Dominikaner vor der Zeit). Kaleb war sicher mammal adapted to a huge range of ursprünglich der Name eines Clans, dessen mutualistic associations with people. In- Ahne zugleich biologischer Stammvater stead, it has become a creature of meta- und dessen Namenspatron - der Hund - phor, simultaneously embodying or re- transpersonaler Stammvater des ganzen presenting a strange mixture of admira- Stammes wurde. Dabei ist gleich festzuhal- ble and despicable traits. As a beast that ten, dass Kaleb wohl nicht der originale Na- voluntarily allies itself to humans, the me des Stammes war, denn das Wort be- dog often seems to lose its right to be re- zeichnet nur einen Hundeähnlichen, und im garded as a true animal (Serpell, 254). übertragenen Sinn bedeutet es - man stau- ne - der Wagemutige (Beltz, 18, FN 2). Die Überträgt man versuchsweise Serpells Or- Kalebiter haben ihre ursprüngliche (Selbst)- tung des Hundes auf die Situation, in die Bezeichnung Keleb (~ Hund) den Hebräern Kaleb zuerst von den Israeliten und dann zu Liebe umgedeutet in die weniger kom- von Crawford gebracht wird, dann ergeben promittierende Variante des Kaleb (~ Wa- sich provokante Parallelen: Dann existieren gemutigen) - das geht ganz flott durch nämlich der Hund allgemein und Kaleb, die- Weglassen von wenigen Punktierungen: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 309

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 309

Der Hund ~ kaleb ~ raelit. Beltz Argument, Kaleb sei als Vieh- züchter ein Fremder unter den Israeliten, und fußt also auf den nicht ausgesprochenen Annahmen, dass die Israeliten keine Vieh- Der Wagemutige ~ keleb züchter und der Hund ihnen von ihrem An- fang an suspekt gewesen sei. Das aber ist So formte man den Hund in den Wage- ein Rückschluss von einer späteren auf eine mutigen um, weil die negative Bedeutung frühere Situation, und dieser Rückschluss des Begriffs Hund dem positiven Ruf des soll dann alles Weitere zum Verhältnis der nationalen Heros nicht entsprach; die Primär- Israeliten zu Kaleb im Besonderen und zum bedeutung des Namens Kaleb als Hund lässt Hund im Allgemeinen legitimieren. Was wie Crawford auch Beltz (133) vermuten, aber, wenn die negative Einschätzung des dass die Beziehungen des Kaleb-Stamms zu Hundes nicht von Anfang an in der Ge- Israel weniger eng waren, als bisher ange- schichte Israels gegeben war? Tobias´ Hund nommen wurde. Denn der Hund sei das ty- ist immerhin ein Gegenargument zu Beltz´ pische Kennzeichen des Viehzüchters, meint und Crawfords These. Und nicht das einzige Beltz, und führt Tobias als Beispiel an, der Argument: Kaleb gehört als Teil des Stam- mes Juda eindeutig zu diesem Stammesver- von seinem Schwiegervater beim band, und als führende Persönlichkeit in- Scheiden die Hälfte des Viehs, Kamele nerhalb des Stammes Juda mit Sicherheit zu und Rinder (erhält), und ein Hund läuft einem uralten, Häuptlinge stellenden Clan ihnen voraus, seines Stammes. Das erkenntnisleitende In- teresse Crawfords ist die unreflektierte und was Beltz (134, FN 1) an der Textstelle Tobit wegen der in den schriftlichen Quellen in- 11, 9 festmachen will, wo es aber nicht steht; tensiv dokumentierten israelitischen Hun- dafür heißt es zum Schluss von Tobit 5, 17: dephobie auf den ersten Blick höchst plau- sible Annahme, Hundeartige könnten keine Da brachen die beiden auf und der Israeliten gewesen sein. Allerdings ist zuzu- Hund des jungen Tobias lief mit. geben: Mit dem Hund des Tobias enden auch schon fast die eindeutig positiven Text- Tobias übersteht dann in Ekbatana (> 490: stellen über den Hund in der Hebräischen Karte) die Nacht mit Sara zwar wider Er- Bibel, sieht man einmal ab von der warten lebend (anders als Dumuzi), aber widersprüchlichen Prophezeiung des Psal- auch wider Erwarten schlafend, und verläs- misten (68, 24), den Hunden werde das Blut st mit ihr als seiner Braut nach vierzehn an- der Feinde schmecken, woraus Crawford strengenden Hochzeitsfeiertagen die (22) ableiten will, es habe bei den Hebräern Schwiegereltern. In der Nähe von Ninive (> Kriegshunde gegeben - they were appa- 490: Karte) besorgt sich Tobias etwas Fisch- rently employed in warfare -, man geht aber galle, um seines Vaters Blindheit damit zu besser von Leichenbestattern besonderer heilen, und so heißt es nach Erwerb der Gal- Art und nicht von Kampfhunden aus, da le in Tobit 11, 4, diesmal vom Erzähler etwas nach einem Gemetzel die Hunde nur inner- genauer beobachtet: halb der Stadtmauern, nicht aber auf dem freien Feld für die Exkarnation der Feinde Sie machten sich auf den Weg und der zuständig sind - das erledigen dort die Vö- Hund lief hinter ihnen her. gel - wie immer - des Himmels:

Der Hund hat seinen Herrn Tobias also zur Wer vom Haus Jerobeam in der Stadt Brautschau begleitet. Nun ist Tobias also ein stirbt, den werden die Hunde fressen Viehzüchter mit Hund und dennoch ein Is- (in: 1 Könige 14, 11). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 310

310 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Hund und Schaf - die wesentlichen Symboltiere in vorisraelitisch-vormonotheistischer Zeit: Der Hund war überall in West-Asien und Nord-Afrika des Menschen bester Freund - auf diesem bemalten ägyptischen Holzsarg Khuys, eines leitenden Angestellten der 12.Dynastie, wird Khuy dargestellt, wie er seinen Lieblingshund an der Leine führt. Der Name des Hundes, Meniupu, steht in blauen Hieroglyphen über dem Mittelteil des dreiteiligen Bildes. Meniupu bedeutet: „Er ist ein Schäfer.“ In: Crawford, 26 (vergrößerter Ausschnitt des Mittelteils > II, 171: Abb. 3.1).

Die Liste der hundefeindlichen Sprüche in Im Zentrum des frühen Viehzüchterbe- der Hebräischen Bibel und in der rabbi- wusstseins steht das Haupttier der Herde, nischen Literatur ist beeindruckend lang, auf das die Qualitäten des Wildtiers aus der und so fällt es schwer, in der israelitischen Jägerzeit übertragen werden. Astarte ist Entwicklungsgeschichte auch nur wenig- jetzt nicht mehr Herrin der Wildtiere, son- stens eine und dann auch nur extrem kurze dern Schutzgöttin der Haustiere, genauer: Phase von Hundefreundlichkeit zu vermu- des wichtigsten Haustiers im frühen Neoli- ten. Dennoch ist nicht wegzudiskutieren, thikum, vor der Domestikation des Rinds. dass Kaleb ursprünglich, d.h. vor Beginn der Diese frühe Funktion der Göttin überstrahlt schriftlichen Quellen, zu den Israeliten auch noch die Rinderzeit. Parallel erhält sich gehörte - das bestätigt immerhin JHWHs die Erinnerung ans frühe Haustier Schaf eigenes Wort - und dass die Kalebiter die ge- auch bei den fortgeschrittenen Ägyptern (> fürchtetsten Krieger dieser Israeliten waren. oben). Noch in des Viehzüchters Tobias Die kynosophisch bewanderten Leser Brautwerbung spielt der Herden-Hund wie denken angesichts der Assoziation von selbstverständlich mit, also auch bei den Schlüsselbegriffen wie Krieger und Hund an Israeliten. Ich nehme daher an, dass der all- die Macht des Protoms, die berserkerhafte gemeine Hundehass sich erst spät intensi- Kräfte verleihen kann (> I). Deshalb meine viert hat: Zum einen verstärkte er sich, will ich, dass Kaleb als „hundeköpfiger“ Krieger, man der Heilsgeschichte glauben, während der einen Hundekopf als Helm trug, Schlüs- der Gefangenschaften der Hebräer v.a. in sel zu dieser Erkenntnis ist. Ein weiteres Ar- Ägypten und auch in Babylon, wo der Hund gument: Die Große Göttin im Westen des Begleittier der den Israeliten verhassten Fruchtbaren Halbmonds hat zwar viele Na- Gottheiten des jeweiligen Gastgeberlandes men, aber sie heißt hier meist Anath, im sas- war (in Mesopotamien z.B.: Kalbi-Sin ~ Hund sanidischen Persien Anahita, oder Astarte, des Mond(gott)s; Kalbi-Marduk ~ Hund Mar- was Albright mit sheepbreeding übersetzt, duks (des obersten Gottes in Babylon zur und das erinnert Neumann an Zeit der jüdischen Gefangenschaft); Kalbi- Bau ~ Hund der Bau (eine Parallelgöttin zu die Urfigur der (israelitischen Stamm- Gula (> 467-79); auch die Phönizier kannten mutter) Rahel, die das Mutterschaf ist einen klb-´lm ~ Hund der Götter). Babylo- (Neumann, Ursprungsgeschichte, 70). nische Menschen nannten sich ebenfalls Kal- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 311

3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS 311

bi-Sin, und demonstrierten durch ihre Iden- Der Stern Anat ist vom Himmel gefal- tifikation mit dem Mond-Hund (> I) ihre spe- len, er mordete die Bevölkerung der zielle Verehrung des Mond-Gotts. Die ägyp- syrischen Küste und vertauschte die tische und babylonische Verehrung des Hun- beiden Dämmerungen und die Stellung des durch ihre Unterdrücker musste die der Gestirne (in: Zarnack). rechtlosen Hebräer abstoßen - stand der Hund doch weit über ihnen in der gesell- Anath ist die Große Göttin im Westen des schaftlichen Hierarchie. Auch war der Hund Fruchtbaren Halbmonds, und mit ihr als Ve- - es klang bereits in seiner Assoziation zu den nusstern identifiziert man den Meteoriten, führenden Gottheiten an - geradezu das der in unfassbarer Ungerechtigkeit immer Symbol für die polytheistischen Konkur- nur die Falschen erschlagen hat - der Held des renzreligionen in Ägypten, Mesopotamien patriarchalen Gilgamesch-Epos wirft genau und in der direkten kanaanäischen Nach- dies der Göttin vor. Nicht alle Völker haben barschaft mit ihren orgiastischen Kulten, sich nach diesen kosmischen Katastrophen von denen der sakralkönigliche Mythos von von der Großen Göttin für immer losgesagt, Tobits und Rachels Tochter nur einer von vie- aber ihre absolute Vorrangstellung war wohl len Ablegern war. Diese Kulte waren der auch bei ihnen gebrochen. Aus dieser auffäl- neuen, monotheistischen und äußerst sin- ligen Koinzidenz der Naturereignisse und nenfeindlichen und rationalistischen Reli- menschlichen Katastrophen größten Aus- gion der Hebräer ein Stein des ewigen An- maßes einerseits und andererseits des Para- stoßes und der ewigen Versuchung: digmenwechsels in der Religion folgt auch, dass die von E. Neumann angenommene During their formative period (before Naturnotwendigkeit der menschlichen Be- about 1200 B.C.), the early Israelites wusstseinsentfaltung in eine ganz bestimm- borrowed heavily from Canaanite te, nämlich patriarchalische Richtung, nicht culture, even while, at the same time, zwangsläufig in jenem absoluten Patriarchat they distanced themselves from their zu enden hat, wie es die Hebräer als Antwort neighbors (Stager, 1991). auf das vermeintliche Versagen der Großen Göttin erfinden. Aber andererseits ist die Ent- Indem die Israeliten die durchaus vorhan- faltung patriarchalen Bewusstseins nicht auf denen negativen Aspekte des Hundes ver- menschlich katastrophale Naturereignisse als absolutierten, trafen sie mit einem ihrer Ursachen angewiesen, sie wird durch sie Zentralsymbole die polytheistische(n) Reli- wahrscheinlich nur beschleunigt: Die Kata- gion(en) ins Mark. Ich nehme eine gemein- strophe als Katalysator. Es wäre ja auch zu er- same religionsgeschichtliche und hunde- klären, warum andere, benachbarte Völker freundliche Vergangenheit an für die Ägyp- das religiöse Paradigma nicht wechselten. ter, die Mesopotamier und die sich später als Bevor ich die These von den kynosophischen Israeliten konstituierenden westsemitischen Gemeinsamkeiten dieser Völker West-Asiens Stämme in Kanaan und Umgebung, aus der vor den Katastrophen weiter untermauere, sich die Israeliten endgültig lösten nicht zu- sollten wir und die Dimension der Hunde- fällig in einer Zeit extremer, aber natürlicher Aversion dieser hebräischen Patriarchen, wie Ereignisse, „Natur-Katastrophen“ genannt: sie in ihrem Schrifttum überliefert ist, zu Ge- Man geht aus von einem Meteoritenein- müte führen, um zu ermessen, wie intensiv schlag in die Erde mit anschließendem Vul- die Traumatisierung der hebräischen Stäm- kanismus, z.B. auf Santorin, Erdbeben sowie me durch die hundeorientierten Religionen einem Tsunami mit 70 m hoher Flutwelle, ihrer Unterdrücker gewesen sein muss, wie und zwar zwischen -1.627 und-1.600 - und intensiv aber auch die Enttäuschung über die man empfand das Ereignis natürlich als reli- Große Mutter von Ambivalenz in reine giös motiviert: Negativität umschlug: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 312

312 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Der Hund als Ausbund tische Selbstverständnis sein. Wenn Beltz des Bösen in der diese negative Haltung begründet mit dem hebräischen Theologie Aasfressen des Hundes, müssten wir auch in allen anderen Kulturen dieselbe Abneigung gegen den Hund antreffen. Auch dass der Der Hund gehört in der Hebrä- Hund selbst vor menschlichen Leichen nicht ischen Bibel und in den Schriften der Rabbi- halt macht, was der Dichter des 2. Buchs der ner zu den Gegnern von Mensch und Tier - Könige bestätigt: und das schon in den frühesten Texten - denn der hebräische Gott lässt zur Auswan- Auf der Flur von Jesreel werden die derung aus Ägypten über Moses an sein er- Hunde das Fleisch Isebels (~ einer Köni- wähltes Volk verkünden, dass er gegen Mit- gin) fressen (in: 2 Könige 36), ternacht durch Ägypten gehen und alle Erstgeborenen ermorden, die startbereiten kann allein noch kein hinreichendes Motiv Israeliten aber verschonen wird: für die Aversion liefern, denn dann müssten wir sie auch bei Kulturen vorfinden, die die Doch gegen keinen der Israeliten wird Exkarnation von Leichen Hunden und Vö- auch nur ein Hund die Zähne fletschen, geln überlassen. Dennoch sollten wir uns weder gegen Mensch noch Vieh; denn die Textstelle aus 2 Könige 36 noch einmal ihr sollt wissen, dass Jahwe zwischen genauer ansehen, denn hier könnte das Ägypten und Israel einen Unterschied wirkliche Motiv zu Tage treten: Diese Isebel macht (in: Exodus 11, 7). ist nämlich eine Königin, die sich anschei- nend mit jedem Jahreskönig einlässt, und Und obwohl der Hund, indem er nicht an- sehr verwerflich ist dies in den patriarcha- schlägt, die Flucht der Hebräer aus Ägypten lischen Augen der Israeliten, und eigentlich erst ermöglicht, ist Undank der Hebräer lo- sollte doch der Hund in dieser Situation ihr gischer Lohn: Denn es ist offensichtlich Erfüllungsgehilfe sein, wie wir aus dem schon damals common sense, dass die An- frühen ägyptischen Thronfolgezeremoniell wesenheit eines Gottes die Hunde verstum- von der Frau am Fenster (> 313: Abb. 307 & men lässt, und deshalb ist der Verzicht der 308 & > II, 259, Abb. 60) und vom Thron- ägyptischen Hunde aufs Anschlagen allein folger mit Hund wissen (> II): Gottes ~ JHWHs Werk und nicht die freiwil- lige, gütige Entscheidung des Hundes. Als Jehu nach Jesreel kam und Isebel Außerdem gehört der Hund zum ägyp- dies erfuhr, legte sie Schminke auf ihre tischen Wach- und, dies ist gleichbedeu- Augen, schmückte ihr Haupt (wörtlich: tend, Unterdrückungspersonal: Auch des- machte sich ihren Kopf zurecht) und halb ist der Hund schaute durch das Fenster hinab (in: 2 Könige 30). für den Israeliten der Inbegriff des Nichtswürdigen, des schlechthin So ein Luder hat´s gar nicht anders verdient Verächtlichen und zu Verabscheuenden (Achtung, Jenninger!), als dass ihr Leichnam (Beltz, 116). von dem zerfetzt wird, der Symboltier des Jahreskönigs ist - aber wenn der Hund sich Die Motive für diese abgrundtiefe Aversion an dem Luder vergeht, also Recht und Ord- - denn wie man es auch dreht und wendet, nung schafft, macht er sich paradoxer Wei- der Hund kommt in der Hebräischen Bibel se unrein - welch bittere Ironie: Isebel war nur schlecht weg - können nicht an der eine phönizische Prinzessin und mit König Oberfläche gefunden werden. Der Hund an Ahab verheiratet, und das Bild, das biblische sich muss schon ein Anschlag aufs israeli- Texte von ihr zeichnen, ist völlig einseitig, da Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 313

DER HUND ALS AUSBUND DES BÖSEN IN DER HEBRÄISCHEN THEOLOGIE 313

sie die JHWH-Propheten angeblich ausrot- ten lässt, die Baal- und Aschera-Propheten aber öffentlich unterstützt: Die Dämonisie- rung der Isebel ist also religionspolitisch motiviert. Zudem identifizierte sich Isebel mit dem erotisch-sexuellen Reiz der Großen Göttin Aschera und mit der - aus patriar- chaler Sicht - religiösen Überhöhung der Prostitution:

“Prostitution” comes to designate any- thing involving sexual activity not directed toward procreation within an exclusively conjugal context (or familial context when concubines are legal, as was the case in the time of Abraham, Isaac, and Jacob) (Markale, 10).

Nebenbei strahlt sie tiefenpsychologisch je- Auf Elfenbeinreliefs aus Nimrud (-9/. -8. Jahrhundert; nen negativen Elementarcharakter aus, der oben) und aus Arslan Tasch (-9 Jahrhundert) ist die „Frau besonders auf die frischgebackenen Patri- am Fenster“ dargestellt: Das x-förmige Zeichen kann archen furchterregend wirkt. Auch soll Ise- als Zugehörigkeitszeichen zur Göttin verstanden wer- bel in Abwesenheit und/oder Krankheit des den; man vergleiche die Frisur mit den Abbildungen S. Königs selbst auf seinem Thron Platz ge- 390. In: Winter,Abb. 307 (oben) & 308; vgl. > 619,Abb. 287. nommen haben, was übrigens ihr gutes Recht war, von den Patriarchen aber miss- billigt wurde. Und wenn sie am Fenster ih- res Palastes in der Haltung der „ausspähen- den Astarte“ Phöniziens erscheint, dann

vollzieht sie damit offenbar eine rituel- le Handlung, die es der Mutter, Gattin oder Tochter des phönizischen Herr- schers vorschrieb, in der Aufmachung der Hierodulengöttin vom ´Fenster` dem Einzug des den göttlichen Paredros (~ Göttergatte) (Baal) ver- tretenden Priesterfürsten entgegenzu- sehen (Fauth, in: Winter, 585).

Die Frau am Fenster (> rechts) kennen wir (Winter, 587), und mit dem Zurechtmachen aus Ägypten als Komponente eines Zere- des Kopfes könnte eine Frisur gemeint sein, moniells, in dem auch der Hund real und wie sie nicht nur die klassische Frau am Fen- symbolisch eine wichtige Funktion hat. Dort ster trägt (schon Herodot 1, 199) berichtet hat sich aus dem „Frauenfenster“ später das von dem Kranze von Schnüren auf dem „Audienzfenster“ des Königs entwickelt. Kopfe ... der im Haine der Aphrodite sitzen- Die großen Augen der Frauenköpfe auf den den babylonischen Frauen), sondern auch Elfenbeinen lassen auf das Bemalen der Au- schon ihre Vorgängerinnen (> 297: Abb. genlider mit schwarzer Schminke schließen 419): Man sollte gegen Winter und mit Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 314

314 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Fauth Isebels Auftritt nicht nur als den einer Gegen wen zieht der König von Israel Königinmutter, sondern als rituelle Hand- zu Felde? Wen verfolgst du? Einen to- lung einer Priesterin der „Hierodulengöt- ten Hund oder einen einzelnen Floh? tin“ verstehen, mindestens erhob die Köni- gin mit diesem Akt Anspruch darauf, die So z.B. in 2 Samuel (3, 8), wo sich Abner mit Göttin zu repräsentieren. Dass Isebel ge- einem Hundskopf aus Juda verwechselt nauso endet, wie es assyrische Be- sieht. Oder in 2 Samuel (9, 8), wo Sauls Sohn schwörungstexte Hexen wünschen, dass sie Meribbaal sich vor David mit den Worten er- nämlich von Hunden gefressen wird, er- niedrigt: scheint nun als doppelte Bosheit des patri- archalen Propheten, denn der männliche Was ist denn dein Knecht, dass du dein Priester der „Hierodulengöttin“, in gewisser Antlitz einem toten Hund zuwendest, Weise also der männliche Kollege der Prie- wie ich es bin? sterin Isebel, wurde Hund genannt und trat wahrscheinlich mit einer Hundekopfmaske Oder z.B. in 2 Samuel (16, 9): Hier wird auf, wie schon E. Neumann vermutet. Kom- David in einem Weiler von Schimi belei- men wir wieder zurück zum Hund, von dem digt, und Abischaj reagiert mit einem An- wir uns gar nicht so weit entfernt haben, bei gebot der Wiedergutmachung besonderer den frühen Hebräern in Ägypten: Ich denke, Art: dass die Identifikation des ägyptischen Un- terdrückungspersonals mit dem Hund min- Warum flucht dieser tote Hund meinem destens ebenso den Ausschlag zur hebrä- Herrn und König? Ich gehe hin und ischen Hunde-Aversion gegeben hat, da ja schlage ihm den Kopf ab. der Hund in Ägypten im Gegensatz zum auserwählten Volk einen äußerst positiven Ein Angebot, das David dankend ablehnt Ruf genoss. Vielleicht erscheint auch vor die- und einem Hundsköpfigen so das Leben ret- sem Hintergrund die Domestizier- und Er- tet. Aber auch aramäische Könige nennen ziehbarkeit des Hundes den Hebräern als sich Hund, so in 2 Könige (8, 13): Ausdruck der Würdelosigkeit, da sie selbst sich ja nicht in Ägypten domestizieren oder Was ist denn dein Knecht, der Hund, besser: umerziehen ließen und so viel eher dass er so Gewaltiges vollbringen mit dem Löwen und dem Adler sich identifi- sollte? zieren konnten, die ja beide in den hebrä- ischen Texten zu positiven literarischen Me- Als der Gott JHWH als theokratische Regie- taphern avancieren, während der Hund in rung die Kinder (~ Clans oder Stämme) Isra- der Hebräischen Bibel zwar 32mal erwähnt els zu Seinem Volk auserwählt und angeb- wird, aber meist ausgesprochen pejorativ lich das ganze Volk, wahrscheinlich aber nur (ich zitiere die den Hund herabsetzenden eine kleine Gruppe, aus Ägypten durch die Stellen nach der katholischen Übersetzung Wüste auf zahlreichen Umwegen an die von Hamp & Stenzel (1964, 16. Auflage): So Grenze Kanaans führt, um dort eine angeb- z.B. in 1 Samuel (17, 43), wo Goliath angeb- lich vierzig Jahre währende Einwande- lich David verflucht wegen dessen provo- rungssperre zu verhängen, da regelt er zur kanter Ausrüstung: Stärkung des Nationalgefühls bis ins klein- ste Detail ihr Leben: Bin ich denn ein Hund, dass du mit Stöcken bewaffnet zu mir kommst? Du sollst kein Fleisch essen, dass wilde Tiere auf dem Feld in Stücke zerrissen So z.B. in 1 Samuel (24, 15), wo David seinem haben, das sollst du den Hunden zum König Saul die merkwürdige Frage stellt: Fraß vorwerfen (in: Exodus 22, 31). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 315

DER HUND ALS AUSBUND DES BÖSEN IN DER HEBRÄISCHEN THEOLOGIE 315

Zwar hat man im europäischen Mittelalter - Obwohl der Kontext zeigt, dass der Syrer des negativen Kontexts (vgl. Exodus 22, 31) Hasaël dieser Knecht ist, den der grausame ungeachtet - darin eine Belohnung der Herr zu Großem und Fürchterlichem auser- Hunde sehen wollen für ihr Wohlverhalten wählt hat, hält sich Hasaël zunächst für in- während der Flucht aus Ägypten, aber hier kompetent und setzt sich, den Knecht, mit ist doch viel eher zu denken an das Vergnü- einem Hund gleich: Der Hund als Sinnbild gen des Hundes, Aas zu fressen und Leichen der Inkompetenz, der Minderwertigkeit? zu fleddern, obgleich diese Aktivitäten Da Hasaël nach Elischas Prophezeiungen tatsächlich hilfreich sind, da Seuchengefah- zum Größenwahnsinnigen mutiert und als ren minimiert werden: Der Hund als erstes Werk seinen kranken, also wehrlosen Gesundheitspolizei. Nicht so in der Hebrä- Herrn im Bett erstickt und selber König ischen Bibel, wird, der dann

- in der der Hund substanziell unrein ist, weil den Israeliten viel Leid bringen wird, der Herr am Tag des Strafgerichts über sein nämlich ihre Festungen in Brand stecken, unbotmäßiges Volk vier Plagen aufbieten ihre jungen Männer mit dem Schwert wird: töten, ihre Kinder zerschmettern, ihren schwangeren Frauen den Leib auf- Das Schwert zum Morden, die Hunde schlitzen wird (in: 2 Könige 8, 12), zum Fortschleifen (~ der Leichen), die Vögel des Himmels und die Tiere des sollte man doch den Hund, der nach Hasaëls Feldes zum Fressen und Vertilgen (in: voreiliger (Selbst)-Einschätzung zu all die- Jeremia 15, 3), sen Greueltaten nicht fähig ist, israeli- tischerseits eher respektieren als verachten. - in der der Hund mit dem unverbesser- Der Hund als Bild der Minderwertigkeit lichen, lernunfähigen Narren gleichgesetzt einem Mächtigeren gegenüber ist auch wird (hier offenbart sich eine erschreckende außerbiblisch in der Region gängige Mün- Inkompetenz in Sachen Hundeerziehung, ze: Der befehlshabende Offizier der israeli- wenn es um die Narren geht): tischen Garnison in Lachish (südwestlich von Jerusalem, das vor David keine israelitische Wie ein Hund seine Mahlzeit erbricht Stadt war) schreibt im frühen -6. Jahr- und wieder auffrisst, so kehrt der Narr hundert am Vorabend der Zerstörung Jeru- zu seiner Narrheit zurück (in: Buch der salems durch den babylonischen König Sprüche 26, 11) - und Nebuchadnezzar an seinen Vorgesetzten, ihm gegenüber sei er nur ein Hund (Craw- - in der der Psalmist (22, 17) Hunde den ford, 24): Armen und Verzweifelten jagen und um- zingeln sieht und in der der Arme seine ky my ´bdk klb ky (~ denn wer ist dein Feinde mit Pariah-Hunden vergleichen darf Sklave klb ~ keleb, dass ...) (Margalith, (in: Psalmen 59, 15-16). 492),

Der Hund wird auch zur Metapher für den und auf das dass folgt unmittelbar die Er- elenden Status des an sich zweifelnden wähnung einer Ehrung, die der Herrscher Untergebenen gegenüber dem Ruhm ver- dem Untergebenen hat zuteilwerden lassen heißenden Propheten Elischa: - Margalith schließt aus der Formulierung, dass die unterstellte Selbsterniedrigung Hasaël entgegnete: Was ist denn dein desjenigen, der sich dem Höheren gegen- Knecht, dieser Hund, dass er so gewalti- über als Hund bezeichnet, nicht mehr das ge Dinge tun könnte? (in: 2 Könige 8, 13). Denotat, sondern allenfalls nur noch das Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 316

316 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Konnotat des Wortes Hund in dieser Sprech- könnte diese Funktion haben. Vierbeiner ist situation ist. Das hat, wie Margalith nach- nicht spezifisch, Bello könnte schon - weil weist, Tradition im Alten Orient, denn schon mit Geräusch verbunden - leicht negativ ein- in den über 300 Amarna-Briefen aus der gefärbt sein, Fiffi ist meist ein Mischling und Korrespondenz des Herrschers Abdiasirti als solcher erst nach dem 3. Reich mehr und von Jerusalem mit dem Pharao Amenhotep mehr positiv, Wauwau gehört in die Kin- (-14. Jahrhundert) bezeichnet sich der dersprache, und spitz wie Nachbars Lumpi Schreiber dem Pharao gegenüber, in einer zu sein, ist auch schon moralisch anrüchig, ähnlichen Situation wie der in Lachish, als macht sich ein Lump doch aus dem Staub, Hund, und zwar insgesamt 35mal in ver- wenn die Zahlung von Alimente auf ihn zu- schiedenen Abwandlungen des Wortes kal- kommt. Dafür haben wir einige mehr und bu. Von diesen 35 kalbu kommen allein 17 mehr negativ konnotierte Synonyme: Kläf- vor in der redensartlich festgefügten Wen- fer ist eine umgangssprachliche Abwertung, dung denn wer ist dein Sklave Hund, dass ..., Köter kann salopp, ist aber meist abwer- 10mal tritt kalbu auf in der Kopplung ardu- tend gemeint, Töle ist derb und abwertend, kalbu (~ Hundesklave) und 7mal in der Promenadenmischung ist die scherzhafte Kombination amelu-kalbu (~ Hunde- Umschreibung für einen wertlosen, weil mann/mensch): In mesopotamischen Brief- nicht rassereinen Hund - der Franzose nennt wechseln kommen festgefügte Formeln vor so etwas poubelle (~ Mülleimer) -, Moppel wie aradka kalbaka u palihaka (~ dein und Müppelchen können nur adipöse In- Sklave, dein Hund und dein Verehrer) und sider nachvollziehen. Nach diesem Ausflug ebenfalls oft kommt die redensartliche in Die sinn- und sachverwandten Wörter des Fügung denn wer ist dein Sklave klb ~ keleb Herrn Duden (19972) wird uns klar, dass (Hundesklave), dass ... vor, daneben etliche Marduks Hund weder Marduks Müppel- theophorische Namen mit dem Hund als chen noch Marduks Töle sein kann. Und wer Komponente; zu den bereits erwähnten sich einem Pharao gegenüber als dessen ar- kommen hinzu: du-kalbu (~ Hundesklave) oder amelu-kalbu (~ Hundemann bzw. -mensch) bezeichnet, Kalbiuku, Kalbi son of Nabuetir, and der bedient sich einer feststehenden For- Kalbi father of Arad-Gula, Kalbi-Nan- mel, deren Selbsterniedrigungsgehalt rela- nari, or Kalbi-Aa, ... Kalbi-Samas (Mar- tiv gering sein dürfte: Mehr Dog-Man als galith, 492). Under-Dog, mehr Elitekrieger als Versager. Zwar evoziert man einerseits sich selbst im Es ist höchst unwahrscheinlich, dass in die- Verhältnis zum Herrscher als weniger wert- sen (Selbst)-Bezeichnungen der negative voll - was auch der untertänigste Diener sei- Aspekt des Hundes überhaupt konnotiert ner durchlauchtigsten Majestät nicht anders ist - was soll es für einen Sinn machen, wenn beabsichtigt, aber andrerseits hebt man(n) sich jemand den dreckigen Köter des Gottes auch ab auf die sprichwörtliche Loyalität Marduk nennt? Leider kennen wir im Deut- des Hundes zu seinem Herrn: Eine eher am- schen nur fürs Pferd die Konnotationskette bivalente denn rein negative Geste. Auch in Ross-Pferd-Gaul-Klepper-Schindmähre, wo anderen, wieder biblische(re)n Zusammen- Pferd isoliert lexikalisch gesehen reines De- hängen liegt es nahe, Ambivalenz und nicht notat ist, während Ross uneingeschränkt reine Negativität anzunehmen: Positives und Gaul-Klepper-Mähre mehr und mehr Negatives konnotieren. Dem Jetzt aber lachen über mich, die jünger Hund als Denotat, in dem gleichzeitig - je sind als ich an Tagen, deren Väter ich nach Kontext - negative Konnotate mit- nicht für wert geachtet, sie bei den schwingen können, steht kein Ross-Äquiva- Hunden meiner Herde anzustellen (in: lent zur Seite, höchstens der Rassehund Job 30, 1). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 317

DER HUND ALS AUSBUND DES BÖSEN IN DER HEBRÄISCHEN THEOLOGIE 317

Obwohl die Herde ein Statussymbol ist und ihren Lippen, wer nimmt sie wahr? ... die Hunde, die sie beschützen und/oder zu- Abend für Abend kommen sie wieder, sammenhalten, eine unabdingbare Not- sie kläffen wie Hunde, durchstreifen die wendigkeit sind, dürfte im Kontext die Aus- Stadt. Sie streunen umher, gierig nach sage beabsichtigt sein, dass Job die Väter Fraß; werden sie nicht satt, dann knur- der Lacher noch nicht einmal für den nied- ren sie (in: Psalmen 59, 7-8 & 15-17). rigsten Job wert erachtet, den er vergeben könnte: In jeder Hinsicht eine äußerst wi- Man könnte die negative Einschätzung von dersprüchliche, weil den eigenen Interessen Pariah-Hunden noch nachvollziehen, ob- zuwider laufende und deshalb irrationale wohl sie auch positive Funktionen in den Einschätzung des Hundes - nicht nur des Städten und Dörfern ausüben, wenn dafür Hundes, wenn die Hirten noch zu Ange- die eindeutig arbeitenden Hunde, nämlich stellten ihrer Hunde degradiert werden - die Herdenhunde, anders, also differenziert spricht hier ein Ackerbauer? Jedenfalls eine betrachtet würden; aber nein, der Hund der besonders schöne Initialzündung für späte- Hirten und diese selbst bezeichnen in einer re Nachahmer bis hin zu , der zwischen Vergleich und Metapher pendeln- seinen Kollegen Ghaddafi als den kalbu den Stilfigur den falschen Propheten: segu ~ mad dog des Nahen Ostens bezeich- nete, ist der Brauch, den Gegner, den Ver- Die Wächter des Volkes sind blind, sie räter und den falschen Propheten als Hund merken allesamt nichts. Es sind lauter abzuqualifizieren - zuerst als Gegner: stumme Hunde, sie können nicht bel- len. Träumend liegen sie da und haben Meine Kehle ist trocken wie eine Scher- gern ihre Ruhe. Aber gierig sind diese be, die Zunge klebt mir am Gaumen, du Hunde, sie sind unersättlich. So sind die legst mich in den Staub des Todes. Viele Hirten: Sie verstehen nicht aufzumer- Hunde umlagern mich, eine Rotte von ken (in: Jesajah 56, 10-1). Bösen umkreist mich. Sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann alle Hunde und Hirten sind angeblich wie Lehrer meine Knochen zählen; sie gaffen und faule Säcke, die nicht ihre Pflicht erfüllen. weiden sich an mir. Sie verteilen unter Die anfängliche Metapher vom Hund als sich meine Kleider und werfen das Los Wächter des Volkes ist mit Platons Hund des um mein Gewand. Du aber, Herr, halte Staates (> V) zwar in der Konstruktion iden- dich nicht fern! Du, meine Stärke, eil mir tisch, in der Wertung von Hirten und Hund zu Hilfe! Entreiße mein Leben dem als Wächter jedoch grundverschieden. Ein Schwert, mein einziges Gut aus der Ge- kynologischer Offenbarungseid unterläuft walt der Hunde (in: Psalmen 22, 16-20). dem Dichter, wenn er auf akustischer Ebene vom Hörvermögen des Hundes völlig Bezeichnet der Hund in Psalmen 22 noch als abstrahiert, dafür aber wohl die Bell- eine einfache Metapher die Gegner, so ent- Unfähigkeit dieser besonderen Hunde ak- wickelt der Dichter von Psalmen 59 für die zentuiert. Und fürs Nichtstun wollen sie Verräter schon ein metaphorisches Netz, das auch noch gefüttert werden. Dann die er aus dem Verhalten der Pariah-Hunde ent- Rückkopplung an den zu Beginn der Text- wickelt: stelle verkürzten Vergleich, der jetzt explizit wird: So sind die Hirten - sie sind wie ihre Herr ..., sei keinem trostlosen Frevler Hunde. Es lohnt sich nicht, die Metaphorik gnädig! Abend für Abend kommen sie von Hirte und Hund zwischen Plato und wieder, sie kläffen wie Hunde, durch- dem Jesajah-Dichter zu vergleichen, dazu streifen die Stadt. Ja, sie geifern mit ist Platons kynologische Kompetenz viel zu ihrem Maul. Die Schwerter zwischen groß. Ich frage mich, welcher Adressat wohl Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 318

318 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

die Drohung Jesajahs gegen die Führer des selbst auf theoretischer Ebene die traurige Volkes ernstgenommen hat, denn das von Tradition der Vernichtung anderer Religi- Hirten und Hunden gezeichnete Bild hat onsformen und ihrer leibhaftigen Träger keinerlei referentiellen Bezug. Im Deutero- und Trägerinnen fort, über die uns das be- nomium (23, 18), jenem späten Buch der deutungsschwangere fünfte Buch Moses´, Hebräischen Bibel, dem wir noch intensiver, das Deuteronomium (~ Zweite Gesetzge- als uns lieb ist, unsere kynosophische Auf- bung) noch näher informieren wird. Kom- merksamkeit widmen müssen, wird den men wir wieder zum Dirnenlohn und Hun- Hunden und Huren (~ sakralen Prostituier- degeld zurück: ten) der Zugang zum Tempel des Herrn un- tersagt: Du sollst weder Dirnenlohn noch Hundegeld in den Tempel des Herrn, Unter den Frauen Israels soll es keine sa- deines Gottes, bringen: krale Prostitution geben, und unter den Männern Israels soll es keine sakrale Das Hundegeld hat man(n) sogar noch 1976 Prostitution geben. Du sollst weder Dir- versucht, wörtlich zu verstehen, als Erlös aus nenlohn noch Hundegeld (~ die Bezah- einer Hundevermietung: lung bei männlicher Prostitution) in den Tempel des Herrn, deines Gottes, brin- Or the passage may be read quite lite- gen; denn auch diese beiden Dinge sind rally, as meaning precisely what it says dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel. and no more: the price for the hire of an animal, specifically the dog (Fisher, 234). Kaum einem Exegeten ist der tiefere Sinn dieser Textstelle aufgegangen (sie wird uns Abgesehen davon, dass der Boden des noch an anderer Stelle beschäftigen), es buchstäblichen Verstehens bereits verlassen genügt ja auch schon die eigene latent ne- ist, wenn Fisher vom dog auf an animal ver- gative Einstellung zum Hund und zur Pro- allgemeinert, blendet er die Tatsache aus, stitution, um die biblische Abwertung nach- dass der Hund in der Hebräischen Bibel ab- zuvollziehen: Dass es hier um das Verbot ei- solut negativ konnotiert ist: Wie sollte man nes zentralen Zeremoniells der Nachbarvöl- mit dem unreinen Tier par excellence denn ker und der Vorbevölkerung Kanaans geht, Geschäfte machen können? Wer sollte denn nämlich um die Heilige Hochzeit des Hun- einen Hund mieten wollen? Zu welchem demanns mit der sakralen Prostituierten als Zweck? Und warum überhaupt, wenn er stilisiertes Ritual der sakralen Promiskuität sich einen Pariah-Hund kostenlos einfangen (> III), das konnte erst mit der tiefen- kann? Und warum sollte er versuchen, den psychologischen und der kynosophischen Erlös in den Tempel zu bringen? Das setzt Methode erkannt werden. Natürlich fühl- doch voraus, dass der Hund göttlich konno- ten und fühlen sich weiterhin zahlreiche Re- tiert ist und sein Gebrauch im Tempel ent- ligionswissenschaftler berufen, den Zusam- golten wurde. Mit solchen theologischen menhang von Heiliger Hochzeit und sakra- Blüten müssen wir leben, während andere ler Prostitution sowie die Existenz sakraler davon leben - E.J. Fisher selbst ganz gut und Prostitution in Mesopotamien und Palästina Chr. Frevel wohl auch, wenn er Fisher so grundsätzlich zu leugnen. Das gelingt sogar kommentiert: ansatzweise, wenn man die westasiatischen Phänomene isoliert betrachtet von ihrem Es geht hier nicht um den Erlös aus ei- weltweiten Kontext, in den z.B. auch die In- ner „Hundevermietung“ ... sondern um uit zu stellen sind (> I). Ich werde auf diese von Männern betriebene profane Pro- Scheinproblematik noch einmal zurück- stitution. Dabei ist wahrscheinlich, dass kommen. Jedenfalls setzt man noch heute kælæb pejorativ (~ abwertend) ge- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 319

DER HUND ALS AUSBUND DES BÖSEN IN DER HEBRÄISCHEN THEOLOGIE 319

meint ist, auch wenn das Wortfeld Draußen bleiben die „Hunde“ und die zunächst auch nur einen Diener oder Zauberer, die Unzüchtigen und die Angestellten bezeichnen kann (Frevel, Mörder, die Götzendiener und jeder, 647-8). der die Lüge liebt und tut (Johannes, Offenbarung 22, 15). Und um die von uns allen kaum erwartete Wahrscheinlichkeit, dass kælæb pejorativ Ich komme auf diese Offenbarung gleich gemeint ist, noch abzustützen, vergisst Fre- noch einmal zurück, jetzt betrachte ich nur, vel schon in der Fußnote zum nächsten Satz wie Frevel, der sich auf diese räumlich und die eben noch behauptete Lukrativität der zeitlich weit entfernten Stellen beruft (ein Vermietung jenes obskuren Objekts hün- Verfahren, das er Kollegen gern anlastet), discher Begierde - des Hundes also -, um sich weiter argumentiert, um den Hund in sei- in dem für seine Argumentation kontrapro- nem Sinn präzisieren zu können: duktiven, für meine Argumentation aber höchst produktiven Nachweis zu ergehen, Der Verweis auf Phil 3,2 und Offb 22, 15, dass der Hund von allen Haustieren in der wo der Gebrauch von ␬␷␯␱␨ (griech.: Hebräischen Bibel am übelsten beleumun- Hund) wie der „kælæb“ in Dtn 23, 18f det sei: auf männliche Sakralprostituierte deu- ten soll ... lässt sich nicht halten. „Der „Hund“ war ein geläufiges Schimpf- Aussagesatz schließt mit einem verächt- wort ..., mit dem man widerliche, unbe- lichen Schmähwort „Hunde“ mit großer deutende, besonders auch brutale Wahrscheinlichkeit diejenigen Irrlehrer Typen bezeichnete (2 Kö 8, 13). „Hund“ (2, 14 f. 20 vgl. Phil 3,2) aus der Gemein- ist die einzige Haustierbezeichnung, die de aus, die sich dem religiösen Schein im AT (~ Altes Testament) als Schimpf- des römischen Imperiums kompromiss- wort verwendet wird, bereit öffnen. Weiter werden aber abgefallene Christen mit der Metapher zitiert Frevel beiläufig einen seiner Kolle- von den herumstreunenden Hunden gen. Und das geläufige Schimpfwort Hund bezeichnet (Frevel, 648, FN 321). - so möchte ich Frevel vervollständigen - war noch geläufiger, wenn man jemanden als Wie kommt Frevel darauf, Hunde und keleb Sohn einer läufigen Hündin bezeichnete: seien nicht identisch? Die zu Beginn von Phi- Soviel kynosophischen Trost muss man auch lipper 3, 2 genannten Hunde machen nur für einen Frevel übrig haben, selbst wenn er Sinn, wenn man sie metaphorisch versteht, am Hund begangen wird. Doch kommen da sie mit den falschen Lehrern und den Ver- wir zum ersten Frevel wieder zurück, der schnittenen syntaktisch und semantisch par- sich und die Textstelle nun doch in einen et- allelisiert sind. Die falschen Lehrer mögen in- was weiteren Horizont stellt, indem er zu- nerkirchliche Abweichler von der reinen Leh- erst auf den Brief des Apostels Paulus an die re sein, vielleicht auch die Priester der Philipper in Ostmazedonien verweist: matriarchalen Konkurrenzreligion, die Ver- schnittenen aber sind eindeutig die freiwillig Gebt Acht auf diese Hunde, gebt Acht kastrierten männlichen Priester der anato- auf die falschen Lehrer, gebt Acht auf lischen Großen Göttin Kybele, deren orgias- die Verschnittenen (in: Philipper 3, 2), tischer Kult -204 in Rom eingeführt und in Athen schon 200 Jahre früher praktiziert und dann noch erinnert an die Offenbarung wurde. Diese Eunuchen-Priester werden uns des Johannes, der all die ausgrenzt, die noch beschäftigen, da die reale Selbst- nicht ins offenbarte Paradies der Gemeinde Kastration dieser Priester wahrscheinlich erst dürfen - sie müssen leider draußen bleiben: in historischer Zeit durchgeführt wurde (> Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 320

320 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

III): Welche Funktion hatten die Priester im Zeiten heilig sein und mussten es daher Kult der Großen Göttin, als sie sich noch nicht heimlich treiben - deshalb kann der keleb für freiwillig und selbst kastrierten? Wenn wir Frevel auch nur ein Diener oder Angestellter annehmen dürfen, dass der zur Zeit der sein, keinesfalls ein Priester. Wessen Ange- Eunuchen-Priester schon 6.000 Jahre alte stellter der keleb wäre, wenn er überhaupt libysche Proto-Typ nicht kastriert war (> II, einer ist, lässt auch Frevel offen - und räumt 228, Fig. 64.5), kann und wird er andere ein, dass es wahrscheinlich ist, dass kælæb Funktionen im Kult wahrgenommen haben. pejorativ gemeint ist, ohne zu sagen, von Wir hätten also einen paradigmatischen wem: Vom hebräischen Gesetzgeber doch Wechsel anzunehmen. Dazu später mehr; im wohl und nicht von dem, der den lukrativen Moment interessiert uns eine erste symbo- und zugleich sakralen Job des Tempel- lische Funktion des Hundes im israelitischen Hundes betreibt. Hier nun tut Frevel etwas, Kanaan und im gesamten altorientalischen was er an anderer Stelle anderen vorwirft: Er Umfeld. Dass ich dabei nicht auf die religi- tut so, als ob der trennende Strich zwischen onswissenschaftlichen Kriterien zur Götter- sakraler und profaner Prostitution im Alten unterscheidung achte, sondern den tiefen- Orient sauber zu ziehen wäre, während er an psychologischen gemeinsamen Nenner anderer Stelle den Übergang von profaner unterschiedlicher Gottheiten suche, hat auch zu sakraler Prostitution für fließend hält und damit zu tun, dass ich nicht, wie jener Frevel mithin die Existenz sakraler Prostitution zu- dort, eine theologische Karriere anstrebe. gibt. Außerdem wirkt seine Konstruktion Deshalb trete ich immer für eine Erweiterung eines Berufs von nichtpriesterlichen Kult- und gegen eine Verengung des Horizonts angestellten, wenn von sakralen Prostituier- ein: Blenden wir also die Information über ten die Rede ist, fast so zwitterhaft wie die die Verschnittenen ein - und nicht aus, wie Eunuchenpriester selbst. Nun heißt es aber Frevel dies tut -, dann ergibt sich gegen Fre- im Zusammenhang von Deuteronomium 23, vel eher der Eindruck, dass die zu Beginn von 18 in der Einheitsübersetzung: Philipper 3, 2 genannten Hunde der Oberbe- griff sind für falsche Lehrer und Verschnitte- Unter den Frauen Israels soll es keine ne, wobei wir ja schon wissen, dass die Prie- sakrale Prostitution geben, und unter ster oder - mit Frevel zu reden - die männ- den Männern Israels soll es keine sakra- lichen Tempelangestellten der Großen Göt- le Prostitution geben. tin als Hunde bezeichnet werden. Die eventuellen innerkirchlichen Abweichler Also muss Frevel sich neben den Boden der werden also auf eine Stufe gestellt mit den Einheitsübersetzung stellen, um die sakrale Priestern der Konkurrenzreligion. Der Hin- Prostitution weiter leugnen zu können: weis auf die herumstreunenden Hunde ver- fängt in diesem Kontext nicht, da Hunde Einen Bezug der erläuternden Angabe durch die Verschnittenen eindeutig religiös in V 19 auch auf V 18 suggeriert die EÜ konnotiert sein müssen, was bislang von (~ Einheitsübersetzung) in ihrer Über- Pariah-Hunden noch nicht bekannt ist - auch setzung (Frevel, 647, FN 317). wäre deren Affinität zur Prostitution - ganz gleich, ob profan oder sakral - noch nachzu- Der leichte Tadel, den Frevel den Einheits- weisen. Und so bemüht Frevel sich noch 1995 übersetzern verpasst, und das sind immer- geflissentlich in zwei gewichtigen Bänden hin Theologen verschiedener Konfessionen, zur Aschera und zum Ausschließlichkeitsan- die sich auf weitestgehende Akzeptanz ih- spruch YHWHs, die sakrale Prostitution zu res Übersetzungswerks einigen mussten, leugnen, indem er die Front begradigt durch hindert Frevel nicht daran, sich selbst auf Anerkennung einer profanen Prostitution: weitestgehende Akzeptanz zu berufen, Heilige mussten wohl für Chr. Frevel zu allen wenn es ihm in die Argumentation passt: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 321

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Diese (~ Frevels Deutung) des „kælæb“ lichen Höhlen - wenn man aber die bib- als männlicher Prostituierter ist weitest- lischen Textstellen isoliert von ihrem welt- gehend in der Exegese akzeptiert. Eine weiten Kontext, dann verkommt die Heilige Verbindung zur Kult- oder Tempelpro- Hochzeit zwischen dem Jahreskönig und stitution ... lässt sich nicht halten. Es der Großen Göttin vom frühisraelitischen handelt sich vielleicht um Tempelperso- Buch der Könige bis zur spätchristlichen nal, jedoch ist eine Deutung auf sexuel- Offenbarung (17, 1-2) des unsinnlichen Jo- le Aktivitäten hin nicht aus den Texten hannes zur profanen Prostitution: selbst zu erheben, sondern erst über Dtn 23,9 assoziiert (Frevel, 647, FN 320). ... die große Hure (~ im Kontext: Baby- lon; aber eigentlich die Große Göttin Selbst wenn in anderen Textstellen der ke- der Nachbarreligionen), die an den leb nicht mit sexuellen Aktivitäten assoziiert vielen Gewässern sitzt. Denn mit ihr ist - er ist ja im lexikalischen Nebenberuf haben die Könige der Erde Unzucht auch weiterhin einfach ein Hund -, so sollte getrieben und vom Wein ihrer Hurerei doch dem Exegeten Frevel die Assoziation wurden die Bewohner der Erde be- genügen, die der Deuteronomist stiftet zwi- trunken. schen dem keleb als Metapher und der im Vers davor erwähnten sakralen männlichen Die Huren in Samaria und die in ihrer Prostitution. unmittelbaren syntaktischen und referen- tiellen Nähe genannten Hunde bilden, so Nun ist aber der keleb nicht nur weitest- unscheinbar Könige 22, 38 auf den ersten gehend als männlicher Prostituierter akzep- Blick sein mag, die für Israeliten unheilige tiert, sondern durch die angebliche „Sug- Allianz von männlichen und weiblichen gestion“ der Einheitsübersetzer darüber- Tempelprostituierten, die aber immer auch hinaus als sakraler männlicher Prostituier- Tänzer/innen und Priester/innen sind, wo- ter. Wer immer noch glaubt, mit dieser von hier natürlich geschickt abstrahiert Stelle nur auf einem Bein zu stehen, der sei wird. Was für eine Schmach wird dem König zum Trost verwiesen auf das Buch der von Israel damit angetan! In dem apo- Könige: kryphen (~ dem nicht in den Kanon aufge- nommenen, jedoch den anerkannten bib- So starb der König (von Israel in der lischen Schriften formal und inhaltlich sehr Schlacht gegen die Aramäer); man ähnlichen) Buch Enoch heißt es über Israels brachte ihn nach Samaria und begrub Nachbarn, die Philister, die Ammoniter und ihn dort. Als man im Teich von Samaria die Edomiter, sie stellten eine Gefahr für das den Wagen (den Kampfwagen des Erwählte Volk dar, und um dieses Risiko zu Königs) ausspülte, leckten Hunde sein präzisieren, verwendet der Schreiber den Blut, und Dirnen wuschen sich darin, Hund als abwertendes Symbol (Menache, nach dem Wort, das der Herr ge- 4): Das Risiko ist die sinnenfrohe, körper- sprochen hatte (in: 1 Könige 22, 38). orientierte Religion der Nachbarn Israels.

So tief kann ein König von Israel fallen, dass Und obwohl der Hund in den frühen Hunde sein Blut lecken und sakrale Prosti- Gesellschaften mit landwirtschaftlich-vieh- tuierte sich darin suhlen, denn diese heili- züchterischer Subsistenzstrategie überle- gen „Huren“ sitzen an Gewässern, das Was- benswichtige Funktionen erfüllt und daher ser ist der Aspekt ihrer Fruchtbarkeit, das im Grunde positiv bewertet werden müsste, Symbol ihres positiven Elementarcharakters setzt sich in der hebräischen Religion immer (> I, 224: Fischleib der Großen Göttin) bis mehr der rein negative Aspekt des Hundes hin zur unscheinbaren Quelle in eiszeit- durch. Sophia Menache (4) von der Univer- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 322

322 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

sität Haifa in Israel sieht eine Erklärung für Eine rabbinische Vorschrift, die die heuti- diese absolut vereinseitigte Sicht des Hun- gen „Listenhunde“ vorwegnimmt und in des in der biblischen Ablehnung des Poly- sich durchaus vernünftig wäre, wenn da theismus (~ Verehrung einer Vielzahl per- nicht wie heute auch der grundsätzliche, in sönlich gedachter Götter), den die Israeliten unserem Zusammenhang also grundlose besonders in Zeremoniell und Mythos Ägyp- Vorbehalt gegen den Hund als solchen mit- tens näher kennenlernten: Anubis als schwänge, denn nur dieser Vorbehalt legiti- hundsköpfiger Gott (> II) und Isis als Göttin miert die Vorschrift - als ob Hunde von sich der Unterwelt, auf einem Hund reitend, in aus „böse“ seien und nicht von Menschen der Frühzeit sogar rein tiergestaltig als Hün- dazu gemacht würden. Diesen Vorbehalt din gedacht (> II & III) und die übrigen tier- äußert Rabbi Eliezer der Große klar im köpfigen Gottheiten Ägyptens sorgten ka- babylonischen Talmud, talytisch während des wohl nicht ganz frei- willigen Aufenthalts der Hebräer in Ägyp- that he who breeds dogs is like him who ten für den Anstoß zur Entwicklung einer breeds swine. What is the practical monotheistischen Religion und zur extre- bearing of this comparison? That he men Aversion gegen den Hund. Die Rabbi- (who breeds a dog) be declared cursed ner revidieren in ihren Schriften, in denen (in: Menache, 5), sie die Hebräische Bibel neuen Zeiten an- passen, scheinbar die hasserfüllte Ableh- und da das Schwein als Nahrungsmittel nung des Hundes, indem sie zwischen gut- tabuisiert ist, genügt die Parallelisierung en und bösen Hunden unterscheiden. Aber des Hundes mit dem Schwein, um den Hun- eben nur scheinbar, denn auch der Umgang dezüchter - und der Kontext legt nahe, he mit einem sogenannten guten Hund will who breeds dogs schon auf den einfachen klug bedacht sein: Hundehalter anzuwenden - als fluchwürdi- ge Person erscheinen zu lassen. ... the basic rejection found in the Bible is corroborated by the rabbi´s admoni- Woher kommt dieser Hass? Lässt man ein- tion to use a cautious attitude toward mal die tiefenpsychologische Perspektive “good dogs”: even these had to be beiseite und fragt die Rabbiner direkt, so securely chained during the day, and verweisen sie auf ein Ereignis, bei dem ein could be freed only at night when only Hund Gott vertrieben haben soll: suspicious people walked the streets (Menache, 5). R. Dostai of Bira expounded: “And when it rested, he said, Return O Lord Hier klingt im Vorbeigehen schon der Kern unto the tens of thousands (and) the heutiger Hundehaltungsvorschriften in thousands of Israel” (Num. 10: 36). This Deutschland an. Dass die Rabbiner auch (he said) teaches that the Shechinah schon einen „Wesenstest“ für Hunde ge- (the divine presence) does not rest upon kannt haben müssen, ist der nächsten Regel Israel if they are less than two thousand zu entnehmen: plus two ten of thousands. Were there- fore the Israelites (to be twenty-two On the other hand, the ownership of an thousand) less one, and there was the- “evil dog” - that is, one that bites and re among them a pregnant woman thus barks - was completely forbidden, since capable of completing the number, but it could endanger others and cause its a dog barked at her and she miscarried, owner to violate the Biblical prohibi- the (dog) would in this case cause the tion, “Do not place blood in your Shechinah to depart from Israel ... (in: home” (Deut. 22:8) (Menache, 5). Menache, 5). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 323

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Was aber für ein Gott ist das, der wegen ei- pfung des Hundezeremoniells noch nach bis nes Hundes Reißaus nimmt, wenn die von ins Mittelalter, als man dieses Verbot in den ihm gewünschte Rekordzahl von 22.000 Talmud einfügte; analog zur christlichen In- Israeliten um 1 unterschritten wird? quisition findet man noch in den letzten, unverdächtigen Mensch-Hund-Relationen The presence of a single dog could thus hexenhaftes Potenzial, dem entschieden jeopardize the chances of redemption vorzubeugen ist - eine Witwe ist eine Frau for the entire Jewish community ohne Mann, also eine nicht kontrollierte through its rough barking (Menache, 5). Frau, ein Risikopotenzial; eine Witwe mit Hund realisiert Sodom und Gomorrha im Wo ein bellender Hund eine Fehlgeburt be- Kleinen. Hundehaltung gilt auch als sozio- wirken kann, muss die Aversion gegen Hun- kulturelles Kennzeichen der Unbeschnitte- de auf gesellschaftlich breiter Basis extrem nen: “the abhorrent behavior of the uncir- entwickelt sein; da Gott nach Feuerbach eine cumcised” (Nahmanides in: Menache, 5). Ein Teilvergegenständlichung der menschlichen anderer Rabbi erlaubt aus ähnlicher Grund- Psyche sein kann, entspricht die Intensität der haltung heraus die Haltung eines Hundes menschlichen Aversion der göttlichen Cano- nur, wenn er phobie (~ Hundefeindschaft): Gott spiegelt in diesem Kontext nur die gesellschaftliche served economic or protective pur- Einstellung. Ist Hundehaltung im rabbi- poses, but he strongly condemned pet- nischen Israel schon grundsätzlich negativ keeping as a waste of time and “preci- besetzt, so gilt ein ausgesprochenes Hunde- sely the (abhorrent) behavior of the haltungsverbot für Witwen: uncircumcised” (in: Menache, 5).

Widows ... were urged to avoid keeping Mit diesen Unbeschnittenen können nicht dogs so as to exclude any possibility of die frühen Christen gemeint sein: bestiality (Baba Metzia, 71a; in: Me- nache, 5). Frühe Christen - bruchlose Das gründet sich auf das frühe und allge- Fortsetzung der Hunde-Aversion meine mosaische Verbot: Die Christen setzen die canophobe Keinem Vieh darfst du beiwohnen, du Tradition der Hebräischen Bibel in ihrem würdest dadurch unrein. Keine Frau Neuen Testament bruchlos fort - Johannes darf vor ein Vieh hintreten, um sich mit sieht in seiner Offenbarung den Erlöser na- ihm zu begatten; das wäre eine schand- hen und weiß, dass der Gerechte Anteil am bare Tat (in: Levitikus 18, 23). Baum des Lebens haben wird (gab es einen Baumkult im Christentum?), Bestiality und dem Vieh beiwohnen bedeu- tet hier Geschlechtsverkehr mit Tieren und und er wird durch die Tore in die Stadt wird statt transpersonal wörtlich genom- eintreten können. Draußen bleiben die men. Eine für kynosophisch nicht bewan- „Hunde“ (im Original sicher nicht in An- derte Leser unverständliche Anmutung, führungszeichen, eine Begründung für aber wer den Mythos und das Zeremoniell die „...“ ist der Einheitsübersetzung nicht vom Hundemann und der empfängnisbe- zu entnehmen) und die Zauberer, die reiten Venus kennt, wird bei bestiality nicht Unzüchtigen (Menache (1) übersetzt: nur an einen juristischen Paragraphen, son- Zuhälter) und die Mörder, die Götzen- dern an ein grundlegendes religiöses My- diener und jeder, der die Lüge liebt und thologem denken: Hier wirkt die Bekäm- tut (Johannes, Offenbarung, 22, 15). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 324

324 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Tja, wir müssen leider schon wieder ge), denn sie schreit hinter uns her. Er draußen bleiben! Und auch Schamanen, Or- antwortete: Ich bin nur zu den verlore- ganisatoren von Heiligen Hochzeiten, Mör- nen Schafen des Hauses Israel gesandt. dern und Andersgläubigen und überhaupt Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder jedem, der andre Lügen verbreitet, wird der und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Zutritt verboten sein zum neuen Paradies. In Es ist nicht recht, das Brot den Kindern seiner sogenannten Offenbarung führt der wegzunehmen und den Hunden vorzu- Schriftsteller Johannes die Assoziation von werfen. Da entgegnete sie: Ja, du hast Hund und Prostituierten also nahtlos weiter recht, Herr! Aber selbst die Hunde be- und parallelisiert sie, die Unzüchtigen, mit kommen von den Brotresten, die vom Mördern. Wo bleibt da die Nächstenliebe? Tisch ihrer Herren fallen. Darauf ant- Nur der Mensch ist nach Gottes Ebenbild wortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist geschaffen, nicht die Tiere, die folglich nicht groß. Was du willst, soll geschehen. Und als göttlich geachtet werden dürfen - die von dieser Stunde an war ihre Tochter Tiere sind dem Menschen untertan, der geheilt (in: Matthäus 15, 26), Mensch hat die Tiere zu beherrschen, Mensch und Tier begegnen sich nicht auf Die Schafe Israels sind nicht zu verwechseln derselben Ebene, wie das zwischen Bär und mit den Hunden Kanaans - und wenn der Inuit paradigmatisch zu erfassen war (> I): Herr schon nicht für die Kanaaniter zustän- Das ist die völlige Abkehr von der jäge- dig war, warum musste man dann die ganze rischen Paläomentalität und bereitet die ju- Welt zu missionieren versuchen? Der Hass ristische Konzeption vom Tier als Sache vor. auf Kanaan sitzt tief, schon wenn in der He- Auch Jesus von Nazareth beteiligt sich an bräischen Bibel Kanaan erstmalig genannt der Hetze gegen den Hund, wenn er ihn mit wird (Genesis 9, 18-29), erscheint es (reprä- den Säuen analogisiert, denen man(n) kei- sentiert durch Ham) sofort in denkbar ne Perlen vorwerfen soll: schlechtem Licht: Noah ist betrunken, liegt nackt in seinem Zelt, und Ham, der Vater Ka- Gebt das Heilige nicht den Hunden und naans, hat nichts Eiligeres zu tun, von der werft eure Perlen nicht den Schweinen Blöße seines Vaters seinen Brüdern Sem und vor, denn sie könnten sie mit ihren Jafet zu erzählen, anstatt die Blöße pietät- Füßen zertreten und sich umwenden voll zu bedecken. Rösel bilanziert daher das und euch zerreißen (in: Matthäus 7, 6). Verhältnis Israels zu Kanaan so:

Dass es sich nicht um eine zufällige Stelle im 1. Dem Stammvater Kanaans wird ein Neuen Testament handelt, verdeutlicht Verhalten zugeschrieben, welches das Matthäus einige Kapitel später an jener an- Verletzen eines Sexualtabus darstellt; er geblich griechischen, in Wirklichkeit aber wird dafür - in den Augen des bib- kanaanäischen Frau, deren Tochter von ei- lischen Erzählers zu Recht - verflucht. nem Dämon besessen scheint: 2. Der Gegensatz zwischen Kanaan und Von dort (~ Gennesaret) zog sich Jesus Israel ist auch dadurch ausgedrückt, in das Gebiet von Tyrus und Sidon dass dem verfluchten Kanaan direkt der zurück. Da kam eine kanaanäische Frau gesegnete Jahwe gegenübersteht, aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Jahwe, der Gott Israels, wie wir hinzu- Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn des fügen. Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr kei- 3. Kanaan wird nicht einfach als ne Antwort. Da traten seine Jünger zu „Knecht“ bezeichnet, er wird zum ihm und baten: Befrei sie (von ihrer Sor- „Knechtes Knecht“, zum „Erzknecht“ Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 325

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verflucht. ... Die Vermutung ist nahelie- Die offizielle Doktrin verschreibt also ein se- gend, dass das „kanaanäische Problem“ xuelles Kontaktverbot, ein politisches Bünd- nicht nur von theoretischer Bedeutung, nisverbot und ein ethnisches Vertreibungs- sondern noch sehr akut war, als diese gebot (Rösel, 47): Keine Vermischung mit Erzählung entstand (Rösel, 38-9). Menschen, deren schlechter Ruf unlösbar mit lockerer Sexualmoral und Hundever- Auch Abraham erfährt angeblich die narrtheit verknüpft zu sein scheint. Israel Verworfenheit der kanaanäischen „Hunde“ definiert seine Identität gegen beide Laster, in der Genesis (20, 9), wenn er es für möglich bis hin zu jener kanaanäischen Frau, die von hält, dass die Bewohner ihn töten, um sich Jesus besserwisserisch über das richtige Ver- seiner Frau zu bemächtigen. Folgerichtig hältnis von Mensch und Hund aufgeklärt untersagt er seinem Sohn Isaak (Genesis 24), wird. Die Frau ist aber zum Glück nicht auf eine Tochter Kanaans zu heiraten. Eine den Mund gefallen: Denn auch des Mat- Generation später besteht immer noch thäus Kollege Markus weiß von dem Vorfall dasselbe Problem der Heirat mit ortsan- ähnlich zu berichten: sässigen „Töchtern“; und begehrt ein Kanaaniter eine Israelitin zur Frau, so Die Frau, von Geburt Syrophönizierin, behandelt er sie angeblich wie eine Hure war eine Heidin. Sie bat ihn, aus ihrer (Genesis 34,1) - ein friedliches Zusammen- Tochter den Dämon auszutreiben. Da leben mit den (Vor)-Bewohnern des Ver- sagte er zu ihr: Lasst zuerst die Kinder heißenen Landes ist für die Israeliten un- satt werden; denn es ist nicht recht, das vorstellbar; dabei gibt es durchaus Misch- Brot den Kindern wegzunehmen und ehen, wie im Buch Richter (9) nachzulesen den Hunden vorzuwerfen. Sie erwider- ist; und unter den klugen Königen David te ihm: Ja, du hast recht, Herr! Aber und Salomo kam es sogar zu einer weitge- auch für die Hunde unter dem Tisch fällt henden Integration der nichtisraelitischen etwas von dem Brot ab, das die Kinder Elemente in den Staat Israel. essen. Er antwortete ihr: Weil du das gesagt hast, sage ich dir: Geh nach Nach der biblischen Überlieferung bil- Hause, der Dämon hat deine Tochter det Kanaan immer ein Gegenüber zu Is- verlassen (in: Markus 7, 27). rael: Israel ist seinem Ursprung und We- sen nach von Kanaan getrennt. Da Is- Markus verwässert die relativ klare Aussage, rael sich aber im Lande Kanaan ent- dass Jesus sich nur für die Kinder Israels zu- wickelte, musste es zu einem Ausgleich ständig fühlt und nicht für die Hunde, par- oder einer anderen Lösung des ka- don: Heiden. Nicht die frühen Christen sind naanäischen Problems kommen. Ein also mit den Nichtjuden zu identifizieren, breites Spektrum möglicher Lösungen vielmehr lässt die Gleichsetzung des Nicht- lässt sich im Alten Testament er- juden mit dem Hundehalter und so met- schließen, angefangen von Tendenzen, onymisch mit dem Hund auch Rückschlüsse zu einer vollständigen Verschmelzung zu auf die Vorbevölkerung Kanaans, die von von Kanaan und Israel zu gelangen, bis den Israeliten angeblich vertrieben hin zur utopischen Vorstellung der Aus- und/oder ausgerottet wurde und auf die rottung aller Kanaanäer. Die Lösung, verachteten Nachbarvölker: die sich in der Geschichte durchsetzte, entsprach eher der ersten Alternative. No wonder, therefore, that dogs were Jedoch hielt sich die entgegengesetzte used to symbolize the pandemonium Ideologie durch, die den Gegensatz predicted to precede the coming of the zwischen Kanaan und Israel betonte, Messiah, (Sanhedrin, 97a) and were pla- und wurde später dominant (Rösel, 48). ced in the unpleasant company of who- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 326

326 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

res, witches, and schismatics (Pesahim, Bis heute wird man in traditionbewuss- 113b). Similarly, among the three “ob- ten jüdischen Häusern kaum einen jects” that a wise jew was to avoid, dogs Hund finden (Landmann (1959), in: were named together with women and Beltz, 117, FN 3). snakes as suspects for sorcery and male- volence (Pesahim, 111a) (Menache, 5). Allerdings gibt es auch im Judentum Stim- men, die ein freundliches Zuvorkommen Die unheilige Allianz des Hundes mit Huren, auch den Hunden gegenüber vertreten, wie Hexen und vom rechten Glauben Abgefal- den Erläuterungen des Matthäus-Evange- lenen wird geradezu genial zusammenge- liums von Strack und Billerbeck zu entneh- fasst in der Trilogie von der Frau, dem Hund men ist, die die Textstelle 15,26 mit ent- und der Schlange: sprechenden Talmud-Texten kommentieren (Beltz, 120, FN 1): Es ist ein gutes Werk, sie zu füttern, aber sträflich, sie zu töten. Das Die Hunde-Aversion der Rabbiner rabbinische Schrifttum jedoch enthält alle negativen Charaktereigenschaften und Be- Für tiefenpsychologisch und kyno- deutungen des Hundes: sophisch bewanderte Leser ist dieses En- semble das Abbild des matriarchalen Uro- Auf tollen (~ tollwütigen) Hunden rei- boros, dem der patriarchale Uroboros in Ge- ten Dämonen, die Krankheit, Pest und stalt des Rabbi Pesahim den vollendeten Unheil bringen. Diese Vorstellung ist Garaus macht. So weit war der Dichter der sicher von babylonischen Vorstellungen Genesis noch nicht, als er JHWH die ersten genährt, Menschen nur vor der Schlange, nicht aber vor dem Hund warnen ließ. Aber das liegt wie Beltz (117) vermutet, ohne allerdings vielleicht daran, dass die Genesis sich ei- hinzuzufügen, dass noch im -1. Jahrtausend gentlich nur an Männer wendet, um sie ge- man der manchmal löwen-, manchmal hun- gen die „schlangenhaften Komponenten degestaltigen negativen Kindsbettdämonin des Weibes“ zu rüsten. Der Rabbi warnt Lamaschtu (> 489-536) einen ebenso hun- über Gott hinaus nicht nur vor der Schlange, degestaltigen, aber positiven Gegendämon, sondern nun auch vor dem Hund: Wer einen nämlich Pazuzu (> 537 ff.) gegenüberstellt Hund hält, kann nicht sozial sein, da der und so die volle Ambivalenz des Hundes Hund Bettler vom Haus fernhält, die des- ausgeschöpft wird, negativ und positiv. halb keine Almosen empfangen können - Hundehaltung hat also nicht nur religiös, sondern auch sozial gesehen negative Kon- Die neuen Nachbarn sequenzen. Der rabbinischen Weisheit letz- ter Schluss ist aber, dass Hundehaltung Auf unsere Frage, wer denn die Un- beschnittenen seien, die in den Augen der alienates Jews from the love of God, an hebräischen Schriftgelehrten sich so hün- absolute verdict that left no room for disch daneben benehmen und gegen die sie further considerations (Menache, 6). polemisieren und sich profilieren, haben wir noch keine rechte Antwort gefunden - Se- Mit diesem Totschlagargument ist also das miten sind sie wahrscheinlich nicht. Ver- rabbinische Verbot der Hundehaltung theo- schränkt man die Formationszeit der israeli- logisch wasserdicht begründet. Seine, um es tischen Nation mit dem Meteoriteneinschlag gelinde zu formulieren, negative Bedeu- um -1.200, dann wird der Blick auf andere tung hat der Hund im Judentum behalten Völker gelenkt: Die Naturkatastrophen“ bis in unsere Zeit: kosmischen Ausmaßes zogen zahlreiche Völ- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 327

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kerwanderungen nach sich, und man weiß inescapable conclusion that two very heute, dass kurz nach der Katastrophe von different cultures and peoples - one Griechenland über Kleinasien „Seevölker“ Semitic (comprised of Canaanites and die Küsten des östlichen Mittelmeers mehr Israelites); the other Greek - lived side als unsicher machten: Stager (36) identifi- by side in parts of Canaan (Stager, 41). ziert diese Seevölker einschließlich der Phili- ster ~ Philistines, die dem Land den Namen In einem Register eines phönizischen Tem- Palästina gaben, als mykenische Griechen, pels auf Zypern werden auch kelavim (~ während Spanuth sie einschließlich der Hunde) als Bedienstete aufgezählt (Mer- Phönizier als „Nordsee“völker ansehen riam, 285), man hat sie als Wachhunde, ja möchte, er argumentiert aber mit his- sogar als heilige Hunde des Tempels verste- toriographisch nicht unbedenklichen Quel- hen wollen, aber da im Kontext von „Män- len aus der braunen Zeit. Diese Völker ließen nerprostitution“ die Rede ist, nehme ich ge- sich in den jetzt weitgehend entvölkerten gen Stager eine kulturelle Synthese von Regionen nieder und waren, da keine Semi- Nordvölkern und Westsemiten an, in die die ten, natürlich unbeschnitten. Ob nun Grie- Israeliten nicht eingeschlossen waren. chen oder Germanen, sie kamen aus dem Norden, waren geübte Hochseefahrer, und Kinyras, der Erkorene Apollons und tauchten wohl nicht zufällig zu einem Zeit- priesterliche Liebling Aphrodites, ist punkt auf, zu dem auch die zahlreichen grie- nach Eustathios zu Ilias 11, 20 von hebr. chischen Krieger vor Troja infolge des listig “kinnor“ ´Harfe` benannt, errungenen Sieges um -1.183 arbeitslos wa- ren und nach zehnjährigem Krieg lustlos die meint Herter (67) und übersieht zum Einen Rückreise in den vermeintlich friedlichen Ha- die Konvergenz von Musikinstrument und fen der häuslichen Ehe in Griechenland an- Hund, die schon auf der frühpalästinischen treten mussten: Die Odyssee ist die klassische Tierkapelle zu erkennen ist (> 214-31), und Heimkehrergeschichte eines ewigen Krie- zum Anderen die jedenfalls klangassozia- gers, aber auch von Menelaos wird berich- tive, vielleicht aber nicht etymologische Kon- tet, dass er in bester *korios-Manier (> III, 11- vergenz von gyn (~ Frau), kynos (~ Hund) 6) seine leere Kriegskasse noch mit einem lu- und kinnor (~ Harfe, Leier). In diesem Klang- krativen Abstecher nach Ägypten auffüllte. material kommen noch einmal zusammen Daher glaubt auch Stager, dass die Requisiten und Akteure der Heiligen Hochzeit. Die kelavim waren vielleicht die the land of Canaan was settled by Musikanten, die das Zeremoniell im phöni- Mycenean Greeks in the 12th century zischen Tempel (nicht nur) begleitet haben. B.C. (Stager, 41). Dieses nicht immer konfliktfreie, manchmal aber auch gutnachbarliche Zusammenleben So entstand(en), wie Schachermeyer (181-90) zweier grundlegend unterschiedlicher Kul- formuliert, eine achäische Diaspora, besser: turen in derselben Region spiegelt sich auch Kolonien von arbeitslosen Kriegern an den in Abenteuern, die in der Bibel erzählt wer- südlichen Küsten des Mittelmeers von Pam- den. Der Kampf zwischen David und Goliath, pyhylien und Kilikien in Kleinasien und Phö- wie ihn der Dichter des Buches Samuel schil- nizien an der Mittelmeer-Küste Kanaans, von dert, lässt wegen der griechisch-achäischen Colophon im Norden bis Askelon (> 443-55) Rüstung Goliaths - Phönizier sind eine Syn- im Süden, wo seit 1991 u.a. einer der größten these aus Hundsfellkappen tragenden Grie- Hundefriedhöfe des gesamten Mittelmeer- chen und Westsemiten - an eine Auseinan- gebiets ausgegraben wird. Die Analyse anti- dersetzung zwischen neuen und alten Sied- ker Überlieferungen und seine archäolo- lern des Landes denken. Nun empört sich gischen Ergebnisse bringen Stager zu der aber der mit Schwert, Speer und Sichel- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 328

328 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

schwert gewappnete Philister-Semit Goliath begibt, da er Israel prinzipiell in Kanaan ent- (> 403: Golan) wegen Davids militärischer stehen sieht. Gleichwohl ringt er sich zu der Minimalausstattung mit folgenden Worten: Erkenntnis durch, dass

Bin ich denn ein Hund, dass du mit der Gott Jahwe, der zum Gott Israels einem Stock zu mir kommst? Und er wurde, ... kein kanaanäischer Gott ist; er verfluchte David bei seinen Göttern (in: ist ursprünglich ein „Schasu-Gott“, das 1 Samuel 17, 43). heißt wenigstens, dass er seinen Ur- sprung im Schasuland vor Kanaan hat. Dämonische Hunde vertrieb man mit Stei- Eine Gruppe von Schasu brachte ihn in nen, wie Philostratus aus Ephesus anlässlich Israel ein. Zusammenfassend sei gesagt, eines Pest-Dämons erzählt (Jacoby, 221): Hir- dass man zwar nicht alle „Kinder Israel“ ten vertrieben mit Steinschleudern wilde Tie- einlinig auf Schasu zurückführen kann, re, wohl auch Pariah-Hunde. Davids Waffe trotzdem ist wahrscheinlich richtig, dass schien also eher geeignet, einen hündischen die Schasu für die Entstehung Israels Dämon zu vertreiben denn einen schwer be- von größter Wichtigkeit sind, wichtiger waffneten Riesen zu Fall zu bringen. Goliath als viele andere Gruppen (Rösel, 64-5). wertet den Hund also nicht positiv, wenn er ihn mit einem Dämon gleichsetzt. Nun könn- Diese unter vielen Verrenkungen geborene te es wohl sein, dass der Erzähler die hebräi- Einsicht Rösels ist mit den Schilderungen der sche Aversion gegen den Hund auch dem Landnahme kompatibler als eine Existenz Is- Gegner Goliath in den Mund legt, um dessen raels in Kanaan von Anfang an. Sie erklärt beleidigende Worte für hebräische Ohren auch besser den Gegensatz zwischen den ka- nachvollziehbarer zu machen - ein Hebräizis- naanäischen Göttern und dem neuen Mo- mus also? Angesichts der vermutlich rafaï- nopol-Gott. Dabei ist entgegen der Termi- tischen Herkunft Goliaths (> 197: Kommen- nologie von Beltz, der immer nur von Noma- tar zu Abb. 22) ist seine hundemythologische den spricht, mit Rösel u.a. anzunehmen, dass Prägung anzunehmen gegen den hebräisch diese proto-israelitischen Gruppen Halb- verzerrten Wortlaut seiner Rede. Dafür nomaden, d.h. hier: Hirten mit Fernweide- spricht auch, dass in Phönizien der Hund ei- wirtschaft waren mit etwas Acker-, besser ne kultische Rolle spielte. Das alles legt nahe, vielleicht: Gartenbau. Allerdings handelt es die Hunde-Aversion der Hebräer analog zu sich bei der Gruppe, die bis nach Ägypten ihrem Schweine-Hass früher zu datieren und wandert, eher um Halb-Nomaden als um nicht erst von der Präsenz neuer Nachbarn halbsesshafte Ackerbauern: abhängig zu machen: Auch die babylonische Gefangenschaft (ab -586), der die Kalebiter Das gleiche gilt von der Gruppe, welche nicht unterzogen wurden, kann nur eine Ver- den Gott Jahwe aus dem südlich vor stärkung der schon vorhandenen Aversion Kanaan gelegenen Steppen- und bewirkt haben - die Hebräer müssen schon in Wüstengebiet mitbrachte ... In diesem „Ägypten“ zu Hundehassern mutiert sein. Zusammenhang des Nomadenpro- Nun ist der Aufenthalt in Ägypten selbst ei- blems sei auch auf die Verbindung von ne Mystifikation - nicht die gesamte Nation Israel zu nomadischen Gruppen wie den Israel wird sich dort aufgehalten haben, son- Kenitern verwiesen (Rösel, 69). dern nur eine (proto)-israelitische Gruppe, welche nach Ägypten abwanderte und die in Diese nomadischen Keniter, manchmal auch Analogie zu den Schasu aus Edom ein Leben Kenesiter oder Kenasiter genannt, manch- als Wanderhirten führten, vielleicht sogar mal von diesen unterschieden (Genesis 15, identisch mit diesen Schasu sind, wie Rösel 19), werden auch mit den Kalebitern in (63-4) meint, der sich so in Schwierigkeiten Verbindung gebracht. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 329

DIE HUNDEKÖPFIGEN KALEBITER UND IHR HUNDESTAMMVATER 329

Die hundeköpfigen Kalebiter Jetzt werden die Namen dieser ausgewähl- und ihr Hundestammvater ten Kundschafter aufgezählt, und an sech- ster Stelle steht erst vom Stamme Juda der Kaleb ben Jephunneh, und diesen Namen Beide Gruppen - Keniter wie Kale- kann man annähernd umschreiben mit: biter - erscheinen eher als Voll- denn als Hund, Sohn des „er wird zurückführen“, Halbnomaden. Diese Differenz dürfte ihren wie Beltz (12) vorschlägt. Das könnte dann Niederschlag gefunden haben in der Son- den Kundschafter bezeichnen, der wieder derbehandlung der Kalebiter, die dem Gott aus Feindes Land den Weg zurückfindet zu JHWH als einem Hirtengott näher zu stehen den wartenden Israeliten: Nomen est omen scheinen als die schon nach Sesshaftigkeit - von der Namensgebung der Kundschafter sich sehnenden übrigen israelitischen halb- her war also für die Mission insgesamt nichts nomadischen Gruppen. Der Gegensatz von zu befürchten - allerdings half sie nicht al- mobilen Viehhirten zu sesshaften Acker- lein: Ausgerechnet die Barbesitzerin und bauern ist zur ersten Kriminal-Geschichte Dirne Rahab hat die beiden Kundschafter der Weltliteratur kondensiert worden und vor dem König von Jericho versteckt und spiegelt die Angst vor wilden Nomadenhor- die Gesandten des Königs auf die falsche den, deren Herden die Felder verwüsten, Spur gehetzt, wie Josua (6, 22-5) zu erzählen weiß. Und das lässt Urs Winter (643) fragen, wie andererseits die Verachtung, wel- ob die Prostitution im Alten Orient i.d.R. che Nomaden der sesshaften Lebens- nicht nur Sex, sondern auch umfassendere weise mit ihren Abhängigkeiten und Gastfreundschaft einschloss. Und als Ken- Zwängen entgegenbrachten (Rösel, 70). ner der Szene hält er

Vor diesem konfliktreichen Hintergrund ist dies bis zu einem gewissen Grad für es leicht nachvollziehbar, dass ein kleiner, möglich, da die Prostitution in vielen aber nicht unbedeutender Clan oder Stamm Teilen des Alten Orients eine sakrale im Süden des Gelobten Landes den Namen Überhöhung genoss. Doch darf diese seines Ahnherrn, kælæb oder keleb (~ Berufsgruppe trotzdem nicht zu stark Hund), nach der Rückkehr der Israeliten aus idealisiert werden. Prostituierte stellten der babylonischen Gefangenschaft in kaleb ... eine gesellschaftliche Randgruppe (~ der Hundeartige, der Kühne) umformte, dar, und ihre Klienten stammten nicht eine Konzession an die neuen, alten Nach- selten ebenfalls aus dem „Milieu“. Die barn und ihre Hundephobie. Die Situation Gastfreundschaft, die Prostituierte um -1230, als unser Kaleb-Stamm in der gewährten, könnte deshalb ihren Hebräischen Bibel auftritt, ist besonders pi- Grund eher in einer Art „Ganovenehre“ kant: Moses hat die Israeliten bis an die haben, die man gegenseitig respektier- Grenze des Gelobten Landes geführt, und te (Winter, 643). nun spricht JHWH folgendermaßen zu Mo- ses: Wir könnten Winters Vermutung der erwei- terten Gastfreundschaft vom Kopf auf die Sende Männer aus; sie sollen das Land Füße stellen mit dem Beispiel der Inuit (> I) Kanaan erforschen, das ich den Israel- und auch anderer Kulturen, dass nämlich all- söhnen geben will. Je einen Mann für gemeine Gastfreundschaft den Gast gerade- einen Stamm, ihre Väter sollt ihr zu verpflichtete, die Ehefrau des Gastgebers entsenden. Alle müssen aber Fürsten mehr als nur zu respektieren. Ob unter die- unter ihnen sein. Und Mose sandte von sen Vorzeichen „Prostituierte“ eine Rand- der Steppe Paran auf Befehl Jahwes alle gruppe waren oder eher im Herzen der Ge- diese Männer aus (in: Beltz, 20). sellschaft angesiedelt, auch das wäre eine Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 330

330 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

nähere Untersuchung wert, mit der wir aber kaum Menschen nach Babylon deportiert den kynosophischen Rahmen dieser Zeitreise waren, da die mit der Deportation Beauf- definitiv verlassen würden. Behalten wir tragten das Gebiet südlich Jerusalems merk- Winters Perspektive bei, dann ergibt sich würdiger Weise fast verschont haben (Beltz, wahrscheinlich kein besonders guter Leu- 17). Die historischen Kalebiter konnten sich mund für unseren Kaleb, aber zu unserem deshalb während des babylonischen Exils und Kalebs trügerischem Trost vernehmen der eigentlichen Bewohner in deren jetzt wir, dass immerhin von den Namen der zwölf fast leere Gebiete ausdehnen. Nachdem Kundschafter nur drei echt hebräisch sind: nach 40 fiktiven Tagen die Kundschafter zurückkehrten, verbreiteten sie falsche In- Allein die Vertreter (der Stämme) Judas, formationen über das Land, worauf sich die Issakars und Ephraims bilden eine Trias, ganze Gemeinde der Israelsöhne gegen Mo- die in ihren sprachlich einwandfrei ses und Aaron und somit gegen ihren Gott hebräisch konstruierten Namen Ver- JHWH empörte. Nur zwei Kundschafter, Jo- trauen erwecken ... wir können ihr (~ sua bin Nun und Kaleb ben Jephunneh, der Liste) entnehmen, dass nur drei ältere Traditionen von ihr aufgenom- zerrissen ihre Kleider und sagten zu der men sind, zu der sicher die Kalebtradi- ganzen Gemeinde der Israelsöhne: tion gehört (Beltz, 16 & 17). Das Land, das wir durchreist haben, um es zu erforschen, ist ein sehr gutes Land Wir haben uns also zu früh gefreut für den (in: Beltz, 20-1). Leumund unseres Kaleb, und die Israeliten konnten im gelobten Land leider nur Fuß Nun erzürnt sich der Gott JHWH über die fassen mit Hilfe der kanaanäischen Gastwir- falsch bezeugenden Kundschafter, indem er tin und Prostituierten Rahab: Ihr und ihrer sie eines schnellen Todes sterben lässt, und Familie (!) als einziger gewährte man nach über die Zweifler, deren Zukunft ihm so am der Eroberung die Gunst, weiterhin unter Herzen liegt, und lässt sie für jeden Tag der den Israeliten zu wohnen (Winter, 643). An- Auskundschaftung ein Jahr lang zusätzlich statt nun die Prostitution als segensreiche durch die Wüste irren, außerdem bestraft er Erfindung und Staatsnotwendigkeit hoch- Moses und Aaron dadurch, dass er sie das ver- leben zu lassen, wird man(n) aber in naher heißene Land nicht betreten lässt. Am Leben Zukunft ihren Vertreterinnen zu Leibe blieben von den zwölf Kundschaftern nur Jo- rücken, wenn auch mit einer vollkommen sua und Kaleb. Nun hat Beltz herausgefun- unerotischen Methode, denn - und nun er- den, dass Kaleb in den Erzählungen vom Aus- reicht die Logik des Undanks ihren Gipfel - zug aus Ägypten und dem Aufenthalt am Si- die „Prostitution“ war mit dem Hund ver- nai keine Rolle spielt, während Josua als Ge- schwistert, zwar nicht mit dem Beinahe- hilfe des Moses öfter erwähnt wird. Daraus Ganoven Keleb/Kaleb, wohl aber mit dem und aus anderen Indizien, die ich hier nicht auch keleb/kælæb genannten männlichen konkret vorstellen muss, schließt Beltz, dass Kollegen der gastfreundlichen Liebediene- die Kalebiter eine ganz besondere Position rinnen, mit denen wir uns aus rein kynoso- unter den Israeliten einnehmen: phischen Gründen schon näher befassten (> III, 12, 21, 132, 369, 405, 452, 508, 532, 536- Kaleb ist der einzige, der für die Erobe- 7, 588-91). Zurück zu den nicht ganz wur- rung des Landes plädiert ... es geht ... zelechten Namen der anderen Kundschaf- nicht um die Qualität des Landes, son- ter: Sie verweisen auf die sprachliche dern nur um seine militärtechnischen Assimilation ihrer Träger in der babylo- Qualitäten: ob es zu erobern ist oder nischen Gefangenschaft. Und umgekehrt ist nicht ... Natürlich plädiert Kaleb für die es sicher, dass aus dem Gebiet der Kalebiter Annektion (Beltz, 26). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 331

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Am Ende der Auskundschaftung steht er Damals traten die Judäer in Gilgal an gleichberechtigt neben Josua, und weitere Josua heran und Kaleb, der Sohn des Indizien führen Beltz zu der Vermutung, Kenasiters Jefunne, sagte zu ihm: Du dass im Verlauf des Ausfabulierens der Wan- weißt, was der Herr zu Mose, dem Got- derung zum Gelobten Land tesmann, in Kadesch-Barnea über mich und dich gesagt hat. Ich war vierzig Josua aus der Landverteilungsposition Jahre alt, als mich Mose, der Knecht des auch in die Landnahmetradition vor- Herrn, in Kadesch-Barnea aussandte, drang, und, weil er Kaleb (aus der Ge- damit ich das Land erkundete, und ich schichte) nicht vertreiben konnte, sich erstattete ihm Bericht, wie ich es mir mit einem Platz neben ihm begnügen vorgenommen hatte. Während meine musste (Beltz, 28). Brüder (~ die Vertreter der anderen Stämme), die mit mir hinaufgezogen Denn es erscheint Beltz nicht denkbar, dass waren, das Volk mutlos machten, hielt Josua, hätte er einen Ruf als zuverlässiger ich treu zum Herrn, meinem Gott. An Kundschafter besessen, noch neben sich ei- jenem Tag schwor Mose: Das Land, das nen Rivalen nötig gehabt hätte, der ihm z.B. dein Fuß betreten hat, soll dir und dei- in den Landverteilungsberichten fehlt, in nen Söhnen für immer als Erbbesitz denen Kaleb als Fordernder auftritt. Daraus gehören, weil du treu zum Herrn, dei- schließt Beltz weiter, dass in der geschicht- nem Gott, gehalten hast. Nun sieh her: lichen Wirklichkeit Kaleb und seine Brüder, Der Herr hat mich, wie er es ver- d.h. seine Stammesgenossen, die einzigen sprochen hat, am Leben gelassen. Fün- Kundschafter waren, wie von den Benjami- fundvierzig Jahre ist es her, seit der Herr niten und Hanäern auch bezeugt ist, dass ih- dieses Wort zu Mose gesprochen hat, re Hauptbeschäftigung Militär- und Kund- als Israel durch die Wüste zog. Heute schafterdienste waren, für die sie als Lohn bin ich, wie du siehst, fünfundachtzig Land erhielten, auf dem sie als Schafzüchter Jahre alt. Ich bin immer noch so stark ihr Leben führten (Beltz, 58): wie damals, als Mose mich ausgesandt hat; wie meine Kraft damals war, so ist Diese Aussage erhärtet die Vermutung, sie noch heute, wenn es gilt, zu kämp- dass allein der Stamm Kaleb seine Funk- fen, auszuziehen und heimzukehren. tion in der Kundschaftertradition hat, Nun gib mir also dieses Bergland, von und dass der Versuch, alle Stämme da- dem der Herr an jenem Tag geredet hat. ran zu beteiligen ... mehr theologische Denn du hast selbst an jenem Tage oder politische Fiktion als historische gehört, dass Anakiter dort sind und Wirklichkeit ist (Beltz, 32). große befestigte Städte. Vielleicht ist der Herr mit mir, sodass ich sie vertrei- Es handelt sich bei den Kalebitern mit größ- ben kann, wie der Herr gesagt hat. Da ter Wahrscheinlichkeit um einen (halb?)- segnete Josua Kaleb, den Sohn Jefun- nomadischen Stamm mit militärischen Inter- nes, und gab ihm Hebron als Erbbesitz essen, zu dessen Siedlungstaktik die Verbin- (in: Josua, 14,1-13). dung von sesshaften und nomadisierenden Bevölkerungsteilen gehört, der keine feste Dieser Erbbesitz musste zunächst noch von Burg hat und deshalb auch kaum zu unter- den Kalebitern erobert werden, aber verge- werfen ist, weil er sich vor einem Aggressor ben konnte Josua ihn schon vorher ganz gut, in die Weite der Wüste zurückziehen kann, hatte doch nicht er das Land zu erobern. Ka- und der deshalb mit einem Selbstbewusst- leb bemüht also die Vergangenheit, aktuali- sein gesegnet ist, das noch nach 45 Jahren siert sie für die Gegenwart: Der Mythos vom den Kaleb zu Josua sagen lässt: versprochenen Erbbesitz schmiedet den Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 332

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Stamm Kalebs zu einer politischen Gruppe tenzberechtigung haben könne: Ich, zusammen, die auf Realisierung des Mythos Stamm Kaleb, bin souverän; über mir drängt. Die behauptete mythische Realität steht nur Gott, Jahwe (Beltz, 34). soll jetzt politische Realität werden. Der Zu- sammenhang macht deutlich, dass die Kal- Die Kalebiter als Clan im Stamm Juda er- ebiter sich nicht auf Dauer sesshaft nieder- setzten Masse durch Qualität, denn auf dem lassen wollen, sondern das erstrebte Land Gebirge Juda existierten lediglich zehn nomadisch nutzen wollen. So wird auch früheisenzeitliche Siedlungen mit zusam- deutlich, dass die Kalebiter jeden Versuch, men gerade ca. 1.250 Einwohnern: Die sie in die Stammestraditionen des Stammes schwache Besiedlung von Juda noch in der Juda zu integrieren, energisch abwehren frühen Königszeit suggerierte schon früh, und in ihrem politischen Handeln weitge- hend unabhängig bleiben wollen. dass es sich bei Juda um einen „Spät- kömmling“ der israelitischen Geschich- Gerade der „Stamm“ Juda erscheint als te handelt (Rösel, 82). ein außergewöhnlich komplexes Ge- bilde (Rösel, 71), Es liegt nah anzunehmen, dass die Spätge- kommenen sich vor den bereits Etablierten und der Versuch, diese Komplexität zu re- mit besonderem Verhalten profilierten, ih- duzieren, muss besonders bei selbstbewuss- re geringe Quantität vielleicht mit Toll- ten Nomaden wie den Kalebitern auf Wi- kühnheit im Kampf kompensierten. Diese derstand stoßen, und so erscheint die bib- Sonderrolle der Kalebiter in Israel muss re- lische Rede von einem Stamm Juda eher als spektiert werden, das ist die Botschaft: geschichtliches Wunschdenken denn als po- litische Realität, wobei aus der Perspektive Israel-Juda ist entweder im Kriegs- der Sesshaften die Umgrenzungsmauern zustand miteinander oder im Exil. Kaleb der Viehpferche wie Befestigungsanlagen aber weilt ruhig in seinen Hütten (Beltz, zum Zwecke der Verteidigung erscheinen, 34). was sie nicht sind. Aber dennoch leitet man aus ihnen und der Struktur der Siedlungen, Auch zur Zeit des Exils spielt Kaleb eine Sonderrolle: Der Clan/Stamm wird nicht die im wesentlichen aus einem durch deportiert nach Babylon und unterwirft sich Mauern, kasemattenartigen Breit- sein zukünftiges Gebiet Hebron selber, wo- räumen oder ringförmig angeordneten bei auch hier die nachträgliche Heroisierung Häusern begrenzten Innenhof (> 193: und Militarisierung einer eher friedlichen Abb. 150 & 297: Muster der Natuf-Zeit) Landnahme anzunehmen ist, zumal die zu bestanden (Rösel, 76-7), erobernden Dörfer meist unbefestigt waren (Rösel, 85): Dieser Stamm versteht es jeden- eine Struktur ab, die in der Eisen-1-Zeit, al- falls, so dem Zeitraum der frühen Könige, schon bzw. immer noch weit verbreitet ist und mehr den Eindruck eines selbständigen nach außenhin Exklusivität und militärische Wüstenstammes als eines jüdischen Überlegenheit ausstrahlt. Dieses Selbstbe- Geschlechts (in: Beltz, 41) wusstsein behauptet sich nachdrücklich zu erwecken und befindet sich Beltz zufol- gegenüber allen anderen Versionen, ge eher in einem lockeren Lehnsverhältnis die wissen wollen, dass Kaleb nur im zu Juda, wie es zwischen Nomaden und ei- Gefolge Judas, oder gar im Gefolge nem Stadtkönigtum typisch war - im Yemen Josuas, als Inbegriff Israels, sein Exis- z.B. bis in die 1960er Jahre -, und so sind die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 333

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Kalebiter zu vielgesuchten Söldnern unter biblischen, soziologischen und ar- Judas geworden (Beltz, 43), chäologischen Gesichtspunkten wie Schnee in der Sonne und lässt kulturelle Verbin- und diese Eigenständigkeit legt auch be- dungslinien zu den Sesshaften erkennen, sonders für die Kalebiter die Annahme na- ohne die Nomaden nicht existieren können. he, dass zu Beginn der Staatsbildung Nimmt man mit Rösel (88) an,

die Stammeskulte auch in Israel noch dass die Entstehung Israels in, mit und neben dem allgemeinen Staatskult, der teilweise auch in Abgrenzung zu Jahwe gewidmet war, bestanden haben Kanaan erfolgte, dass man aber auch (Beltz, 42, FN 2). mit der Einwanderung kleinerer Grup- pen von außen zu rechnen hat, Was also zu Beginn unserer Beschäftigung mit diesen Dog-Men in Israel so aussah wie dann kommen als Einwanderer auch und eine Teilgruppe der Israeliten, entpuppt sich vor allem die Kalebiter in Frage, denn diese nach Beltz´ Analyse als eine nomadisch- Gruppen waren von einer Bedeutung, militärische Gruppe, und die weit über ihre zahlenmäßige Stärke die Untersuchung des Verhältnisses zwi- reichte (Rösel, 88). schen Namen und Person hat für Beltz ergeben, dass sich hinter ihr ein Halb- Die Nachrichten über die Kalebiter gehören nomadenstamm verbirgt, der bis in die in der Hebräischen Bibel zu der Traditions- nachexilische Zeit ein sehr selbständi- kette, in der sich eine nomadische, und d.h. ges Dasein geführt hat (Beltz, 45). hier: durch große Transhumanz bedingte Protestbewegung gegen das Bauerntum Die Kalebiter gehören zu den südlichsten, spiegelt, und in der Fernweidewirtschaft treibenden Bevölke- rungsteilen, und bei ihnen wir immer wieder auf urwüchsige Stam- messagen stoßen (in: Beltz, 48), wird sich der Stolz auf die Freiheit der Nomaden zu der Verachtung der Orts- die den Hirten, ganz gleich in welcher Si- gebundenheit des Fellachen gesellt tuation, als dem Ackerbauern überlegen er- haben (Beltz, 47). scheinen lassen - selbst dann, wenn der Hir- te den Kürzeren zieht, wie Abel, ist sein Op- Nomaden fragen nicht, woher man kommt, fer Gott doch gefälliger als das des sesshaf- sondern von wem man abstammt: ten „Bruders“ Kain: Vermutlich muss man diese berühmte Geschichte invertieren, um Der Beduinenstamm mit seiner militä- an ihren historischen Kern zu gelangen - rischen Tradition hält viel auf die Ab- Abel hat seine Herde schlecht gehütet und stammung von einem Heros (Beltz, 48). Flurschäden auf den Äckern Kains ange- richtet, es kommt zum Streit, weil der ein- Nun muss man mit dem Begriff Nomadismus gebildete Hirte sich im Recht wähnt, der vorsichtig umgehen, wie ich schon anklin- Bauer schlägt zu, im Affekt. Jetzt dreht man gen ließ, und so ist auch jetzt anzunehmen, die Geschichte einfach um und muss für dass die Selbstdarstellung als Nomaden viel- Kain nur noch ein neues Mordmotiv finden: leicht schon so etwas wie eine rückwärts ge- Das liefert der liebe Gott, dessen Auge oh- wandte romantische Geschichtsfälschung nehin lieber auf dem Hirten ruht, wie dieser bedeutet: Die behauptete Differenz zwi- glaubt. Die Stammessagen haben natürlich schen Kanaanitern und Israeliten schrumpft auch einen totemistischen Kern, den man je Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 334

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nach Perspektive entweder als Ursache oder schichtlichen Vorarbeiten - nach dem zu als Wirkung der sozialen Organisation auf- fragen, was die wiederholte Rezitation gefasst hat: Statt einer ausschließenden Ent- dieses Mythos in der Resonanz bei den gegensetzung sollte man mit Beltz (50) Beteiligten bewirken soll (Beltz, 93).

von der komplexen Verflochtenheit von Dabei müssen wir Beltz´ Grenzziehung nicht Leitbild und gesellschaftlicher Wirklich- übernehmen, dass nämlich keit nicht nach der historischen Wirklichkeit ausgehen. Der Stammesgott oder kultur- des Vorganges gefragt werden darf bringende Heros kann verstanden werden (Beltz, 92), als Projektion des Stammes, also als eine per- sonifizierte Idee, oder er ist Gestaltung des- denn unsere kynosophische Perspektive er- sen, was der Gruppe widerfahren ist, wie klärt die mythische Zuordnung des Hundes Martin Buber es im Königtum Gottes (57) zur Frau auch aus historischen Vorgängen vorschlägt. Dieser transhumant bedingte (am Beispiel der Domestikation des Hundes, Protest gegen die sesshaften Bauern wurde am Beispiel der Indianerinnen, die weiße Jahr für Jahr aufgefrischt durch den traditio- Wollhunde und damit Hunderassen züch- nellen Weidewechsel im Frühjahr und im ten; aber auch am Beispiel des Hundefells Herbst, bei dem je Jahreszeit ein Fest veran- als Protom). Im Gegensatz zu Beltz meine staltet wurde (> 275-7) und der stets eine Be- ich, dass die im Mythos beschriebene Geburt völkerungsbewegung verursachte: Das führte eines Tiermenschen, eines hundeköpfigen z.B., auch, wenn auch nicht ausschließlich, zu einer ständigen Neuauffrischung der aus der gesellschaftlich-ökonomischen alten Sozialstruktur und der ihr eige- Wirklichkeit zu erklären ist: Wenn der Hund nen Religiosität (Beltz, 63), ganz real erst die spezifische Kultur ermög- licht, wird er auch eine prominente Position und in diesen sozialen Strukturen der teil- in der Mythologie einnehmen. Und wenn nomadischen Großfamilie wurde religiöses man die Produktions-Regeln, die sich Sondergut bewahrt, wie Beltz (62) ein wenig kryptisch andeutet, denn er kommt als Reli- auf den Häuserbau, die Jagdpraxis gionswissenschaftler vom entgegengesetz- einschließlich der Herstellung der Jagd- ten Ende bei den Kalebitern an, nämlich von geräte, die Feldwirtschaft und die der im Dogma erstarrten Religion, während Handfertigkeiten bei Töpferei und mein kynosophischer Ansatz die Nachkom- Weberei beziehen (Beltz, 92) men Kalebs mit ihrem transpersonalen und schamanischen Ahnherrn käläb bzw. keleb, und bei denen der einzelne sich nicht, wie dem Hund, viel leichter verschränken kann: Beltz irrtümlich meint, Deshalb ist das religiöse Sondergut, das sich z.B. im Mythos von der Geburt eines Tier- nicht auf Mythos und Magie, sondern menschen äußern kann, aus der kynosophi- vollständig auf seine Geschicklichkeit schen Perspektive viel einfacher zu verste- und seine Vernunft verlässt, hen. Und auch Beltz nähert sich unserer Per- spektive, wenn er vorsichtig annimmt: denn er/sie perfektioniert die Produkte von Töpferei und Weberei gemäß seiner/ihrer Gesetzt den Fall, es gäbe einen Mythos Mythologie durch „Verzierungen ästhe- über den Ursprung der Kalebiter von tisch“, besser: er/sie lädt sie schamanisch- einem Tier, so ist allein - nach den magisch auf - wenn man also diese Regeln literarkritischen und traditionsge- der Produktion in einen ausschließenden Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 335

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Gegensatz zu Mythos und Magie bringt wie Es erübrigt sich, zu betonen, dass diese Beltz, dann hat man nicht begriffen, dass Harmonie Zeichen eines Mythos ist zweckrationales Handeln und mythisches (Beltz, 95), Denken ineinander verwoben sein können, wie uns die Dekontaminierung des Bogens und dieser These können wir uns an- bei den Minyanka (> II) zeigt - Mythos und schließen, denn die „Hundemenschen“ auf zweckrationales Denken und Mythos und dem libyschen Messak-Plateau erscheinen Ritual greifen ineinander: ebenfalls in ungetrübter Harmonie mit den- jenigen, von denen sie auf den Felsbildern Was im Ritual dargestellt wird, gesehen verewigt wurden, ganz im Gegensatz zu wird, wird im Mythos geklärt. Weil den Bildern, die die alltägliche Mühsal zei- Leben bedroht ist - die Existenz der gen im Versuch, riesige Auerochsen zu zäh- sozialen Gruppe - durch Dürre, Trocken- men. Die Hundemenschen des Kaleb wie die heit, Gewalt der Wetter- oder Astral- des Messak versuchten durch ihre Stammes- zonen, weil der Kreislauf der Jahreszei- sage, sich für die Gegenwart an der Ver- ten selbst in der Natur den Tod manife- gangenheit zu orientieren: Sie vertraten stiert, weil der Mensch sich dieses Ge- das teilnomadische Ideal, nun aber nicht in genübers bewusst ist, lebt er im Ritual, prophetischer Prospektive, sondern in my- d.h. in der in Festliturgien überlieferten thischer Retrospektive: Form von Abstraktionen gesellschaft- lichen Selbstverständnisses (Beltz, 91-2). Der Mythos von der göttlichen Bei- standsverheißung an Kaleb wegen des- Die Kaleb-Traditionen enthalten nur noch sen Treue und Glaubensgehorsam ist wenig Mythen (Beltz, 90), und inwieweit deshalb auch politisches Programm dieser Mythos kultisch verankert war, ist (Beltz, 96). nicht mehr festzustellen (Beltz, 97). Deshalb könnte die Antwort auf die Frage, was der Durch die Erzählung dieses Mythos verge- Mythos der Kalebiter erzählt haben mag, genwärtigt sich der Stamm der Kalebiter die insbesondere über die Entstehung des einstmalige Erwählung durch JHWH, der in Stamms, vielleicht im Mythos der Götter- der Wüstenzeit mit diesem, seinem Volk in kämpfe in Ugarit und Babylon (> 490: Karte) vollendeter Harmonie lebte, weil dieses gefunden werden, wie Beltz (89) meint, er Volk besser, qualitätsvoller war als andere übersieht aber, dass es sich in Ugarit nicht Völker (Beltz, 95), sprich: als sesshafte Völ- um Mythen von Teilnomaden handelt, des- ker. Angesichts einer Situation 45 Jahre halb gibt es wohl auch keine schriftliche nach der Erkundung des neuen Landes, die Fixierung der kalebitischen Mythen: den Erfordernissen teilnomadischen Lebens jetzt nicht angemessen entspricht, greift der Die Heldentaten der kalebitischen Stamm Stammesväter fanden in den Spruch- sammlungen des 12-Stämme-Verban- auf die Überlieferung von dem Heils- des keine Aufnahme. Sie sind verschol- handeln Jahwes zurück und leitet von len (Beltz, 94). daher die Forderungen für die Gegen- wart ab. Das darf mit Recht mythisches So pessimistisch muss man aber nicht sein: Denken genannt werden, im Gegensatz Ein Indiz liefert einerseits die ewige Zer- zum historischen, das die lineare Rich- strittenheit des Gottes JHWH mit seinen He- tung in die Unendlichkeit kennt. My- bräern, während andererseits zwischen thisches Denken kennt nur die Wieder- JHWH und Kaleb ungetrübte Harmonie be- holung der Zirkelläufe, des längst Da- stand: gewesenen, als mögliche Zukunft. Die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 336

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Vergangenheit wird für die Gegenwart Furcht vor den Riesen und den festen aktualisiert. Dieses erweist die Kaleb- Städten austreiben lassen. Kaleb durfte rede in Jos 14 als Mythos. Die durch Ka- das Land betreten, die großen Heroen leb zusammengehaltene Gemeinde ... Mose und Aaron starben vor dem Ein- wird zur politisch wirksamen Gruppe ... tritt in das Land (Beltz, 77). durch den Mythos, durch die Ideologie oder Weltanschauung, die auf Realisie- Wenn die Kalebiter über ihren Stammes- rung drängt (Beltz, 97-8). ahnherrn Kaleb, vormals Keleb, sich als mi- litärische Elite definieren, können wir kyno- Indem Kaleb genau auf dem Land besteht, sophisch unterstellen, dass diese selbstbe- das er und sein Stamm für die teilnoma- wussten Hirten-Krieger den wesentlichen dische Existenz brauchen, lehnt er den von Teil ihrer Kampfkraft über die Totalidentifi- der Vernunft diktierten Übergang in die kation mit dem Hund als ihrem Totemtier Ackerbaukultur ab: Da dies nicht rational bezogen haben. Ob sie noch ein Hundefell begründbar ist, muss der Mythos dies be- mit Hundekopf als Rüstung/Protom trugen gründen - indem er die Regression an den oder ob sie nur noch in ihrem Stammesna- eigenen Anfang (Beltz, 98) als Lösung des men den Ahnen Keleb/Kaleb heroisieren, ist Problems propagiert: insgesamt gleichgültig. Unbestreitbar ist, dass die Kalebiter ein weiteres Beispiel für Die in den alttestamentlichen Traditio- die totemistische Funktion des Hundes sind. nen über Kaleb enthaltenen Auskünfte Es spricht aber einiges dafür, dass die tradi- lassen nur den Schluss zu, dass sein tionsbewussten Kalebiter, die ihre gesamte Beharren in der nomadischen Situation teilnomadische Lebensart beibehalten wol- und in dem mythischen Denken ihm len, auch die Tradition der Totalidentifika- den Weg in die „Heils“-Geschichte (den tion mit dem Hund weiterhin praktizierten die 12 Stämme in die Sesshaftigkeit - immerhin meint auch Beltz (42), dass die gehen) verschlossen hat (Beltz, 99). Stammeskulte in Israel neben dem Staats- kult weiter praktiziert wurden, und was soll Die Kalebiter verschränken sich mit den aus der Stammeskult der Kalebiter anderes ge- Babylon zurückkehrenden Hebräern nur wesen sein als eine Variante des Hunde- auf einem Schnittpunkt, sie kommen aus zeremoniells, wie wir es in seiner bislang verschiedenen Richtungen zusammen und ältesten Form zuerst in der libyschen Saha- gehen in verschiedene Richtungen ausein- ra (> II) kennenlernten und bei den ander. Für die Kalebiter sind die Hebräer, die Gideons-Kriegern (> 303-6) wiedererkann- später im ackerbaulichen Kulturland sess- ten?! Zu diesen immanenten Indizien haft werden, dem Götzendienst schon vor kommt noch hinzu, dass sogar in der dieser Landnahme verfallen: patriarchalischen Perspektive der Hebrä- ischen Bibel die dritte Gruppe der Kalebiter Eine bissige Verachtung wird über die im Buch 1 Chronik (2, 42-50) aufgegliedert Stämme ausgegossen, die sich dem wird in Hauptstämme und Nebenlinien, die Gnadenangebot des Gottes vom Sinai in der Bibel ausnahmsweise auch gekenn- nicht würdig erweisen und die nicht zeichnet werden durch die Mutter, die je- fähig sind, ohne fremde Hilfe den Weg weils als Nebenfrau geführt ist (Beltz, 39). zu finden. In der Wüste wissen sich die Auch diese patriarchalisch verkürzt wieder- Leute nicht zu helfen und trauern dem gegebene matrilineare Tradition der Kale- Luxus in Ägypten nach. Sie vermögen biter harmoniert vortrefflich mit der her- nicht, aus eigener Kraft das ihnen ver- ausragenden Position, die der Hund bei sprochene Land zu erobern, sondern ihnen einnimmt. Dabei ist anzunehmen, müssen sich von den Kalebitern die dass die Kalebiter wahrscheinlich von der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 337

GAB ES HUNDE-ZEREMONIELLE IM MONOTHEISTISCHEN ISRAEL? 337

Negev-Wüste, also von Süden aus nach Josua (14, 6) teilen uns mit, dass die Kale- Kanaan einwanderten, an dessen Grenze sie biter enge Beziehungen zu den Kenitern auf andere proto-israelitische Gruppen hatten, ja, dass sie sich als deren Verwandte stießen, die vielleicht von Osten nach Wes- verstanden, wie im Buch Josua (14, 14) deut- ten gewandert waren. Die nomadische lich wird. Kynosophisch und linguistisch ist Komponente verband diese einwandern- jetzt an die globale Etymologie *KUAN zu den Gruppen miteinander und sorgte für denken: Zu ihr stehen die Keniter und Kan- eine klare Abgrenzung zwischen Kalebitern aaniter in phonetisch-etymologischer und und Kanaanitern trotz ähnlicher Hundemy- zu Kaleb (~ etym.: Welpe) in semantischer thologie, die bei den Kalebitern schwankte Beziehung - der gemeinsame Nenner dieser zwischen der Urform des Protoms und dem engen Beziehungen muss der Hund sein, zu- neuen, monotheistischen Gott, vielleicht mal hundemythologische Kulte von diesen schon weitgehend verblasst war zu Gunsten Nachbarvölkern mehrfach ins monotheis- des neuen Gottes JHWH, die aber bei den tische Israel eindringen: Kanaanitern noch aufbewahrt und prakti- ziert wurde im Kult der Aschtart mit der sa- kralen „Tempelprostitution“. Für die Diffe- renz sorgte JHWH, der Gott vom Sinai, der Gab es Hunde-Zeremonielle aus der Wüste im Süden von Kanaan im monotheistischen Israel? stammt und der sich während des Aufent- halts der proto-israelitischen Teilgruppe in Ägypten bereits den dortigen Gottheiten Diese Frage zu stellen, setzt voraus, überordnet und der nun auch sein Monopol dass es in der proto-israelitischen Gesell- gegen die kanaanäischen Gottheiten be- schaft matriarchale Strukturen gegeben haupten will. Die Ironie der Geschichte ist hat, die sich in einem Kult der Großen Göt- vielleicht, dass dieser hundefeindliche Gott tin und eines ihrer Begleittiere, des Hundes von einer kleinen, hundebegeisterten Grup- nämlich, psychologisch manifestieren, die pe nach Israel gebracht wurde, die sich vor aber auch soziologisch fassbar sein können ihrer Bekehrung zu JHWH Keleb ~ Hund (zum Unterschied von soziologischem und nannte und von einem transpersonalen psychologischem Matriarchat > I, 501-4: We- Hundestammvater ableitete, um sich nach sels Mythos vom Matriarchat). Wir wissen der Bekehrung zu JHWH umzutaufen in schon, dass das sogenannte Matriarchat öf- Kaleb ~ der Wagemutige, dem neuen Gott ter psychologisch als soziologisch nachweis- zu Liebe, und nur noch in der berserkerhaf- bar ist. Ist es aber auch soziologisch erkenn- ten ~ tollwutähnlichen Kriegerekstase (> I, bar, dann kann man von einer besonders in- 42: Abb. 11) die ehemalige „hündische“ tensiven matriarchalen Mentalität ausge- Vergangenheit wieder aufleben zu lassen; hen. Robert Briffault hat 1927 in seinem vielleicht war die Reaktivierung hündischer Werk The Mothers für die Semiten soziolo- Qualitäten nicht auf militärische Gelegen- gische Kennzeichen des Matriarchats nach- heiten begrenzt, denn auch im monotheis- gewiesen. William R. Smith hat in seinem tischen Israel flammen immer wieder Prak- Werk Kinship and Marriage in Early Arabia tiken auf, die das polytheistische Hunde- ausführlich den Übergang von matriarcha- Zeremoniell neben oder über die Verehrung len zu patriarchalen Institutionen analy- des monotheistischen JHWH stellen. Ob das siert. Die arabischen Verwandtschaftsbe- auf die Barbesitzerin Rahab und ihre Nach- zeichnungen zeigen an, dass die Verwandt- kommen zurückgeht? Oder auf andere schaft auch heute noch, im strengsten Pa- Ganoven? Oder auf ein Defizit der patriar- triarchat, maternal definiert wird, selbst chal-monopolistisch-männlichen Religion? wenn man über die väterliche Verwandt- Die Autoren der Bücher Numeri (32, 12) und schaft spricht. Bei den Hebräern, die die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 338

338 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Arabische Halbinsel (> 263 ff.) und den Es war in Arabien bis in die historische Zeit Nordwesten Mesopotamiens schon sehr üblich, dass bei Kriegszügen Jung(e) Frauen früh verließen, gilt noch bis in die rabbi- - wie noch Jeanne d´Arc - das Heer anführ- nische Zeit hinein, dass die vier Matriarchin- ten, und auch für die Hebräer ist das belegt, nen Sarah, Rebecca, Rachel und Leah höhe- nicht zufällig im wahrscheinlich ältesten Teil ren Rang einnahmen als die drei Patriarchen der Hebräischen Bibel, wo Deborah als Abraham, Isaak und Jakob (so im Babylo- Häuptling auftritt (> Richter, 4-5). Jaëls Bei- nischen Talmud). Der Stamm Levi wurde ur- trag zur Befreiung Israels wird uns noch sprünglich nach der Stammesahnin Leah be- kurz beschäftigen (> 395-7). Für die Zeit der nannt, dann erfand man für sie einen Gat- Könige in Israel und Juda gilt, was wir auch ten namens Levi und konnte den früheren in Afrika feststellen konnten: Hinter, und Leah-Stamm nun endlich nach einem Stam- d.h. hier: über dem König standen seine mesvater benennen. Auch der Stamm Israel, Frau und seine Mutter. Wir könnten die Ver- der später der Nation den Namen gab, war hältnisse auf den Begriff der Amazone brin- ursprünglich der Stamm Sarahs, deren Sohn gen, wenn er nicht so scheinbar eindeutig an ihre Stelle trat. Sogar noch in der patri- das Mannweib konnotierte: archalen Zeit bauten Frauen Städte, d.h. sie gründeten Familien (> 1 Chronik 7, 24). Die Yet those proud amazons were not Abstammung wird also in frühen Zeiten ma- barbaric viragoes, but cultivated beau- trilinear definiert (> Genesis 11, 29; Exodus ty, grace and elegance, and all the ac- 6, 20). Die Ehepartner wohnten matrilokal, complishments of their age (Briffault, d.h. der Mann verließ seinen Clan, um in Fa- 376). milie und Clan seiner Frau überzusiedeln. Jakob lebt zwanzig Jahre im Clan seiner Urs Winter bestätigt in Frau und Göttin Frau(en?), und als er den Clan verlassen will, noch 1983 in seinem Exkurs zur sozialen betrügt er seinen Schwiegervater, denn ei- Stellung der Frau im Alten Israel und im gentlich darf er nichts von dem Besitz seiner Alten Orient (75-86) die frühen Erkenntnis- Frau mitnehmen, schon gar nicht die Kinder, se Briffaults von 1927 weitgehend, auch sie gehören zum Vater (Onkel?) der Mutter. wenn er subtile theologische Nuancen be- Wollten Männer die Scheidung, so sagten tont, die Briffaults pathetischen Lobpreis sie zu ihrer Frau wie in Äthiopien (> II): der Amazonen etwas relativieren. Kommen wir nach dem Einsammeln der soziolo- Ich will nicht länger Deine Herden gischen Kennzeichen, die mit denen der hüten! frühen Hundezüchterinnen in anderen Tei- len der Welt übereinstimmen (> II), zu den Den Frauen stand der Besitz zu, wovon Mo- wesentlichen Zeremoniellen der Semiten: hammed zuerst als Witwer profitierte, was Wir kennen die babylonische Kadischtu als ihn aber dann doch erzürnte und schließlich Tempelsklavin, die der Gottheit gehörte zum Propheten des Patriarchats werden ließ und deren Dienst u.a. in sakraler Prostitu- - der Mann war konsequent. So kann Brif- tion bestand, wie nicht nur Herodot ten- fault für alle Semiten bilanzieren: denziös berichtet.

Thus among all Semites the practice of In der kananäischen Religion wie überhaupt matrilocal marriage, which is the essen- in allen altorientalischen Religionen stand ce of the matriarchal organisation of diese sakrale Prostitution als Re-Inszenie- society and which inevitably carries rung der Heiligen Hochzeit zwischen der with it all other features of that social Großen Göttin in ihrem Aspekt als Jungfrau order, preceded other social and mar- (~ Frau, die keinem individuellen Mann zu- riage practices (Briffault, 374). geordnet ist) und dem Sohngeliebten. Die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 339

GAB ES HUNDE-ZEREMONIELLE IM MONOTHEISTISCHEN ISRAEL? 339

hebräischen Theologen wenden sich schon immer als heidnisch galten oder ob sie nicht früh gegen die Beteiligung der Israeliten am erst später so eingestuft und entsprechend Kult der sakralen Prostitution und stellen dämonisiert wurden? Vieles spricht dafür, für unzüchtige Priestertöchter die extrem- dass diese verfemten Kulte früher Bestand- ste Strafe, nämlich Verbrennung statt Stei- teil der eigenen Religion waren, kann die nigung, in Aussicht: Hebräische Bibel den Eindruck doch nicht ganz auslöschen, dass in frühen Zeiten so- Wenn sich die Tochter eines Priesters als genannte Zauberei, Totenbeschwörung Dirne entweiht, so entweiht sie ihren und Fruchtbarkeitskult weitgehend den Vater; sie soll im Feuer verbrannt wer- Frauen vorbehalten waren; die ehemals sa- den (in: Levitikus 21,9). krale Kompetenz der Frauen bei den frühen Hebräern erhält sich noch bis in die israeli- Da vor Einführung der Geldwirtschaft die tische Zeit mit Priesterinnen, Prophetinnen Priester außer ihrem Anteil an den Opfer- und Amazonen - Rollen, die später nur noch gaben keine großen Einkünfte hatten, Ausnahmefrauen zugebilligt werden (Win- nahm wohl oder übel die ganze Familie am ter, 48-57). Wie weit die Austreibung des Verzehr der Opfergabe teil - die unzüchtige weiblichen Geschlechts geht, sieht man an Tochter hätte also nicht nur ihren Vater, son- den Seraphim (~ Engel mit drei Flügel- dern auch das Opfer profaniert. Außerdem paaren), die der mesopotamischen Kultur können wir annehmen, dass direkt neben entliehen wurden: Dort waren sie Frauen, dem hebräischen Tempel der Kult der aber der Prophet Jesaja (6,2) wandelt sie in Großen Göttin zelebriert wurde und so für Männer um. Dass auch die offiziell zuge- Priestertöchter eine starke Versuchung dar- lassenen und weiterhin unentbehrlichen stellte. Dass den Söhnen keine Strafe ange- männlichen Propheten ihre Weitsicht meist droht wird, ist bemerkenswert, und ihr in Ekstase vollziehen, wirft ein weiteres eventueller Verkehr mit den sakralen Pro- Licht auf die generelle Nähe der Frau zur stituierten der Konkurrenzreligion, der sie kultischen Ekstase, die in weiblicher Reali- in gewisser Weise zu Hundemännern mach- sierung offensichtlich gefährlichere Kom- te, galt nur als sexuelles, aber nicht als kul- ponenten besaß als die nicht enden wollen- tisches oder materielles Vergehen: de prophetische Verzückung von gottes- fürchtigen Männern (> Numeri 11, 25). Er (~ Eli) hörte von allem, was seine Albright (233) nimmt sogar an, dass Söhne allen Israeliten antaten, auch, dass sie mit den Frauen schliefen, die perhaps the Yahwistic movement arose sich vor dem Eingang des Offenba- partly as a reaction against pagan rungszeltes aufhielten (in: 1 Samuel 2, ecstaticism. 22). Ein anderes Motiv liefert die jahwistische Diese Stelle bestätigt die Annahme, dass Haltung Kranken gegenüber: Zwar tritt unmittelbar in örtlicher Nachbarschaft die Moses (Numeri 21, 8-9) noch als Heilprakti- Konkurrenzreligion ihren zentralen Kult ker mit einem metallischen Schlangenstab ausübte. Immerhin war Gott JHWH ent- auf (lange vor Asklepios-Äskulap; und die schlossen, Elis Söhne u.a. wegen dieses Ver- Schlange ist Attributtier der Göttin), aber gehens umkommen zu lassen (1 Samuel 25), das Gesundheitswesen der Israeliten ist un- stellte aber weder Verbrennung noch Stei- genügend und diskriminierend (> Levitikus nigung als Todesart in Aussicht. Ob diese 13): Kranke müssen rufen Ich bin unrein!, sogenannten Fruchtbarkeitskulte wie der die Patienten (wenn es denn einen Arzt im hebräischen Totenzeremoniell noch gab) mussten allein leben, außerhalb der ange durchschimmernde Ahnenkult schon Gemeinde, solange sie krank waren (Avalos Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 340

340 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

b, 35). Gerade diese Diskriminierung kran- Großen Göttin Kanaans inklusive ihres ker Menschen macht später das frühe Chris- medizinischen Angebots war für Israeliten tentum zu einer attraktiven Alternative, beiderlei Geschlechts sehr groß, weil es eine und vorher treibt sie die Kranken zur Kon- eigene, ähnliche Tradition gab, die drastisch kurrenzreligion (> 2 Könige 1, 2-4) und zu bekämpft wurde, während gleichzeitig das „Zauberern“ (~ Schamanen; > Deuterono- Angebot der Konkurrenz lockte. Hier in mium 18, 10-12), die den Umgang mit ihnen Kanaan, in der Gleichzeitigkeit des Un- nicht scheuen. Und die Frauen besuchten gleichzeitigen, also in der verräumlichten die Fruchtbarkeitskulte, die vor dem Exil in Vergangenheit der Israeliten, wird die großer Zahl von der Konkurrenz veranstal- „Tempelprostituierte“ Kedescha genannt - tet und von JHWH abgelehnt wurden (Ava- die etymologische Verwandtschaft zur los b, 41) - auch deshalb waren die israeli- Kadischtu ist offensichtlich. tischen Frauen für Fremdkulte „anfällig“: Der ursprüngliche und der Funktion viel Die durchgehenden Funde von Figür- besser entsprechende Sinn beider Bezeich- chen der „nackten Göttin“ in Palästina nungen bedeutet, dass diese Frauen sind ein Indiz dafür, dass die Frauen Geweihte sind, geweiht der großen Frucht- nicht erst in der Zeit Jeremias, sondern barkeitsgöttin, die in Kanaan Aschtart, seit der Frühzeit Israels sich mit ihren Aschera oder auch Baalat heißt - aus ägyp- privaten Anliegen an die Göttin wand- tischen Dokumenten wissen wir, dass die ge- ten (Winter, 575). samtsemitische Fruchtbarkeitsgöttin auch Kadesch genannt wurde. Die männlichen Deshalb wird die kanaanäische Konkur- Geweihten bezeichnete man als Kadesch renzreligion mit patriarchaler Vorliebe in und als Keleb/ kælæb (~ Hund). Im Gegen- weiblicher Typisierung dämonisiert, aber satz zum Sexprotz der Grünen Sahara ist der nicht nur deshalb, sondern auch aus der Kadesch in Syrien und Palästina zumindest Tiefenstruktur des Patriarchats heraus ist die schon im -1. Jahrtausend ein Eunuch: Der selbständige und/oder abweichend den- kanaanäische Gott El (Isra-El ~ Gott streitet) kende und handelnde Frau das Feindbild ist selbst ein Kastrat, und er, ein kastrierter schlechthin - und mit der Frau der Hund, Gott, kastriert seinen Vater (Albright, 178) - weil er mit der realen wie mit der göttlichen analog zur griechischen Göttergeschichte - Frau assoziiert wahrgenommen wird: Auch und erscheint trotz seiner Kastration als so erklärt sich die abgrundtiefe Aversion der Vater zahlreicher Göttinnen, die noch zahl- Monotheisten gegen den Hund. Wir wissen reicheren Theologen Gelegenheit zur tief- aus ethnohistorischen Parallelen in Meso- gründigen Grenzziehung zwischen der potamien (> 467-79: Gula) und in Griechen- einen und der nächsten Gottheit und somit land (> 480-2: Asklepios), dass der Hund mit Lohn und Brot geben, während die Göttin- dem Gesundheitswesen positiv assoziiert nen tiefenpsychologisch nur Erscheinungs- war; er dürfte auch in den kanaanäischen formen der einen Großen Göttin sind. Der Gesundheitsritualen eine Rolle gespielt kastrierte El ist auch Vater Baals und JHWHs. haben und allein deshalb schon zu den klei- Und obwohl also Eunuchen sogar Götter nen und großen Tieren (Ezechiel 8, 10-11) sein können, genießen sie als Priester der zählen, die die Israeliten heimlich anbete- Göttin nicht immer den Respekt, der ihnen ten - auch hier liegt ein Motiv für die aufgrund ihres Amtes zusteht. Da der mut- abgrundtiefe Aversion der offiziellen Reli- maßliche Eunuchenpriester als keleb (~ gion gegen den Hund. Nicht nur das Be- Hund) zum Erscheinungsbild der Göttin und dürfnis nach Ekstase wurde also von JHWH ihres ekstatischen Kults in Israel wesentlich grundsätzlich nicht befriedigt: Die Ver- beiträgt, sollten wir uns auch mit diesem suchung durch den ekstatischen Kult der Phänomen etwas ausführlicher befassen: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 341

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Exkurs: Eunuchenpriester und die früh nur in Anatolien dokumentierten Ideologie - Der Keleb (~ Welpe) Eunuchen-Priesters räumlich breiter und als Geweihter Hund chronologisch tiefer nachgewiesen. In Ana- tolien selbst wie in West-Asien überhaupt Über die Innenansicht des männ- nimmt der Kult der Großen Muttergöttin lichen Priesters der altorientalischen Göttin im -1. Jahrtausend den höchsten Rang ein, haben wir uns schon im Mesopotamien des wie Lynn E. Roller 1997 meint (542), aber es -3. Jahrtausends informiert (> III). Jetzt in- kann sich bei dieser Behauptung doch nur teressiert uns die Außenansicht dieses Pries- um die Systematisierung und kultische Aus- ters, der in der Zwischenzeit vom eindeutig gestaltung einer bereits im Paläolithikum männlichen Status zum Zwitterzustand ei- vielleicht noch nicht als Göttin im mytho- nes Eunuchen wechselte, im Grunde also oder theologischen Sinn verehrten Instanz wieder zum vorgeschlechtlichen Zustand handeln, der es tiefenpsychologisch ganz des Kindes der Großen Mutter zurückkehr- gleich ist, ob man sie als „Herrin der Tiere“ te: Der Keleb ist der Welpe der Großen Göt- oder Göttin o.ä. bezeichnet. Der Filiation tin als Hündin. Diese Regression ergibt sich der Großen Mutter vom Paläolithikum bis in zwingend aus der Tiefenpsycho-Logik sei- die Metallzeit hinein entspricht die Filiation ner priesterlichen Funktion und aus der pro- vom Schamanen zum Priester. Und obwohl fessionell deformierten Psyche des Schama- die Göttin selbst in Rom (-204) und in Grie- nen (> I), dessen Nachfahre dieser Priester chenland (-6. Jahrhundert) re-importiert ist. Eunuchen spielten eine führende Rolle und als patriotische Schutzgottheit verehrt in den Kulten des bronzezeitlichen Syrien wird, genießen ihre männlichen Priester kei- und Kleinasien und in einigen Perioden neswegs dasselbe hohe Ansehen. Mesopotamiens. Ihre westsemitische Be- zeichnung war komer, was in altassyrischen Im Gegenteil - ihre Reputation verhält sich Keilschrifttexten des -19. Jahrhunderts in in Rom und Griechenland (erst ab dem -4. Kappadokien als kumrum (~ Mitglied der Jahrhundert werden auch die Priester der Priesterkaste) erscheint (Albright, 325, FN Göttin erwähnt) umgekehrt proportional 46), gebraucht als Synonym des akkadischen zur positiven Anerkennung, die die Große ~ ostsemitischen pasisu, die übliche Be- Muttergöttin Kybele dort genießt. Wie in zeichnung für Dumuzi/Tammuz alias Attis Anatolien, so tragen die mitimportierten und Adonis, also für den Jünglings- bzw. Priester der Göttin auch in Rom und Grie- Sohngeliebten der Großen Mutter (gibt es chenland Frauenkleider, nämlich eine lange von pasisu eine linguistische Beziehung zu Robe und einen Schleier, womit sie die to- Pazuzu (> 537-48)? Als kumrum der Göttin tale Identifikation mit ihrer Göttin manifes- Kubabat war er der Prototyp für den grie- tieren. Sollte man aber wirklich von Frauen- chischen kybebos, den gallus der Göttin kleidern reden? Dann müsste man das auch Kybele. Gallus, kybebos, pasisu, kumrum bei katholischen Priestern tun, was ja tie- und komer entsprechen in den Amarna- fenpsychologisch richtig wäre, aber dem Briefen dem Begriff kamiru, was ebenfalls biologisch-gesellschaftlichen Status dieser Eunuch bedeutet. Um -600 zeigen in Nei- unkastrierten Männer nicht gerecht würde. rab/Syrien zwei Stelen Priester des Mond- Genauso verhält es sich in West-Asien: Die gottes Shahar bartlos, in bezeichnendem weiblich gekleideten männlichen Priester Kontrast zur damals üblichen Darstellung genießen dort proportional dasselbe Anse- des Mannes, nämlich mit Bart: Im Syrischen hen wie ihre Göttin. Und als die Römer -190 bezeichnet kumrâ den Priester ganz allge- in Klein-Asien die Stadt Sestos belagerten mein. Wir hätten mit den kastrierten Pries- und ihnen von der Stadt eine Abordnung tern des syrischen Mondgottes und der Zeit- geschickt wurde, da trafen die Römer auf angabe um -600 die Tradition des bislang so diese Eunuchen-Priester: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 342

342 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Das doppelte römische Paradox Ob nun christlicher Dominus oder heid- nische Domina - der sexuelle Aspekt über- Die anatolische Stadt legte ihr wiegt in jeder Hinsicht bei der Letztge- Schicksal vertrauensvoll in die Hände von nannten, bumst doch der Eunuchenpriester Eunuchenpriestern als repräsentativen Mit- wie der Schamane seine Trommel oder stößt gliedern ihrer Gemeinde, was für höchste das Becken - das Musikinstrument ist ge- Anerkennung dieser Priester spricht, und meint! Musizieren oder Lärmen allein die Römer verhandelten mit diesen Eunu- macht aber noch nicht abstoßend: Die Ab- chen von gleich zu gleich, die sie zwar als weichung von der männlichen Norm war exotisch, aber nicht bedrohlich einschätz- selbst gepaart mit ekstatischem Verhalten, ten, während sie die Eunuchen-Priester in das den patriarchalischen Römern und Grie- Rom als exotisch-bedrohlich empfanden chen hysterisch vorkam, und Hysterie ist in und radikal ablehnten. Während der kas- dieser Perspektive typisch weiblich: Die ope- trierte Priester der Großen Göttin also in ei- rative Entfernung der Gebärmutter heißt ner matriarchalen Gesellschaft rundum po- auch heute noch in der wissenschaftlichen sitiv bewertet wurde, stieß er in der patriar- Terminologie: Hysterektomie, so als ab die chalen Welt Roms auf entschiedene Ab- Gebärmutter das für hysterisches Verhalten lehnung, während die Göttin rundum allein verantwortliche Organ sei und Män- akzeptiert wurde. Die Stadt Sestos wurde ner, da gebärmutterlos, folglich nicht hyste- geschont, und die Römer errangen den von risch sein könnten. den Eunuchenpriestern raffiniert vorausge- sagten Sieg. Dort in Anatolien glaubten sie Dieses ekstatische Verhalten ist eine Remi- gern den schrägen Vögeln, aber in Rom ver- niszenz des reinen Schamanismus, aber in achteten sie diese dafür um so herzlicher. der weitgehend entschamanisierten Welt der Antike erscheint diese Reminiszenz nur Dieses doppelte römische Paradox sagt noch als Karikatur eines ehemals seriösen mehr aus über die Römer als über die Eunu- Ereignisses. Und obwohl die Eunuchenprie- chenpriester, aber wir gewinnen mehr Ein- ster bei den zeremoniellen Umzügen der sicht in die römische Außenansicht, wenn Muttergöttin in Rom bewaffnet wie Krieger wir uns näher über die Eunuchen als über rund um die Statue der Göttin einen wilden die Römer informieren: Und die von außen Tanz vollführen, begleitet von den schrillen herangetragene Perspektive der patriarcha- Klängen ihrer Musikinstrumente (Trom- lisierten Römer und Griechen dürfte weit- meln, Becken und Hörner), werden sie von gehend dem Blickwinkel der Israeliten ent- den militaristischen Römern nicht akzep- sprechen, aus dem sie die Kelebim ~ Hunde tiert, weil ein Krieger eben nicht in Frauen- (der Herrin) betrachten - Hunde, die Vor- kleidern auftritt (ursprünglich gehören nur läufer jener Hunde des Herrn sind, die als die orgiastischen Priester zum Kybele-Kult, Dominikaner (~ lat.: domini canes ~ des Her- die Vermischung von Priestern und Kriegern ren Hunde), gekleidet in die Mönchskutte (~ ist erst ab dem -4. Jahrhundert in Griechen- weiblicher Rock und Beinahe-Schleier ~ land belegt (Naumann, 193, FN 112). So gibt Kopftuch) im westeuropäischen Mittelalter der Eunuchenpriester in römischen Epi- trotz ihres zweifelhaften Outfits Karriere grammen da das Weibchen, wo die Gladia- und den letzten Hundekulten in West-Euro- toren in den Arenen Roms den Löwen tap- pa den Garaus machen werden (> V). Auf fer mit dem Schwert angreifen: Der Priester zwei phönizischen Inschriften wird ein wandert übers Land - wir befinden uns bei Mann kelbelin (~ Hund der Götter) bzw. kel- Pessinus, einem zentralen Heiligtum der ba genannt, was der Archäologe Renan mit Großen Mutter nahe bei Sardis (> V) in Ana- Canis Ejus, id est canis Dei (~ sein Hund ~ tolien, die Nacht naht, der Eunuchenprie- Gottes Hund) übersetzte (in: Merriam, 288). ster sucht zum Übernachten eine Höhle, die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 343

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aber schon von einem hungrigen Löwen - 2197 vor unserer Zeitrechnung man lässt uns im Unklaren, ob Männchen oder Weibchen, was aber für einen Eunu- Nun fällt unser Mann in die Hand chen eh belanglos wäre - besetzt ist, und der von Amazonen, die Löwe oder die Löwin, einigen wir uns auf: die Bestie macht sich nun daran, die uner- dem prähistorischen Mannesstolz nicht wartete Atzung in Gestalt des Eunuchen zu wenig zugesetzt haben müssen, bis er verspeisen. Der aber schüttelt seine langen endlich zur Entschuldigung von so viel Haare, bumst seine Trommel, tanzt seinen Feigheit sagenhafte Geschöpfe aus lasziven Tanz, stößt ins Horn und des Prie- ihnen gemacht hat: einem Gesetz fol- sters Göttin wirkt nun durch ihn auf den gend, wonach ein Sommerfrischler, der Löwen, der nun seinerseits seine Mähne vor einer Kuh flüchtet, immer behaup- schüttelt und sich zum Mittanzen ent- ten wird, dass es zumindest ein Ochse schließt (in: Roller, 547). Das gleiche Ereignis gewesen sei; hat Robert Musil in seiner und in diesem Zusammenhang könnte der Ochse durchaus ein Eunuchenpriester ge- Geschichte aus drei Jahrhunderten wesen sein. Wie dem auch war - dunkel sind die Anfänge der Zivilisation. Dunkel aber in seinem Nachlass zu Lebzeiten in war auch ihre Zukunft drei Variationen auf ein uns allen bekanntes und mindestens 5.000 Jahre altes Thema ge- 1927 schildert: Zuerst ist es der Marquis von Epa- tant (also der Landgraf von Prima, Toll & Jetzt tritt an die Stelle des Marquis Dufte), der von Epatant der Naturforscher Quantus Ne- gatus (~ der so sehr Verneinte), dem seine 1729 Wissenschaftlerkollegen vorkommen wie die Weibchen, denen ein Mann, und das den Raubtieren in Gestalt einer kann nur Quantus sein, Löwin vorgeworfen wird, des Geschlechts seines Gegners innewerdend mit Anmut den überwältigenden Zauber der Logik den Hut lüftet und eine galante Verbeu- beibringen will, wogegen sie keine gung macht, wie sich das im 18. Jahrhundert andere Waffe haben, als nach jedem geziemte, aber die weibliche Bestie lässt neuen Schluss zu erwidern: ich will aber sich nicht als Frau beeindrucken, sondern nicht! Da bemerkte er erst, dass es ihm schüchtert ihn als Bestie ein: auch nicht anders ergehe ... Wenn er an seinen Forscherruhm dachte, so kam er Das vollendet Weibliche, das jede ihrer sich wie eine brave Hausfrau vor, die da- Bewegungen ausatmete, mengte in die heim mit Fläschchen und Töpfchen am Preisgabe jedes Widerstandes das Herd hantiert, während diese Damen Wunder der Ohnmacht, (er denkt an die Amazonen) auf schäu- mendem Ross durch die offene Welt die doch eigentlich nur den Damen gestat- sprengten. tet war, und auch nur, wenn ein Riech- fläschchen zur flotten Reanimation greifbar Kurz - des Quantus letzte Überlegung war: war. Dank seiner Ohnmacht wusste der Mar- quis zu seinem Glück länger nicht mehr, was Warum machen sich bloß niedliche mit ihm geschah. Die gleiche Geschichte er- Männerköpfe ganz unnütze Gedan- eignete sich ken?! Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 344

344 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Auch den Lesern mag es vorkommen, als negativ, so sind beide - Göttin wie Eunuch - wären wir nun auf ganz unnütze Gedanken negativ in Israel. Nur diese unwiderrufliche gekommen, aber das Verbindende über die Assoziation der Göttin mit ihrem Keleb er- Jahrtausende ist doch die Grundfrage, ob klärt die abgrundtiefe Aversion der Israeli- man(n) im aussichtslosen Kampf die Bestie ten gegen den Hund auch als Haustier: Die mit dem Schwert umbringen oder mit Mu- paradoxe Reaktion der Römer - im Inland sik umstimmen kann. In allen drei Variatio- Abscheu, im Ausland Respekt vor den Eu- nen von Musils Geschichte aus drei Jahr- nuchenpriestern - kann sich bei den Israeli- hunderten erfolgt eine mehr oder weniger ten nicht wiederholen, da sie den priester- erfolgreiche Mimikry an die Bestie, und das lichen Feind im eigenen Land haben, nicht ist nichts anderes als die schamanische Ursi- wie die Römer sowohl im eigenen wie im zu tuation, in der der Schamane in einer Höh- erobernden Land antreffen. Deshalb dürfte le Kontakt sucht zu einer Bestie, die er über- nur die Einschätzung übertragbar sein, die wältigen und d.h. harmlos machen kann, die Eunuchenpriester in Rom erfahren. Und aber nicht töten darf, denn er braucht sie dort erlebt man sie, wie in Griechenland, als noch. Den Römern aber bleibt die Alterna- das ganz Andere, während sie in West-Asien tive Schwert oder Musik versperrt: Das als Teil des Eigenen erfahren werden. Der kommt für Mann aber nicht in Frage, und Römer negiert den Eigenwert des Eu- deshalb darf im Kampf gegen eine Bestie nuchen, weil aus römischer Sicht automa- ein Hund nicht klüger sein. Auch anderes ist tisch angenommen wird, dass der Mann der Hunden nicht gestattet: Extravagante Sex- Frau grundsätzlich überlegen ist. Dem liegt praktiken mit sozial Unterlegenen waren an das Axiom zugrunde, dass man eindeutig ei- unspoken prerogative of the Roman male nem der beiden Geschlechter zuzuordnen citizen (Roller, 551), aber eben nur richtigen sein muss, um die biologisch programmier- Bürgern, nicht jedoch te soziale Rolle angemessen spielen zu kön- nen. Ein Mann in Frauenkleidern jedoch er- the Mother´s priests, foreigners and füllt die Erwartungen an seine „normale“ (~ non-citizens, who could use their status normativ vorgegebene) soziale Rolle nicht, as sacred eunuchs to gain impunity was wir schon bei den Schamanen in Nord- from charges of sexual misconduct (Rol- Asien feststellen konnten - mit dem Unter- ler, 551). schied, dass dort die Rolle des Schamanen ihren eigenen gesellschaftlichen Wert be- Der sich in Ekstase selbst kastrierende Prie- saß (> I). Der geht ihr in Rom und Griechen- ster war keine Person des Rechts, ein drittes land ab - Römer und Griechen treffen aber Geschlecht war nicht vorgesehen im offizi- in den schamanisch agierenden Eunuchen- ellen Rom des Julius Caesar - indem sich der Priestern auf die Vergangenheit ihrer eige- Kastrator die Hoden abschneidet, schneidet nen Priester: Das ist die Gleichzeitigkeit des er sich ab Ungleichzeitigen, und es ist ein tiefenpsy- chologisches Axiom, dass das Verdrängte from everything of value, from home- wiederkehrt. Deshalb ist auch Israel immer land, property, friends and family, all anfällig für sogenannte Fremdkulte, weil the structures that define his world das Weibliche aus der ersten monotheisti- (Roller, 551), schen Religion weitestgehend ausgespart wurde. Kommen wir nach diesem Exkurs im und v.a. widerruft er alles ihn mit der Welt Exkurs wieder zurück zu unserem Exkurs des richtigen Mannes Verbindende, sei die- über mögliche Hunde-Zeremonielle im mo- ser Römer, Grieche oder Israelit. War in Rom notheistischen Israel: Dass es Priester eines und Griechenland noch das Bild der Göttin Mondgottes sind, steht in auffälligem Zu- positiv und nur das ihres Eunuchenpriesters sammenhang mit den biblischen Warnun- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 345

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gen vor der fremden Frau in Buch der nicht; das wäre frevelhaft, denn das Sprichwörter (7, 10 - 27), die in ehebreche- Geld ist jetzt heilig. Mit dem ersten be- rischer Absicht im Kleid der Dirnen (7, 10) sten, der ihr etwas in den Schoß wirft, auf die Straße geht und männliche Passan- muss sie also abziehen und darf sich kei- ten nuttig anmacht: nem versagen. Hat sie sich beschlafen lassen und damit ihre Pflicht gegen die Komm, wir wollen bis zum Morgen in Göttin erfüllt, so geht sie nach Hause Liebe schwelgen, wir wollen die Liebes- und würde sich für keine noch so große lust kosten. Denn mein Mann ist nicht Summe ein zweites Mal dazu verstehen zu Hause, er ist auf Reisen, weit fort. (Herodot 1, 199). Den Geldbeutel hat er mitgenommen, erst am Vollmondstag kehrt er heim (in: Bibel-Exegeten, die gegen die sakrale Pro- Sprüche/Sprichwörter 7, 18-19). stitution argumentieren, verweisen immer auf die Tatsache, dass Prostitution nicht im Hier nun sieht U. Winter (622) gegenüber Tempel stattfinde, sondern außerhalb und anderen Stellen zur fremden Frau im Buch deshalb nicht sakral sein könne - zieht man der Sprichwörter einen religiösen Aspekt, da Herodot zu Rate, entpuppt sich dieses Außerhalb als der Hain des Tempels, der ja nämlich der Ehebruch mit einer Opfer- wohl zum sakralen Ensemble gehört. Selbst mahlzeit und einem Gelübde (7, 14) im wenn man den Ort des Beischlafs als außer- Zusammenhang steht. Einzelheiten über halb des Heiligtums erachtet, ändert dies die Verpflichtungen, die die Frau mit nichts an der sakralen Motivation der gan- dem Gelübde auf sich genommen hat, zen Veranstaltung. Außerdem ist das Geld - werden nicht genannt und bleiben Ge- in patriarchaler Redeweise der Hurenlohn - genstand der Spekulation. Es gibt jedoch jetzt heilig, womit der sakrale und nicht einige Indizien, die dafür sprechen, dass profane Charakter des Geschehens be- das Gelübde der „fremden Frau“ mit der stätigt wird. Und Herodots Rede von der sakralen Überhöhung ihrer Sexualität zu Pflicht der Frau der Göttin gegenüber zer- tun hat und dass sie dazu des jungen streut letzte Zweifel an der Sakralität des Mannes bedarf (Winter, 622). Vorgangs. Zweifel daran säen aber will JHWH, wenn er in einer seiner berühmten Winter denkt offensichtlich an eine Ver- Scheltreden Israel, das sich zu sehr mit den pflichtung der Frau in dem Stil, wie Herodot Nachbarvölkern arrangiert, als Dirne Jeru- sie von Babylon berichtet: salem vergleicht mit den Sex-Praktiken der angeblichen Prostituierten in Babylon, die Nun aber komme ich zu der hässlichsten er eine selbstherrliche (~ autonome) Dirne Sitte der Babylonier. Jedes Mädchen (in: Ezechiel 16, 30) nennt und die auf dort muss sich einmal im Leben am Tem- pel der Aphrodite hinsetzen und sich je- jedem freien Platz ein Bett und eine dem beliebigen Fremden preisgeben ... Kulthöhe errichtet, an jeder Straßenecke Sie sitzen im Haine der Aphrodite mit (> 346) ... hat sie ihre Schönheit schänd- einem Kranze von Schnüren auf dem lich missbraucht (Ezechiel 16, 24-5). Kopfe (> 297: Abb. 419 & 11) ... Ein Mädchen, das da sitzt, darf nicht eher JHWHs Trick besteht nun darin, die angeb- nach Hause gehen, bis ihr irgendeiner liche Hure von ihren Freiern als der allein ein Stück Geld in den Schoß geworfen zuständigen Rechtsgemeinde steinigen zu und sie außerhalb des Heiligtums be- lassen: Politisch übersetzt bedeutet dies, schlafen hat. Es ist einerlei, wie groß das dass er die Nachbarvölker gegen Israel Geldstück ist, zurückweisen darf sie es militärisch aufwiegelt, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 346

346 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Oben: Gleich zwei empfangsbereite Damen auf diesem mittelsyrischen Rollsiegel: „Der Gedanke an die Kultprostitution ist nicht von der Hand zu weisen“, meint Urs Winter (612 & Abb. 335):In der Tat sichert das meist x-förmige, manchmal auch kreuzförmige Zeichen neben der Begleitperson und anderen Insignien den Bezug des Geschehens auf diesen Hochlagern in Stuhlform (?) zur Göttin: Unter diesem x-förmigen Zeichen kann „Prostitution“ nur sakral sein - darf man diese Aktivität dann noch Prostitution nennen? Oben rechts: Findet profane Prostititution in Anwesenheit von Mischwesen statt? Das könnte man sich fragen angesichts dieses Rollsiegels aus Byblos (-1.500 bis -1.200; > 490: Karte) nahe dem vorisraelitischen Kanaan, auf dem ein am ehesten känguruhähnliches Mischwesen mit von der erotischen Partie ist. Da Australien noch nicht bekannt war,erlaube ich mir,hier ein Analogon zum libyschen Hundemann zu erkennen (> II, 231, Fig. 64.9);man vergleiche die Silhouette die- ses Hundemannes mit dem Vorläufer des ägyptischen duk wird ein himmlischer Hochsitz als Eh- Gottes Min in Libyen (> II). In: Winter, Abb. 336. Rechts: rengabe gebaut (Böhl, 191). Eissfeldt mein- Eine Bleiplakette aus einem Palast in Assur (-13. Jahr- te schon 1936, die Hochlager seien etwas hundert; > 490: Karte) zeigt eine andere Form des Ähnliches wie die auf assyrischen Bleipla- kultischen Hochlagers, die offensichtlich speziell zum ketten dargestellten Liebeslager (in: Win- Zwecke einer ganz bestimmten Stellung und Lagerung ter, 611), die vielleicht privat genutzt wur- geplant und angefertigt wurde: Der „Verkehr“ ist so den - aber ich meine, dass das mittelsyrische auch mit Hochschwangeren möglich - als Versorgung Rollsiegel (> oben links) eine eindeutig sa- des Fötus mit „Nahrung“ wie bei den Inuit (> I, 391)? In: krale Aura zeigt - Williams-Forte (in: Wolk- Winter,Abb. 353 (rechts). stein, 175) sieht sogar alle Siegel involved with the cult of Inanna - und deshalb ein zu Herodots babylonischer „Tempelprostitu- damit sie dein Bett zerstören und deine tion“ analoges Ritual dargestellt. Dazu gibt Kulthöhen einreißen (in: Ezechiel 16, 39), es eine Herodot bestätigende Parallele in der mandäischen Literatur, und zwar im Jo- ein merkwürdig jähzorniger Gott, eigent- hannesbuch (80, 4-7), wie Winter nachweist: lich dringend reformbedürftig. Das Hoch- lager kann stuhlähnlich geformt sein (> ... die Frau, die Hurerei in deinem Na- oben): Ist die Assoziation zu einem Thron ~ men treibt und ins ´Haus der Schande` KUKUR (> II, 520 & > III, 61-122) zu gewagt? geht, sie betet um Kinder von ihrem Keineswegs: Dem babylonischen Gott Mar- eigenen Manne, bekommt aber keine; Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 347

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wenn sie das Gelübde erfüllt hat und Reihe der Frau am Fenster, womit ein Kreis fortgeht, ist sie des ´Hauses des Lebens` geschlossen wäre, in den zumindest im unwürdig (in: Winter, 623). frühen Ägypten der Hund an wesentlicher Stelle integriert war: Zwar an der Seite des Die fremde Frau hätte also um ihrer eigenen Thronfolgers, aber doch als Repräsentant oder ihres Mannes Fruchtbarkeit willen ein der Frau am Fenster (> 313: Abb. 307 & 308 Gelübde abgelegt. Der rituelle Aspekt ihres &> II, 259, Abb. 60), die diesen Thronfolger Handelns wird bestätigt von der Bemer- mit seinem Hund i.d.R. sehnsüchtig erwar- kung, dass ihr Mann erst zur Zeit des Voll- tet. Hier in West-Asien ist der Hund in die- monds wieder zurückkommen wird. Dieser sem Kontext nicht zu sehen, aber doch im Umstand ist v.a. dann sinnvoll, Hintergrund präsent, denn der keleb als männlicher Tempel-„Prostituierter“ ist jener wenn die „fremde Frau“ den jungen fremde, junge Mann, dem sich die Göttin Mann zur Neumondszeit verführt, und an ihrer Stelle die Frau am Fenster und an deren Stelle die fremde Frau hingibt, und wie Winter (623) fachmännisch feststellt zwar durchgängig mit sakraler Motivation, und sich dabei auf einen anderen Fachmann wie nachweisbar ist. Der junge Mann, den beruft, der ganz global zur Kenntnis gibt, sich die fremde Frau angelt, wird nicht mehr durch eine Hundemaske zum Fremden dass der Neumond auf der ganzen Welt (Hund), sondern allein durch seine Anony- in ein besonderes Verhältnis zum mität z.B. in der Großstadt Babylon zum ke- Liebesleben gestellt worden ist (Bo- leb. Dieser hündische Zusammenhang muss stroem, in: Winter, 623). den Praktikanten der verschiedenen, aber in der Intention gleichen Rituale bewusst Nun wissen wir aber über dieses besondere gewesen sein, denn ordinärer Ehebruch Verhältnis, das der Neumond selbst mit dem wurde im gesamten Alten Orient mit dra- Liebesleben hat, ohne erst von Bostroem konischen Strafen geahndet - der de facto- dort hineingestellt werden zu müssen, dass Ehebruch der fremden Frau aber zeichnet nämlich der Neumond mit seinen drei dieselbe durch ein absolut reines Gewissen mondlosen Nächten die Zeit der Orgie war, aus - und gerade darüber regt sich der pa- an der auch der Hund in Gestalt des Mond- triarchale Prophet so auf. Das reine Gewis- hunds seinen Anteil hatte. Wenn also die sen kann sie haben, weil sie innerhalb einer fremde Frau ihren Seitensprung sakral über- sakralen Aura handelt, in der das Fremde - höht, dann kann man doch davon ausge- also sie selbst, aber auch der beliebige jun- hen, dass sie dazu ein Ritual kopiert, das in ge Mann - etwas Neues sind, größerem Zusammenhang, d.h. über den Rahmen der privaten Not hinaus, für die All- das immer unheimlich faszinierend und gemeinheit veranstaltet wurde und das sich zugleich faszinierend unheimlich ist auf einen der drei Aspekte der Fruchtbar- und sogar feindlich oder gefährlich keit speziell oder auf alle generell bezog: werden kann, Auf die vegetabilische Fruchtbarkeit (Wild- flora und kultivierte Pflanzen), die genera- wie Urs Winter (617) kompetent zum Besten tive Fruchtbarkeit des Menschen und die re- gibt, und das Unheimliche des bzw. der produktive Fruchtbarkeit von Fauna und Fremden beutet der JHWH-Prophet ge- Nutztieren (Frevel, 565). Bostroem sieht die schickt aus, indem er die erste repräsenta- Aktion der fremden Frau als eine kultische tive Vertreterin der Göttin als Ausländerin Funktion, die auch die babylonische Fen- auftreten lässt, es ist die Königin Isebel, die stergöttin aufweist, und diese Fenstergöttin eingeheiratete Prinzessin aus Phönizien (> gehört natürlich in unsere ikonographische 303 & 312-4). Dass Ausländerinnen Israel Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 348

348 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

zum Abfall von JHWH verführten, wur- man nicht an ein Wunder glauben, das hier de zu einem eigentlichen theologischen (2 Könige 4, 22) aber aus Pietätsgründen Topos des Alten Testaments, dringend erforderlich ist, wenn auch nicht für kynosophische Leser, die auch diesen konstatiert Winter (627-8) kühl, und erin- unerhörten Vorgang mit dem Neumond er- nert an Israels Zeit in der Wüste, als man mit klären und die anders als die fremde Frau den Töchtern Moabs zu huren begann, und zur Legitimierung einer allgemeinen Pro- später sind es die ausländischen Frauen Sa- miskuität keiner sakralen Überhöhung be- lomos, die den König zum Götzendienst ver- dürfen, während in der JHWH-Religion we- führen: Die Verführbarkeit muss strukturell der für das eine noch das andere sakrale bedingt sein, aber sie führt nicht zur Ände- Überhöhung zur Verfügung gestellt wurde. rung der Strukturen, sondern zusätzlich zur Deshalb spielen diese übergeordneten Be- ziehungen in der durch die patriarchale Per- Dämonisierung derjenigen Einhei- spektive verzerrten Darstellung der frem- mischen, die mit den Fremden (~ den den Frau keine nennenswerte Rolle mehr: „Hunden“) und insbesondere deren Re- Ihr liefert der rituelle Bezug scheinbar nur ligion sympathisieren ... Der prophe- noch Vorwand und Legitimation für den tische Eifer, Fremdes auszugrenzen, hat außerehelichen Liebesgenuss, wie der Au- schließlich so weit geführt, dass er auch tor des Buches der Sprichwörter uns weis- jene religiösen Traditionen negativ machen will: Für ihn und seine Leser wird bewertete, die vorher jahrzehntelang Ehebruch mit tödlichen Strafen oder we- unangefochten waren und es später nigstens mit materiellem Ruin bestraft, be- vielleicht auch wieder wurden (Winter, sonders, wenn er mit einer inneren Aus- 628 & 629), trittserklärung aus der den Sexus sakral um keinen Preis der Welt überhöhenden JHWH- und das sind nicht wenige, wie wir noch se- Religion verknüpft ist. So bilanziert Winter hen werden. Aber zuvor hören wir auf Win- denn auch zutreffend: ter, der noch weitere Indizien aufzeigt, Die „fremde Frau“ trägt in Spr 7 deshalb die dafür sprechen, dass das Gelübde nochmals die Züge einer dämonisierten der „fremden Frau“ mit der sakralen Verehrerin der Göttin (Winter, 624), Überhöhung ihrer Sexualität zu tun hat und dass sie dazu des jungen Mannes indem der Sprüche-Klopfer die Frau in Putz bedarf (Winter, 622). und Habitus einer Prostituierten ihrem Lieb- haber entgegenlaufen lässt: Der Putz wird Und das hat wieder mit dem Neumond zu meist als Schleier enttarnt (Winter, 624, FN tun, der ja auch in der hebräischen Religion 797), der als spezielles Kleidungsstück die sakral umweht ist, weil die „fremde Frau“ objektiv wiederum als Ver- ehrerin der Göttin charakterisiert, aus patri- Feier des Neumonds am ersten Tag je- archaler Sicht aber - im Kleid der Dirnen (Spr des Mondmonats ... wie der Sabbat ein 7, 10) - als Prostituierte denunzieren soll. Fest- und Ruhetag war (Winter, 37), Auch wenn gerade den Prostituierten im Al- ten Orient das Tragen eines Schleiers verbo- und zum Neumond besucht man/frau gerne ten ist, so kann man doch aus allen relevan- einen Propheten, besonders, wenn er so ten Textstellen entnehmen, dass sich dieses wunderkräftig ist wie Elischa, der einer kin- Verbot nur auf profane Prostitution be- derlosen Frau, deren Mann alt ist, zu alt viel- zieht, nicht auf die sakrale, die im Grunde - leicht, ein Kind verheißt, aber vielleicht wie wir sahen - auch immer von einer frem- nicht nur verheißt, sondern auch macht, will den Frau praktiziert wird. Dieser „Schleier“ Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 349

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ist bei der eiszeitlichen Venus von Willen- Schon im späten -2. Jahrtausend ist in einem dorf zu sehen (> 297) und bereits erkenn- ägyptischen Text kumru in der Bedeutung bares Requisit auf der gut 8.000 Jahre alten männlicher Tänzer belegt (Albright, 178). Darstellung der sakralen Kopulation zwi- Sakrale Prostitution ist seit dem -2. Jahrtau- schen Hundemann und Venus aus der Grü- send in Syrien und Anatolien belegt. My- nen Sahara (> III, 140: Abb. 64.5) - die Indi- thologisch sind die gallu gefährliche, be- vidualität der empfangsbereiten Venus ist waffnete Wesen der Unterwelt, die die Göt- verschleiert, die des Partners allerdings auch tin Inanna bzw. Ischtar von ihrem Unter- durch die Hundekopfmaske: Es geht offen- weltsgang auf die Obere Welt begleiten: sichtlich um beiderseitige Anonymität, oh- Sie essen nicht, sie trinken nicht, sie können ne die in einer geschlossenen Gesellschaft nur vernichten. Aus den gallu entstehen die sakrale Promiskuität nicht praktikabel wohl die kalu-Priester Babylons, die gehei- wäre - sei es bei frühen Viehzüchtern in der me Opferriten praktizieren. Die kleinasiati- Grünen Sahara, sei es bei den Inuit in der sche Göttin Kybele hat in ihrem Gefolge die Weißen Arktis (> I, 418), bei denen zu einer rasenden Galloi, mit denen sie über die Ber- ganz bestimmten Jahres- und Monatszeit ge dahinstürmt. Kedescha und Keleb ste- unverheiratete, aber heiratsfähige Frauen hen also in einer langen Tradition und sind Sex haben mussten mit jedem Mann, der die zentralen Figuren im kanaanäischen dies wünschte: Die geschwärzten, auf den Fruchtbarkeitskult wie in den Parallelkulten Boden starrenden Gesichter bringen die auch aller anderen altorientalischen Reli- Inuit-Männer in die Position des unbekann- gionen. Dieser Kult drang - so formuliert ten Liebhabers. Die Frauen wissen nicht, mit man es aus judäo-christlicher Perspektive - wem sie kopulieren, es könnte ihr eigener mehrmals in Israel ein; man kommt der Rea- Bruder sein, wie der Inuit-Mythos vom lität aber doch näher, wenn man sagt, dass Weißen Hund (als Mondgott) und der die monotheistische JHWH-Religion sich de- Schwester als Sonnengöttin weiß (> I, 417). finierte u.a. explizit gegen diesen Kult, der Der überdimensionierte Penis des libyschen ja der Kult der Großen Göttin war, also die Hundemanns - er wiederholt sich in West- Konkurrentin des neuen patriarchalischen Asien (> 346: Abb. 353 & > Winter: Abb. 354) Monopol-Gottes mit seinem Monopol-Volk. - und er könnte eine Attrappe andeuten (> Und die Rückkehr der monotheistischen III, 129: Abb. 351), womit der Spekulation Israeliten zum sinnenfrohen Hundekult mit das Tor geöffnet wäre, dass bereits vor 8.000 Kedescha und Kadesch bzw. Keleb musste Jahren vielleicht Eunuchen die Heilige die streitbaren Hüter der reinen Lehre so- Hochzeit re-inszenierten. Die Priester der fort mit heftigsten Gegenmaßnahmen auf Göttin in West-Asien wären also Eunuchen, den Plan rufen, sofern sie dafür den amtie- die nur der homosexuellen Lust zu dienen renden König gewinnen konnten: Bei dem hätten im Gegensatz zu ihrem Prototyp in weisen König Salomo und dessen fast eben- der Grünen Sahara? Diese These ist sicher ei- so weisem Sohn und Nachfolger Rehabeam ne unzulässige Engführung des Kastrations- hatten sie noch keine Chancen: Salomo motivs, da der gallus ~ keleb ~ Eunuch auch flankierte seine kluge Heiratspolitik durch für orale Künste bei beiden Geschlechtern den Import der Kulte seiner Frauen. Und als berühmt war. Ob überhaupt und wann die- nach Salomos Tod -931die Reformer glaub- ser Funktionswandel eingetreten ist, bleibt ten, ihre Stunde habe geschlagen, weil das unklar. Gallus und Konsorten (> III) bezeich- geeinte Reich Salomos wieder in das tradi- nen sowohl den männlichen Prostituierten tionelle Nordreich ~ Israel und das traditio- (in der Hebräischen Bibel den kadesch) als nelle Südreich ~ Juda zerfiel, so hatten sie auch den Eunuchen-Priester, den Verschnit- die Rechnung ohne Salomos Sohn Rehabe- tenen - diese Bedeutungen sind spätestens am gemacht, der mit 41 Jahren den Thron in der klassischen Antike austauschbar. von Juda bestieg, ihn von -931 bis -914 be- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 350

350 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

saß und ihn offensichtlich nur verließ, um Und die Stätten des JHWH-Gottesdiensten Hierodulen (~ Tempelsklavinnen, die der tragen denselben Namen wie jene der Gottheit gehörten und deren Dienst u.a. in umwohnenden, mit den Hebräern ver- sakraler Prostitution bestand) ins Land zu wandten „Götzendiener“, nämlich Bâmôt holen und zu besuchen: (~ heilige Höhe; in: Andrian, 272), und das trotz bewusster Abkehr der Israeliten vom Seine Mutter hieß Naama und war eine Höhenkult, die vermutlich in Kanaan ange- Ammoniterin. Juda aber tat, was dem strebt wurde, weil der Kult und die Stätten Herrn missfiel. Die Sünden, die sie dort noch matriarchal besetzt waren, begingen, reizten ihn mehr als alles, während der Sinai als Berg der Elohim zwar was ihre Väter getan hatten. Denn auch Wohnstätte verschiedener Gottheiten war, sie errichteten Kulthöhen, Steinmale aber von den Hebräern wohl irgendwann und Kultpfähle auf allen hohen Hügeln monopolisiert wurde zu Gunsten einer indi- und unter jedem üppigen Baum. Sogar viduellen Lokalgottheit, aus der dann JHWH Hierodulen gab es im Land. Die Israeli- hervorging. Diese ständigen Berührungen ten ahmten alle Gräuel der Völker nach, der jungen monotheistischen Religion mit die der Herr vor ihnen vertrieben hatte den polytheistischen Praktiken der direkten (in: 1 Könige 14, 21-4). Nachbarn erklären wohl die häufigen Rück- fälle der Israeliten in jene Religion, die Steinmale auf hohen Hügeln - die Vorstel- durch das Zeremoniell der Heiligen Hoch- lung, dass profilierte Berge von einer Gott- zeit hinreichend als erotisch-lustbetont cha- heit bewohnt werden, teilen die Hebräer rakterisiert ist. Und wo es Hierodulen gab, nicht nur mit den übrigen Semiten, beson- um die Heilige Hochzeit nachzuspielen, war ders den Arabern (> 417-42), sondern fast der Keleb, wie wir wissen, nicht weit weg - durchgängig mit allen eurasischen Völkern: dass der die Göttin anbetende Jüngling im Der von den „gottlosen“, d.h. von JHWH neolithischen Europa (> I, 46: 108) durch abgefallenen Israeliten praktizierte Höhen- zwei Hunde substituiert werden konnte, kult ist eine in ganz Eurasien weit verbrei- wird nun in einen geographisch und histo- tete Praxis, die sie nicht erst von den Ka- risch weiten Kontext gestellt. Und dass es naanäern erlernen mussten. Abraham, der sich bei den „Tempelprostituierten“ weib- Vater vieler Völker, ist wahrscheinlich iden- lichen und männlichen Geschlechts um das tisch mit dem assyrischen Abu Ramu, dem Priester-Stammpersonal der Inanna/Ischt- Vater der Höhen, einer patriarchalisierten ar/Astarte/Aschera auch in Kanaan handel- Erscheinungsweise der Berggöttin bzw. te, geht wenig später aus einer anderen Bergkönigin, die von zwei Hunden oder Stelle im Buch 1 Könige (15, 9-13) hervor: zwei Löwen (~ ur-mah ~ großer Hund) be- gleitet war. Der Sinai war nicht nur den He- Rehabeams königlicher Konkurrent in Isra- bräern, sondern el, Jerobeam, wurde -911 von Asa beerbt, dessen Herkunft wie schon bei Rehabeam seit den ältesten Zeiten allen semi- (s.o.) matrilinear definiert wird - Asa tat in tischen Völkern heilig ... Der Name Sinai seiner Regierungszeit bis -871, lässt sich vielleicht von Sin, dem Mond- gott der Babylonier und Gimjaren, ab- was dem Herrn gefiel ... Er entfernte leiten. Die nordarabischen Stämme pil- die Hierodulen aus dem Land und gerten bis in die ersten Jahrhunderte beseitigte alle Götzenbilder, die seine unserer Zeitrechnung nach Feiran und Väter gemacht hatten. Auch seine auf den Serbâl, die höchste Spitze des Großmutter Maacha enthob er ihrer Sinaimassivs. Diese Opfer dauern bis Stellung als Herrin, weil sie der Aschera heute (~ 1888) fort (Andrian, 271). ein Schandbild errichtet hatte ... Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 351

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Asas Sohn Joschafat (-871 bis -848) vollen- Nun sollte man auch einem frommen Mann det das reformatorische Werk seines Vaters: nicht alles glauben: Sohn und Vater gehen gewiss nicht zum selben Mädchen, um den Er entfernte die letzten Hierodulen, die heiligen Namen des Herrn zu entweihen - in den Tagen seines Vaters Asa übrig ge- sie werden eher andere Motive haben, und blieben waren, aus dem Land (in: 1 Kö- wenn es ihnen nur um Pfänderspiele geht: nige 22, 47). In Wirklichkeit dürften sie das Religiöse mit dem Angenehmen verknüpfen. Nun legt Joschija wurde -641 im zarten Alter von acht Hosea, der sich eben noch über die Priester Jahren König und regierte 31 Jahre lang: und Weihedirnen aufgeregt hat, seinen Auch er tat sich im Beseitigen von soge- Gott den Israeliten wärmstens ans Herz, in- nannten Missständen hervor, indem er u.a. dem er zwischen dem Himmelsgott JHWH, die Kultgegenstände, die für Baal und der eigentlich ein Mondgott war mit den- Aschera im Tempel standen, entfernen ließ. selben Symbolen wie der ostsemitische Mondgott Sin, nämlich mit dem Drachen Ferner riss er die Gemächer der Hiero- und der Mondsichel, und seinem Land Isra- dulen am Tempel nieder, in denen die el eine Wiedervereinigung der ganz beson- Frauen Schleier für die Aschera webten deren Art imaginiert. JHWHs Drache, dessen (in: 2 Könige 23, 7). feuerspeiendes Maul jetzt zur Feuersäule erstarrt ist, ist der frühere Mondhund, der Wir wissen nicht, ob es Joschafat gelungen die transpersonale Begattung der Frauen ist, garantiert (> I): JHWH bzw. sein Prophet versucht durch metaphorische Aufhebung die letzten Hierodulen, die in den Tagen der realen Heiligen Hochzeit eben diese ins seines Vaters Asa übrig geblieben wa- rein Geistige zu verflüchtigen. Wie er das ren, aus dem Land anstellt, werden wir uns gleich ansehen, denn selbst hier ist noch Kynosophisches zu vertreiben. Wenn ja, sind sie irgendwann zwischen den Zeilen zu finden. Vorerst aber wieder zurückgekommen, was die Prophe- bilanzieren wir, dass die Sitte der Hierodu- ten Hosea, der selbst Gatte eines Tempel- len-Hunde-Hochzeit in israelitischen Heilig- mädchens war (Dietrich, 89), und Amos (ca. tümern weiter verbreitet war, wie auch Job von -767 bis -739) wider Willen bestätigen mit einer seiner Hiobsbotschaften bestätigt: können, denn Ruchlos Gesinnte hegen Groll, schreien die Priester selbst gehen mit den Dirnen nicht um Hilfe, wenn er (der liebe Gott) beiseite, mit den Weihedirnen feiern sie sie fesselt. Jung schon muss ihre Seele Schlachtopfer (in: Hosea 4, 13), sterben, wie das Leben der Lustknaben ist ihr Leben (in: Job 36, 13-4). und des Hosea Propheten-Kollege Amos wettert im Namen des Herrn gegen das, was Diese Lustknaben sind die Kelebim, und man im Patriarchat Prostitution nennt, was dann sind auch die Kedescha ~ Hierodulen aber aus der Perspektive Andersgläubiger nicht weit. Wenn es aber gar keine Wieder- nur ein Liebesdienst besonderer Art ist: kehr der Hierodulen gab, dann hat es eine Kontinuität des Hierodulen-Hunde-Kults Sohn und Vater gehen zum selben über mindestens 300 Jahre gegeben, und Mädchen, um meinen heiligen Namen wir wissen auch nicht, ob Joschija tatsäch- zu entweihen. Sie strecken sich auf ge- lich so erfolgreich war, wie ihn sein Ge- pfändeten Kleidern aus neben jedem schichtsschreiber darstellt. Der Hunde-Kult Altar (in: Amos 2, 7-8). der Hierodulen ~ Kedescha und der Kelebim Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 352

352 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

muss jedenfalls höchst attraktiv gewesen denn Israel wird hier mit der Lotus-Blume, sein, wohl nicht nur in physiologischer Hin- jenem Erkennungszeichen der Großen Göt- sicht, denn man nannte eine Hierodule in tin, gleichgesetzt: Der Lotus war nicht erst in Babylon üblicher Weise die Kluge (Zimmern, Ägypten, sondern schon in der Grünen Sa- 2): Hierodulen hatten wohl das geistige Ni- hara das Regenerationssymbol der Göttin veau griechischer Hetären, die ja manchmal schlechthin (> II, 243-56). Und der ehemali- intellektuellen Umgang mit Philosophen ge Wettergott JHWH erinnert sich an seinen pflegten oder auch umgekehrt. Auch des- früheren Beruf als Regenmacher, der dem halb waren sie aus den Köpfen der Gläubi- Land Tau als Segen bringt. Das Land (~ KUR) gen kaum zu entfernen: Joschafat regierte wäre die Göttin, JHWH der göttliche Partner 25 Jahre in Jerusalem, und sein Vater Asa saß in der Rolle eines Vegetationsgottes: Tau 41 Jahre lang auf dem Thron in Jerusalem, und Pflanze erscheinen als Symbole JHWHs, wenn er nicht gerade Hierodulen entfernte; und Pflanze und Wassergefäß zeichnen das macht zusammen 66 Jahre, um die von nicht nur die syrische Göttin als Lebens- Rehabeam importierten Hierodulen wieder spenderin aus (Winter, 637). Aber der ein- aus den Köpfen und Herzen der Menschen schmeichelnde Mimetismus JHWHs an seine zu eliminieren - Rehabeam dagegen regier- Konkurrenz geht noch weiter, so weit, dass te nur 17 Jahre lang, aber selbst wenn wir geradezu die Selbstverleugnung erreicht ist, seines Vaters Salomo Regierungszeit von 30 denn wir werden nach einem kleinen Aus- Jahren hinzurechnen: Er brauchte deutlich flug ins Gestrüpp eines der dichtesten Bi- weniger Zeit, um Akzeptanz für die Hiero- beltexte feststellen, dass Wacholder und dulen zu schaffen, falls das überhaupt nötig Götzen mehr mit dem Hund als Symboltier war, als seine reformatorischen Nachfolger, der Großen Göttin zu tun haben, als wir von um Akzeptanz für die Vertreibung der JHWH je gedacht hätten: Hierodulen zu wecken: Selbst nach 300- jährigen Unterdrückungsbemühungen und eindeutigem Verbot im Deuteronomium Exkurs: JHWH als Fraumann, (23, 18: > 302) am Ende des -7. Jahrhunderts Wacholder und Zypresse oder: äußert sich der fortdauernde Kampf noch in Die Heilige Hochzeit von JHWH der Zensur des Hosea-Texts: Hosea ver- und Aschera dammt die Hierodulen nur, weil ihn sein deuteronomistischer Zensor so umformu- Ob der biblische Baum mit Wachol- liert hat, wie die Textgeschichte zeigt: der oder Zypresse richtig übersetzt ist, lasse ich dahingestellt. JHWH lässt sich über sei- Was hat Ephraim noch mit den Götzen nen Propheten jedenfalls als Baum verkün- zu tun? Ich, ja, ich erhöre ihn, ich schaue den, denn - so klingt die überraschend ver- nach ihm. Ich bin wie der grünende söhnliche Botschaft dieses meist unversöhn- Wacholder, an mir findest du reiche lichen Gottes kurz vor dem letzten Vers des Frucht (in: Hosea 14, 9). Buches Hosea (14, 8):

Was hat das noch mit den Hunden zu tun? Sie (die mal wieder vom Glauben abge- fragen sich die Leser der Kynosophischen fallenen Israeliten) werden wieder in Zeitreise, und wer nun das nähere Umfeld meinem Schatten (~ der Schatten des dieser Textstelle absucht, wird vielleicht „Baumes“ JHWH) wohnen. stutzen bei JHWHs Vergleich: Zitiert man den Schluss des Hosea-Buches aus Ich werde für Israel dasein der Tau, da- der ökumenischen Übersetzung, den ich aus mit es aufblüht wie eine Lilie (~ Lotus; der französischen Version übersetze, dann in: Hosea 14, 6), gewinnt man einen ganz anderen Eindruck: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 353

GAB ES HUNDE-ZEREMONIELLE IM MONOTHEISTISCHEN ISRAEL? 353

Ephraim, was habe ich noch zu tun mit nen Nut, Isis und Maat wurden als Baum- den Götzenbildern? Ich bin es, der ihm göttinnen verehrt, und zwar im Kontext des antwortet und ein Auge auf ihn hat. Ich Totenzeremoniells - die weiblichen Gotthei- bin, ich, wie eine immergrüne Zypresse, ten gaben den Toten Nahrung, wie JHWH von mir kommt dir die Frucht (in: Gang- die Lebenden ernähren will mit den Früch- loff, 373). ten, die an ihm, JHWH, als Baum wachsen. Auch männliche Götter außer JHWH kön- Immer noch handelt es sich um die vom nen als Baum erscheinen, schon früh vor Deuteronomisten zensierte Fassung des dem Baum-Möchtegern, z. B. sieht man auf Buchs Hosea. Wie aber sah das Original aus? einer Vase aus der zweiten Periode der Gangloff hat 1998 mit Hilfe der schon 1892 Negade/Naquada-Kultur (> III) erschienenen Übersetzung von Wellhausen (21) die wahrscheinliche Urfassung vor der die Göttin in Kuhtanzhaltung … sowie Zensur rekonstruiert. Wellhausen übersetz- das Männchen - entweder mit erigier- te damals schon dieselbe Stelle so: tem Glied oder mit einem Penisfutteral -, das einmal einen Stab, das anderemal Was hat Ephraïm (~ Israel) noch mit den einen schlangenartigen Gegenstand in Götzen? ich bin seine Anath und seine der Hand hält (Duerr, 125). Aschera, ich bin ihm wie eine grüne Cy- presse, bei mir findet sich seine Frucht. Das Männchen ist der wahrscheinlich aus Li- byen kommende frühägyptische Gewitter- Die Leser der Kynosophischen Zeitreise fra- gott Min, der mit Donner, Blitz und Regen gen sich: Was hat das noch mit dem zweiten um -5.000 im ägyptischen Feuchtintervall Satz der beiden vorhergehenden Überset- die Savanne befruchtete (> II, 358): Schon in zungen zu tun? und sie spüren doch schon jener frühen Zeit wurde Min auch als Heili- undeutlich, wo die tiefenpsychologische ge Zypresse verehrt (Buhl, in: Gangloff, 382, Reise hingehen wird. Noch sind sie in bester FN 58). Wir sahen in Ägypten (> II, 363-4) Gesellschaft, denn viele Bibelexegeten hiel- auch, dass der Hund als Totemtier verschie- ten Wellhausens Übersetzungsvorschlag dener Clans im westlichen Nildelta nach de- zwar für geistreich, aber doch nicht für ren Ausdehnung in Richtung Süden an die kompatibel mit dem Wortlaut des Originals. Stelle früherer Totemtiere oder -pflanzen Aber: Was ist denn das Original? Die Ant- trat, so z.B. in Lycopolis, wo der zum Wolf wort findet man am ehesten, wenn man die renaturierte Hund mit Wepwawet die Dat- Hebräische Bibel nicht aus der ihr zeitlich telpalme als Totem ablöst. Das ist ein my- nachgeordneten christlichen Perspektive thologisch und tiefenpsychologisch bedeu- betrachtet, sondern auf JHWHs Kollegen tender Vorgang, denn die Dattelpalme ist Zeus verweist, der ebenfalls als Fraumann als hohe Sykomore am östlichen Horizont Dionysos aus seiner Hüfte neu gebären will der Weltenbaum, und Hathor ist die Herrin (> III) und wenn man die Vorgänger- und der Sykomore, deren Krone die Menschen Konkurrenz-Religion des JHWH-Monotheis- überwölbt wie der Himmel und schützt vor mus interpoliert: Kanaan war immer beein- der Sonne, indem sie ihnen Schatten gibt, flusst von Mesopotamien, Anatolien und wie JHWH, der Möchtegernbaum, auch ver- Ägypten. Im ägyptischen Memphis ist seit spricht - aber die Sykomore hat offensicht- dem Alten Reich ein Baumkult nachweisbar, lich auch jene Gebärmutter, die JHWHs Neid in dem die Große Göttin Hathor (> II) als erregt, die er wie Zeus (> III) auch gern hät- Königin der Sykomoren des Südens verehrt te, um gegen die weibliche Konkurrenz be- wurde. Auf diese spezielle Form des Syko- stehen zu können. Diese Sykomore ist die moren-Kults hielt Hathor in Ägypten kei- Große Göttin, die den Seelen Nahrung gibt neswegs das Monopol: Auch ihre Kollegin- und den Sonnengott gebiert. Wir sahen in Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 354

354 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Afrika auch, dass der König sein Amt mit sei- auch in ihr wie in der Sykomore (als Mutter nem Hund u.a. als Richter unter einer Syko- der Götter) wohnen eben diese Götter, und more auszuüben hatte; wenn er wegen der Schamane Gilgamesch steigt auf diesem Krankheit o.ä. mehr als drei ganze Tage da- Weltenbaum (> I) in die Obere und in die zu nicht in der Lage war, wurde er an diesem Untere Welt. Die menschliche und die Baum aufgeknüpft (> II, 251). Wir sahen pflanzliche Erscheinungsform der Göttin auch, dass die Baghirmi in Gábberi (Nord- waren austauschbar. Diese Baumgöttinnen ost-Sudan) in einer Synthese von Hunde- haben Qualitäten, die Gangloff so zusam- und Baumkult menfasst und die die Kenner der Schama- nen und ihrer unterirdischen Schutzgottheit Hunde, die unter einer großen Syko- der Tiere nicht überraschen: more geschlachtet wurden, als Opfer für die Gottheit 1. Die Gottheit ist weiblich.

darbrachten: Da die Gestalt von Opfer und 2. Baum und stilisierter Zweig sind nicht Opferadressat gleich sein kann, darf man einfach ein Symbol der Göttin, sondern daraus folgern, dass die Sykomore die eine sind organischer Bestandteil der Gott- bestimmte Erscheinungsweise der Großen heit und verschmelzen mit ihr. Göttin, der Hund als Opfer die andere be- stimmte Erscheinungsweise war: Die Hün- 3. Da der Zweig der Zypresse immer- din Sothis bzw. der Hund KU am Thron KUR grün ist, verkörpert er das nie versie- - beide sind sie Erscheinungsweisen ein und gende sexuelle Potenzial der Göttin, die desselben Prinzips - KUKUR (> II & > III), jugendliche Kraft, Leben und Frucht- denn die Göttin ist der Thron, den der Kö- barkeit spendet. nig nur mit ihrem Einverständnis „bestei- gen“ darf. Und dieser Hund am Thron steht 4. Wird die Göttin als Mensch zusam- immer in substanzieller Nähe der Göttin - er men mit dem Lebensbaum und den bei- verkörpert tiefenpsychologisch ihren männ- den ihn (~ den Lebensbaum, d.h. sie, lichen Aspekt: Sykomore, Thron, Hund, Göt- die Göttin) flankierenden Ziegen- tin und Herrscher sind also essentiell mit- böcken dargestellt, dann repräsentie- einander vermittelt. Deshalb hat der Hund, ren die drei Erscheinungsformen je ei- d.h. der Tempelhund, als Kadesch bzw. als nen besonderen Aspekt ein und dersel- Keleb neben der Kedescha - beide sind Ge- ben Realität, nämlich der Göttin (in: weihte der Großen Fruchtbarkeits-Göttin - Gangloff, 380). seinen Platz im Tempel. In Mesopotamien ist die Verehrung Ischtars als Dattelpal- In Israel und Juda sind Baumkulte weib- mengöttin seit dem -3. Jahrtausend nach- licher Gottheiten belegt, sogar in Sichem, gewiesen - auf manchen Amuletten wächst dem Herzen Israels, wie schon die Genesis ein kleiner Zweig aus dem Nabel oder der (12, 6) beklagt. Allerdings sind diese po- Vulva einer weiblichen Figur (> II, 245: Abb. lytheistischen Zeugen von den patriarcha- 2): Der Zweig verstärkt über Nabel und Vul- lischen Autoren der Hebräischen Bibel - wie va hinaus das Bild vom sexuellen Potenzial vom Deuteronomisten das Buch Hosea - ver- der Göttin, das JHWH usurpieren will und ständlicher Weise schon so entstellt, dass es muss, um sich gegen die Konkurrenz be- manchmal schwerfällt, sie zu erkennen - so haupten zu können. Auch die mesopotami- ergeht es dem Kynosophen ja regelmäßig, schen Helden Gilgamesch und Enkidu stif- wenn er das verschüttete Bild des Hundes in ten nach ihrem Sieg über Humbaba ein Wei- den Vorstufen patriarchaler Gesellschaften hetor für den Tempel in Nippur, das aus dem rekonstruieren will - und wenn dann noch Stamm einer riesigen Zeder hergestellt ist - patriarchalische Theologen der sogenann- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 355

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ten Moderne in ökumenischen Überset- liche Wacholder auch eine weibliche Zy- zungsversuchen die polytheistischen Zeu- presse und umgekehrt: Deshalb war „die“ gen bearbeiten, bleibt nichts mehr übrig. Zypresse im Alten Orient einer der wenigen Gangloff aber weist überzeugend nach, Bäume, die wegen ihrer Androgynität auch dass JHWHs Satz: mit einem männlichen Gott assoziiert wer- den konnten: Das macht sich JHWH zunut- Ich bin, ich, wie eine immergrüne Zy- ze, wenn er nun überraschend versöhnlich presse, von mir kommt dir die Frucht ... mitteilt, er sei für Israel wie eine grüne Cy- presse, bei mir findet sich seine Frucht: Jetzt ein kultisches Zitat oder ein liturgischer Re- betreibt er einen Mimetismus an die unmit- frain ist, den Hosea aus der kanaanäischen telbar vorher erwähnte Große Göttin in- Literatur bzw. Liturgie übernommen haben haltlich und auch stilistisch: muss: Wenn, wie Hosea schildert, Gott sein Land „erkennt“ im biblischen Sinn, dann Ich bin seine Anath und seine Aschera, heiratet, besser: begattet er das Land, denn sein göttlicher Samen ist der Regen, wobei die Göttin Anath der Zypresse ent- spricht und die Göttin Aschera dem daraus with whom the heaven seeds the earth. entwickelten Kultpfahl, der natürlich nur ei- The consequence is grain and wine and ne erste Abstraktion des Lebensbaums ist. oil that God gives to the bride as he did JHWH integriert also die weiblichen Teile der in the ideal past (Weinfeld, 523). Anath in sich und behauptet gleichzeitig, seine ursprüngliche Gestalt sei der männ- Um den Israeliten zu gefallen und um seine liche Teil der Anath als matriarchaler Uro- göttliche Konkurrentin zu verdrängen, wird boros, jetzt aber unabhängig von Anath JHWH es wahrscheinlich nicht beim rein existierend, nämlich als JHWH. Indem seine Symbolischen bewenden lassen, darin sei- beiden Teile also personal aufgespalten wer- nem Konkurrenten Baal als Begatter ~ den, ist der matriarchale Uroboros nicht Regenmacher am Karmel nacheifernd - ob mehr integral. Dies ist aus tiefenpsycholo- er dabei auch hündisch konnotierte Lippen- gischer Sicht die vermeintlich fundamentale steine benutzt wie seine Regenmacherkol- legen im Sudan (> II)? Wohl kaum, denn Trennung in einen bewussten Teil der JHWH will beides sein: Begatter und Braut Persönlichkeit, dessen Zentrum das Ich zugleich. Aber all das, was Hosea in JHWHs ist, und einen - größeren - unbewussten Namen nur symbolisch verspricht, haben die Teil der Persönlichkeit. Diese Trennung Israeliten schon real, weil sie verbotswidrig und Teilung ist auch die Grundlage für neben JHWH die Göttin Ischtar/Astarte ver- eine Veränderung des Prinzips der ehren, warum also sollten sie eine schöne Ambivalenz (Neumann, Ursprungs- Göttin, die sich manchmal etwas männlich geschichte, 102). verhält, gegen einen männlichen Gott tau- schen, der auch ein wenig weiblich sein will? Auch wenn wir die Prämisse Neumanns, der Denn die in Form einer Pyramide wachsen- matriarchale Uroboros habe kein Bewusst- de Zypresse - sie ist vielleicht das Modell für sein gekannt, überhaupt nicht teilen, müs- die Pyramiden in Ägypten - sah man im Al- sen wir doch zugeben, dass nun mehr Be- ten Orient als androgynen Lebensbaum, der wusstsein da ist, aber auch mehr Verdrän- männliche und weibliche Blüten am glei- gung. Das Prinzip der Ambivalenz wird nun chen Blütenstand ausbildet, genauer: viele so verändert, dass die Gegensätze sich nicht weibliche und dazwischen wenige männ- mehr komplementär zu einer höheren Ein- liche Blüten aufweist auf ein und demsel- heit vereinigen lassen, wie dies z.B. in der ben Blütenstand. So gesehen ist der männ- paläomentalen Farbmetaphorik (> I, 78-82) Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 356

356 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

paradigmatisch deutlich wird, wo Schwarz stellt wird, und schließlich, dass Albright irrt, und Rot in ihrer relativen Gegensätzlichkeit wenn er folgende typische Darstellung der trotzdem eine höhere Ganzheit bilden, die syro-kanaanäischen Göttin für ein Phäno- dem matriarchalen Uroboros entspricht. men erst des späten -2. Jahrtausends hält: Vielmehr stehen die Gegensätze nun z.B. als moderne Farbmetaphorik in Schwarz und In the late second millennium B.C. we Weiß unversöhnlich und unvereinbar ge- find that one of the most common geneinander. Statt eines beherzten Sowohl- forms of the Syrian goddess is that of a Als auch-Prinzips gilt ein vermeintlich klares naked woman holding symbols of ferti- Entweder-Oder-Prinzip: lity such as lily stalks and serpents in her upraised hands - her name is “the holy Das heißt, ein geliebtes Objekt „kann“ one”! A cult-stand of about the twelfth nun nicht mehr gleichzeitig auch century B.C. from Beth-Shan (> 448-9: gehasst werden. Das Ich und das Abb. 35 & 36 & Bildkommentar) shows Bewusstsein identifiziert sich prinzipiell a remarkable tableau in relief: a nude mit einer Stufe des Gegensatzes und goddess holds two doves in her arms as lässt die andere im Unbewussten (Neu- she sits with legs apart to show her sex; mann, Ursprungsgeschichte, 102). below her are two male deities with arms interlocked in a struggle (?), with Dem entspricht die Forderung nach einem a dove at the feet of one of them; to- klaren Bekenntnis zu JHWH und nach einer ward them from below creeps a serpent ebenso klaren Abwendung von Anath und and from one side advances a lion. This von Aschera. Aber beide spielen als Frucht- may be considered as a terse epitome of barkeitsgöttinnen the mythological symbolism of Canaa- nite religion at the end of the pre-Isra- a much greater rôle among the Canaa- elite age in Palestine (Albright, 178). nites than they do among other ancient people, Diese empfangsbereite Venus - with legs apart - kennen wir in ihrer menschlichen meint Albright 1940 (177), und wir behalten und ihrer hündischen Erscheinungsweise von seiner Behauptung für unsere Zwecke bereits aus der Grünen Sahara (> II, 250-1), nur den Hinweis auf Anaths herausragende wo sie zur zweitältesten Bildschicht gehört, Position in Kanaan: Dieses Konzept einer also knapp 5.000 Jahre älter ist als ihre syro- Göttin, die oszilliert zwischen jungfräu- kanaanäische Nachfolgerin: with legs apart lichem und mütterlichem Status, wird in der to show her sex ... Außer in dieser unzuläs- Ikonographie als nackte Göttin (> III) darge- sigen Reduktion der Zeittiefe der zur Hoch- stellt, zeit bereiten Venus(priesterin) - die zahlrei- chen Varianten ihrer Darstellung lasse ich as we know both from the many unberücksichtigt (vgl. hierzu: Winter, Frau hundreds of “Astarte” plaques from und Göttin) - schränkt Albright auch das the period 1700 - 1100 B.C. ... and from geographische Vorkommen der Venus ein: the fact that the Canaanite goddesses Er lässt Mesopotamien unerwähnt, das ich Astarte and Qudshu (or Qadesh) always unter diesem Aspekt bereits beleuchtet ha- appear naked in Egyptian portrayals of be (> III); und nach Mesopotamien bietet this age (Albright, 177). Iran the largest number von

Halten wir zunächst fest, dass Qadesh ein representations of sexual intercourse ... Synonym für die kanaanäisch-syrische Anath similar to those found in Mesopotamia ist, dann, dass Anath/Qadesh nackt darge- (Cooper, 268). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 357

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Nicht nur im Iran ist die spread-legged fe- scheinbarer Versöhnung der aus patriarcha- male, also die Göttin im Lotussitz, nachge- ler Schwarz-Weiß-Sicht eigentlich unver- wiesen, nicht nur in Syrien, auch und schon söhnbaren Gegensätze, indem sie JHWH zu- in der Grünen Sahara. Albright ist auch in sätzlich mit den weiblichen Eigenschaften Details zu korrigieren: So wird das entspre- der Großen Mutter ausstatten, natürlich im- chende hebräische Lexem fast immer mit Li- mer unter männlichen Vorzeichen, analog lie übersetzt, es handelt sich in Wahrheit je- zu den Zeus-Theologen in Griechenland (> doch um die Lotus-Blume (Winter, 662), die III). Und wer diesem Trick nicht aufsitzt und schon einige tausend Jahre früher in der bei der Großen Mutter bleiben will, dem Grünen Sahara belegt ist (> II). Und “The wird dafür die Anerkennung als moralisch holy (~ griechisch: holos ~ ganz, heil) one” tadelloses Individuum versagt bleiben: ist nicht nur eine Umschreibung der alle Ge- gensätze dialektisch-ganzheitlich in sich Der israelitischen Wandlung der Gottes- aufhebenden Göttin, sondern auch der Titel und Weltauffassung entsprechend, ist ihrer Priester und Priesterinnen, deren das moralische Moment in den Vorder- anderer Titel kadischtu/kedescha bzw. grund getreten, und die Gewinnung der kadesch/keleb lautet. Und wir wissen auch, Erkenntnis des Guten und Bösen zur Sün- dass die Taube, die später im Christentum de, das Verlassen des uroborischen Früh- als Heiliger Geist und zuerst der Mutter des zustandes zur strafweisen Vertreibung Christus als transpersonaler Erzeuger er- aus dem Paradies degradiert worden scheint, in Wirklichkeit eine der die Frucht- (Neumann, Ursprungsgeschichte, 103). barkeit verheißenden Erscheinungsformen der Göttin ist, die der christliche Gott usur- Diese bewusstseinsentfaltende Spaltung piert: Dieser Mimetismus erleichtert ihm die versucht JHWH nun rückgängig zu machen, Expansion nach Griechenland, da auch die weil sein Auserwähltes Volk mental noch griechische Liebesgöttin Aphrodite als Tau- nicht so weit ist, den rein patriarchalen Uro- be erscheint. Ohne Vorbehalt zuzustimmen boros zu akzeptieren, d.h. zu glauben, die ist Albright, wenn er in diesem Bild von der nie versiegende sexuelle Potenz der Göttin Göttin in Beth Shan mit zwei ihr unter- und sei nun auf den männlichen, den Vatergott zugeordneten männlichen Gottheiten eine übergegangen, der durch Geistzeugung, schlüssige Miniatur der kanaanäischen My- wenn auch als männlicher Geist die weib- thologie erkennt, in der auch der Hund ei- liche Erscheinungsform der Göttin als Taube ne wesentliche Rolle spielt, wie ein Bild usurpierend, den Fortbestand des Lebens zeigt aus Kuntillet ´Ajrud, 50 km südlich von über den Tod hinaus garantiert. Diese Idee Kadesch Barnea, der Heimat Kalebs (> 359: den Menschen wieder zuzumuten traut sich Abb. 514). Wenn nun JHWH, der doch nur erst 700 Jahre später das Christentum: Gott- die Stelle einer dieser beiden männlichen vater zeugt dann als Heiliger Geist in Gestalt Gottheiten in der alten Religion einnehmen eines Täuberichs den Sohngeliebten der gar konnte, wenn JHWH also beansprucht, bei- nicht mehr so Großen Mutter. Dieses Ziel ist de männlichen und zusätzlich noch die zwar seit dem Sinai-Erlebnis im Exodus an- weibliche Gottheit in sich zu vereinen, und visiert, kann aber selbst um -740 den Israe- dann noch zusätzlich zum Abfall von der liten immer noch nicht schmackhaft ge- Großen Göttin auffordert, dann stellt er die macht werden. Um nicht noch mehr an Bo- Israeliten vor eine unmenschliche Wahl: Da den zu verlieren, gehen die Theologen des die zu Missionierenden mit dieser Alterna- JHWH also den Kompromiss einer scheinbar tive überfordert sind und ihre Sehnsucht friedlichen Koexistenz der beiden religiö- nach Rückkehr ins vermeintliche matriar- sen Systeme ein, allerdings unter patriar- chale Paradies die Oberhand gewinnt, grei- chaler Federführung: Indem JHWH als fen die JHWH-Theologen zu dem Trick selbstbefruchtender heiliger Baum Anath Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 358

358 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

und Aschera auf ein und demselben Zweig männlichen Namen des Stammes Ephraïm trägt, ist er das Ganze, und die beiden Er- ein und demonstriert so sein patriarchales scheinungsformen der Göttin sind nur zwei Selbstbewusstsein als Autor, d.h. als ein unterschiedliche weibliche Aspekte dieses männlicher Mensch, der etwas aus sich her- im Grunde jetzt männlichen Ganzen. Die vorbringt. Er beendet also abrupt den Ver- geringe Unterscheidbarkeit der beiden Göt- söhnungsversuch zwischen den beiden Reli- tinnen macht sich der JHWH-Theologe zu gionen, wenn auch ohne nachhaltigen Er- Nutzen: folg, wie der Marien- und Fatima-Kult bis auf den heutigen Tag beweisen. Mit dem Die drei Göttinnen Ashera, Anat, Astar- Versuch einer Synthese aus JHWH und te sind nur drei undeutlich voneinander Anath/Aschtart bzw. Aschera bietet sich ei- abgehobene Erscheinungsformen des ne einleuchtende Erklärung an für die zahl- Archetyps der uroborischen Großen reichen Stellen der Bibel, an denen das aus- Mutter. Zwar ist Ashera als Feindin des erwählte Volk des Monopol-Gottes dem Helden Baal und als Gebärerin der Herrn missfällt: Es ist die lebens- und sin- Wüstenungeheuer, die ihm den Tod nenfrohe Attraktivität der ursprünglichen bringen, zugleich Feindin der Anat, der Religion des Alten Orient, die die Israeliten Schwestergöttin Baals. Aber auch hier immer wieder vom vermeintlich richtigen sind wie bei der Isis Muttergeliebte und Glauben abfallen lässt. Und diese attrakti- Schwester, Verderberin und Helferin ven Rituale wurden durchgeführt in den zusammengehörige Aspekte. Der Heiligtümern der Aschera/Aschtart, deren Archetyp ist noch nicht deutlich in feste Name auch Qadesh/Kadesch war: Die heuti- Göttinnengestalten auseinanderge- gen syrischen und palästinischen Ortsna- treten (Neumann, Ursprungsgeschich- men Kadesch oder Kedesch sind ursprüng- te, 69). lich Namen von Aschtart-Heiligtümern. So gab es auch im Königreich Juda, aus dessen Diese nur undeutlich angebahnte Trennung Stamm ja auch die Kalebiter als Clan abge- nutzt, aber zugleich schadet sie auch JHWHs leitet sind, einen Ort namens Kedesch, der Plan, denn zuerst müssten die Gestalten au- wahrscheinlich identisch ist mit dem heuti- tonom existieren, bevor ihre Funktionen gen Kadesch Barnea und mit dem Heimat- auf einen männlichen Gott übertragen wer- ort des Kalebiter-Clans, des zentralen Clans den könnten. Zugleich sind Anath und von Juda, denn der Ort Kadesch Barnea Astarte Gebärerinnen der Völker, und das wird in Josua (15, 23) aufgelistet und will JHWH auch sein. Entgegen seiner spä- charakterisiert kurz nach der Erzählung der teren Identität wäre JHWH in diesem Mo- Kaleb-Episode (15, 13-19): dell immerhin kein geschlechtsloser Gott, wie ihn die radikale Entwicklung kurz dar- Das ist der Erbbesitz des Stammes der auf definitiv konzipiert: Um -700 ergreift Judäer, entsprechend ihren Sippen ... an der Zensor in Gestalt des Deuteronomisten der Grenze zu Edom im Negeb (~ Ne- den Federkiel, um die versöhnliche Stelle gev): ... Kadesch ... am Schluss des Buches Hosea zu patriarcha- lisieren. Er verändert dazu - wie wir das In der Grabungsstätte Kuntillet ´Ajrud, einer schon von Keleb zu Kaleb (> 309) gesehen 50 km südlich von Kadesch Barnea an der al- haben - durch Weglassen und Hinzufügen ten Karawanenstraße von Gaza nach Eilath einiger Punktierungen die Worte Anath gelegenen Grenzgarnison aus dem -9. bis und Aschera so geschickt, dass deren frühe- -8. Jahrhundert, hat man Inschriften auf re Präsenz nur noch ganz undeutlich durch- Scherben von großen Vorratskrügen gefun- schimmert. Zum Zeichen, dass er den Text den, die JHWH und seine Aschera erwähnen manipuliert hat, setzt er zusätzlich den (Weinfeld, 515), und zwar als Segensspruch: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 359

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renz: Der alte und der neue Jahreskönig? Ein Einzelfall? In Khirbet el-Qom, nahe bei He- bron, wurde eine Inschrift desselben Inhalts gefunden: Sowohl in der Ursprungsregion der Kalebiter (~ Kadesch- Barnea) und im Zielgebiet der Kalebiter (~ Hebron) ist der Kult der Heiligen Hochzeit zwischen einem männlichen Gott - hier JHWH - und der Großen Göttin bezeugt. Zufall? In der Kab- balah, der jüdischen Mystik, ist die Heilige Hochzeit kombiniert mit dem Heiligen Baum, einer Erscheinungsform der Aschera, aber auch des Welten- und Lebensbaums. Dieses Mythologem von Heiliger Hochzeit Eine Zeichnung in roter Farbe auf einem Vorratskrug und Heiligem Baum ist auch in der neu- aus Kuntillet `Ajrud, um -800: Zwei Bes-ähnliche, assyrischen Mythologie nachgewiesen, und eindeutig männliche Figuren im Vordergrund; eine zwar in weitestgehend wörtlicher Über- hinter bzw. über diesen Figuren auf einem „KUKUR“- einstimmung mit der Tradition der Kabbalah. Thron (> II, 520: Abb. 1) sitzende Göttin. Die beiden Der Baum ist hier in zehn Stufen eingeteilt, männlichen Figuren “below her are two male deities deren letzte das Königreich bezeichnet, das with arms interlocked in a struggle” (> 356).Ein Hund nicht immer von dieser Welt ist: Der König ist mit schlangenähnlichem Kopf, aber mit Halsband und das Medium des göttlichen Mana, in Israel El gestrecktem Vorderbein, beinflusst züngelnd oder genannt. Die Heilige Hochzeit, die in der sa- bellend einen der beiden Kontrahenten - einen Kaleb? kralen und öffentlichen „Tempelprostitu- Die Analogie zum Kessel von Gundestrup (> III,206: Abb. tion“ Babyloniens ihren letzten spekta- 2a & > V) ist bemerkenswert. In: Winter,Abb. 514. kulären Auftritt feierte, wurde in der sume- rischen, in der Frühzeit der alt-babylonischen Gesegnet seist du durch JHWH ... und und in der frühen hebräischen Religion eben- durch seine Aschera (in: Winter, 487), falls noch real vollzogen vom König und ei- ner Frau, die vermutlich Priesterin war (Wein- womit Wellhausens geistreiche Emendation feld, 525); erst in dieser Hochzeit wurden bei- bestätigt ist. Auch wenn U. Winter darin de Partner zu einer höheren Einheit, zur keine selbständige, erst recht keine gleich- eigentlichen Gottheit also, verschmolzen. In berechtigte Partnerin JHWHs sehen will, Sumer schon wurde parallel zum realen auch zieht doch M. Gilula die unter die zweite In- ein symbolischer Vollzug praktiziert, indem schrift gepinselten Figuren hinzu, in denen er die Statue des Gottes in die Kammer der Göt- JHWH und seine Partnerin erkennt (> oben). tin getragen wurde: Die Heilige Hochzeit Wahrscheinlich stellen die beiden Figuren im fand also diskret, nicht vor aller Augen statt, Vordergrund tatsächlich zwei dem Bes ähn- das förderte das Mysteriöse an diesem Vor- liche (> II, 366-70) männliche Götter dar, wie gang. Später, nach der Isin-Larsa-Periode, man argumentiert hat, um JHWHs Jungge- wurde in Mesopotamien allein die symbo- sellentum zu retten (Winter, 490): Für Bes lische Form der Heiligen Hochzeit praktiziert, spricht u.a. ihre Federkrone, aber warum bis sie Anfang des -2. Jahrtausends aufgege- zwei Junggesellen, wenn sie nur einen JHWH ben wurde. In Israel war der reale Vollzug retten sollen? Und die Dame auf dem Thron früh von JHWH verboten, nicht aber das lässt an die Große Göttin denken - und dar- metaphorische Reden von der Heiligen um geht es: Um den Nachweis einer selbst- Hochzeit, während der reale Vollzug immer ändigen Göttin neben JHWH bzw. hier ne- wieder aufflammt, wie der Prophet Hosea ben zwei männlichen Gottheiten in Konkur- (14, 6 ff.) beweist mit seiner Rede von den Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 360

360 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Priestern, die selbst gehen mit den der Ortsname bezeichnete wohl ursprüng- Dirnen beiseite, mit den Weihedirnen lich ein Heiligtum der Göttin, an dem Pries- (in: Hosea 4, 13). terinnen - Anatot - den Kult der auch Him- melskönigin genannten Göttin zelebrierten Die sumerische Diskretion scheint dabei in und Jeremia ungewollt Anschauungs- Kanaan nicht vollkommen gewährleistet zu unterricht erteilten. Noch in der Richterzeit sein, denn Hosea sieht den keleb-(~ Hunde)- Israels heißt des Richters Shamgar Vater in Priester zur Hochzeit sich zurückziehen mit matrilinearer Abstammung Anath. Anaths der Weihedirne: Diese repräsentiert die attraktiver Kult lebt also mitten in Israel Himmelskönigin Ischtar, und der Hunde- fort, und JHWHs Eifersucht auf die erfolg- Priester als Tammuz/JHWH/Baal ist der reiche Göttin wird in gewissem Maß nach- Fruchtbarkeitsgott, der im Sommer mit der vollziehbar. Nun zur Differenz zwischen gestorbenen Vegetation beweint wird und Ischtar und Anath - denn die Konzeption den Ischtar/Anath in der Unterwelt befreien dieser Göttin unterscheidet sich in einem will, wo sie sich drei Tage und drei Nächte Punkt allerdings erheblich von der ihrer Kol- aufhalten muss - befassen wir uns zuerst mit legin Ischtar: Hat diese später den Hund als Anath und dann mit dem Vegetationsgott: Begleittier und erschien sie früher selbst in Gestalt einer Hündin, so zählt Anath bereits den Hund zu ihren Feinden. Wie ist das Anath und die möglich? Wie jede Große Göttin, so er- Hündin der Feuergötter scheint auch Anath in verschiedenen Ag- gregatzuständen: Ihr männlicher Partner Anath (> 535) ist zwar weitgehend Baal ist zuerst ihr Bruder und dann ihr Gat- mit Ischtar identisch, und die vielen kleinen te, obwohl Anath sprachlich fast immer von Differenzen, die die Religionswissenschaft- dem Attribut betoulat (~ Jungfrau) beglei- ler zwischen den beiden Göttinnen ent- tet wird, worüber Virolleaud (6) sich wun- deckt haben, sind aus tiefenpsychologischer dert, wir uns aber nicht mehr. Jeder kanaa- und kynosophischer Perspektive unwichtig, näische/phönizische Gott personifizierte ei- aber es gibt doch einen auch für Kynoso- nen Aspekt der Natur. El, der höchste Gott phen bemerkenswerten Unterschied in den und König, war ein Sonnengott und wurde Aktivitäten der beiden Göttinnen, doch manchmal als Stier dargestellt - ganz wie Ze- zunächst zu den Gemeinsamkeiten: Anath us, der Europa als Stier ent- und verführt: ist wie Ischtar auch eine streitfreudige, krie- Europa ist schon rein menschengestaltig, gerische Göttin - Kriegsgöttin dürfte als Be- während ihre arabische Schwester Aruba (~ zeichnung zu einseitig sein, jedenfalls in Sy- arabisch: heiß liebend ~ Beiname der Venus; rien und Palästina. Diese kanaanäische Göt- Rotter, 163) wie ihre syro-kanaanäische Ku- tin ist ungefähr seit -1.750 mit der Hyksos- sine Anath noch als Kuh, Färse oder Stein er- Invasion (Hyksos ~ Fürsten der Schäfer scheinen. Ashera(t), El´s Ehefrau, war die (Albright, 152)) auch in Ägyptens Pantheon Muttergöttin - Gottheit der Fruchtbarkeit eingeführt, wo sie seither tatsächlich als und Lebensspenderin. Ihr Sohn war Baal, Kriegsgöttin verehrt wurde (Virolleaud a, der Gott der Berge, der Stürme und des Re- 4). Anath hat also zu Hoseahs Zeit in dieser gens. In Statuetten wird Baal gewöhnlich Identität schon eine mindestens eintau- gehörnt gezeigt, eine Keule schwingend sendjährige Tradition. In Palästina gibt es oder Donner und Blitz sendend. Auch er mehrere Orte, die noch den Namen der Göt- wurde hin und wieder von den Israeliten tin tragen, so auch Anatot, einige Kilometer verehrt. Nun ist der arme Baal zwar eine nördlich von Jerusalem, wo der Prophet Je- von vielen männlichen Gottheiten, aber die remia geboren wurde, einer ihrer späteren einzige, die kein eigenes Haus (~ Tempel) Feinde. Anatot ist der Plural von Anath, und hat. Anaths Hauptanliegen in einem Text, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 361

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den der Archäologe Virolleaud in Ras Sham- dass die Eunuchen in ihrem Ebenbild ra (~ Ugarit; > 31: Karte) 1937 entdeckt und männliche Prostituierte, Tänzer und entziffert hat, besteht nun in verschiedenen Priester sind. So finden sich in Kanaan Unternehmungen, Baal zu seinem Haus und alle Züge des Kanons, der bestimmt ist dem dazugehörigen Kult zu verhelfen. Baal durch das uroborische Bild der großen befindet sich augenscheinlich in einer JHWH Muttergöttin und durch die Unbefreit- vergleichbaren Situation: Er muss sich als heit des noch nicht selbständig ge- Gott erst noch durchsetzen. Aber während wordenen Männlichen (Neumann, Be- JHWH selbst an der Karriereleiter bastelt, wusstseinsgeschichte, 70). verlässt sich Baal auf Anath, und während in Ägypten die Göttin Sekhet nur einmal im JHWHs merkwürdige Weibmännlichkeit, Blut badet, nämlich zu Beginn ihrer Lauf- man nennt ihn später den asexuellen Gott, bahn, eilt Anath in Ras Shamra (> 461) von konvergiert auf bedenkliche Weise mit dem einem Blutbad zum nächsten, um Baals Eunuchentum der ehemals männlichen, Autorität zu verankern und zu festigen: jetzt kastrierten Priester der Anath bzw. Aschera. Beide ahmen die Große Göttin Nachdem sie die Menschen geschlach- nach, die als „Kultpfahl Aschera“ die Große tet hat, dass das Blut so tief war, dass sie Mutter, gleichzeitig aber auch den Phallus bis zu den Knien, nein bis zum Nacken symbolisiert: Aus der uroborischen Göttin in ihm watete (Neumann, Ursprungs- soll der uroborische Gott werden, für den es geschichte, 70). keine Göttin mehr als Sexualpartnerin in Heiliger Hochzeit gibt. Eines Tages nun Konstruktiv kommentiert Neumann diesen macht sich die blutdürstige Mannfrau Blutdurst der Großen Göttin: Anath auf zum Gebirge im Norden (~ Land des Todes?), wo man profaner Weise Gold Wie bei allen Göttinnen dieses Typs ist vermutete, aber ich denke eher an die das Blut Tau und Regen für die Erde, die „Strahlkraft“ des Goldes: Baal ist ein Vege- Blut trinkt, weil sie Frucht geben soll ... tations-(~ Korn)-gott, der als Pflanze stirbt Nicht nur Gebärendes und Tötendes und aus dem Korn wiederaufersteht, wozu stehen im kanaanäischen Mythos die Strahlkraft der Sonne unbedingt erfor- nebeneinander, auch die hermaphrodi- derlich ist - leider befindet sich dieses tische Urform des Uroboros tritt hier „Gold“ zur Zeit im Norden und muss von auf in der Zusammengehörigkeit des Anath zurückgebracht werden: Dazu aber männlichen Morgensterns Astar oder muss sie den Drachen Tannîn, der das Gold Attar mit seiner weiblichen Form als bewacht, knebeln - ja, sagt sie, ich werde Abendstern, der Ischtar Mesopota- ihn knebeln! Auch der Garten, aus dem miens. Die Mannweiblichkeit der Gott- Herakles die hesperischen Äpfel holt, wird heit ist eine Primitivform, ebenso wie von einem Drachen bewacht. Hesperien die Verbindung von Jungfräulichkeit liegt im Westen, dort wo die Sonne unter- und Fruchtbarkeit es bei den Göttinnen geht. Farbe und Form der Äpfel evozieren und die Fruchtbarkeit und Entmannung die Sonne, die Herakles also vor dem Unter- bei den Göttern ist. Die männlichen gang bewahrt. Anath wird den Drachen Züge des Weiblichen sind hier noch aber nicht wie Herakles und Siegfried end- ebenso erhalten wie die weiblichen Zü- gültig ins Jenseits befördern, dann wäre ja ge des Männlichen. Wenn die Göttin die ewige Wiederkehr des Immergleichen die Lilie (~ Lotus!), das weibliche Sym- nicht mehr garantiert. Und dieser jahres- bol, in der einen Hand hält, und die zeitlich-uroborische Kreislauf bedingt Schlange, das männliche, in der ande- natürlich auch die Rastlosigkeit Anaths im ren, so entspricht das durchaus dem, Gegensatz zum einmaligen Blutdurst der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 362

362 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Sekhet - um nun nicht immer die gleichen seine Heimat: Der Jungstier wäre dann der Abenteuer erzählen zu müssen, erfindet der Herr der Unterwelt. Da in dessen Reich aber Mythenerzähler immer wieder neue Proben die Seelen auf eine günstige Gelegenheit der Tapferkeit und des Blutdursts, die die zur Reinkarnation warten, wird die Seele Göttin zu absolvieren hat. Um den erzähle- des massakrierten Kalbs dazu prädestiniert rischen Eingriff zu verschleiern, legt man die sein, in anderer Erscheinungsform und mit Abenteuer der Göttin selbst in den Mund: anderem Namen, nämlich als Baal, wieder- Wie um sich Mut zu machen, erzählt die Göt- aufzuerstehen: Kalb und Baal - eine Reihe tin vor ihrer Fahrt nach Norden knapp, aber von austauschbaren Korngöttern als Sohn- präzis ihre früheren Siege, die sie in ähnlich geliebte der Großen Mutter. Die ganze El- brenzligen Situationen errungen hat: `tk-Episode erscheint so als der Vorgang, der sich im vorigen Jahr ereignet hat mit den- Ich bin es, die zum Schweigen gebracht selben Figuren, nur in jeweils anderer, dies- hat die gewundene Schlange, die mal rindgemäßer Besetzung. Meine These Mächtige mit den sieben Köpfen, deren ist, dass das Rind die Stelle im Zeremoniell Name ist Litan (~ Leviathan) (in: Virol- einnimmt, die vor ihm im Frühneolithikum leaud a, 9). das Schaf und noch früher der Hund in- nehatten. Um diese These wahrscheinlich Leviathan ist wie Tannîn ein Meeresunge- zu machen, muss ich einen arabesken Aus- heuer, also die Meeresschlange als negati- flug zum Sirius vorschlagen, denn der Sirius ver Elementarcharakter der Großen Göttin, gewährleistet die Fliation vom Hund(sstern) wie auch noch die deutlich domestiziertere zur Rindergöttin und zum sterbenden Korn- Aphrodite aus dem Meer geboren wird: gott: Wir werden wieder sehen, dass der Anath gilt in Ugarit als Herrin des Meeres - Hund als sengender Hundsstern Sirius so- und wir merken schon, dass Anaths Erzäh- wohl negative wie auch positive Funktio- lung sich auf tiefenpsychologischer Ebene in nen haben konnte - womit nochmals seine Widersprüche verwickeln wird: Indem die grundlegende Ambivalenz erwiesen wird. Göttin gegen ein Meeresungeheuer In der späten griechischen Tradition lokali- kämpft, kämpft sie gegen einen Teil ihrer siert Lukian die Hundsköpfigen sogar direkt selbst. Doch hören wir ihr weiter zu: im Sirius : Ein kosmischer Hundsköpfiger trägt die Fackel des Sterns (Georgiadou, Ich habe den Liebling der Erdgötter ge- 151), der mit seinem Aufgang das Startzei- schlagen, den, der das Kalb des el-`tk chen gibt für die Heilige Hochzeit wie für massakriert hat (in: Virolleaud b, 51). den Beginn des Neuen Jahrs. Ein diesseitiger Hundsköpfiger ist der Partner der Göttin in Das Kalb des Gottes El-`tk ist, wie Virolleaud der Heiligen Paarung (> III). In der spät- (b, 54) vermutet, der Bruder der Anath, also antiken Mixtur des Lukian fließt alles schon ein Doppelgänger oder besser: Vorgänger ziemlich unverstanden zusammen, was des Baal, der weniger Glück hatte und als früher fein ausdifferenziert war. Und es Jahreskönig sein saisonales Abenteuer mit passt auch, weil die drei symbolischen Anath nicht überlebte. Da Anath aber sel- Sphären des Hundes im Sirius konvergieren: ber im Text von Ras Shamra auch Färse (~ Der kosmisch-astrale (des eigentlichen junges Rind) genannt wird, dürfte der Vater Hundssterns), der chthonisch-unterirdische des massakrierten Kalbs niemand anderer des schamanischen Vegetationsgottes und sein als der Gott El-`tk, der mit einem jungen der diesseitige Aspekt des Hundes. Nach Stier verglichen wird (Virolleaud b, 55). Da Anath nun also die Baal-Variante, die erst dieser Jungstier auch Fürst der Erde ge- durch einen dritten Exkurs zum Sirius (> III, nannt wird, erwägt Virolleaud (b, 55) die 168-71 & 592-611) in ihren ursprünglichen unterirdische Erde, also die Unterwelt als Kontext gestellt wird: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 363

EXKURS:DER HUNDSSTERN SIRIUS, DER KORNGEIST UND DIE GÖTTIN 363

Exkurs: Der Hundsstern Sirius, Während Schamasch im assyrischen Meso- der Korngeist und die Göttin potamien schon ein männlicher Gott ist, kennt man ihn im westsemitischen Ugarit noch als Sonnengöttin, der zwei göttliche Winterabende verbringen die mei- Assistenten zur Seite gestellt sind (Delcor, sten Leser gern mit einem guten Buch (aber 105). Wie so oft, hinkt der nordwestsemi- mit welchem?) hinter oder vor dem Ofen - tische Bereich in der Entfaltung patriarcha- hinter einer Zentralheizung ist das natürlich ler Überformung hinterher. Sirius wird im etwas schwieriger, was die Absatzkrise des Vertrag des Asarhaddon nach den fünf Pla- Buchhandels gut erklären hilft; anders ver- neten und vor der Mond- und der Sonnen- halten sich Sterngucker: Sie verbringen - gottheit genannt. Ist das Zufall oder wird er weit weg vom Ofen - kristallklare Win- durch diese Aufzählung zum Assistenten ternächte mit einem Bilderbuch, nämlich mit der Sonne? Da der Sirius die Strahlkraft der den Sternbildern der Milchstraße. In der kal- Sonne in den Hundstagen so intensiviert ten Jahreszeit beherrscht der Orion den Blick (nach paläomentaler Auffassung), dass die nach Süden. Vom Orion aus nach Südosten Vegetation abstirbt, kann man ihn durchaus fällt der Blick schließlich auf den hellsten als Assistenten der Sonne auffassen - er wä- Stern am Himmel, auf den Brennpunkt des re der Hund der Sonne, wie man die vier Sternbilds „Großer Hund“, und das ist der Si- Hunde des Marduk kennt: Sirius hätte also rius. Mit einer Entfernung von 8,6 Lichtjah- Gehilfenstatus. Damit würde man seinem ren ist der Sirius der siebtnächste Stern zu Rang aber nicht gerecht, denn in einem unserer Sonne. mesopotamischen Spiel, das auf einer Ton- tafel dargestellt ist, werden alle wesent- lichen Himmelskörper als Mesopotamiens Sternenhimmel das Rudel der Hunde In Süd-Mesopotamien nannte man diesen extrem hellen Fixstern im Sternbild bezeichnet. So wäre denn jeder wichtige Canis Maior (~ Großer Hund) nicht Sirius, Stern hündisch konnotiert. Dieses Spiel soll- sondern Kak-shisha (~ der Hundsstern, der ten wir genauer betrachten, denn in der For- leitet, führt). Ein älterer, nämlich akka- schungsgeschichte hat die Tontafel als sein discher Name für den Sirius war Mul-lik-ud Träger eine merkwürdige Karriere erlitten. (~ der Hundsstern der Sonne). Der Sirius Von einem belgischen Grafen entdeckt, er- wird im Vertrag, den der assyrische König hält sie im Frühjahr 1914 der französische Ar- Asarhaddon (-681 bis -669) mit Vasallen chäologe Virolleaud, der sie einem Fotogra- schloss, mit einer ganzen Reihe anderer fen zur Ablichtung anvertraut. Der verliert Himmelskörper als Sterngottheit bezeich- die Tontafel zwischen 1914 und 1918, so gibt net; diese Sterne bezeugen den Vertrags- es heute nur noch eine Fotografie, von der schluss und sollen die Einhaltung des Ver- Jean Bottéro eine Umzeichnung bietet (> trags überwachen; und es sind nicht irgend- 364). Gehen wir allein vom optischen Ein- welche Kollegen, denen der Sirius für diese druck des Spielfeldes aus, ohne den Sinn der ehrenvolle Aufgabe zur Seite gestellt wird: Piktogramme zu kennen, dann stellen wir fest: Waag- und senkrechte „Striche“ for- On relève parmi les divinités astrales men eine Art „Gitter“, das aus 24 nahezu témoins du traité: les cinq planètes quadratischen Feldern besteht. Die durch Jupiter, Vénus, Saturne, Mercure, Mars, die Quadrate laufenden Diagonalen bilden l´étoile Sirius, à côté de Sin (~ Mond- ganzflächige, aber auch in zwei Dreiecke ge- gott) et de Shamash (~ Sonnengott) teilte Rauten - genauer: Vier senkrechte Säu- (Delcor, 98). len werden gebildet von fünf vertikalen Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 364

364 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

gersinn vor bis zur zentralen Raute, ergibt sich eine zusammenhängende Folge von Sil- ben, die akkadische Wörter bilden, auf de- ren Sinn ich gleich zurückkomme. Zunächst richtet sich unser Interesse auf die Beschrif- tung der Kante unserer Tontafel, denn hier lesen wir mit Bottéro:

Das Rudel der Hunde, anvertraut dem ...

und hier bricht die Kante leider ab, um in der nächsten Zeile den Text fortzusetzen mit die Freude der Fürsten. Ist das Hunderudel die Freude der Fürsten? Und wenn ja, um wel- ches Rudel handelt es sich? Bottéro räumt freimütig ein, dass ihm der Sinn der ganzen Veranstaltung unklar bleibt, schließt aber aus dem Titel des Spiels (oder der Tontafel) zurück auf den Sinn der akkadischen Wörter, die auf Vorder- und Rückseite zu entziffern waren: Für Bottéro bezeichnet jedes der 24 Quadrate, vom Dreieck 1 bis zur zentralen Raute gelesen, den Namen eines Hundes: Die Meute setzt sich für Bottéro also aus 24 Hunden zusammen. Nehmen wir nun die Übersetzung hinzu, die Bottéro anbietet, dann ergibt sich die Erkenntnis, dass die mutmaßlichen Hundenamen mehr oder we- nige blumige Umschreibungen der Lei- Vor- und Rückseite sowie Kantenansicht der Tontafel stungsfähigkeit jedes dieser 24 Hunde sein mit dem „Brettspiel“; rekonstruierte Länge: ca. 8 cm, müssten: Dem Oberhirten gleich (in IV 2), Breite 5,5 cm und Dicke 2 cm. In: Bottéro, Fig. 1 (oben) & mächtig wie ein Löwe (in II 3) usw. Bottéro 2 (unten). betont selbst, dass seine Konjektur der Hun- denamen steht und fällt mit der Richtigkeit der Spielüberschrift auf der Kante:

Das Rudel der Hunde.

Andere Assyriologen haben später die Rich- tigkeit dieser Übersetzung bestätigt, aber aus dem gesamten Text andere Schlüsse ge- Strichen; vier horizontale Striche gliedern je- zogen, denen wir uns gleich zuwenden wer- de Säule in drei Quadrate; und neun diago- den. Bleiben wir noch kurz bei Bottéros nale Striche gliedern jedes Quadrat mehr Annäherung an die Tontafel, denn nur er oder weniger regelmäßig in sechs Dreiecke, (24) geht gesondert ein auf die disposition die sich um eine zentrale Raute gruppieren. inusitée du texte: Normal wäre gewesen, In jeder Raute und in jedem Dreieck sehen wenn der Text auf der waagrechten Linie wir ein Piktogramm. Fängt man die Lektüre fortläuft, hier aber ist er in einer Art Spirale mit dem Dreieck 1 an und geht im Uhrzei- geschrieben. Und schon Virolleaud dachte, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 365

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mit der Form der Spirale solle das Halsband te Bottéro fairer Weise die Gelegenheit, jedes der 24 Hunde evoziert werden. Und Weidners Erkenntnisse in einem Anhang zu wir haben im 3. Band auf mehreren meso- erörtern, und der kommt zu dem Schluss, potamischen Siegeln gesehen, dass das dass in jeder zentralen Raute eines der Tier- Halsband der Hunde meist geflochten war kreiszeichen benannt wird, während die aus zwei Bändern (> III). Das geflochtene Schriftzeichen, die jede Raute umgeben, Halsband selbst bestand also aus einer Spi- jetzt nicht mehr blumige Hundenamen, son- rale, und diese Spirale legte sich um den dern Orakelsprüche eines Losbuches sind. So Hals des Hundes. Auch auf babylonischen liest man mit den Zwillingen die Weissa- und assyrischen Skulpturen glaubt Hall (Ta- gung: Du wirst einen Gefährten haben; mit fel LIII, Fig. 2) an Jagdhunden ein spiralför- dem Löwen: Du wirst stark sein wie ein miges Halsband erkennen zu können. So Löwe, mit dem Steinbock: Du wirst sein wie realistisch das arabeske Schreiben in Spira- ein Oberhirte. So weit, so gut. Unverständ- len ist (man erinnere sich an meinen Hin- lich bleiben gerade in diesem neuen, wohl weis zur Arabeske als Stilprinzip im Vorwort endgültigen und sehr esoterischen Zusam- zum 3. Band), so phantastisch im guten Sinn menhang immer noch die ganz besondere, des Wortes ist die Kongruenz der Symbole: arabeske Schreibweise in Spiralform und der Es hat sich gelohnt, mit Bottéro die Struktur Titel der gesamten Veranstaltung, die jetzt der Tontafel genau zu analysieren, denn mit kein Spiel mehr ist, sondern schicksalhafter seiner Hilfe, aber über ihn hinaus erkennen Ernst: Das Rudel der Hunde. Bleiben wir wir, dass das Quadrat, das Dreieck, das Git- zunächst noch bei der Schreibweise: Wir er- ter, die Raute und die Spirale KUR-Symbole innern uns, dass die Lektüre vom Dreieck 1 sind, die auf unserer Tontafel mit dem Hund im Uhrzeigersinn fortschreitet bis zur Raute KU aufs Intimste verbunden sind (> III). als der siebten Station. Nun ist die Sieben Selbst wenn Bottéros und Virolleauds Ver- nicht nur eine märchenhafte Zahl, sondern ständnis der akkadischen Wörter auf der in unserem Orakel zugleich Zielpunkt und Vorder- und Rückseite der Tontafel nicht zu Ausgangspunkt der Wahrsagung. Das Tier- halten sein sollte - die Bezeichnung der ge- kreiszeichen selbst ist ja Auslöser des Wahr- samten Veranstaltung als das Rudel der sagebedürfnisses, um das Tierkreiszeichen Hunde bezweifelt heute niemand mehr. dreht sich im wörtlichen und übertragenen Benno Landsberger hat in seiner Analyse Sinn der Text der Wahrsagung: Die Spirale mesopotamischer Spiele das Verständnis bestätigt die Macht des Tierkreiszeichens - unserer Tontafel erweitern können: Er sieht und ist selbst nichts anderes als der berühm- statt der 24 Felder Bottéros deren 84 und er- te magische Zirkel, der in den einschlägigen kennt in den Mittelfeldern die Namen der Werken zur Zauberei, Hexerei, Astrologie zwölf Tierkreiszeichen. Die blumigen Hun- und Magie eine prominente Stelle ein- denamen Bottéros versteht er als „Spielrei- nimmt. In der formalen Anlage des Losbu- me“, z.B.: ches wurde also nichts dem Zufall überlas- sen. Alles hatte einen tieferen Sinn, den wir Wenn du hoch oben stehst, wirst du wie mit Hilfe der Assyriologen nun nachvollzie- ein Löwe stark werden. hen können. Bleibt das letzte Rätsel: Die Überschrift der Tontafel und somit der Titel Auch für Landsberger lautet der Name des des Losbuchs: Das Rudel der Hunde. Die Zei- Spiels Meute von Hunden und es ist das Spiel chen des Tierkreises - ein Hunderudel? Ein der Fürsten, und er bestätigt damit die Lek- kosmischer Hund ist für den mesopota- türe, die Weidner bereits in derselben Aus- mischen Himmel nachgewiesen: Das Stern- gabe der Zeitschrift Syria vorschlug, in der bild, das in griechisch-römischer Tradition als auch Bottéro, unabhängig von Weidner, sei- Herkules bezeichnet wird, nennt man in Me- ne Interpretation vorstellte. Allerdings hat- sopotamien den Hund. Dieses Sternbild Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 366

366 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

gehört aber nicht zum Tierkreis. Das Orakel- zufügen? Meine Annahme, dass in der Rau- buch aber suggeriert, dass die zwölf Stern- te als dem Ausgangs- und Zielpunkt der bilder des Tierkreises nicht verglichen, son- Wahrsagung das Wesentliche lokalisiert sei, dern gleichgesetzt werden mit einer Hun- müssen wir ein wenig revidieren: Die zwölf demeute. Dass Gottheiten von einem göttli- Sternbilder des Tierkreises bestimmen nicht chen Hund begleitet wurden, ist das Schicksal der Menschen - sie führen als kynosophisch Unvorbelasteten aus der Anti- Hunde eines göttlichen Rudels nur den Wil- ke bekannt - und wir haben ja mit Hekate len der obersten Gottheiten Mesopota- ein fast tausendjähriges Paradigma kennen- miens aus, sie vollstrecken deren Willen an gelernt. Dass Pan der Wachhund der Göttin den Menschen. Die wiederum bemühen sich Kybele war, passt ins Bild. Aber dass Pytha- um Erkenntnis dieses Willens, auf dass ihr goras, wie wir von Aristoteles (Fragment Wille geschehe. Wessen Wille? Der der Göt- 196; ed. Rose - in: Bottéro, 34) erfahren, die ter oder der der Menschen? Die Betroffenen Planeten Hunde nannte, lässt uns schon eher werden den Willen der Götter nicht als ei- aufhorchen: Gibt es eine der griechisch-rö- gene Projektion erkennen wollen: Die mischen Antike wie West-Asien gemeinsame Götter beauftragen Hunde damit, diesen Tradition in der Auffassung der wichtigsten Willen den Menschen zu übermitteln. Göt- Himmelskörper als Hunde? Dass gerade in ter wie Menschen sind in dieser bewusst- assyrischer Schicht eine Tontafel gefunden seingeschichtlichen Symbiose auf den Hund wird, die den Hund so auszeichnet, verweist als Medium angewiesen. Und obwohl der auf eine bedeutend ältere Tradition der hün- Sirius nicht zu den Sternbildern des Tier- dischen Benennung: Zwar gibt es den Hund kreises gehört, ist er wie jenes Hunderudel des Sonnengottes, den Hund des Mond- doch Willensvollstrecker der Göttin im Ze- gottes und noch weitere Hunde anderer remoniell der Heiligen Hochzeit, nicht nur Gottheiten (Zababa, Ninurta, Ea, Marduk in West-Asien. Gerade am Sirius zur Zeit der u.a.), doch erscheint der Hund immer nur als Hundstage ist die paläomentale Einbildung Gehilfe, als armer Verwandter - die Eigen- somatisch nachvollziehbar, eine Gottheit namen nach dem Bauschema teile über einen Stern ~ Hund der Mensch- heit ihren Willen mit. Kalbi (~ Hund des ...) + göttlicher Name

sind in der akkadischen Sprache selten, das Sternbilder als Projektionen war zu sumerischer Zeit ganz anders: Sume- rische Eigennamen mit dem Bauschema Sternbilder, hauptsächlich aus dem Bereich des Tierkreises, werden auch darge- UR (~ Hund des ...) + göttlicher Name stellt auf den kudurru, den mesopota- mischen Grenzsteinen: Ihre Zahl ist jedoch kamen hingegen ausgesprochen häufig vor. gering, und manche Deutung bleibt um- Huber listet sie in seinen Personennamen stritten, stellt Weidner (73) schon sehr früh auf vierzehn Seiten auf, während Stamm in fest. Ich erwähne diese „kudurru-Sternbil- seiner Akkadischen Namengebung noch der“ deshalb hier nur der illusorischen Voll- nicht einmal eine ganze Seite damit füllen ständigkeit halber, denn ich habe in ande- kann. Wenn es also noch bis in die immer rem Zusammenhang die kudurru bereits patriarchalischer werdende Zeit der Assyrer analysiert (> III). Dass man am Himmel Bilder möglich war, den Göttern Hunde als Hunde zu sehen glaubt, ist natürlich ein Projekti- der Götter beizustellen, spricht dies für die onsvorgang: Die Menschen spiegeln ihre Kraft einer uralten mesopotamischen Tradi- Gedanken und Einbildungen am Himmel - tion. Wie sind nun die hündisch konnotier- der Himmel als Wille und Vorstellung. Inso- ten Tierkreiszeichen in diese Tradition ein- fern sind die Sternbilder nicht real; real aber Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 367

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ist der Projektionsvorgang, und real ist sein hellsten Stern, den Sirius, ins Zentrum ihres Inhalt. Und wenn dieser hellste Stern am Interesses rückten. Das konnten wir schon in Himmel mit dem Hund identifiziert wird - Afrika feststellen (> II). Wenn die sieben denn er wird ja Hundsstern genannt -, dann Sterne der Pleiaden nicht von jedem Brei- beherrscht im Moment dieses Vorgangs, zu- tengrad aus komplett zu sehen sind, so mindest im Entstehen und Übernehmen der kann der Sirius doch, weil er nah am Him- Bezeichnung, der Hund das Bewusstsein melsäquator liegt, von überall aus wahrge- desjenigen, der das an den Nachthimmel nommen werden, außer von den polaren projiziert, wes sein Herz voll ist. Der Hund Zonen. Der Sirius leitete nach Ägypten die beherrscht dieses Bewusstsein so wie der Si- Nilflut und war dort ein Kulturbringer (> II). rius den Nachthimmel dominiert. Es muss In den nördlichen Mittelmeer-Ländern sah das Bewusstsein von Jägern gewesen sein, man den Stern ganz anders: Da er im Hoch- denn Orions Karriere auf Erden war die ei- sommer - von Mitte Juli über den ganzen nes Waidmannes, begleitet und tatkräftig August - im selben Himmelssegment steht unterstützt von einem großen und einem wie unsere Sonne, dachten die alten Grie- kleinen Hund. Wieder finden wir jenes Paar chen und Römer, Sirius heize die Sonne noch unterschiedlich großer Hunde vor, das wir zusätzlich an, mit dem Effekt, dass der schon oft angetroffen haben: Der große, Hochsommer für Mensch und Tier fast un- wolfähnliche Hund und der kleine bzw. mit- erträglich wurde und die Vegetation ver- telgroße pes/perro/pek-Typ (> I & > II) sind dorrte. Diese Hitzeperiode nannten sie die schon früh am Nachthimmel verewigt wor- Tage des Hundssterns, was irgendwann ver- den - sind sie dort nur Einbildung, so waren kürzt wurde zu den Hundstagen. Im Spät- sie auf Erden doch Realität. Sieht man sie mittelalter und in der Renaissance stellte am Himmel zu Füßen des Orion, so sind sie man sich die Sternbilder vom Großen und auf der Erde allzeit bereit, Taurus, den Stier, vom Kleinen Hund sehr detailliert vor, und zu jagen, und damit die beiden Helfer des Hieronymus Bosch konnte diese allseits be- Jägers am Himmel nicht arbeitslos sind, gibt kannten und ausdifferenzierten Phantasien es dort natürlich auch einen Stier. Diese seiner Zeit als Zitate in seine Kunstwerke schon recht ausdifferenzierte Jagdszene einbauen - heute sähe der Betrachter nur ei- wurde in nächtlichen Sitzungen eiszeitlicher nen munter des Weges daher springenden Menschen zuerst entwickelt, und das Bild Hund, aber der Weg ist die Milchstraße (> der Stiere in der Grotte Lascaux (> I, 128) ver- 368-9: Abb. 154-5 & Kommentar) auf Erden, knüpft den größten Stier nicht mit dem wer aber ist der närrische Wanderer? Kyno- Hund - obwohl auch der in Lascaux von Ar- sophisch tröstlich: Der Hund ist jedenfalls chäologen auf einem Jagdbild identifiziert mit von der Partie. Dass Bosch ausschließlich oder in dieses hineinprojiziert wurde. Der Hunde seiner Zeit dargestellt hat (> 368-9), Stier in Lascaux wird von Rappenglueck mit versteht sich von selbst, er projizierte dem Siebengestirn, den Pleiaden, assoziiert, schließlich ebenso ungehemmt seine Welt die dort aber nur als sechs Sterne repräsen- auf die Leinwand wie die frühen Sternen- tiert sind. Die griechische Sage vom Jäger gucker die ihre an den Himmel oder an die Orion und seinen Hunden ist sicher nur eine Höhlenwand von Lascaux oder auf Grenz- Variante zahlreicher Stories, denen der steine in Mesopotamien oder sie bannten Nachthimmel als sichtbarer Beweis ihres ihre Bilder in die Gestalt eines Cromlech - Plots zu dienen hatte. In ihrer entfalteten bei den Cheyenne in Nord-Amerika (> III, Form dürfte sie Endpunkt einer Textserie 599) oder bei anderen Megalithikern an- sein, die einmal klein angefangen hat. Und derswo, z.B. bei den Basken in Urnieta (> so überrascht es uns nicht, dass in älteren VI). Einige dieser Projektionen werden wir Kulturen die Menschen weniger das Stern- im weiteren Verlauf unserer Kynoso- bild vom Großen Hund als viel mehr dessen phischen Zeitreise noch analysieren. Man Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 368

368 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Die „Hitze“ des Sirius hat auch in Europa eine hündisch konnotierte Tradition: Oben Hieronymus Boschs „Heimkehr des Verlorenen Sohns“ - links lässt er das Freudenhaus mit Schwein und Hund hinter sich. Rechts: Boschs intensi- vierte Vision des Orion mit einem kleinen Hund auf den Außentafeln seines Heuwagen-Triptychons: Der Wanderer bewegt sich auf einer milchigeren Milchstraße des Lebens - auf der Grenze zwischen Leben und Tod, für Bosch nur eine Wahl zwischen Sodom und Gomorrha. In: Gaignebet, 1986, Abb. 154 (oben) & 155; (Detail > 370: Abb. 116).

kann diese weltweiten Analogien als Aus- Sirius bei den Griechen druck einer Bewusstseins-Universalie verste- hen, aber sie können auch als Filiation der Besonders jene Gestirne und Stern- „Stein-Begeisterung“ des Frühen Menschen bilder haben die Griechen durch Poesie und aufgefasst - was kein Gegensatz sein muss - Sagen verherrlicht, die ihnen von Nutzen wa- und dann in die KUR-Symbolik eingereiht ren in Landwirtschaft und Seefahrt - be- werden. Betrachten wir aus der Nähe die haupten nicht wenige Altphilologen und hündischen Projektionen der Griechen und projizieren völlig unverkrampft ihr Kosten- Mesopotamier: Nutzen-Denken in die Alten Griechen. Orion Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 369

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aber beschäftigte tatsächlich die Phantasie jener das Signal des Sommers, dieser der Küsten- und Inselbewohner, aber auch das des Winters und seiner Stürme, end- die Bauern und Winzer beobachteten be- lich die Zeit, wo er um Mitternacht auf- sonders seinen Frühauf- und Frühuntergang, gehend sich gegen Morgen bis zur Mit- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 370

370 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

de, in der Umgebung der andern fleißig beobachteten Sternbilder, des Hundes, der nun zum Hunde Orions wurde, der Plejaden, ... endlich der Bärin, welche ihren Platz am Pole behauptend immer nach Orion ausschaut: dann ist dieser Riese der wilde Jäger des griechischen Himmels, den sich das Volk hin und wieder in den Bergen und Wäldern ja- gend dachte ..., die eherne Keule, die unzerbrechliche in seinen Händen schwingend (Preller 1, 367).

Orion jagte die Plejaden, die zu Tauben und angeblich erst von Zeus in Sterne verwan- delt wurden. Ihre weniger bekannten Schwestern sind die Hyaden: Ihre Erschei- nung am Nachthimmel im Frühling fiel oft mit einer Regenperiode zusammen; wie ihre Schwestern sind sie assoziiert mit dem Aussäen, die Plejaden auch mit der Frucht- reife (Georgiadou, 151). Orion, Hund und Bärin stellen wir mit dem Bärenkult in die Kosmologie des Paläolithikums und errei- Bosch zeigt auch in seiner zweiten Heuwagen-Version chen so eine Zeittiefe der Phantasie, von der (heute im Prado) einen kurz- oder glatthaarigen Hüte- Preller noch nichts wusste. Hesiod sieht in hund mit einem proportional zum Körper kleinen Kopf, seinen Werken und Tagen (619) Orion als dessen Hals mit einem Herdenschutzhundhalsband Riesen am Himmel zusammen mit dem bewehrt ist. Der Hund attackiert den Stock des Wande- Hund, dem Hasen, den Plejaden und dem rers zwischen den Welten, weil dieser Stock in einer Art Mond. Der Hund des Orion heißt Sirius ~ Femurkopf endet: Auch der Hund ist nicht besser als die Seirios (~ der Sehrende), womit etymolo- Menschen - ihnen gleicht das Leben einem Heuwagen: gisch jedes Gestirn von strahlendem Glanze, Jeder versucht, soviel wie möglich für sich herauszu- auch die Sonne, bezeichnet werden kann, ziehen; auch der hungrige Hund verleugnet seine eigentliche Aufgabe, wenn man ihm einen Wunsch- doch benannte man mit diesem Namen knochen hinhält. Da er auf der Seite der Unteren Welt speziell den sogenannten Hund des Wache hält, könnte Bosch mit ihm Kerberos (> V) Orion (Preller 1, 372). gemeint haben, den die Seelen der Toten bestechen müssen, um an ihren Bestimmungsort zu gelangen. Der Homer ist wohl der erste Grieche, der ihn li- Steg könnte daher eine Variante der Çinvat-Brücke (> terarisch verewigt hat und in einen selten V) sein: Der schmale Grat zwischen Gut und Böse. In:Tol- bemerkten viehzüchterischen Zusammen- nay, 116. hang stellt, wenn er zum Vergleich den Stern verwendet, te des Himmels erhoben hatte, ein Sig- nal der Weinlese ... Zu Anfang des Win- welcher im Herbst aufgeht und über- ters, wenn er Abends aufgeht und früh schwänglich an Klarheit Scheint vor vie- Morgens untergeht, also die ganze len Gestirnen in dämmernder Stunde Nacht am Himmel zu sehen ist, die rie- des Melkens! Welcher Orions Hund ge- sige Gestalt mit der drohenden Gebär- nannt wird unter den Menschen; Hell Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 371

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zwar glänzt er hervor, doch zum schäd- Einfluss des Sirius versuchte man im ost- lichen Zeichen geordnet, Denn viel dör- mediterranen Bereich (im Westen bis hin rende Glut den bekümmerten Sterb- nach Sizilien, im Süden bis nach Ägypten, im lichen bringt er (Homer, Ilias 22, 26-31). Südosten bis zum Taurus-Gebirge) durch Opfer und andere Sühngebräuche zu be- Orions Hund wird von Mythologen und Alt- sänftigen, wozu man vom sagenhaften Aris- philologen immer nur als Hund eines Jägers taios in göttlicher Belehrung angeleitet wahrgenommen, doch in dämmernder wurde: Denn als Schutz gegen die ver- Stunde des Melkens wird er weder die wüstenden Folgen der Hundstage galt in Projektionsfläche eines griechischen Adli- Griechenland Aristaios, ein hilfreicher Gott gen noch eines paläolithischen Jägers sein, in Hirtenleben und Schafzucht u.a. land- der melkende Hirte, der zum Orion hinauf- wirtschaftlichen Bereichen. Man zündete sieht, stellt sich seinen Hund, keinen Jagd- Feuer an, um die feurige Glut des Sirius zu hund vor; auch Hieronymus Bosch assoziiert brechen (Brandlöschung durch Gegenfeu- in seiner ländlichen Satire auf die Habgier in er?), aber auch das seinem „Heuwagen“-Triptychon den Hund eines Hirten (> links). Hesiod stellt den Hund Zusammenschlagen der Waffen und des Orion in seinen landwirtschaftlich ori- ähnliches Getöse, wie man es bei Mond- entierten Werken und Tagen (582 ff.) als finsternissen, Leichenbegängnissen und Sonnenbrand in des Wortes ursprünglich- andern Gelegenheiten zur Abwendung ster Bedeutung vor und schildert seinen Ein- nachteiliger dämonischer Einflüsse an- fluss auf Mensch und Vieh sehr lebendig. wendete (Preller 1, 375) Die römischen Dichter waren übliche Mittel, den Schaden des Sirius nennen den Hund bei solchen Schilde- abzuwenden, und wir überziehen nicht das rungen oft zusammen mit dem Löwen, kynosophische Konto, wenn wir analog zu welcher im Orient und von daher auch den Praktiken in Nord- und Süd-Amerika das bei den Griechen des Mittelmeers ähnliche Getöse verschränken mit der gleichfalls seit alter Zeit ein Symbol der homöopathischen Bekämpfung des astro- verzehrenden Hitze und der heißesten nomischen Hundes durch Malträtierung des Jahreszeit war ... Mit der Zeit ist daraus realen Haushundes, wie es nicht nur in Ame- das Sternbild des Löwen geworden, in rika bei Mond- und Sonnenfinsternissen üb- welchem die Sonne so lange verweilt als lich war. Dass man Aristaios in Böotien den die Hundstage dauern ... Besonders galt Vater Aktaions nannte, zeigt uns, dass die aber immer die Hundswut (~ Tollwut) realen Hunde auf Erden nicht zu seinen ur- für eine Wirkung dieser Jahresperiode, sprünglichen Feinden zählten. Das wird ver- daher man diese Wut auf das Gestirn stärkt durch die Etymologie des gräzisierten selbst übertrug und ihn (!) für ein böses Namens der anatolischen Hekate (> III, 490- wütendes Tier hielt, wie solche Bilder 2), die in ihrer Heimat Karien als eingebore- auch in Ägypten üblich waren (Preller, ne Göttin Akta genannt wurde: Legendäre 372-3). Namen wie Aktor, Aktis und Aktaion er- scheinen vor diesem Hintergrund als Ablei- Obwohl in bestimmten Zusammenhängen tungen von Akta, und auch Trojas Hektor in Mesopotamien Löwe und Hund Gegner war wohl ursprünglich ein Hekator (Laumo- sind, erscheinen sie im astronomischen Be- nier, 422-3). Der Versuch, Aktaions Tod, ver- reich austauschbar, allerdings ist der Hund ursacht durch ein angebliches Vergehen ge- chronologisch zuerst da - der Löwe wird ja gen die Göttin Artemis und veranlasst durch zoologisch von den Mesopotamiern eben- seine tollwütig gewordenen Jagdhunde, als falls als Hund aufgefasst. Den schädlichen eine spätere Rationalisierung zu verstehen, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 372

372 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

wie es Salomon Reinach vorschlägt (> s.u.), schmack richtete sich nach den Vorgaben wird durch diese zugegeben etwas ver- der jeweiligen Epoche. Von Pausanias wis- wickelten, aber dennoch wesentlichen Ver- sen wir, dass der antike Künstler knüpfungen Aktaions mit dem Hund - be- sonders über die hündisch konnotierte Polygnot ... in seinem Gemälde der Hekate/Akta - im zoologischen und im astro- Unterwelt Aktaeon und seine Mutter nomischen Sinn zumindest relativiert. auf dem Fell eines Hirsches sitzend und mit einem Hirschkalbe in den Händen Die Sage von Aktaion, gemalt hatte, ein Jagdhund bei ihnen und in ihrer Nähe die Maera d.i. die dem Sohn des Aristaios und der Sirioshitze in weiblicher Gestalt (Preller Autonoe, wird traditionell so überliefert, 1, 376). dass Aktaion der mythische Jäger des Küstengebirges ist, Der Jagdhund des Aktaion, der ihn später zer- fleischen wird in 50facher Ausfertigung, ein Bild der frischen Jugend und der scheint nur darauf zu warten, von Maera, der schönen fruchtbaren Jahreszeit, deren heißen ~ läufigen Hündin, von seinen Pflich- Segen sein Vater Aistaeos ausdrückt, bis ten abgelenkt zu werden. Auch das Sitzen ihn in den heißen Sommertagen das auf Fellen ist keineswegs belanglos, denn Verhängnis ereilte. Beim Chiron, also paläomental bedeutet es die Kraftübertra- auf dem kühlen und quellenreichen gung vom Tierfell auf den Menschen, die Pelion war er aufgewachsen und in die- Sitzunterlage ist ein Teilprotom (> 607-8). ser Zucht ein rüstiger Jäger geworden, Aktaion ist also über seine matrilineare Ab- dessen höchste Lust das Leben in den stammung wahrscheinlich Mitglied eines Wäldern und Bergen war, bis ihn seine Hirsch-Clans gewesen. Zu einem ähnlichen Er- eignen, von der Hundswut ergriffenen gebnis kommt 1923 auch Salomon Reinach: Hunde auf der Jagd im Kithaeron zer- rissen haben (Preller 1, 375-6). Salomon Reinachs Anlass oder Ursache für den plötzlichen Tod Aktaion-Deutung des Aktaion wechseln je nach Überliefe- rung: Mal heißt es, Zeus habe ihn vernichten Eine der römischen Darstellungen lassen, weil er um Semele gefreit habe, des Jäger-Dramas ist auf dem Relief eines dann erzählt man, er habe die Göttin Arte- Sarkophagdeckels überliefert (> rechts). Die mis verärgert, weil er sich für den bessren tollwütigen Hunde des Opfers, meist fünf- Jäger als die Göttin der Jagd gehalten, dann zig an der Zahl, beißt nach Aktaions Tod ihr hört man, er habe Artemis im Bade über- Gewissen und sie suchen, rascht, und da man(n) keine Göttin unge- straft nackt sehen darf, erst recht nicht die da sie wieder zu sich gekommen, ... heu- angeblich immer keusche Artemis, sei sein lend im Wald ihren Herrn, bis sie zu Untergang unumgänglich gewesen. Arte- jener Höhle des Chiron gelangen, der mis habe den Aktaion in einen Hirsch ver- ihnen ein Bild des Aktaeon gemacht wandelt - dass das Opfer nun gehörnt ist, und sie dadurch beruhigt haben soll hat schon Rabelais genüsslich bemerkt - und (Preller 1, 376). dann des Aktaion Hunde tollwütig ge- macht, sodass sie ihren Herrn zerrissen. Die- Wahrscheinlich soll man sich von gewissen ses seinerseits nun wieder herzzerreißende Herren kein Bild machen, damit sich das Bild wurde natürlich von vielen Künstlern Gewissen nicht zu rasch beruhigt. Da aber - geschmackvoll in Szene gesetzt, und der Ge- zumindest im von Chiron gemachten Bilde Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 373

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Das Relief eines römischen Sarkophags zeigt das tragische Schicksal Aktaions, Sohn des Aristaios: Der Vater hatte die Menschen gelehrt, wie sie sich gegen die „Bisse“ der Hundstage schützen konnten; der Sohn wird von den Bissen dieser Hunde getötet - der innere Zusammenhang von „Hund“ und Aktaion wird von Salomon Reinach in Frage gestellt - leider nicht sehr salomonisch. In: Gaignebet, „Rabelais“, Abb. 153.

und durch die eintretende Beruhigung der denn die Kastration des Kreters entspräche Hunde beglaubigt - Aktaion wiederauf- als Strafe auch vollkommen dem Vergehen erstanden ist, können die Gewissensbisse des Aktaion, die Artemis im Bade belauscht eingestellt werden. Zu diesen Gewissens- zu haben. Aus afrikanischen Initiations- bissen hatten die Hunde aber auch alle ritualen ist uns bekannt, dass das Initiati- Veranlassung, denn sie haben ihren Herrn onstier die Vorhaut des Initianden anknab- aus gegebenem Anlass offensichtlich kas- bert (> II), und dass in der Sage von Aktaion triert - die Eunuchenpriester lassen grüßen: eine Initiation erzählt wird, deren Sinn nicht mehr erinnert wird, das ist kaum von der Ein Kreter wird zum Weibe, weil er die Hand zu weisen. Auch Reinach hat schon am Artemis im Bade sieht (Preller 1, 376) Ende des 19. Jahrhunderts an ein Initiations- ritual gedacht, weil ihm die üblichen Er- - und die Attacken der Hunde des Aktaion klärungen nicht einleuchteten: Er hält die scheinen in zahlreichen Darstellungen den Badeszene der Artemis ebenso wie die fün- Unterkörper ihres Herrn so demonstrativ fzig Hunde des Aktaion für die spätere Glät- auszusparen, dass man sich fragt: Warum? tung einer bedeutend raueren Vorlage, der Damit das wichtigste Glied in der Kette der er ein totemistisches Motiv unterlegt, um Handlung ins rechte Licht gerückt werde, Prellers Einbettung der Aktaion-Sage in die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 374

374 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Hundstage widerlegen zu können. Ich halte den totemistischen Ansatz und verwandelt Reinachs Überlegungen für bedenkenswert, die Göttin Artemis und ihre Nymphchen in weil sie uns Erkenntnisse ermöglichen, die Frauen, die in einen Hirschkult initiiert sind, mit einer oberflächlichen Gleichsetzung der d.h. sich in Hirschfelle hüllen, sich mit dem Hunde mit dem Sirius zu gewinnen wären. Hirsch identifizieren und als Hirschkühe Deshalb lassen wir uns probeweise auf selbst bezeichnen. Ein Parallelkult ist in Reinachs Re-Konstruktion ein, um sie im ge- Brauron bei Athen zu finden, wo junge eigneten Moment zu verlassen. Reinach gibt Mädchen im Bärinnenprotom agierten, um zu bedenken, dass Aktaion keineswegs im- sich mit der Artemis Brauronia, der Bären- mer der galante Scherzbold und Sitten- Artemis zu identifizieren. Unsere „Hirsch- strolch war, als der er in der Badszene der Ar- kühe“ können also den Hirsch(gott) Aktaion temis erscheint. Er ist der Halbbruder ande- zerreißen und verzehren, da sie als Frauen rer Halbgötter, des phrygischen Attis wie des auch Fleischfresser sind: Dies ist mein Fleisch, syrischen Adonis z.B., und in Orchomenos nehmet und esset davon: Die übliche Kom- wird sein Tod mit einem jährlichen Fest erin- munion der Gläubigen mit ihrer Gottheit. nert. Die Umstände dieses Todes leiten Für Reinach handelt es sich um einen Frauen- Reinach zu den barbarischeren Vorstufen Clan, dessen Totemtier der Hirsch ist und der der geglätteten Endfassung, denn Aktaion das Zeremoniell durchführt, ich meine aber, wird wie Dionysos Zagreus, wie Orpheus und dass es die weibliche Hälfte des Hirsch-Clans wie Pentheus bei lebendigem Leibe zerris- ist, die das Fest organisiert. Auf Tötung und sen, und nicht nur das: Sein Fleisch wird roh Verzehr folgt das Wehklagen, das erst mit verzehrt. Plutarch berichtet von dionysi- der bei Chiron zu erlangenden Gewissheit schen Festen, den Agrionia, die zum Ge- von der Wiederauferstehung der Gottheit dächtnis der Zerfleischung des Leucippos verstummt. Nun steckt Reinach aber doch in durch die drei Töchter des Minyas von Frau- der Klemme, denn seine Grundannahme, en durchgeführt werden. Leucippos ist ein dass Hirschkühe keine Fleischfresserinnen junger Mann, und die drei Frauen zerreißen sind, wird nicht außer Kraft gesetzt wie bei und verzehren diesen jungen Mann. Nicht anderen, fleischfressenden Totemtieren. Die nur Kynosophen oder Tiefenpsychologen Hunde sind deshalb keine zivilisatorische Zu- denken bei den drei Frauen an die Dreifal- tat der griechischen Klassiker, sondern hel- tigkeit der Großen Göttin und bei Leucippos fen als Mitglieder eines anderen Clans bei an den Jünglingsgeliebten dieser Göttin. der Durchführung des Zeremoniells, wie wir Doch gehen wir gemach vor: Das rituelle es bereits bei den Nivkh exemplarisch sahen Verzehren des Opfers ist das Einkörpern der (> I): Sie übernehmen Tötung und (selekti- Gottheit oder des vergöttlichten Heros. Die- ven) Verzehr des tabuisierten Totemtiers, da- ses alte Zeremoniell, meint Reinach (864), mit die getötete Gottheit auferstehen kann. hätten die klassischen Griechen geläutert, Wir wissen, dass diese strikte Trennung nicht indem sie - wie in anderen Fällen von rituel- die Regel war, aber im Fall des Aktaion- lem Kannibalismus - die fleischfressenden Zeremoniells können und sollten wir von Frauen durch Hunde ersetzt hätten. Die dieser Arbeitsteilung ausgehen, wenn wir Hunde hätten ihren Auftritt nur wegen der nicht - wie Reinach - die Hunde als glätten- ästhetischen Skrupel der geläuterten Grie- de Zensur späterer Zeiten missverstehen chenseele. Für Reinach ist die Urfassung des wollen. Der berühmte keltische Zeremonial- Mythos erreicht, wenn wir die Hunde strei- Kessel von Gundestrup (> V) ist u.a. mit einer chen, Aktaion als einen Hirsch und Artemis Szene bebildert, die einen Zug junger Fuß- und ihre Gespielinnen als Hirschkühe konzi- Krieger zeigt, von denen einer nach dem an- pieren. Nun merkt aber selbst der weise Sa- deren in einen Kessel getaucht wird, um da- lomon Reinach, dass Hirschkühe keine nach als Reiter-Krieger auf einem Pferd Fleischfresser sind, und er setzt nun ganz auf davonzusprengen. Im Moment des Einge- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 375

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tauchtwerdens wird der Initiand von einem erinnert. Die schöne Jahreszeit und all Hund angesprungen. Dieser Hund tritt in ei- ihr heitres und männliches Treiben ver- ner anderen Szene des Kessels als Gegner schmachtet unter dem Einfluss dieser des Hirsch-Gottes auf. Mit dieser Parallelisie- wütenden Zeit der Hundstage, dieses rung sind weder der Kessel von Gundestrup scheint der kurze Sinn der Fabel zu sein, noch das Zeremoniell des Aktaion erklärt - wie auf vielen Münzen und altertüm- aber es wäre ebenso leichtfertig, wollte man lichen Bildwerken die symbolische den Hund neben dem Hirschgott Cernunnos Gruppe des von einem Löwen zer- auf dem Kessel von Gundestrup zu einer fleischten Hirsches vermutlich dasselbe Hirschkuh erklären, wie sich dies Reinach mit ausdrücken sollte (Preller 1, 376-7). den Hunden des Aktaion gestattet. Auch Reinachs Weigerung, in dem Aktaion-Zere- Wenn der Hund durch den Löwen ersetzt moniell zumindest teilweise einen auf den werden kann, dann stützt diese orientali- Sirius bezogenen Vorgang zu sehen, scheint sierende Version die Deutung der Hunde mir unhaltbar: Alle Komponenten einer Hei- auf die Hundstage und mithin auf das Stern- ligen Paarung (> III) sind im Aktaion-Mythos bild, das in Mesopotamien wahlweise durch vorhanden - der Jünglingsgeliebte, die Göt- den Hund oder den Löwen dargestellt tin, ihr Bad, das die Muttergöttin zur Jung- werden konnte. frau rückverwandelt, und ihr Begleittier, früher ihre Erscheinungsform: Der Hund. In Orchomenos hatten seine (~ Akta- Zeitpunkt des Zeremoniells sind wohl die ions) Reliquien gelegentlich zur Vertrei- Hundstage, in denen der Jünglingsgeliebte bung eines Gespenstes, das die Gegend als vertrocknender Jahreskönig ans unwi- verheerte, wahrscheinlich einer Seuche, derrufliche Ende seiner kurzen Karriere beigetragen, wie Chiron nach jener kommt und durch einen neuen, frischen Sage die Wut der Hunde durch sein Bild Konkurrenten ersetzt wird: Die Hirschkuh beruhigte (Preller 1, 377). Artemis wäre im Gegensatz zum lunaren Ak- taion solar konzipiert, der Hund als Sirius ihr Seuchen brechen nach antiker Überzeu- Erfüllungsgehilfe in der Zeremonialjagd auf gung gerade in den Hundstagen aus: Wenn den Hirsch. Diese Deutung wird gestützt von durch den Tod des Sohnes, anders war ja einer anderen Version des grausamen Ereig- nicht an seine Reliquien zu kommen, die nisses, die wir erfahren von dem antiken Wirkung des Vaters Aristaios erlangt wird, Dichter Stesichoros, den Reinach nicht her- dann haben wir es in Orchomenos mit einer anzieht und der einen etwas anderen Her- christologischen Variante zu tun, in der der gang des Zeremoniells schildert, was mit Vater seinen lieben Sohn opfert, um den Preller zu einer etwas anderen Deutung Menschen was Gutes zu tun. Eingebettet ist führt: Stesichoros erzählt, diese Tendenz offensichtlich in das Zeremo- niell der Heiligen Hochzeit (> III), in der Ak- dass Artemis, als sie von Aktaeon über- taion die jugendliche Version eines matriar- rascht worden, demselben ein Hirsch- chalen Vegetationsgottes ist, dessen Tod fell übergeworfen und dadurch seinen nach dem Vollzug der Heiligen Paarung - es Tod herbeigeführt habe, damit Semele blieb also nicht beim Blickkontakt zwischen nicht sein Weib würde. Ein Freier der Drohne und Königin - rituell herbeigeführt Semele, das bedeutet die beste Blüte werden musste. Den rituellen Königsmord der Jugend, während der Hirsch, das begingen die „Hunde“-Priester stellvertre- schnelle Tier des Apollo und der Arte- tend für die Königin. Der Tod des Aktaion mis, von selbst an die Lust des Frühlings erscheint in dieser Perspektive als eine grie- und an die Opfer der Elaphebolien (~ chische Variante des Königsmords, den ich rituelles Verzehren von Hirschfleisch) paradigmatisch in Afrika analysiert habe (> Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 376

376 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

II) und der bei nachlassender Fruchtbarkeit Die Pest, von Apollo zur Strafe ins Land ge- des Königs durchzuführen war. Dieses kö- schickt, entspricht den schädlichen Wirkun- nigliche Defizit war für jedermann offen- gen der Hundstage, wodurch diese Apollo- sichtlich, wenn während der Hundstage die Variante auf eine für diesen Gott sehr un- Vegetation verdorrt. Wenn der antike Au- gewöhnliche Weise mit dem Hund konno- tor Apollodor dem Aktaion fünfzig Hunde tiert wird. Die Tage, an denen man in Argos beigibt, dann scheinen diese fünfzig Hunde alljährlich um Linos weinte, nannte man die funfzig Caniculartage zu bedeuten Lämmertage, weil Linos, als Säugling unter (Preller 1, 377). Zu Aktaion gesellt sich nun Lämmern ausgesetzt, selbst zu einem Lamm als ursprünglich anatolische Variante die Sa- Gottes wird, und einen von diesen Lämmer- ge von Linos, den wir etwas näher kennen- tagen nannte man lernen, wenn es um die Ambivalenz des Her- denschutzhundes geht (> V): Jetzt interes- kynophontis (~ Hundetotschlag), weil siert uns weniger der kynologische als viel alle Hunde, die sich auf der Straße se- mehr der kynosophische Aspekt der Ge- hen ließen, totgeschlagen wurden ... schichte, denn der Linosgesang - Ohne Zweifel bedeuteten diese Hunde den Sirios und seine verderbliche eine weitverbreitete schwermütige Wirkung, die Lämmer vermutlich die Weise in der Form eines Klageliedes auf zarte Jugend des Linos und der Kinder, einen früh verstorbenen Jüngling (Prel- ... denn vorzugsweise sie wurden von ler 1, 377) - den schädlichen Einflüssen des Gestirns getroffen (es ist der Sonnenstich, ist von Herodot (1, 79) auch gehört worden welcher vorzüglich die Kinder trifft) ..., in Phönizien und Ägypten und auf Zypern, daher das Kinder raubende Ungeheuer,

wo man es Maneros nannte und auf meint Preller (1, 379 & FN 3). Das Kinder einen frühverstorbenen Königssohn, raubende Ungeheuer ist die Pest, die Apol- den einzigen Sohn seines Vaters, bezog. lo ins Land schickte; dieses Gespenst ist in Wahrscheinlich ist es bei den Völkern Argos hündisch konnotiert, in Mesopota- semitischen Ursprungs entstanden mien erkennen wir es wieder als die Klein- (Preller 1, 377). kinder raubende und Mütter vergiftende (manchmal) hundsköpfige Lamaschtu (> Der von Hunden zerrissene Linos erscheint 489 ff.), die ebenfalls mit Seuchen identifi- so nicht nur wie die anatolische Fortsetzung ziert wird. Ovid verschränkt die Linos-Sage oder Parallele des jungen Vegetations- mit Thasos, dem Sohn des Apollinischen gottes Aktaion, sondern auch als Variante Priesterkönigs Anios auf Delos, des Kybele-Attis-Mythos (> V). Preller (1, 378) zeichnet den Wanderweg der Sage den auch die Hunde zerrissen hatten, ... über Anatolien nach Griechenland nach daher kein Hund die Insel Delos betre- und weist hin auf Argos, wo der ten durfte (Preller 1, 380).

Knabe Linos ... zu einer volkstümlichen Wahrscheinlich ein weitgehend entstelltes Figur geworden war, um welche sich Bruchstück einer früheren Sage gleichen das bange Gefühl der Zeit der Hunds- Gehalts wie die Linos-Sage, für die Preller tage in bildlichen Gebräuchen und noch eine deutlich vegetationskonnotierte herkömmlichen Gesängen zu einem Analogie in Arkadien anführt sowie auf den eignen Gottesdienst mit entsprechen- mehrfach nachgewiesenen Ortsnamen der Legende ausgebildet hatte (Preller ⌲␷␯␣␫␽␣ (~ Hundsbrand; analog zu Hesiods 1, 379). Sonnenbrand) verweist, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 377

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die bekannteste in Arkadien, in deren der Schafschur und noch vielen anderen Nähe eine kalte, unter einer Platane landwirtschaftlich bedeutenden Terminen. hervorsprudelnde Quelle ␣␭␴␴␱␵ hieß, So steht das römische Fest der Robigalia am weil man einem Trunke daraus beim Ende des Monats April auf den ersten Blick Biss eines tollen Hundes eine heilende in keinem kausalen Zusammenhang mit den Wirkung zuschrieb (Preller 1, 380). Hundstagen im August, aber man veran- staltete ein Rauchopfer für die Göttin Robi- Nicht so sehr die Konzeption des Sirius als go, indem der Priester Blut und Eingeweide tollwütiger Hund, wohl aber die Akzen- eines weiblichen Saugwelpen und die Ein- tuierung der Vegetation als Opfer des Sirius geweide eines weiblichen Schafs in die scheint aus West-Asien mit dem neoli- Flammen warf und die Göttin bat, den Wei- thischen Know-How nach Europa ge- zen vor dem Übel zu bewahren, dem man kommen zu sein. Es ist deshalb sinnvoll, die ungalanter Weise ihren Namen gegeben mesopotamische Konzeption mit der hatte, nämlich vor der Weizengicht. Wenn griechisch-römischen zu vergleichen: man die Eingeweide opfert, bleibt das Fleisch des Hundes übrig. Das ist beim Saug- welpen nicht viel, könnte aber beim Opfer Sirius in Mesopotamien und in der eines erwachsenen Hundes dazu motivie- griechisch-römischen Antike ren, das Fleisch rituell zu verzehren. Mit Blut und Eingeweide des Saugwelpen wollte Sirius ist in Mesopotamien und in man die Göttin günstig stimmen. Welpe wie der griechisch-römischen Antike für die Schaf mussten von roter Fellfarbe sein, denn Hundstage im August verantwortlich. Da im man stellte sich homöopathisch vor, dass das August während der Hundstage sich die Getreide zur Reife kirschenrot sein sollte: Zahl der Todesfälle deutlich erhöhte - noch Das war die Farbe der Gesundheit. im Jahr 2003 verzeichnete man in Frank- reich im August ein außergewöhnlich zahl- Andere motivierten dasselbe Ritual und sei- reiches Altensterben, für das natürlich kei- ne Farbpräferenz mit der rostroten Farbe, ner verantwortlich sein wollte, also wars die von der Weizengicht verursacht wurde. wohl mal wieder der Sirius -, veranstaltete In dieser Konzeption des Rituals steht der man in Rom auch Hundejagden, um die weibliche Saugwelpe als Symbol für den Dä- Übertragung der Tollwut vom Hund auf den mon der Weizengicht - mit dem Tod des Menschen zu verhindern: Der Stern Sirius Welpen überwindet man den Dämon. Eine selbst war tollwütig und übertrug die eventuelle Analogie und somit neolithische Krankheit auf seine irdischen Repräsentan- Quelle für das Ritual gibt es in Mesopota- ten, die Hunde. In dieser heißesten Zeit des mien. Sie ist eingebettet in den Unterwelts- Sommers drohte die Ernte zu verdorren, gang der Göttin Anat, die dort ihren Bruder und deshalb opferte man einen Hund dem Ba´al/Baal/Bacal (~ der Herr) sucht, den das Hundsstern und las aus den Eingeweiden Ungeheuer Mot (~ der Tod) verschlungen des Opfertiers die Zukunft (> 286). In Rom hat - ist Mot/Môt die westsemitische Vari- veranstaltete man das Ritual außerhalb der ante der mesopotamischen Tiamât ~ Tia- Stadt, nicht weit von dem aus diesem Grund Mât? Vom Verhalten her ja, von der Er- porta catularia (~ Welpentor) genannten scheinung her nicht: Mot ist das schlammi- Stadttor. Das Ritual war also landwirt- ge Ergebnis der uroborischen Selbstliebe schaftlich motiviert, und vielleicht hat sich des Wind(gott)es. der Hund zum beliebtesten Opfertier der Bauern aus diesem Sirius-Modell entwickelt: Aus Mot entstand jeder Same der Man opferte in Italien einen Hund vor der Schöpfung und die Entstehung von Aussaat, vor der Ernte, vor der Weinlese, vor allem, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 378

378 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

sagt Eusebius in seiner Zusammenfassung wurde. Wie in Mesopotamien konnte also der phönizischen Kosmogonie (in: Eissfeldt, ein Symbol das Opfer des Dämons und den 1960, 2). Ist Mot in Bamôt (~ Heilige Höhe) Dämon selbst repräsentieren. In der Logik enthalten? Vielleicht, denn Wind und Höhe des jeweiligen Interpreten war aber immer passen zusammen, vielleicht auch nicht, nur ein Teil der Alternative zulässig. Wenn denn der phönizische Gott Mot sitzt auf ei- im syrisch-ugaritischen Mythos Mot die ner Lotusblüte, ist also eher mit Osiris , Sommerhitze repräsentiert, die das Getrei- Tammuz und Adonis zu parallelisieren de sowohl zum Reifen als auch zum Erkran- (Moortgat, 1949, 132). In einer ersten Be- ken (an der Weizengicht) bringt, dann gegnung verlangt Anath von Mot Auskunft bleibt Mot immer ein Teil der Alternative, über ihren Bruder und diesen zurück, ein und das erscheint mir auch logischer als Hut- Ansinnen, das der hungrige Mot zurück- ters Vorschlag, Objekt (Getreide) und Sub- weist: Mein Rachen hatte Mangel an Men- jekt (Sommerhitze) zu einer Einheit zusam- schenkindern! Nach einigen Monaten trifft menzufassen. Bleibt man im ersten Teil der Anath erneut mit Mot zusammen, wobei es Alternative, dann kann Mot gleichgesetzt zur entscheidenden Auseinandersetzung werden mit den zahlreichen Korndämonen kommt, bei der Mot unterliegt: Europas, die ihrerseits wieder als Hahn, Ha- se, Katze, Ziege, Stier, Kuh oder Ochse, Anat zerschlägt ihn mit dem Schwert, Hengst oder Stute und Schwein u.a., meist zerstreut ihn in alle Winde, verbrennt aber als Wolf oder Hund gedacht sind: Der ihn; was übrigbleibt, fressen die Vögel. bekannte Kornwolf, der als Kornmutter in Damit ist wohl die vollständige Ver- Demeter und als Kornmädchen in Kore an- nichtung Mots ausgesagt ... Mit dem genehmere Erscheinungsformen findet - Tod und der Vernichtung Mots ist aber Demeter ist eine Erdgöttin, die aus einem die Möglichkeit gegeben, dass Bacal Korngeist zur Kornmutter wird (Bertholet). wieder zum Leben erweckt werden kann. Eventuell klingt bei der totalen Zerstückelung auch der Gedanke mit, Der Korngeist dass der verschlungene Bacal dadurch wieder freigelegt werden soll. Bei einer Nach des europäischen Volksmunds funktionellen Interpretation kann man Auffassung soll jede Getreideart ihr beson- in der Tötung Mots einen Ernteritus deres Tier haben, das in der letzten Garbe sehen, bei dem das reife Getreide ge- gefangen und je nach Fruchtart Roggen- schnitten, geworfelt, gedörrt, gemah- wolf, Erbsenwolf usw. genannt wird: len und neu ins Feld gesät wird. Mot würde somit die Sommerhitze symbo- Zuweilen glaubt man, das Tier werde lisieren, die das Getreide zum Reifen mit dem letzten Streich der Sense oder bringt, und gleichzeitig auch das aus- Sichel getötet. Häufiger meint man gereifte Getreide, das geerntet wird jedoch, es lebe, solange noch Korn (Hutter, 141). unausgedroschen ist, und werde in der letzten ausgedroschenen Garbe ge- Diese scheinbare Vertauschbarkeit haben fangen. Deshalb wird dem Manne, der wir ja auch im italischen Ritual erkannt an den letzten Hieb mit dem Dreschflegel der doppeldeutigen Interpretation der Far- tut, gesagt, er habe die Kornsau, den be: Einmal stellte man sich unter der roten Dreschhund oder ähnliches. Wenn das Fellfarbe homöopathisch das zur Reifezeit Dreschen vorüber ist, wird eine Puppe kirschenrote Getreide vor, dann motivierte in Gestalt des Tieres gemacht, und die- man die Farbpräferenz mit der rostroten se von demjenigen, der die letzte Garbe Farbe, die von der Weizengicht verursacht ausgedroschen hat, auf einen benach- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 379

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barten Hof gebracht, wo das Dreschen Aus frühneolithischen Gesellschaften sind noch im Gange ist. Das zeigt wiederum, Opfer auserwählter Menschen belegt, die in dass man von dem Korngeist annimmt, den freiwilligen Tod gingen, er lebe, wo das Korn noch gedroschen wird (Frazer, 651). um mit ihrem Sterben die Fruchtbarkeit des Landes und einen kraftvollen neuen Die Episode der aus Stroh gefertigten Pup- Vegetationszyklus zu erreichen. Ihr Tod pe in Gestalt des Tieres haben wir bereits in hatte den Charakter magischer Schöp- etwas anderem Zusammenhang in Afrika fungskraft (Mahlstedt, 72). kennengelernt, und wir werden sie noch in China antreffen. Die Strohpuppe kann auch Wir wissen von Kinderopfern, z.B. von Erst- „getötet“ werden, d.h. die Getreide- und geborenen, später von Königstöchtern, Ackergottheit wird am Ende der Ernte ver- aber zuerst wohl von jungen Männern: Aus brannt. Dieser diesem Ritualakt ging die Heilige Paarung bzw. in der Bronzezeit die Heilige Hochzeit symbolische Opfertod einer Strohpup- hervor; in Arabien wurde dem Wadi-Dämon pe, eines Ahnen oder eines religiösen (~ Flussgott) jährlich eine Königstochter ge- Protagonisten ist ein Schöpfungsakt, opfert, damit er der menschlichen Siedlung denn er führt zu neuem Leben. Damit Wasser gewähre (Daum, in: Mahlstedt, 72): erwächst den Menschen aus dem natür- lichen Kreislauf der Natur eine rituelle Der Wadi, als Lebensquelle zur Gottheit Verpflichtung, an ihm mitwirkend teil- personifiziert, der mit der Trockenheit zunehmen (Mahlstedt, 71). seinen Tod durchläuft, nimmt das tote Mädchen zu sich. Beide sind jetzt tot Kann man von der Gestalt der Strohpuppe und können in einer heiligen Hochzeit auf die Gestalt des mythischen Ahnen rück- im Nicht-Sein die Neuerschaffung von schließen? Wenn dem so wäre, dann müsste Leben bewirken, der Hund bzw. der wilde Hund, also der Wolf, in weiten Teilen Europas tierischer erläutert Mahlstedt (73) und übernimmt als Stammvater oder Kulturbringer gewesen Original die patriarchalische Fälschung der sein: Der Korngeist in Gestalt eines Wolfs Urform, die wir in der Homerischen Hymne oder Hundes ist in Frankreich, Deutschland auf Demeter schon enttarnt haben (> III): und den slawischen Ländern üblich. Ein ein- Der paläolithische Gang des Schamanen zur ziges Kriterium wird aber nicht genügen, „Herrin der Tiere“, die Hochzeit der Göttin um einen so weitreichenden Schluss zu legi- mit dem Priester-König - immer war es der timieren. Nimmt man aber z.B. bei den in männliche Partner, der als Schamane einen Europa weit verbreiteten Kelten noch an- „künstlichen“ und als Priester anfangs ei- dere Indizien hinzu (wie z.B. Sitzen auf Hun- nen realen Tod zu sterben hatte; und die defellen bei der Nahrungsaufnahme, Ver- Göttin eilte ihrem getöteten Jünglingsge- zehren von Hundefleisch, Opfern von Hun- liebten in die Unterwelt nach, um ihn dort den), dann erscheint die Konsequenz nicht auszulösen: Er, nicht sie war das erste Opfer, mehr so gewagt: sie brachte sich ihm zum Opfer dar. Aber in Arabien wie in der Homerischen Hymne Ein Opfertod stellt im Kontext von wird die Reihenfolge und dann der Rang Krankheit, Not oder Krieg die Ordnung vertauscht: Wie in der Homerischen Hymne in der Weise wieder her, dass erst nach die ursprüngliche Kore zur Persephone, d.h. einer Tötung eine heile und vitale zur getöteten Braut transformiert wird, die Situation wieder entstehen kann (Mahl- dem toten Gott geopfert wird, so wird auch stedt, 72). in Arabien nicht mehr der männliche Part- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 380

380 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

ner der Göttin, sondern das Königsmädchen befruchtende Kraft liegt in seiner Rute dem toten Gott geopfert. Jetzt bedeutet ... Trug er indessen den Schwanz hoch, der Tod des arabischen Mädchens die Hoch- dann fluchten sie ihm und versuchten, zeitsnacht mit dem Gott, wie in den Anden ihn zu töten ... Sowohl der Hund als der dem Berggott ein dem Erfrierungstod über- Wolf erscheinen bei den Herbst- antwortetes Mädchen zugeführt wird - aber bräuchen als Verkörperungen des dazu muss der Berggott erst an die Stelle Korngeistes. In Schlesien wird zum der Berggöttin getreten sein (> III). Es ist Beispiel derjenige, der die letzte Garbe deshalb nicht allein entscheidend, wie Jen- anmäht oder bindet, der Weizenhund sen irrtümlich in seiner Analyse des Hainu- oder das Erbsenhündchen genannt wele-Mythos meint, dass eine Gottheit (Frazer, 652). getötet wird, es ist auch wichtig zu wissen, wer für wen und für was geopfert wird - im Ob man den armen Kerl dann so behandelt Neolithikum für einen kraftvollen neuen hat, wie auf dem Nachbarhof, auf dem noch Vegetationszyklus: gedroschen wurde und zu dem der Weizen- hund in Gestalt einer Strohpuppe gebracht Wenn der Wind das Korn in wogende wurde? Bewegung versetzt, sagen die Bauern oft: „Der Wolf geht über oder durch das Wenn die Leute auf dem Nachbarhof, Korn“, ... „Der tolle Hund ist im Korn“, die noch beim Dreschen sind, ihn fan- „Der große Hund ist da“ (Frazer, 652). gen, behandeln sie ihn wie das Tier, das er vorstellt, indem sie ihn in den Schwei- Der tolle Hund konnotiert ambivalenter nestall einsperren und mit den Namen, Weise die Seele des Feldes, aber auch die die man gewöhnlich für Schweine an- Weizengicht und die Tollwut, die als eine wendet, rufen (Frazer, 651-2). von mehreren Seuchen besonders im Au- gust zur Zeit der Hundstage ausbricht. Sirius Nehmen wir zu Gunsten des Boten an, dass als Hundsstern ist selber tollwütig, weil nur die Strohpuppe so behandelt wurde. überhitzt, und überträgt durch die Hunde auf Erden seine Tollwut auf die Menschen. Am deutlichsten kommt indessen der Auch der große Hund verweist auf kos- Gedanke des Kornhundes in den Ernte- mische Konnotationen, die über den realen bräuchen von Nordostfrankreich zum Hund als Haustier des Bauern weit hinaus- Ausdruck. Wenn zum Beispiel ein gehen. Kindern untersagte man das Spielen Schnitter durch Krankheit, Müdigkeit im Kornfeld mit dem pädagogisch unge- oder Faulheit nicht mit dem Vorschnit- mein klugen Hinweis: ter Schritt halten kann oder will, so sagt man: „Der weiße Hund ist an ihm vor- „Der Roggenwolf wird kommen und übergekommen“, „Er hat die weiße euch auffressen“ Hündin“, oder „Die weiße Hündin hat ihn gebissen“ (Frazer, 652). - da brauchte es noch keine kranke Großmutter und auch kein rotes Käppchen, Auch hier scheint die Fellfarbe die gleißen- um vom angeblich bösen Wolf verschlun- den Sonnenstrahlen und somit etwas Kos- gen zu werden. Dieser Roggenwolf hat misch-Jenseitiges zu konnotieren, denn der auch äußerlich genau die Gestalt eines real existierende Bauernhund in Nordost- Wolfs, denn sahen die Bauern in Ost- frankreich war in der Regel schwarz oder preußen einen Wolf übers Feld laufen, so schwarz-lohfarben, wie ich fürs keltische dankten sie ihm, wenn seine Rute am Boden Dreiländereck Schweiz-Deutschland-Frank- schleifte: Er hatte ihnen Segen gebracht, die reich zeige (> V). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 381

EXKURS:DER HUNDSSTERN SIRIUS, DER KORNGEIST UND DIE GÖTTIN 381

In den Vogesen heißt der Erntekranz In den Mithrasreliefs ist regelmäßig dar- der „Erntehund“, und derjenige der die gestellt, wie der Schwanz des im Opfer letzte Handvoll Heu oder Weizen ab- zusammenbrechenden Stieres sich in mäht, „tötet den Hund“. In der Umge- eine Ähre verwandelt. Die ´gezähmte` bung von Lons-le-Saulnier im Jura heißt Nahrung kommt dem Menschen noch die letzte Garbe die Hündin. In der immer aus dem ´unsagbaren` Opfer; Gegend von Verdun ist der übliche und um zur Speise zu dienen, muss die Ausdruck für die Beendigung des Ähre abermals ins Feuer gelegt werden Mähens: „Sie töten den Hund“, und in (Burkert, 1997, 321). Epinal sagen sie je nach der Frucht: Diese Härtung im Feuer soll das ewige „Wir werden den Weizenhund, den Leben, die Unsterblichkeit bringen - Deme- Roggenhund oder den Kartoffelhund ter will sie an Demophoon vollziehen, wird töten.“ In Lothringen sagt man von aber von den Mägden seiner Mutter Meta- dem Manne, der das letzte Korn mäht: neira daran gehindert (> III): „Er tötet den Erntehund.“ Zu Dux in Tirol sagt man, der Mann, der den letz- Auch dies deutet der Mythos vom Kind ten Hieb beim Dreschen tut, „erschlage im Feuer an: „far“ (lat.: Spelt, Dinkel ~ den Hund“ (Frazer, 652-3). frühestes Getreide) kann erst nach dem Rösten im Feuer gedroschen werden. Der Kornhund geistert also nicht nur durchs Triptolemos ist zugleich Erfinder des Getreide, sondern wird mit der letzten Dreschens (Burkert, 1997, 321, FN 81). Garbe getötet, erschlagen. Wir übertreiben wohl nicht, wenn wir uns diesen Vorgang in Das Braten des Widderschwanzes beim Dre- früheren Zeiten als rituelle Tötung eines scher-Fest in der Normandie und seine Prä- Hundes vorstellen, die wie z.B. in Italien nur sentation sind als eindeutig zweideutige ein Akt in einer übers ganze Jahr verteilten Aufforderung an die jungen Mädchen zu Reihe von landwirtschaftlichen Anlässen zur verstehen, die Ewigkeit des Lebens durch rituellen Tötung eines Hundes war. In frü- den entsprechenden Akt zu sichern - auf der heren Zeiten - am Beginn dieser früheren Tenne natürlich, dem Ort der Heiligen Paa- Zeiten steht das Neolithikum im Frucht- rung: Im gebratenen Schwanz ist das Feuer baren Halbmond: Schon dort sind beide - des Ewigen Lebens aufbewahrt, das anders- Kornhund wie Korngeist - ambivalent: Der wo zum Ewigen Licht gewandelt, d.h. dese- jugendliche Vegetationsgott Attis wird von xualisiert wurde. Dass der Hund als Feuer- seinen Mysten die sprießende, geschnittene und Lichtbringer (~ Luzifer) das Feuer in sei- Ähre genannt, der Hirten- und Bauerngott nem Schwanz aufbewahrte (> II), ist daher Dumuzi wird als Ähre dargestellt, ebenso kein Zufall, sondern symbolische Absicht. Pluto(s), der Sohn Demeters, und doch Widder, Stier und Kalb erscheinen vor der müssen beide unter die Erde. Plutos´ Vater paläolithischen Folie als Nachfolger des wird von Demeter mit der Sichel entmannt: Hundes. Wie aber sind das „Goldene Kalb“ Das Schneiden der Ähren wird zum Kastra- und der Kornhund historisch-mythologisch tionsakt, den Burkert (1997, 320) als vermittelt? Ein dramatischer Höhepunkt im Transposition des paläolithischen Jäger- Handlungsverlauf des ugaritischen Baal- verhaltens erkennt, die Genitalien des Mythos ist der Tod des Baal - der Gott Baal erlegten männlichen Jagdtiers zuerst zu ist in die Erde hineingegangen, d.h. er ist entfernen. Kornhund wie Korngeist sind die tot, was im Mythos so dargestellt wird, dass Ähre, und der Hund ist „nur“ das frühere Baal in der Macht seines Gegners, des Got- Symbol, das später durch den Schwanz des tes Mot, ist. Baals Mitkämpferin, die Göttin Widders und/oder des Stiers ersetzt wird: Anath, wendet sich an Mot, damit dieser ihr Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 382

382 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Baal ins Leben zurückgeben möge. Mot werden die „ba´ale“ des Ackers zuletzt aber weicht dem aus. Da kommt Anath wie- gegen den Eigentümer des Feldes „ru- der zu ihm und begnügt sich diesmal nicht fen und weinen“ (Job 31, 38-40), und mit Worten, sondern greift Mot an: Missernte wird die Folge sein. Man stell- te es sich geradezu so vor, dass die Kraft Sie ergreift den Sohn El´s, Mot, mit der des Getreides vor der Sichel der Ernten- Sichel spaltet sie ihn, mit dem Siebe den flüchtete und sich schließlich im worfelt sie ihn, im Feuer brennt sie ihn, letzten, noch nicht abgernteten Korn, zwischen den (beiden) Mühlsteinen oder der letzten Garbe, die auf dem mahlt sie ihn, auf das Feld säet sie ihn - Acker gebunden wurde, verbarg und seine Reste, damit die Vögel fressen sammelte, oder dass die „Seele“ des Ge- können, seine Glieder, damit die Gefie- treides sich in einem der wilden Tiere derten vernichten sollen, Rest für Rest ... des Feldes oder in einem Menschen, (in: Hvidberg-Hansen, 11). vielleicht in einem der Erntenden oder in einem zufällig Vorbeigehenden, nie- In der Behandlung, die Anath dem Mot derließ (Hvidberg-Hansen, 13). angedeihen lässt, spiegelt sich ein im Orient wie in Europa gleichermaßen bekanntes Man musste also dafür sorgen, dass die See- Ernte-Ritual - die Opferung der letzten le der Feldfrüchte auf dem Acker blieb oder Garbe auf dem Feld, ihr geht voraus das dem Feld zurückgegeben wurde, indem Erstlingsopfer: Beide Opfer sind motiviert man die Konzentration der befruchtenden von dem Gefühl, einen Eingriff zu begehen Kraft in der letzten Garbe auf dem Feld be- bzw. begangen zu haben in die göttliche ließ. Dies glaubte man zu gewährleisten Ordnung, auf der paläomental die Vegeta- durch die beiden Opferrituale und durch ein tion und die Fruchtbarkeit erzeugende ganz besonderes Zeremoniell, nämlich Kraft des Ackers beruhen: durch die Heilige Paarung: Diese Rituale sollten den Frieden wiederherstellen, den Bevor sich die Menschen die reifen Er- die Fortsetzung der Ernte nach dem Erst- träge aneignen konnten, musste es zwi- lingsopfer gebrochen hatte. Später, d.h. in schen diesen beiden Welten zu einer der ugaritischen und biblischen Tradition, Anpassung kommen, schiebt man sekundäre, schon ethische Be- gründungen für die Rituale nach, so soll folgert Hvidberg-Hansen (12) in rein neoli- man z.B. den Wildtieren, die substanziell thisch-ackerbaulich geprägtem Rahmen zum Feld gehören, nicht alles wegnehmen - und übersieht die paläolithisch-jägerische Land wird hier also immer noch konzipiert Tradition dieses Vorgangs, den ehedem der als wildes Land, das der „Herrin der Tiere“ Schamane, z.B. bei Sedna (> I), zu absolvie- untersteht, die in dieser Epoche aber schon ren hatte. Durch das Erstlingsopfer wird zu- patriarchalisiert ist zum Herrn ~ Baal des gleich die Gottheit gestärkt, die als Geber Feldes. Deshalb heißt es von Anath, dass sie und Herr (~ Baal ) der Ernte angesehen wird die Teile Mots auf und die zugleich mit dem, was als Opfer- garbe dargebracht wird, identisch ist. Wenn das Feld säet ..., seine Reste, damit die dieses erste Opfer absolviert ist, kann die Vögel fressen können usw. Ernte fortgesetzt werden, aber Dieser Baal ist eine Weiterentwicklung des wenn sich die Ernte ihrem Ende nähert, westsemitischen Korngottes Dagan/Dagon, wächst die Unruhe in der „Seele“ des der im sumerischen Pantheon zusammen Feldes und der Vegetation, und wenn mit Nergal (der als Unterweltsgott, aber man darauf keine Rücksicht nimmt, auch als Wilder Mann, d.h. als Herakles/Her- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 383

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cules (mit Keule; > I, 239: Abb. 93) im aramä- FN 23) formuliert, dabei auf den Propheten ischen Pantheon intensiv mit dem Hund Hosea (9,1) verweisend. In Delphi, dem Kerberos assoziiert ist und der identisch ist wichtigsten griechischen Orakel, fand alle mit dem iranischen Gott Verethragna und acht Jahre ein Fest statt: dem armenischen Gott Vahagn; in: Al-Salihi, 113) und mit Misaru als Totenrichter am Ein- Für dieses Fest wird auf der ´Tenne`, gang der Unterwelt tätig ist - man beachte dem kreisförmigen Platz unterhalb der die Dreizahl als Analogie zum dreiköpfigen Tempelterrasse in Delphi, ein hölzerner Kerberos) und der im semitischen Bereich Bau errichtet, eine ´Hütte`, die doch wie als Erfinder des Pfluges gefeiert wird: Pflü- die „Nachbildung eines Königs- oder Ty- gen ist aber auch eine Metapher für den Se- rannenpalastes“ aussieht. Was in ihrem xualakt. Baal ist zudem eine Analogie zum Innern vor sich geht, erfahren wir nicht, Gott Tawuz (~ Tammuz?) in Harran (> 426- 30), der auf grausame Weise getötet, in der bedauert Burkert (1997, 146), aber wir kön- Mühle gemahlen und in alle Winde ver- nen die Lücke vielleicht füllen mit der Hüt- streut wird - noch in Schuberts Schöner Mül- te, die in Afrika auf dem Dorfplatz für den lerin wird der Zusammenhang zwischen König und seine Gespielin errichtet wird (> Kornverarbeitung in der Mühle (vormals II) - wir finden Analogien und Traditionen in Tenne) und „Prostitution“ tragisch erinnert. Afrika, West-Asien und Griechenland, die Im Gegensatz zum syphilitisch infizierten konvergieren auf das Zeremoniell der Heili- Schubert wird Baal auch noch geröstet, und gen Paarung. Diese Heilige Paarung ist also auch in Kanaan und Israel hat man bei der im Neolithikum mit der Fruchtbarkeit des Überbringung der letzten Garbe geröstetes Feldes und u.a. mit einem Tier oder einem Korn gegessen: Eine Art Eucharistie. Sobald Fremden assoziiert, in das oder in den sich die Ernte beendet war, begann das Dre- die Seele des Feldes geflüchtet hat. Indem schen und die anschließende Reinigung des dieses Tier oder dieser Fremde nun die Hei- gedroschenen Getreides. Die Dreschtenne lige Paarung mit einer der (Jung)-Frauen lag meist außerhalb des Dorfes, meist direkt des Dorfes durchführt, körpert die aufopfe- am Rand des Feldes; dort wurde wohl auch rungsbereite Frau die Seele des Feldes in Getreide und Gemüse gelagert, denn sich ein und gibt sie in den weiteren Kom- ponenten des Zeremoniells der Heiligen Geistwesen und Gottheiten waren zum Paarung an die Gemeinde weiter, was uns Schutz des Lebens anwesend und fan- bereits bekannt ist (> III). Eine Analogie zu den kultische Verehrung, damit nichts den Vegetationsritualen des Osiris-Kults verdarb und die Kraft des Lebens in den kann uns zeigen, was mit dem Tier oder Samen erhalten blieb (Mahlstedt, 45). dem Fremden und vielleicht auch der Frau nach Abschluss der Heiligen Paarung ge- Die Tenne war ein heiliger Ort - übrigens schieht: auch in Delphi (> V), und Sowohl ägyptische Texte als auch klas- bei den Dionysosmysterien ist die Enthül- sische Verfasser beschreiben Opferun- lung des Phallos in der Getreideschwinge gen von Menschen, die getötet und ein zentraler Akt und die Ssabier (~ verbrannt werden, wonach ihre Asche Sabäer; > 431-4) klagen beim Tammuz- „mit Wurfschaufeln“ in alle vier Winde Fest um den Gott, der in der Mühle zer- verstreut oder auf das Grab des Osiris mahlen wurde (Burkert, 1997, 299-301) - geworfen wird. Dieser Osirisritus bringt nicht nur das Schicksal des harrani- und auf der Tenne ging die kultische Pros- tischen Tawuz, sondern auch das des titution vor sich, wie Hvidberg-Hansen (16, ugaritischen Mot in Erinnerung: „mit Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 384

384 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

dem Siebe worfelt sie ihn, im Feuer wusst gewesen sei. Das ist für uns Kyno- brennt sie ihn, zwischen den (beiden) sophen auch unerheblich, bis auf das Indiz, Mühlsteinen mahlt sie ihn, auf das Feld dass das „Goldene Kalb“ die Luxusaus- säet sie ihn“ (Hvidberg-Hansen, 17-18). führung des ehemaligen Strohhunds gewe- sen sein mag, der seine Funktion erfüllte, als Der konservative Mythos zeigt, dass sich die man das Rind noch nicht domestiziert hat- heiligen Handlungen zunächst auf dem te. Und einen weiteren Einblick gestattet Feld, erst später auf der Tenne abgespielt uns das „Goldene Kalb“: Es ist wie der haben. Wenn Mot sich beklagt, Anath habe Strohhund ein Bildnis und wird zerhackt, so ihn ins Meer gesäet, dann bezieht er sich auf wie Anath den Mot mit der Sichel spaltet. eine weitere Komponente des Opfers: Das Nun bedeutet aber das hebräische Wort für Korn wurde ins Wasser geworfen, um für spalten auch den Hals abschneiden, die Feldfrüchte des nächsten Jahres den nötigen Regen zu sichern. Wir wissen so dass mit diesem Verbum sowohl an bereits aus afrikanischen Beispielen (> II), Mot als Getreide als auch an ein Bild des dass dazu entweder das Menstruationsblut Gottes gedacht sein kann (Hvidberg- der Frauen in einem Umlauf ums Feld oder Hansen, 35). ersatzweise - pars pro toto (> I) - der zer- stückelte Körper eines Hundes aufs Feld aus- In dieser Doppeldeutigkeit dürfte die he- gebracht wurden, um Regen zu garantie- bräische Bezeichnung das Schicksal des Tiers ren. Dies sind natürlich nur Einzelbeispiele, - ob Hund oder Kalb - und des Fremden auf- die nicht allgemein gelten, aber da die ma- bewahrt haben, auch wenn sonst bei den Is- gischen Steine des Regenmachers in Afrika raeliten nicht mehr viel von der ursprüng- auch hündisch konnotiert sein können (> II) lichen Bedeutung des Zeremoniells übrig und da der männliche Partner bei der Heili- geblieben ist. Anath wird im Mythos auch gen Paarung im neolithischen Nord-Afrika als junge Kuh bezeichnet, und im ugari- mit einem Hundekopfprotom maskiert war tischen Text kommt Färse, junge Kuh als Be- und im neolithischen West-Asien Hund ge- zeichnung für Anath vor als nannt wurde, dürfte der Schluss nicht zu ge- wagt sein, dass der Fremde bzw. das Tier, die Ba´als Partnerin in dem einen der zwei geopfert wurden, schon zu Beginn des Neo- Berichte der Ba´altexte über hieros lithikums hündisch konnotiert oder ein gamos (~ Heilige Hochzeit) ..., während Hund waren. So konnte der Hund seine Anat mit dem Zunamen „Kalb“ ... Ba´als paläo- und mesolithische Kultfunktion über Partnerin ist, deshalb wird im allgemei- das Neolithikum bis ins 20. Jahrhundert ge- nen angenommen, dass „Färse, junge wandelt und angepasst fortsetzen. Die Ver- Kuh“ mit Anat identisch ist, nichtung Mots (~ die Tötung des Tods) be- deutet die Befreiung (~ Auferstehung) so dribbelt Hvidberg-Hansen (40, FN 97) um Baals. Strafe und Vernichtung sind also der das Thema der Heiligen Hochzeit herum, Zweck der Aktion Anaths gegen Mot. In Ka- das ihm wohl nicht ganz geheuer ist. Wir ha- naan und in Israel nimmt die Stelle Mots das ben also einen Vegetationskult vor uns, der „Goldene Kalb“ ein, dessen Reste ebenfalls von der Heiligen Paarung bzw. Hochzeit im Wasser verstreut werden, damit die Isra- strukturiert wird und in dem der Hund als eliten davon trinken sollen. Hvidberg-Han- Seele des Feldes und als Fremder eine zen- sen (28) nimmt wohl zu Recht an, dass der- trale Rolle spielt, bis ihn andere, jetzt pres- jenige, der das Handlungsmuster des ur- tigeträchtigere Tiere wie z.B. ein „Goldenes sprünglichen Ernteritus in Exodus 32,20 an- Kalb“ ablösen. Allen gemeinsam ist der kur- gewandt hat, sich der ursprünglichen ze Triumph und der meist unmittelbar sich Bedeutung dieses Rituals kaum noch be- daran anschließende Untergang: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 385

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Nach Mutterrecht ist des Weizens Reife natürliche Voraussetzung für den Neu- seine prima origo (~ erster Ursprung), beginn, denn das Werden steigt aus seine Einerntung zugleich Entstehen dem Nicht-Sein herauf. Um die Wieder- und Vergehen ... der Zeitpunkt der Voll- ausfaltung des Getreides im kommen- endung. Dasselbe wiederholt sich in der den Jahr sicherzustellen, muss die Gott- Argonautik (~ griechische Sage von den heit in den Tod gehen. In ihrer über die Argonauten), wo die Sparti mit Schild Felder verstreuten Asche ist ihre Schöp- und Speer und völlig kampfbereit aus fungspotenz enthalten (Mahlstedt, 71). dem Acker sich erheben ... Darum die oft wiederkehrende Vorstellung von ei- Der Tod am Ende der sommerlichen Vege- nem im Augenblick der Geburt erlang- tationsperiode ist identifiziert im Hunds- ten reifen Alter ... Die Vergleichung die- stern Sirius, der imAnath-Mythos mit Mot ser Auffassung des Menschen mit den gleichzusetzen ist - Sirius wie Mot sind Ad- Früchten, deren Trennung von der Mut- ditive zur Strahlkraft der Sonne, die die po- ter nach vollendeter Reife erfolgt, oder sitive Wirkung, die die Sonne in der ersten mit den Blättern der Bäume, deren Ab- Jahreshälfte zum Wohle der Menschen ent- lösung vom Stamme mit ihrem Unter- faltet, am Ende des Sommers ins Negative, gange zusammenfällt, zeigt, wie völlig Verderbliche wandeln - paläomental wird jene Betrachtungsweise des mensch- das aber nicht als antithetisch, sondern als lichen Daseins durch das Gesetz des Na- komplementär begriffen, wie uns West- turlebens geleitet und beherrscht wird semiten wie Römer zeigen: (Bachofen 2, 634).

Im Moment der Trennung des Korns vom Zurück zu Anath und den Robigalia Halm und somit von der Mutter Erde finden Vollendung und Vergehen gleichzeitig statt: Dass Anath erst nach einigen Mo- naten wieder mit dem vielfältigen Mot zu- Nach Vaterrecht dagegen liegt die sammentrifft und ihn dann vernichtet, prima origo vor der Vollendung, das spricht ebenfalls für den ersten Teil der Al- Sein vor dem Erscheinen ... Nach Vater- ternative: Mot ist auch die ambivalente recht dagegen liegt der Ursprung in Sommerhitze, die zuerst einige Monate rei- dem Säen, nicht in dem Ernten, fen und dann erst sterben lässt. Um die phy- siologische Reife des Korns zu ermöglichen, betont Bachofen und für ihn ist klar, dass kann Anath Mot nicht schon beim ersten diese patriarchalische Einstellung Treffen töten. Bacal wäre dann das Korn, das verschwindet, indem man es unter die dem mütterlich-tellurischen Leben Erde bringt, damit es dort die Metamor- völlig fremd und in bewusstem Gegen- phose von der Pflanze bis zur Frucht begin- satz zu ihm ausgebildet worden sind nen kann. Mot wäre dann auch die Erde, die (Bachofen 2, 635). als Erdgöttin das Korn verschlingt. Dafür spricht dann auch nach einigen Wirrungen Das neue, endzeitliche Denkmodell der Pa- Hutters Schlussfolgerung: triarchen hat den Anath-Baal-Mythos aber noch nicht ereilt, denn hier gilt noch immer, Durch Mots Tod ist der Weg für Bacal zum neuen Leben frei. Wie seine Wie- dass am Ende der sommerlichen Vege- derbelebung vor sich gegangen ist, tationsperiode der Tod steht. Der Tod bleibt ... unklar. Aber an den Folgen für nach der Ernte ist die selbstverständliche die Fruchtbarkeit im Land ist zu erken- Ordnung des Seins und gleichzeitig die nen, dass er wieder lebt (Hutter, 142). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 386

386 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Wie man das altitalische Ritual der Robiga- dass die Ägypter zuerst das Jahr ausge- lia auch immer wendet und begründet: Die funden und in zwölf Monate geteilt hät- Farbe Rot spielte jedenfalls grundsätzlich ten, und zwar hätten sie das mit Hilfe eine wesentliche Rolle, da klangassoziativ der Sterne getan. Meines Erachtens ver- und etymologisch robus bzw. rufus (~ rot) fahren sie darin richtiger als die Grie- über rubens und ruber mit robigo (~ Wei- chen, dass sie nicht wie diese alle zwei zengicht) verwandt sind. Auch dieses Opfer Jahre einen Monat einschalten, sondern im April (analog zum ersten Treffen von zwölf Monate von dreißig Tagen haben Anath mit Mot) wurde in einem heiligen und alle Jahre fünf Tage zusetzen, Hain außerhalb Roms durchgeführt wie wobei der Kreislauf der Jahreszeiten auch das Sirius-Opfer (analog zum zweiten immer wieder richtig herauskommt. Treffen), für das man eine nachträgliche, aber immer noch hündisch konnotierte Ra- Die griechische Regelung, am Ende des tionalisierung in Flug und Absturz des Icarus Schaltjahrs einen zusätzlichen Monat einzu- gefunden hat: Des Icarus Tochter Erigone schalten, ist die Kultzeit des Hundssterns (> besaß eine Hündin namens Maera, die, als III): Diese Periode ist in Griechenland als sie den Leichnam des Icarus findet, ihre Her- Sirius-Monat wie in Ägypten die dem 360- rin herbeiheult. Das arme Mädchen erhängt Tage-Jahr angefügten fünf Sirius-Tage sich über dem Grab des Vaters, und die Hün- din bleibt auf dem Grab liegen und stirbt die aus der Zeit herausgenommene Zeit aus Kummer - zur Belohnung versetzen die von Jahresende und -anfang, die auch Götter die Hündin als Sternbild an den Him- den „Wechsel der Jahre“ ... bestimmt mel, mit dem Sirius als hellstem Stern. (Treusch-Dieter, 86).

Auch in einer anderen Variante der Ratio- Diese herausgenommene Zeit umschreibt nalisierung bleibt die hündische Konnotati- der westsemitische Mythos von Baal und on erhalten: Jetzt ist Maera die Hündin des Anath als Anaths Kampf gegen Mot: Dieser Jägers Orion und wird nach dessen Tod mit Kampf ist der jahreszeitliche Höhepunkt, der ihm zusammen in ein Sternbild verwandelt. eigentliche Kampf Anaths nach ihrem Drei- Sirius-Opfer und Robigalia-Opfer sind auch kampf gegen Litan (~ Leviathan) und gegen astronomisch miteinander verknüpft, da den Liebling der Erdgötter ..., der das Kalb der Sirius-Stern um den 2. August (anders- des el-`tk massakriert hat und gegen die wo - je nach Kalender? - um den 23. August) Hündin der Feuergötter. Der Liebling der auf- und am 1. Mai untergeht: Die Robiga- Erdgötter, der das Kalb tötet, erscheint jetzt lia wurden Ende April veranstaltet, und als eine jahreszeitliche Variante des Mot: Das Ovid, von dem wir eine Schilderung des Op- Kalb des Gottes El-`tk ist als zweiter Kampf ferrituals kennen, meint sogar, der Sirius er- der Anath auch der Vorschein des Jahres- scheine am 25. April, dem Tag der Robigalia königs, der mit dem Absterben der Vegeta- - ein Irrtum, der wahrscheinlich weit ver- tion zum Tode verurteilt ist (> II). Auch hier breitet war: Wichtiger als die kalendarisch- kämpft Anath als Große Göttin im Grunde astronomisch korrekten Daten war für Ovid wieder gegen einen Teil ihrer selbst - ein die symbolische Verknüpfung von zwei Er- Zug, der ihre Reformbedürftigkeit verdeut- eignissen, deren innerer Zusammenhang licht. Kommen wir nun zur dritten Station, über den Sirius äußerlich sichtbar gemacht die Anath vor ihrer Nordfahrt erinnert: werden sollte. Herodot (2, 4) berichtet über die kalendarische Gliederung der Zeit in Ich habe geschlagen die Hündin der Ägypten und vergleicht die dortige Rege- Feuergötter, die Verlobte des Bt-el-sbb. lung mit der griechischen und teilt die Mei- Jetzt werde ich in den Kampf ziehen und nung von Zeitgenossen mit, das Gold erringen (in: Virolleaud, b, 51). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 387

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Die Hündin der Feuergötter ist die Synthese von Schlange und Hund ist, wie Hündin der vergöttlichten Ahnen wir es am griechischen Kerberos und ande- ren Unterweltshunden noch sehen werden. Die Hündin der Feuergötter wird Alle drei sind Gegner des Vegetationsgott- als some semitic counterpart of Cerberus es, der sich auf seiner alljährlichen Passage interpretiert (Göhde 1, 63), und die Hündin durch die Unterwelt befindet, während auf der Feuergötter, Anaths drittes Opfer, stellt der Mittleren Welt der Ölbaum verdorrt, auch Virolleaud vor große exegetische Pro- und Baal ist dort unten größten Gefahren bleme. Er erwägt, das Feuer mit dem ausgesetzt. Deshalb muss Anath - wie ihre Schmieden zu assoziieren: Dann wären die Kollegin Ischtar - in die Untere Welt hinab- Feuergötter die Goldschmiede, die ihr steigen, um Baals Freigabe zu erlangen. Arbeitsmaterial in Minen, also unterirdisch Analogien zu anderen Abstiegen in die Un- abbauen, die aber nicht nur Metall bearbei- terwelt (> VI) zeigen, dass dort am Eingang ten, sondern als Architekten auch den meist ein Hund Wache schiebt, der die Ein- Tempel des Baal bauen, wie wir an anderer tretenden freundlich begrüßt, aber die Stelle des Texts erfahren. Stellt man das zurückscheucht, die die Unterwelt wieder Feuer aber in den Zusammenhang der verlassen wollen. Wer diesen Hund besiegt, Vegetation, dann erscheint die Hündin als der überwindet den Tod. Genau darum geht weiblicher Sirius (> V: Maera), als Stern der es: Anath muss das Überleben des Lebens Hundstage, in denen die Vegetation ver- sichern, und dazu opfert sie (~ ihre Pries- dorrt - Sirius verstärkt die Kraft der Sonne, ter/innen) in sechs Gängen je 70 Tiere (Stie- die als der flammende Gott erscheint (> 290- re, Büffel, Schafe, Widder, Steinböcke und 1), womit wir schon das nächste Rätsel, vor Antilopen - die beiden letzten Arten zeigen dem Virolleaud steht, einer Lösung näher uns, dass wir es mit jagenden Viehzüchtern gebracht hätten: Denn Virolleaud wundert zu tun haben, die dem schamanischen Ge- sich auch über die Bemerkung, die Hündin danken an die Freigabe der Tiere noch na- sei die Verlobte des Bt-el-sbb. Dann aber hestehen; eine Parallele zu den je 70 zu op- wäre sie die Verlobte eines vergöttlichten fernden Tieren sind die 70 Söhne der bt-el, was in einer Anath-Variante aus dem Aschera, von denen Baal als einziger kein ägyptischen Elephantine auch tatsächlich Haus hat). Trotz dieses Aufwands an Vieh ist der Fall ist (Virolleaud b, 55). Nun heißt zu der Erfolg nicht garantiert: Wir lesen das allem Überdruss der Bt-el mit vollständigem einfach so, ohne uns die Angst, Sorge und Namen Bt-el-sbb, was ihn formal mit dem Ungewissheit der paläomentalen Menschen Kalb des el `tk parallelisiert, das ja auch ein zu vergegenwärtigen: Besonders, wenn der göttliches Kalb sein muss. Der Bt-el-sbb, das erste Regen nicht zum berechneten Zeit- schlägt Virolleaud vor, könne verstanden punkt oder in ungenügender Menge fiel, werden als ein flammender oder brennen- war die Existenz der Menschen radikal ge- der Gott, dann entspräche er dem Ba`al-ze- fährdet, genauso wie das Leben Baals in der boub der Hebräischen Bibel. Mehr spricht Unterwelt. Und wenn die Katastrophe ver- aber für die (komplementäre) Annahme, er mieden werden konnte, dann gewiss dank sei die alles sengende Sonne des Hochsom- der Göttin Anath. Die Auferstehung Baals mers. Sehen wir uns die drei Gegner der von den Toten war also kein Automatismus, Anath nochmals an: Eine Schlange, ein vielmehr musste man den Schuldigen fin- Drache und ein Hund. Offensichtlich liegt den und zur Strecke bringen: Der aber war eine Steigerung vor, denn es wäre drama- - der Tod. Dem Tod den Tod bringen, das turgisch höchst ungeschickt, den am wenig- heißt den Tod überwinden. Wer das schafft, sten gefährlichen Feind zum Schluss zu er- der ist die Lebenskraft selbst, die Seele der wähnen - später wird sich die Reihenfolge Natur: Anath, die sich um das Wohlergehen ändern, weil der Drache als Mischwesen die der Welt kümmert, speziell um das der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 388

388 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Vegetationsgötter, und auch um die Seelen Virolleaud hat versucht, die im Text von Ras der Toten, aber nur um die Manen, die gu- Shamra genannten Orte zu lokalisieren: ten Geister der Toten, also die Geister der Alle Ortsnamen sind entweder im äußersten guten Toten, die rephaim (~ Rafaïter > 197: Süden Phöniziens, um Tyros und Sidon, zu Abb. 22 & > 328, 402-5 & 423), die in ihrem finden (> 459-61) oder - und das sind die irdischen Leben recht gewandelt sind, und meisten Namen - in Palästina, genauer: im die es deshalb verdienen, weiterzuleben Süden Palästinas und noch weiter südlich nach dem Leben auf Erden, vielleicht sogar im Lande Edom: bis in alle Ewigkeit. Und Anath selbst nimmt teil am Mahl mit den guten Toten, denn ... en tout cas, le désert de Qadesh et le gute Führung allein garantiert noch keine Négeb, pays de la Palestine méridio- Auferstehung: Die Götter müssen mit von nale, et, plus au sud encore et à proxi- der Partie sein. Und Anath verscheucht die mité de la Mer Rouge, le pays d´Edom Vögel des Himmels weit weg vom Ort des (Virolleaud a, 16). gemeinsamen Mahls, denn nur die Toten sollen sich sättigen: Abraham wird dieselbe Da Kult und Mythos der Anath schon um Geste vollführen, wenn er (in: Genesis 15, -1.750 in Ägypten dokumentiert sind, ein- 11) JHWH sein Erstlingsopfer darbringt - Ab- geführt von den kanaanäischen Hyksos (> raham usurpiert also die Geste der Großen II), könnten wir mit Virolleaud (b, 17) an- Göttin. Das Mahl mit den Ahnen dauert sie- nehmen, dass der im -14. Jahrhundert ben Tage, am siebten Tag werden die Reste verfasste Text von Ras Shamra Traditionen verzehrt: Das eat-all-Prinzip. Wenn es heißt, birgt, die deutlich älter sind, Traditionen der dass Anath Baals Fleisch ohne Messer aß Kanaaniter, die vor der hebräischen Inva- und sein Blut ohne Becher trank, dann sieht sion Palästina bewohnten und vor den Gese (78) darin eine Umschreibung der Hei- Invasoren in den Norden, nach dem heute ligen Hochzeit. Und da Anath den Tod mit Ras Shamra und damals Ugarit genannten einer Sichel bringt, haben wir es nicht nur Ort flohen. Virolleauds Idee klingt nicht mit jagenden Viehzüchtern zu tun, sondern schlecht, denn 1937 kannte man noch nicht mit Feldbau treibenden Viehzüchtern, also den ungefähren Zeitpunkt, zu dem die Isra- mit transhumanten ~ halbnomadischen Hir- eliten Kanaan eroberten. Wir wissen heute, ten. Und da Baal immer für genau sechs Mo- dass der Text von Ras Shamra ungefähr 200 nate in die Unterwelt geht, entspricht das Jahre älter ist als die Besetzung Palästinas Fest des Totenmahls einem der beiden Eck- durch die Israeliten. Ohne Virolleauds daten der Transhumanz, und zwar wahr- Ansatz ganz aufgeben zu müssen, könnte scheinlich dem Beginn der Regenzeit - an- man stattdessen annehmen, dass es mehre- dere sehen darin ein Fest von Nomaden und re Wanderungen nach Norden gegeben Bauern im Anschluss an die Ernte, aber im- hat, deren Startgebiet die Halbinsel Sinai mer anlässlich des Weidewechsels (Gese, und die Wüste/Steppe Negev waren. So 82). Diese Eckpunkte entsprechen auch den erscheint die Tradition der Anath von Ras Halbjahreskönigen, die Baal und dessen Ge- Shamra im syro-kanaanäischen Norden als genspieler auf Erden repräsentieren. Er- später Zeitzeuge für die kanaanäische innern wir uns an das 2. Kapitel: Wir beglei- Mythologie des Südens. Die Menschen von teten die transhumierenden Hirten von der Ras Shamra und die Kalebiter kämen Jezireh über den Sinai mit einem kurzen demnach aus demselben mythologischen Abstecher nach Ägypten bis hin nach Nest, nur hätten sie es zu verschiedenen Kadesch Barnea, wo wir den frühesten An- Zeitpunkten verlassen. Sie bleiben der schluss fanden an die Hebräische Bibel: Die Großen Göttin treu, von der die Israeliten zu Kalebiter kamen aus der Region des nörd- JHWHs Gunsten abfallen, aber zu der sie oft lichen Negev, also um Kadesch Barnea. zurückkehren - ein Zeichen, dass sie vor Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 389

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langer Zeit, vielleicht noch in der Mitte des mit diesem Kult physisch wohl erging, son- -2. Jahrtausends, ebenfalls Anath und dern wegen des schon 1923 von dem Aschera verehrten. Aus kynosophischer Psychoanalytiker Theodor Reik kritisierten Sicht bemerkenswert ist, dass der Hund in deutlich antifemininen Affekts der ersten diesem Text ausschließlich an einer Stelle monotheistischen Religion. Und um das und ausschließlich negativ, nämlich als Maß voll zu machen, antworten dem Jere- Feind der Anath, auftritt. Nun können wir mia (44, 15-19), der sie vor Götzendienst nicht annehmen, dass dies der einzige Text warnt, ist, der in Ras Shamra/Ugarit (> 461-4) tra- diert wurde, nur weil er 1937 als einziger alle Männer, die wussten, dass ihre gefunden wurde. Auf kanaanäisch-phöni- Frauen anderen Göttern räucherten, zischer Seite muss es positive, kompensie- und alle Frauen, die dabeistanden - ei- rende, die Ambivalenz des Hundes wahren- ne große Schar - sowie alle Leute, die in de Mythologeme gegeben haben, die von Ägypten und in Patros niedergelassen den Proto-Israeliten frühzeitig aufgegeben hatten, dem Jeremia: Was das Wort be- wurden. Die einseitig negative Sicht des trifft, das du im Namen des Herrn zu uns Hundes muss sich bei den Proto-Israeliten gesprochen hast, so hören wir nicht auf schon in der Wüstenzeit, vor ihrer Sesshaft- dich. Vielmehr werden wir alles, was wir werdung in Kanaan entwickelt haben, auch gelobt haben, gewissenhaft ausführen: wenn sie immer wieder korrigiert wurde Wir werden der Himmelskönigin Rauch- durch die Kehrtwende zur Großen Göttin. opfer und Trankopfer darbringen, wie So auch zur Zeit des Jeremia: Die Frauen, die wir, unsere Väter, unsere Könige und eben noch den Tammuz (wir können jetzt unsere Großen in den Städten Judas an seiner Stelle auch Baal einsetzen) be- und in den Straßen Jerusalems es getan weinten, backen nun Kuchen für Ischtar haben. Damals hatten wir Brot genug; (entsprechend Anath), um die Fruchtbarkeit es ging uns gut und wir litten keine Not. wiederzuholen - sie backen die Kuchen, mit Seit wir aber aufgehört haben, der Him- denen später auch der Hund, genauer: die melskönigin Rauchopfer und Trankopf- Hündin, als Substitut der Göttin am Eingang er darzubringen, fehlt es uns an allem zur Unterwelt stehend, beehrt und be- und wir kommen durch Schwert und stochen werden muss: Mit ihr beschenkt Hunger um. Die Frauen aber sagten: man die Göttin, auf dass nicht nur die Geschieht es etwa ohne Wissen und Vegetation wieder sprieße. Auch das findet Willen unserer Männer, dass wir der von Zeit zu Zeit in Israel statt, wie beim Himmelskönigin Rauchopfer und Tran- Propheten Jeremia (7, 16-20), geboren in kopfer darbringen, dass wir für sie Anatot, einer prominenten Kultstätte der Opferkuchen bereiten, die ihr Bild wie- Anath, nachzulesen ist: dergeben, und Trankopfer spenden?

Die Kinder sammeln Holz, die Väter Der Kult um diese Himmelskönigin er- zünden das Feuer an, und die Frauen scheint hier eindeutig als Angelegenheit kneten den Teig, um Opferkuchen für der ganzen Familie, wobei allerdings die die Himmelskönigin zu backen ... Frauen mit dem Formen und Backen der Opferkuchen, die ihr Bild wiedergeben, den Das tun sie natürlich nur, um JHWH zu wichtigsten Beitrag leisten (Winter, 564). In ärgern, könnte man annehmen, aber es sind Palästina wurden Opferbrote nicht nur im judäische Flüchtlinge, die nach der Kata- kanaanäischen Kult verwendet, sondern strophe von -587 nach Ägypten fliehen und auch für JHWH wurden Brote gebacken, vor dort zum Kult der Himmelskönigin zurück- allem die „Schaubrote“ (~ eigentlich: finden (Winter, 561), nicht nur, weil es ihnen Gesichtsbrote), die vermutlich sogar mit Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 390

390 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Links: Eine Gebäckform aus dem Palast von Mari (-18. Jahrhundert): Sie stellt die Große Göttin in ihrer nackten Erscheinung dar mit turbanähnlicher Kopfbedeckung und mit Halsband (> III, 43-57). In: Winter, Abb. 519. Rechts: Ab- guss eines Pressmodells aus Taanach (-10. Jahrhundert): Das x-förmige Zei- chen assoziiert die dargestellte Figur mit der Göttin. In: Winter, Abb. 63. Ein Elfenbeinrelief aus Arslan Tasch, -9. Jahrhundert, zeigt die Göttin als Frau am Fenster; das Zeichen auf dem Stirn- plättchen entspricht dem Brotzeichen (> 313: Abb.308);die Frisur ist stereotyp, wie Abb. 307 zeigt (> 313):Sie könnte eine Zeittiefe haben über die libysche Frisur (> II, 198) bis zu den eiszeitlichen „Venus“-Figuren von Brassempouy und Willendorf (> 297).

dem Bild der Gottheit versehen waren. Im in einer Ecke des Hofes steht eine weib- Palast von Mari hat man eine ganze Serie liche Gottheit, unzweifelhaft vom Typ von 47 Gebäckformen (> oben links) mit der schwangeren Göttin (Winter, 569), geometrischen Mustern, Tieren, Tänzern und Frauenfiguren gefunden (Winter, 568), die als Astarte identifiziert wird, weil auf ei- deren Verbreitung zum Teil bis ins Indus-Tal ner phönizischen Inschrift aus dem -5./ -4. nachweisbar ist. Stellt das Gebildbrot eine Jahrhundert zwei Bäcker erwähnt werden, Frau dar, wird sie manchmal mit einer das die einen Kuchen für die mlkt qdst (qdst ~ Gebäck darstellenden „Scheibe“ gezeigt, kedeschta ~ Heilige) Astarte gebacken ha- und das Gebäck ist mit einem großen Kreuz ben (Winter, 570). Auch Astartes Kollegin „verziert“, das man auch auf den Stirn- Ischtar werden Glutaschenkuchen dar- plättchen der Frau am Fenster (> II, 259: gebracht (> 285 & rechts: Kommentar). Abb. 60) erkennen kann: Dieses x-förmige Zeichen (> oben rechts) verbindet das Die Weberinnen, die in der Hebräischen Schaubrot der Kuchenbäckerinnen mit der Bibel wie ihre Kolleginnen im Tempel allge- Großen Göttin und ihrem Zeremoniell - mein als qedeshim bezeichnet werden, we- Winter (595) versteht das Zeichen eher als ben der Göttin den Schleier bzw. den Heili- Abzeichen einer Fan-Gemeinde denn als gen Vorhang (Delcor, 120), der ihr nach dem Amulett, aber die beiden Funktionen sind Wandlungsbad (> III, 175: Abb. 20) umge- wahrscheinlich konvergent. Dass es dabei legt wird, bevor ihr Partner ihn in der Heili- gegen Helcks These, der die Erotik der Göt- gen Hochzeit wieder entfernt. Müllerinnen tin um ihre in jeder Hinsicht lebenfördernde und Bäckerinnen werden bereits auf einer Kraft bringen will, auch um Fruchtbarkeit Tontafel aus Drehem bei Nippur (aus der für die Frauen ging, zeigt ein phönizisches Zeit des zweiten Königs der Ur-Dynastie) zu- Tonmodell aus dem -3./ -2. Jahrhundert, das sammen erwähnt mit Weberinnen: Alle drei im Zentrum eines Hofes einen Backofen mit Gruppen, meint Delcor (120) tendenziös- vier Frauen zeigt, und moralisierend, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 391

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Die Früchte von Ackerbau und Viehzucht feiert dieses Rollsiegel auf einer mittelassyrischen Keilschrifttafel von Tell al-Rimach: Wir sehen das rituelle Backen eines Kuchens für die Große Göttin als „Himmelskönigin“ - und der Religionswissenschaftler Urs Winter kommentiert den Siegelabdruck reichlich vordergründig: „Er zeigt eine Frau, die in einer Backhütte kniet und mit beiden Händen einen Teigklumpen zu einem Brot formt. Vor der Frau züngelt ein Feuer, und offenbar beabsichtigt sie, das Brot auf die denkbar einfachste Weise als Glutaschenbrot zu backen - Glutaschenbrote oder Holzkohlenbrote waren die Hauptspeise der Hirten (Winter,571) ... Hinter ihr wartet gespannt ein Hund auf seinen Anteil.Vor der Hütte ist zudem ein Hirte mit einer Ziege und einem Jungtier auf den Schultern abgebildet“ (Winter, 521).In Beschwörungen an die Göttin Gula,aber auch an Ischtar und Dumuzi ist von Aschen- kuchen die Rede - im Gilgamesch-Epos z.B. wirft der patriarchalisierte Held der Göttin Ischtar die schlechte Behandlung ihres einstigen Jugendgeliebten und seines Vorgängers, des Hirten Dumuzi, vor, der ihr doch ständig Aschenkuchen geschickt habe, offensichtlich, um Ischtar als „Herrin seiner Tiere“ günstig zu stimmen. Glut- aschenbrote waren also nicht nur „die Hauptspeise der Hirten“, sondern auch ihre Opfergabe an die Göttin - die- ses Opfer wurde aber nicht vom Hirten, sondern von seiner Frau hergestellt: Mann und Frau wie Ackerbau und Viehzucht bilden eine höhere Einheit. Der Hund ist hier nicht dem Hirten, sondern der Frau zugeordnet: Er dürfte zum rituellen Kontext gehören und nicht nur eine witzige Zutat des Künstlers sein, wie Winter suggeriert; auch der Hirte vor der Backstube verweist eher auf eine Re-Inszenierung des Dumuzi-Ischtar-Aschenkuchen-Ensembles als Bild der Heiligen Hochzeit denn auf eine alltägliche Hirten-Bäckerinnen-Szene: Hier wird noch ein anderes Brot gebacken als das, was die Göttin täglich uns gibt - die religiöse Botschaft des Siegels wird klarer, wenn man z.B. weiß, dass die Plazenta als Bezeichnung für Mutterkuchen „eine gelehrte Entlehnung aus dem lateinischen Wort für Flachkuchen oder Fladenbrot“ ist, „die metaphorischen Wurzeln des Ausdrucks (für den Mutterkuchen) liegen offenkundig im Vorstellungsfeld des alten Bäckerhandwerks ... Tatsächlich hatte bereits Aristoteles das Verhältnis von Mutterleib und Kind mit dem zwischen Ofen und Brotteig verglichen ... Somit wurde der trächtige Schoß von Müttern ... in alter Zeit immer schon als eine zweifache Werkstatt vorgestellt - als Plazentabäckerei und als intime Kindsküche. Während in dem Uteruskessel das Kind selbst zubereitet wird, sorgt das zweite Werk der Mutter, der flache Kuchen, für die angemessene Nahrung während der längsten Nacht. Er kommt darum bei der Geburt als zweite Lieferung an den Tag“ (Sloterdijk, 1998, 380-1).Der Hund wartet also nicht auf seinen Anteil in einer alltäg- lichen Backstube, für die er als Korngeist das Korn hat wachsen lassen (> 363 ff.),sondern er überwacht in einer „Zwie-Back-Stube“ in Omega-Form (⑁; vgl. > 469: Abb. 54) das „zweite Werk der Mutter“ - bei den Inuit (> I) sorgt er sogar aktiv als männlicher Teil des matriarchalen Uroboros für die Ernährung des Fötus „im Uteruskessel“, dem tiefenpsychologischen Wandlungskessel und der vordergründigen Backstube. Und davor hat er bereits die jungfräuliche Mutter „a tergo“ (~ von hinten; > III, 125: Abb. 612 & 101) befruchtet - wohl auch deshalb hockt der Hund hinter der zweifachen Bäckerin in der „Plazentabäckerei und intimen Kindsküche“. Bild in: Winter, 520; vgl. das mutmaßliche Original > 477, Abb. 351. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 392

392 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

formaient sans doute ces collèges de Hochzeit relativ diskret vollzog, nämlich in prostituées, fameux plus tard dans la einer von Weinlaub umrankten Gartenlau- religion babylonienne. be (Deller, 229-38; > 586-8). Auch in einem gemeinsamen Mahl von König und Prieste- Delcors Kollegium der Prostituierten ist rin konnte die Heilige Hochzeit (symbo- nichts anderes als die auf die Heilige Hoch- lisch?) vollzogen werden, und wir erinnern zeit spezialisierte weibliche Tempelpriester- uns an das Thronbesteigungszeremoniell im schaft. Von der Tenne, die wir bereits als Ort Sudan, bei dem der zukünftige König und der Heiligen Paarung im frühen Neolithi- eine Sklavin in einer Seklusionshütte, zwar kum erkannten (> III, 238, 242, 408-9), führt mitten im Dorf, aber doch den Blicken Neu- der Weg über eine zentralisierte Kornzutei- gieriger entzogen, nicht nur sich gegensei- lung zu Müllerinnen, Weberinnen und tig mästeten, bis der junge König nur noch Bäckerinnen im Tempel, der wahrscheinlich auf einem Bett getragen werden konnte (> erst im Zuge dieser Zentralisierung entsteht. II). Und der zu seiner Legitimation eine institu- tionalisierte Himmelskönigin braucht, die Hier, im ethnohistorischen Kühlschrank die Heilige Paarung in die Heilige Hochzeit Afrikas, wohnten wir einem in Afrika und mit Dumuzi/Tammuz transformiert: Asien weitverbreiteten Ritual bei, bei dem der Hund eine wesentliche Rolle spielte. Das Gebildbrot für die Göttin wird ja gera- Von ihm ist auf der knappen Inschrift aus de aus dem gemahlenen Korn geformt, in Kuntillet ´Ajrud, südlich von Kadesch Bar- dem Dumuzi als Ähre aufgehoben ist - da- nea, nicht die Rede, aber er ist im Bild (> 359: her bewahrt das Gebildbrot am besten die Abb. 514), und da wir vom Ausgräber von Erinnerung an die Heilige Hochzeit der Him- Kuntillet ´Ajrud wissen, dass melskönigin mit ihrem Jünglingsgeliebten auf. the Ashera at ´Ajrud was apparently worshipped with a full array of rites Die meisten Kommentare identifizieren die (Weinfeld, 526), Himmelskönigin mit Ischtar, vereinzelt hat man sie auch mit Anath, Astarte und der und da die Kalebiter aus eben dieser Region Sonnengöttin Schapasch gleichgesetzt um Kadesch Barnea stammen, einem heili- (Winter, 565) - diese theologischen Diffe- gen Ort der Aschtart/Aschera, und da in der renzierungsversuche sind aber aus tiefen- späteren Kalebiter-Heimat um Hebron psychologischer Perspektive irrelevant: ebenfalls eine Inschrift desselben Inhalts ge- funden wurde, ist über die hündisch- Denn zur Zeit des Jeremia (um -641 bis -609) totemistische Konnotation ihres Stammes- ist der Ischtar-Kult in ganz Israel verbreitet - namens die Präsenz des Hundes in allen und die hebräische Variante der Ischtar wichtigen Zeremoniellen der Kalebiter an- sorgt für Wohlstand, natürlich für pastora- zunehmen. listischen Zuwachs bei der Herde, kommt doch ihr Name Aschtart (Astarte) von asterot Zugegeben, es ist wieder nur ein Indizien- so´neka (~ Fruchtbarkeit der Schafe); in der prozess, aber mich überzeugen die Indizien. Hebräischen Bibel wird Astarte im Plural Da es hier aber weniger darauf ankommt, viermal gebraucht und mit Fruchtbarkeit was mich überzeugt, reiche ich noch einige (der Herden) übersetzt (Winter, 545). Die wichtige Informationen nach: Hochzeit des Hirten mit der Himmels- königin bezeugt auch eine kürzlich in Assy- Die verbotswidrige Verehrung der Aschera rien gefundene Inschrift, aus der hervor- durch die Israeliten ist nicht nur archäolo- geht, dass auch Assurbanipal die Heilige gisch nachgewiesen, sondern auch in der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 393

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Schrift dokumentiert, wie wir bereits gese- Auf die letzten Worte kommt es an: das hen haben. Asheras Partner ist El, der be- Hochheilige ist wegen des Singulars inkom- zeichnet wird als qnh ´rs (~ Schöpfer der Er- patibel mit the holy ones, die im Plural ste- de). In der hurritisch-hethitischen Mytholo- hen. Welchem Gott also bleibt Juda treu? gie wird im -2. Jahrtausend dieser Gott Dem, der die holy ones hat. Wer sind diese vokalisiert Elkunirsa genannt, eine Bezeich- holy ones? Wagen wir einen scheuen Blick nung, die man auf einer aus dem -8. bis -7. ins transskribierte hebräische Original, dann Jahrhundert stammenden Inschrift ausge- wird uns die Tragweite klar, die die Ein- rechnet in Jerusalem wiedergefunden hat, heitsübersetzung unterschlägt: und zwar ... ´im-´el we´im-qedoshim ne´eman ~ ... im jüdischen Viertel der Altstadt Jeru- El and is still faithful to the holy ones ... salems (Weinfeld, 527), Die qedoshim sind die holy ones - die Mit- was allein diese Nachricht für unseren glieder des göttlichen Rates werden in Zusammenhang wichtig macht. Die Bezeich- phönizischen Inschriften qdsm genannt und nung auf dieser Jerusalemer Inschrift aber als die Söhne El´s aufgefasst (Weinfeld, 527). lautet: qoneh/oseh ´eres ~ Schöpfer der Erde. Es handelt sich aber bei den qdsm nicht nur um die Söhne des El, sondern auch um die Nun ist die rein israelitische Bezeichnung Söhne seiner phönizischen Partnerin Athi- für Gott niemals Schöpfer der Erde allein, ratu, und da Athiratu nur die phönizische sondern immer Schöpfer der Erde und des Ausgabe der kanaanäisch-israelitischen Himmels. Daraus folgt, dass die Jerusalemer Aschera ist, müssen diese qdsm, wie Wein- Inschrift einen nicht-israelitischen Kult feld (527) folgert, als meint, nämlich genau den, gegen den Hosea wettert und dessen nackte Tatsachen the sons of the mother-goddess er durch reine Symbolik ersetzen will. Asherah identical sein with the sons of El, “the holy ones”. Dabei müssen wir Hosea dankbar sein, denn er scheint diesen Kult aus eigener Anschau- Diese qdsm (~ qedosim ~ the holy ones ~ die ung zu kennen, plaudert er in seiner Predigt Heiligen) sind identisch mit der Kedescha doch ein Detail aus, das uns aufhorchen und dem Kadescha ~ Keleb des Ischtar- lässt, wobei wir uns diesmal nicht auf die Kults, und wie wir jetzt verallgemeinern Einheitsübersetzung verlassen können, son- können, mit den Priestern und Priesterin- dern Moshe Weinfelds Übersetzung ins nen aller Kulte der Großen Muttergöttin im Englische mehr vertrauen - zuerst die Alten Orient. Einheitsübersetzung: Das Alte Testament stellt Atirat als Mit Lügen umzingelt mich Efraim, mit Fruchtbarkeitsgöttin dar, deren Kult die Betrug das Haus Israel. Aber Juda hält sakrale Prostitution einschloss und de- auch in der Fremde zu Gott und bleibt ren Prostituierte „Qedesen“ genannt dem Hochheiligen treu (Hosea, 12, 1). wurden (2 Kön 23,7) ... Mit „qedeshim“ werden an dieser Stelle offensichtlich Und jetzt die Übersetzung Weinfelds (527): Geweihte beider Geschlechter bezeich- net (Gese, 153 & FN 389). Ephraim has encompassed me with lies and the house of Israel with deceit; and Dass die männlichen Geweihten der Göttin Judah still follows El and is still faithful dabei überall als Hunde auftreten, dürfte to the holy ones. nun nicht allein zur kynosophischen Gewiss- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 394

394 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

heit geworden sein. Und dass diese Priester pierend und die tiefenpsychologische nicht nur geistliche Funktionen hatten, be- Fundierung seiner Zweigeschlechtlichkeit stätigt ausgerechnet der Psalmist (68, 18): verkennend. Vor dieser Monopolisierung bezeugt ein aramäischer Text, dass die Die Wagen Gottes sind zahllos, tau- Heilige Hochzeit als Zeremoniell auch in der sendmal tausend. Vom Sinai zieht der Levante, also auch in ´Ajrud, zum Fest des Herr zu seinem Heiligtum, Neuen Jahres gehörte, wie wir ja schon auf unserer Kynosophischen Zeitreise weltweit weiß die Einheitsübersetzung wieder zu bei diesem Datum den Hund, den Karneval täuschen, und die englische Übersetzung und die sexuelle Promiskuität angetroffen Weinfelds (527) führt wieder auf die kon- haben als der ursprünglichen Re-Inszenie- krete Spur des Gefährten, der hier in militä- rung der Heiligen Hochzeit des Götter- rischem Zusammenhang auftritt: paares. Der aramäische Text weiß davon genau zu berichten: God´s chariots, myriads of thousands of archers, the Lord amongst the holy ones A voice from within calls out to him to at Sinai. enter ... After he enters and washes his hands ... the statue of Marah (= Nanai; Die chariots sind nicht einfach Wagen, son- > 416 & 427), the Queen of rs (~ Him- dern Streitwagen, und die archers lässt man mel), is brought into the assembly of nicht unter den zivilisierten Einheitstisch fal- the gods ... The gods rise from their len, sondern benennt sie so, wie es sich thrones ... and give the order for her to gehört, nämlich als Bogenschützen. Und der be seated among them ... Each of the Herr ist auch nicht unterwegs vom Sinai zu assembled gods is asked to bless the seinem Heiligtum, sondern er befindet sich king ... Sheep are slaughtered ... while am Sinai mitten unter seinen Heiligen sixty singers ... lift their voices and sixty Kriegern, die mit ihm in den Heiligen Krieg temple servitors ... burn myrrh and ziehen (ja, den gab´s damals schon). Diese frankincense ... The chief god is invited holy ones am Sinai entsprechen als kelebim to feast on lamb and to become erstens vollkommen den zwischen Sinai und inebriated with wine, to the acompani- Negev zu lokalisierenden Kalebitern als ment of sweet harp and lyre music ... „hundsköpfigen“ Kriegern, zweitens dem The king initiates the rite by declaring: ugaritischen Konzept der göttlichen Ge- “Nanai, thou art my wife ... Nanai, bring folgschaft von El, Aschera und ihren near to me thy lips ... My beloved ..., heiligen Söhnen (bn qds) und drittens dem enter the door into our house. With my Konzept von JHWH und seiner Aschera auf mouth, consort of our lord ..., let me kiss der in Kuntillet ´Ajrud gefundenen Schrift- thee”. They enter the “perfumed hide- tafel. Später dann will JHWH seine Aschera away” ..., where the goddess is laid selber sein - JHWH stellt sich als Mutter dar: upon an embroidered bedspread (in: Weinfeld, 528). Du vergaßest den Gott, der dich gebo- ren (wörtlich: unter Wehen geboren) Wenn also der Ausgräber von Kuntillet hat (In: Deuteronomium 32, 18). ´Ajrud feststellt,

Und JHWH bringt ein paar Jahrhunderte that the sacred marriage provided a später, analog zu Zeus´ Kopfgeburt der powerful symbol for the union of forces Athene und Hüftgeburt des Dionysos, involved in the creation of fertility. The seinen Sohn weitgehend aus sich selbst actual ritual (in Kuntillet ´Ajrud) escapes hervor, die Gebärkraft der Aschera usur- us (in: Weinfeld, 528), Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 395

EXKURS:DER HUNDSSTERN SIRIUS, DER KORNGEIST UND DIE GÖTTIN 395

Arabische (?) „Amazonen“ auf Terrakottafigürchen aus Syrien (2. bis 3. Jahrhundert); auch auf griechischen Vasengemälden und z.B. auf dem Sarkophag des Doms von Cortona werden „berittene Mädchen“ gezeigt, „die hier wie anderwärts an der Spitze (!) eines Heeres männlicher Krieger kämpfend (!) dargestellt sind”. Zitat in: Bachofen 2, 575; Abbildung in: Winter,Abb. 511 & 512.

dann stimmt in der Tat, dass Archäologie die Kadesch Barnea und die Amazonen Rituale nicht rekonstruieren kann, dazu braucht man Texte wie diesen aramäischen, Über das gemeinsame Auftreten der die Heilige Hochzeit in Bethel wieder- von Amazonen und Hundeköpfigen sind gibt, und das Wissen, dass der ägyptische wir aus der Grünen Sahara bereits gut un- Thronfolger bei dieser Gelegenheit einen terrichtet (> II) - es gilt in der Antike als To- Hundeschwanz trug und dass die Heiligen pos: Wo Amazonen, da sind die Hundeköp- von El und Aschera auch Hunde genannt figen nicht fern. Und wo man auf Hun- wurden und ethnohistorische Analogien, deköpfige trifft, darf man auch die Existenz die gar nicht immer weit hergeholt sein von Amazonen voraussetzen. Da unter- müssen wie z.B. das gemeinsame Auftreten scheidet sich die Hebräischen Bibel keines- von Hundeköpfigen (~ Kalebitern) und von wegs von den antiken Autoren, obwohl Amazonen: Das Territorium des Stammes man gerade in diesem durchpatriarchali- Juda liegt auf dem Gebirge, in der Steppe, sierten Werk aktive Kriegerinnen bei den Is- in der Region Schefela und grenzt an Edom raeliten nicht vermutet hätte; nach allem, im Negev - es ist wahrscheinlich, dass die was wir aber bislang erarbeitet haben, dürf- Kalebiter aus der Negev-Wüste nach Nor- ten die Leser die amazonisch-hundeköpfige den zogen, als die übrigen ~ nördlicheren Koinzidenz schon erwartet haben: Der Orts- israelitischen Stämme nach Babylonien de- name Kadesch, der ja ein Heiligtum der Göt- portiert waren, und dass diese übrigen tin (u.a. mit kelebim ~ Hundepriestern) be- Israeliten nicht von Süden, sondern von zeichnet und der sich noch in den heutigen Osten nach Kanaan kamen, wie die Analy- arabischen Ortsbezeichnungen erhalten sen von Rösel und Levy nahelegen. Das hat, kommt in der Bibel öfter vor, u.a. wird könnte auch die von Beltz bemerkte Diffe- Kadesch als Lagerort des mit den Kalebitern renz zwischen den „eigentlichen“ Israeliten verbündeten Keniters Heber erwähnt, und den hündisch konnotierten Kalebitern dessen Frau Jaël den Sisera, den Heerführer erklären. Jabins, des Königs von Kanaan, erschlägt: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 396

396 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Der Keniter Heber aber, der sich von ihre unglaubliche Kraft (schlägt sie den Kain, von den Söhnen Hobabs, des Pflock durch den Teppich oder hat sie den Schwiegervaters Mose, getrennt hatte, Teppich zurückgeschlagen?) und ihre Ge- hatte sein Zelt an der Eiche von Zaanan- wandtheit in der eigentlich sachfremden nim bei Kedesch aufgeschlagen ... Sisera Anwendung eines Zeltpflocks nebst Ham- war zu Fuß (welche Schmach) zum Zelt mer lassen uns auf eine unheimlich autono- der Jaël, der Frau des Keniters Heber, me Frau schließen, die zumindest ihr Zelt geflohen ... Jaël ging Sisera entgegen selbst aufschlagen kann und die auch als und sagte zu ihm: Kehr ein, Herr, kehr Amazone ihren Mann hätte stehen können, ein bei mir, hab keine Angst (in: Richter auch und gerade, wenn der gar nicht da ist, 4, 2-22), weil sie ihn dazu auch gar nicht braucht:

was Sisera auch tut, aber leider nicht mehr Da erschien gerade Barak, der Sisera bereuen kann, denn die gute Frau versteckt verfolgte. Jaël ging ihm entgegen und ihn nach feiner Nomadinnenart unter einem sagte: Komm, ich zeige dir den Mann, Teppich, wie sie wohl auch sonst den Müll den du suchst (in: Richter 4, 22). unter den Teppich zu kehren pflegte, nun aber, da es den Sisera nach Wasser dürstet, Die coole Art der Jaël, kurz nach einem zuerst denselben mit Milch labt, dann wieder eigenhändig vollbrachten Totschlag dem unter den Teppich kehrt, jetzt aber nicht, wie nächstbesten Mann locker entgegenzuge- von Sisera geheißen, sich an den Zelteingang hen und ihn in ihr Zelt einzuladen, um ihm stellt und, wenn einer kommt und fragt: Ist etwas Schönes zu zeigen, sie ist ein weiteres jemand hier? „Nein!“ sagt. Nein, sie holt statt Indiz für die Selbstbestimmung der Frau bei einer Antwort einen Zeltpflock hervor, den den frühen Kenitern, den Freunden der sie wohl nicht unter dem Teppich, sondern Kalebiter. Natürlich haben „Matriarchats- neben demselben zusammen mit einem forscher“ das Amazonentum zu einer Pro- Hammer für Unternehmungen unterschied- jektion griechischer Männerphantasien er- lichster Art längst klug deponiert hatte: klärt: Die Angst vor der sexuellen Potenz der Diesen vielseitig verwendbaren Hammer Frau - die These vom Amazonentum sei oh- nahm sie in ihre des Totschlags vielleicht nicht ne jede soziologische Grundlage, schlicht ein ganz ungeübte zarte Hand, bevor sie Hirngespinst ... von dem Sisera auch nicht wieder lebendig wird. Umrahmt ist die Jaël- zu dem Sisera hinging und ihm den Episode in Richter 4 & 5 vom Bericht über die Zeltpflock durch die Schläfe schlug, so- dass er noch in den Boden drang. So charismatische Führerin Debora, die den fand Sisera, der vor Erschöpfung einge- Barak aus (Kadesch!)-Naftali anstachelt, schlafen war, den Tod (in: Richter 4, 21). die Führung der israelitischen Stämme- koalition zu übernehmen ..., die Debora Wir nehmen natürlich an, dass Siseras Er- in einer für das Überleben der israeli- schöpfung ihren Grund im Kampf und in tischen Stämme sehr bedrohlichen der Flucht findet, aber da wir wissen, dass Situation - die Kanaanäer waren vor kanaanäische Gastfreundschaft mehr als allem durch die Streitwagen besser aus- nur die Labung mit Milch, sondern in einem gerüstet - zum ersten Mal (!) ... zu einem sehr umfassenden Sinn „Kost und Logis“ be- ad-hoc-Bündnis (Winter, 644 & FN 893) deutete, hegen wir gewisse amazonische Assoziationen: Die „Amazonen“ haben ja zu bewegen versteht: Eine Frau, nicht ein angeblich ihren Sexualpartner nach voll- Mann behält im -12. Jahrhundert in der brachtem Beischlaf umgebracht - und die schier aussichtslosen Lage gegen eine Über- kaltblütige Art der Jaël (arab.: Steinbock!), macht von 2.000 Streitwagen kaltes Blut, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 397

EXKURS:DER HUNDSSTERN SIRIUS, DER KORNGEIST UND DIE GÖTTIN 397

bringt eine politisch-militärische Allianz zu- Debora darf deshalb mit den Scheich- stande, und eine weitere Frau eliminiert auf Töchtern der vorislamischen und isla- eigene Faust den gegnerischen Feldherrn: mischen Araber verglichen werden, die Beide werden verklärt in der späteren die Krieger auf ihren Schlachtzügen be- Legende von Judit, die Holofernes, den Feld- gleiteten (!). herrn des babylonischen Königs Nebukad- nezzar, nachdem die israelitischen Krieger Diese Episode um Debora und Jaël bestätigt schon aufgeben wollen, im feindlichen Lager wieder einmal, auch wenn man/frau erst aufsucht, schön geschmückt und geschminkt, etwas länger nachdenken muss, dass es eine den Holofernes erst bezirzt, dann enthaup- substanzielle Nähe gibt zwischen der auto- tet und mit dem Haupt desselben in ihre nomen Frau, dem Heiligtum der Großen Heimatstadt zurückkehrt: Das Buch Judit ist Göttin und dem Hund, der hier zwar nicht zwar reine Fiktion, aber das ihm zugrunde erwähnt wird, aber als Metapher in Gestalt liegende Modell ist historische Realität. des männlichen Priesters der Göttin im Tempel zu Kedesch in Obergaliläa, nahe am Jaël und Judit sind Kriegerinnen mit Lagerort des Keniters Heber, seine Dienst- „Sex-Appeal“, ein Zug, der auch bei der leistungen verrichtete - dieses Kadesch ist Göttin nicht fehlt, als Grabstätte Baraks und seiner „Gemah- lin“ Debora bis ins 14. Jahrhundert Ziel jü- meint Winter (646) und erinnert uns an den discher Wallfahrer (in: Enzyclopaedia Juda- früharabischen Brauch, mit einer Jung(en) ica, 1114). Wenn nun Beltz (83) als Experte Frau an der Spitze des Heeres in den Kampf über die Beziehungen zwischen den Kalebi- zu ziehen. Auch bei diesen frühen Arabern tern und den Kenitern sagt, war der Hund nicht weit von der Amazone entfernt. Aber was heißt hier überhaupt da Keniter und Kalebiter Besitzer des Amazone? Bei der Witwe und Mutter De- Negeb waren (I Sam 27,10; 30,14), er- bora glaubt J. Kegler scheint eine Vermischung ihrer Tradi- tionen dergestalt möglich, dass die Ur- aus dem Satz ´bis ich aufstand, eine vätersage der einen auch den anderen Mutter in Israel` den Stolz und das bekannt war. Tradent dieser Tradition Selbstbewusstsein einer Frau heraus- mag Kaleb gewesen sein. Die Urheimat zuhören, die um die objektive Überle- der Überlieferung Gen 4 ist bei den genheit des Mutterseins über das Va- Kenitern zu suchen, tersein in ihrer Gesellschaft weiß ... Die mannhafte, wehrhafte Frau, die ver- dann erscheint es mir nicht nur kynoso- mochte, was Männer sich nicht zutrau- phisch zulässig, bei beiden Stammesforma- ten, die initiativ wurde, anstachelte, tionen Kaleb als gemeinsamen Nenner mit agierte, zum Kampf ermutigte. Eine allen Konsequenzen annehmen zu dürfen. Mutter, die sich für ihre Kinder verant- Die Ironie der Geschichte ist nun, dass die wortlich fühlte und darum politisch hundefeindlichen Israeliten das ihnen ver- aktiv wurde (in: Winter, 647). heißene und leider bereits von anderen Stämmen bewohnte Land Kanaan nur mit In dieser Würdigung berücksichtigt Kegler Hilfe der im totemistischen Sinn hundebe- noch nicht Deboras militärisches Engage- sessenen und deshalb ein Hundeprotom tra- ment, da sie die Krieger singend in die genden Kalebiter-Krieger erobern konnten: Schlacht „begleitete“, wie Winter (648) kor- Eine Genugtuung, von der der Hund heute rekt und zugleich verharmlosend formuliert leider nichts mehr hat. Vergessen wir auch - passender wäre wohl: Da sie die Krieger nicht die Unterlegenen: Wer sind bzw. wa- singend in die Schlacht geleitete: ren die Vorbewohner Kanaans eigentlich? Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 398

398 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Die Vorbewohner Kanaans: Bewohner des Landes zwar als ethnische Be- Elitäres Bewusstsein und Genozid zeichnungen präsentiert, aber nur die Gene- sis (17, 8; 23, 4; 26, 3 u.a.) bleibt bei dieser le- In der Hebräischen Bibel erfahren gitimen Information stehen, indem sie die wir kaum etwas über die Vorbewohner des hebräischen Patriarchen als Fremdlinge sieht Gelobten Landes - und das hat seinen guten Grund, denn im Deuteronomium wird ein inmitten der Kanaaniter, der Hetiter Bild gezeichnet von der Identität und be- usw. Über die Bewohner des Landes fällt sonders von den physio- wie psycholo- kein abfälliges Wort. Die Patriarchen gischen Kennzeichen der vorisraelitischen, praktizieren in Freiheit ihren Got- also autochthonen Bevölkerung Kanaans, tesdienst (Gen. 12, 7f.; 13, 4 usw.). Gott das v.a. zwei Informationen vermitteln soll: zeichnet sich in der Genesis durch Ka- tholizität (~ alle Glaubensbekenntnisse (1) Die Charakterisierung JHWH´s als ei- umfassend) aus (Gen. 14, 18 & 20; 20, 3- nes universalen Gottes, dem nichts ent- 7). Unmoralisches Verhalten der Landes- gegengesetzt werden kann und dessen bewohner wird zwar genannt (Gen. 13, Handeln hinsichtlich Israels Nachbar- 13; 18, 20f.; 19,, 5-9), nicht aber ihre Ab- völker - er hat ihre ´Landnahme` mög- götterei. Häufig übertrifft ihr Verhalten lich gemacht - alles Vertrauen in die das der Patriarchen (Gen. 20; 26; 34). Realisierung dessen, was er Israel zuge- Heiraten werden geschlossen (Gen. 38, 2 sagt hat, weckt; & 6; 46, 10). Zusammenarbeit findet statt (Gen. 23; 26, 12-22) usw.). Von einer (2) die Charakterisierung der auto- Antithese zwischen JHWH und den ´an- chthonen Bewohner Kanaans als gott- deren Göttern` ist zum ersten Mal in den lose Wesen und völlige Unmenschen, Sinai-Vorschriften die Rede (z.B. Ex. 20; um schlussendlich ihre Liquidierung von 23, 24f., 32f. usw.) (Houtman, 64). Seiten Israels zu legitimieren und den Eindruck zu entkräften, dass Israel sich Die Eindringlinge, jetzt eher noch Einwan- des unmoralischen Verhaltens und Ge- derer als Zuwanderer, kommen in eine nozids schuldig gemacht haben soll Landschaft der Toleranz, und Gott ist noch (Houtman, 65). nicht monopolisiert. Das findet vor der Ein- wanderung erst in den Sinai-Vorschriften Es lohnt sich, gerade hier an dieser ersten statt und wird im Deuteronomium zum Sys- monotheistischen Religion paradigmatisch tem entwickelt. Nur wenige abfällige Äuße- die Methode der Stigmatisierung und der rungen sind in der Genesis (9, 20-7; 15, 16 & Einsperrung von Mitmenschen in subhuma- 19-21) über die gastgebende Urbevölke- ne, ja: inhumane Kategorien zu analysieren, rung zu konstatieren. Der Dichter der Ge- da sie in der Geschichte bis heute Schule ge- nesis schließt die Auffassung trotz der spür- macht hat - die Deutschen waren die bislang bar antithetischen Haltung Israels noch aus, besten Schüler, was sie mit dem industriell geplanten und durchgeführten Genozid dass Israel sein Land erhält, indem ande- nicht nur an den Juden, sondern auch an den re Völker rücksichtlos unter die Räder Sinti und Roma u.a. schrecklichst unter Be- kommen ... schließlich wird deutlich, weis stellten. Das mag der vorläufige Gipfel dass Israel aufgefordet wird, das Gebiet einer Geisteshaltung gewesen sein, die im der ´normalen` Völker - hier: verwandten Schatten dieses Rekords der Unmenschlich- Völker (das ist nicht die Urbevölkerung!) keit weiter ihr Unwesen treibt. Wie also wird - unangetastet zu lassen und zu respek- ein Genozid legitimiert? In der Hebräischen tieren, auch wenn sie nicht denselben Bibel werden die Namen der vorisraelitischen Gottesdienst ausüben (Houtman, 65). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 399

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Der Unterschied zwischen ´normalen` Völ- dem späteren Zielpunkt der Kalebiter. Ich kern und der Vorbevölkerung ist also schon bin kein Kenner der palästinischen Materie, in der Genesis latent, und ein Blick ins Deu- aber es scheint mir schon eine falsche Vor- teronomium zeigt, wie die Toleranz der In- entscheidung zu sein, überhaupt an einen toleranz gegenüber sich auszahlt: Jetzt Stammvater zu denken: Die westasiatische zeichnet der Dichter, anders als in der Ge- und europäische Große Göttin heißt Ana, nesis, ein durchweg negatives Bild des vor- sie erscheint noch mit dem Namen Anna als israelitischen Kanaan: Großmutter des Jesus von Nazareth. Leitet man die Anakiter also von einer Stamm- Das Land wird von sieben Völkern mit mutter ab, dann kommt man natürlich auch einem völlig verwerflichen Gottesdienst zu frühmatriarchalen Verhältnissen, in de- bewohnt (20, 18), die eine große Gefahr nen zwar der Akt, der zur Zeugung führt, für die Reinheit von Israels Gottesdienst die Zeugung als solche aber noch nicht als darstellen (7, 2-6), da das Land anson- Ursache der Schwangerschaft erkannt ist sten von Untreue gegenüber JHWH er- (ähnliche Verhältnisse analysiert Erkes für füllt zu werden droht (Houtman, 52). das Alte China (> V)). Die Stammmutter An- na bzw. Ana(th) ist nicht weit, wenn Origi- Die mythische Zahl sieben und die Extrem- nes über die Mutter des Jesus spottet, die position totaler Ablehnung der anderen Glaubensbekenntnisse und die eigene Rein- „von einem Zimmermanne, mit dem sie heit sprechen eine ganz andere, neue Spra- verlobt war, verstoßen worden sei, weil che als in der Genesis. Der angeblich im Ge- sie des Ehebruchs überführt worden sei gensatz zur Genesis jetzt notwendige und von einem Soldaten namens Schutz der reinen Gottesanbetung liefert ei- Panthera geboren habe“ (Origines, Ge- ne automatisierte, nicht mehr zu hinterfra- gen Celsus I, 32). Hier ist die „Mutter Je- gende Legitimation, die Andersgläubigen, su“ diejenige, die den natürlichen, den die man mit pseudoethnischen und negativ zeitlichen Anfang ihres Sohnes als konnotierten Begriffen wie Amoriter oder Mensch repräsentiert. Als solche ist sie Kanaaniter usw. bezeichnet, auszurotten: ein „gefallenes Mädchen“, womit sich auch das in den Apostolischen Konsti- Amoriter zu sein heißt, sich abscheulicher tutionen erwähnte „Naserümpfen“ der Abgötterei schuldig zu machen. Logische „Heiden“ erklärt. Der verkündigunsen- Konsequenz ist: Die reine Lehre ist deshalb gel Gabriel aber, dessen Gruß Maria bedroht, und die Gefahr muss eliminiert nach Ambrosius (Lukaskommentar II, 8) werden. Wer sind nun diese Andersgläubi- „allein, ohne Begleiter ... trifft“; dieser gen und was glauben sie? Die Vorbewohner Verkündigungsengel wird zum rö- Palästinas werden im Deuteronomium (1, mischen Legionär, der die Gelegenheit 28 & 9, 2) auch als Anakiter und als ein nutzt (Treusch-Dieter, 184). großes und hochgewachsenes Volk be- zeichnet. Es wird der Eindruck erweckt (in 9, Es ist also offiziell nur die Mutter als Anna- 2), die gesamte Vorbevölkerung bestehe Tochter bekannt, nicht der Vater, an dessen aus Anakitern, die man nicht nur westlich Stelle ein transpersonaler Erzeuger Gabriel des Jordan antrifft, sondern auch in Trans- tritt, den man immer noch nicht entbehren jordanien. Man hat diskutiert, ob Anak ein zu können glaubt. Die Region hat also auch Personenname sei, in dieser Hinsicht eine lange Tradition. Län- derübergreifend wäre auch der alternative der Stammvater, oder der Name eines Versuch, die Anakiter etymologisch mit anaq Kollektivs oder eines Ortsnamens, der (~ Halskette) zu erklären: Die palästinischen alte Name von Hebron (Houtman, 53), Menschen verdanken dann Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 400

400 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

ihren Namen Ringen, die sie oder ihre wohnern der Erde (also auch allen Nicht- Tiere um den Hals trugen, oder einem Israeliten) gesetzt hat (Houtman, 55). Kon- Vorvater oder dem Kriegsgott, dessen sequenter Weise hat, wie Houtman (54) teil- Name ´dass er am Hals umfasse` = ´dass er weise richtig erwähnt, Josua die Anakiter in herrsche` bedeuten soll (Houtman, 54). Kanaan liquidiert und wir fragen Herrn Houtman, ob nicht auch ein gewisser Herr Wahrscheinlicher ist aber das Tragen von Kaleb mit von der Eroberungspartie war und Halsketten, die aus mehr und mehr Ringen sogar ihren Löwenanteil bestritten hat, bestehen, denn unter denn Albright (210) weiß schon 1940, dass

Berufung auf das Arabische wird der the rôle of Joshua has been expanded Name als ´Menschen mit einem langem by tradition and that he had less to do Hals` verstanden (Houtman, 54), with the conquest of Judah and Galilee than would appear from superficial rea- und ein langer Hals macht den Menschen ding of the book which bears his name. länger, wenn auch nicht gleich größer. Das passt zu der Kennzeichnung, sie seien hoch- Und auch Houtman kennt den Kontext: gewachsen, und zu der späteren Sage des Kampfes Davids gegen den Riesen Goliath, Aus dem Bericht der Kundschafter (~ der in dieser Perspektive als der letzte Ana- Josua und Kaleb) - und der Wiedergabe kiter vor ihrer Ausrottung erscheint, denn die in Dtn. i 28 - kann man schlussfolgern, Anakiter werden explizit den Riesen zuge- dass das ganze Land von Menschen mit rechnet (in: Numeri 13, 33) und d.h., den stattlichem Wuchs und zudem noch von Anakitern ... bewohnt war. In ix 2 ist die Menschen mit einem derart gefürchte- Beschreibung noch stärker zugespitzt: ten Ruf, dass man (~ die Israeliten) vor Die ganze vorisraelitische Bevölkerung ihnen zittert ... Kurzum: Die Anakiter besteht aus Anakitern (Houtman, 55). sind Personen, die einem Angst ein- jagen (Houtman, 54). Auch bei Kaleb scheint wie schon beim angeblichen Stammvater der Anakiter die Der hohe Wuchs - man denke in dieser Hin- Schere im Kopf Houtmans eine hebräisch- sicht an die Schilluk (> II, 557: Abb. 171) - und christliche Zensur auszuüben, denn der pa- die Ornatkomponente der Halsringe, die den triarchale Filter lässt Houtman auch bei den Hals und mit ihm den Körper verlängern (> II, Rafaïtern, einer anderen Bezeichnung für 507: Abb. 20) lassen einen anaq zu Recht als die Vorbewohner Kanaans, an einen Stamm- einen Krieger, Helden, Riesen erscheinen. vater Rafa denken, dessen Name von der Und wenn wir uns den Krieger noch mit ei- Wurzel *harapa kommt. Falls die matriar- ner Hundsfellkappe als Teilprotom vorstel- chale Harappa-Kultur im Indus-Tal semitisch len, das die Kampfkraft wahrscheinlich ins beeinflusst war, dürfte *harapa nicht patri- Berserkerhafte steigerte, dann erreicht der archal konnotiert sein. Der Name Rafaïter (> militärische Gegner der Eindringlinge eine 197: Bildkommentar) für die Vorbewohner bedrohliche Größe. Riesen sind Monster, Kanaans bezeichnet Personen von riesen- und Monster haben keinen Gott: Die „Gott- haftem Wuchs, und vielleicht zeigt diese per- losigkeit“ der Anakiter äußert sich aus manente Betonung des Riesenhaften, dass israelitischer Perspektive auch darin, dass die die Vorbewohner nicht nur architektonisch, Bauwerke ihrer Städte wie der Turm zu Ba- sondern allein schon durch ihre Gestalt sich bylon in den Himmel streben und so die gegen die Ge- oder Verbote JHWHs versün- Grenzen überschreiten, die Gott (nicht ihr digen. Dazu könnte passen, dass die vieldis- Gott, sondern der der Israeliten) den Be- kutierte Wurzel für Rafaïter - repa´im - Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 401

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in prophetischen und poetischen Tex- dass er sechs Finger und sechs Zehen an ten mit einer ganz eigenen Bedeutung, jeder Hand bzw. jedem Fuß hatte (2 nämlich als Beschreibung für die Toten, Sam xxi 20 & 1 Chr xx 6), was sie zu ei- die Schatten, begegnet (Houtman, 56). ner monsterartigen Erscheinung macht (Houtman, 57). Für Houtman (57) ergibt diese Komponente keinen Sinn im Zusammenhang mit seinem Man hat auf den Golan-Höhen menschliche Thema, ich glaube aber, dass man davon aus- Skelette gefunden, die mit einer Länge von gehen kann, dass hier der Ahnenkult um- 190 cm gegenüber der Standardlänge von schreibend bezeichnet wird, den die Vorbe- 158 cm als Riesen bezeichnet werden kön- völkerung praktiziert und der den Israeliten nen. Es handelt sich bei den Golan-Höhen vom eifersüchtigen JHWH verboten ist und und Bashan/Bet Shan um das ursprüngliche der folglich offiziell auch nicht praktiziert Gebiet der Rephaim, denen auch sechs Fin- wird, wie E. C. Kim in seinem wertlosen Bei- ger als Anomalie nachgesagt werden (> 197). trag zum Cult of the Dead and The Old Te- stament Negation of Ancestor Worship Über Houtman hinaus wissen wir, dass sol- nachzuweisen versucht: Es gibt in der He- che Kennzeichen i.A. auf eine schama- bräischen Bibel genügend indirekte Hinwei- nistisch geprägte Gesellschaft hinweisen, se für einen frühen Ahnenkult - und was ist die selbstverständlich nicht kompatibel ist die ständige Erinnerung an die Heldentaten mit dem Monotheismus. der Patriarchen denn anderes als eine pro- fanierte Form von Ahnenkult? Und wo ein Dieses Indiz verstärkt meine These von den beliebter Kult unterdrückt wird, blüht er im berserkerhaften Kriegern der Vorbevölke- Verborgenen fort, zumal mit seiner Zensur rung und rückt Kalebs Leistung bei der Er- auch die Frau als religiöses Wesen unterver- oberung des von JHWH zugesagten Landes sorgt ist, wie Urs Winter treffend feststellt: erst ins rechte Licht. Die Gegner der Ein- dringlinge werden aber nicht nur physiolo- Je stärker aber eine Frau vom offiziellen gisch abqualifiziert: Kult ausgeschlossen war, desto mehr wird sie sich Formen privater Religio- Bedrohlicher ist jedoch ihre Art; es sind sität, wo die Grenzen zur Scharlatanerie JHWH (analog zu Zeus) nicht gefällige nicht immer klar aufscheinen, zuge- Wesen (Gen. vi 1-4), von Natur ´Titanen` wandt haben (Winter, 51). (~ die Göttergeneration vor Zeus, JHWH und Konsorten). Ihre Gegenwart im Der um sein Monopol besorgte Gott aber Land ist für das Bild der Bewohner cha- schneidet die früher intensiven Verbindun- rakteristisch: Derartige Figuren werden gen zu den Ahnen ab und erwartet, dass nur in einem ´vorsintflutlichen` Klima sich die Gläubigen seiner Willkür und nicht ungezügelter Gottlosigkeit toleriert der - wenn auch immer ambivalenten - Soli- (Houtman, 57-8), darität ihrer Ahnen anvertrauen. Zu meiner These vom Ahnenkult könnte dann auch ein Vorwurf, den die Hebräer den Philistern meine Vermutung eines (Teil-)Protoms pas- machen, die immer noch Anakiter unter sich sen, mit der die Anakiter ihre Gestalt zu- dulden: JHWH ist der einzige Gott, und wer sätzlich zu den Halsringen/Halsbändern ver- nicht JHWH anbetet, sondern andere Gott- längern und als riesenhafte, als Berserker ge- heiten (männliche wie weibliche), ist gott- fürchtete Krieger erscheinen. Rafaïter und los: Die bloße Gegenwart dieser Gottlosen Anakiter sind Wesen, die schon aufgrund ih- rer Erscheinung Angst einflößen: Von einem legitimiert bereits die Liquidierung der Rafaïter weiß die Hebräische Bibel, Landesbewohner (Houtman, 58). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 402

402 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Neue, d.h. bessere, Gott wohlgefälligere zu schaden: Die Ammoniter erwarten also, Menschen treten an die Stelle der früheren, dass die Vorbewohner sich weit vor der Zeit gottlosen Bewohner des Landes. Schon vor schon wie gute Christen verhalten, indem dieser Vernichtungsideologie verbietet die sie die andere Wange auch noch hinhalten patriarchale Zensur, die sich im Glauben an - alles andere wäre böse. Eine andere Ablei- einen menschlichen Stammvater manifes- tung der Bezeichnung Samsumiter bezieht tiert, eine Vermischung mit jenen Halb- den Namen auf das arabische zamzama und oder Untermenschen ~ Under-Dogs, die sich versteht die Samsumiter als diejenigen, auf einen tierischen (~ transpersonalen) Stammvater berufen: Diese Zensur hat ein die murmeln, flüstern/unzusammen- hohes Alter, denn JHWH äußert schon in der hängende Klänge ausstoßen ..., wobei Genesis (6, 1-4) sein Missfallen über die Ver- an Geister gedacht wird oder an Men- bindung der Söhne Gottes (also seine) und schen, deren Sprache unverständlich ist den Töchtern der Menschen (~ dieser Men- (Houtman, 59). schen = Anakiter), und daraus folgt später das Gebot, man möge sich nicht vermischen Wir erinnern uns an dieselbe Methode der mit den Töchtern des Landes - das ist wohl Tuareg, ihre negroiden Nachbarn als un- eine Art von Blutreinheit und Rassenschan- mündige, geistig zurückgebliebene Men- de: Rassismus, theologisch motiviert. Wer schen abzuqualifizieren (> II). Auch die das (~ sein) Blut rein erhalten will, sorgt natürlich am besten für die Reinheit des Bo- Samsumiter wurden durch JHWH´s Zu- dens, indem er die Vorbevölkerung von die- tun vertrieben und vernichtet, sodass sem vertreibt oder sie vernichtet. Man ent- die Ammoniter sich in ihrem Gebiet lastet sich, falls man überhaupt ein Unbe- niederlassen konnten (Houtman, 59). hagen am Genozid empfindet, mit der Delegation der Tat an JHWH selbst: Die Vor- Nochmals steigen mit dieser Information bevölkerung wurde durch JHWH´s Zutun die Aktien des Herrn Kaleb, der doch wohl vertrieben und vernichtet (Houtman, 58). die rechte Hand JHWH´s gewesen sein muss Oder man parallelisiert die Ausrottungs- - schade nur, dass die Hebräer dieser rechten aktion mit einer Naturkatastrophe: Hand nicht das zugestehen wollten, was sie vorher mit ihr vereinbart hatten. So weit Von den Riesen wird gesagt, dass sie in reicht die ideologische Verblendung denn ´dem Tal der Riesen` (Jos xv 8 usw.) doch nicht. Mit der radikalen Vernichtung wohnten und vom selben Schlag wie der Vorbevölkerung feiert die Ideologie von die Riesen waren, die durch die Sintflut Blut und Boden hier bei den Israeliten, Am- ausgerottet wurden (Houtman, 58, FN monitern, Moabitern usw. einen ersten 23). Höhepunkt. Man darf bei dieser Feststel- lung aber nicht stehen bleiben: Es ist ein Alles Gute kommt von oben: JHWH als Ma- substantieller Unterschied, ob so zu Beginn cher des Regens, der die Riesen ~ Monster einer monotheistischen Religion gedacht ausrottet. Von den Ammonitern, mit den Is- wird oder gar gedacht werden „muss“, um raeliten verwandt und von diesen als weit- den Anspruch des göttlichen Monopols gehend gleichwertig betrachtet, wurden durchsetzen zu können in einem Umfeld, die Vorbewohner Kanaans Samsumiter ge- das offensichtlich weitgehend animistisch nannt: Der Name bedeutet etwa Pläne- denkt, oder ob man nach Lessings Nathan macher, Intriganten und unterstellt seinen dem Weisen zur Blut-und-Boden-Ideologie Trägern, den Pläne machenden Vorbewoh- mit allen mörderischen Konsequenzen nern, dass sie Böses ersinnen (Houtman, 59), zurückkehrt. Wenn ich sage, dass ich hier ei- um den Eindringlingen, den Ammonitern, nen substanziellen Unterschied sehe zwi- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 403

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schen früher und später BluBo-Ideologie, über das Teilprotom der Anakiter erschlos- dann gibt es diesen Unterschied leider nicht sen habe. Wenn Houtman (62) im Gegen- für die Opfer, die in beiden Fällen erst ins satz zu mir meint, all diese Informationen Monsterhafte und/oder Subhumane kate- über die Vorbewohner Kanaans trügen gorisiert und dann ausgerottet werden. Zu diesem Vernichtungsfeldzug trägt ferner nicht zum Verständnis der Namen bei. bei, dass die auch als Horiter bezeichneten Dasselbe gilt für die außerbiblischen Vorbewohner Kanaans wahrscheinlich Angaben, wie die Information ... über Höhlenbewohner waren, auch wenn die die Rafaïter, und für die u.a. in diesem Etymologen sich da nicht ganz sicher sind, Zusammenhang angenommenen Ver- bindungen zwischen den ursprüng- auffällig ist jedoch, dass die Edomiter lichen Bewohnern und der Geisterwelt, als Menschen betrachtet werden, die in Spalten und Bergpässen lebten ... So dann kann ich in dieser freiwilligen Selbst- wird ´Horiter` ein von den Edomitern kontrolle Houtmans nur ein bedauerliches verwandter Spottname für ihre ange- mythologisches Defizit erkennen. Zuzustim- nommenen Vorgänger sein können, men ist Houtman jedoch, wenn der israeli- der auch auf sie selbst zutrifft. Wie dem tischen Konstruktion der vorisraelitischen auch sei, ´Höhlenbewohner` ist eine Geschichte von Palästina und Umgebung ei- zutreffende Bezeichnung für eine my- ne theologische Absicht attestiert wird, die thische Urbevölkerung, sich u.a. in dem Bemühen zeigt, dass die Überlegenheit JHWH´s erwiesen wird und meint Houtman (60) und verweist auf die dass bei den Israeliten das notwendige Ver- Zyklopen, die Menschen fressenden Riesen, trauen in das Gelingen der zukünftigen In- über die in Homers Odyssee (VI, 5) berichtet besitznahme des Landes entsteht, indem wird: Die wohnten auch in Grotten. Neben der Erkenntnis, dass Eroberer die Lebens- Israels zukünftige Nachbarvölker durch weise der zu eliminierenden Vorbewohner JHWH´s Zutun ... den Platz der früheren Tieren angleichen, um sie besser ausrotten Bewohner ihres (wessen?) Landes ein- zu können - man denke an die Garamanten, nehmen konnten und Israel selber den die Jagd auf Höhlenbewohner machten (> Platz der transjordanischen Amoriter ... II) -, ist der Hinweis in zweierlei Hinsicht trotz des Fortbestehens der Rafaïter über Houtmans Untergrund-Theorie hinaus einnehmen konnte ... Daraus wird er- zusätzlich ernstzunehmen: Zum Einen sichtlich, dass JHWH ein universaler spricht das Klima für die Wahl der Höhle als Gott ist, der jedem Volk seinen Platz ... einer Sommer wie Winter gleichbleibend und Israel seine ganz besondere Stel- temperierten Wohnung und zum Andern lung ... zuweist (Houtman, 63). wird neben diesem alltagspraktischen Mo- tiv gleichwertig, weil nicht von ihm ab- Natürlich denkt/dünkt sich dieser Gott nur trennbar, ein religiöser Grund die Wahl der monotheistisch ausgerichtete Völker als Höhle als Wohnort motiviert haben: Die ebenbürtige Partner - real ist es natürlich um- Nähe zu den chthonisch-matriarchalen gekehrt. Daher erscheinen mir gegen Hout- Gottheiten und zu den Ahnen, die meist in mans These, die israelitischen Bezeichnungen den hinteren Abschnitten der Wohnhöhlen der eliminierten Vorbevölkerung trügen beigesetzt wurden. Diese Annahme über- nichts bei zum Verständnis des Ausrottungs- trage ich von analogen Fällen auf die Hori- vorgangs, pardon: der Landnahme, gerade ter, weil so über die bloße Wohnweise hin- diese Informationen über durchgängig fürch- aus ein mit ihr unauflöslich verbundener terliche, grauenhafte und unkultiviert woh- Ahnenkult anzunehmen ist, den ich ja schon nende Gegner als ein essentieller Beitrag Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 404

404 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

zum Bild von JHWH als einem Gott ..., und daraus das Recht abgeleitet, im dem nichts entgegengesetzt werden Namen Gottes (oder in säkularisierter kann (Houtman, 63), Form: Im Namen der Gesellschaft oder des Fortschritts) auf äußerst barbarische ja, mit Houtman zu reden, wird dadurch Weise gegen die von ihnen als Barbaren betrachteten Völker in den verschie- verstärkt auch die Legitimation ... zur densten Teilen der Welt aufzutreten Liquidierung der ursprünglichen Be- (Houtman, 64, FN 51). wohner. Sie sind wie Unkraut, das bes- ser mitsamt der Wurzel ausgerissen Diese Fernwirkungen ideologischer Fort- werden sollte (Houtman, 63). schrittlichkeit haben vor der Schwelle zum 21. Jahrhundert nicht haltgemacht: Jetzt Und schließlich gelangt auch noch Houtman sind es Demokratie und Freiheit, die dazu zu der Erkenntnis, herhalten müssen, um hegemoniale Inter- essen zu kaschieren. Demokratie als Export- dass die Beschreibung der Landesbe- artikel eines amerikanischen, angeblich wohner (im Deuteronomium) das Ziel christlich-fundamentalistischen Präsiden- verfolgt, ein völliges Verständnis für ten, der nicht demokratisch gewählt wur- ihre Liquidierung zu wecken. Was dem de? Freiheit, CocaCola konsumieren zu dür- Umstand keinen Abbruch tut, beson- fen, sofern man das Geld dafür übrig hat? ders wenn die Namen der vorisraeli- Kehren wir wieder zurück ins Heilige Land, tischen Bewohner als Decknamen für das idealistisch betrachtet ein Unheiliges Bevölkerungsgruppen oder Parteien Land ist, da es mit Mitteln erobert wurde, aus der Zeit des Schreibers stehen, dass die mit dem versprochenen paradiesischen die Ideologie moralisch und theologisch Endzustand - Milch und Honig! - nicht ver- diskutabel ist. Auch im ersten Fall ist das einbar sind. Mehr als die oben dargelegten präsentierte Gottesbild für einen Exe- Informationen über die Vorbevölkerung ist geten des 21. Jahrhunderts verständlich der Hebräischen Bibel nicht zu entnehmen, und zu erklären, wenn auch nicht jedenfalls nicht direkt. Indirekt aber wird unproblematisch. Es steht nicht isoliert deutlich, was wir uns konkret unter der Ab- im AT (~ Alten Textament). Im Buch götterei der Vorbevölkerung vorzustellen Exodus missfällt es dem Gott, der vom haben, wenn wir nach denen suchen, die Schicksal Israels berührt ist und reagiert JHWH´s größte Feinde sind. Doch vorher (Ex. ii 23-25), im Fall drohenden Geno- sollten wir uns in einem Exkurs nach Rom zids (Ex i 9-22) nicht, als Parteigänger fragen, ob vielleicht manchmal Wein trinkt, von demselben Mittel, nämlich dem wer öffentlich Wasser predigt: Töten von Kindern (Ex iv 22f.; xi 4-6; xii 9f.), in seiner Konfrontation mit Wider- sachern Gebrauch zu machen (Hout- Exkurs: Paulina und Anubis man, 63-4, FN 51). Der jüdische Geschichtsschreiber Aug´ um Auge, Zahn um Zahn: Orthodoxer Josephus berichtet im 18. Buch seiner Jü- Fundamentalismus bis heute. Die vorge- dischen Altertümer über einen Aufstand stellten Texte aus dem Deuteronomium und der Juden gegen die römische Besatzung, über Jesus, über Paulina und über eine wei- verwandten Abschnitten im AT haben tere römische Unterdrückungsmaßnahme auf jeden Fall eine dubiose Wirkungs- gegen die Juden. Ich nehme an, dass Pauli- geschichte gehabt. Kolonisierende na den Lesern bislang so unbekannt war wie Völker haben sich mit Israel identifiziert mir. Die Konstruktion des 18. Buchs ist in der Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 405

GAB ES HUNDE-ZEREMONIELLE IM MONOTHEISTISCHEN ISRAEL? 405

Tat merkwürdig, fügt Josephus doch zwi- ge Detail aus dieser einen Nacht, die für sie schen zwei politischen Ereignissen einen wie 1.000 Nächte war. Die Zuhörer können scheinbar religiösen Vorgang, nämlich das es eigentlich nicht glauben, aber die Tu- Leben des Jesus innerhalb von zwölfeinhalb gendhaftigkeit und Religiosität Paulinas läs- Zeilen und einen scheinbar rein privaten st sie sich wenigstens wundern, war doch an- Vorgang von gut neunzig Zeilen ein, der al- scheinend in der Tat ein Wunder geschehen. lerdings politische Auswirkungen hat. Zu- Kein Wunder ist es allerdings, dass zwei Ta- dem kündigt er das zweite Ereignis an, be- ge später Decius Mundus der Paulina seine vor er die Episode um Paulina und Anubis so- Aufwartung macht und ihr höhnisch mit- wie die Erwähnung des Jesus einschiebt: teilt, sie habe sich um 200.000 Drachmen ge- Paulina ist eine Frau aus adliger Familie, die bracht, während er fast ganz umsonst zu sei- als Gattin des Saturninus äußerst tugend- nem Vergnügen gekommen sei. Gatte Sa- haft lebt, aber von Decius Mundus ebenso turninus hinterbringt dem Kaiser Tiberius untugendhaft begehrt wird. Nachdem der höchstselbst die unerfreuliche Nachricht, Kavalier sich mehrere Körbe geholt hat und und der, nach kurzer Untersuchung und ihr schließlich für eine Nacht mit ihr 200.000 noch kürzerem Prozess, lässt die beiden Isis- Drachmen anbietet, was die Tugendhafte Priester und Ida, die Listenreiche, ans Kreuz ablehnt, verfällt er mit Hilfe seiner Magd Ida nageln. Tiberius ließ den Isis-Tempel schlei- auf die Idee, über einige Priester des Isis- fen und die Statue der Göttin in den Tiber Tempels die tugendhafte und religiöse Pau- werfen. Mundus musste nur ins Exil gehen, lina doch noch rumzukriegen - Ida verlangt hielt man ihm doch wegen des Gefühlsnot- als Erfolgsprovision lediglich 50.000 Drach- stands mildernde Umstände zugute. Nun men. Ein Priester übermittelt der Isis-Anbe- macht Josephus, ganz moderner Fellini, ei- terin Paulina den Wunsch des Gottes Anubis, nen harten Schnitt und kommt ohne weite- mit ihr eine Nacht zu verbringen. Diese fro- re Vermittlung der Sachverhalte auf die he Botschaft mit der Einladung zum gött- schon angekündigte Unterdrückungsmaß- lichen Stelldichein ist das Höchste, das Pau- nahme des Kaisers Tiberius gegen die Juden lina je ersehnt hat - sie erzählt das Zukünf- in Rom zurück. Er erzählt diesmal von einer tige ihren Freundinnen und auch ihrem Gat- adligen Römerin namens Fulvia, die zum jü- ten, der keinerlei Zweifel an der religiösen dischen Glauben konvertiert und sich von Tugendhaftigkeit seines Weibes hegt. Nach vier jüdischen Schriftgelehrten in Rom aus- dem üblichen Dinner zu zweit, nämlich mit nehmen lässt, indem die vier glorreichen Ha- ihrem Gatten Saturninus, geht Paulina zum lunken die von ihr für den Tempel in Jerusa- Tempel, dessen Tore hinter ihr geschlossen lem gestifteten Geschenke in Form von Pur- und dessen Lampen gelöscht werden - es ist pur und Gold in die eigene Tasche stecken, jetzt ganz dunkel in der black box des Tem- um dann vier Fäuste für ein Halleluja zu bal- pels wie anderswo in der Kammer der Heili- len. Fulvia wird aus irgendeinem Grund miss- gen Hochzeit, und der zuvor versteckte Un- trauisch und bittet ihren Mann, der merk- heilige Bräutigam wird nun, da er als Anubis würdiger Weise auch Saturninus heißt, sich maskiert auftritt, nicht zurückgestoßen, son- ihres Verdachts anzunehmen. Auch dieser dern mit einem die ganze Nacht andauern- Saturninus hat Zugang zum Kaiser Tiberius, den Service von Paulina verwöhnt, die ja denn er ist sein Freund, und seine Majestät glaubt, die Heilige Hochzeit mit einem Gott ordnet die Exilierung aller Juden nach Sardi- zu vollziehen. Der scheinheilige Gott verlässt nien an. Louis H. Feldman, der die Jüdischen sie, bevor die Priester die Tore des Tempels Altertümer des Josephus ins Englische über- wieder öffnen und die Lampen anzünden. setzt hat, fühlt sich an dieser Stelle (58, FN b) Paulina kehrt zu ihrem Gatten zurück, aber zu dem Kommentar bemüßigt, sein ameri- nicht nur ihm, sondern auch allen ihren kanischer Kollege W.A. Heidel habe mit sei- Freundinnen erzählt sie jedes noch so winzi- nem Verdacht völlig falsch gelegen, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 406

406 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

that Fulvia was actually invited to beco- falls zu denken. Es mag Zufall sein, dass die me a temple prostitute which grows out ägyptische Tempelprostitution und die jü- of Tacitus´ statement, in the same chap- dische Spendenhinterziehung parallel er- ter in which he discusses the expulsion, zählt werden - für den Kaiser resümieren sie that Tiberius took mesures to check pro- sich zu demselben Einfluss ausländischer Re- stitution among women of equestrian ligionen, die die römische Mentalität von in- families; but there was no religious pro- nen heraus aushöhlen. Es geht vermutlich stitution among Jews at this time. zu weit, statt der Parallelisierung beider Er- eignisse einen Kreuztausch anzunehmen Sakrale Prostitution hat es aber zumindest mit dem Ergebnis, es habe im jüdischen im Isis-Tempel gegeben, wie wäre Ida sonst Tempel sakrale Prostitution gegeben, die auf die listenreiche Idee gekommen? Und Josephus durch eben jenen Tausch habe ei- wenn auch unwissentlich, so war doch min- nerseits berichten, andererseits verschwei- destens eine der women of equestrian fa- gen wollen, um den Ruf der Juden in Rom milies, unsere Paulina nämlich, in einen Fall nicht weiter zu beschädigen. Aber die ho- von Tempelprostitution verwickelt. In zwan- mologe Erzählstruktur räumt diesen Ver- zigeinhalb Zeilen berichtet Josephus von dacht nicht gerade eindeutig aus der Welt, der konvertierten Fulvia und in gut neunzig sondern lässt ihn allererst zu. Immerhin sol- Zeilen erzählt er von Paulina. Beide Damen len doch wohl beide scheinbar rein privaten sind sehr gutgläubig, die eine opfert we- Ereignisse für die gleichzeitig stattfindende sentliche Teile ihres materiellen Besitzes, die politische Unterdrückung der Juden im ei- andere gibt sich und ihren Geist und Körper genen Land und in Rom eine Erklärung lie- einem Hund hin im Glauben an eine höhere fern. Zumindest die Fulvia-Erzählung ist ein- Sache. Über das gemeinsame Schicksal der deutig jüdisch akzentuiert, und Josephus Betrogenen hinaus haben beide Damen ei- schließt die Erzählung mit dem Seufzer ab, nen Gatten namens Saturninus. Und ein an- wegen der gottlosen Verruchtheit von vier derer Kommentator des 18. Buchs hat vor- Männern seien die Juden aus der Stadt Rom geschlagen, die Koinzidenz des männlichen verbannt worden. Was leistet also die Pau- Vornamens nicht für reinen Zufall zu halten, lina-Erzählung in diesem Zusammenhang? sondern anzunehmen, dass beide Saturnini Wenn sie ebenfalls die Funktion hat, anti- ein und dieselbe Person sind, und dass die jüdische Maßnahmen zu erklären - und Jose- Frau dieses einen Saturninus insgesamt Ful- phus engagiert sich nicht für die Ägypter -, via Paulina geheißen habe (59, FN c). Auch dann kann der Tempel der Isis mit Anubis nur wenn Josephus, der Komponist des Texts, eine Verschleierung des jüdischen Tempels dies nicht explizit sagt, so suggeriert er doch und eine Verschiebung zur geographisch immerhin eine unterschwellige Identität, benachbarten Isis-Religion sein. Kommen wir wenn nicht in den Personalien, so doch in nun nach der Wasser-Wein-Problematik der mentalen Disposition der flotten Röme- zurück zu Gottes schlimmsten Feinden: rinnen zum Dolce Vita-Prinzip und auch ih- rer Gatten. Auch Decius Mundus, der rö- mische Aristokrat, und der jüdische Schrift- Dogs: God´s Worst Enemies? gelehrte, der mit drei Kumpanen ebenfalls die Religiosität einer tugendhaften Röme- So fragt Sophia Menache (in: So- rin ausbeutet, können ihre mentale Iden- ciety and Animals (5,1), 1997) und breitet ei- tität nicht leugnen. Die aktive Korruption ist ne Menge an Informationen für ihre These also schon bis in die oberen Ränge der rö- aus, dass Gottes (~ JHWH) ärgster Feind der mischen Gesellschaft vorgedrungen, und Hund ist. Sie griffe viel zu kurz, begrenzte die passive Korrumpierbarkeit reiner Her- sie diese Feindschaft auf den Hund - was sie zen römischer Damen gibt dem Kaiser eben- ja auch nicht tut, erwähnt sie doch auch die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 407

GAB ES HUNDE-ZEREMONIELLE IM MONOTHEISTISCHEN ISRAEL? 407

Vorbevölkerung Kanaans, die Konkurren- voluntarily allies itself to humans, the ten der rechthabenden Propheten und die dog often seems to lose its right to be aktuellen Nachbarvölker des späteren Isra- regarded as a true animal (Serpell, el. Sie erfasst aber nicht, dass die Nachbarn 1995, 254), und die Vorbevölkerung hundemytholo- gisch geprägte Völker sind, dass der Hund in bevor ein sich angeblich ständig wiederho- den meisten Passagen der Hebräischen und lendes und vor allem ständig ungelöstes Fa- der Christlichen Bibel eine Metapher ist. miliendrama von Liebe-Hass-Relationen auf Menache verkürzt das Problem zweifach, den Hund projiziert und mit dieser Projek- denn sie begründet mit C. Perin (Dogs as tion erst wieder ein gutes Miteinander der symbols in human development, 1981) die Generationen ermöglicht. Menache ver- Aversion der Israeliten gegen den Hund und kennt den tiefgründigen Konflikt zwischen die grundsätzliche Ambivalenz des Hundes Psychoanalyse und Tiefenpsychologie. Wo in der westlichen Perspektive psychoanaly- die Psychoanalyse individuelle ~ ontogene- tisch als Projektion eines Familiendramas tische Dramen sieht, nimmt die Tiefen- auf den Hund: psychologie Archetypen an. Der Vorzug der Tiefenpsychologie: Sie kann scheinbar The tension in human´s relationships mühelos die Phänomene der Religionsge- with dogs indicates the re-emergence schichte der Menschheit von ihren Anfän- of the unresolved love-hate tensions of gen an mit ihren Archetypen verschränken infancy associated with the process of und die Konflikte zwischen grundlegend separation and individuation from the unterschiedlich strukturierten Religionen basic family unit (Menache, 1). angemessen erläutern - tiefenpsycholo- gische, religionsgeschichtliche und mytho- Es sind nach Menaches und Perins Meinung logische Phänomene konvergieren zu einer also grundsätzlich individuell in der Kind- allen gemeinsamen Tiefenstruktur. Lassen heit erfahrene und doch wohl später nicht wir kurz die west-asiatische Szene an uns hinreichend abgebaute Liebe-Hass-Span- vorbeiziehen mit Erich Neumanns Hilfe: nungen (> 356), die zusammen mit dem not- wendigen Prozess der mental-emotionalen Es spricht alles dafür, dass in ältester Zeit Abnabelung von der Familie im Verhältnis immer ein Menschenopfer als Opferung eines so geprägten Individuums zum Hund des Gottes, des Königs, des Priesters, für fröhliche, nein: traurige Wiedergeburt fei- die Erdfruchtbarkeit dargebracht ern. Warum trifft diese Diagnose nicht auf wurde. Ursprünglich wird überall das das Indianerkind und nicht auf das Eu- Männlich-Befruchtende geopfert ... Die ropäer-Kind zu, die wir auf den letzten Sei- weibliche Erde verlangt Befruchtung ten des 1. Bandes der Kynosophischen Zeit- vom Blutsamen des Männlichen ... Die reise sehen, beide selig einen Welpen lieb- wild-emotionale Leidenschaftsnatur kosend? Warum nicht auf Rose Iqallijuq (> I, des Weiblichen ist ... für den Mann ... 391), jene Inuit-Frau, die im Bauch ihrer furchtbar ... Das orgiastische Wesen Mutter den Besuch des transpersonalen Va- spielt nicht nur in den Festen der ge- ters in Gestalt eines Hundes erlebte und er- schlechtlichen Vermischung, die Frucht- innert? Wenn Menache dann im Anschluss barkeitsfeste sind, eine Rolle. Auch die an diese psychoanalytische Position Serpell Frauen und gerade die Frauen unter- zitiert, der auf die kulturellen, eben über einander und miteinander feiern orgi- das Individuum hinausgehenden Funktio- astische Riten. Diese Riten ... kreisen fast nen des Hundes und dessen Status als ambi- alle um die orgiastische Zerreißung valentes Tier abhebt, dann unterschlägt sie, eines Gott-Tieres oder Tier-Gottes, dass es allererst der Hund selber ist, der dessen blutige Teile verschlungen wer- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 408

408 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

den, und dessen Tod und Zerstückelung des Hundes zum Thron des (Jahres)-Königs, die Fruchtbarkeit des Weiblichen und die wir beide in Afrika kennenlernten (> II), so die der Erde bedingt ... Dabei ist die die symbolische Selbstkastration schon der Zerstückelung des Leichnams des Schamanen als Identifikation mit der Jahreskönigs und die Beerdigung seiner Großen Mutter der Tiere und die Heilige Teile ein uralter Fruchtbarkeitszauber ... Prostitution von Frauen und Männern nicht Das Haaropfer der Männer ist ein altes nur in den Tempeln Babylons - all diese Priesterzeichen ... immer ist das Haar- Kennzeichen eines im Grunde immer noch opfer verbunden mit Sexualverzicht matriarchal organisierten Religionsbetriebs und Zölibat, d.h. mit einer symbolischen müssen den patriarchalen, mono- Selbstkastration ... Ob dabei das Männ- theistischen Hebräern ein unerträgliches liche in der Kastration oder in der Greuel gewesen sein, das sie in ihrem Be- Prostitution dargebracht wird, ist nur reich und durch göttlichen Auftrag legiti- eine Variante (Neumann, Ursprungs- miert mit der Wurzel ausrotten wollten. Da- geschichte, 57-8). bei ist es die dem Greuel eigentümliche Dia- lektik, dass er auch anziehend wirkt: Israel Das Haaropfer der Männer als Äquivalent war geradezu räumlich und zeitlich umzin- der männlichen Keuschheit findet seine Par- gelt von hündisch konnotierten Kulten der allele im Haaropfer z.B. der römischen Frau- Großen Göttin - räumlich von den Phöni- en, um der gallischen Knechtschaft (und der ziern, den Hethitern, den Babyloniern und wahrscheinlichen Vergewaltigung) zu ent- den Assyrern, zeitlich vom frühen Sumer, als gehen. Der korinthischen Aphrodite werden es Israel noch gar nicht gab, bis zu den An- hetärische Mädchen dargebracht, damit betern der Göttin im Libanon, von denen durch sie die allgemeine Pflicht der Frauen Eusebius (260? bis 340?), Bischof von Caes- zum rituellen Hetärismus getilgt werde: area, berichtet,

Daran schließt sich das Haaropfer der that the goddess´ worshipers still held Frauen an. Es erscheint als Äquivalent homosexual cult worship on Mount der weiblichen Keuschheit ... Die höch- Lebanon (Greenberg, 98), ste Gefahr fordert die schwerste Gabe, und weiter bis zu den Epochen der Seleuki- weiß schon Bachofen (4, 383) und skizziert den und Perser (Roscoe, 216). Die alten eine Entwicklung weg von der konkret Rituale der Nachbarvölker waren also eine durchgeführten sakralen Promiskuität zum ständige Versuchung für die neuen, ge- symbolischen Ersatz. Die nus(s)feindlichen Monotheisten. Und da diese hündischen Feste der geschlechtlichen Vermischung Kastratenpriester eine führende Rolle im (die wir als sakrale Promiskuität oder als Kult der Bronzezeit in Syrien, Kleinasien Heilige Paarung bzw. Hochzeit, mit hün- und sogar in Mesopotamien spielten dischen Symbolen befrachtet, weltweit (Neumann, Ursprungsgeschichte, 59), meist am Beginn des Neuen Jahres ange- troffen haben), die orgiastische Zerreißung traten sie als Repräsentanten eines verwerf- bzw. Zerstückelung eines Tier-Gottes (die lichen Systems den in Gefangenschaft gehal- wir schon aus den frühesten Zerstücke- tenen Juden an exponierter Stelle entgegen: lungsphantasien des Schamanen im dritten Stadium seiner Trance (> I) im Kampf mit der Die der großen Göttin geweihten Män- Erdmutter kennen), die rituelle Tötung des ner, die in ihrem Zeichen sich prostitu- Jahreskönigs und die zeremonielle Nähe ierten, hießen Kelabim, Hunde, und Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 409

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trugen Frauenkleidung ... Selbst wenn präsentiert: In diesen Hunde-Priestern als der Stamm (des Wortes Kelabim) nicht den ganz Anderen kristallisierte sich das ge- mit Kelev - Hund zusammenhängt, samte, den zum Monotheismus, vorsichtiger: sondern Priester heißt (wir können zum Alleinvertretungsanspruch JHWHs ver- Neumann beruhigen: Der Stamm des pflichteten Israeliten verhasste und geliebte Wortes ist eindeutig kaleb ~ der Hund, religiöse System der Konkurrenz: Die orgias- wie Beltz (18, FN 2) nachgewiesen hat; tischen Tänze der kelebim riefen den Ab- und die griechische Übersetzung der scheu, der Mut der Kalebiter aber die Be- Hebräischen Bibel sieht kalebi als wunderung der Israeliten hervor. Dass beides Stammesnamen mit der Bedeutung aus einer einzigen Quelle stammt, davon ab- anthropos kynikos ~ Hundemensch), so strahierten sie, so gut und so lang es ging. Die macht doch die Erwähnung von Unterworfenen brauchten das ganze System Hundeopfern bei Jesajah (66, 7 (ge- also nur mit (-1) zu multiplizieren, um die er- nauer: 66, 3)) die Hundegestalt der ste monotheistische Religion der Welt zu er- Priester nicht unwahrscheinlich (Neu- finden - und sie brauchten ihre Aversion nur mann, Ursprungsgeschichte, 60). auf das zentrale Symboltier dieser Religio- nen, den Hund, zu konzentrieren, um mit Neumanns intuitive tiefenpsychologische ihm das ganze System zu treffen: Hunde sym- Vermutung der priesterlichen Hundegestalt bolisierten im neuen patriarchalischen Wer- wird von Burkert auf mythologischer Seite tesystem den ultimativen Outsider, das ganz gestützt mit dem Hinweis auf den Masken- Andere - den Under-Dog. JHWH verbietet umzug, der in der szenischen Realisierung seinen Israeliten, gerissene Tiere zu essen: des Mythos die beiden Teile des Inanna- Mythos verbindet. Nehmen wir noch die Als heilige Männer sollt ihr mir Inuit-Tradition des hündisch konnotierten gehören. Fleisch von einem Tier, das auf Maskenumzugs nach der schamanischen dem Feld gerissen wurde, sollt ihr nicht Sitzung, in der es um den Besuch des Scha- essen; ihr sollt es den Hunden vor- manen bei der Tiermutter Sedna ging, und werfen (in: Exodus 22, 30). das hündisch konnotierte Jungmännerritu- al am Arriba-Pardin-Felsen in den Pyrenäen Nicht genug damit, dass dieses Fleisch nur (> I, 65) als repräsentative Eckpunkte einer für den unheiligen Hund taugt: weltweiten hündisch konnotierten Traditi- on hinzu, dann können wir mit dieser histo- Ihr dürft keinerlei Aas essen. Du sollst es rischen Perspektive und mit Burkert sagen, dem Fremden, der in euren Stadtberei- dass chen Wohnrecht hat, zum Essen über- lassen oder es einem Ausländer ver- in der Tradition des Mythos ... weit kaufen. Denn du bist ein Volk, das dem ältere Elemente enthalten und mit- Herrn, deinem Gott, heilig ist (in: Deu- getragen sind; ihr Sinn kann sich wan- teronomium 14, 21a). deln und geht doch nicht ganz verloren (Burkert, in: Assmann, 68). Die Gleichsetzung vom Hund mit dem Frem- den und dem Ausländer, für die alle drei Diese weit älteren Elemente, die in der Tra- Aas gut genug ist, sorgt gewiss für die dition des sumerisch-akkadischen wie des py- dringend notwendige Stärkung des Ichbe- renäischen wie des zirkumpolaren Rituals wusstseins der angehenden Patriarchen. und Mythos enthalten und mitgetragen sind, Dabei trug der monotheistische Gott selbst werden im sumerisch-semitischen Bereich auf eine paradoxe Weise bei zur Andersheit vor der Monotheisierung der Religion von des Kaleb und des Hundes, nach dessen Vor- den Hunde-Priestern der Großen Göttin re- bild Kaleb gegen die Anakiter kämpfte, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 410

410 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

denn Er lobte Kaleb wegen seiner positiven Der Hieros Gamos (~ die Heilige Hochzeit) Andersheit: Meinen Knecht Kaleb aber, der setzt die Gleichberechtigung der beiden anders denkt und treu zu mir hält (in: Nu- kosmischen Partner voraus. Emanzipiert sich meri 14, 24). Negativ anders waren die übri- nun der Himmel zum alleinigen Gott, ent- gen Israeliten, weil sie wieder mal nicht an fällt die Heilige Hochzeit, und mit ihr ver- JHWHs Verheißungen glauben wollten. Das lieren Frau und Hund ihren zeremoniellen erinnert ein wenig an den Konflikt zwischen und mythischen Rang. Damit nicht genug: Kain und Abel: Auch hier sorgte die positi- Um das mühsam errungene Monopol (be)- ve Andersheit dafür, dass Abel das Nachse- halten zu können, müssen die Ideologen hen hatte. Die Wandlung des zentralen des Monotheismus Frau und Hund jeglichen Symboltiers hier in der ersten monotheisti- Wert aberkennen. Da man die Frauen ab schen Religion ist paradigmatisch fürs ge- und an noch benötigte, traf den Hund die samte Patriarchat. Mit dieser Wandlung Hauptwucht der Aversion. wird der andere, komplementäre Teil des al- ten Systems, nämlich die autonome Frau, Von dieser Entfremdung zwischen dem ebenfalls gründlichst entwertet und dem Mann einerseits und Frau und Hund ande- Mann entfremdet. Mit Frau und Hund ver- rerseits haben sich Frau und Hund (und liert auch die Erde, die sich die Patriarchen Mann natürlich auch) bis auf den heutigen untertan machen sollen, an Rang: Tag noch nicht ganz wieder erholen kön- nen. Die für die matriarchalen Rituale ty- Der transzendente himmlische Gott hat pische Rückauflösung der Persönlichkeit zur Erde nur noch dadurch eine Bezie- und des individuellen Ichbewusstseins (Neu- hung, dass sie seine Schöpfung ist. Die mann, Ursprungsgeschichte, 60 & 69) führt Erde mit all ihren Lebewesen und Men- in der Reaktion der Hebräer zu einer nicht schen steht dann gering und niedrig sei- gewachsenen, sondern gewollten und da- ner himmlischen Allmacht und Gerech- her übers Ziel hinausschießenden Ich- tigkeit gegenüber. Dies ist der Beginn Stärke, die das Andere und mit ihm die einer Polarisierung, die starke Wertun- Anderen, und das sind die Vorbewohner gen von gut/richtig und böse/falsch Kanaans, radikal eliminieren muss, um nach sich zieht (Mahlstedt, 61), selber Bestand haben zu können:

die es so im Paläo-, Meso- und Neolithikum Nicht nur Gebärendes und Tötendes bis dahin nicht gegeben hat: Himmel und stehen im kanaanäischen Mythos ne- Erde konnten nur im geordneten Zusam- beneinander, auch die hermaphrodi- menspiel ihrer Kräfte segensreich für die tische Urform des Uroboros tritt hier Menschen wirken: auf in der Zusammengehörigkeit des männlichen Morgensterns Astar oder Nicht die Erde allein kann das Leben be- Attar mit seiner weiblichen Form als wirken. Himmel und Erde erschaffen das Abendstern, der Ischtar Mesopota- Leben gemeinsam. (Mutter) Erde wird miens ... Die männlichen Züge des belebt von (Vater) Himmel. Wie Mann Weiblichen sind hier noch ebenso er- und Frau ... verhalten sich Himmel und halten wie die weiblichen Züge des Erde ... Sie lassen das Leben in einer Art Männlichen ... So finden sich in Kanaan sexueller Vereinigung entstehen. Diese alle Züge des (matriarchalen) Kanons, Vorstellung wurde in agrarisch orien- der bestimmt ist durch das uroborische tierten Gesellschaften im Zusammen- Bild der großen Muttergöttin und spiel von Mythos und Kult zu einer der durch die Unbefreitheit des noch nicht wichtigsten Ritualhandlungen des Jah- selbständig gewordenen Männlichen res, dem Hieros Gamos (Mahlstedt, 60). (Neumann, Ursprungsgeschichte, 70). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 411

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So ist auch das Verdrängen der Kalebiter zu must be ultimately be rooted in very erklären: Das räumliche Verdrängen der early religious taboos that forbade the Kalebiter aus der Stadt Hebron ins Umland, consumption of pork (Stager, 1991). das nationalgeschichtliche Verdrängen der Kalebiter als eines ursprünglich israeli- Für die Aversion gegen das Schwein gibt es tischen Stamms aus dem Geschichtsbild, das nur mythologische Motive, die Stager nicht, politische Verdrängen der Kalebiter als der Neumann aber sehr wohl erklären kann: führenden Schicht des Stammes Juda. Die Kalebiter waren tatsächlich innerhalb dieses So ist das Schwein Symbol des Weib- Prozesses der hündisch-matriarchale Pfahl lichen als des gebärenden und empfan- im patriarchalen Fleisch der neuen Religion, genden Schoßes (> II, 261: Abb. 25) die die autonome Frau nur als Repräsen- (Neumann, Ursprungsgeschichte, 79). tantin der verhassten, sich schamlos ausstel- lenden Göttin (> II, 250ff.: Die Darstellungen Als Uterus-Tier und somit als Symbol weib- der exhibitionistischen, empfängnisberei- licher Fähigkeiten, nicht als schlechter Nah- ten Venus) wahrnehmen konnte: rungslieferant wird es von den Patriarchen tabuisiert. Auf zahlreichen Abbildungen erschei- nen diese Göttinnen, ihr Genitale, den Die monotheistische Religion fällt nicht vom Ursprungsschoß in rituellem Exhibitio- Himmel: Die verhassten Nachbarreligionen nismus zeigend, in Indien ebenso wie in tragen einiges dazu bei, so z.B. ist in der Kanaan, als ägyptische Isis ebenso wie als griechische Demeter und Baubo Abtrennung des männlichen Wider- (Neumann, Ursprungsgeschichte, 77). sachers von der uroborisch mannweib- lichen Großen Mutter und in der In Kanaan verehrten die Nachbarvölker der Aufspaltung in die große gute Mutter Israeliten u.a. auch die Maus als Heiliges und ihren männlich destruktiven Fruchtbarkeitstier wegen ihrer natürlichen Begleiter ... schon ein Stück Differen- Gebärstärke, die sie mit dem Schwein ge- zierung des Bewusstseins und Zerle- meinsam hat: gung des Archetyps eingetreten. Diese Trennung ... ist eine wichtige Stufe auf Frazer hat auf die Jesajah-Stelle hin- dem Wege, der zur endgültigen Zertei- gewiesen, nach der die Juden heimlich lung des Uroboros führt, zur Trennung ein heidnisches Ritual hielten, bei dem der Ureltern und zur Selbstfestigung Schweine und Mäuse verzehrt wurden des Ichbewusstseins (Neumann, Ur- (Neumann, Ursprungsgeschichte, 77, sprungsgeschichte, 87). FN). Mit dieser Phase des Gegensatzprinzips ist Neben Hund und Maus wurde auch das West-Asien noch beschäftigt, als die Schwein tabuisiert, koscher muss es in Israe- Hebräer den nächsten, entscheidenden ls Küche zugehen: Es gibt keine (auch nur „Fortschritt“ wagen: Das Ichbewusstsein eingebildeten) hygienischen Gründe, es der Mesopotamier übernimmt gibt keine ökologischen Gründe (das Schwein wurde in Ashkelon um das Ende die destruktive Haltung der furcht- des -13. Jahrhunderts mit dem Rind zusam- baren Mutter ..., aber wendet sie nun men eingeführt, während die Israeliten, die nicht gegen sich selber, sondern gegen im mit Eichen und Pinien bewaldeten Berg- diese. Dieser Prozess stellt sich mytho- land Kanaans siedelten, es trotzdem nicht logisch im Drachenkampf dar (Neu- übernahmen: Das mann, Ursprungsgeschichte, 107). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 412

412 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

Aus diesem Drachenkampf (> 296-304) geht Letztes Treffen der Leser mit Kaleb Marduk als Sieger hervor, die Tiamat angeb- lich vernichtend, in Wirklichkeit nur in den Zu Beginn dieses Kapitels staunten Untergrund verdrängend als das Unbewus- wir Kynosophen nicht schlecht, dass mit Ka- ste, das jetzt - in starrer Entgegensetzung die leb ein irgendwie hündisch konnotierter komplementären Gegensätze der Paläo- Stamm zum Stammesverband der Proto- mentalität ablösend - vorwiegend als weib- Israeliten gehörte, da wir ja die extrem aus- lich, das Bewusstsein jedoch vorwiegend als geprägte Aversion der hebräischen Religion männlich konzipiert wird. Jetzt werden die gegen den Hund als reales Haustier bereits Heroen geboren, die sich als Herakles usw. als kannten. Dass sich die hebräische Aversion Mutter- und Vatertöter durchs Leben schla- auch auf den Hund als Symboltier bezog, gen: Das Ich wird durch Vermännlichung und haben wir in den vorgehenden Abschnitten Emanzipation des Ich zum Helden (Neu- analysiert und als Überlebensstrategie der mann, Ursprungsgeschichte, 110). Erst vor neuen, monotheistischen Religion und als diesem tiefenpsychologisch-mythologischen Verstrickung in ein hebräisches Paradox er- Hintergrund gewinnt Sophia Menaches kannt: Um das von JHWH verheißene Land Bilanz ungeahnte Dimensionen, denn es erobern zu können, war man auf einen be- sind tatsächlich die monotheistischen Reli- sonders kriegerischen Stamm angewiesen, gionen, die gezielt daran arbeiten, der sich im Kampf total identifizierte mit dem (tollwütigen) Hund; das Paradox wurde to weaken the strong vinculum of gelöst, indem man zuerst versuchte, die human beings to dogs (Menache, 2), hundsköpfigen Krieger um ihren Lohn zu bringen, und, als das misslang, sie aus dem weil sie damit auf individueller Ebene den Stadtgebiet von Hebron zu verdrängen. Der Keil weitertreiben können, den sie auf kol- eigene kriegerische Gott, als der der frühe lektiv-mythologischer Ebene einschlagen, JHWH charakterisiert ist (Winter, 539, FN um die animistische bis polytheistische Kon- 315), hält sich in dieser Situation als divine kurrenz vernichten zu können. Wuchs für warrior merkwürdig im Hintergrund. Stellen den neolithischen Menschen das Leben auf wir nun diese spezifisch israelitische Perspek- das Sterben zu, während es im Tod auf ein tive in den gesamtsemitischen Zusammen- neues Werden hinlief, was der protestan- hang, dann gehören die späteren Israeliten tische Ex-Theologe Hölderlin begeistert als zu den semitischen Stämmen, die östlich und das unaufhörliche Werden im Vergehen südlich des Gelobten Landes in der syrischen und der Anti-Christ Nietzsche etwas ge- und arabischen Wüste teilnomadisierten. langweilt als die Ewige Wiederkehr des Im- Während die Semiten im Osten (~ Mesopota- mergleichen erkannten, so konzipiert der mien) und im Süden der Arabischen Halbinsel Theologe JHWHs ein endzeitliches System (~ Yemen) den Polytheismus im Zuge der Stra- mit Anfang und Ende und geht tifizierung der Gesellschaft reduzierten und immer mehr den neuen, jetzt monarchischen in religiöser Darstellung von einer ein- Gegebenheiten anpassten, gab es immer maligen Schöpfung aus, betont den An- noch zahlreiche Stämme jenseits und diesseits fang als Gottes Schöpfungsakt und das dieser „Kulturländer“, deren soziokulturelle Ende als ein Gericht (Mahlstedt, 62). „Rückständigkeit“ sich u.a. in einem archa- ischen Polytheismus spiegelte. Den Konflikt Und infamer Weise billigt man(n) nun end- zwischen den beiden Religionsformen haben lich dem Hund wieder eine Funktion zu: Die wir innerhalb der israelitischen Gesellschaft des Schrecken erregenden Höllenhundes - analysiert und dabei den Hund als Hauptver- die totale Vereinseitigung und Negativie- lierer neben der Frau erkannt. Wenn wir aber rung des Hundes (> V). die arabischen Stämme vor ihrer Islamisie- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 413

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rung betrachten, erkennen wir schnell, dass In point of fact, at the battle of Marj sie sich offensichtlich totemistisch und matri- Râhit (A.H. 64) Merwân´s party included archal definierten. Der Stammesname be- besides the Kalbites the Kahlanite tribes zeichnet das Totemtier, und sowohl nord- wie of Ghassân, Sakûn and Sakâsik (Smith b, südarabische Stämme bezeichnen sich auch 9). nach dem Hund: Kalb (~ Hund) ist ein Unter- stamm von Qodâ`a, von den Benî Leyth (~ Dieser Krieg entstand aus einer Hungersnot, Söhne des Löwen) und von den Bagîla; Ku- die die nordarabischen Stämme zur Wan- leyb (~ Welpe) ist ein Unterstamm von derung in den Yemen zwang, darunter auch Tamîm, von Chozâ`a und von Nacha´. Als den Stamm `Abd Manât, eine Untergruppe Söhne der Kilâb (~ Hunde) bezeichnet sich der Kalebiter (Smith b, 250, FN 2). Weitere der qaysitische (nordarabische) Stamm der gemeinsame Kämpfe trugen dazu bei, dass Benî Kilâb, der nicht zu verwechseln ist mit diese Stämme zu einer neuen, Tamîm ge- dem großen Stamm, eigentlich bereits eine nannten Einheit verschmolzen, deren Mit- Nation zu nennende, Kalb im Yemen, also glieder sich so zwar gegen die nordara- im Süden Arabiens (Smith a, 79). Beide bischen Kalb definierten, ihren kalebitischen Stämme befehden sich herzlich, und das ist Gott Wodd/Wadd (> 274 & 417) aber über- nur Ausdruck des allgemeinen Spannungs- nahmen bzw. beibehielten (Smith b, 253, FN verhältnisses zwischen Nord- und Südar- 2). Ähnlich sind die Verhältnisse bei den abern (Smith b, 8). Dennoch haben sie eine gemeinsame totemistische Vergangenheit: sons of Morr, who through their mother are referred to Kalb, have at the same ... the Kilâb are not really different in time for their paternal grandfather name from the Kalb, and Kalb (sing. ~ Odd, that is Wodd the god of the Kalb Einzahl), not Kilâb (plural), ought to be ... the religion of the group is that of its the eponym of the former as well as of mother, and it need hardly be said that the latter (Smith b, 254, FN 6). when a man is of his mother´s religion he is also of his mother´s kin (Smith b, Trotz des Dauerkonflikts leiten sich also 31-2). wichtige Stämme der beiden Hauptgrup- pen vom Hund als ihrem transpersonalen Nun ist aber die Partnerin des Gottes Wodd Ahnen ab: Sie waren also ursprünglich mit- die große Göttin Sowâ´ (~ Venus), die unter einander verwandt, hatten dieselbe Ab- dem Namen Ka´aba in Mekka wie im na- stammung. Wie, wo und wann aber ent- batäischen Heiligtum Petra auf der Sinai- stand der Konflikt zwischen den beiden Halbinsel als höchste weibliche Gottheit ver- jetzt verfeindeten Stämmen? Ein arabischer ehrt wurde. In Petra sind „Amazonen“ als Genealoge gibt darauf die Antwort: Grabhüterinnen dargestellt, wie man In Syria in the days of Merwân ibn Al- sie auch auf lykischen Felsgräbern (in Hakam, Anatolien) zu beiden Seiten der Türen gefunden hat (Bachofen 3, 525-6). was indiziert, dass der Stamm Kaleb, wie be- reits totemistisch vermutet, ursprünglich Wenn Bachofen (2, 568) daraus schließt auf zum nordarabischen Zweig gehörte, sich al- den finstern Todesgedanken, der in dem so von Kalebs Tagen im Buch Exodus bis in Amazonentum herrschend hervortritt, die Zeit des Propheten Mohammed erhalten übersieht er in seiner Amazonen-Obsession, hat - eine beträchtliche Zeittiefe - und dann dass in den weiblichen Grabhütern nicht nur erst sich mit den Yemenitern verbündete das Vergehen, sondern auch das Werden und Verwandtschaft mit ihnen behauptete: repräsentiert ist. Wir aber wollen nicht Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 414

414 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

übersehen, dass hier „Amazonen“ Stelle Vor dieser männlichen Göttertriade treten und Funktion des Hundes als Psychopomp die weiblichen Gottheiten zurück, mit Baal zur Großen Göttin Sowâ´ übernehmen, werden in Palmyra verschiedene Göttinnen deren Kult nach der Islamisierung nicht nur als Gattin verbunden bzw. verschieden be- in Zentralarabien, sondern auch bei den nannt. Neben mesopotamischen Namen Nabatäern und in der Region von Palmyra finden sich auch syrische Bezeichnungen geschickt ersetzt wird durch den Kult der wie Astarte oder Atargatis: Töchter Allahs, Al-Lat (im Assyrischen als Allatu Herrin der Erde) und Al-Uzza, um die Besonders die arabische Göttin Allat, matriarchalen Bedürfnisse islamischer oft als Athene dargestellt, spielt eine Seelen nicht ins Leere laufen zu lassen. Rolle. Zu den Göttinnen ist auch die Gad Sehen wir uns am Beispiel der Oase Palmyra von Palmyra zu zählen. Die Gadgestalt, (> 32: Karte) an, mit welchen Widerständen schon in Jes 65, 11 erwähnt, entspricht die Islamisierer zu kämpfen hatten. der ... Fortuna und bezeichnet das „Glück“, den „Genius“ des Namens- trägers, einer Person, eines Stammes, einer Quelle, einer Stadt usw. (Gese, Die Göttin mit dem Hund 228-9). in der Oase Palmyra Unsere Göttin mit Hund könnte diese Glücksgöttin sein; ihr entspräche in der Zur kynosophischen Einführung in Funktion einer Göttin für Reisende die nie- die Mythologie(n) des Alten Orient hätte derrheinische Nehalennia (> V). Sie könnte sich die Oase Palmyra besonders gut geeig- aber auch zu jener verhältnismäßig großen net, denn sie hat seit Beginn des Neolithi- Zahl fremder, besonders arabischer Göttin- kums eine große Rolle gespielt, weil sie an nen gehören, die neben der Gad in Palmyra einer Handelsstraße lag, die Mesopotamien verehrt wurden (Gese, 229). Mit hoher mit der Levante verbindet, sie war Rastplatz Wahrscheinlichkeit ist unsere Göttin mit für Händler aus verschiedensten Regionen Hund also eine arabische Gottheit, und in und scheinbar verschiedensten Religionen - der Tat lässt sich für die Bewohner der Ara- ihre geistig-geistlichen neben ihren leib- bischen Halbinsel vor ihrer Islamisierung lichen Bedürfnisse zu stillen war vornehm- nachweisen, dass der Hund in ihren Kulten ste Aufgabe der Oase. eine große Rolle spielte. Die Oase Palmyra ist selbst in der griechisch-römischen Antike Palmyra war der tolerante Brennpunkt der noch sagenumwoben wegen ihrer Reich- verschiedenen Kulte - aber waren die so un- tümer, und noch Hölderlin beschwört Pal- terschiedlich über die Jahrtausende? Wir myra in einem seiner letzten Gedichte. Ne- werden sehen. Vom -1. Jahrhundert an ist ben zahlreichen anderen Darstellungen von Bel/Baal der Hauptgott von Palmyra; ihn be- Göttern gibt es aber nur ein oder zwei Dar- gleitet der Sonnengott Jarhibol und der stellungen, auf denen auch ein Hund zu se- Mondgott Aglibol, so dass diese Götter eine hen ist (Will, 53). Eine davon zeigt im Mit- Triade bilden. telpunkt der Darstellung des Reliefs eine thronende Göttin, zu deren Linken eine Jarhibol ist, wie sein Name „Mond- weitere weibliche Göttin zu sehen ist, ver- Ba´al“ sagt, eigentlich ein alter Mond- mutlich Tyché, die Schutzpatronin der Stadt. gott. Er muss zu den ältesten Göttern Zur Rechten in Kopfhöhe ist ein Adler mit der Oase gehören, denn er ist aufs geöffneten Schwingen zu sehen, er ist das engste mit der Quelle der Oase, Afqa, Begleittier des Bêl, des männlichen Haupt- verbunden (Gese, 226). gottes der Stadt. Im linken unteren Winkel Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 415

DIE GÖTTIN MIT HUND IN PALMYRA 415

Die Göttin Herta/Bêltis von Palmyra mit ihrem Hund - Herta ist die matronenhafte, Bêltis die jungfräuliche Erscheinung des matriarchalen Uroboros in Palmyra: Herta sitzt auf einem aus Steinen (~ „KUR“) gefügten Thron, zu ihrer Linken stehend die Göttin Tyché, rechts von ihr in Kopfhöhe der Adler als Repräsentant des Bel/Baal (~ Haupt- gott der Oase, Gemahl der Göttin), zur Rechten der Göttin sitzet ihr Hund (~ „KU“), der zur Hälfte den Thron ver- deckt - Hund und Göttin sitzen und werden schon so parallelisiert zum „KUKUR“-Ensemble (> III, 61-122). Rechts: Der Ausschnitt zeigt einen besiegten Feind unter dem rechten Fuß der Göttin: Er bittet sie und den Hund um Gnade, da seine rechte Hand die Pfote des Hundes, seine linke das Bein der Göttin berührt - so werden Göttin und Hund zusätzlich zu einem unauflöslichen Ensemble parallelisiert, wie es ebenfalls auf den mesopotamischen „Kudurru“ (~ Grenzsteine; > III) und im Ensemble der Heilgöttin „Bau/Gula und Hund“ (> 467 ff.) zu sehen ist. In: Will, Fig. 1 & 2.

des Reliefs sitzt ein Hund, er ist also in der- durch diese kleine Figur weiter parallelisiert selben Haltung dargestellt wie die Hauptfi- (> oben rechts). Dieses Bittsteller-Motiv des gur - für Will handelt es sich natürlich um ei- Besiegten ist ein orientalischer Topos, der nen Molosser, für Archäologen offensicht- bereits auf dem iranischen Felsrelief des lich ein konditionierter Reflex: Anubannini in identischer Haltung darge- stellt ist (Will, 52). Das Motiv hat sich in der un puissant molosse, installé sur son griechisch-römischen Zeit lange halten kön- arrière-train, et qui cache à moitié le nen mit der obligatorischen Darstellung des siège (Will, 52). siegreichen Kaisers, aber im Zusammen- hang mit Gottheiten ist seine Deutung nicht Anstatt sich nun weiter mit dem Hund zu ganz so einfach. Die Rachegöttin Nemesis beschäftigen, dessen Identität ja zur Zufrie- wird so auf Reliefs gezeigt, wie sie über das denheit des Archäologen geklärt ist, müht personifizierte Verbrechen triumphiert. sich Will mit der kleinen Figur ab, die unter Diese Deutung scheidet hier ebenso aus wie dem rechten Fuß der Hauptfigur auf dem ei- der Versuch, die thronende Göttin mit genen Rücken liegt, aber unter dem Fuß der Astarte zu identifizieren, deren Begleittier Göttin liegt, mit der linken Hand die Pfote jetzt der Löwe ist - da aber ihre Heiligtümer des Hundes, mit der anderen das Bein der in Syrien und Palästina weiterhin kadesch Göttin berührend und offensichtlich um oder kedesch genannt werden, dürfte sich Gnade flehend. Hund und Göttin werden am Tempelkult der Prostitution mit weib- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 416

416 3. KAPITEL · KALEB - VOM DOG-MAN ZUM UNDER-DOG ISRAELS

lichen (kedescha) und männlichen Geweih- Ihr Mann ist der personifizierte Gott der Hir- ten (kadesch oder keleb ~ Hund) nichts ten, Bêl, Baal usw. Wenn auch für Will die geändert haben, man wird also weiter Hun- Rolle des „Molossers“ unklar bleibt, so kön- de und nicht Löwen als Tempeltiere gehal- nen wir doch jetzt getrost in diesem Hund ten haben; in Ägypten war die semitische einen Herdenschutzhund sehen: Fruchtbarkeitsgöttin grundsätzlich unter dem Namen kadesch bekannt (in: Encyclo- Quant au rôle exact du chien et du paedia Judaica, Berlin, 1117). Astartes Vor- “vaincu”, seuls d´autres documents gängerin Ischtar hatte den Hund als Be- pourraient l´éclairer (Will, 55). gleittier, und das gleich in siebenfacher Aus- fertigung - die Motivzahl Sieben ist auch Natürlich hat Will recht, wenn er auch nach aus europäischen Märchen als legendäre der Funktion des “Besiegten” fragt, der mit Zahl bekannt: Die Göttin Ischtar war also einer Hand den Hund und mit der anderen von zahlreichen Hunden begleitet. Sie er- die Göttin zu beschwichtigen versucht: Er scheint in ihrer späteren Abspaltung als Pa- hat sich nicht selbst unterworfen, dann läge tronin der Medizin, die Göttin wird jetzt er auf dem Bauch, er ist eher umgeworfen Bau alias Gula genannt und hat als Begleit- worden. Wie wäre es mit einem Viehräuber, tier immer noch den Hund, und Ischtar der vom Hund der Göttin gestellt und hand- könnte hier in ihrer späten Abspaltung Bau- lungsunfähig gemacht wurde? Dass Hund Gula dargestellt sein, wie sie über die per- und Göttin auffällig parallelisiert sind, hat- sonifizierte Krankheit siegt. Genesene stif- ten wir schon zu Beginn unserer Betrach- ten der Göttin kleine Hundestatuetten. tung bemerkt. Die große matronenhafte Aber auch diese Deutung berücksichtigt Göttin als „Herrin der Tiere“, der wilden wie nicht genügend die Komposition des Re- der domestizierten, erscheint uns hier als liefs: Wozu dann die zweite Göttin und wo- weitgehend zivilisierte Göttin, die für die zu der Adler? Es gibt in Palmyra andere Re- Wahrung des Wohlergehens der Oase zu- liefs, auf denen drei Figuren dargestellt ständig ist. Und diese Oase ist, wie alle an- sind, und auf einer Tontafel aus dem Jahr 99 deren, auf die Symbiose mit den nomadisie- findet man passende Erläuterungen - da es renden Hirten und ihren Herdenschutzhun- sich um eine eher matronenhafte Göttin den in Wüste und Steppe angewiesen. So handelt, denkt Will an die beliebte Kombi- wäre das Relief aus der Zeitenwende eine nation der palmyrenischen Gottheiten Her- bereits weitgehend bürgerliche Zusammen- ta, Nanai (~ die Himmelskönigin; > 394) und fassung von 6.000 Jahren Symbiose von oa- Reshef: Die ersten beiden entsprechen den senbewirtschaftenden Ackerbauern, Händ- griechischen Göttinnen Hera und Artemis, lern und nomadisierenden Hirten. Herta- und wegen der matronenhaften Erschei- Hera ist schon wegen der notorischen Un- nung unserer Göttin könnte man an Hera treue ihres Gatten Zeus eine Hüterin der bzw. das palmyrenische Äquivalent Herta Moral, und wenn sie schon nicht für Gerech- denken. Herta aber ist nur eine andere Er- tigkeit einsteht, so sorgt sie doch wenigstens scheinungsform für die Gattin des Bêl, des dafür, dass das Gesetz respektiert wird. Man Hauptgottes der Stadt (Will, 54). Herta ist mag mir vorhalten, dass auch ich offensicht- wie Bêl babylonischer Herkunft, während lich einen konditionierten Reflex vollziehe, Astarte (~ Herrin des Schoßes) eine phöni- wenn ich einen Hund möglichst dem Hirten- zische Göttin ist. Bêl kann mit Baalshamin zusammenhang zuordne: Da kann was dran weitgehend gleichgesetzt werden, beide sein, aber die Götterreihe der Bêl, Baal, haben den Rang, den Zeus im griechischen Abelio, Abel usw. ist eindeutig den Hirten Pantheon einnimmt. Unsere Herta ist also gewidmet, und die Parallelisierung des Hun- die Hauptgöttin des palmyrenischen Pan- des mit der Göttin Herta-Hera als reife Gat- theons, wie sie es bereits in Babylonien war. tin des Hirtengottes ist offensichtlich. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 417

4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN 417

4. Kaleb der Dog-Man in Arabien: Vom Hundestammvater zum unreinsten Tier

Die vor-islamischen Araber and on the other hand her rites resem- und der Hund als Totemtier bled the obscene worship of the Orien- tal Aphrodite (Asthoreth). She was, Kaleb ist einer der drei Gründer- according to Ephraim, represented as Clane in West-Asien vom Yemen bis zum forming polyandrous relations ... and Kaukasus - doch der Reihe nach: In Dûmat-al- therefore at her festivals women were Jandal wird Wodd/Wadd, der Partner der allowed to prostitute themselves ... it is Göttin, als Bogenschütze dargestellt, wäh- clear that the Arabian ritual was similar, rend sie selbst als Stein (~ KUR;> III) bzw. in indeed Barhebraeus on Ps. xii. 9 speaks einem Stein wohnend verehrt wird, vor dem of the obscene feasts of the Edomites man wie in Syrien eine Jungfrau während ei- (Nabataeans?) where the women made nes orgiastischen Rituals zu opfern pflegte, a sevenfold circuit, as at Arabian indem man sie in einen Brunnen stieß und shrines, round an image of Beltis (~ in denselben zuschüttete; vorher, später und Palmyra die jungfräuliche Variante der anderswo wird an ihrer Stelle ein Hund als Herta/Hera) or Aphrodite on the top of Brunnenopfer und pars-pro-toto (> I) darge- a Palestinian mountain (~ KUR ~ bracht: Diese Göttin war Schutzmacht der sa- Höhenkult) and then practised promis- kralen Polyandrie bzw. Promiskuität (Smith cuous uncleanness (~ Heilige Paarung b, 299, FN 8), die auch in Arabien hündisch bzw. Hochzeit; in: Smith b, 295, FN 8). konnotiert war, wie wir gleich sehen wer- den. Vor diesem Hintergrund erscheint der Die verschiedenen lokalen Bezeichnungen Gott Wodd als Sohngeliebter der wie immer der Großen Göttin sind für uns ohne Be- unverheirateten Großen Göttin, und beide lang, wichtig ist die Erkenntnis, dass es sich wurden auch in Petra (~ Stein) auf der Sinai- um eine unverheiratete, aber keineswegs Halbinsel in Form von Steinen - wie auch in keusch lebende Göttin handelt: Sie spiegelt Mekka - verehrt: und überhöht die für die Frau positive Spiel- art der Polyandrie. Auch ihr unter verschie- Further insight into the nature of the denen lokalen Namen bekannter Partner worship of the Nabataean supreme Wodd entspricht der tiefenpsychologisch goddess is obtained from what Jerome, fundierten Konzeption: Er wird latinisiert in the life of S. Hilarion c. 25, tells of the als Lucifer (~ Lichtträger ~ Sirius) bezeich- festival of Venus at Elusa in the wildern- net, andere nennen ihn latinisiert Azizus, ess of Kadesh. According to Epiphanius aber er ist ein arabischer Gott namens Azîz, this feast was held on the same night as der als Phosphorus, d.h. als phosphoreszie- that at Petra, and his words imply that render, also Licht tragender Knabe vorge- here also the worship was that of a stellt wird: Ob er identisch ist mit dem he- mother and child (Smith b, 294, FN 8). bräischen Azazel, dem „Dämon“ der Wüste (> 278-83), dem man einen Ziegenbock zu- Diese große arabische Göttin Arruba-Venus eignet, um ihn zu Beginn der Herdenwan- wurde mit dem Abendstern identifiziert, derung günstig zu stimmen? Wahrschein- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 418

418 4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN

lich, denn gemeinsam ist beiden, dass sie durchaus mit dem Lichtträger, denn der ab- über Licht und folglich auch Dürre definiert geschossene Pfeil des Bogenschützen ist der werden - zwei der wesentlichen Kennzei- Blitz, während der Bogen niemand anderer chen des Sirius. Wenn Jesaja in seinem als der Regenbogen ist (> III). Man muss die Spottlied auf den König von Babel sagt: kosmische Überhöhung keineswegs als his- torisch später entwickelte Vorstellung ab- Ach, du bist vom Himmel gefallen, du tun, wie Smith (b, 296) dies versucht: Regen strahlender Sohn der Morgenröte (in: als grundlegende Bedingung der (teil)- Jesaja 14, 12), nomadischen Subsistenz ist eben auch ein kosmisches Phänomen. Die Verehrung bei- dann meint er mit diesem Morgenstern, der Gottheiten in ihrer Erscheinungsform dem männlichen Pendant zur Venus als als weißer (~ Göttin) und schwarzer (~ Gott) Abendstern, den babylonischen Helel Stein wird in Mekka bis in die Zeit Moham- (wahrscheinlich verwandt mit dem grie- meds tradiert; dann aber wird der männ- chischen Helios; > III, 437-8) als Sohn der liche Gott nicht nur als Stein, sondern in Morgenröte, der in die Unterwelt stürzte, menschlicher Gestalt mit einem Pfeil in der als er in den Himmel aufsteigen wollte. Die- Hand dargestellt: Auch er ist also ein Bo- ser Helel ist niemand anderer als Lucifer, der genschütze. Bei den vor-islamischen Ara- Stern des Tages als Sohn der Dämmerung, in bern gab es neben ortsfesten Heiligtümern deren Schoß er sich bewegt. Der Himmel als mit großen Betylen (~ heilige Steine) auch Gegensatz zur Erde heißt im Arabischen transportable Heiligtümer mit kleinen samâ (vgl. Schamasch als Sonnengott (> III & Steinen; auch die Bundeslade der Israeliten vielleicht > V: Sarama, die indische Göttin enthielt vermutlich zwei heilige Steine, von mit zwei Hunden) und ist weiblich konno- denen einer männlich und vermutlich ur- tiert - wie in Ägypten (> II, 263: Abb. 49), - sprünglich hündisch konnotiert war. Die und der Morgenstern ist der Sohn und nicht Idee der Bundeslade ist aus dem fahrbaren der Herr dieses weiblichen Himmels. Wenn Thron abgeleitet worden, wie er später z.B. Jesaja (14, 17 & 20) ihm vorwirft, er habe die von Xerxes im Krieg gegen die Griechen Welt zur Wüste gemacht, sein eigenes Land verwendet wurde (Herodot, VII, 40). Es war zugrunde gerichtet, dann kann mit diesem der Stern der Sirius als Hundsstern in den Hunds- tagen des Hochsommers identifiziert wer- fahrende Thron des Sonnengottes, der den, der die Strahl- und Dörrkraft der Son- auf diese Weise unsichtbar gegen- ne nach alter Vorstellung potenziert. Als wärtig als oberster Heerführer sein Volk Sirius ist er meist übel beleumundet außer in in den Kampf führt (Reichel, 23). Ägypten, aber das bedeutet nicht, dass er in Petra auf der Sinai-Halbinsel dieselben fast Dieser mobile Thron bestand als Ensemble ausschließlich negativen Konnotationen aus einem Zelt, einem Thronkasten, einer hat, die man ihm mit zunehmender Patriar- Tragvorrichtung, einer Lehne, mit der man chalisierung in Mesopotamien und in der auf dem Kasten den Thronsitz herrichten europäischen Antike nachsagt. Wenn er bei konnte und aus zwei Attributtieren des den teilnomadisierenden Semiten der Jezi- Gottes. Der Kasten diente zugleich zur Auf- reh als Gott verehrt wird, muss er positive bewahrung der Gesetzestafeln, die natür- und negative Wirkungen entfalten können. lich aus Stein waren (Reichel, 25-6). Erinnern Nur dann macht zu Beginn der Trans- wir uns an afrikanische Analogien in der humanz in die „Wüste“ die Zueignung ei- Sahel-Zone, in denen der Regenbogen als nes Ziegenbocks an Azazel Sinn. Dass der- urinierender kosmischer Widder und hün- selbe Gott anderswo als Bogenschütze ge- disches Gewittertier (> II, 613-4) und zwei sehen wird (> III, 596: Abb. 128), konvergiert Steine unterschiedlichen Geschlechts, die ei- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 419

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ne hündisch konnotierte Vergangenheit ha- - und wir denken dabei auch an hündisch ben mussten, eine wichtige Funktion im motivierte Lippenscheiben (> II), denn der Regenmacher-Zeremoniell hatten (> II, 486- Totemismus braucht die konkrete Ausprä- 7). Wenn also der Gott Wodd der Partner gung, weil das Heilige - wie in Ägypten (> II) der Großen Göttin bei den Kalebitern ist, - sinnlich erfahrbar sein muss: dann vereinigt er die Kennzeichen seiner o.g. Varianten in sich und muss ebenfalls Now every Arab tribe has its tribal mark hündisch konnotiert sein. Wir können auf (wasm), which is branded upon its cattle ihn und seine Partnerin die Bilanz anwen- ... The scrawlings on rocks which are den, die Smith für uns zieht: found all over the peninsula ... are often old wasm, and ... might ... have a tale to ... enough has been said to shew (!) that tell, in old Arabian religion gods and god- desses often occured in pairs, the god- denn die tribal mark was a totem mark, dess being the greater, so that the god meint Smith (b, 214 & 213) zu Recht, und wir cannot be her Baal (~ Herr, Gebieter), denken vielleicht an das Kains-Zeichen als that the goddess is often a mother with- totemistisches Kennzeichen, aber wir erin- out being a wife (~ verheiratete Frau) nern uns auch auch an das KUKUR-Brand- and the god her son (Smith b, 300, FN 8). zeichen, das gleichbedeutend ist mit ankh (~ Leben) im südlichen Sudan (> II, 520: Abb. Diese religiöse Tradition der Kalebiter erwies IV, 1), denn Smith wagt sich also ebenso wie ihr Totemtier als das stärkere Element in der neuen Allianz der to conjecture that in old times the zur Tamîm genannten Einheit verschmolze- “wasm” was not placed on camels nen Stämme, zusätzlich gestützt von dem alone but was tattooed on the persons allgemein bei den Arabern verbreiteten of tribesmen, Toten- und Ahnenkult (von Goldziher 1885 in seinem Beitrag Le Culte des Ancêtres et le denn wasm kommt aus derselben semi- Culte des Morts chez les Arabes nachgewie- tischen Wurzel wie das hebräische ism (~ sen), der den hündischen transpersonalen Name), aber auch wie das arabische washm Stammvater der Kalebiter nicht in Verges- (~ Tätowieren): senheit geraten ließ. Daraus könnten wir mit einigem Recht ableiten, dass die hündische The washm ... is a sort of tattooing of Tradition der Kalebiter zur Zeit des Exodus the hands, arms and gums, imprinted by keineswegs erloschen war und dass es gera- women on others of their own sex by de diese totemistische Komponente war, die way of adornment (Smith b, 214). zur Verdrängung der Kalebiter aus der Stadt Hebron führte. Schon Smith (b, 186-7) Aber nicht nur Tätowierungen sorgen für nimmt 1885 an, dass die Identifikation mit den Mimetismus an die transpersonalen dem Totemtier total ist, was sich nicht nur in Stammeltern: Tätowierungen niederschlage (vgl. die Täto- wierung der Punan; > 13-6 & > V), sondern Of simulation of animals in religious auch das Tragen von entsprechenden Proto- rites there seems to be a trace in the men wahrscheinlich mache - practices condemned in ch. XXXIV of the Christian Laws of the Himyarites, where not only of tattooing but of the many we read of shameless men who put on strange deformations of the teeth, masks of animals´ skins and played the skull, and the like, which savages inflict devil in the market-places and saluted on themselves or their children the shame of Satan (Smith b, 210). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 420

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Der Mimetismus an den transpersonalen dieser Genealogie ableiten, dass die Religion Stammvater durch das Tragen eines Pro- bzw. der Kult und Mythos des Goldenen toms, gepaart mit einer aus christlicher Sicht Kalbs im nordsemitischen Bereich Mythos ebenso schamlosen Nachahmung tierischen und Zeremoniell des Hundes - Kaleb -ablöste. Verhaltens auf dem Marktplatz lässt uns Ebenso könnte eine andere Überlegung ge- Diogenes, den Kyniker (~ Hundemenschen), stützt werden: Da aus unserem südara- assoziieren, aber auch an den masturbie- bischen „Hunde“-Stamm ein Luchs-Clan und renden und kopulierenden Hundsköpfigen ein Wolf-Clan (~ Sirhân) hervorgehen, liegt der Grünen Sahara denken. Zur Selbst- es nahe, an eine Rebarbarisierungstendenz erfahrung als Hund trägt fast ebenso inten- zu denken, zumal in islamischer Zeit Legen- siv die Selbstbenennung als Kind des Hun- den in Umlauf gebracht werden von spre- des bei, so dass der Hund schon zur vorge- chenden Wölfen (Smith b, 198), womit der burtlichen Erinnerung gehört, wie wir dies Rechtgläubige sich seinen Under-Wolf bereits von der Inuit-Frau Rose Iqalliuq er- schafft. Neben den beiden großen „Hunde“- fuhren (> I), deren angebliche Erinnerung ja Stämmen in Nord- und Südarabien gibt es nur eine in die vorgeburtliche Lebensphase noch weitere Hunde-Clans in vielen anderen rückwärts gewandte Projektion von Grup- Teilen Arabiens (Smith b, 200). Auch der Pro- penphantasien ist, mit denen das Kind nach phet Mohammed wäre nichts ohne seine der Geburt imprägniert wurde. Und wie sich hündischen Prophezeiungen: das bei den Semiten manifestiert haben könnte, das hören wir noch im späten Echo There is a prophecy of the prophet in des Ezechiel (8, 10-11), der den Israeliten which he speaks of the baying of the das Anbeten kleiner und großer Tiere ver- dogs of Hauab at one of his wives, said bieten will - Totemismus noch mitten in der to have been fulfilled on `Âisha´s march JHWH-Religion: to Basra before the battle of the Camel. Now Hauab is a water, but it is also the Thus when we find one tribe that calls mythical daughter of Kalb b. Wabara itself Banû Kalb, “sons of a dog”, and (s.u.) and mother of Tamîm. A verse in another that calls itself Banû Kilâb, “sons Bakri p. 300 speaks of the hand-clappers of dogs”, the two names are really one of Hauab. Does all this point to some re- and the same; on the patriarchal ligious feast of the dog-kin at this spot? eponym theory the one is sprung from a hero named Kalb (~ Kaleb ~Kaleb), the fragt sich und uns Smith (b, 201). Natürlich other from a man named Kilâb, but in gibt es neben den hündisch konnotierten reality both are simply dog-tribes. An zahlreiche andere Stämme, die andere To- individual of a dog-tribe was entitled to tems haben wie z.B. den bereits erwähnten call himself “Dog” or “Son of a Dog” or Löwen, aber auch den Panther, die Füchsin, “brother of Dogs” or “son of Dogs” at die Ziege, den Raben usw. All diese Namen pleasure, and it was a mere question of beziehen sich auf den Ahnen bzw. die Ah- the prevalent mode of expression in any nin, von dem/der der Stamm, Unterstamm particular dog-tribe wether the eponym, oder Clan sich herleitet - und die große An- when an eponym was thought of, was zahl solcher Benennungen auf der Ara- taken to be Kalb or Kilâb (Smith b, 190). bischen Halbinsel lassen nur den totemis- tischen Schluss zu, dass die So ist der Stier-Clan ein „Sohn“ des süd- arabischen Kaleb-Stamms, und da Stier, Kuh tribesmen believed themselves to be of und Kalb, besonders das Goldene Kalb, the blood of the animal whose name heilige Tiere oder göttliche Symbole bei den they bore and acknowledged physical Nordsemiten sind, können wir vielleicht aus kinship with it (Smith b, 203). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 421

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Und so besteht der Kalb/Kaleb- bzw. Hunde- volk aus der Arabischen Wüste; die aramä- Stamm aus den Benî Kalb/Kaleb, den Söhnen ische Sprache gehört zum nordwestsemi- (und in früheren Zeiten auch Töchtern) des tischen Zweig der semitischen Sprachen, ist Hundes, da der Hund ihr Gott ist und sie die also geographisch dem yemenitischen Kaleb- Kinder (dieses) Gottes sind. Dieser my- Stamm diametral entgegengesetzt und sie thische Hund(egott) aber ist seinerseits wurde auch im israelitischen Kanaan gespro- Sohn der Wabra (~ weiblicher Felsendachs), chen. Und dennoch findet sich auch im Sohn der Tha´laba (~ Füchsin), Ururenkel Aramäischen eine Spur des Gefährten als To- der Qodâ`a usw. (Smith a, 80). Ein einzelnes tem-Tier. Auch das macht die Annahme Mitglied des Stammes Kaleb ist schlicht und wahrscheinlich, dass ein Hunde-Clan auch am einfach ein Kalebî oder ein Kalebiter/Kalebi- Beginn der semitischen Sprachfamilie mit ter oder - noch einfacher - ein Hund. Das ho- von der Partie war, wie ein Blick mit Smith auf he Alter der totemistischen Stammesbe- einen anderen Kontinent lehrt: zeichnungen ist indirekt an der Tatsache ab- lesbar, dass das erst spät eingeführte und The state of things which, upon the hoch geschätzte Pferd nicht mehr zur Be- hypothesis now before us, must have nennung von Pferde-Stämmen geführt hat existed among the remote ancestors of (Smith b, 209). Dabei sind nicht alle Clan- the Arabs may be realised by looking at und Stammesnamen gleich alt und auch what is actually observed among the nicht immer auf dasselbe Prinzip reduzier- aborigines of Australia, where under a bar, wie auch Smith einräumen muss. Aber system of female kinship and exogamy wir erahnen die Zeittiefe, da ... we find precisely the same stock- names diffused through every local the most ancient division of the Israeli- tribe over a great portion of the conti- tes is between Rachel and Leah, both of nent (Smith b, 226). which are animal names, “ewe” and “bovine antelope”. The nomadic popu- Und bei dieser Zeittiefe allein müssen wir lations of Southern Palestine, which nicht stehenbleiben, denn die weite Ver- ultimately became incorporated with breitung desselben Clan- bzw. Stammesna- Judah, also present animal names, of mens ist auch matrilinear begründet which the most important is that of the Calibbites (Caleb) or dog-tribe (Smith b, by the fact that men could not sudden- 219). ly become forgetful of the old bonds of mother-blood. Within a circle compo- Wir können daher mit Smith annehmen, dass sed of stocks that had habitually inter- unsere südpalästinischen Kalebiter (> Kapitel married for some generations, the 3) zu den ältesten Schichten der semitischen various tribes, though now (~ nach der Sprach- und Völkerfamilie insgesamt ge- Patriarchalisierung der Gesellschaft) of hören. Dass sie bis an die Schwelle zum Islam distinct blood on the father´s side, eine herausragende Rolle in dieser Familie would be linked together by many spielten, zeigt ihre Durchsetzungskraft wie bonds of female kinship, and in all pro- ihr Beharrungsvermögen in einer Zeitdauer bability children would begin to wor- von weit mehr als 2.000 Jahren - selbst in der ship their mother´s as well as their aramäischen Namensliste gibt es einen Bar father´s god. If now in such a circle one Kalbâ (~ Sohn eines Hundes). Aram (~ Hoch- totem-stock, let us say the Dogs, had a land) war das Gebiet zwischen Libanon, Tau- great numerical preponderance, rus, Armenien (~ Aramenien), dem oberen Ti- women of the Dog-tribe would be gris, dem Euphrat und der Arabischen Wüste. found as wives in all the other tribes in Die Aramäer sind ein semitisches Nomaden- greater proportion than women of any Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 422

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other stock, and by and by the god of in the migrations the principle on which the Dogs might come to be a kind of men held together was in great measu- common god of the whole confedera- re that of female kinship (Smith b, 236). tion, without displacing the minor gods of each stock. Combine this with the Vergegenwärtigen wir uns die geogra- principle that worshippers are children phische Verbreitung des Hundes als Stamm- of their god (which is only a modern vater über Palästina und die Jezireh hinaus way of expressing the old principle that bis in Nord-Afrika (> II) und im Korridor vom they are of common blood with their Yemen bis zum Kaukasus (> Aram ~ Arme- totem), and you have at once sufficient nien), dann ist der Schluss nicht allzu kühn, basis for the rise of a belief that in some dass diese Verbreitung ein so hohes Alter sense all members of the confederation des totem-stock indiziert, dass wir die Ver- are Dogs and that the Dog is the great breitung des Hunde-Totems in Nord-Afrika ancestor of the minor totem gods (Her- vielleicht an die erste Rückwanderwelle vorhebung von mir). Thus we can knüpfen können; wem das doch zu gewagt understand the formation of a great ist, der sollte sich wenigstens mit folgender nation like the Kalb with minor totem Überlegung anfreunden: Vor ca. 6.000 bis clans under it (Smith b, 229). 5.000 Jahren trocknete die Arabische Halb- insel aus, die vormals so grün war wie die Sa- Umgekehrt können wir davon ausgehen, hara, und über das vordynastische Ägypten dass ein Stammesverband, der keine ge- mit seiner hündisch konnotierten Kultur er- meinsame Religion und keine gemeinsame gibt sich ein Korridor der Hundemythologie Abstammung von einem (ver)göttlich(t)en von Arabien bis nach Nordafrika: Die Hun- Ahnen etablieren konnte, unstabil blieb demythologie überlebt auf den Breitengra- und bei der nächstbesten Gelegenheit aus- den in Arabien, auf denen sie in Nordafrika einander brach: zur Auswanderung in verschiedene Richtun- gen gezwungen ist. Sie überlebt, weil es im Its very existence and name might soon Gegensatz zu Nord-Afrika in Arabien ge- be forgotten (Smith b, 230). lingt, das Dromedar zu domestizieren. Mit diesem Tier können die Bewohner der ehe- Da aber Kaleb oder Kalebiter genannte mals fruchtbaren Arabischen Halbinsel Be- Stämme mindestens seit dem Beginn der is- wohner ihrer Region bleiben, ohne auswan- raelitischen Landnahme (um -1.200) bis in dern zu müssen - sie werden zu Bedu (~ Ein- die Zeit des Islam (also mindestens bis 600) wohner der Wüste), zu Beduinen. Sie über die gesamte Arabische Halbinsel ver- bewahren noch eine Zeitlang die alten Tra- breitet waren, kann man von einer stabilen ditionen mit dem totem-stock, den sie in der gemeinsamen Religion und einem ebenso grünen Phase der Region begründet haben. stabilen gemeinsamen mythischen Vorfah- Dazu passt Smith´ Bemerkung, dass die spä- ren ausgehen. Dieser Vorfahre war der teren, durch den Islam patriarchalisierten Göttliche Hund als Partner der Großen Göt- Clans die Traditionen des alten totem-stock tin. Die weite Verbreitung der Hunde-My- fortführten: thologie wurde gefördert auch durch den Frauenraub bzw. Frauentausch oder -kauf, the later hayy (~ patriarchalisierte gekoppelt mit Exogamie, da es bis zu den Wanderhirten) inherited the traditions Tuareg die Mütter waren, die das geistige of the old diffused totem-stock. The Leben des Clans an die Kinder weitergaben, Dogs, the Lizards, the Panthers, had sogar noch in der Zeit der großen Wande- always been present in Arabia and had rungen, als Matrilokalität nicht mehr prak- always been united by bonds of blood tizierbar war: (Smith b, 239; Hervorhebung von mir). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 423

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Nicht jeder genealogiebesessene Araber stamm, wie aber ist zu erklären, dass der- wird seine Linie auf diese erste große, noch selbe Tiername Unterstämme verschiedener paläolithische Rückwanderwelle zurück- Stämme bezeichnen kann? führen wollen, aber jeder Araber, der einen Clannamen hat, kann seine Abstammung This is just what would come about on auf zwei Basisclane zurückführen: Auf den a system of exogamy where the totem yemenitischen oder südarabischen Clan, des- name was transmitted through the sen großer Ahn Cahtân ist, oder auf den mother ... That these sub-tribes were ishmaelitischen bzw. nordarabischen Clan, originally reckoned in the female line dessen Ahn `Adnân ist, ein Nachkomme Ab- seems probable from the name applied rahams über Ishmael. Diese Genealogie der to them ... - “batn”, that is, “venter” (~ Araber ist natürlich längst islamisiert wor- lat. Bauch) ... It seems naturally to den, um kompromittierende Ahnen zu ver- denote the offspring from one mother tuschen, da sie nicht mehr mit der neuen Re- (Smith a, 85-6). ligion kompatibel waren. Das führt dann auch unter Arabern zu Verwirrungen: Aus dem Bauch heraus definieren alle Se- miten ihre Verwandtschaftsverhältnisse, im So leitet man den Großstamm bzw. Stam- Arabischen über batn und im Hebräischen mesverbund der Qaysiten (oder: Söhne von über rehem bzw. rahim (~ Gebärmutter, Qays) zunächst völlig einleuchtend von eben Schoß; vgl. die rephaim > 388 und die Rafa- diesem Qays ab, der aber nicht einfach Qays ïter > 197: Abb. 22 & > 328). Und in der Tat heißt, sondern „Qays `Aylân Sohn von Mo- gelingt es Smith zuerst in seinem noch in dar“. Man weiß, dass Qays ein Gott ist, wer den 1870er Jahren erschienenen Artikel und aber ist `Aylân? Dazu erhält man nun ver- erst recht in seinem 1885 erschienenen Buch wirrende Antworten: Kinship and Marriage in Early Arabia über- zeugend nachzuweisen, dass das Vorkom- It is said that Qays was son of ´Aylân son men desselben Totems in verschiedenen of Modar. Others say that ´Aylân was his Stammesverbänden zurückgeht einerseits horse, others that he was his dog. auf frühen Kindsmord (~ Tochtermord) und Others again say that `Aylân was the - aus dem Frauendefizit folgend - Frauen- brother of Ilyâs (and therefore son of raub bei anderen Stämmen, da man keine Modar) and that his name was En-nâs Frauen zum Tauschen hatte, und anderer- bin Modar and that Qays was his son seits auf das Beibehalten der matrilinearen (Abulfeda, in: Smith a, 83). Bezeichnung der Abstammung: Die ge- raubte Frau kam in ein System der Poly- Nach diesem sehr kurzen, aber erschöpfen- andrie, d.h. sie wurde zwangsweise zur Frau den Ausflug ins System der arabischen Ge- mehrerer Brüder (wobei der Begriff Bruder nealogie danken wir alle Allah, dass wir im weit gefasst ist). Diesem Zwang zur Exoga- Gegensatz zu W. Smith keine Arabisten ge- mie und zur Definition der Verwandt- worden sind, der darüber aber gar nicht ver- schaftsbeziehungen über die Mutter muss, zweifelt, sondern über den Wogen der Kon- so folgert und belegt Smith eindeutig, ein fusion steht und vorschlägt, aus der zwei- anderes System der Polyandrie vorausge- fach tierischen Abstammungssaga der gangen sein: Diesmal aber ist es die Frau, die Qaysiter den einfachen Schluss zu ziehen, sich tatsächlich mehrere Männer hält, meist dass der zweifach tierisch interpretierte einen nach dem anderen, heute nennt man `Aylân auf zwei unterschiedliche qaysitische das wohl Lebensabschnittspartner. Smith Stämme verweist, nämlich auf einen pferdig (87) nennt dies eine polyandry of the cruder und einen hündisch konnotierten Stamm. form, was Frauen wahrscheinlich anders se- Der Tiername gehört i.d.R. zu einem Unter- hen dürften. Wesentlich daran ist, dass bei Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 424

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dieser Form der Polyandrie die Verwandt- ment could draw from her native place. schaft nur über die Mutter definiert werden These facts appear sufficient to prove kann. Dieses System wurde noch that Arabia did pass through a stage in which family relations and the marriage many centuries after Mohamed ... still law satisfied the conditions of the practically kept up, at least in Southern totem system, and in which on that Arabia (Smith, 87). system the distribution of animal sub- tribes among different groups, as we Nun ist es nicht unbedingt ein kynoso- find it in the tribal genealogies, is phisches Ziel ersten Ranges, die den Frauen perfectly natural, sympathischere Form der Polyandrie gerade in Arabien nachweisen zu können, aber ein bilanziert Smith (88), ohne sich vor gut 130 besonderes Vergnügen ist es schon, beson- Jahren der modernen Analogie bewusst sein ders im Frühjahr 2006. Und auch wenn zu können, die die heutige Kenntnis von der kritische Matriarchatsforscher die matri- mtDNA darstellt: Der Stammesname Kaleb lineare Abstammung von matriarchalen ist unter diesen rechtlichen Verhältnissen gesellschaftlichen Verhältnissen grundsätz- fast so eine Art Ariadne-Faden wie heute die lich entkoppeln wollen, dann gibt es doch mitochondriale, (fast) nur über die Mutter zahlreiche Einzelbeispiele, die für eine vererbte DNA. Auch wenn Koppelung im konkreten Fall sprechen und den soziologischen Zweifel in Frage stellen exogamy had by this time (~ Patriar- (man bedenke eben auch das psycholo- chalisierung) gone out, the original gische Matriarchat). Was uns Kynosophen totem-stock in any settlement of the aber vorrangig interessiert, das ist der unter conquerors would still constitute the erschwerten Bedingungen erbrachte sozio- mass of the population, and the minor historische Nachweis eines alltäglichen stocks, now consolidated into stable Geschlechterverhältnisses, das wir bislang clans, would ultimately come to be nur von herausragenden Persönlichkeiten regarded as subdivisions of it (Smith b, wie der Königin von Saba (im Yemen!) und 243), aus der Mythologie kannten - diese realen Frauen leben und lieben wie die Große sodass auch unter patriarchalen Verhältnis- Göttin: sen die Fortdauer des wichtigsten Totems gesichert ist: With this agrees the widespread prac- tice of distinguishing princes by their Thus we should expect to find in such a mother´s names. The same usage is conquering nation a descending scale found in tribal names (Smith a, 88), of tribes and clans, with many of the old totems retained in the lower divisions womit wir wieder bei der hiermit beant- and some perhaps in the higher also, worteten Frage angekommen sind, warum while in other cases animal names of ein und dieselbe Tierbezeichnung Unter- totem origin would survive only in the stämme und Clans verschiedener Stämme names of places which in historical bezeichnen kann. times were peopled by a mixture of several stocks (Smith b, 244). The women readily consented to marry strangers (> 288: Philoxenie), who Nochmals wird also meine Annahme unter- might depart when they pleased (vgl. mauert, dass der Kaleb-Totem einer der drei Jakob: > 338), but the children remai- wichtigsten Totems der semitischen Völker- ned with the mother, whom no induce- familie war - nimmt man die klassische Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 425

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Dreigliederung eines Stammes an, dann Gruppen zweifellos kanaanäischen Ur- gehörte dieser Hunde-Clan zu den drei sprungs sind (> Richter 1, 35). Und mit Hilfe Gründer-Clanen) und dass die Kalebiter zu weiterer Indizien meint Smith, dass den führenden Köpfen nicht nur der Erobe- rung Kanaans zählten, sondern im gesam- we are therefore justified in concluding ten semitischen Raum mit an der Spitze that the conditions of the totem system standen der did exist in Canaan; and if so, the animal names and their distribution are suffi- great confederate hordes ... who from cient indication that the system itself time immemorial have constantly prevailed there as in Arabia (Smith a, 94). moved northwards ... to seek summer pasture (> 275-94) and plunder in Zusammen mit der uns schon bekannten watered regions even when they had matrilinearen Verwandtschaftsbezeich- no hope of making permanent nung in der Hebräischen Bibel (> Genesis 24, conquests (Smith b, 245). 53; 31, 43; Richter 8, 19 u.a.) und den dort dokumentierten Mischehen von Hebräern Wechseln wir nun, immer noch geleitet von mit Frauen anderer Nationalitäten, er- W. Smith, vom arabischen zurück ins bib- scheint es lische Lager - an der südlichen und östlichen Grenze Kanaans lebten Stämme, die sowohl only natural that the totem tribes of mit Israeliten wie mit Arabern verwandt wa- their neighbours should reappear in ren: Die Midianiter und die Amalekiter wa- Israel, as we have seen to be the case at ren Araber, und ebenso die Keniter und all events in Judah (Smith a, 95). Rechabiter, ungeachtet ihrer Allianz mit Is- rael (Smith, 89). Und in den Stamm Judah Was jetzt für Smith und uns noch zu tun waren integriert z.B. die Hezroniter mit bleibt, das ist den Nachweis zu erbringen er- ihren beiden Hauptlinien stens einer Verbindung zwischen den tie- rischen Stammesnamen und der entspre- of Caleb (Kalibbites (~ Kalebiter)) and chenden Verehrung des tierischen Ahnen Jerahmeel ... In this district then we may und zweitens eines Zusammengehörigkeits- fairly expect analogies to what we have gefühls von Menschen desselben Tier- found in Arabia, namens, aber unterschiedlicher Nationa- lität. Das beste Indiz liefert der Prophet Eze- meint Smith (89) zuversichtlich, und in der chiel, der von Gott aufgefordert wird, dort- Tat haben wir ja bereits ohne seine Hilfe die hin zu gehen, wo die Eifersucht Gottes Kalebiter als einen Hunde-Stamm erkannt, erregt wird, nämlich zum Tempel in Jerusa- dessen Anführer oder Häuptling Kaleb ~ lem, sich ein Loch durch die Wand desselben Keleb ~ Hund genannt wurde nach dem zu brechen und so Eingang zu verschaffen: totemistischen Urahnen des Stamms: Ich ging hinein und sah: viele Bilder von In fact Caleb (= kalib = kalb), by the rule abscheulichen kleinen und großen that Tieren und allen Götzen des Hauses Israel; sie waren ringsum in die Wand eingeritzt (in: Ezechiel 8, 10). are interchangeable ... and are identical with the Arabic tribal name Kalb, Ob der aufrechte Mauerbrecher dort auch einen Hund gesehen hat? Smith nimmt bestätigt Smith (a, 89), während viele ande- wohl zu Recht an, dass nicht nur im Tempel re Tiernamen für israelitische Stämme bzw. die Tierbilder zu sehen waren, sondern dass Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 426

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jeder Haushalt sein bevorzugtes Tierbild Der Verzehr von Blut gilt als heidnisch, denn aufstellte. Und auf diesen Tierbildern sah das Blut ist allein für JHWH bestimmt; zuerst der Prophet unreine Geschöpfe - das un- wird Blutverzehr als Missachtung JHWHs, reinste aller Geschöpfe doch wohl auch: dann als Götzendienst negativ sanktioniert. Den Hund?! An anderen Stellen entnehmen Aber auch der rituelle Verzehr konnte wir der Hebräischen Bibel, dass unreine Tie- tabuisiert sein, so in den Mysterien des re verzehrt wurden, z.B. das Schwein, die Geheimbunds von Harran, denn die Mysten Maus usw. (> Jesaja 46, 17; 65, 4; 66, 3). Jetzt sahen Hunde, Raben und Ameisen als ihre wird auch die scheinbar willkürliche Unter- Brüder an. Harran liegt südöstlich von Urfa scheidung von reinen und unreinen Tieren in der Südosttürkei und ist als bedeutende in der Hebräischen Bibel verständlich - die Handelsstadt des alten Orients seit dem -18. unreinen Tiere sind die Erscheinungsformen Jahrhundert bezeugt; Harran kam um von Konkurrenzgottheiten: -1.300 an Assyrien, um -600 an Babylonien und kann in unserem Zusammenhang im It can hardly be doubted that there is a weiteren Sinn als eine nordsyrische Stadt conscious antithesis to heathen cere- betrachtet werden: Zwar liegt das heutige monies in which unclean animals were Dorf Harran im Zentrum des türkischen Teils sacrificed and eaten as a religious act der Harranebene, diese Ebene zieht sich (Smith a, 98). aber südlich von Urfa bis jenseits der sy- rischen Grenze hin; bekannt wurde Harran Der syrischen Abstinenz, Fisch als alltäg- in der Antike v.a. durch seinen Kult des liches Nahrungsmittel zu verspeisen, ent- Mondgottes. Man kann davon ausgehen, spricht der syrische Brauch, Fisch rituell zu dass die Mysterien von Harran im übrigen verzehren: Syrien bekannt waren, da es sich immerhin bei den Harranitern um Mitglieder der se- Ein „unreines“ Tier war also ursprünglich mitischen Völkerfamilie handelt. ein heiliges Tier, dessen Essenz man sich nur einkörpern konnte, wenn man bei seinem Verzehr bestimmte Rituale respektierte, z.B. Harran oder: Der helle Mondgott bei der rituellen Tötung des Hundes durch und sein dunkler Bruder Genickbruch darauf zu achten, dass das Blut den Körper nicht verlässt: man erwürgt Harran (> 490: Karte & > III, 505-6) Hunde (in: Jesaja 66,3): galt neben Ur in der Antike als Zentrum des Mondkultes. In Harran hielt sich Abraham its meaning must be that the blood of auf, der Ahnherr der Israeliten wie der Ara- the victim is not shed, and that there- ber. Beide Weltreligionen, die hebräische fore the life which lies in the blood is wie die islamische, beziehen sich daher auf not lost, but is shared among the parti- Harran. Für das palästinische und babylo- cipants (Smith b, 310), nische Judentum war Harran der Knoten- punkt der Verbindungswege über Syrien eine Deutung, die vom Deuteronomisten und Nordmesopotamien. Harran war von auf negierende Weise dialektisch bestätigt frühester Geschichte an bis in die islamische wird: Zeit die Hochburg des „syrischen Heiden- tums“ (Rudolph, in: Gese, 449). Harrans Doch beherrsche dich und genieße kein größte Bedeutung liegt jedoch darin, die Blut; denn Blut ist Lebenskraft und du beiden Weltreligionen zu erden an ihre sollst nicht mit dem Fleisch zusammen „heidnischen“ Vorgänger: Der Mondgott die Lebenskraft verzehren (Deuterono- und Stadtgott von Harran ist dieses missing mium 12, 23). link, er wird seit dem frühen -2. Jahrtausend Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 427

4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN 427

bis in die islamische Zeit, also über 2.500 tige Göttin Hekate eine eminent wichtige Jahre - immer wieder in den alten Doku- Funktion inne, denn sie vermittelt zwischen menten über Harran als die supreme deity der menschlichen und der göttlichen Welt: genannt und es waren die Die Erde (Tibil) liegt zwischen der obe- multiform powers of this god that ren Welt des Lichtes und der unteren were, 2500 years after the founding of der Finsterniss. Die Tibil ist im Norden Harran, to provide one of the strongest durch ein hohes Gebirge mit dem Licht- links between the Muslims and the pre- reiche in Verbindung. Dort, im hohen Islamic culture of the ancient Near East, Norden, sitzt der erhabene Lichtkönig, die gesegnete Argâ, die Utrâ´s und wie Tamara M. Green (23) ohne Übertrei- Könige ... Alles Gute geht von dieser bung in The City of the Moon God feststellt. Region aus. Von hier kommt der Ajar- Dieser Mondgott Sin ist u.a. der Schäfer des wind, durch den alle Wesen leben und Himmels, der die Sterne als seine Schafe hü- atmen. Ebenso alles Licht, welches von tet, und das verbindet ihn mit Tammuz/- da den Gestirnen zugeht. Auch das Dumuzi (> III), aber auch mit anderen Gott- lebende Wasser, die Quelle, die Flüsse. heiten der Viehzüchter-Kulturen Mesopo- Vom Süden gilt gerade das Gegentheil. tamiens: Für den Hirten, der Fernweide- Dort ist die Welt der Finsterniss; heiße, wirtschaft halbnomadisierend betreibt, sind schädliche Winde kommen von dort, Sterne wie Nanna-Nanai (> 394, 416) und die Menschen sind schwarz wie Dämo- Sin (der männliche und weibliche Mond), nen (Andrian, 269). Utu (die Sonne) oder Inanna (der männliche Morgen- und weibliche Abendstern), Dieses Nord-Süd-Gefälle ist typisch für das äußerst bedeutsame Helfer in der zeitlichen alte Mesopotamien, und der hundsköpfige und räumlichen Orientierung. Nanna war Winddämon Pazuzu des -1. Jahrtausends schon von besonderer Bedeutung in den bestätigt die lange Tradition der Mandäer. sumerischen Städten Ur, Gesh, Larsa und Der Mond war - wie ursprünglich überall - Kullab, eine männliche Gottheit, deren Symbol, die Mondsichel als eine Art sexuellen Wunder- where herding played a large role in horns des Mannes in den Stierhörnern the economic life of the region (Green, fortgesetzt wurde, ein beinah universelles 25). Symbol männlicher Zeugungskraft, wie Ta- mara M. Green (25) kompetent festhält. Harran ist also Synonym für den Nachklang Umgekehrt werden die Hörner des sume- jener altbabylonischen Vorstellungen, die bei rischen Gottes En-Su (~ Herr Wilder Stier) im den Mandäern genannten Anhängern dieser Halbmond gespiegelt. Stierkopf wie Mond- alten und traditionsreichen Religion bewahrt sichel beziehen sich auch auf den harra- wurden. Die Sprache der Mandäer war nischen Mondgott Sin. Die Stadt Harran prägte ihre Münzen aber nicht nur mit der die des unteren Babylonien und ihre Mondsichel und dem Stierkopf, sondern Religion war in ihren älteren Theilen auch mit dem Kopf eines Hundes, der ein auf chaldäische Mythologie und Halsband trägt: Kosmogonie aufgebaut (Andrian, 269). Der Hund war das heilige Tier des Got- Die Chaldäischen Orakel (> III, 499-502) ver- tes Nergal-Herakles, der in Harran als binden diese altbabylonische Tradition mit „mein Herr mit den Hunden“ (mari der platonischen Philosophie - und in der dkalbau) verehrt wurde (Tubach, 133, Weisheit dieser Orakel hat die hundsgestal- FN 18). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 428

428 4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN

Ergänzend erfahren wir von einem Dichter sind, zumal das Heiligtum, in dem dieses Re- des 6. Jahrhunderts, nämlich Jakob von bzw. lief gefunden wurde, explizit dem Ahnen- aus Serug, in seiner Schrift Über den Fall der kult geweiht war, der noch heute (~ 1972) Idole, dass Satan von den Parsis (~ Nachfahren der Parther in Indien) praktiziert wird. Mit Nergal und sei- in Edessa set up Nabu and Bel and any nem Hund werden wir uns gleich noch aus- (more). He led Harran astray through führlich befassen, kommen wir jetzt wieder Sin and Be´elshamin (> 414-6: Gott auch zurück zum Mondkult von Harran, in dem von Palmyra) and Bar Nemre and Mar(i) auch Nergal als dunkler Bruder des hellen of his dogs (~ „mein Herr mit den Mondgottes eine wichtige Rolle spielt. Der Hunden“ ~ mari dkalbau) and Tar´atha wachsende Halbmond wird zur Krone des (and) Gedlath the goddesses (Jakob von Königs und verbindet die Fruchtbarkeit des Serug, in: Segal, 68). Stiers mit der politischen Macht des Königs als dem Mann par excellence. Dieser Jakob verbrachte den größten Teil seines Lebens in der Region von Edessa, Ist der zunehmende Mond ein Symbol des Harran und Batnaee (~ Serug): Er war also Mannes, so repräsentiert der Vollmond die bestens informiert über die dortigen Kult- Fruchtbarkeit der Frau. Zwar wird der Mond gebräuche. Nergal wurde in Hatra wie in als Mann geboren, zwar stirbt der Mond Palmyra mit der westasiatischen Variante auch als Mann, aber als Frau nur erreicht der des Herakles verschmolzen - so wird der Ti- Vollmond die Fülle. Das erklärt wahrschein- tel Herr der Hunde zu einer metonymischen lich auch, warum Göttinnen wie Hathor und Bezeichnung für Herakles/Herkules: Nergal Isis behornt oder gar mit einem Kuhkopf der Dunkle war der schwarze Hund in den dargestellt wurden (> III). Halbmond und drei Tagen vor Neumond. Als Herr der Hun- Vollmond bilden die göttliche Brücke, über de wurde Herakles-Nergal bis in die Zeit des die der Mond sowohl als weibliche wie als Jakob von Serug verehrt. Auf zwei Reliefs in männliche Gottheit konzipiert werden Hatra begleitet der Hund den Nergal- konnte. In Harran war der Mond männlich, Herakles (Milik, 165). Das zweite Relief zeigt hieß Sin und seine Frau war Ningal (~ Große einen riesigen Hund, der auf einem Podium Frau), die an seiner Seite saß, wenn er den sitzt, schräg gegenüber sieht man einen irdischen Königen die Insignien ihrer Herr- aufrechten jungen Kriegsgott. Auf der schaft überreichte. ersten Skulptur sehen wir eine komplexere Szene: Im Mittelpunkt des Reliefs steht ein Im sumerischen Mythos von der Geburt des alter, bärtiger Gott mit grimmigem Gesicht: Mondes wird Enlil, der Hauptgott von Nippur, nachdem er die Göttin Ninlil raubte, de sa droite il brandit une bipenne et il in die Unterwelt verbannt. Aber die verlas- est entouré de sept serpents et de deux sene und mit dem zukünftigen Mondgott scorpions; dans sa gauche il tient en schwangere Göttin folgt Enlil in die Unter- laisse un chien à trois têtes (Milik, 165). welt und hätte dort Nanna, die Mondgott- heit, geboren, wenn Enlil sie nicht mit eini- Dieser Gott mit dem dreiköpfigen Hund ist gen Zaubertricks zuerst drei Unterweltgott- im Hintergrund begleitet von einer auf ei- heiten gebären lässt, darunter auch Nergal, nem Thron sitzenden Göttin, die von zwei den Herrscher der Toten. Nur so gelingt es Löwen flankiert ist. Für Milik gibt es keinen dem Mond, aufzufahren an den Himmel. Zweifel, dass die beiden Gottheiten Von diesem sumerischen Modell leitet sich ab der babylonische Mythos von der Höl- Nergal mit seinem Kerberos und seine lenfahrt der Göttin Ischtar (> VI), der Him- Gattin Atargatis melskönigin, die ihren Jünglingsgeliebten, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 429

4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN 429

den Vegetationsgott Tammuz aus der Un- Der Herr mit seinen Hunden terwelt befreien muss. Hier tritt an die Stel- le des Mondes als Fruchtbarkeitsgott der - so wurde der Totenherrscher Ner- menschengestaltige Tammuz. So wie Tam- gal, Bruder des Mondgottes Sin, in Harran muz in der Unterwelt gefangengehalten genannt, und so wurde er auch auf einem wird, so ergeht es auch dem Mond am 28. Relief am großen Tempel in Hatra im Nord- Tag des Monats, wenn er nicht mehr zu se- Irak dargestellt - der große Tempel scheint hen ist, weil er sich in der Gewalt des Dra- im 2. Jahrhundert gebaut worden zu sein, chen befindet. Der 28. Tag des Monats war geht aber zurück auf ein älteres Bauwerk, in Babylon ein Tag der Trauer, und der Tag das ähnliche Abmessungen besaß (Tubach, des Vollmonds war ebenfalls ein Feiertag 253): Auf diesem Relief wird Nergal mit (shappattum > Sabbath), an dem mit Gebe- Skorpionen, Schlangen und drei Hunden ten die Götter besänftigt werden mussten, dargestellt und ausdrücklich auf dem Sockel weil nun der abnehmende Mond beginnt. der kleinen Alabastersäule Nergal Kalba (~ Nergal, der Hund) genannt (Tubach, 268). Er Zwar sahen wir den Stier und auch die be- konvergiert hier mit Mithra, der seinerseits hornte Kuh assoziiert an den Mond, aber als intensiv hündisch konnotiert ist (al-Salihi, Kynosophen haben wir bislang den Hund 113-5 & > V). Nergals Hunde sind in diesem vermisst, den wir jetzt bei Nergal als dessen Kontext eine negative Vereinseitigung - gilt Kerberos wiederfinden. Nun ist Nergal, der Nergal doch in der assyrischen Religion als Totenherrscher, ein Sohn Enlils und so ein Personifikation von strength, animal drive, Bruder des Mondes, vielleicht sogar dessen and sexual potency des Gilgamesch und ver- Zwillingsbruder: Denn dass beide eng mit- körpert als unterste Stufe des animalisch- einander verbunden waren, zeigt der meso- unbewussten Menschen als Nergal/Sakkan potamische Kalender - Nergal wurde kos- bestiality and animal instincts, selfishness misch mit Saturn identifiziert, dessen Monat and greed (Parpola, 193, FN 121 &196), Cha- der Kislev (~ November bis Dezember; > III) rakteristika, die für Höllenhunde unerläss- war, während der Monat Siwan (~ Mai bis lich sind - denn diese drei Hunde Nergals Juni) dem Mondgott gewidmet war: Im hatten wahrscheinlich die Aufgabe, den erstgenannten Monat findet die Winter- Eingang zur Unterwelt zu bewachen, wie es sonnenwende, im zweitgenannten die bei den Griechen der dreiköpfige Kerberos Sommersonnenwende statt. tat. Für diese Parallelisierung spricht, dass im mittelalterlichen Harran selbst Während in Babylon das Akitu-Fest im Ni- san, im ersten Monat des Jahres, stattfand, on the wall piers flanking the southeast wurde es in Harran zu Ehren des Mond- gate of the citadel are images in relief gottes Sin am 17. Siwan veranstaltet, also of dogs, dating from the eleventh ungefähr zur Zeit der Sommersonnenwen- century, and it is possible that they serve de. Denn auch Marduk, der babylonische the same apotropaic function (Green, Reichsgott, muss wie früher Ischtar, den 72). Mond aus der Unterwelt befreien. Interessierten Lesern empfehle ich den Bei- Der Tempel des Mondgottes Sin in Harran trag A Muslim Shrine at Harran von D.S. Rice heißt ékulkul (Buren, 23) und ist sume- (in: BSOAS (VXVII/3), 1955, 66). Viel früher rischen Ursprungs (Tubach, 129), wie e-kur, schon, nämlich in der assyrischen Epoche, das Berghaus als Zentrum der Welt, dessen wurden Hunde unter der Türschwelle be- Doppelung sprachlich in Harran stattfand graben, so dass sie im Aggregatzustand ei- (die Lautverschiebung von l zu r ist so gut nes Schutzgeistes die Angriffe übelwollen- wie gesetzmäßig). der Dämonen auf Haus und Familie abweh- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 430

430 4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN

ren konnten (vgl. dazu: E.A.W. Budge: Amu- Auf einigen Darstellungen sieht es so aus, lets and Superstition, London, 1930, 99). In als ob sich der Hund auf Nergal stürzen wol- Hatra gab es einen Tempel, der ausschließ- le - das passt natürlich nicht zu seiner Funk- lich Nergal, dem Hund, gewidmet war (Mi- tion als Begleittier Nergals. Da über diesem lik, 166); man fand dort eine Darstellung Hund aber auf Tontafeln aus Palmyra ein der drei Hunde mit drei Inschriften, die ent- Stern erscheint (Milik, 169), liegt es wohl weder die Gottheit oder ihr heiliges Tier, nah, in diesem Hund den Sirius zu erkennen. den Hund, benennen: nrgl klb`. Auf einer Segal (68) hat den Herrn mit seinen Hunden Alabasterstatuette ist ein liegender Hund aufs Sternbild Orion mit dem Großen und mit Halsband dargestellt (in: Sumer (11), 1, dem Kleinen Hund bezogen, später aber 1955, 11-2; N° 70-2). Nergal nimmt regel- auf das Sternbild Hercules, das in Meso- mäßig die Stelle ein, die für den Sohn unse- potamien als Sternbild des Hundes bezeich- rer Herren reserviert ist (Milik, 166). net wurde, wie Göhde nachweist und Hal- pern (135) präzisiert: Der göttliche Name nrg(w)l klb` (~ Nergal der Hund) setzt sich auf menschlicher Ebe- Gula had a constellation in Babylonian ne fort in dem weit verbreiteten Namen astrology, roughly identical with our Bar-Kalbâ (~ Sohn des Hundes) oder constellation Hercules, that was 〉␣␪␹␣␭␤␣ (~ Tochter des Hundes), was of- construed in the shape of a goddess fensichtlich keinerlei pejorativen Beige- faced by a sitting dog, schmack hat, aber die Stammvaterschaft des Hundes als transpersonaler, weil hundsköp- womit nicht nur die Ikonographie der ku- fig maskierter, Erzeuger in der Heiligen durru (> III) erhellt wird, sondern ein astro- Hochzeit evoziert. nomisch-astrologischer Bezug zur Heiligen Hochzeit hergestellt wird, denn genau die- Ebenfalls auf Nergal ist die Bezeichnung ses in Mesopotamien Hund genannte Stern- Kalbâ (~ der Hund) auf Tontafeln in Palmy- bild Hercules kündigte mit seinem Erschei- ra zu beziehen, besonders die Bezeichnung nen den Beginn der Heiligen Hochzeit an, `Aklab (~ der Hund (im Sinn von: Hundis- wie wir das in Samos, stellvertretend auch simo), mit diesem Superlativ wird der drei- für alle griechischen Heiligtümer, erkennen köpfige Hund des Nergal benannt. In konnten (> III). Palmyra, Hatra und Dura wie in der ganzen Region ist der Name ´Ab(d)nergol weit ver- Der Gott, auf den sich dieser Hund zu stür- breitet (Milik, 168). Am Kult des Herakles- zen scheint, wäre dann doch mit dem Bräu- Nergal in Palmyra ist bemerkenswert, dass tigam dieser Hochzeit zu identifizieren, die der durch die Oase bedingte Synkretismus selbst auch durch den Stern evoziert ist - dem westasiatischen Herakles eine positive dieser Stern wird ja noch viel später Drei Grundeinstellung zum Hund attestiert, Heilige Könige zur Krippe nach Bethlehem während der griechische Herakles sich als führen, wo sie das Produkt einer Heiligen erbitterter Hundefeind aufführt (vgl. zum Hochzeit bewundern können. Dass die Ver- Herakleskult in Palmyra: H. Seyrig in: Syria wandtschaft von Nergal und Sin sehr eng (XXIV), 1944-45, 62-80). Herakles-Nergal war, sogar bis zur Zwillingsbrüderschaft des wird in Palmyra immer in militärischem Out- Dunklen mit dem Hellen gehen konnte, wis- fit dargestellt, mit einem Kalathos (> III) fri- sen wir bereits: Dieser hohe Rang, den Ner- siert, was ihn mit seiner Partnerin verbindet, gal in Harran neben Sin einnehmen konnte, die, ebenfalls mit einem Kalathos frisiert, rührt wohl von diesem mesopotamischen auf einem Thron sitzt, von zwei Löwen flan- Dualismus von Hell und Dunkel, der wie- kiert. Der Gott wird hingegen von einem derkehrt in der Lehre des Zarathustra wie Hund begleitet (so Milik gegen Seyrig, 168). des Mithras in der Gestalt des Ahriman. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 431

4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN 431

Der Kult der Sabier ~ Sabäer, terin der weiblichen Hauptgottheit von die Königin von Saba, Saba, dem ältesten der altsüdarabischen die Chaldäer und die Hinawi Königreiche. Ab der Mukarrib-Zeit (das ist ab -720 bis -410 die Zeit der Priesterkönige) Einige Königreiche sind im Süden gibt es in Saba einen Reichsgott, der aber im- der Arabischen Halbinsel mindestens seit mer erst an zweiter Stelle genannt wird, vor dem -1. Jahrtausend bekannt. Während die ihm rangiert Attar, dessen Namensgleichheit Religion des nordarabaischen Palmyra (> mit Astarte und Ischtar nicht darüber hin- 414-6) im 3. Jahrhundert gut dokumentiert wegtäuschen darf, dass er eine männliche ist mit der Göttertrias Bel (früher: Bol) oder Gottheit ist - obwohl ihm auf bildlichen Belshamin (~ Herr des Himmels) zusammen Darstellungen noch vereinzelt das Vulva- mit der Sonnengottheit Yarhibol und der Symbol der Ischtar zuweist und daher Mondgottheit Aglibol neben Nergal, Nabu, Atargatis, Astarte (~ Ischtar) und Beltis/- einstige androgyne Züge des ´Attar` Herta, ist über die südlichen Araber kaum nicht ganz auszuschließen sind (Höfner, etwas bekannt, aber auch hier gab es eine in: Gese, 302): Göttertrias, deren Hauptgott die Mond- gottheit war als Schutzpatron jeder größe- Als Sohn des Mondgotts mit der Son- ren Stadt und vergleichbar mit dem babylo- nengöttin bildet Attar eine Trias und einen nischen Mondgott Sin. Die Göttin Athtar ist Familienmythos, der den Christen in ande- mit der babylonischen Ischtar gleichzuset- rer Kostümierung bekannt ist. Auf den zen, und der Gott auf dem dritten Rang war Mondgott beziehen sich Steinbock und Ga- der Sonnengott Shams (~ Schamasch bzw. zelle (bzw. Wildziege), die in der Mytholo- Utu). Im -5. und -6. Jahrhundert gab es in gie und auf den Felsbildern bzw. Graffiti Tayma im Nordwesten der Halbinsel ein einander vertreten können - als Göttertiere Kultzentrum des Mondgotts, in dem der können sie nicht nach zoologischen Krite- letzte babylonische König Nabonid einige rien betrachtet und getrennt werden (Höf- Jahre seines Lebens verbrachte. Nabonid, ner, in: Gese, 247). Es ist aber v.a. der Stein- ein Verehrer des Mondgotts Sin, war es bock, der den Mondgott evoziert bei wech- auch, der einige Tempel der hündisch kon- selnden Bezeichnungen des letzteren: Diese notierten Göttin Gula restaurieren ließ. Liste verschiedener Namen für den Mond- Ebenfalls im -5. Jahrhundert erwähnt Hero- gott ermutigt mich, den Steinbock auf den dot die Namen zweier arabischer Gotthei- yemenitischen Felsbildern als heiliges Tier ten: Orotalt und Alilat (~ Göttin), die im Ko- des Mondgotts zu verstehen, zumal der ran später als al-lat zusammen mit al-´Uzza Steinbock nur in rituellen Jagden erlegt und Manat zu Töchtern Allahs „avanciert“ wurde (Höfner, in: Gese, 256 & 332-3). Dann (> 536). Immerhin: Die Große Göttin stellt sich mir die Frage, wie die den Stein- braucht im Christentum als Maria etwas bock jagenden und umstellenden Hunde mehr Zeit, um sich neben dem männlichen mythologisch zu verstehen sind: Der Stein- Gott in untergeordneter Rolle zu etablie- bock als Repräsentant des Mondgotts ist ein ren, und in der Hebräischen Religion sind männliches Jagdtier, und die Königinnen Frauen, d.h. weibliche Gottheiten, immer von Saba veranstalteten rituelle Staatsjag- noch weitgehend heimatlos. Al-Lat, al- den auf den Steinbock als Staatsgott: Die ´Uzza und Manat wurden auch bereits auf Königin von Saba erscheint als „Schwester“ vor-islamischen Inschriften als göttliche Na- der Jaël (~ Töterin des Steinbocks? > 395-7): men bezeugt. Und so erscheint die Königin Ist der biblische Polit-Thriller nur die mo- von Saba nicht mehr als eine exotische Tou- dernisierte Variante eines uralten Zeremo- ristin, die sich an den Hof des Königs Salo- niells?) Der (Jagd)-Hund ist somit ein solar mo verirrt, sondern als irdische Stellvertre- konnotierter Begleiter der Königin, wahr- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 432

432 4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN

scheinlich mit dem Hundsstern Sirius assozi- Da die Halsbänder der Hunde einst zu iert. Die Jagd auf das „Mondtier“ Steinbock einem größeren Bildzusammenhang ist exzessiv, will man den Listen trauen, die gehörten, ist es nicht ausgeschlossen, z.B. von 2310 erlegten Steinböcken und Ga- dass sie aus dem nahegelegenen Tem- zellen zeugen (Höfner, in: Gese, 332). Es pel der Sabier stammten. Einen Hund liegt nahe, dass nach der Jagd ein kultisches als heiliges Tier besaß Nergal in Hatra (> Gemeinschaftsmahl abgehalten wurde, zu- 428, 429-30), Babylonien und in Palmyra mal blutige Menschenopfer in Südarabien (Tubach, 133, FN 18). nicht bezeugt sind, dafür aber weiht man Menschen dem Dienst einer bestimmten Obwohl es kaum explizite Hinweise gibt für Gottheit: eine Verbindung des Mithras mit Harran, so ist doch der Text von den Fünf Mysterien im Sehr häufig, aber durchaus nicht aus- Haus der Bughadharis in Harran ein starkes schließlich, wurden Frauen als Pfand- Indiz für mithraische Symbolik, aber auch personen gegeben; daraus auf sakrale für iranischen Mythos: Denn die drei Tier- Prostitution zu schließen, wäre voreilig, arten, die im zweiten Mysterium eine wesentliche Rolle spielen - Hunde, Raben meint Höfner (334), weist aber wenige Sät- und Ameisen - haben ebenfalls wesentliche ze weiter nach, dass Frauen als Töchter Gott- Funktionen im Mithraismus (> V) wie in der es oder Töchter des ´Il bzw. ´El genannt wur- Lehre Zarathustras, denn sie sind wie in den, womit man sie mit Recht als Hierodulen Harran brüderliche Geschwister, denen die ~ kadischtu/kedescha und Kolleginnen der ins Mysterium Eingeweihten zu Dank ver- kadesch/keleb ansehen kann (> 356). Noch pflichtet sind (Green, 204). Hund und Rabe in den mittelalterlichen mandäischen und verbinden Mithra mit Nergal: Der Rabe wird sabäischen Mysterien wird Nergal als der in der mithraischen Ikonographie als der dunkle Widerpart zwar verändert, aber Bote des Sonnengottes ~ Mithra dargestellt, doch auch wiederbelebt in der Gestalt des während Nergal wieder der Shamal, in dem die frühere mesopotamische Tradition nochmals gebündelt wird - stand Herr mit den drei Hunden Nergal doch in enger Beziehung zu Pazuzu, dem Herrn der Dämonen (> 537-48), wie ist. Die Verbindung wird nachvollziehbar, Lewy nachweist. In islamischen Texten wird wenn wir die Zwillingsbrüderschaft des Hel- dieser Nergal umschrieben als der Herr der len und des Dunklen erinnern: Hund und Blinden und wegen seiner Gewalttätigkeit Rabe nehmen im Paradigma dieselbe Stelle mit Mars identifiziert. ein, jenachdem, ob von Mithra oder Nergal die Rede ist. Der Hund symbolisiert im Zoro- Bei Ausgrabungen fand man in dem astrismus die gute Schöpfung des Ohrmazd, nach Aleppo führenden Stadttor und in der Ikonographie wird er dargestellt Harrans zwei Reliefs, die rechts und entweder auf den getöteten Stier zusprin- links des Torbogengewölbes in die gend, dessen Blut er auflecken will und auf Mauer eingelassen waren. Auf jedem dessen Körper die Ameisen sich gütlich tun, dieser beiden Reliefs sind zwei Hunde oder - im persischen Stil - als Gefährte seines mit Halsband dargestellt ... Das Aleppo- jagenden Herrn. Der frühere Konflikt zwi- tor wurde 1.089 auf Befehl des Numai- schen Nergal, dem Dunklen (~ dem drei Ta- riden Mani ibn Sabib gebaut und lag an ge unsichtbaren Mond?), und Sin, dem Hel- der Südostseite der islamischen Zita- len, ist aufgehoben im Kampf des Mithra delle, an deren Stelle nach einigen gegen Ahriman: Mithra hat die Qualitäten muslimischen Autoren in früherer Zeit von beiden Hellen, dem Mond Sin wie der ein Tempel der Sabier gestanden hatte. Sonne Shamash, übernommen, was ihn in Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 433

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Gegensatz stellt zu Nergal. Jurjas ist der Ober-Satan der Sabäer, und man hat ihn als vermännlicht-patriarchalisierte Erscheinung der griechischen Gorgo, jener engen Ver- wandten der dreileibigen Hekate, (> III) ver- stehen wollen, der zur nächtlichen Göttin der Hexerei und der schwarzen Magie re- duzierten früheren Großen Göttin - und als Meisterin des Voodoo-Zaubers kann Hekate analogisiert werden mit Jurjas, der seiner- seits wieder analog ist zum persisch- iranischen Ahriman, der ebenfalls Herr der Dämonen ist, ganz wie der babylonische Pa- Oman und seine Stämme, wie sie im „Buch Job“ zuzu. Anders als in Afrika, wo Hund und erwähnt werden. In: Ward, 456. Huhn gemeinsam geopfert werden, avan- ciert aber in Harran der Hahn allein zur Ga- weisbar sind, könnten the Shihuh a seventh lionsfigur und zum Opfertier, da er Wieder- century B.C. local antiquity haben, wie Ber- geburt und Fruchtbarkeit in Personalunion tram Thomas (in: Ward, 457) meint, womit symbolisiert: Vom Hund übernimmt er den aus einem modern tribe ein ancient tribe männlichen, vom Huhn den weiblichen An- geworden ist. Von den drei Hauptgruppen, teil der Fruchtbarkeit. Liegt Harran im Län- in die sich die Shihuh gliedern, wohnen als derdreieck Türkei-Syrien-Irak und somit die größte Gruppe die Interior Badawin, die weit im Norden, so setzt sich sabäische und Bani Hadiyah und die Bani Shatair im Berg- chaldäische Tradition in der diametral ent- land: Alle sind Hirten, groß gewachsen und gegengesetzten Ecke der Arabischen Hal- Semitic in appearance (Thomas, 458). Ty- binsel fort, und zwar, wie kaum anders zu pisch für ihre Region ist der bait al jahl, das erwarten ist, in hündisch konnotierter Nach- ist ein Rundgrab, aus Lavasteinen erbaut, barschaft: Die Sabäer wie die Chaldäer le- das nach Thomas (459) angeblich unknown ben u.a. weiter in den Bewohnern und Tra- in Musandam ist, aber the most typical and ditionen der Halbinsel Oman im Südosten common archaeological feature of Ma´zun der Arabischen Halbinsel. Glaubt man dem im südwestlichen Iran ist, von wo persische Buch Job, so waren Sabäer und Chaldäer Kolonisten im -6. Jahrhundert nach Oman Feinde Jobs (1, 15 & 17), der selbst im bib- kamen, um dort für mehr als 1.000 Jahre, lischen Land Uz lebte (in: Job 1, 1), dem heu- nämlich bis zur Islamisierung, zu bleiben. tigen Bereich der Azdites, während seine Da aber diese Rundgräber zumindest in drei Freunde, die ihn in seinem Elend besu- Oman nach neuesten Methoden auf ca. chen und trösten wollen, drei andere Stäm- -2.000 datiert sind und somit gut 1.400 Jah- me der Oman-Halbinsel repräsentieren: Eli- re älter sind als ihre mutmaßlichen Impor- phas der Temanit, Bildad der Schuhit und teure aus dem Iran, dürfte die Annahme, Zophar der Naamathit (in: Job 2, 11; > oben die Shihuh verdankten ihre Liebe zum Hund rechts). Da das Buch Job mit seiner bohren- Zarathustras Einfluss, hinfällig sein. Dass den Frage nach Gottes Gerechtigkeit wahr- Thomas selbst die Hinawi-Rundgräber nicht scheinlich in der babylonischen Gefangen- gesehen hat, ergibt sich aus seiner Bemer- schaft (um -586) geschrieben wurde und der kung, dass erste Dichter des Buchs offensichtlich Oman wählte, um dem reichlich konstruierten Ge- ancient graves exist in some parts of the schehen glaubwürdigen Lokalkolorit zu ver- mountains, which are said to have leihen, und da die von ihm erwähnten orientation towards Jerusalem and not Stämme auch noch 1928 in der Region nach- Mecca (Thomas, in: Ward, 463). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 434

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Dennoch kommt auch B. Thomas wegen der ge Zeit überlebte. Einen ähnlichen Einfluss Orientierung der Gräber zu dem Schluss, übten die Sabäer aus, die nicht nur im Süd- dass die im Buch Job erwähnten Schuchiter westen der Arabischen Halbinsel, sondern als Freunde des bitter Geprüften ebenfalls auch am Persischen Golf als Asabi sich nie- Semiten sind. Bestätigt wird das in der oma- dergelassen hatten (Thomas, in: Ward, 456). nischen Dhahirah-Provinz von der universal Chaldäer und Sabäer, beide in ihrer tradition, Bewusstseinsentfaltung vom Hund maß- geblich geprägt, bewohnten auch die Halb- that its earliest known people were insel von Oman, über deren Hauptstadt “Yahud” (~ Juden), and today two tribes Nazwa der arabische Reisende Ibn Batuta found there, the Bani Kalban (~ Kaleb ~ (in: Smith, 87) zu berichten weiß, dass Hund) and Al Yakib ... are by unanimity of Omani opinion descendants of Bani their women multiply corruption (~ Pro- Israel (Thomas, in: Ward, 459-60). miskuität) without causing jealousy (seitens ihrer Gatten) or offence. Hinzukommt als dritter Beweis, dass in der Dhahirah-Provinz das Fellachen-System mit In dieser kulturellen Umgebung sind unsere dem Attribut Da´udiyat gekennzeichnet Menschen von Shihuh beheimatet. Diese wird: Es stammt also von David. Mit Thomas Shihuh nennen sich selbst Hinawi und sind (460) kann man vorläufig bilanzieren: The- im Inland meist als Hirten, an der Küste als se considerations would account for He- Fischer und Bootsbauer tätig. Von der Küste brew survivals in Oman. Sehen wir uns nun bis zu den höchsten Erhebungen sind knapp diese hebräischen Überreste genauer an: 1000 Meter Höhenunterschied zu überwin- den, die Siedlungen sind unwirtlich, Wasser ist knapp, Futter ist kaum vorhanden - mit Die Menschen von Shihuh einem Wort: Ein klassisches Rückzugsge- biet, das auch für die indischen Händler un- wohnen auf der Musandam- interessant war, die sonst regen Handel mit Halbinsel, die von dem restlichen Oman den anderen Küstenregionen von Oman durch die Vereinigten Arabischen Emirate treiben und für die im -3. Jahrtausend abgetrennt ist, knapp drei Autostunden von Oman Zwischenstation für ihren Handel mit Dubai entfernt liegt und die die fürs Auge Sumer war. Eine indische Beeinflussung der des Landkartenfetischisten angenehme Hinawi können wir also weitgehend aus- Symmetrie der Arabischen Halbinsel ein we- schließen. Und das ist nicht unwichtig, gibt nig stört, indem sie an deren südlicher Ost- es in Indien doch ein ähnliches Phänomen küste noch weiter nach Osten ragt und so zu beobachten wie bei den Hinawi/Shihuh die Distanz zum Iran spürbar verringert, wo- auf ihrer Halbinsel. Die nur oberflächlich is- mit auch das gemeinsame Vorkommen der lamisierten Hinawi bauen keine Moscheen, Rundgräber zu verstehen wäre. Vielleicht sind zum Ausgleich aber bekannt für ihren prädestinierte die exponierte Lage die Men- Aberglauben an schen von Shihuh auch zu einem intensive- ren Kontakt mit der indischen Seite, aber jinns, janns, afarit in general, and umm wesentlich beeinflusst wurden sie wohl subiyan in particular. The first named ... eher vom südlichen Mesopotamien, und keep the Shihiyin in their houses after zwar von der chaldäischen Kultur, deren dark; janns are monstrous creatures to Ausläufer wir in Harran kennenlernten, die be distinguished by the light that shines aber ursprünglich aus dem südlichen Meso- from their foreheads; the afarit have potamien kommt und in Oman mit dem the terrifying faculty of going upon Stamm der Chaldaei (> 433: Karte) noch lan- their bellies; umm subiyan is a woman Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 435

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of ordinary appearance save that she sophisch noch völlig ungetrübt, sonst hätte casts no shadow. A she-devil, she walks er explizit hervorgehoben, dass dieser ty- in rags amidst waste places carrying a pische Erkennungsschrei des Stammes be- basket, and her mission seems to be to sonders bei rites de passage zu hören ist, cause miscarriages to pregnant women z.B. bei der Beschneidung, bei der Heirat, (Thomas, in: Ward, 463). aber auch bei anderen Festen, z.B. bei der Bewirtung hoher Gäste, wie Thomas wohl Diese besonders gefürchtete Teufelin ent- einer war, und natürlich auch, wenn man(n), spricht der mesopotamischen Lamaschtu, aber vielleicht auch frau (> 395-7), in den deren hündische Affinität wir noch kennen- Krieg zieht. Es ist also nicht nur ein Kriegs- lernen (> 489 ff.). Nun könnte man vor- schrei, dessen Produktion und akustische schnell aus dieser gefürchtetsten Dämonin Besonderheiten Thomas so beschreibt: ableiten, die Hinawi hätten etwas gegen Frauen, eine Vermutung, die angesichts ih- The Shihuh sheik rose, and, standing a rer islamischen Nachbarn ja nicht unsinnig little aside with hands still unwashed - erscheint. Und die Tatsache, dass die Hina- this, I gathered, was a necessary obser- wi-Frauen den Pflug ziehen müssen, weil al- vance - placed his left arm across his len Hinawi das Rind verhasst ist - wohl chest and his right arm bent above and primär aus ökologischen Gründen -, könnte behind his head; then, straightening die irrtümliche Vermutung der Frauen- and bending the raised arm, he set up a Diskrimination noch stützen. Aber wenn curious howl not entirely unmusical, auch in ascending and descending the scale over a compass of perhaps nearly an oc- the hills the plough is drawn by women, tave. Those noise, which may best be ... Shihi women are not otherwise de- likened to a vocal imitation of a swanny graded; they all wear the veil, whistle pitched two octaves lower, was carried on for some few minutes. Mean- wie Thomas (464) beobachtet, aber auch time, a dozen or so of his tribesmen der Schleier erscheint nur als eine ober- standing close together in a ring about flächliche Anpassung an die islamische Um- him with their hands to their mouths, gebung. Neben dieser peculiarity gibt es “muedhdhin” fashion, broke in at inter- noch eine weitere Besonderheit bei den Shi- vals with a curious, sharp, dog-like bark. hi, die Thomas bemerkt hat, und er fügt sie syntaktisch unmittelbar an das Pflugziehen Nun wird Musik als störend oft empfunden, und Schleiertragen der ansonsten nicht „de- wenn sie mit einem dog-like bark verbun- gradierten“ Frauen an: den, und der zwar nicht unmusikalische, dafür aber ungläubige Thomas - nomen est ... the “nadabah” or “kubkub”. This is a omen - nähert sich auf kynosophisch unsen- kind of tribal war cry, the use of which, sible Weise dem Kern des akustischen Phä- however, is not restricted to martial nomens durch den Versuch einer präzisen occasions, but is freely indulged at all Beschreibung, die darin gipfelt, den noise times of rejoicing, a feast, a marriage, als ein hundeähnliches Gebell zu beschrei- or a circumcision (Thomas, in: Ward, ben. Damit trifft er den Kern der Sache, oh- 464). ne es zu merken: Der Scheich und seine Mannen machen sich Mut, indem sie das Bertram Thomas, dieser britische Bobachter Geheul eines Rudels anstimmen - indem sie und „Berater“ des Sultans von Oman am sich zu Hunden machen. Dazu veranstalten Beginn der englischen Kolonialisierung Ara- sie manchmal einen Schwerttanz, der mit biens um 1928, ist ethnologisch und kyno- Musik begleitet ist, aber weder der Tanz Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 436

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noch die Musik sind vergleichbar mit ähn- (> III, 12, 132 & 142); Korybas war ein lichen Veranstaltungen im übrigen Oman, Sohn der Kybele mit Iasion und gab den ja, Thomas wertet sogleich und verstellt sich Korybanten den Namen, der von der den Zugang, wenn er bemerkt, makedonischen Wurzel *korybé abge- leitet ist mit der Bedeutung Berggipfel that the sword dancing of the Shihuh is (kor, kur usw.): Die bellenden Koryban- disappointing to one who has seen the ten sind also ein weiteres Beispiel für set order and combination of such das KUKUR-Ensemble (> III) von KU (~ displays in Oman (Thomas, 465). Hund) und von KUR (~ Berg(göttin)), und es Die elaborierten Zeremonielle, die er im übrigen Oman gesehen hat, dürften die entspricht ganz besonders dem Weiterentwicklung von etwas sein, das mit Schwerttanz der pyrenäischen Jung- der Shihi performance an die Urform her- männer, die den Felsen von Arriba Par- anreichen dürfte, denn die ist din (> I, 65: Abb. 92 & > VI) umtanzen, ebenfalls mit einem hundeähnlichen entirely individual, every performer Gebell, nicht das Schwert aus Eisen, careering around with trembling blade, aber den Penis in der Hand haltend, oblivious of everybody else, in much vielleicht - was die Beobachterin Violet the same uncouth manner as practised Alford viktorianisch verschweigt - auch at Murbat in South Arabia (Thomas, mit einem trembling blade. 465). Dieser Vergleich mit ähnlichen Zeremoniel- Die Individualisierung und Entrücktheit der len von Europa bis Indien ist Indiz für die ur- einzelnen Tänzer wird nur zu einer Ge- tümliche Form, die sich in Arabien nur in die- meinsamkeit aufgehoben durch das rudel- sem Rückzugsgebiet erhalten konnte, ur- formende hundeähnliche Gebell aller Be- sprünglich aber - verschränkt mit den ande- teiligten: Dieses Gebell ren kalebitischen Stämmen West-Asiens, deren transpersonaler Stammvater der entspricht dem rituellen Tanz der bel- Hund war - in ganz Arabien verbreitet ge- lenden Bhairava-Jünger sowie einer wesen sein muss. Ein weiteres Indiz ist der Gruppe singender Hunde in den Upani- schamanische Stil der Veranstaltung, den saden Indiens (> V), so weit muss man Thomas beobachtet, ohne ihn als solchen er- aber gar nicht gehen, denn das Gebell kennen zu können, der sich im ausschließ- lichen Gebrauch der Trommel als Musik- entspricht auch dem Gebaren hethi- instrument manifestiert und der das Indiz tischer Kultfunktionäre (> V), die als für die im chronologischen Sinn primitive Ur- Hundemenschen während des Rituals tümlichkeit des Zeremoniells ist, verglichen zu „bellen“ und zu singen haben mit der rituellen Praxis im übrigen Oman: (Jakob-Rost, 419), es No virtuous woman would raise her entspricht den mesopotamischen Kur- voice in song; the drum is tolerated, but garru (> III, 132), den (kastrierten) limited to “Ids”; the simple “rababa” Tempelgauklern, die Krieg spielen, ..., and the honest “zimmur”, beloved by die Zimbeln schlagen, Freudengeschrei Transjordan tribes, are abjured; while ausstoßen (Landsberger, 120, FN 31), es the lute of Muscat is bracketed with the vice of great towns and is only to be entspricht dem Tanz und Gebell der mentioned in a whisper (Thomas, in: Korybanten der Großen Göttin Kybele Ward, 465). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 437

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Die Vereinigten Arabischen Emirate mit dem Fundort des Frauen- und Hundegrabs. In: Blau, Fig. 1.

Ich legte zu Beginn dieses Abschnitts über in bestimmten Regionen bis ins 20. Jahr- die Hinawi Wert auf die Tatsache, dass die- hundert nachweisen lässt. Erinnern wir uns ser Zipfel der Arabischen Halbinsel nicht von an die nicht degradierten Hinawi-Frauen, Indien beeinflusst ist, womit eine direkte Fi- die den Pflug ziehen dürfen - ja, dürfen: liation vom indischen Bhairava-Kult ausge- Denn dieses Privileg wird wohl analog zur schlossen ist. Auch bemerkte ich, dass es kantabrischen Sitte zu sehen sein, wo die statt eines indischen eher einen chaldä- Frau das Gespann leitet, während der Gatte ischen und sabäischen Einfluss gab, der hinter dem Gespann hertrottet (> VI), ihm aber, die Eigenschaft der Halbinsel als klas- kann man diese kostbare Technologie nicht sisches Rückzugsgebiet bedenkend, nichts anvertrauen. So ähnlich könnte es auch bei Neues importierte, sondern synergetisch Al- den Hinawi mit dem Pflug gewesen sein. tes festigte: Dieses Alte ist die hündisch kon- Dass die Frauen auf der vor-islamischen notierte Mythologie, die ich in Nord-Afrika Oman-Insel früher etwas gleicher waren als analysierte und die ich über die Arabische die Männer, mit all den Unannehmlichkei- Halbinsel bis nach Indien nachweisen kann. ten, die dieser Rechtsstatus aus heutiger Die arabischen und indischen Parallelen zu Sicht mit sich bringt, das scheint ein uralter den Hundeköpfigen in Nord-Afrika erschei- Zustand zu sein, denn auf der Oman- nen vor diesem Hintergrund als gleichaltri- Halbinsel hat man Gräber entdeckt aus der ges Phänomen eines Zeremoniells, das sich Zeit zwischen -2.300 und -2.100: Diese Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 438

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Epoche nennen die Archäologen nach dem Hauptfundort die Umm an-Nar-Periode. Da sie in den Gräbern neben menschlichen Ske- letten auch tierische Skelettreste entdeckt haben, nehmen diese fortschrittlichen Ar- chäologen 1999 an, dass

the recent results of excavation under- taken of an Umm an-Nar grave (Unar 2; > 437: Karte) in the Emirate of Ras al- Khaimah provide a window into certain relationships between humans and animals in the past (Blau u.a., 34).

Diese special relationships zwischen Tier Im bislang größten „prähistorischen“ Grab der Ara- und Mensch werden besonders im größten bischen Halbinsel wurde u.a. eine Frau mit einem Hund Grab deutlich, das als Unar 2 in einem beigesetzt. Legende: A bis M = Grabkammern.In: Blau,Fig. Gräberfeld des Shihuh-Dorfs Shimal am Fuß 2. des Hajjar-Gebirges entdeckt wurde: Das Grab ist rund und hat einen Durchmesser Verzehr während des Bestattungszeremo- von 14,5 m, womit es das größte bislang niells ausschließen. Da kein Penisknochen entdeckte Grab der Arabischen Halbinsel ist. gefunden wurde, könnte man versucht sein, Die oberirdische Beisetzung in Tumuli den Hund als Hündin zu identifizieren (> III, erzwingt der felsige Untergrund, man hat 256-67: Sothis-Prinzip), aber dieses Knöchel- nach neuesten Zählungen ca. 172.000 chen ist so klein, dass es wohl als eines der Gräber gefunden (Black u.a., 66). In der ersten Knochen zerfällt, wofür bei einem Grabkammer D (> rechts) im südöstlichen Alter von ca. 4.000 Jahren einiges spricht. Bereich des Tumulus fand man das weit- gehend vollständige und anatomisch Der Hund war von medium build and size, korrekt verteilte Skelett eines Hundes, worunter Blau u.a. (37) immerhin eine nach dessen Hinterläufe unter den Körper gezo- Harcourt errechnete Widerristhöhe von gen waren to accomodate the dog within 56,6 cm verstehen (weitere Maße des Hun- the southern end of the chamber (Blau u.a., des > 440-1). Die Längendifferenz zwischen 35). Teile der Wirbelsäule und des Kopfes Ober- und Unterarm sowie zwischen Ober- waren nur noch knapp konserviert. Der und Unterschenkel lässt mich auf das For- Hund war so gebettet, dass er mit dem Kopf mat eines Sprinters schließen. Überreste von nach innen ins Zentrum des Grabs, also ost- Hunden wurden auch gefunden in den wärts „blickte“ (> 439: Abb. 3 & 4). Das er- Grabkammern B, G und J (> oben), für die innert ein wenig an die Lage des Hundes in die gleiche Widerristhöhe ermittelt wurde den Gräbern von Kerma im Sudan (> II, 433: und was wohl bedeutet, dass all diese Hun- Abb. 1), wo allerdings der Hund nicht zu- de mit demselben Ritual beigesetzt wurden. sammen mit der bzw. den Leiche(n) in der- Man kann also davon ausgehen, dass auch selben Kammer, sondern in einem blinden in den übrigen Grabkammern Menschen Zugang zur Grabkammer beigesetzt war, mit Hunden beigesetzt wurden. Wenden aber auch mit der Blickrichtung auf die ei- wir uns daher dem Fall zu, in dem Hund und gentliche Grabkammer. Da das Skelett des Mensch im Grab klar einander zugeordnet vollständig erwachsenen Hundes weitge- sind: Die Frauenleiche war weiblichen Ge- hend komplett und „anatomisch korrekt“ schlechts, zwischen 25 und 35 Jahre alt und beigesetzt ist, kann man seinen rituellen in Hockerhaltung auf die linke Seite gebet- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 439

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Oben: Das komplette Hundeskelett wurde neben dem Kopf der Leiche beigesetzt. Rechts: Draufsicht auf Kammer D mit den kompletten Skeletten von Mensch und Hund und tönernen Gefäßen.In: Blau, Fig. 3 & 4 (rechts).

tet, sah mit dem Kopf nach Westen - sicher- die das zeugende Wasser durchdringt ... te also zusammen mit dem ostwärts blicken- Schwarz auch der dunkle Mutterschoß, den Hund um 360° -und lag unmittelbar auf der ... der Nacht entspricht (Bachofen 3, dem „gepflasterten“ Boden der Kammer. 116). Eine Urne sowie eine Muschel lagen südlich neben dem Kopf bzw. dem Mund der Toten; Schwarz ist auch das Material, aus dem die die Muschel dürfte nicht nur Aphrodites Rundgräber errichtet sind: Ihre Architektur Schoß symbolisieren, sondern wie bei den repräsentiert den dunklen Mutterschoß der Griechen eine übelabwendende Amulett- Erde wie die Nacht, in die die Tote einge- kraft haben (Bachofen 3, 117): Die antiken gangen ist - betrachten wir kurz den matri- Nachrichten über die „nomadisch“ leben- archalen Hintergund der Region: Die West- den afrikanischen Troglodyten (> II) sagen küste des Persischen Golf war schon den uns, dass die Frauen sich schwarz bemalten frühdynastischen Sumerern als das Land mit großer Sorgfalt und dass sie Muscheln Dilmun/Tilmun (> 490: Karte) bekannt, in um den Hals als Amulette trugen (Bachofen dem der als einziger die Große Flut überle- 3, 115). Das Schwärzen des Gesichts bende Held Ziusura (~ Ut-napisti: > III) das ewige Leben genießt - Dilmun hatte durch- soll die Frau auch äußerlich dem aus etwas Paradiesisches, und hier herrsch- Erdstoffe ähnlich machen. Denn ten Gott Inzak und die Göttin Meskilak alias schwarz ist die Farbe der Fruchterde, Ninhursaga, die zugleich Mutter und Frau Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 440

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Die Teile des Unar-2-Hundeskeletts und ihre Maße (nach von den Driesch); Legende: GL = Greatest length, Bp = Greatest breadth proximal epiphysis, BG = Breadth of glenoid cavity, DC = Greatest depth of caput femoris, LAR = Length of the acetabulum on the rim, SD = Smallest breadth of the diaphysis - medio-laterally, DPA = Depth across the processus anconaeus, Bd = Greatest breadth distal epiphysis, Dd = Depth distal epiphysis;e = estimated,´Whole` = almost complete. In: Blau, Tafel 2 (Fortsetzung > 441). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 441

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des Inzak war (Black u.a., 66): Ein Indiz für Toten war also im -4. Jahrtausend maritim den matriarchalen Uroboros, den man in ausgerichtet, während man in Gräber- dem Grabfund wiedererkennen kann: Der schichten des -3. Jahrtausends in Ras al- Hund war gleich im Anschluss an das En- Hadd in Oman feststellen konnte, dass semble von Frau, Muschel und Urne beige- setzt und lag teilweise unter der Urne, was dogs seem to have been consumed, as nicht nur den Schluss nahelegt, dass er be- witnessed by a number of burnt and stattet wurde, bevor man das Gefäß depo- butchered dog bones (Blau u.a., 40). nierte, sondern dass er mit Urne und Mu- schel eine symbolische Einheit bildet. Die Die Ausgräber schlossen daraus, dass diese Beisetzung des Hundes ist also Hunde u.a. Tiere den Toten als Wegzehrung mitgegeben wurden (dafür spricht auch, clearly not a later intrusive burial, the dass in der Golf-Region Hundeskelette be- dog and the human were interred in the reits aus dem -4. Jahrtausend ausgegraben same stratigraphic level (Blau u.a., 39). wurden, die appeared to be remains of fu- neral meals, since the bones showed marks Die beigelegte große Muschel war gewalt- of butchery; in: Brewer, 54), während der sam geöffnet worden, so, als habe man das Hund aus unserer Grabkammer D nicht die- Muschelfleisch extrahieren wollen, viel- sen Zweck erfüllen sollte: leicht aber auch, um der Toten den Verzehr zu erleichtern? Weitere Meerestiere wie The fact that it (~ der Hund) was buried apparently intact within the tomb, dolphin and other large mammal bones perhaps with its owner, suggests that as well as the jawbone of a dog (Blau dogs were treated with a surprising u.a., 40) degree of respect,

fand man bereits in Gräbern aus dem -4. meinen Blau u.a. (40) dazu, eine Erkenntnis, Jahrtausend bei Ras al-Hamra, in derselben die auf der Arabischen Halbinsel von vor- Region. Dort hielten die Toten Klappen der eingenommenen Betrachtern sicher nicht Macrocallista-Muschel oder Reste von erwartet wurde und die wir rückschließen Meeresschildkröten in Händen. Die Diät der können an die Identifikation der Shihuh Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 442

442 4. KAPITEL · KALEB DER DOG-MAN IN ARABIEN

alias Hinawi mit dem Hund, wenn sie her- einem unverzichtbaren Ausmaß zum Leben- ausragende Ereignisse ihres Lebens mit ei- sunterhalt bei, dann wird er auch einen ent- nem dog-like bark zu feiern haben. Die en- sprechend hohen Einfluss auf die Be- ge Nachbarschaft von menschlicher Leiche wusstseinsentfaltung seiner Menschen aus- und mitbestattetem Hund hat in der Groß- geübt haben. Im Gegenzug können wir die region eine über Jahrtausende dauernde mental-archäologischen Reste bei seinen Tradition, wie wir bereits an den Bestat- Menschen in Arabien noch erkennen, weil tungspraktiken der frühen Natuf-Kultur an der westasiatischen Mittelmeerküste erken- the care given to specific types of dogs nen konnten. Die große Lücke zwischen der used for hunting in the Arabian Pen- Natuf-Kultur und den Kulturen des -4. bis insula is well attested in the ethnogra- -3. Jahrtausends können wir vermutlich phic record. The hunting dogs were said nicht mehr archäologisch schließen, aber to become members of the family, per- wenn wir die Girlanden-Theorie des Frucht- mitted the run of the tents and eating baren Gürtels von der Atlantikküste Nord- the same food as their masters. If in fact afrikas über die Asiatische Sahara ~ Arabi- the dog buried at Unar 2 was used for sche Halbinsel bis nach Indien mit all ihren some kind of hunting then it is inte- kynosophischen Implikationen hinzu neh- resting that it is buried with a woman, men, dann verkürzt sich die Lücke zwischen especially given stereotypical notions der Natuf-Kultur und den „arabischen“ Kul- about divisions of labour. Whatever turen des -4. bis -3. Jahrtausends um einige practical roles dogs performed in the Jahrtausende: Denn respektvoller Umgang past, it seems certain that they also mit dem Hund ist in der Grünen Sahara vor provided a faithful companion for the 8.000 Jahren dokumentiert, und diese nor- Umm an-Nar people who formed a dafrikanische Tradition wurde, wie ich ge- close relationship with them, ultimately zeigt habe, bruchlos von der frühdynas- resulting in their inclusion within burial tischen Gesellschaft Ägyptens fortgesetzt, practices (Blau u.a., 41). und auch in Mesopotamien und Bahrain ist der Hund als „reines“ Tier von -5.000 bis Schließen wir nun noch diese vorsichtigen -323 dokumentiert, wie man überprüfen Spekulationen der Archäologen zusammen kann in The Archaeology of the Arabian mit der Sage von der Königin von Saba als Gulf c. 5000 - 323 BC von M. Rice (London, der Spitze eines matriarchalen Paradigmas 1994, 46). auf der Arabischen Halbinsel vor ihrer Isla- misierung, dann können wir Blau u.a. nur Dogs may have played an important zustimmen, wenn sie die bestattete Frau als role in livestock management such as Jägerin, vielleicht mit der Kenntnis der herding sheep and goat, as well as on Feuerland-Indianerinnen als Fischerin und hunting trips where they may have vielleicht mit der Kenntnis äthiopischer been used for stalking or retrieving hundsköpfiger Hirten als Eigentümerin der prey (Blau u.a., 41). Viehherden, in jedem Fall aber als Eigen- tümerin des Zelts auffassen, in das Gatte Und, so möchte ich ergänzen, wegen der und Hund Zutritt haben - nur in welcher Küstennähe und maritimen Diät kann man Reihenfolge, dass müsste man(n) erst noch auch eine Analogie zu den Indianerinnen herausfinden. Vielleicht liegt hier ja mit ein auf Feuerland (> I) erkennen, die als Fische- Motiv, warum der Hund in West-Asien vom rinnen den Lebensunterhalt auch für ihre transpersonalen Stammvater der wichtig- nichtschwimmenden Männer bestritten, in- sten und „edelsten“ Clane zum unreinsten dem sie ihre Hunde als „Fischschwarmhüte- Tier und zu Gottes ärgstem Feind „avancie- hunde“ einsetzten. Trägt der Hund aber in ren“ musste. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 443

5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß 443

5. Ashkelons Rätsel und die Halbgötter in Weiß: Dog-Men und Dog-Women

Ashkelon - der größte bei wohl auch den westlichen und wesent- Hundefriedhof der Antike? lichen Teil eines auch nach seiner Halbie- rung noch zu den größten Hundefriedhö- In nächster Nachbarschaft zu den fen des Mittelmeerraums zählenden Stadt- größten Hundehassern konnten sich noch teils mit sich reißend. Nach dieser Katastro- bis zur Islamisierung Hundeverehrer be- phe, und zwar von ca. -1.175 bis -604, haupten, denen der Hund als Garant für Ge- wurde Ashkelon von den aus Griechenland sundheit und Wohlstand galt, so z.B. bei kommenden Philistern (> 327-8) beherrscht, den Phöniziern: Unter den persischen Köni- dann machte der neubabylonische König gen Kambyses und Darius/Dareios I. (-521 Nebuchadrezzar Ashkelon dem Erdboden bis -486) erweiterten die phönizischen Städ- gleich. 1986 begann der amerikanische Ar- te Tyros und Sidon ihre Vorherrschaft über chäologe Lawrence Stager mit der Fortset- die Küste bis nach Askalon im Süden. In der zung der Grabungen seines britischen Vor- archäologischen Fundstätte Ashkelon (> gängers John Garstang. Zunächst fanden 444: Karte), strategisch und taktisch günstig die Ausgräber ein Dutzend Hunde, sorgfäl- gelegen, hat man Schichten von insgesamt tig bestattet und ebenso sorgfältig ausge- zwanzig ehemaligen Städten freigelegt, die graben. Die Sorgfalt der staunenden Ar- datiert sind von ca. -3.500 bis 1.500, also ei- chäologen ließ nicht nach, wie Stager ver- ne Zeitspanne von 5.000 Jahren abdecken. sichert, als sie immer mehr Hundebestat- In der ersten Hälfte des -2. Jahrtausends war tungen entdeckten, bis 1991 (Datum der Ashkelon eine der größten und reichsten ersten Veröffentlichung) fanden sie mehr Hafenstädte des östlichen Mittelmeers; da- als 700 teilweise oder komplett beigesetzte mals lebten schätzungsweise 15.000 Men- Hundeskelette, wenige Jahre später waren schen in der Stadt. Ashkelon wurde wegen es schon 1238 (Göhde 1, 9). Und es ist erst seiner günstigen Lage oft zerstört, wohl zu- die östliche Grenze des Hundefriedhofs ent- erst von den Ägyptern, als sie die Hyksos- deckt worden, nach Westen hin dürfte sich Invasoren (-1.650 bis -1.550) aus ihrem Land 2005 die Zahl der Skelette auf weit über warfen und bis in deren Heimatregion 1.300 erhöht haben. Dies ist bei weitem der Kanaan verfolgten. größte Hundefriedhof der Antike, den man bislang entdeckt hat. Und dabei war diese Ashkelon wurde aber immer wieder aufge- Schicht als Hundefriedhof nur ca. fünfzig baut. Um -1.200, als sich die israelitische Na- Jahre in Gebrauch. Darunter und darüber tion formierte, stand sie in regem Austausch liegen die Schichten von Warenspeichern, mit den Kanaanitern, auch mit Ashkelon. und der Friedhof selbst liegt im Geschäfts- Heute ist es nur noch ein verträumtes See- zentrum der antiken Stadt. Später, in der bad für die Israelis aus den benachbarten persischen Periode der Stadt, wurden Hun- Großstädten nördlich des Gaza-Streifens. de ebenso sorgfältig und respektvoll beige- Um -1.200, muss durch ein extremes Natur- setzt, aber nicht mehr in dieser Masse und ereignis die westliche Hälfte Ashkelons ab- nicht mehr so konzentriert an einem Ort, gebrochen und ins Meer gestürzt sein, da- wo man an manchen Stellen drei Hunde- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 444

444 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Die Karte zeigt Ashkelons ökonomisch günstige Lage am Mittelmeer: Ein Treffpunkt der Weltreligionen? In: Stager, 29. Unten: Fundstellen von Hundegräbern in Ashkelon (Kästchen). In: Göhde 1, 10, Abb. 4.

gräber übereinander geschichtet fand - des- The carcass was then carefully covered halb meint Stager (31), dass die Gräber an with earth containing a mixture of cul- der Oberfläche nicht gekennzeichnet wa- tural debris. However, no grave goods ren: can be associated with the dog burials.

Each dog carcass was carefully and indi- Alle Hundegräber zeigen ein einheitliches vidually placed in a shallow pit dug in- Bild, vermutlich waren spezielle Arbeiter to the fill of what had previously been mit der Beerdigung der Hunde beauftragt. a warehouse. Each dog was deliberate- Um 60 bis 70% der Hunde waren Welpen, ly placed on its side, its legs flexed and die übrigen waren erwachsene oder fast er- its tail tucked in around the hindlegs. wachsene Tiere. Es gibt absolut keine Hin- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 445

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Skelett eines Hundes vom Hundefriedhof in Ashkelon. 78 der 1993 schon über 1.200 Hundeskelette wurden in Ashkelon mit einer kostspieligen Methode geborgen. In: Göhde 1, 11,Abb. 5. Links: Plan des persischen Waren- lagers in Ashkelon. Rechts: Draufsicht aufs ergrabene Warenlager, in dem man Keramik aus dem ganzen Mit- telmeerraum fand. In: Stager, 32 b & a (links bzw. rechts). Unten: Simulierte Vogelsperspektive auf Ashkelon. In: Stager, 29.

Brühe zu medizinischen Zwecken im weite- ren Sinn verwendet werden, wie dies in England überliefert ist:

Kill a puppy, boil it, give the patient to drink the water in which it is boiled, weise, dass die Hunde getötet wurden, sie then throw the whole boiled pup on to sind alle vermutlich eines natürlichen Todes the plate in such a way as to cause a gestorben, die Sterblichkeitsrate entspricht fright to the patient (Eyre, 85). dem, was auch heute in Städten des Orients für Hunde üblich ist (Stager, 32). Stagers Ohne Schocktherapie gehts in England aber Annahme eines natürlichen Ablebens steht auch, zumindest noch oder schon 1885: aber die Möglichkeit entgegen, dass die Hunde getötet wurden, indem man sie z.B. The Live Stock Journal refers to another bei lebendigem Leib kochte oder so lange example that still exists in connection zur Ader ließ, bis sie tot waren. Diese Hunde with old folklore, and reports a strange wurden offensichtlich nicht gegessen, story that appeared in its columns in obwohl die Perser den Phöniziern von Car- July, 1885. In this case a woman took a thago dieses Verhalten ja vorwarfen (> II, newly-born puppy, skinned and boiled 167-8). Wurden sie gekocht, konnte die it, and gave the soup made therefrom Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 446

446 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Diese Typen und entsprechende Abmischungen wurden von R. und R. Menzel 1948 im Mandatsgebiet Palästina bzw. 1960 in Israel als Pariah-Hunde klassifiziert: Die Variabilität dieser Pariah-Gruppe spiegelt die Varianten der Ashkelon-Hunde wider. Ob man Typ 1 (bastardisierter (?) Herdenschutzhund) und Typ 4 (Windhund) in die Gruppe der Pariah-Hunde aufnehmen sollte, scheint mir doch eher fraglich. In: Wapnish u.a., 74. Rechts: Wapnishs und Hesses Hinweis auf die Menzelsche Pariah-Gruppe macht die Hunde von Ashkelon nicht verständlicher; da helfen m.E. eher die Tabellen zu den verschiedenen Parametern. In: Wapnish u.a., 77.

to her baby of six months old. When Auffällig ist, dass neugeborene Welpen und asked the reason for so doing, she said auch nur unwesentlich ältere Welpen mit it was the custom, as the broth of a der gleichen Sorgfalt bestattet wurden wie new-born pup had a magical effect on die erwachsenen Hunde. Stager (38) a weakly child, and after partaking of schließt daraus, dass eine besondere Bin- puppy soup, its blood changed, and it dung zwischen Hundehalter und Hund would grow up healthy and strong nicht entstehen konnte, die diese Sorgfalt (Manning, 86). erklären könnte. Dennoch spiegelt diese be- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 447

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sondere Behandlung eine intensive Bezie- ungewöhnliche Sorgfalt auch Welpen ge- hung wider zwischen den bestatteten Hun- genüber ist die Annahme, dass Hunde in den und den Menschen, die mit ihnen nicht dieser Zeit und in diesem Bezirk Ashkelons immer langfristigen Umgang hatten. Zwar als heilige Tiere betrachtet wurden, die man ist aus dem antiken Griechenland bekannt, in engstem Zusammenhang mit einer be- dass erwachsenen und auch jung verstorbe- stimmten Gottheit sah, wie Stager (38) vor- nen Hunden Gedichte zum Andenken ge- schlägt. In dem heiligen Tempelbezirk die- schrieben wurden, aber hier konnte in je- ser Gottheit hätten demnach die heiligen dem Fall eine persönliche Bindung zwischen Hunde freien Auslauf gehabt, wie etwa in dem trauernden Hinterbliebenen und dem den Bhairava-Tempeln (> V) in Indien. Eine Dahingeschiedenen angenommen werden. Schale, die im Hundefriedhof von Ashkelon Das aber ist bei frisch geborenen und so- gefunden wurde und die mit phönizischen gleich verstorbenen Welpen nicht wahr- Schriftzeichen des -5. Jahrhunderts be- scheinlich. Die beste Erklärung für diese schrieben ist, wurde von einem Mitarbeiter Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 448

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Stagers, Frank Moore Cross, wie folgt ent- ziffert: Kuchen. Die Schale sollte vermutlich von Besuchern des Tempels mit Hunde- Honig- oder Hunde-Käse-Kuchen gefüllt werden, wie man das auch aus dem Asklepios-Kult kennt (> 480 ff.). Kuchen und als Kuchen geformte Symbole (> 391) be- deuten Fruchtbarkeit und Vitalität (Neu- mann, 270), die man vermutlich über den Umweg des Hundemagens (wieder) einkör- pern wollte. Die erwachsenen Hunde von Ashkelon hatten eine durchschnittliche Wi- derristhöhe von etwas über 50 cm und wo- gen zwischen 10 und 15 Kilo. Die Archäo- Rechts: „Zweistreifige Darstellung auf Basalt (H ca. 92 zoologen Wapnish und Hesse sehen eine cm, B 72 cm, Dicke 23 cm) aus Beth Shan, -14. Jahr- moderne Entsprechung in today´s Bedouin hundert: Im oberen Streifen kämpft ein Hund gegen sheep-dog (in: Stager, 38), die auch als palä- einen Löwen, beide auf den Hinterläufen stehend. Im stinensische Pariah-Hunde bekannt seien (> unteren Streifen beißt sich der Hund im Hinterteil des 446: Abb. 77). Stager denkt im Gegensatz zu Löwen fest.“ Oben: „Zum Vergleich: Ein Hund verfolgt seinen Mitarbeitern Wapnish und Hesse an einen Löwen; altbabylonisches Terrakottarelief (L 9 cm, einen Jagdhund, der auf einem Sarkophag B 7 cm) aus der Larsa-Schicht über dem königlichen des späten -4. Jahrhunderts im phönizischen Friedhof von Ur.“ Bemerkenswert ist - wie schon beim Sidon dargestellt ist, mit Alexander dem Steinbock - die spätere Umwertung der Werte durch die Großen einen Löwen jagend. Stager identi- christliche Religion: Wie der Steinbock zum Sünden- fiziert diesen Hund mit den Ashkelon- symbol mutiert, so wird der Löwe vom Todessymbol Hunden und meint, man habe sie gut zur gewandelt zur „Idee Gottes und der Auferstehung, ... Jagd auf Hasen, Gazellen, Wildziegen und er zerbeißt die Schlange, d.h. den Tod und das Irdische“ sogar Löwen einsetzen können. Nun ist aber (Tetzlaff, Kommentar zu Abb. 70). Logisch, dass dann der der Hund, der auf dem Basalt-Relief von Hund - nicht nur aus diesem Grund - dem Christentum Bet-Shean (Beisan/Beth Shan; > 449 & 482) suspekt werden muss. Bildkommentare & Bilder in: Göhde den Löwen bezwingt, annähernd so groß 2, 36 (rechts) & 35 (oben). wie sein Gegner, und es ist ja Stager selbst, der dieses Relief ins Spiel gebracht hat. Wären demnach die gejagten Löwen etwas In diesem Tempelbereich hat man 1928 ge- größer als 50 cm gewesen? Der Fund in Beth genüber einem der beiden Tore des “Inner Shan stammt aus einer Tempelanlage der sanctuary” die Löwenplakette gefunden, Schicht IX um -1.350: von der Stager spricht (> rechts). Ihre Höhe beziffert Schretter (nach Rowe, dem Aus- Wir befinden uns in einem semitischen gräber der Plakette) mit 92 cm: Kontext. Der Gott rsp-mkl stellt wahr- scheinlich eine Verbindung zweier Sie zeigt in ihrer oberen Hälfte einen Gottheiten unter dem doppelten Hund im Kampf mit einem Löwen, Namen von Rescheph und Mkl dar ... während der untere Teil dieselben Tiere Während der nördliche Teil möglicher- zeigt, wobei jedoch der Hund den weise der Tempel einer weiblichen Löwen in den Rücken beißt. In beiden Schlangengottheit war, konnte der Darstellungen zeichnet ein sternförmi- südliche Teil ... als Tempel des lokalen ges Mal die Flanke des Löwen. Dieses Ba´al m´k3r/l identifiziert werden deutet Rowe ... als DIGIR-Zeichen und (Schretter, 158). den Löwen als “majestic lion of Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 449

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Nergal”. Das Zeichen DIGIR auf bild- -450 genossen hat. Obwohl in dem kosmo- lichen Darstellungen ist nicht allgemein politischen Ashkelon der persischen Periode üblich; ob es sich hier tatsächlich um Ägypter, Griechen, Juden, Phönizier und Nergal handelt, bleibt fraglich (Schret- Philister wohnten neben den hundelieben- ter, 159). den Persern, die am westlichen Rand ihres Weltreichs nur eine Minderheit darstellten, Diese weitgehend ritualisierte Darstellung dürften es wohl die Phönizier gewesen sein, des Kampfs zwischen Löwe und Hund ent- die den Hund als heiliges Tier betrachteten, spricht zumindest in der oberen Bildleiste wie Stager (39) meint. Zoroastrische Perser den altbabylonischen Bildern von reinen (> V) hätten Hunde nicht einfach in der Erde Löwen-Kämpfen, die ebenfalls auf den Hin- bestattet. Es kämen vielleicht noch die hun- terläufen stehen, während der altbabylo- deliebenden Ägypter in Frage, die sicher nische Kampf zwischen Löwe und Hund re- auch ein Viertel in der phönizischen Hafen- lativ realistisch dargestellt wird, indem der stadt Ashkelon bewohnten. Aber dann hät- Hund den Löwen von hinten angreift und te man in Ägypten ähnliche Hundefried- am Hinterlauf zu packen versucht (> 448: höfe finden müssen; dort wurde der Hund Abb. 35; vgl. > Rowe 1930 & 1940). aber nicht einfach in der Erde bestattet, son- dern einbalsamiert zur Mumifizierung. So Mir scheint, dass man zur intraspezifischen werden es wohl die Phönizier gewesen sein, Identifikation der Ashkelon-Hunde eher auf die die Tradition der orientalisch-antiken den Sachverstand der Archäozoologen Heilgötter in Ashkelon fortsetzten: Wapnish und Hesse vertrauen sollte. Es wird sich um einen mittelgroßen Hund gehan- Die Tradition der mesopotamischen Heil- delt haben, der vielleicht der damaligen Pa- göttin Gula und ihrer Therapiehunde, die riah-Hund-Population entnommen wurde, Tradition des Asklepios in Griechenland, des um in der Tempel-Klinik therapeutische Eshmun in Phönizien, des Mukol oder Dienste zu verrichten. Allerdings wurde die Resheph-Mukol im phönizischen Zypern, passende Klinik zum riesigen Hundefried- oder - noch früher - die Tradition im spät- hof noch nicht gefunden, doch Stager (39) bronzezeitlichen Bet-Shean. Resheph (vgl. ist zuversichtlich, dass dies nur eine Frage auch > 480 & 537) entspricht in der ugari- der Zeit ist. Der Kontext, in dem der Hun- tischen Götterliste dem Nergal als Herr des defriedhof gefunden wurde, ist ebenfalls Lebens und Gott der Unterwelt zugleich höchst bedeutsam: (Gese, 141). Die Ähnlichkeit ist aber am größten zu den Hundefriedhöfen der Gula- ... this ground was devoted to profit- Tempel in Mesopotamien - so hat man im making enterprises connected with the irakischen Nippur einen Tempel ausgegra- export-import business. But for a gene- ben, der auf Tontafeln als Hundehaus be- ration or so, this was interrupted by the zeichnet wird. Isin liegt nur knapp 30 Kilo- dog cemetery, apparently devoted to meter von Nippur entfernt. Auch hier wur- ritual purposes (Stager, 39). den zahlreiche Tafeln mit Weihe- und Dan- kessprüchen gefunden, und auf den Tafeln Man stelle sich vor, das Börsen-Parkett der waren auch Hunde abgebildet. Nun sind die Wall Street in New York würde aufgerissen, 33 Hundegräber von Isin quantitativ nicht für ca. fünfzig Jahre als Hundefriedhof ge- zu vergleichen mit den weit mehr als tau- nutzt, um dann wieder seiner früheren Be- send Hundebestattungen in Ashkelon, aber stimmung als Welthandelsbörse zugeführt der Bestattungsbrauch ist weitgehend iden- zu werden. Dann hat man wohl ungefähr tisch, meint Stager (42), was aber nicht ganz eine Vorstellung von dem gesellschaftlichen zutrifft. Auch die Sterblichkeitsrate ist ähn- Stellenwert, den der Hund in Ashkelon um lich: In Isin stellten Welpen beinah die Hälf- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 451

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te der Funde (15 von 33). Und wie in Ash- muss man auch nicht für eine gute, der Göt- kelon hat man auch in Isin keine Spuren von tin wohlgefällige Handlung als Motiv einen Gewaltanwendung gefunden. Auch die direkten eigenen Nutzen unterstellen. Die Hunde von Isin wurden mit derselben Sorg- Idee, dass aus Babylon heimgekehrte Juden falt bestattet, unbesehen ihres Alters. Die den Kult mitgebracht hätten, nimmt aber ir- Hunde in Isin waren die Hunde der Heilgöt- reparablen Schaden durch die Tatsache, tin Gula, und sie konnten sich im Tempelbe- dass die Beisetzungspraxis hier und dort ei- zirk frei bewegen. Vermutlich gilt das auch nen erheblichen Unterschied aufweist: für die Hunde von Ashkelon. Ein Rätsel bleibt vorläufig, warum die Hundevereh- It is not an accident that her (~ Gulas) rung in dieser fast 5.000 Jahre alten Stadt sanctuary at Isin contains a tenth- nur eine Periode von 50 Jahren dauerte. Da- century group of over thirty canine zu hat Baruch Halpern in einem launigen interments; though these had been Beitrag einige Lösungen vorgeschlagen: abused (probably kicked), they were not sacrificed or eaten (Halpern, 135).

Ashkelon - eine Zentrale Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass Gula in im Netz antiker Beziehungen? einem umfassenden kynosophischen Sinn als Hundegöttin konzipiert war. Man nann- Die Idee, die kurzfristig heftige te sie beltu rabitu (~ große Herrin), aber Hundeverehrung in Ashkelon mit dem Im- auch azugallatu (~ große Ärztin), wobei in port der Göttin Gula zu erklären, wird be- beiden Fällen, besonders in letzterem, groß gründet mit Israeliten, die aus der babylo- auch Chef impliziert, wie der auch sprach- nischen Gefangenschaft heimgekehrt und wissenschaftlich orientierte Baruch Halpern Gulas Religion im Gepäck gehabt hätten. betont, der nun in einer Art klangasso- Wir wissen bereits, dass die Propagandisten ziativer Wissenschaftlichkeit darauf hin- des Monotheismus in Israel die Religion(en) weist, dass der griechische Gott Apollo in der Nachbarn heftig bekämpften, da hier seiner Funktion als Heilgott auf den vom der Kult der Großen Göttin mit der Heiligen Seehafen Ashkelon gar nicht so weit ent- Hochzeit praktiziert wurde. Wir wissen fernten Kykladen-Inseln im östlichen Mit- auch, dass Gula in ihrer einzigen Funktion telmeer Asgelatas, auch Asgalatas genannt als Heilgöttin nur eine Reduktion ihrer wurde. Nun wissen wir, dass der berühmte- früheren Gesamtkompetenz darstellte, in ste Heilgott der griechisch-römischen Anti- der sie ebenfalls und total mit dem Hund ke, Asklepios bzw. Äskulapius, als Sohn und konnotiert war. Ein assyrischer Text lässt den Nachfolger des Heilgottes Apoll aufgefasst Schluss zu, dass Gula von ihren Gläubigen wurde. Wir wissen schon, dass besonders die nicht nur erwartet, dass sie selbst den Hund an der südlichen Levante lebenden Philister in Ehren halten, sondern auch gegen Miss- wahrscheinlich aus Griechenland kamen, handlungen des Hundes durch Dritte - wer zumindest stark griechisch beeinflusst wa- könnte das sein? - einschreiten sollen und, ren. Es gab also konkrete Beziehungen von das ist in unserem Zusammenhang beson- Ashkelon einerseits zurück nach Mesopota- ders wichtig: Gula erwartet, dass ihre Gläu- mien und zu Gula und andererseits hin nach bigen tote Hunde beerdigen (in: Ebeling, Griechenland. Diese Beziehungen können Literarische Keilschrifttexte aus Assur, Ber- wir nun in den Namen der Götter wiederer- lin, 1953, 20, 8-12). Die Beerdigung eines kennen: Hundes galt vielleicht als Ticket für die ei- gene Wiederauferstehung? Andererseits Gula = Azu-galla-tu = große Ärztin kennt man in Mesopotamien keinen Jen- Apollo = As-gela-tas/As-gala-tas =Heilgott seitsglauben im christlichen Sinn. Vielleicht Apollos Sohn = As-kle-pios/Aes-kula-pius, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 452

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Bis 1993 gefundene Hundebestattungen im Mittleren Osten. „There ist considerable evidence for dog burial throughout the Middle East“, meinen Wapnish & Hesse.Wer die Anzahl der Fundorte angesichts des riesigen Raums für nicht so „considerable“ hält, sei erinnert an den Grundsatz: Gefunden wird nur da, wo gegraben wird. Ashdod, in der Nähe von Ashkelon, weist die größten Ähnlichkeiten im Bestattungszeremoniell auf. In: Wapnish u.a., 75.

wobei gleich festzuhalten ist, dass die rö- frühere griechische Bezeichnung lautete mischen Formen des Namens - Aescolapius, wie die römischen Pendants Ais(s)klapios: Aiscolapius, Aesculapius, Aisclapius - in ihrer Daraus kann man schließen, dass bereits mit Schreibweise ein höheres Alter vermuten dem griechischen Aufstieg im Mittelmeer- lassen als die griechische Bezeichnung des gebiet während des -5. Jahrhunderts der -3. Jahrhunderts (und später), denn die Kult des Ais(s)klapios verbreitet wurde, und Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 453

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das, nachdem er gerade erst selbst in Athen ist ein Indiz für die über den Saum des öst- als Gott akkreditiert war. Sprach man als lichen Mittelmeers weit ins Landesinnere Grieche mit diesem hündisch konnotierten reichende Begeisterung durch und für den Kult im Gepäck eine kulturelle „Sprache“, Hundekult: Denn im „syrischen“ Tell Haror die man überall im Mittelmeerraum auf An- hat Eliezer Oren mit seinen Mitarbeitern hieb verstand, sodass man als Grieche gleich positiv aufgenommen wurde? Für diese exposed a spacious cult site with a Idee spricht, dass die Assyrer wie die Philis- Syrian ´Migdal` sanctuary in the center, ter und Phönizier auch und besonders in a courtyard with numerous skeletons of dieser Zeit vom -10. bis zum -5. Jahrhundert puppies in favissae near the altar (cere- Gula- und Hunde-Fans waren: monially killed by twisting their neck) (Oren, 5-7). In der neo-assyrischen Zeit wurden aussch- ließlich die verfallenen Tempel der Gula Natürlich springt der Unterschied zwischen wieder liebevoll restauriert: Im -10. Jahr- den in Ashkelon eines vielleicht natürlichen hundert renoviert Adnarari II. von Assyrien und in Tell Haror eines gewaltsamen Todes den drei Jahrhunderte früher von Tukulti- gestorbenen Hunden sogleich ins Auge, auch Ninurta I. (wie immer angeblich allein) er- scheint es sich in Tell Haror ausschließlich um bauten Tempel der Gula in seiner Haupstadt Welpen zu handeln, während in Ashkelon Assur, und weitere Beispiele besonderer auch erwachsene Hunde beigesetzt waren, Gula-Verehrung liefern uns seine Nach- aber wichtig ist zunächst ihr gemeinsamer folger, wie die Leser selbst bei Halpern (136) Nenner, der gar nicht so klein ist. Ins -7. Jahr- nachlesen können. Bemerkenswert an die- hundert ist die Beisetzung eines Menschen ser architektonischen und kulturellen mit einem einzelnen Welpen in Ashdod. Restaurationsphase ist, dass diese Wapnish und Hesse erwähnen sehr ähnliche Funde für Ashdod und den Fundplatz beim refoundation does not seem to have Ben-Gurion-Flughafen (> 452: Karte). Eine been undertaken for the other major ähnlich hündisch konnotierte Beisetzung second-millenium temples of Neo-Baby- eines Menschen, allerdings nur mit einem lonian Nippur, which were also in a state Hundekopf, fand man in Afridar bei of considerable neglect (Halpern, 136). Ashkelon selbst (Wolff, in: Halpern, 136, FN 6). In Lachish fand man Dabei ist gleich gegen Halpern mit dessen eigenen Beispielen festzuhalten, dass Hun- a single dog skeleton located above re- dekult sich nicht an der Mittelmeerküste mains associated with an MB (= ?) cult konzentriert, sondern dass place (Ussishkin, in: Halpern, 136, FN 6).

there is every indication that the cult (~ Diese wenig spektakulären „Einzelfunde“, of Gula) continued to flourish in the die Einzelfunde nur sind, wenn man vom Assyrian heartland thereafter. Renewal gemeinsamen kultischen Nenner abstra- of Gula temples in Babylonia became a hiert, sollte man einbetten in eine offen- preoccupation as well after the Assyrian sichtlich kontinuierliche geistige Strömung annexation of that region (Halpern, des -1. Jahrtausends, die sich u.a. im riesigen 136). Hundefriedhof von Ashkelon und in den Schwierigkeiten der hebräischen Propagan- Und nicht nur die möglicherweise von disten des Monotheismus manifestiert und höchster Stelle im Staat verordnete, wahr- die, wie Baruch Halpern glaubt, in der Ge- scheinlich aber klug die Neigung des Volkes stalt des Hundefriedhofes in Ashkelon als streichelnde Reaktivierung des Gula-Kults ihrem Epiphänomen Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 454

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reflects the waxing of a cult that, by the kroch, war fruchtbar noch. Zum Beweis für early Christian era, was regarded as a die Kontinuität hündisch konnotierter Ze- chief competitor of the cult of Jesus remonielle genügt es hier, auf Herodot (Halpern, 137). selbst zu verweisen, der die Himmlische Aphrodite der Ashkeloniter explizit gleich- Als Kynosophen freuen wir uns über diese setzt mit Astarte, mit der assyrischen Mulis- Einschätzung eines Laien, die wir schon sos, die wir in Babylon als Melitta/Mylitta über die Chaldäischen Orakel mit ihrer Göt- kennenlernten (> III, 452 & 523) und - mit tin Hekate selber gewonnen haben. Und dem persischen Mithras (> 381, 429-32 & > wir dürfen nicht ohne Stolz Baruch Halpern V), dessen Magier (~ Priester) insofern korrigieren, als es sich nicht um ei- nen waxing cult, sondern um den schon seit Leute ganz eigener Art sind, insbeson- Beginn des Neolithikums in der Region ver- dere sind sie auch von den ägyptischen breiteten Kult der Heiligen Paarung bzw. Priestern verschieden. Denn diese Hochzeit handelt, was natürlich auch Hal- halten es für Sünde, es sei denn, dass sie pern nicht ganz entgangen ist, denn er ein Opfer bringen, ein lebendiges weist auf Herodots Berichte aus dem -5. Geschöpf zu töten, die Magier dagegen Jahrhundert hin: Der griechische Früh- töten alles mit eigener Hand, nur keine Ethnologe (1, 105) erwähnt den Tempel der Hunde und keine Menschen, Himmlischen Aphrodite in Askalon, den die Skythen plünderten, wobei sie sich weiß Herodot (1, 140) zu berichten, und als heimlicher Kynosoph achtet er feinsinnig für sich selbst und ihre Nachkommen auf die Reihenfolge. Wenden wir uns nach eine von der Göttin für ewige Zeiten Mithras Mulissos zu, die eine assyrische Er- verhängte Geschlechtskrankheit scheinungsweise der Göttin Ninlil (> 428) ist, die wiederum oft genug mit Gula identifi- zugezogen haben sollen - sie haben offen- ziert wurde - es ergibt sich die Gleichset- sichtlich die Priesterinnen der Göttin verge- zung: Astarte ist Gula ist Himmlische Aphro- waltigt: dite - wer ist jetzt noch überrascht, dass der „Hund“ in Ashkelon eine zentrale kultische Die Skythen sagen auch selbst, das sei Rolle spielte? Das kann nur ein Nicht-Kyno- der Grund ihrer Krankheit, und jeder, soph sein. Astarte kam in ihrer späteren Er- der zu ihnen ins Land käme, könne scheinungsform auch nach Griechenland sehen, was es mit den Enarern, wie sie und wurde dort, sie kam ja übers Meer, als dort heißen, für eine Bewandtnis habe halb fisch-, halb menschengestaltige Atar- (Herodot 1, 105). gatis (~ die syrische Derketo) verehrt.

Das Zeremoniell der Heiligen Hochzeit, viel- Bleiben wir noch mit und gegen Halpern leicht zur Sakralen Prostitution verkommen bei Herodot, der uns bei dieser Gelegenheit mit all ihren für die Volksgesundheit nega- (1, 105) großzügig mitteilt, dass der Aphro- tiven Begleiterscheinungen: Es wurde also dite-Tempel zu Ashkelon nach den vom ihm in „unserem“ Ashkelon praktiziert - das be- deutet doch wohl, dass der plötzlich auf- eingezogenen Erkundigungen der flammende und ebenso rasch nach fünfzig allerälteste Tempel dieser Göttin ist; Jahren erloschene Hundebeisetzungskult in denn der Tempel in Kypros (Zypern) ist, Ashkelon auf einer über Jahrhunderte, gar wie die Kyprier selbst einräumen, erst Jahrtausende währenden latenten Bereit- von dort gegründet, und den in Kythera schaft basiert. Es handelt sich nur scheinbar haben Phoiniker (Phönizier) erbaut, die um eine Neuerung: Der Schoß, aus dem das doch aus Syrien waren (Herodot 1, 105). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 455

5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß 455

Es mag mit Recht bezweifelt werden, ob der das Kinn des Hundes, mit Purpur „Aphrodite“-Tempel in Ashkelon der gefärbt. So lernte er den Purpur ken- älteste seiner Art ist, dass man aber auf nen. Er nahm dann einige Steine, zer- Zypern die Tradition von Ashkelon herleitet, schlug das Gehäus des Purpurs, öffnete setzt dort zumindest eine relativ lange Tra- sein Inneres, und fand so den Schatz dition voraus (> 327, 458, 479): Wenn Hal- derFarbe (Achilleus Tatios, Leukippe II, pern (138) also beim plötzlich einsetzenden 11; Ende des 2. Jahrhunderts). Hundebestattungskult in Ashkelon von ei- ner invention of tradition ausgeht, kann ich Diese im Paradigma Palästinas erarbeitete ihm gelassen widersprechen, denn die Tra- Traditionslinie spricht eindeutig gegen eine dition des „Aphrodite“-Tempels mit seinem invention. Halpern selbst stützt meine ge- Zeremoniell spezifisch hündisch konnotiert, genteilige Annahme, ohne es zu ahnen, geradezu imprägniert: Das Gewand der wenn er auf den Personennamen gr´strt (~ Aphrodite von Tyros war gr von Ashtoret) hinweist, der schon in der Eisenzeit nachgewiesen ist (Benz, in: Hal- nicht mit gemeinem Purpur gefärbt, pern, 139). Gr, das meint auch Halpern, ist sondern mit dem, dessen Entdeckung nicht von ger (~ Kunde), sondern von gur (~ die Tyrier dem Hunde eines Hirten (in Welpe) abzuleiten, und so stützt er wieder- der religiösen Überhöhung heißt der um, ohne es zu ahnen, meine gira-Argu- Hirt Herakles/Melkart; > 456: Der Hund mentation (> III, 183-6 & 213-6). Trifft die als Farbdesigner) zuschreiben, und mit Ableitung von gur zu, welchem sie auch noch jetzt das Gewand der Aphrodite färben ... Es war then this in turn would suggest that the eine Zeit, wo der Scharlach des Purpurs connection of dogs to Ashtoret, as den Menschen noch unbekannt war; Queen of Heaven, eine kleine Muschel in einer ringelför- migen Kluft hielt ihn verborgen. Ein also zur Himmlischen Aphrodite nicht nur Hirt fing diese Muschel, und suchte Ashkelons, sondern des ganzen Mittel- einen Fisch in ihr. Da er aber sah, daß die meerraums sowie West-Asiens, dass also Muschel so hart war, wurde er unwillig diese Assoziation von Hund und Großer über seinen Fang, und warf sie als einen Göttin in der Erscheinungsform als Liebes- Auswurf des Meeres weg. Der Hund göttin auch Gula in einem für Halpern (139) fand durch einen glücklichen Zufall die neuen Licht erscheinen lässt - für uns Kyno- Muschel, zerbiss sie, und das Blut des sophen aber nicht, weil wir diese Erkenntnis Purpurs floß um seinen Mund, färbte ja schon mit anderen Mitteln erarbeitet ha- sein Kinn, und überzog seinen Rachen ben, dass nämlich die Göttin der Liebe nicht mit Scharlach. Der Hirt sah den mit Blut auf die Besetzung Zyperns durch die Phöni- gefärbten Rachen des Hundes hielt ihn zier warten musste, um von dort aus Grie- für verwundet, trat näher zu ihm, und chenland zu „erobern“: Die Griechen kann- wusch ihn am Meere ab; hierdurch ten eine so konzipierte Göttin gewiss schon gewann das Blut noch mehr an Glanz; vor den Phöniziern, sie lernten sie minde- und als er es mit der Hand berührte, stens bereits bei den Mykenern kennen wurde auch seine Hand purpurn (Herter, 65). Erstaunt, allerdings ohne wei- gefärbt. Der Hirt sah nun ein, daß die tere Konsequenzen zu ziehen, stellt Hal- Muschel von Natur ein Verschöne- pern auch fest, dass rungsmittel in sich enthalte. Er nahm etwas Wolle, tauchte sie in die Höhle names compounded with dog-termino- der Muschel, um ihr Geheimniß zu logy include a variety of theophoric (~ untersuchen; und die Wolle wurde, wie göttlich konnotierte) elements, inclu- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 456

456 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

ding, in the Mesopotamian area, Ea, Ninurta, Shamash, Sin, and Zababa (Halpern, 139).

Von diesen hündisch konnotierten Gotthei- ten erinnere ich als Beispiel nur an den kalbu-sin, den Mondhund als Hund des Mondgottes, den wir ja schon in Harran Vorder- und Rückseite einer Silbermünze aus Panormus kennenlernten. Doch statt nur auf gött- (~ Palermo):Noch im griechischen Stil,aber schon mit licher Ebene zu suchen, können wir auch im phönizischer Schlagseite - die Rückseite zeigt einen platten Diesseits fündig werden mit den Windhund-Typ, die Murex-Schnecke und das mysteriöse phönizischen Personennamen klb´lm (~ Wort ZIZ in phönizisch-punischer Schrift. In: Bury, 633, Hund der Götter) oder schlicht klb´ (~ Fig. 164. Hund), aber auch grmlqrt (~ Welpe des Mel- qart), auch grmlk ist dafür als Form nachge- wiesen. Ein weiterer Name, der in diese Se- kreis gefunden wurde, ist die Zuweisung rie passt, ist grtnt (~ Welpe der Tannit). Wa- des Bestattungszeremoniells zu einer be- rum aber gibt es hündisch konnotierte Per- stimmten Gottheit nicht möglich, meint sonennamen bei den Phöniziern? Die Helen Sader. Vielleicht ist die Anzahl der Antwort ist ganz einfach - der Hund gilt ih- Skelette kein Zufall, denn ebenfalls im Liba- nen als Kulturbringer, was eigentümliche non fand man in Khalde ein Hundegrab, in Rückschlüsse zulässt auf die griechischen dem auch acht Körper beigesetzt waren. Vorfahren der Phönizier: Sader fand den Hundefriedhof in Beirut, als sie ein Glacis der Stadtbefestigung ausgrub. Ich nehme an, dass die Hunde in der Festungsanlage eine apotropäische Funk- Exkurs: Dogs - only tion haben sollten, wie dies noch bei den the Phoenicians` Best Friends? Kelten in Britannien zu beobachten ist (> IV). Das würde bedeuten, dass die Phönizier im Gegensatz zu den Römern dem Hund Mitten in Beirut haben Archäolo- und nicht der Gans ihren Schutz anvertrau- gen 1996 einen Hundefriedhof entdeckt, ten. Der Grundriss des phönizischen Beirut der aus dem -5. Jahrhundert stammt, also im Allgemeinen und des Glacis im Besonde- ebenso wie der Hundefriedhof in Ashkelon ren ist mir unbekannt, sollte er aber qua- in der späten persischen Epoche entstanden dratisch oder rechteckig sein, dann könnte ist. Mit „nur“ acht Skeletten ist der Beiruter die Anzahl der Hunde korreliert sein mit Friedhof natürlich nicht mit seinem Kon- den sensiblen Ecken der Festungsanlage. kurrenten im Süden der Levante zu verglei- Jedenfalls dürfte der Hund der Phönizier chen, aber ein Muster sorgfältiger Bestat- bester Freund im Tierreich gewesen sein, tung war hier ebenso festzustellen, wenn und das aus gutem Grund. auch in einem ganz anderen Stil, denn Bei- gaben waren in Ashkelon nicht zu finden: Vor der Beisetzung zerbrochene Scherben Der Hund als Farbdesigner von Vorratskrügen bedeckten die Körper, - religiös überhöht und Steinwerkzeuge waren carefully arran- ged on the chests of several of the animals, Die Phönizier, die berühmt für ihren wie der Anonymus von der Archäologin Handel mit der Purpurfarbe waren, schrei- Helen Sader erfahren hat. Da kein Tempel ben in einer vereinfachten Legende dem oder sonst ein Gebäude im engeren Um- Hauptgott der phönizischen Stadt Tyros, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 457

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dem Herakles-Melkart, die Entdeckung des und wieder fehlt Ranke-Graves die Verlän- Purpurs zu. In der ausführlicheren Erzählung gerung, diesmal ins schamanistische Zeital- ist es aber der Hund des Gottes, der dieses ter der „Herrin der Tiere“, die wir aber zu- Produkt entdeckte: Der Gott flanierte eines sammen mit dem sie umwerbenden Scha- Tages mit seinem Hund über den Strand am manen und dem sie schützenden Hund im schönen Mittelmeer, und sie waren nicht al- Eingang zu ihrem Schoß, pardon: Haus, lein: Herakles-Melkart erfreute sich der Be- gern für ihn und uns in Erinnerung rufen. gleitung einer wunderschönen Nymphe na- mens Tyros. Sein Hund stolperte über eine Er ist ein gewaltiger Jäger, und er Murex (~ Stachelschnecke), biss hinein, und macht, wenn nötig, Regen, indem er schon färbten sich seine Lefzen in schöns- mit der Eichenkeule donnernd auf eine tem, bis dahin noch nie gesehenen Purpur. hohle Eiche schlägt und mit einem Eine Farbe, die der Nymphe ausnehmend Eichenast einen See aufwühlt ... Die Art gut gefiel. seines Todes lässt sich aus einer Vielzahl von Sagen ... rekonstruieren. Zu Mitt- Unterbrechen wir hier die scheinbar einma- sommer, am Ende einer halbjährigen lige Episode, um sie in den mythologischen Herrschaftsperiode ... schlagen ihn Rahmen der nach Varrus 44 Herakles-Figu- seine Gefährten bewusstlos, und dann ren einzubetten: wird er gehäutet, geblendet, kastriert, mit einem Mistel-Ast gepfählt und Herakles erscheint erstmals in der Sage zuletzt auf dem Altarstein in Stücke als Sakralkönig eines Hirtenvolkes und geschnitten ... Sein Stellvertreter wird war, vielleicht weil Hirten die Geburt Nachfolger und regiert für den Rest des von Zwillingslämmern glücklich be- Jahres, wonach er von einem neuen grüßen, selbst ein Zwilling ... Er ist der Herakles in einer Opferhandlung ge- Regenmacher seines Stammes und so tötet wird (Ranke-Graves, 143). etwas wie ein menschliches Gewitter. Die Sagen bringen ihn mit Libyen und Sein Blut liefert in der phönizischen Variante dem Atlasgebirge in Verbindung. Viel- der zum sakralköniglichen Mythos beförder- leicht stammt er in paläolithischer Zeit ten Schamanen-Erzählung den begehrten von dort her, Farbstoff, der das Land reich macht, denn der Hund, dessen Lefzen blutig sind vom Biss in mutmaßt Ranke-Graves (Die Weiße Göttin, die Schnecke, ist nur die tierische Erschei- 142) und ahnt nicht, dass gerade in Libyen nungsweise des Herakles Melkart, und eine die frühesten Dokumentationen der Hun- Stachelschnecke angraben war schon immer demenschen zu finden sind (> II). gefährlich. So wie Herakles-Melkart von sei- nem Hund auf allen Wegen begleitet wird, Seine Symbole sind die Eichel ..., die mit so ergeht es auch seinem persischen Gegen- ihrer becherförmigen Schale im stück Sraoscha, dem biblischen Tobias/Tobit Griechischen wie im Lateinischen für oder dem griechischen Asklepios - allesamt den „glans penis“ (eben: diese beson- Herakles-Varianten: dere Eichel) stand ... Herakles ist der männliche Anführer aller orgiastischen Im perso-ägyptischen Mythos von Tobit Riten und hat zwölf Bogenschützen als und Raguels Tochter, deren sieben Gefährten, darunter seinen speer- vorherige Ehemänner allesamt in der bewaffneten Zwillingsbruder, der sein Hochzeitsnacht von dem Dämon Asmo- ... Stellvertreter ist. Er geht alljährlich deus - in Persien Aeschma Daeva - getö- eine Waldhochzeit mit einer Königin tet wurden (Ranke-Graves, Weiße der Wälder ein (Ranke-Graves, 142), Göttin, 148), Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 458

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haben wir nur eine Variante zahlreicher schließen, dass diese Entdeckung auf Mün- sakralköniglicher Zeremonielle vor uns, die zen aus Tyros dargestellt wurde: Auf ihnen ursprünglich alle identisch sind: ein Hund, an einer Murex-Schnecke schnüf- felnd (Stager, 40; > 456: Abb. 164). Die Phö- Im Buch „Tobit“ ist Tobit der glückliche nizier hatten für lange Zeit das Monopol in Achte, der neue Bräutigam, der seinem der Purpurindustrie, die ihnen sogar den Schicksal entgeht, wenn der regierende Namen gegeben hat, denn phoinix heißt Zeus am Ende seiner Amtszeit sterben zunächst einfach purpurn und schließt natür- muss. Asmodeus ist das persische Ge- lich auch an die rote Farbe des Sonnengott- genstück zu Set, dem alljährlichen Mör- es an: Phönix, stolz im Sonnenwagen... Das der Osiris` ... Tobits Hund liefert einen europäische Mittelalter, auch gar nicht so wertvollen Hinweis; er begleitet auf al- dumm, machte daraus schnell das Blut der len Wegen den Herakles Melkarth, Herrn, sich dabei auf Tertullian berufend, der schon über die Stachelschnecke zu schreiben wie Ranke-Graves für uns analysiert, ohne wusste: Dein Blut ist das Blut des Herrn. Da seine Vorlage zum kynosophischen Treffer wusste man aber schon nichts mehr vom verwandeln zu können: Der Hund ist die Hund als dem Kultur- bzw. Exportschlager- tierische Erscheinungsweise fast all dieser bringer der Phönizier. Und erst recht wusste Jahreskönige, wie ein etwas selektiver Blick man nicht von dem kultischen Hintergrund, auf die Hitliste der Jahreskönigs-Gottheiten der den Melkart-Mythos erst ermöglichte: zeigt: Auf einer phönizischen Inschrift aus Kition auf Zypern (aus dem -5. Jahrhundert) kön- Zu diesem Typ des Herakles gehören so nen wir das Zeremoniell der Heiligen Hoch- unterschiedliche Gestalten wie ... der zeit erschließen, denn hier heißt es in der äl- kretische Jäger Orion, der Zyklop Poly- teren Variante in den Zeilen 9 und 10: phem, ... der irische Sonnenheros Cuchulain, ... Agag der Amalekiter, For the prostitutes and the 22 musicians Romulus von Rom ... und Hermes (Ran- at the sacrifice ke-Graves, 144). For the Dogs and for the Lions 3 qr and 3 p` (in: Peckham, 306). Orion und seine beiden Hunde und Poly- phem, der Hirte mit seinen Hunden, und Cu- Hunde und Löwen werden in einem Atem- chulain (> V), der selbst als Hund Dienst tat, zug genannt mit „Prostituierten“ - eine un- weil er wider Willen einen Hund erschlagen feine Übersetzung für Priesterinnen - und hatte, Romulus, der von einer Wölfin gestillt Musikern (wir erinnern uns an die mesoli- wurde, und Hermes, der eine eigentümliche thischen und frühneolithischen Tier- Affinität zum Hund hat (> III, 457 & > V): Sie Kapellen. Peckham meint, dass der Kult, in alle sind Vermenschlichungen des göttlichen dessen Zusammenhang unser Personal er- Hundes wie sie Herakles-Varianten sind. wähnt wird, zu Neumond und im Tempel Ebenso Herakles Melkart, zu dem wir nun der Astarte stattfand: Über das Zeremoniell wieder an den phönizischen Strand zurück- der Heiligen Hochzeit selbst sind wir bereits kehren: Der Halbgott, nicht dumm, sammel- allgemein informiert, jetzt interessiert uns te daraufhin genug Purpur-Schnecken, um nur noch die spezielle Funktion der Hunde zuerst ihren Saft zu extrahieren und danach in Kition: Auch hier werden Kuchen er- mit diesem Saft ein Kleid purpurn färben zu wähnt, die für Astarte, die Himmelskönigin, können. Dieses Gewand schenkte er der gebacken werden (Peckham, 315). Diese Ku- Nymphe. Die Legende blendet sich aus der chen bestehen - wie in Griechenland die Ku- ohne Zweifel vorhandenen Fortsetzung der chen für Hekate (> III) - hauptsächlich aus Geschichte aus, um mit der Bemerkung zu geröstetem Weizen und Honig. So wichtig Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 459

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diese Parallelen auch sein mögen, sie über- weil selbstverständlich - keiner Erwähnung raschen uns eigentlich nicht mehr. Wichti- bedurfte. Auch ist die Frage, ob der Gene- ger ist die Erkenntnis, dass die Hunde und ralverdacht der kultischen „Prostitution“ die Löwen in Kition offensichtlich Priester automatisch auch gilt für die Löwen- waren, die eine Hunde- bzw. eine Löwen- Priester. Es ist eher anzunehmen, dass diese maske, vielleicht sogar ein komplettes Hun- Gruppe andere Funktionen ausübte. Hunde de- bzw. Löwenprotom trugen. Peckham und Löwen traten in den frühen „Tier- (317) spricht zwar nur von Kapellen“ Palästinas und Sumers als Musi- kanten gemeinsam auf - sie standen also in temple servants in animal disguise, demselben kultischen Zusammenhang. Das impersonating legendary figures or aramäische und hebräische ´lmt bedeutet gods in the rituals, zwar zunächst Prostituierte(r), aber in be- stimmten Zusammenhängen sometimes aber wer eine so wichtige Aufgabe erfüllt, seems to mean “musicians” (Peckham, 323, Clan-Ahnen oder Totem-Tiere oder deren FN 5). Van den Branden (249) befreit sich aus Weiterentwicklung - Götter - zu verkörpern, dieser Zwickmühle, indem er ´lmt übersetzt der dürfte wohl so etwas wie ein Priester ge- mit: Per le prostitute e le ventidue cantanti. wesen sein. Es ist wahrscheinlich, dass wir So löst er den Generalverdacht, ausgelöst hier die Endstufe eines Kults vor uns haben, durch die Parallelisierung - der die Wiederspiegelung einer earlier prac- tice of cultic bestiality (Peckham, 317, FN 3) For the prostitutes and the 22 musicians war. Peckham´s etwas unbedarfte legendary at the sacrifice figures können wir für die earlier practice si- For the Dogs and for the Lions 3 qr and cher gleichsetzen mit einem Hunde- bzw. 3 p` (in: Peckham, 306). Löwenstammvater. Nun ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Hunden und - in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Löwen im phönizischen Kult in Kition noch Tätigkeiten innerhalb des Zeremoniells auf, zu beantworten: Dazu erinnern wir uns an den musicians und den Lions eine grund- den Basaltstein aus Beth Shan (> 449) - Beth sätzlich ander Aktivität unterstellend als heißt nichts anderes als Stein (Beth Shan ist den prostitutes und den Dogs. also ein altes KUR-Heiligtum), und wieder er- kennen wir das Zusammenspiel von KUR (~ Das stützt meine These, dass zumindest die Stein) und KU (~ Hund) auf diesem Gedenk- Lions nicht als kultische Prostituierte tätig stein, der offensichtlich an einen grund- waren. In hethitischen Kulten allerdings legenden Konflikt erinnern will: An den sind es gerade die Wolfsmenschen und nicht Kampf zwischen dem Hund und dem Löwen, die mit ihnen auftretenden Hundemen- re-inszeniert in Kition als Gruppenkampf schen, die vor allem mit Dirnen genannt zwischen Hunde- und Löwen-Priestern: werden:

Both groups may have been singers and In Prozessionen (?) laufen sie voraus, dancers, but there is no evidence that töten, schlachten und zerlegen (?) they were prostitutes - or at least that etwas (Jakob-Rost, 420). prostitution was their ritual function, Die hethitischen Wolfsmenschen sind mas- hält Peckham (317, FN 4) abschließend fest; kentragende Kultfunktionäre, die mit den mag sein, dass ihre kultische Tätigkeit sich hethitischen Hundemenschen z.T. ganz ähn- schon verselbständigt hatte aus dem alten liche Merkmale haben (Jakob-Rost, 419). So Kontext der Heiligen Hochzeit, wahrschein- dürfte für sie gelten, was auch bei den Hun- licher dürfte sein, dass ihre „Prostitution“ - demenschen üblich ist, dass sie nämlich Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 460

460 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

einen Obersten und einen Vorsteher Möglicherweise liegt hierin aber ein haben. Sie stehen in Verbindung mit Hinweis auf orgiastische Ausübung des protohattischen Gottheiten und Schutz- Kultes, göttern und haben während des Rituals zu „bellen“ und zu singen. Sie sind mit meint Jakob-Rost (420), womit der zugleich anderen Funktionären zusammen ge- hethitische und vorhethitische Kult zu ver- nannt, darunter auch mit den Pförtnern, schränken wäre mit dem Dionysos-Kult und halten auch Fackeln und Lanzen (als den entsprechenden Varianten (> 427-8 & > Wächter?). Ferner treiben sie Vieh her- V: Herakles). Wir hätten es dann mit einer bei, bringen dem König Geschenke und Variante der Heiligen Hochzeit zu tun, in Tribut und bekommen Brot, Wein und der der männliche Partner ein Wolfsmensch Kleidungsstücke (Jakob-Rost, 419). war. Es scheint, dass die

Mit diesen Hundemenschen bilden die Hundemenschen in erster Linie sta- Wolfsmenschen eine komplementäre Ein- tische Funktionen (im Kult) hatten, heit, keinen Gegensatz: Auch die Wolfs- während die Wolfsmenschen eher menschen kinetische Handlungen zu verrichten hatten, etwa Tanzen oder Umher- stehen in Verbindung mit protohat- laufen, tischen Gottheiten, z.B. Titiutti, sie tan- zen und spielen das GIS DINANNA.GAL bilanziert Jakob-Rost, und so stellt sich uns (?). Auch die Wolfsmenschen sind mit die Frage, warum die in unseren bisherigen anderen Personen zusammen genannt, Belegen vom Hundemenschen ausgeübte vor allem mit den „Dirnen“. Sie stam- Funktion des männlichen Partners auf den men aus verschiedenen Ortschaften Wolfsmenschen übergegangen ist, wäh- und werden in Spenden- und Opfer- rend der Hundemensch zwar nah, aber sta- listen erwähnt, bekommen u.a. Schafe tisch am Geschehen, aber nicht mehr am es- und Brot. In Prozessionen (?) laufen sie sentiellen Vorgang der Vereinigung betei- voraus, töten, schlachten und zerlegen ligt ist. Die hethitischen Hundemenschen (?) etwas (Jakob-Rost, 419-20). sind in gewisser Weise dem Chor in der grie- chischen Tragödie vergleichbar, sie liefern Neben Hunde- und Wolfsmenschen werden mit ihrem Gebell zwar noch eine hündische für hethitische Kulte noch vereinzelt Löwen- Konnotation des Vereinigungsvorgangs, menschen und einmal sogar noch ein aber diese akustische Einfärbung täuscht Bärenmensch genannt. Die Löwenmenschen nicht darüber hinweg, dass nun der Wolfs- mensch von den orgiastischen Frauen „ge- gehen in einer (Ernte-)Prozession ne- zähmt“, d.h. seiner Manneskraft beraubt ben den hazgara-Mädchen und stam- wird. Liane Jakob-Rost deutet all diese men ebenfalls aus verschiedenen Orten kultischen Tiermenschen völlig zu Recht als ... Wichtig erscheint ... ein Hinweis auf Maskenträger und zitiert die Leopar- einen „Löwentanz“ (Jakob-Rost, 420). denmenschen aus dem frühneolithischen Çatal Hüyük, in denen sie übrigens die Die „Dirnen“ und die hazgara-Mädchen Löwenmenschen der hethitischen Kulte sind insofern parallelisiert, als sie beide im wiedererkennt, als frühesten Beleg der Kult vielleicht wilde Tiere zu bezwingen ha- Maske im anatolischen Kult. Meine Ver- ben - Liane Jakob-Rost verweist ausdrück- mutung, dass die Leoparden- bzw. lich auf den Wilden Mann Enkidu im Gilga- Löwenmenschen in Çatal Hüyük den mesch-Epos, der von „Dirnen“, d.h. von Hundemenschen aus der ihm zukommen- Priesterinnen domestiziert, kultiviert wird: den Funktion in der Heiligen Hochzeit Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 461

EXKURS:DER HUND IN LEBEN UND MYTHOS DER UGARITER 461

verdrängt haben, wird von Jakob-Rost nehmen an, dass diese Gefolgsleute wie die gestützt, da sie völlig unabhängig von israelitischen Gideonskrieger (> 303-6) sich kynosophischen Überlegungen das Tragen hündisch aufführten, wenn es aufs Schlacht- der Masken und eventuell weiterer Protom- feld ging. teile auf früheren Totemismus zurückführt: Die ugaritischen Texte erlauben eine Vielleicht haben in den Tagen der Präzisierung des bisherigen Bildes über frühen Stammesgemeinschaften in die Hunde in Altsyrien, Kleinasien einmal die Sippen, die das Emblem des Hundes, Wolfes oder meinen Loretz und Dietrich (632) und Löwen trugen, eine führende Rolle führen weiter aus, dass klb (~ Hund) und gespielt (Jakob-Rost, 421, FN 6). klbt (~ Hündin) in den verschiedenen Gattungen der ugaritischen Literatur mehr- In Fortführung ihres Gedankens könnten fach vorkommen; dabei wird der Hund wir dann kynosophisch so verlängern, dass sowohl dem Bereich der Götter als auch der Hundeclan durch einen erfolgreicheren dem der Menschen zugeordnet. Der Hund Wolfsclan aus der Funktion im Zeremoniell fand Eingang in die sogenannte Kunst, die der Heiligen Hochzeit verdrängt wurde. man doch wohl vom Kult nicht leichtfertig trennen sollte, und möglicher Weise, wie Kommen wir wieder zurück zu den hün- Loretz/Dietrich meinen, in den Totenkult. Es disch konnotierten Personennamen: Nicht geht hier also darum, die Relevanz des nur bei den Phöniziern, auch bei den West- Hundes in (west)-semitischen Kulturen Semiten in Ugarit, deren Baal-Mythos wir nachzuweisen, in denen er landläufiger schon kennen, gibt es hündisch konnotierte Meinung zufolge ja schon immer höchst Personennamen, die wir zum Anlass neh- nebensächlich gewesen sein soll. men, über die West-Semiten nochmals nachzudenken: Der Hund im Keret-Epos

Im Epos vom König krt (~ Keret). Exkurs: Der Hund im Leben Besteht eine etymologische Verbindung und Mythos der von krt zu kur? Das liegt leider nicht im Ugariter von Ras Shamra Horizont der beiden Bibelwissenschaftler. Jedenfalls sind im Keret-Epos Hunde der feindlichen Stadt Udm gemeint, und Keret „Hundenamen“ als Personen- hat die Stadt mit seinem Heer von den namen sind in Ugarit (> 490: Karte) doku- Wasserquellen abgeschnitten, das Vieh mentiert mit den Wurzeln inr, klb und klby, schreit nachts in der Stadt, und von denen die letzte Bezeichnung sogar die Klasse eines royal retainer (~ eines könig- die Reihe der Tiere, die durch ihre Laute lichen Gefolgsmanns) benennt, was uns ans die Stille der Nacht stören, wird durch frühdynastische Ägypten und ans spätere den Hund abgeschlossen (Dietrich & Äthiopien und seinen jeweiligen „Hunde“- Loretz, 633). Clan erinnert (> II). Leider präzisiert Halpern nicht die Aufgaben dieses Gefolgsmannes, Abgesehen davon, dass der Hund am aber im Gegensatz zu ihm haben wir einen Schluss der Liste steht, hat die Aussage zgt vagen Verdacht, wenn wir uns an die klb spr (~ Gebell der Hunde) Spekulationen hündisch konnotierten Gefolgsleute am veranlasst, die auch von kynosophischem äthiopischen Königshof erinnern; und wir Belang sind, denn die Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 462

462 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Mehrzahl der Ugaritologen hat ... „spr“ gelegentlich von Hunden („klb inr“) die auf eine Tätigkeit der Hunde bei Jagd Rede, die sich im Palast selbst befanden oder Wache bei Menschen und Herden - dass Welpen in altorientalischen Paläs- zu beziehen versucht. Zu dieser Er- ten aufgezogen wurden, geht aus et- klärung gelangte man wiederum über lichen Texten hervor, den Weg vergleichender Etymologie: C.H. Gordon hat so z.B. eine Ableitung wissen Dietrich und Loretz (636) zu berich- des „spr“ von hebr. „spwr“ “bird” oder ten. Im Epos heißt es zur Klage über Kerets „spyr“ “buck” erwogen und den Tod: Ausdruck „klb spr“ folglich mit “hun- ting dogs” übersetzt. Er scheint sich mit Wie Hunde heulen wir in deinem Palast, der Bemerkung “probably klb spr ´dogs wie Welpen am Eingang deines Grab- of the buck` = hunting dogs” und dem baus! (in: Dietrich & Loretz, 636). Hinweis, dass nach bildlichen Darstel- lungen Hunde in Ugarit für die Jagd Die beiden Forscher, offensichtlich latent ca- verwendet worden seien, letztlich doch nophob eingestellt, können oder wollen für „spr“ (= hebr. spyr) “buck” ent- mit dieser Textstelle nicht so viel anfangen, schieden zu haben (Dietrich & Loretz, wie man könnte, wenn man nur wollte: 633-4). Es wird offen bleiben müssen, ob man Die beiden Ugaritologen schließen sich aus dieser Stelle mehr entnehmen darf, nach längerer Erörterung vorläufig Gordons als dass die Hunde des Königs - wohl sei- Vorschlag an, und ich denke, dass die wei- ne Lieblingstiere - um den Herrn ge- tere Entwicklung des semantischen Poten- trauert haben. Alleine von dieser Stelle zials des „Bock-Hundes” der Annahme nicht ausgehend scheint jedenfalls kein trag- im Wege steht, dass der Jagdhund zuerst fähiges Fundament für die Ansicht ge- nach seinem wichtigsten Jagdobjekt be- wonnen werden zu können, dass Hun- nannt wurde: Damit schließt sich aber für de im Totenkult von Ugarit eine Rolle uns der Kreis, den wir mit den Steinbock- gespielt haben (Dietrich & Loretz, 636). Jagdszenen aus Palästina, Jordanien und dem Yemen eröffnet haben. Aus der frühen Die beiden Ugaritologen bieten das übliche Arbeitsteilung zwischen königlichem Jäger Trauerspiel, wenn es um die bewusstseins- und untergeordnetem Gesinde mag sich prägende Wirkung des Hundes geht: Man dann der klb spr entwickelt haben zum wird doch wohl der Stelle entnehmen dür- Hund des königlichen Gesindes, wie Diet- fen, dass auch die Gefolgsleute des Verstor- rich und Loretz weiter darlegen. benen um den Herrn getrauert haben, ja, mehr noch: Dass sie sich in ihrem Trauer- Und dieser Hund ist es, der in den Nächten gebaren in einem dem Herrn offensichtlich der Belagerungszeit in der Stadt Udm am wohlgefälligen Vergleich mit dessen Hun- meisten Krach macht. Ob Loretz und Die- den gleichsetzen. Und wenn diese als er- trich aus der Schicht der Besitzer zu Recht wachsene Tiere im Palast erwähnt werden, schlussfolgern, dass diese Hunde sicher we- dann kann man freilich keinen Rückschluss niger reinrassig (ein herrliches Oxymoron, ziehen auf eine mögliche Funktion des Hun- zu dem nur Nicht-Kynologen fähig sein kön- des im ugaritischen Totenkult, aber wenn nen) waren als die Hunde, die der König sel- Welpen am Eingang deines Grabbaus sich ber hielt, das wollen wir hier nicht weiter aufhalten dürfen oder müssen und wahr- problematisieren: Denn abgesehen von den scheinlich heulen, weil man sie der Mutter Gesinde-Hunden (vormals Steinbockjagd- entrissen hat, die wahrscheinlich im Palast hunde) ist heult, weil man ihr die Welpen entrissen hat Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 463

EXKURS:DER HUND IN LEBEN UND MYTHOS DER UGARITER 463

und nicht, weil der König gestorben ist, ja samtzusammenhangs aber trotzdem und dann liegt doch der Schluss nahe, dass die zusätzlich vor, den „Toten-Hund“ mit dem Welpen eine besondere Funktion für den ´Fresser` versuchsweise gleichzusetzen: Toten auf seiner Jenseitsreise hatten und Nicht nur die Syntax parallelisiert beide, wo- dass die Hinterbliebenen diese Funktion durch der Biss des Hundes der Toten wie ei- gern selber ausüben möchten. ne nachgeschobene Erläuterung des Fres- sers wirkt; der Aufenthaltsort des Fressers und die Tatsache, dass man ihn dorthin, Der Hund im Aqht-Epos nämlich in die Ähren setzte, lässt mich in ihm den Kornhund (> 378-9) vermuten, den Im kanaanäischen Aqht-Epos wird wir im Baal-Mythos bereits ansatzweise er- der Hund zweimal innerhalb eines in der kannt haben. Der Fresser im Aqht-Epos wür- ugaritischen Forschungen höchst umstritte- de also, träfe meine Vermutung zu, mit dem nen Abschnitts erwähnt: Hund als Korngeist im Baal-Mythos konver- gieren. Über die ersten Zeilen des Aus- ... seine Hände, wie die eines Leiersän- schnitts zu spekulieren, ist in der Tat fast zu gers (sind) seine Finger! Wie ein verwegen, aber dennoch ergibt sich viel- Schneideinstrument die Steine seines leicht ein metaphorisches Netz über die Mundes, greifen seine Zähne! Und Zähne einerseits zum Hund, andererseits doch: den ´Fresser` setzte man in die wieder zum Baal-Mythos, wenn wir ans Ähren, den Biss des Hundes der Toten! Worfeln und Mahlen des Korns denken: Die Und die beiden Heroen singen, ihre bei- Steine in seinem Mund wären dann die den Helden besingen Aqht, sie rufen: Mahlsteine. Dies nur als Anregung ohne „Wie bitter! Wie bitter!“ Wie eine herr- Gewähr ... liche Viper in der Mauer, (wie) einen Hund wegen seiner Vergehen schlug ich ihn! Wegen seines Bogens schlug ich Der Hund ihn, wegen seiner Pfeile ließ ich ihn beim Trinkgelage der Götter nicht am Leben! (in: Dietrich & Loretz, - die humoristische Einlage 637). eines Epen-Dichters?

Dietrich & Loretz, die das Epos natürlich Dieses Trink- und Fressgelage der kennen - ich kenne es nicht - betonen zwei Götter lernten wir in Mesopotamien schon Aspekte des Hundes, die in diesem Ab- genauer kennen (> s.u. & > III), und zwar schnitt deutlich werden: auch als „Symposion“ bzw. Heilige Hoch- zeit. In der west-semitischen Variante steht Einmal scheinen die Ugariter den es in Beziehung zum Totenkult, wie Dietrich Mythos vom Hund gekannt zu haben, und Loretz (637) bemerken, womit sie die der den Weg in die Unterwelt bewacht spätere Funktion Nergals bei diesem Gelage (Z. 10). Zum anderen geht aus Z. 13-14 indirekt bestätigen. Die West-Semiten wei- hervor, dass man Hunde als Haustiere sen bei dem von El einberufenen Großen für schwere Vergehen erschlagen hat Fressen dem Mondgott die Rolle des Hun- (Dietrich & Loretz, 637). des zu, was unsere Analyse zum Mondgott- und Mondhund-Kult in Harran bestätigt: Letzteres besagt nichts über die tatsächliche Wertschätzung des Hundes, da auch z.B. die El schlachtet ein Opfer in seinem Haus, Nivkh (> I) Hunde töten, wenn sie nach Mei- er verköstigt inmitten seines Palastes. nung der Nivkh Inzest begehen. Ich schlage Er ruft zum (Fleisch-)Zerschneiden die vorbehaltlich meiner Unkenntnis des Ge- Götter: „Esset, o Götter, und trinkt, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 464

464 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Trinkt Wein bis zur Sättigung, Neuwein meinen Dietrich & Loretz (639) treuherzig bis zur Trunkenheit!“ Yarih richtete sein und vergessen ihre eingangs gemachte Rückenstück wie ein Hund zu, er Erwähnung von der Beziehung des Gelages zerreißt es unter den Tischen. Und der zum Totenkult, die vielleicht ihrer Meinung ihm nicht wohlgesinnt war, schlug ihn nach auch noch humoristisch aufgefasst mit der Rute beim Verbleib unter dem werden soll. Die beiden Herrschaften schei- Tisch. Er (~ Yarih) kam zu cttrt und cnt: nen über die Rolle des Hundes im Totenkult, cttrt hielt ihm ein Fleischstück bereit die sie ja immerhin selber andeuten, nicht und cnt ein Schulter(stück) ... Da tadelte weiter nachgedacht zu haben. Gut, dass es sie der Türhüter des Palastes von El: Kynosophen gibt, die das für Ugaritologen erledigen können. „Seht, einem Hund haltet ihr ein Fleischstück hin, einem Köter haltet ihr Meine Kritik wäre vielleicht unangebracht, ein Schulterstück bereit!“ Er tadelte lautete der Titel des herrschaftlichen Bei- auch El, seinen Vater: „El sitzt da und trags von Dietrich & Loretz nicht etwas wacht nicht über seine Söhne!“ großspurig: Hunde im Leben und Mythos der Ugariter und wäre er nicht in der Fest- El sitzt in seinem Symposion, er trinkt schrift für Wolfgang Helck erschienen, dem Wein bis zur Sättigung, Neuwein bis zur wir ganz andere Einblicke in die symboli- Trunkenheit. El geht zu seinem Palast, schen Rollen des Hundes zu verdanken ha- er kommt in seinen Hof. Es stützen ihn ben. Tatsächlich folgt der Schilderung des (dabei) Tkmn und Snm. Nähert sich ihm Gelages ein moralisch erhobener Zeigefin- Hby, der mit den Hörnern und dem ger mit medizinischen Empfehlungen zur Schwanz, besudelt ihn mit seinem Kot Heilung der Folgen überreichen Alkoholge- und Urin. El stürzte wie ein Toter, El nusses: Darin ist das Wort hscr klb zu entzif- gleicht nun denen, die zur Unterwelt fern, das man als Hundeapfel übersetzen hinabsteigen. cnt und cttrt jagen umher und darin eine Droge sehen will. ... (in: Dietrich & Loretz, 638-9). Natürlich ist diese Übersetzung umstritten Was die beiden Ugaritologen zu diesem und über deren ugaritologische Qualität Ausschnitt aus dem Gelage der Götter zu steht mir kein Urteil zu. Aber zwischen den bieten haben, gäbe ich am liebsten ohne Zeilen wird bei Dietrich & Loretz deutlich, weiteren Kommentar wieder - ich verweise dass ihnen weniger das Lexem als der ihnen zunächst nur auf die ost-semitischen Paral- unklare referentielle Bezug des Hundeap- lelen (> III) und die Aufschlüsse, die sie über fels Probleme bereitet. Sie verweisen eini- die Rolle des Hundes geben können: germaßen ratlos auf einen anderen Vor- schlag, der statt des klb ein -k lb liest und als Bei der Projektion eines mrzh-Gelages Form von kalbanu mit Hundsstrauch über- in die Welt der Götter wird beschrie- setzt. ben, welche Auswirkungen der über- reichliche Alkoholgenuss während Dem wäre hinzuzufügen, dass die in Süd- eines solchen Gelages haben konnte. Italien kolonisierenden griechischen Lokrer Die Rolle des Hundes, der die Abfälle dort ihre erste Stadt gründen, wo ihr An- der Speisenden zu beseitigen hatte, führer in den Dorn eines Hundsstrauchs tritt übernahm der Mondgott und sollte - das Orakel hatte etwas von einem hölzer- vielleicht doch eher humoristisch auf- nen und gleichwohl bissigen Hund gemur- gefasst und als ein Moment des tatsäch- melt (> IV). Die Lokrer sind mit dem Zere- lichen Ablaufs ohne tiefere Bedeutung moniell der Hündischen Hochzeit assoziiert, angesehen werden, und der Hundsstrauch ist folglich nicht zu- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 465

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fällig der hölzerne Hund, der ihnen den Ashkelons Bilanz Tipp zur Niederlassung gibt. Es kommt auf die Bezeichnung des Strauchs an, die ihn zur Handlungsanweisung werden lässt. Die zentrale Frage zu Ashkelons Ebenso dürfte es sich bei den Ugaritern ver- nur ca. fünfzig Jahre währenden halten haben, die streng homöopathisch Hunde(bestattungs)kult ist die nach sei- Gleiches mit Gleichem zu kurieren versu- nem plötzlichen Auftreten und seinem chen: Der Hundeapfel als Frucht eines ebenso plötzlichen Verschwinden: Wech- Hundsstrauchs, als Droge (im berauschen- seln wir deshalb kurz zu den Persern, die in den Sinn) und als Medizin (als Ent-Rauscher) diesem -5. Jahrhundert die politische gleichermaßen zu verwenden. Oberhoheit über die Levante ausüben, und betrachten wir ihre hündisch konnotierten Haben sich hier Reste einer frühen um- Personennamen: So trägt z.B. ein angeb- fassende(re)n Hunde-Mythologie bei den lich aus Assyrien stammender Teus(ch)pa in Ugaritern erhalten? Fast scheint es so, als Wahrheit einen iranischen Namen, dessen hätten Dietrich & Loretz gar an kynoso- Urform Taiu-spa Hunde-Entführer oder phische Leser gedacht, die ihren Beitrag - Dieb bedeutet; wem das zu negativ produktiv zu nutzen versuchen - in einer klingt, der wird mit dem iranischen Perso- letzten Bemerkung erwähnen sie Hunde in nennamen Daiva-spa (~ göttlicher Hund) Wirtschaftstexten, ohne zu merken, dass schnell zu versöhnen sein. Allein einige der auch hier die reine Diesseitigkeit allein nicht iranischen Personennamen halten also hinreicht: hündisch konnotierte Bezeichnungen be- reit, und wir wissen, dass in der Paläomen- In der Liste KTU 4.54: 1-4 wird vermerkt, talität auch der Name einer Person wie ein dass zwei Wachsoldaten des Heiligtums Teil-Protom wirken soll. Bezieht man also der „Herrin der Königsherrschaft“ drei die grundsätzliche hündische Konnotiert- Hunde zugeteilt sind: „Die beiden heit West-Asiens in die Überlegungen zum Wachsoldaten des Tempels der Herrin plötzlich aufflammenden und ebenso über die Königsherrschaft (sind): Arsw plötzlich erlöschenden Hundebestattungs- und Dqn - drei Hunde (gehören dazu)“. kult in Ashkelon ein, dann kann von der Er- Aus der Angabe ist nicht ersichtlich, ob findung einer Tradition keine Rede mehr die Hunde zur Bewachung gebraucht sein. Eher ist die kometenhafte Karriere zu wurden oder Tiere der Göttin waren, erklären durch einen Synergieeffekt, der entstand durch das Aufeinandertreffen meinen Dietrich & Loretz (641) und zwin- mehrerer hündisch konnotierter Kulturen gen den Lesern eine Alternative auf, die in der Welthandelsstadt Ashkelon, die da- nicht sein muss: Das Eine schließt das Ande- mals tatsächlich einer der wichtigsten Hä- re nicht aus. Und dass es bei den Ugaritern fen des Mittelmeers war. Mit dem Rückzug eine Göttin gab, die die Herrin der Klings- der Perser und etwas später auch der Grie- herrschaft war, lässt den ziemlich sicheren chen dürfte dann die hündische Konnota- Schluss zu, dass wir es hier - in der Entschei- tion der regionalen Kultur wieder auf ihr dung der Göttin über das Schicksal des Normalmaß geschrumpft sein. So ungefähr Königs - mit einer der zentralen Kompo- könnte man sich das Phänomen Ashkelon nenten der Heiligen Hochzeit zu tun haben. erklären. Von der mesopotamischen Heil- Weitere kynosophische Konsequenzen aus göttin Gula über Resheph-Mukol zu Apol- diesem Befund erübrigen sich an dieser lo und Asklepios zieht sich eine Tradition, Stelle. Wir kommen nun wieder zurück zu in der der Hund eine wesentliche Rolle als den hündisch konnotierten Personennamen Heilfaktor spielt. Ihr verschwistert ist aber und zu einer in der Paläomentalität die Funktion des Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 466

466 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Skizze zu den Grabungsfeldern in Ashkelon; viele Welpen wurden in Feld 50 gefunden. In: Wapnish u.a., 55.

Hundes als Türwächter: Die zeremoniell Das brauchen keine Antithesen zu beigesetzten Hundeskelette fand man bis- sein, denn die Verbindung eines Gottes lang alle in den Feldern 50 bis 57: Diese von Tor und Tür mit der Sonne ist auch im Altorientalischen vorhanden. So grids 50 (> oben) - 57 at Ashkelon sit on mutet es fast wie eine Parallele an, the edge of the highest point on the wenn Resef (~ Resheph), der später southern tell, overlooking a sandy Apollon gleichgesetzt und zum beach and the east end of the once- Sonnengott wurde, in einer Inschrift blue waters of the Mediterranean aus Ras Schamra-Ugarit aus dem vier- (Halpern, 133). zehnten Jahrhundert v. Chr. als „Türöffner“ der Sonnengöttin Sapas Dieser Blick übers offene Meer hinaus ver- erscheint. Die Gleichung Türöffner = leiht den beigesetzten Hunden vielleicht die Türhüter liegt nahe (Kraus, 19), Funktion des Wächters für die gesamte Stadt, dann waren sie dort aber vorrangig und nicht nur für Kraus, wissen wir doch, nicht als Öffner der Tore konzipiert, die vor dass der Hundegott Anubis den ägyp- potentiellen Feinden gut verschlossen blei- tischen Sonnengott am West-Tor des ben sollten. Vielleicht sollten die Hunde - Himmels in Empfang nahm und ihn sicher wie Platon uns im Staat (> V) schon erklärt durch die Untere Welt nach Osten gelei- und was die griechisch beeinflussten Ash- tete, wo vier hundsköpfige Affen das Tor keloniter mit Platon für wünschenswert hal- öffneten, damit die Sonne den Ägyptern ten - zwischen erwünschten und uner- einen Tag bescheinen konnte. Wahrschein- wünschten Besuchern unterscheiden? Denn lich befand sich Apollon in einer dem Anu- in der Paläomentalität ist ein Türwächter bis vergleichbaren Position, bevor er wie auch ein Türöffner, besonders, wenn kos- Resheph die Funktion des Sonnengottes mische Dimensionen erreicht werden - so ist zusätzlich übernahm. Apollon dürfte nicht Apollon in Griechenland nicht nur der Son- nur in Bezug auf den Sonnengott Toten- nengott, sondern auch der Türhüter: führer gewesen sein, er dürfte vielmehr als Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 467

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Hüter des Eingangs auch die Funktion des Was aber ist nun dran an der Heilkraft der „Kerberos“ erfüllt haben, von der er sich Hundezunge, denn sie ist es ja, die die Sym- irgendwann auf seinem Weg nach Grie- ptome hinwegnimmt. Zwar wird der Zunge chenland emanzipierte. Daher dürfte der selbst auch manchmal Heilkraft unterstellt, Hund dieses ursprünglich anatolischen aber die rationale Erklärung dürfte wohl zu Apollon nicht nur sein Begleittier, sondern finden sein in der besonderen Qualität des auch die ursprüngliche Erscheinungsform Speichels, denn im des anatolischen Gottes „Apollon“ gewe- sen sein. Apollon hieß ja auch Hekatos, und Hundespeichel sind folgende aktiven erschien so als männliche Ausgabe der Substanzen enthalten: Alphaglobuline, Hekate, die von einer allumfassenden Lysozyme, d.s. Fermente, die Keime auf- Großen Göttin in Griechenland mit der sich lösen können ... und Leukozythen ... sie patriarchalisierenden Zeit zur reinen To- spielen eine wichtige Rolle bei der tengöttin herabgestuft wurde. So zog sich Abwehr von Infektionen. Sie nehmen Apollon aus der eindimensionalen Funk- die krankheitserregenden Bakterien in tion als Heilgott in Epidauros zurück und sich auf und vernichten sie ... und gewann die Position des Sonnengottes, da- produzieren dabei Lysine, d.s. Enzyme, durch seine chthonische Relation genial die ebenfalls Bakterien auflösen. Da verdeckend. Die überließ er seinem Lokal- beide Arten der Infektabwehr unspezi- nachfolger Asklepios ebenso wie den Hund fisch sind, d.h. sich gegen vielerlei ver- als Therapietier. Die Hunde wurden z.B. in schiedene Bakterien richten, gilt als Epidauros sehr reflektiert in Szene gesetzt: sicher, dass auch noch andere Krankhei- ten durch das Auslecken von Hunden Der Patient wurde über Nacht nackt in ei- geheilt oder mindestens zum Abheilen ne enge, tunnelartige Röhre gelegt, und gebracht werden können (Fuhr, 144). der heilende Hund kroch in der Dunkelheit zu ihm und beleckte den Patienten. Ohne Natürlich können im Gegenzug von Hunden Dunkelheit ist ein Wandel zum Licht nicht sehr gefährliche Krankheiten übertragen möglich - wie der Schamane von seiner werden, Tollwut, Toxoplasmose beispiels- tunnelartigen Passage ins kristallene Haus weise, aber die Tempelhunde waren gut be- weiß, und das Lecken der Hunde ist ver- aufsichtigt und bestens gepflegt, so dass das mutlich nur ein Substitut, das die Schama- Risiko wohl gering war. Bestandteile des nen und die antiken Ärzte als Mittel ein- Speichels eines gesunden Hundes können setzen für etwas, was sie so gefahrlos mit oberflächliche Hauterkrankungen wie einem Bären nicht praktizieren könnten, Schorfwunden, Geschwüre, Vereiterungen dem sie das Lecken als Methode der oder sogar Pestbeulen zum Abheilen brin- (Selbst-)Heilung abschauen und den Hund gen. So erklärt sich vermutlich, dass der Hund als Ersatztier verwenden: Schon die Jäger- in verschiedenen Kulturen zu verschiedenen kulturen des Paläolithikums wussten vom Zeiten als Symboltier von Heilgöttern eine Bären, dass er sich durch Lecken selbst hei- große Rolle spielen konnte. Dabei bleibt der len kann. Und wissenschaftlich erklärt wird Beitrag des Hundes zu den Rezepturen der der Vorgang von E. Th. Seton: Ärzte nicht auf den Speichel beschränkt: In sumerischen Texten ist dokumentiert, dass so The licking removed the dirt, and by gut wie jeder Teil des Hundes zur Medizin massage reduced inflammation, and it tauglich war - so sollte man z.B. geweihte Ge- plastered the hair down as a sort of tränke aus einem Hundeschädel zu sich neh- dressing over the wound to keep out men (Salonen, 98); Hundefett und Hunde- the air, dirt, and microbes (in: zunge (auch als Pflanzenname ~ Wegerich) Shepard/Sanders, 103-4). gehören zu den festen Bestandteilen des Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 468

468 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

medical use of parts of the dog´s body (Salonen, 100).

Aber auch die Gliedmaßen, besonders die Füße und natürlich die Exkremente (Salo- nen, 101), aber auch die Klauen, Zehen und Haare sowie die Zähne des Hundes (Salo- nen, 102), seine Ohren und seine Rute hel- fen bei den verschiedensten Krankheiten - der weiße Kot des Hundes gibt dem Begriff Halbgott in Weiß die längst vergessene hi- storische Dimension zurück: Wer hier nur an einen weißen Kittel denkt, greift entschie- den zu kurz. Nicht nur reale Teile und die Ausscheidungen des Hundes, auch die zum- bu kalbi (~ die Hundsfliege), die den Hund So entstehen Krankheiten: Mesopotamische Dämonen stört, kann therapeutische Funktion haben stellen den Menschen von den Füßen auf den Kopf. In: (Salonen, 103). Wenn wir also im folgenden Black, 55. Kapitel von Hector (~ Hekat-or!) Avalos le- sen, der unmittelbare Einsatz von Hunden oder Hundeteilen in der mesopotamischen Kopf (> oben) und bestrafen ihn so für sei- Therapie sei zweifelhaft, sollten wir diese ne Sündhaftigkeit. Was Dämonen und Göt- Position gleich mit den obigen Informatio- ter verhängen, kann nur von Göttern gelöst nen relativieren. werden, manchmal von den Verursachern, manchmal von spezialisierten Heilgott- heiten, den Halbgöttern in Weiß. Eine der herausragenden Gottheiten der Heilkunst Halbgötter in Weiß - war die Göttin Gula. Einige Indizien spre- Dog-Men und Dog-Women? chen dafür, dass sie vor ihrer Reduktion zur Heilgöttin eine oder die Große Göttin des Pantheons war, dafür spricht auch z.B. ihre Obwohl pflanzenmedizinische und Funktion als Schutzpatronin der Grenz- chirurgische Kenntnisse im Alten Mesopo- steine (> III).In späte(re)n Zeiten war der tamien nachgewiesen sind, wurden die Ur- Hund ihr Begleittier, in ihrer frühen Epoche sachen (im heutigen Sinn des Wortes) der wohl gar ihre Erscheinungsform. Der Ver- Krankheiten nicht hinreichend verstanden: such, Große Göttinnen auf ihre Funktion als Man schrieb sie dem Einfluss von Göttern Heilgöttin oder Große Medizinfrau zu re- oder Dämonen zu und interpretierte Krank- duzieren, hat Methode, verfängt aber nicht, heit als Strafe für bewusst oder unbewusst da z.B. die anatolische Große Göttin unver- begangene Sünden. Unbekannte Ursachen kennbare Parallelerscheinungen in West- für eine Erkrankung wurden von Priestern Asien kennt: Die Parallelgöttin zur anato- oder Priesterinnen exorzistisch behandelt. lischen Göttin ist Ninhursaga, eine der Besonders psychische Erkrankungen galten mächtigsten Gottheiten des -3. Jahrtau- als das Werk von Dämonen. Besondere sends in dieser Region (später wurde sie im Dämonen wurden mit besonderen Krank- Zuge der Patriarchalisierung durch einen heiten verknüpft, z.B. mit der Dämonin männlichen Gott ersetzt). Sie wird als Herrin Lamaschtu (> 489 ff.): Dämonen oder verär- des steinigen Bodens oder Herrin der Vor- gerte Götter ergreifen den sündigen Men- gebirge bezeichnet (hur ~ KUR), darin schen, stellen ihn von den Füßen auf den schimmert die Verehrung der Urgöttin in ih- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 469

HALBGÖTTER IN WEIß - DOG-MEN UND DOG-WOMEN? 469

Ein mesopotamisches Krankenhaus: In einer riedgedeckten Hütte in Omega-Form (⑁) therapiert ein Priester einen Kranken, während ein Hund und ein Mann mit Pfeilen und Bogen draußen Wache stehen, wahrscheinlich, um Dämonen zu vertreiben; auf einem Zylindersiegel der neuassyrischen Periode. In: Black, Abb. 54 (vgl. > 391: Abb. 520 & III, 187: Abb. 352).

rer Erscheinungsform als Bergmutter durch. den Namen des Hundes: Tunilusag - und das Auch sie gilt als Herrin der wilden Tiere - bedeutet wörtlich: Ihr Gesang gefällt dem ganz wie das Urbild all der späteren, spe- Volk. In der folgenden Zeile des Texts wird zialisierten Göttinnen, und das ist die eura- die Körperhaltung der Hündin beschrieben: sische Große Göttin des Lebens mit all ihren Die Hündin bewegt die Rute (und) ... das Erscheinungsformen. Als Göttin der Geburt Maul für ihre Königin... Sie soll als Medium nannte man sie in Sumer Nintur (~ Gebär- (wie bei den Irokesen; > I) des opfernden hütte der Herrin oder Viehstall, in den die Vater dessen Bitte an die Göttin übermit- Kühe kurz vor dem Kalben gebracht wur- teln, seinen kranken Sohn zu heilen, indem den; > oben & > 391: Abb. 520: Die Ge- sie ihn von einem Dämon befreit: burtsstube als Plazentabäckerei). Außer- dem wurde sie als Herrin des Schoßes be- Königin des Himmels und der Erde, die zeichnet, und man hat eines der ihr zuge- Du uns Nahrung gibst, Amme (meines ordneten Symbolzeichen, das wie ein Sohnes) Enlil, gute Brust, die Du das griechisches Omega - ⑁ - geformt war, als die Land sättigst und Überfluss bringst..., Darstellung eines Kuh-Uterus gedeutet gute Ärztin, Zauberin für die Kranken, (Gimbutas, 1995, 110). Parallelen zur alt- die das Herz der Menschen prüft, meine europäischen „Herrin der Tiere“ gibt es also Königin... (in: Ali, 1966, 290-91). nicht nur in Anatolien, sondern auch in Mesopotamien. Die Frage nach Ursache und Der Text war vermutlich auf die Hunde- Wirkung dürfte nicht leicht zu beantworten Statuette geschrieben. Diese sumerisch- sein, wahrscheinlich muss man von mehr- mesopotamische Nintinugga wird mit der fachen Wechselwirkungen zwischen diesen Göttin Gula identifiziert (Ali, 290), die wie egalitär organisierten Gesellschaften aus- auch andere mesopotamische Götter von ei- gehen. So gibt es in Sumer die Göttin Ninti- nem oder mehreren Hunden begleitet wird: nugga, der Hundestatuen geopfert wur- den. Es handelte sich vermutlich um weib- The Babylonians and Assyrians also had liche Hunde, denn der Text, in dem ein Op- gods who were accompanied by a dog fer für die Göttin geschildert wird, nennt or dogs. The Babylonian god Marduk, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 470

470 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Oben: Die Göttin Nintinugga alias Bau alias Gula mit ihrem Hund: Das Begleittier der Göttin des Lebens - Gula dachte man sich verheiratet mit Ninurta oder Pabilsag oder Abu - alle drei ursprünglich Vegetations- götter, was auf Fruchtbarkeitskult ~ Welterneuerungs- ritual und Heilige Hochzeit und auf Gulas früheren Status als Große Göttin schließen lässt. In: Simoons, 244 (horizontal gespiegelt). Rechts: „In der altbabylonischen Stadt Isin wurden in einem Heiligtum zahlreiche Hun- bu, “the pursuer”; Ukkumu, “the sei- debestattungen gefunden, die im Kult der Göttin Gula zer”; Iksuda, “the capturer”; and Akku- erfolgt waren, ferner zahlreiche Hundedarstellungen in lu, “the devourer”. In addition, the dog Bronze und Ton, darunter eine Figurengruppe (Beter was sacred to the Sumero-Babylonian mit Hund), zu der es eine Parallele in dem über Tausen- goddess Bau (Gula in Akkadian), who de von Kilometern entfernten Heiligtum der Hera auf came to be identified with Ninisina, Samos gibt, letztere dürfte ein Exportstück aus dem whose emblem was the dog and who Orient sein“ (Maringer,41).„Ein 40 cm hoher Mastiff, der was sometimes depicted as having the den Eingang eines Tempels in Isin bewachte (um -1.500): head of a dog (~ eine hundsköpfige Er repräsentiert wahrscheinlich die Göttin Gula, Stadt- Göttin ~ eine Dog-Woman als Ärztin). göttin von Isin und Heilgöttin. Viele Weihtafeln und Gula was a goddess of healing and me- Figurinen in ihrem Tempel stellten Hunde dar; unter der dicine, as indicated in a hymn (c. 1400 - Prozessionsrampe zum Tempel waren 33 Hunde be- 700 B.C.) in which she says:“I am a phy- erdigt“ (Text & Bild in: Crawford, 24). “The dogs of Gula sician, I can heal, I carry around all (hea- were a particular breed”, meint Simoons (243),und er ling herbs) (...) I am a diviner, I am an hat vermutlich Recht für die Rasse ihrer Therapiehunde. exorcist...” It has been speculated that Gula´s association with dogs may have come about because the licking of dogs for example, was occasionally represen- was considered cleansing and thera- ted by a dog symbol, and is pictured peutic. There is a royal text dating from with four dogs, who were named Ilte- the Semitic first dynasty of Isin (2017- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 471

HALBGÖTTER IN WEIß - DOG-MEN UND DOG-WOMEN? 471

1794 B.C.) of the Old Babylonian period continued to be important in Neo- that deals with dedication at Isin of a Babylonian times, when an inscription “dog house” (i.e., temple) for Ninisina, by Nebuchadrezzar II (who ruled from who was patron goddess of the city. 604 to 562 B.C.) mentions at least three separate chapels or shrines to Gula in a In der altbabylonischen Stadt Isin wurden in temple complex at Barsip (Borsippa), as einem Heiligtum der Gula neben zahl- well as a Gula temple in nearby Baby- reichen Hundebestattungen, die im Zeremo- lon. Also of interest, at Haran (~ Harran; niell der Göttin Gula erfolgt waren, noch > 426-34) in ancient Mesopotamia zahlreichere Hundedarstellungen in Bronze (today just north of the Syrian border in und Ton gefunden, darunter eine Figuren- southern Turkey), which was the center gruppe Beter mit Hund, zu der es Parallelen of a syncretic cult, the dog was a sacred in dem über Tausende von Kilometern ent- animal that received ritual offerings. In fernten Heiligtum der Hera auf Samos gibt, what may be a survival of ancient letztere dürften Exportstücke aus dem beliefs, in modern northern Syria the Orient sein (Maringer, 41). Diese Stücke lern- Nusayris, whose religion derives in part ten wir bereits kennen (> III, 148-65), als es from that of ancient Haran, are re- um die Parallelen zwischen Hera als einer ported to worship the dog (Simoons, der Varianten der Großen Göttin in Grie- 243-45). chenland und ihren mesopotamischen Kol- leginnen ging: Auch der Altar des Hera-Tem- Der Hund als Gott - das können aufgeklärte pels auf Samos, wo man diese Bronzestatu- Religionswissenschaftler natürlich akzeptie- etten mit dem Motiv Mann mit Hund fand, ren, und so erklären sie den Hund als war hündisch konnotiert, wie Gula, nämlich Begleittier und Erscheinungsform einer zum Hundsstern Sirius ausgerichtet. Mindes- Gottheit gern anders, z.B. Herr Beltz mit der tens als Stadt- und Reichsgöttin von Isin ist Königsliste aus Kis/Kisch, einem der ersten Gula mehr als nur eine Heilgöttin. Stützpunkte für die semitischen Eroberer des alten Sumer. In der Königsliste von Excavations near the temple have Kis(ch), deren Grundschrift um -2.000 in Isin uncovered clear evidences of a dog cult, entstanden ist, gibt es in den Abschnitten, among them more than thirty dog die den vier Dynastien von Kis gewidmet burials, as well as copper pendants with sind, Zusätze zu den Königsnamen, die engravings of dogs; a human being on darauf schließen lassen, dass hier bestimmte its knees and embracing a dog; and historische Überlieferungen verwendet wer- bronze or clay dog figurines, one of den: Etana (> III, 640-44) hat z.B. den Zusatz which bears a prayer “to Gula, lady of life, great physician...” The dogs of Gula der Hirte, der zum Himmel hinaufstieg, were a particular breed, and figures of der die Länder festmachte. such dogs were buried beneath the threshold of a house, palace, or temple Etana ist der Held eines Mythos mit zahlrei- to keep evil forces away. Oaths were chen Tieren, und so dürfte der Zusatz zum sworn in the name of Gula´s dog, which, Königsnamen Etana eine mythische Reflek- on occasion, was referred to as if it were tion sein (Beltz, 105). In der ersten Dynastie divine. Dogs seem to have served in von Kis tauchen innerhalb der akkadischen, taking omens, and were ritually killed d.h. semitischen Namen zahlreiche Tier- in connection with her cult, though I namen auf. Aus der Liste zitiere ich nur den have found nothing to suggest that an siebter Stelle genannten Zusatz Kalibum their flesh was eaten. Little is known, (~ der Hund), der beim vierten König der 2. however, about Gula´s cult, though it Dynastie leicht verändert wiederholt wird: Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 472

472 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Kal-ba-mu (in: Beltz, 105-9). Clay registriert ten, dass auch ein verkürzter Vergleich vor- in seiner Abhandlung über Personennamen liegt, wenn babylonische Götter als Stier auf Tontafeln allein der cassitischen Periode oder Hund dargestellt werden: So dürfe 96 verschiedene mit kalbi(Ur) zusammenge- man vermuten, dass ein König, bei dessen setzte Namen (in: Beltz, 107, FN 2). Diese Name der Zusatz buru (~ Tierjunges) oder tierischen Zusätze spiegeln Kulturverhält- kalumum (~ Lamm) verzeichnet ist, nicht nisse wider, mit einem Tierjungen identifiziert werden soll (obgleich es Heroen gibt wie Herakles die gerade im Vorderen Orient durch usw., die bereits als Säugling übermensch- ihre Bindung an die Stammesverbände liche ~ tierische Fähigkeiten hatten). Viel- und die damit verbundene konservative mehr könne man annehmen, dass der Zu- Einstellung (Beltz, 108) satz die Beziehung zwischen König und Gottheit wie die zwischen Eltern und Kind geschichtliche Ätiologien vermuten lassen, charakterisiere. Beltz begibt sich mit dieser wie ich sie für Kaleb/Keleb und die Kale- Argumentation in Widerspruch zu der ihm biter schon nachgewiesen habe: Ätiologien bekannten These: erklären einen bestimmten Sachverhalt durch irgendeinen geschichtlichen Vor- Der anthropomorphe (~ menschenge- gang. Im Rückschlussverfahren kann man staltige) Gott in Begleitung des Tieres mit dieser Arbeitshypothese auffällige Er- ist ja ein jüngerer Ersatz für den therio- scheinungen mit wahrscheinlichen Ur- morphen (~ tiergestaltigen) Gott selbst sachen verbinden, (Hempel, in: Beltz, 110, FN 3).

wobei beide durchaus geschichtlich Da Beltz von der Religionswissenschaft zusammengehören können, wenn- kommt und sich zur Mythologie äußert, gleich sie in den meisten Fällen frei kennt er wahrscheinlich die zum Mythos kombiniert sind (Beltz, 108). gehörenden Zeremonielle und Rituale nicht, obwohl er ja durchaus grundsätzlich den Wenn also der deutsche König Heinrich von Zusammenhang behauptet. Für Beltz han- seinen Fans der Löwe genannt wird, sollte delt es sich deshalb bei dem königlichen Na- man nicht davon ausgehen, dass er im Fell menszusatz kalibum und kal-ba-mu (beide: eines Löwen initiiert wurde oder einen Hund) um einen verkürzten Vergleich, der Löwenkopfhelm trug: Hier werden vielmehr wie bei dem Stamm der Kalebiter den Ahn- herrn dieses Stammes nur mit positiven die Tiere als Repräsentanten bestimm- hündischen Qualitäten assoziieren, aber ihn ter hochgehaltener Eigenschaften zu keineswegs mit dem Hund identifizieren werten (Beltz, 109) soll. Beltz kennt die schamanische Total- identifikation mit dem Totemtier nicht, was sein: Heinrich ist tapfer wie ein Löwe, wie auch aus seiner Verflachung der Initiation der König der Tiere, Heinrich ist also zu hervorgeht, wie die Leser selbst erkennen Recht König - aber: Eine Analyse der Tier- können an seiner Bemerkung: symbolik im Allgemeinen (> 489 ff.) und in Mesopotamien im Besonderen zeigt, dass Die Darstellung der Priester mit den diese Erkenntnis nicht verallgemeinert wer- Fischmasken auf dem Tempelbrunnen den kann. Hier jedoch wäre eine Identifika- von Assur (> 490: Karte) ist ein archäo- tion Heinrichs mit dem Löwen als Totemtier logischer Beleg für einen ... kultischen völlig fehl am Platz, die Metapher der Löwe Brauch: „dann zieht man einem ist für Heinrich tatsächlich nur ein verkürz- Knaben eine Bockshaut an. Und dieser ter Vergleich. Nun will Beltz daraus ablei- geht dann heraus und ruft wie ein Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 473

HALBGÖTTER IN WEIß - DOG-MEN UND DOG-WOMEN? 473

UR-BAR-RA.“ Beltz möchte also von der Umwelt auf den Namenszusatz schließen. Um Beltz zu beru- Es ist in unserem Zusammenhang nicht higen, können wir gegen ihn davon aus- entscheidend, was UR-BAR-RA-ili gehen, dass sich bei der Initiationspraxis ein bedeutet, ob Bauer, Leopard oder auch negativ determiniertes Tier vermutlich kon- ein anderes Tier. Wichtig ist für uns die traproduktiv auswirken würde. Viel eher Sitte, einen Menschen, der eine gilt gegen Beltz der Umkehrschluss, dass Botschaft zu verkünden hat, mit einer vom Namenszusatz auf die Rolle, die sie (~ Tierhaut, einer Maske, zu bekleiden, die Tiere als Lieferanten der Namens- wohl zu dem Zwecke, seine Person in zusätze) im Zusammenleben, in der irgendeinem Sinne magisch zu über- Kommunikation mit den Menschen spiel- höhen (Beltz, 113). ten, zu schließen ist und dass grundsätzlich eine positive Determination zu folgern ist. Nun wollen wir den Bauern nicht als ande- Wenn Beltz dann meint: res Tier missverstehen, aber dass der Mensch nicht eine Botschaft zu verkünden hat, son- Der König mit dem Namen „Hund“ ist dern sich durch das Protom und den Ausruf kein Hund im Sinne eines canis domes- UR-BAR-RA mit dem Totemtier total identi- ticus lupariter, sondern in seiner Funk- fiziert, und dass dies die Botschaft ist, näm- tion, der zugedachten oder der wirk- lich jetzt endlich initiiert zu sein in den Bund lich erfüllten, liegt der Sinn der Namen- der Leopard- oder Sonstwas-Krieger. Auch gebung (Beltz, 114), geht es dem Initianden nicht darum, seine Person in irgendeinem Sinne magisch zu sind wir mit ihm beruhigt, dass der König überhöhen, sondern vielmehr darum, sie in kein Hund im Sinn eines Haustiers ist, das einem ganz bestimmten Sinn zu intensivie- sich unflätig auf dem Thron breit macht: ren, nämlich durch die Identifikation übers Das hat ja auch niemand behauptet. Dafür Totemtier als Medium mit der eigentlichen erlauben wir uns, gegen Beltz über die zu- Gottheit des Stammes oder Geheimbundes. gedachte oder die wirklich erfüllte Funktion Natürlich steht und fällt der Rang des Be- des Namenszusatzes nachzudenken. Und da sonderen, der durch die Initiation erreicht gestattet uns der schamanistische Ansatz wird im Vergleich mit den zurückgelasse- ein viel tiefer greifendes Verständnis des nen Altersklassen, mit dem Rang, den das Namenszusatzes, als es Beltz jemals möglich Totemtier in der jeweiligen Gesellschaft ein- wäre: Es mag ja sein, dass in einer Phase, in nimmt. Es wäre aber kontraproduktiv, die der der freie Mythos von der dogmatischen Totalidentifikation der Initianden mit einem Religion abgelöst wird, die Sinnentleerung gesellschaftlich wertlosen Tier herbeizu- des Namenszusatzes schon so weit fortge- führen, wie Beltz befürchtet: schritten ist, wie ich es anfangs an Heinrich dem Löwen aufzeigte - das erlaubt aber Der Rang des Besonderen ist durch die nicht den Schluss, es sei immer so gewesen. Determination etwa als Bock oder als Vielmehr ist diese Verflachung Endstation Fisch aber schon immer eingeengt in einer Entwicklung, die im universalen Jagd- seiner Deutbarkeit. Denn Bock, Fisch, zeremoniell in Afrika ihren Anfang nahm Hund, Löwe, Taube oder andere Art- und sich im zirkumpolaren Bären-Zeremo- bezeichnungen sind durch die Umwelt niell bis in die Moderne erhalten hat - schon bewertet, haben ihren Sinn schon Endstation einer Entwicklung, deren erhalten durch die Rolle, die sie im Zwischenstationen ich auf dieser Kynoso- Zusammenleben, in der Kommunika- phischen Zeitreise aufsuche und die sich u.a. tion mit den Menschen spielten, positiv als Hundekult manifestieren. Dieser Hunde- oder negativ (Beltz, 113). kult manifestiert sich noch in der Reduktion Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 474

474 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Die Sternbilder Schütze und Skorpion; der Schütze ist doppelköpfig: Rückwärts sichert der Kopf als Hund - dieser teils hundsköpfige Bogenschütze wird am - griechischen Nachthimmel als Sternbild des Kentaur identifiziert; der griechische Autor Hesychios be- zeichnet mit „Kentaur“ überlustbetonte Päderasten (Georgiadou, 111) - eine Anspielung auf die Eunuchen- Priester der Großen Göttin und ihre speziellen erotischen Dienstleistungen? Der Kentaur ist immerhin erregt und der Skorpion suggeriert die Präsenz der Göttin. Bild in: Hunger,Abb. 211.

aufs medizinische Heilsgeschehen in Bron- zeplatten mit Hundedarstellungen, Ton- und Bronzefigurinen von Hunden, in einer knienden menschlichen Figur, die einen Hund umarmt, der offensichtlich ein „Mo- losser“ ist, und in einem Hundefriedhof, der an und auf der zum Tempelkomplex der Gu- Gula mit ihrem Hund auf einem Kudurru aus der Zeit la hochführenden breiten Rampe in Isin ge- des Nebukadnezar I. Unten: Assyrisches Siegel mit funden wurde (Livingstone, 58). Auf den Göttin Gula und ihrem Hund - dem Hund gegenüber Hund der Göttin Gula wurden Eide gelei- „steht“ die Ziege. Text & Bild in: Jeremias, 1929,Abb. 121 stet, ein Brauch, der auch anderswo oft & 211 (unten). nachweisbar ist; und in den gefundenen Keilschrifttexten wird der Hund manchmal, nicht immer, mit dem göttlichen Determi- nativ geschrieben. All diese Fakten lassen Livingstone den Schluss ziehen, dass es sich bei dem Hundefriedhof nicht um einen ein- fachen Zwinger handelt von Hunden, die den Tempelbezirk nur bewachten. In einem späteren, neo-assyrischen Text wird im Zu- sammenhang mit dem Gula-Tempel in Ba- bylon von einem Hund gesprochen, der der Sendbote der Göttin ist. Ein Gula unterge- ordneter Gott Babylons wird ur-ma-sum ge- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 475

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der Stier in der Filiation nach dem Hund: Gula auf den kudurru (> 474 & > III) ist Lyra (~ Leier), und ihr Hund ist „Herkules“ - das Sternbild des Herkules heißt auf Assyrisch kalbu (~ Hund) -

in dem Lehrbuch „Pflugstern“ heißt es: „Der Stern, der der Ziege (Lyra) ge- genübersteht, ist der Hund (Herkules)“,

wie Jeremias (1929, 230) erläutert, und er ergänzt einige Abschnitte weiter: Eine realhistorische Analogie zum Sternbild (> links)? Diese Darstellung aus dem Palast des Assurbanipal in In dem Lehrbuch wird noch besonders Ninive (> 490: Karte) zeigt die Nutzung des Dromedars notiert ... dass der „Ziege“ gegenüber als Reittier im Krieg: Zwei Soldaten haben es sich auf „der Hund“ (Herkules;> 474 unten) dem Rücken des Tiers gemütlich gemacht - aus der steht (Jeremias, 231). Ferne dürften sie wie eine Person erscheinen. Gibt es für das Sternbild des Schützen (links) mit dem Diese astronomische Gula - aus Lyra und hündischen Doppelkopf ein analoges historisches Hund zusammengesetzt - Vorbild? Wahrscheinlich nicht, denn das Sternbild ist älter als die Erfindung der Kavallerie In: Benecke, 1994 war im hohen Altertum fast am Höhe- a, Abb. 200 a. punkt des Himmels stehend zu sehen. Gula-Wassermann stand dann am Hori- zont, also wie in die Unterwelt steigend nannt, und die erste Silbe deutet an, dass (Jeremias, 1929, 225, FN 4). wir uns diesen Gott als Hund oder von ei- nem Hund abstammend vorzustellen haben Die besondere Wertschätzung des Hundes (Livingstone, 59). Die Göttin Ninisina, mit wird auch am Tarif deutlich, in den er ein- der Gula identifiziert wird, hatte als Be- geordnet ist, er hat als Opfergabe immerhin gleittier und Emblem den Hund und wurde den Wert eines Sklaven, manchmal wird der manchmal mit einem Hundekopf darge- Göttin ein Sklave mit einem Hund geopfert stellt (Simoons, 243), ihre Heilfähigkeit dürf- (Livingstone, 60). te auf das als reinigend und heilend ver- standene Lecken des Hundes, ihres Begleit- Aber es gibt noch weitere Göttinnen neben tiers, zurückgehen. Ihre Darstellung als Gula - die Orientalisten nennen bis zu neun hundeköpfiges Mischwesen - also als Dog- Göttinnen -, denen der Hund als Begleittier Woman - verweist zurück auf die altlibysche zugeordnet ist oder die selbst in der Er- Tradition (> II) der Südsahara wie auf den scheinungsform des Hundes auftreten oder grundsätzlich schamanischen Ursprung der hundeköpfig - also Dog-Women - sind (Fuhr, Göttin und ihr hohes Alter, denn sie wird 136). So z.B. die sumerische Heilgöttin Nin- astronomisch-astrologisch in den Stern- karrak, die im Epilog des Codex Hammura- bildern der Lyra (~ Leier (> I, 70) mit dem bi angerufen wird, die Frevler mit Krank- Hauptstern Wega) und des Herkules gese- heiten zu schlagen. Ihr Symboltier ist der hen bzw. im Stern ␣ der Lyra als „Herrin des Hund: Lebens“. Der Hauptstern der Lyra wird von den Sumerern als Stiergottheit und Bote der O Ninkarrak, halte deine kleinen Hunde hündisch konnotierten Göttin Bau konzi- zurück, und lege an das Maul deiner piert (Jeremias, 1929, 230) - wieder kommt großen Hunde einen Maulkorb, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 476

476 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

so heißt es in einem Beschwörungstext an diese Göttin (in: Göhde 1, 62), und wahr- scheinlich sind diese Hunde Krankheiten, die eine Heilgöttin, weil sie in der Paläomenta- lität immer ambivalent ist, schicken, aber auch zurückhalten kann. Diesmal also sind die Hunde negativ konzipiert. Dass die Göt- tin große und kleine Hunde besitzt, könnte ein Indiz für das oft festgestellte Auftreten von mindestens zwei Grundtypen sein. Krankenhütte mit heilendem Hund auf dem Schilfdach Nebukadnezar fand - wohl nicht persönlich - Göhdes Kommentar: „Drei Personen in einer Hütte, die - anlässlich der Restaurierung des Ninkarrak- hier wie ein Netz gebildet ist. Hier ist deutlich zu Tempels in Sippar eine Hundefigurine, die erkennen, dass die Person am Fußende des Bettes mit den Namen der Göttin trug. Bei Ausgrabun- einem spitzen Gegenstand an dem Liegenden hantiert. gen in Terqa (Syrien) wurde in einem der Die knieende Person am Kopfende des Bettes hält ein Göttin Ninkarrak gewidmeten Tempel eine Gefäß (?) mit weiteren spitzen Gegenständen hoch ... kleine Hundefigurine gefunden (Göhde 1, Eine Person im geschlitzten Schalgewand, die beide 62-3). Die Hunde der Ninkarrak waren sogar Arme erhoben hat, geht von rechts auf die Hütte zu. den Hethitern bekannt (> V), womit sie eine Hinter ihr das Symbol des Gottes NABU, über ihr Mond- Verbreitung von Mesopotamien über Syrien sichel und Stern. Links von der Hütte Person mit Bogen, bis nach Anatolien hatten. Ninkarrak und über der Hütte Flügelsonne. Auf oder über der Hütte alle anderen Heilgöttinnen werden mit Gu- nach links laufender Hund mit deutlicher Angabe der la identifiziert, und in ihren Tempeln wurde Rippen, vor diesem Raute (~ Vulva-Symbol der Göttin als nicht nur ein Hundekult praktiziert, sondern Trostpflaster für die Wiedergeburt, wenn die Therapie nicht es wurden dort auch Hunde gezüchtet - anschlägt?),über ihm einige Kugeln und Sterne; Simoons (244) spricht von a particular breed neuassyrischer Serpentin, H 3,0 cm, Ø 1,4 cm“. Zitat & - und gehalten, die nicht nur symbolische, Bild in: Göhde 2, 355. sondern therapeutische Funktionen hatten. Diese auf ein spezielles Verhaltensrepertoire gezüchteten Therapiehunde waren vermut- Die eingerollte Rute (> 552, Abb. 61 & 555; lich zu kostbar, um sie als Opfer unter der > III, 617: Abb. 415) ist das ganzheitliche Rampe beizusetzen. Dennoch verdeutlicht Symbol des matriarchalen Uroboros und er- der Hundefriedhof mit mehr als 30 Gräbern setzt vollwertig die Abbildung/Erscheinung im Tempelbezirk der Gula die Verbindung der Göttin selbst: Auf babylonischen Siegel- der Heilgöttin mit diesem Tier, was gleich- bildern wird dieser Hund in religiösen, aber zeitig auf eine lange Kontinuität schließen auch in medizinischen Zusammenhängen lässt (Fuhr, 136). abgebildet. So sitzt ein Hund auf einem Thronsessel in der Nische eines Gebäudes, Allerdings unterscheidet sich der Mo- vor dem ein betender und opfernder losserhund mit der Weihinschrift an die Mensch steht (> III, 93: Abb. 323). Auf einem Göttin Ninisina auf das markanteste anderen neubabylonischen Rollsiegel sehen von dem sonst mit der Göttin Gula zu- wir eine ähnliche Szene: Ein Mann im Ge- sammen dargestellten Hund der kassi- betsgestus steht zwei Altären gegenüber, tischen (> 490: Karte), mittel- und neub- auf einem der Altäre sitzt wiederum ein abylonischen Zeit, einem Tier mit spit- Hund (> III, 93: Abb. 333 & 94: Abb. 331). In zen, aufgestellten Ohren und länglicher diesem Beispiel erscheint der Hund als akti- Schnauze. Wenn der Hund ohne Göttin ver Begleiter und Helfer einer Heilsgottheit, dargestellt wird, zeigt er einen nach es gibt sogar Darstellungen, die die Anwe- oben eingerollten Schwanz (Fuhr, 137). senheit eines Hundes bei einer Krankenbe- Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 477

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„Siegel zweistreifig, in der Mitte durch Doppellinie abgeteilt. Im unteren Streifen Krankenbeschwörungsszene in der Schilfhütte. Je ein Hund links und rechts der Hütte (ich ergänze: Es handelt sich um Hunde unterschiedlicher Größe, jeweils mit eingerollter Rute als Uroboros-Symbol - die kleinen und die großen Hunde der Göttin?). Oberer Streifen: Direkt über der Hütte bärtiger Mann mit fezartiger Kopfbedeckung und Schalgewand sitzt auf einem Stuhl mit hoher Lehne auf einem fahrbaren Gestell. Ein Pferdekopf ziert die Seitenwangen des Stuhles. Die thronende Person hält vor sich einen langen Stab, die andere Hand ruht auf den Knien. Der „Thronwagen“ wird von zwei eng nebeneinander gehenden Personen ...mit hoher,spitzer Kopfbedeckung, mittels über die Schulter gelegten Riemen gezogen ...Nord- syrischer oder nordmesopotamischer Serpentin, H 4,2 cm, Ø 1,9 cm.“ Fazit: Gehts dem Monarchen schlecht, hilft nicht das später domestizierte Pferd, sondern der Hund. Zitat & Bild in: Göhde 2, 352. Diane Wolkstein (193) kommentiert einen Ausschnitt des Siegel etwas anders, die königliche Aura vernachlässigend: “Dying man - a sick or dying man lies beneath a reed hut.Attendant figures, perhaps exorcists priests, lean above him and kneel at the head of his bed. Sacred dogs of Gula, the Goddess of Healing, leap about the exterior of the hut.”

Links:In einer aus zwei gebogenen Stäben gebildeten Hütte kniet eine Person mit schulterlangem Haar. Sie hält in beiden vorgestreckten Armen einen runden Gegenstand über vier spitze Gebilde, die aus einem Gegenstand am Boden in Form einer liegenden Acht herausragen. Hinter der knieenden Person hockt ein Hund mit spitzer Schnauze, Stehohren und Ringel- schwanz.Von links auf die Hütte schreitet ein Hirte im langen Gewand zu, der wohl ein junges Zicklein auf der Schulter trägt. Neben ihm läuft eine Ziege, trotz der Zerstörungen am Bart erkennbar. Text & Bild in: Göhde 2, 351 (vgl. Umzeichnung (?) > 391: Abb. 520). Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 478

478 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Links: Eine analoge Szene zu Abb. 355 (> 476). In: Fuhr, Abb. 9. Oben: Zum Vergleich der Assoziation Hund & astrale Symbole: „Göttin mit von Kugel bekrönter handlung oder -beschwörung zeigen. Of- Hörnerkappe ... auf Thron mit insgesamt fünf Kugeln, fen bleibt vorerst, ob das Tier die Stelle der der auf einem Hund steht. Vor ihr bärtiger Adorant im Göttin einnimmt und diese meint, oder ob assyrischen Gesprächsgestus, zwischen beiden Vogel es als leibhaftiger Hund an der Behandlung über Griffel. Hinter diesem ein bewaffneter Gott auf des Kranken beteiligt ist, fragt sich Fuhr gehörntem „Drachen“ mit gespaltener Zunge und (137), und ich meine, dass beides zugleich Skorpionschwanz. Zwischen beiden Hacke des Gottes möglich und sogar wahrscheinlich ist. Auf Marduk. Astrale Symbole wie auf den vorigen Siegeln. einem weiteren Rollsiegel liegt in einer aus Zwischen Gott auf Drachen und Adorant keilschrift- Schilfbündeln hergestellten Hütte auf ei- ähnliche Zeichen.” Zitat & Bild in: Göhde 2, 358. nem hohen Bettgestell ein männlicher Pati- ent. An seiner Seite, ihm zugewandt und hinter seinem Kopf, stehen bzw. knien zwei bild v.a. von einem mächtigen Steinbock, in Priester, die zusammen die Behandlung den untersten Schichten von Persepolis (> oder Beschwörung vornehmen. Von rechts 490: Karte) und Tall-i-Bakun A von einem schreitet ein Mann heran, der mit Bogen, Mufflon repräsentiert (Hartner, 9) - bemer- Pfeilen und einem Schwert bewaffnet ist. kenswert ist die spätere Umwertung der Vor ihm sitzt ein Hund. Mehrere Symbole, Werte durch die christliche Religion: Der wie das ´Auge`, der Stern, die Mondsichel Steinbock wird zum Symbol der Sünde und die ´Pleiaden` vervollständigen die Dar- (Tetzlaff, Abb. 36). Zum Vergleich können stellung, die oben und unten wiederum wir auf einem mittelassyrischen Siegel eine durch eine Linie abgeschlossen wird. Die Zu- Hütte gleicher Bauweise wiedersehen (> taten verweisen über das rein Bezeichnete rechts) - diesmal aber scheint eine Frau ein hinaus auf einen Zusammenhang zwischen Gebildbrot zu backen, wie Winter annimmt Medizin und Astronomie bzw. -logie: Die und dabei das Bedeutungspotenzial un- Göttin und das Sternbild des Wassermanns zulässig reduziert, wie schon seine Um- tragen denselben Namen: Gula (Hartner, 8), zeichnung beweist (> 391: Abb. 520). Die wobei dieses Sternbild sich bei den vor-su- auf Gula fixierte Göhde aber reiht die Sze- merischen Neolithikern Mesopotamiens als ne in die Krankenbeschwörung ein, was sich Konstellation des Steinbocks/Mufflons zu- aber nicht grundsätzlich ausschließt: Aus sammensetzt aus den Hauptsternen von Schilfstangen oder Reetbündeln wird auch Wassermann und Steinbock (Hartner, 9). In ein magic fence um den Kranken errichtet, der frühesten Phase des mesopotamischen die Reethütte erscheint als Variante dieser und elamitischen Neolithikums wird das magical enclosure, wie Göhde (1, 114) argu- Sternbild des Wassermanns nicht von einem mentiert. Der Hund scheint diesen ma- männlichen Wasserträger dargestellt, der gischen Schutzzaun zusätzlich zu verstär- mit zwei Gefäßen auf einem Heiligen Berg ken, indem er rechts oder links oder sogar steht: In der frühesten Phase wird an Stelle auf der Hütte zu sehen ist. Ein sehr aufwän- dieser personifizierten Gottheit das Stern- diges neuassyrisches Rollsiegel zeigt eine Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 479

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Krankenbeschwörung in königlichem Um- oben): Dieser KUR-Thron, den Göhde als feld (> 477: Abb. 352): Die frühere Bezie- Sternenthron bezeichnet, scheint seinerseits hung der Göttin Gula zu dem, was später auf einem liegenden Hund zu stehen. Ähn- zum Wassermann-Sternbild wurde, zeigt liches ließ sich auch für den Thron der Gula sich noch in der Fluss- oder Kanalnähe, die auf den kudurru feststellen (> III). Die Kugeln man dem Schilfdach des nächsten Bildes (> als Sterne verbinden das Droben mit dem oben) entnehmen kann. Unter diesem Drunten, mit dem KUR ~ Land. So ergibt sich Schilfdach über die uns schon bekannte KUR-Symbolik (> III) ein offenes System, mit dem die ver- sind ebenfalls zwei Personen um den schiedenen Szenen einen gemeinsamen auf einem Lager liegenden Kranken im Nenner finden, zu dem auch immer KU ~ der Innern einer Schilf(?)hütte bemüht, vor Hund gehört: Das schon oft belegte KUKUR- welcher an jeder Seite noch eine größe- Ensemble (> III). Auf einem anderen assyri- re Gestalt, die eine mit erhobenen schen Relief spielt der Hund bei einer ähnli- Händen, steht. Diesmal befindet sich chen medizinischen Handlung zwar nur eine der - schreitende - Hund zwischen scheinbar untergeordnete Rolle, von den verschiedenen Symbolen auf dem Gestalten trägt aber eine eine Hundemaske, oberen Rund der Hütte (Fuhr, 138). womit der Hund als Kulturbringer und der Hundemensch - Dog-Man - als positive Iden- Dieses Siegel wird in das 1. Viertel des -1. tität belegt ist. Auf anderen Siegeln kann Jahrtausends datiert. Wie Göhde das Siegel man menschliche Figuren erkennen, die kommentiert, erfahren wir im Bildkommen- ebenfalls hundeköpfig sind - Dog-Men: tar. Den auf der Hütte, sozusagen von der Er- de entfernt laufenden Hund versteht Göhde Dass Teile des Hundekörpers einschließ- als eines neben anderen Göttersymbolen lich der Exkremente für Medizinen wie Sonnenscheibe, Mondsichel und Stern: verwendet wurden oder Hunde ge- opfert werden konnten, ja dass von Aus einer Position in der Bildanordnung “Hundemenschen” die Rede sein kann an dieser Stelle wird deutlich, dass es und der Hund im Kult eine gewisse Rolle sich bei ihm nicht um einen realen zu spielen scheint (Fuhr, 138), Hund, sondern um ein astrales Götter- symbol handelt (Göhde 1, 117). könnte zum Verständnis der babylonischen Siegel beitragen: Der Hund war die wan- Dann können auch die spitzen Gegenstän- delnde Apotheke der mesopotamischen de, wie Göhde vorschlägt, als Flammen ver- Ärzte. Bestandteile dieser Apotheke waren standen werden, die allerdings, möchte ich vielleicht auch einige der Hunde, die Boess- anmerken, strukturell bedingt mehrdeutig neck im Hundefriedhof des Gula-Tempels sind, u.a. Fieber repräsentieren können, gefunden und analysiert hat: In der Termi- aber auch die Glut fürs Fladenbrot. Der nologie des 19. Jahrhunderts teilt er die Ske- Hund könnte dann das spezifische Symbol lette in drei große Gruppen ein: Zum „Torf- Nergals sein, unspezifisch natürlich auch das hund-Typ“ (40 bis 50 cm) zählt er acht der 33 der Gula. Die astrale Symbolik des Hundes in Skelette (durchschnittliche Widerristhöhe: den Beschwörungsszenen entspräche seiner 44,7 cm), zum „mittleren Typ“ ein (50 - 60 Zuordnung auf den kudurru, wenn er dort cm) und zum „großen Typ“ (60 - 65 cm) auch allein erscheint. Auf anderen Siegeln sind ein Skelett. Drei Skelette liegen zwischen die Sterne ohne sichtbare Verbindung hinter Typ 1 und Typ 2, ein weiteres zwischen Typ der Lehne in das Siegel geschnitten. Manch- 2 und Typ 3, und ein letztes ist größer als Typ mal sind die Sterne durch Kugeln ersetzt (~ 3 und entspricht, wie Boessneck meint, KUR-Symbolik), wie auf dem Siegel Nr. 358 (> einer der kräftigen „Doggen“, wie sie Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 480

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im Nordpalast des Königs Assurbanipal gion mit Schwerpunkt auf Rinderzucht war (668-630 v. Chr.) abgebildet werden (Boessneck, 102), könnte man sich vorstel- (Boessneck, 101; > 601 ff.). len, dass die breitwüchsigen Hunde zwi- schen 40 und 50 cm im Bulldog-Typ standen. Zwei der gefundenen Hunde(skelette) be- Die bis in die späteste neuassyrische und zeichnet Boessneck als schlankwüchsig - neubabylonische Zeit dargestellte Göttin darunter der einzige Repräsentant des Gula mit dem Hund bzw. der Hund allein le- „großen Typs“, die übrigen als breitwüch- gen schon genug Zeugnis ab für die Bin- sig. Natürlich werde auch ich mich der Ver- dung der Menschen jener Zeit an diese suchung erwehren, diese Fakten mit Rassen “Große Ärztin” - und den Hund. zu verbinden, aber man kann doch einen großen Windhund-Typ assoziieren zum schlankwüchsigen, großen Hund, wenn Exkurs: Die schamanische Tradition man sich den typischen Begleithund der der orientalisch-antiken Heilgott- Göttin Gula vor Augen führt: Der lässt mit heiten und ihrer Hunde seinen aufgerichteten Ohren und dem gra- zilen Körper an einen Windhund im ägyp- Von Gula aus lässt sich eine Linie tischen Typ denken. Die übrigen Hunde zeichnen zu weiteren „hündischen“ Heil- könnten deshalb überwiegend breitwüch- göttern des Alten Orients und der grie- sig sein, weil dieses Format einen größeren chischen und römischen Antike: In der phö- Muskelansatz bietet. Geht man davon aus, nizischen Hafenstadt Kition auf Zypern wur- dass die Hunde nicht nur lebend als Thera- den die Fruchtbarkeitsgöttin Astarte und peut(ikum), sondern auch tot als Medika- der Gott Mukol besonders verehrt - in sei- ment angewendet, eventuell auch rituell nem Tempel fanden die Archäologen die verspeist wurden, wird ein Interesse an kompletten Skelette von erwachsenen Hun- nicht zu schlanken Hunden verständlich. den und Welpen (Stager, 41). Mukol ist der Das lässt vermuten, dass “Breitwüchsigkeit” zweite Name eines Gottes, der komplett in diesem Zusammenhang ein religiös be- Resheph-Mukol heißt und im -4. Jahrhun- dingtes Zuchtziel war, das für alle Hunde im dert in Idalion auf Zypern seine Hauptkult- Tempel galt. Die größte Gruppe wird ge- stätte hatte. Auf einer dreisprachigen In- stellt von den Hunden zwischen 40 und 50 schrift wird er gleichgesetzt mit dem grie- cm Widerristhöhe - es kam vermutlich dar- chischen Heilgott Apollo-Amuklos (Stager, auf an, mit möglichst wenig Aufwand mög- 40). Der Gott Resheph ist aus westlicher Per- lichst viele Individuen im Tempeldienst ver- spektive ein widersprüchlicher Gott, gilt er wenden zu können, ohne ein Übermaß an doch tausend Jahre früher auf aramäischen Futterkosten zu haben. Dafür spricht auch, und ugaritischen Inschriften als Herr der Un- dass Hunde aller Altersstufen, vom Welpen terwelt sowie Gott der Pest und anderer bis zum ausgewachsenen Hund, sowie eine Seuchen - und er ist umgekehrt dennoch als Totgeburt gefunden wurden (Göhde 1, 9). Heilgott tätig. Deshalb schätzt Beltz (121) Auffällig war auch, dass die Skelette meist die Wertung des Hundes in Ugarit, die an- schwere Frakturen und Deformierungen geblich dieselbe sein soll wie in Israel, wohl aufwiesen. Hrouda nimmt an, dass dieser nicht richtig ein: Er unterschlägt die Ambi- Hundefriedhof zwischen -1.050 und -900 valenz, denn wer die Pest schickt, hat auch angelegt worden ist. Leider war nicht mehr die Macht, die Menschen von ihr zu befrei- festzustellen, ob die Tiere gleichzeitig oder en. Dieses zweipolige Schema gilt auch für nacheinander bestattet worden sind. Eine Resheph-Mukol auf Zypern, wo er - wie zu- spätere und räumlich weit entfernte Ana- vor bereits in ugaritischer Zeit - immer noch logie erkennen wir in Ashkelon. Da das Ein- Resheph mit dem Pfeil genannt wird. Res- zugsgebiet des Gula-Tempels in Isin eine Re- heph selbst bedeutet soviel wie Brennen, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 481

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Fieber, Seuche. Der griechische Heilgott beinhaltet mit seiner ersten Silbe gleichfalls Apollon, Vater seines späteren Konkurren- die globale Etymologie *KUAN. Dieser hün- ten Asklepios, ist ebenfalls ambivalenter Na- disch konnotierte Apollo gab der römischen tur: Er ist Arzt - wie sein Beiname Iatros sagt Stadt Apollonia, zwischen Caesarea und Jaf- - und gleichzeitig Gott der Pest. In der Ilias fa gelegen, seinen Namen, und diese Stadt (I, 43-52) zürnt er den Griechen vor Troja, wurde früher nach Resheph benannt, was und beschießt sie neun Tage lang mit Pfei- noch die arabischen Bewohner für ihre len, die die Pest verbreiten. Resheph mit Stadt bezeugen mit dem heutigen Namen dem Pfeil hat dem Griechengott Apollo of- Arsuf. Erst als Apollo in Griechenland von fensichtlich viele Requisiten vermacht. seinem Sohn Asklepios als Heilgott abgelöst wurde, konnte er seine helle Seite stärker In dem spätbronzezeitlichen Fundort Bet- ausspielen und wurde dann auch einseitig Shean in Israel fand man eine ägyptische mit der Sonne assoziiert. Asklepios wurde Stele, auf der ein bärtiger Gott auf einem im klassischen Griechenland als Heilgott be- Thron sitzt, vor ihm zwei Betende. Der Gott liebter als sein Vorgänger, der selbst nicht trägt die hohe, konische Mütze mit zwei das Urmodell des griechischen Gesundheits- kleinen Hörnern vorn an jeder Seite, so wie wesens war: Der Arzt der griechischen Göt- auch Resheph seine Göttermütze trug, mit ter war zuerst Paieon, tja, auch im griechi- Gazellenhörnern verziert. Dieser sitzende schen Olymp konnte man krankwerden. Gott ist Mukal, der Herr von Bet-Shean, wie Und der Arzt kann nicht sonderlich erfolg- uns eine hieroglyphische Inschrift mitteilt. reich gewesen sein in der Behandlung sei- In demselben Tempel fand man ein kanaa- ner göttlichen Patienten, denn er wurde im nitisches Basalt-Relief, ungefähr 90 cm Olymp nach und nach durch Apollon ersetzt hoch, mit folgender Szene: Im oberen Feld - wie Homer über die erste Gesundheitsre- stehen sich ein Hund und ein Löwe auf den form der Griechen zu berichten weiß. Die Hinterbeinen antithetisch gegenüber, in ei- Ärzte aber, die ihre „hündische“ Kunst an- nen Kampf verwickelt. Im unteren Abteil geblich Apollon verdankten, wurden nie siegt der Hund über den Löwen, in dessen nach ihrem Patron benannt - und dennoch Hüfte er sich verbeißt (> 449: Abb. 36). Mit besteht zwischen Apollon und dem Hund dem Hund identifiziert man den Gott Mu- ein Zusammenhang, der mit dem Vorgän- kal/Mukol, der in dem Löwen eine furcht- ger des Apollon in Epidauros zu tun hat: bare Krankheit besiegt. Von diesem Mukal Der Gott, der dem Apollon Maleatas vom hat der griechische Apollo sowohl seine berühmten Heilkurort Epidauros voraus- dunkle Seite als Pestgott wie seine helle Sei- geht, ist nämlich die alte Lokalgottheit. Ihr te als Heilgott geerbt. Dieser griechisch-rö- Tempel lag auf dem Berg Kynortion, und mische Gott ist also weitgehend aus einem das heißt nichts anderes als Hundealtar. Der kanaanitischen Gott entwickelt. Die „hün- Hund gehörte ursprünglich zu dieser loka- dische“ Genealogie Apolls geht aber noch len Gottheit, und so ist es verständlich, dass weiter: Relativiert man die biblischen An- der Hund dieser Lokalgottheit zuerst mit gaben, dann kann Kanaan eine Variante Apollon und dann mit Asklepios als Begleit- von Cynopolitania (~ Hunde-Stadt) am obe- tier auftritt, und zwar am häufigsten in Epi- ren Nil sein (> II) und verweist quasi wie dauros (Nilsson, zitiert in: Fuhr, 139). As- ganz von selbst auf einen hundemytholo- klepios wird von Homer in der Ilias als Vater gischen Ursprung der Kanaaniter. Dazu der beiden Ärzte erwähnt, die im grie- muss man nicht den Umweg über die chischen Heer vor Troja Dienst tun. Sein Ge- tatsächlich mittelalterliche Form caninea als burtsort war Trikki in Thessalien, wo sich Adjektiv zum lateinischen canis (~ Hund) auch seine älteste Kultstätte befand. Ab bemühen (Kretzenbacher, 68-9), denn der dem -6. Jahrhundert wurden die grie- frühägyptische Gott Khenti Amentiu (> II) chischen Ärzte ganz allgemein Söhne des Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 482

482 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Asklepios genannt, womit sie automatisch zu Enkeln des Apollo aufstiegen. Nach sei- ner Vergöttlichung gewann Asklepios mehr und mehr an Bedeutung bis hin nach Süd- Italien. Rom befreite er -291 von der Pest und legitimierte sich mit dieser Heldentat auch als römischer Heilgott. Symboltier des Asklepios, römisch Aesculapius, war später nur noch die Schlange, nicht mehr der Hund. Doch gibt es einige wenige Darstel- Eine Silbermünze aus Epidauros, um -350, mit dem Kult- lungen, die ihn und auch seine Söhne von bild des Asklepios. Unter dem Thron liegt ein kleiner einem Hund begleitet zeigen (Fuhr, 140). So Hund; der patriarchale Gott stützt sich auf eine Schlan- sieht man auf einer Silbermünze aus Epi- ge: Zwei matriarchale Symbole, die bald durch ein phal- dauros um -350 die Wiedergabe eines Kult- lozentrisches Symbol ersetzt werden - dann rankt sich bildes des Asklepios, wie es sich einst im dor- die Schlange wie Efeu um die Stange. In: Kerényi,Abb. 5. tigen Tempel befunden hat (> rechts):

Der Gott sitzt auf einem Thron, er zen können, der in der jeweiligen Gesell- umfasst einen Stab und legt die andere schaft das höchste soziale Ansehen genießt. Hand auf den Kopf einer Schlange; und War es in Mesopotamien der Bulldog-Typ, ein Hund, neben ihm liegend, ist auch so ist es in Griechenland und Kleinasien (~ dargestellt (Fuhr, 141). Anatolien) der Herdenschutzhund: Ein früher orientalischer Einfluss in Griechen- So schildert auch der griechische Schriftstel- land, der durch die Handelsbeziehungen ler Pausanias das Bildnis des Asklepios in Epi- der kleinasiatischen Völker mit Mesopota- dauros. Auch Münzen in Thessalien weisen mien einerseits und Griechenland anderer- Hund und Schlange als Begleittiere auf. Und seits leicht zu erklären ist, meint Fuhr (139) im Heiligtum des Gottes in Athen waren bei- zu reduktiv, weil sie das frühe Neolithikum de Tiere zusammen dargestellt. Angeblich ausblendet, und der einige der Hundebei- aber hat der Hund nichts mit der ärztlichen setzungen im Klassischen Griechenland (> Tätigkeit des Asklepios zu tun. Er spiele eine V) motiviert haben könnte (Day, 32). Dabei wichtige Rolle nur in der zartesten Kindheit, sind natürlich regionale Wandlungen, aber so distanziert man sich auf die bekannt ca- auch Kontinuität zu beobachten: Die mehr nophobe Weise, denn Asklepios an Rinderzucht und Ackerbau orientierten Mesopotamier opferten andere Hunde- wurde zuerst von einem Hunde genährt ”typen” als die Griechen, die mehr die ... und der Wachhund der Herde behü- Transhumanz mit Schafen und Ziegen prak- tete ihn (Theodoretus, in: Fuhr, 141). tizierten. Die Auffassung, der Hund spiele in der Heilkunst des Asklepios keine tragende Auf der Münze aus Epidauros sehen wir Rolle, seine Funktion sei auf die Rettung des aber keinen Herdenschutzhund, vielleicht Säuglings durch einen Herdenschutzhund war die Überlieferung der wundersamen beschränkt, ist natürlich falsch, denn auf ei- Rettung des Säuglings Asklepios durch eine nigen Dankestäfelchen aus Epidauros wird Herdenschutzhündin nicht wirkmächtig ge- der Hund als heilendes Tier hervorgehoben: nug, vielleicht war es auch eine Frage der Einen blinden Knaben soll ein Hund durch Darstellung auf einer kleinen Münze. Aber Lecken der Augen geheilt haben; einen an- die Legende von der säugenden Hündin deren soll er durch Lecken von einer Wu- zeigt uns, dass wir in Legenden an entschei- cherung im Nacken befreit haben. An an- dender Stelle immer den Hundetyp einset- derer Stelle steht, dass die Patienten auch Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 483

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das Fleisch junger Hunde erhalten haben. Welpe) anzunehmen, denn gr kann im He- Gesichert ist, dass in den verschiedenen bräischen für jedes Jungtier verwendet wer- Tempeln des Heilkurorts Epidauros eine den. So verstanden, werden die Hunde und große Anzahl „heiliger Hunde“ gehalten Welpen bzw. die Betreuer dieser Tiere im wurde. Auch im römischen Tempel-Heilig- Klinik-Tempel von Resheph-Mukol in der tum des Aesculapius (~ Asklepios) wurden phönizischen Stadt Kition für bestimmte Hunde und eine Schlange gehalten. Das therapeutische Leistungen bezahlt. Und ge- Verhältnis verschob sich später zu Gunsten stützt wird diese Deutung durch die Tatsa- der Schlange, da Hunde etwas zu Alltäg- che, dass Archäologen in Ashkelon eine liches waren, während Schlangen mysteriös Schicht gefunden haben, die auf -450 da- und auch gefürchtet blieben: Wer Umgang tiert wird und die einen großen Hunde- mit ihnen hatte, war fast ebenso mysteriös friedhof enthält: Stand hier für fünfzig und den Patienten gegenüber im Vorteil. Jahre die städtische Poliklinik? Überhaupt machen wir uns keine richtige Vorstellung von der Rolle, die der Hund in der altertümlichen Medizin gespielt hat: Exkurs: Heilkundige Hunde Diese Tempel-Kurorte waren große Betrie- im Lauf der Geschichte be mit einer Vielzahl an Personal, und es gehörten natürlich auch Schäfer mit ihren Die Christliche Bibel erwähnt in der Herden dazu, aber auch Bauarbeiter, Sän- Geschichte vom armen Lazarus, dass Hunde ger, Frisöre - und auch Mädchen (vulgo: kamen und seine Eiterbeulen leckten. La- Tempel-Prostituierte) ... und Hunde. Das zarus wurde später heilig und Schutzpatron Personal in der Tempelklinik der phöni- der Aussätzigen: Die Hunde waren ihm hei- zischen Stadt Kition z.B. wird je nach thera- lig. Im Mittelalter tritt der Heilige Rochus peutischer Leistung speziell bezahlt, auch auf, der auf seiner Flucht von einem Hund die Hunde. Sie erscheinen in derselben Liste gefunden und gefüttert wird. Rochus ist Pa- wie die anderen Mitarbeiter, und in direkter tron der Pestbefallenen wie Lazarus, und auf Nachbarschaft zum Wort Hund (~ klbm) mittelalterlichen Kirchenfenstern sieht man gibt es einen Begriff grm, der die Archäolo- ihn mit einer Eiterbeule am Knie, die ein gen zu kuriosen Deutungen verleitet hat: Hund beleckt. Natürlich wird anstatt der ra- Die Liste wird auf -450 datiert, und man hat tionalen Erklärung der Wirkfähigkeit hün- in den Hunden und den grm Ärzte gesehen, discher Zungen in früheren Zeitaltern der die als Hunde und grm maskiert auftraten Aberglaube bemüht: Über Hindus im Punjab (Stager, 41). Die als klbm auftretenden Fi- wird berichtet, dass sie auf der Hundezunge guren waren angeblich als Hunde maskiert, Ambrosia vermuteten, die Venetier in Nord- und die grm waren Schauspieler, die Löwen italien glaubten auch an Balsam auf der darstellten (gr ist in der Bibel die Bezeich- Hundezunge. In Portugal glaubte man, ei- nung für den Löwen, genauer: Für das nen Tumor allein mit dem Atem eines Hun- Löwenjunge). Das könnte zu dem Basalt- des heilen zu können, in Schottland bedien- Relief aus Bet-Shean passen, und es war te man sich wieder der Hundezunge, und in wohl auch dieses Relief, was die Deutung Böhmen wie in Frankreich glaubte man, veranlasste. Andere sahen in den klbm und wenn ein Hund einem neugeborenen Men- grm Bezeichnungen für weibliche und schenkind durchs Gesicht leckt, dass es dann männliche Tempel-Prostituierte. Nimmt besonders gute Augen bekommt. Diesem man die Bezeichnungen aber wörtlich, Glauben ist die mythische Überhöhung nicht dann handelt es sich um Hunde und Jung- fremd: In Armenien z.B. gab es mythische tiere, die dann zu Welpen werden. Stager Gestalten, die Aralez heißen (~ der, der stän- (41) zieht es vor, die buchstäbliche Bedeu- dig leckt). Mit dieser Bezeichnung wurde ei- tung von klb und gr (Singular für Hund und ne Gruppe übernatürlicher Wesen erfasst, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 484

484 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

die von einem Hund abstammen und deren verzehren, wenn es jenen Haut Goût er- Aufgabe es war, die Wunden der Krieger auf reicht hat, der vor Erfindung der Nouvelle dem Schlachtfeld zu lecken und sie so wieder Cuisine auch die „Feinschmecker“ fasziniert ins Leben zurückzuholen. Da diese „Hunde“ haben soll. Auch lecken Tiere ihre Wunden nur die eigenen Krieger gesundlecken, müs- instinktmäßig aus und heilen sich manchmal sen sie von den Ahnen geschickt sein: Die selbst. Aus der Heilfähigkeit des Hundes er- Abstammung eines Clans von einem Hund klärt sich auch, warum das Hundeopfer ein herzuleiten, heißt also auch, besondere, und weltweit verbreitetes Phänomen war: Nicht wenn es sein muss, übernatürliche Fähigkei- nur im Klassischen Griechenland und im al- ten für sich und seinen Clan zu reklamieren, ten Rom, in Babylon, auch bei den Phöni- Fähigkeiten, die andere nicht haben. Ein ziern, den Germanen und den Indianern modernes französisches Sprichwort zeigt, Nord-Amerikas, in Indien und Nordafrika, dass auch Babylon und das klassische Grie- um nur einige Völker und Regionen zu nen- chenland noch gar nicht so lange her und so nen, ist das Hundeopfer (> I, II, III & V) be- weit weg sind: Langue de chien sert de kannt und praktiziert. Kommen wir nun bi- médecin - will sagen: Die Zunge des Hundes lanzierend zurück zum Prototyp der Heil- ersetzt den Arzt - und in der Bretagne lobt gottheiten: man die Hundezunge, warnt aber eindring- lich vor der Katzenzunge. In Schottland führ- te man einen Hund zu Schwerkranken: Bilanz: Gibt es sozio-historische Näherte sich der Hund dem Patienten, gab Hintergründe für Gulas es noch Grund zur Hoffnung. Auf Jamaika Allianz mit dem Hund? legte man Hunde auf Fieberkranke, um sie zu heilen, natürlich nicht irgendeinen Hund, Ja klar! Aber welche? Hector Avalos nein: Schwarz musste er sein, groß und kurz- hat 1995 seine Überlegungen zu Illness and haarig (alle Beispiele in: Gaidoz, 217-218). In Health care in the Ancient Near East vorge- England sind noch 1885 und 1902 Fälle be- legt und führt u.a. aus, dass durchaus sozio- kannt geworden von Hundeverzehr: Eine religiöse Faktoren ein Gesundheitswesen besorgte Mutter kochte einen frisch gebo- hervorbringen können, reduziert dabei renen Welpen und gab ihrem kränklichen aber ein wenig aufs Tagespolitische, wenn sechs Monate alten Baby die Brühe zu trin- er z.B. den neuassyrischen König Esarhad- ken. Frischgeborene Welpen hätten ma- don anführt, der selbst an zahlreichen gische Kräfte, lautete der heilkundigen Mut- Symptomen einer unbekannten Krankheit ter Erklärung, und das Baby habe jetzt das litt und deshalb den Gula-Tempel in Assur Blut gewechselt und wachse kräftig und ge- restaurieren und reaktivieren ließ. Unter sund heran. 1902 wurde in Blackburn ein Esarhaddon dient u.a. ein angeblich assy- schwungvoller Handel mit Hundefett auf- rischer Krieger namens Teuspa/Teuschpa, gedeckt: Eingerieben wirke es hervorragend den Ivantchik (62) als in der iranischen und gegen Rheuma (Manning, 85-86). skythischen Welt weit verbreiteten „hün- dischen“ Namen enttarnt mit der Bedeu- Und was sagt der Hund dazu? Warum ist er tung Hunde-Räuber, was vermutlich die Be- so nett zu den Menschen und beleckt sie - zeichnung für eine militärische Spezialein- wenn sie es zulassen? Der Hund beleckt nicht heit „hundsköpfigen“ Kriegern war: aus karitativer Zuwendung die Wunden der Menschen, ihn interessiert ausschließlich der Namen dieses Typs sind in anderen faulige Geruch des sich zersetzenden Ei- indo-europäischen Traditionen sehr weißes im Eiter. Das bringt ihn ja auch dazu, bekannt und passen gut zu einem bei Nahrungsüberangebot Fleisch zu ver- Kriegerhäuptling ... mobiler Nomaden- graben, um es Tage später mit Genuss zu verbände, Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 485

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meint Ivantchik (1994, 62), zitiert kurz den die Kompetenzen der „Heilgöttin“ über bal der Osseten (> V) und Skythen als den medizinischen Rahmen beträchtlich Parallelveranstaltung zur iranischen Razzia aus. Gleiches gilt für scheinbar spezielle und verweist abschließend noch auf den Aufgabenbereiche der Heilgöttin, so ist sie hurritisch-urartäischen Gott Teyseba/ besonders zuständig für Fruchtbarkeits- Teschub, auch wenn linguistisch diese probleme und leichte Geburten. Hier Analogie weniger überzeuge, dennoch sei erscheint Gula dann auch in Beschwörungs- ein gemeinsames Namensvorbild nicht aus- texten gegen die dämonisierte Göttin zuschließen. Das alles kann die über Lamaschtu, die eine notorische Babyfresse- 1.500jährige Gula-Tradition in Mesopota- rin ist, als die Vorgängerin des positiven mien aber nicht begründen, zumal Esar- Dämons (~ Schutzengels) Pazuzu (> 537 ff.). haddon erst ziemlich in der Mitte der Tradi- Es liegt am speziellen Thema, das Avalos tion auftritt. Diese beeindruckende Konti- abarbeiten will, und am folglich einge- nuität der Gula alias Ninisina alias Ninkarrak engten Blickwinkel, dass er diese Kompe- alias Bau alias Nintinugga bis in die par- tenzen Gulas zwar bemerkt, aber deren Im- thische und seleukidische Zeit muss andere plikationen nicht erfasst. So weiß er auch, Gründe haben, das meint auch Avalos, ohne dass auf die früheren und größeren Kompeten- zen der Göttin einzugehen, die ja aufbe- the connection of G/N (~ Gula/Nin- wahrt sind im Namen Gula selbst: Die tinugga) with the dog is very ancient. Große, oder im Beinamen der Nintinugga: The deity is often indistinguishable from the dog, and she probably was Die Herrin, die die Toten erweckt envisaged as a dog from the earliest stages of her biography (Avalos, 111-2). - hier wird Ischtars Unterweltsgang mit all seinen religiösen Implikationen reduziert Und wenn er weiß, dass Gulas Variante auf den medizinischen Aspekt einer Heil- göttin. Es geht aber darum, die Reduktion Ninisina is said to have “a big snatching als solche zu bemerken, denn nur über den mouth”, Tellerrand dieser Reduktion hinaus ist nachvollziehbar, warum gerade der Hund dann kann er die Information nur zoolo- und nicht z.B., wie bei Asklepios, auch die gisch, aber nicht mythologisch und schon Schlange zum Symboltier der Chefärztin gar nicht tiefenpsychologisch auf den Hund werden konnte. beziehen, obwohl er die Ambivalenz der Heilgöttin schön herausarbeitet - sie heilt, Und wenn Gulas Tempel in Larsa den Namen kann aber auch Krankheiten schicken: Und Haus der Pflanze des Lebens trägt, kann man dennoch bleibt der zähnestarrende Mund das reduzieren auf ein heilendes Kräutchen, für Avalos ein Mund mit sieben Siegeln - er man kann es aber auch verschränken mit fundiert die hündische Konnotation nicht Etanas Suche nach dem Kraut des Lebens: hin zur vagina dentata des matriarchalen Dann ergeben sich ganz andere, umfassen- Uroboros, er bemerkt sie nur. Auch die wohl de mythologische Aspekte. Auch die Bei- zoologische Tatsache, dass die Hunde Gulas namen Heilerin des Landes (einmal im einen eigenen Typ darstellen und Englischen als Heilerin des country - viel- leicht eher im politischen Sinn?) und zum apparently distinguished sind from andern Heilerin des land (vielleicht eher im “ordinary” dogs in an incantation ... landwirtschaftlichen Sinn?) wiedergege- against the Lamastu demon: “We are ben), verweisen auf das, was ich als KUR- not a (an ordinary type of?) dog; (We Symbolik (> III) erarbeitet habe und weiten are) hounds of Gula” (Avalos, 112-3), Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 486

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lässt ihn nicht über die Frage nachdenken, not possible, on the basis of present warum man sich mit der Typ-Abgrenzung evidence, to correlate any health crises und der Typ-Konstanz dieser Hunde über resulting from strife during Isin II period mehr als 1.500 Jahre solche Mühen gegeben with any increased or renewed building hat - und selbst wenn diese Konstanz nicht activity on the temple of G/N, zoologisch, sondern über die Sitz- und Liegeposition des Hundes vielleicht nur iko- fasst Avalos (120) den gescheiterten Versuch nographisch und somit „nur“ mythologisch der Erdung religiöser Sachverhalte mit real- begründet wäre: Wer über sozioreligiöse politischen Vorgängen zusammen. Aber im Faktoren nachdenken will, um Gulas nicht griechisch-römischen Raum tritt genau die- nur mesopotamische, sondern auch syrische se Entwicklung ein, wenn um -500 der neue und palästinische Erfolgsstory zu verstehen, Heilgott Asklepios seine Karriere beginnt sollte diese Fakten nicht ausblenden. mit der Errichtung von großen Kliniken mit zahlreichem Personal außerhalb der großen Und dass auch Gulas Funktion als Mittlerin Städte (> V). Nichts davon ist zu spüren in zwischen Gläubigen und anderen Göttern Mesopotamien. Das liegt an der mesopota- ein Reflex der Ambivalenz des auf der mischen Konzeption der Krankheit selbst: Schwelle liegende Hundes sein könnte als Da der Kranke für seine Krankheit verant- Medium zwischen Drunten und Droben, wortlich ist wegen irgendwelcher Sünden, Drinnen und Draußen, das kommt Avalos die er begangen und für die er nun bestraft nicht in den Sinn. wird, bleibt er besser in seinem Heim, um die Krankheit zu verheimlichen: Krankheit Uns Kynosophen ist an Avalos´ Arbeit war ein sozialer Indikator für Regelver- dennoch willkommen die Einsicht, dass stöße. Neben der Heimbehandlung prakti- selbst die Parallele zwischen der 1.500jähri- zierte man Behandlungen an einem der gen Gula-Kontinuität und dem gleichzeiti- zahlreichen Flüsse oder Kanäle. Aber die gen 1.500jährigen Niedergang Mesopota- Wasserstraßen waren wohl auch schon Ab- miens von der neu-sumerischen Zeit um wasserstraßen, da konnte man die Seuche -2.000 bis zur Eroberung durch die Perser gleich mitentsorgen - dass sie dort auch pro- um -500 keine hinreichende Erklärung für duziert wurde (Malaria), nahm man leider das Gula-Phänomen zu liefern scheint. Der nicht zur Kenntnis, dazu war Wasser als Rückgang der Bevölkerungszahlen in den lebenspendendes Nass zu positiv konno- großen Städten, deren Zunahme auf dem tiert. Ein vorletztes Therapie-Mittel war der Land, kriegerische Auseinandersetzungen Aufenthalt des Kranken in einer von einem und klimatische Veränderungen führen zu magischen Zaun abgeschirmten Fläche, der Kette wovon uns ein Siegel aus dem Tell Halaf eine Vorstellung vermittelt: Wir sehen heat > scorched earth > famine > einen (kranken?) Menschen auf einer Liege, epidemics > death as the ultimate offenbar umsorgt von rituell tätigen Mit- source of Babylonia´s woes, menschen - und ein Hund steht auf dem Hüttendach. Bettet man diese Darstellung die Cagni und Roberts (in: Avalos, 118) am in einen medizinischen Zusammenhang, Era- bzw. Erra-Gedicht (> III) entwickeln. All dürfte der Hund Gula repräsentieren. Die diese Faktoren ergeben einen synerge- Hütte selbst kann an einem Fluss stehen tischen Effekt between malnutrition and oder auch in der Nähe des Kranken-Hauses, disease, der einen einzigartigen Nährboden was hier gerade nicht mit dem modernen abgeben könnte für mehr Wachstum im Krankenhaus zu identifizieren ist. Der Bet- Gesundheitswesen. Aber am konkreten und Bußgang zum Tempel war ein letztes, Beispiel des Gula-Tempels in Isin ist es probates und unauffälliges Mittel, aber ein Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 487

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längerer Aufenthalt im Tempel hätte den If he touches the dog of Gula, he is clean Status als Kranker öffentlich gemacht - (again) (in: Salonen, 97). Langzeittherapien, wenn es sie gab, wur- den mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht Aus diesem Berührungsgebot ergibt sich im Tempel durchgeführt. Das engt die Funk- dann das Tragen von Hunde-Amuletten am tion der Tempel-Hunde auf Kurzzeit-Thera- Körper. Beides sollte wohl den Wandel von pien ein. Nur selten sind daher menschliche einem unreinen in einen reinen Zustand Skelette in Tempeln oder in Tempelnähe zu bewirken. Ein weiterer Grund für die Heim- finden, die auf eine ärztliche Behandlung behandlung kranker Menschen ist der schließen lassen: Eine post-mortem-Schä- Glaube, dass nicht nur der Körper oder Geist deltrepanation (~ Aufbohrung des Schädels des Kranken, sondern auch seine Um- nach dem Tod des Patienten) aus der Isin-II- gebung verseucht sind - der Dämon muss Zeit bekannt: Das Skelett wurde bezeich- folglich auch aus dem Haus des Kranken nender Weise in der Nähe von rituell bestat- ausgetrieben werden, seine Behandlung in teten Hundeskeletten gefunden (Avalos, einer Klinik wäre nur eine halbe Sache. 121). Es bleibt allerdings unklar, ob das Per- sonal des benachbarten Gula-Tempels für Aus all diesen Sachverhalten folgt: Nicht das die Trepanation verantwortlich ist, auch ärztliche Tempel-Personal steht im Vorder- wenn man einen rituellen Zusammenhang grund wie beim Asklepios-Kult mit seinen zwischen der Schädelöffnung und den Kliniken, sondern der Sender der Krankheit Hundebestattungen suggeriert hat (Avalos, muss kontaktiert werden, und die Krank- 121). Andere Fakten sprechen für diesen heit schickt eine der zahlreichen Gotthei- Zusammenhang, da man gerade in der ten. Da der Sender die Krankheit total kon- Kurzzeit-Therapie (Krankenbehandlung trolliert, kann der Sender sie auch wieder zu und Exorzismus) im Tempel Hundestatuet- sich zurückrufen. Götter nutzen Krank- ten einsetzte, wie Avalos (202-16) rekon- heiten als göttliches Instrument, und struiert, auch am Beispiel des Bildmotivs vom Könige profitieren vom Glauben an diesen Mann mit Hund (> III): Wesentlich ist dabei Grundsatz, wenn z.B. Hammurabi am Ende aber die Differenz in der Haltung der seines Gesetzeswerks in Aussicht stellt, dass menschlichen Figur - für Avalos haben die Ninkarrak (~ Gula) jedem eine schwärende mesopotamischen Statuetten nur dann ei- Wunde zufügt, der gegen seine (~ Hammu- nen medizinischen Hintergrund (als Bitt- rabis) Regeln verstößt. steller oder Danksager), wenn der Mensch nicht steht, womit sich nicht nur für ihn ein Im Rückschluss bestätigt dieser herrschaft- Graben öffnet zwischen den Varianten auf liche Trick die Funktion der Gula und ihres Samos und in Mesopotamien: Hundes auf den kudurru (> III): Wer einen Grenzstein „verletzt“, wird mit einer Krank- However, in the example from Samos, heit bestraft. Gula kann Krankheiten ver- the person is standing, and the con- hindern, beenden oder schicken - besonders nection of the latter figurine with hea- übel wird es für Hundemisshandler oder ling is uncertain at best (Avalos, 207, FN solche, die einem in Not geratenen Hund 282). nicht helfen - dann ist Gula not amused. In diesem Fall und in einigen anderen scheint Und genau dieser Zweifel spricht für die der Sender also identifizierbar, sodass sich Heilige Hochzeit, wie ich für Samos rekon- eine minimalistische Praxis ergibt: Der struiert habe (> III). Wenn es ein therapeu- Kranke wendet sich an den einen und ihm tisches Ritual mit Hund gab, dann war wohl mutmaßlich bekannten Sender der Krank- erforderlich, dass der Patient neben dem heit. Aber im Grunde hat der Kranke das lebenden Hund kniet und ihn berührt: Problem, dass er den Sender im riesigen Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 488

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mesopotamischen Pantheon kaum identifi- ge gekoppelt, aber eben nicht an mehr oder zieren kann. So ergibt sich zwangsläufig weniger tagespolitische, sondern eher eine maximalistische Praxis, in langen Lita- grundsätzliche Faktoren. Die fehlende neien und unterstützt von viel Tempelper- Spezialisierung Gulas macht sie polyvalent - sonal alle möglicherweise begangenen über jede Krankheit hinaus: Sie überwacht Sünden aufzuzählen und zu bereuen und das Einhalten von Verträgen (nicht nur von alle potentiellen Sender anzurufen, um den Grundstücksverträgen) und deshalb leistet einen, um den es geht, zu erreichen - eine man den Eid auf Gula - und sie muss (auch) Praxis, die sich natürlich nur Wohlhabende deshalb die Menschen von hoher Warte aus leisten können. beobachten können:

Die dritte Strategie ist ebenso minima- Daher ist Gula auch als Sternbild wahr- listisch wie kompromisslerisch, indem sie ein nehmbar, und viele rituelle Therapien fan- Medium einschaltet zwischen dem Bitt- den in der Nacht statt, auf den Dächern der steller und dem göttlichen, aber unidentifi- Häuser, die damals meist Schilfhütten wa- zierbaren Sender der Krankheit - dieses ren, unter Gulas Augen, womit dem Hund Medium muss selbst göttlich sein, wie sonst auf dem Dach der Krankenhütte auch eine sollte es überhaupt Kontakt und dann kosmische Dimension zuwächst. Ein Rezept gleich den zum richtigen Sender finden? So schreibt z.B. vor, die Mixtur vor dem Stern- lange der Sender Schlüssel war im Heilvor- bild der Ziege anzurühren, vor dem Stern- gang, konnte eine von ihm unterschiedene, bild, das dem Sternbild von Gulas Hund ge- die Krankheit heilende Gottheit nur Teil der genüber steht. Gulas Macht war also nicht Problemlösung sein und sich nicht - wie auf den Tempelbezirk begrenzt, sondern Asklepios oder andere Halbgötter in Weiß - überall dort erfahrbar, wo man ihr Sternbild in den Vordergrund schieben. Eine Speziali- - die Leier - sehen konnte. Kommen wir zum sierung der Gula war daher nicht opportun, Abschluss noch einmal zurück zu den 33 und im Rückschluss können wir vermuten, Hundebeisetzungen, datiert um -1.000, die dass ihre paläomentale Konzeption im man unter der Rampe zum Gula-Tempel in Alten Orient weitaus mehr Kompetenzen Isin gefunden hat. Wir wissen bereits, dass aufwies als ihre übliche Reduktion bei den die Hundeskelette Verletzungen aufwiesen, Alt-Orientalisten. woraus man schließen wollte, die Hunde seien geopfert worden. Boessneck (102) be- Gerade weil es sich nicht spezialisierte, war tont aber, dass die Hunde diese Knochen- das minimalistische Medium Gula in all sei- brüche einige Zeit überlebt haben, dass die nen Erscheinungsformen ein maximales Frakturen also nicht unmittelbar zum Tode Mittel der Kranken, um unbekannte gött- führten. Das Alter der verletzten Hunde liche Sender zu beeinflussen: So haben wir reicht vom sechs- bis acht Monate alten Jung- wohl auch die meisten Siegeldarstellungen hund bis zum erwachsenen Hund. Während zu verstehen, auf denen eine fürbittende Boessneck ohne Begründung annimmt, dass Göttin den Bittsteller zum eigentlichen diese Verletzungen bei Heilritualen zugefügt Adressaten führt. Und Gula ist daher, aber wurden, meint Avalos (211), dass die bestat- nicht nur deshalb, die Göttin der armen teten Hunde selbst krank waren und vom Leute. Sie ist es auch, weil in den unteren Tempelpersonal dort beigesetzt wurden, Schichten die alten Mythologeme eher kon- weil Gula dieses Verhalten erwarte. Man serviert werden als in der herrschenden könne deshalb therapeutisch bedingte Ver- Klasse, die ihre Herrschaft mit neuer, mehr letzungen ausschließen. Daraus kann weiter und mehr patriarchalisierter Ideologie zu gefolgert werden, dass das Personal des Gu- rechtfertigen hat. Insofern ist Gulas Konti- la-Tempels sich wahrscheinlich um alle Hun- nuität doch an sozio-ökonomische Vorgän- de in der Stadt karitativ zu kümmern hatte. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 489

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Offene Fragen Eine andere Erklärung ist der Hund als Helfer und mögliche Konsequenzen und Beschützer seiner Menschen. So wie der Herdenschutzhund oder der Jagdhund den Weitet man die Perspektive und realen Löwen angreift, so schlägt der stellt man Gula mit ihrem Hund neben symbolische Hund die löwenköpfige andere (Heil)-Gottheiten des -1. Jahrtau- Lamaschtu-Dämonin in die Flucht. Der Ein- sends, dann fällt uns zunächst die ägyp- satz des Hundes zu therapeutischen tische Isis ein mit ihrem Begleiter, dem Zwecken beruht demzufolge auf einem hundsköpfigen Anubis. Auch Isis war wie Analogieschluss. So weit, so gut. Nun ist aber Gula zwar nicht die einzige, aber die allseits bekannt, dass der Hund den Men- wesentliche Heilgottheit in ihrem Pantheon schen ebenso gut angreifen kann. Diese - wobei dies - wie bei Gula auch - schon eine Ambivalenz des Hundes wird auf Reduktion umfassenderer Kompetenzen Lamaschtu-Darstellungen deutlich, wo bedeutet. Welpen an den Brüsten der Dämonin sau- gen. Überspielt wird der negative Aspekt Die Hundebestattungen im Ashkelon des des Hundes von der Tatsache, dass er ja -5. Jahrhunderts scheinen das fortzusetzen, meistens als gutwilliger Helfer des was im Mesopotamien der ersten Hälfte des Menschen erlebt wird: Kein anderes Tier hat -1. Jahrtausends zu einem unwiderruflichen diese Reputation überflügeln können. Aber Ende kommt. Wir sahen bereits an der ist damit schon alles erklärt? Das fragt sich Heiligen Hochzeit, dass die west-semitische auch Hector Avalos (415), wenn er feststellt: Region (auch in kynosophisch relevanter Hinsicht) konservativer ist als ihr östliches The socio-historical developments that Pendant. Im Vorgriff auf den 5. Band der can explain the wide distribution of Kynosophischen Zeitreise habe ich gerade dogs in healing cults are undoubtedly den ebenfalls im -5. Jahrhundert auf- more complex, and will only be ex- kommenden Asklepios-Kult kurz erwähnt, plained more adequately when a sus- in dem neben dem Hund auch die Schlange tained and systematic study of dogs als Therapietier eingesetzt wird. within the societies in question is completed. Verlassen wir kurz den Mittelmeerraum und reisen wir ins England des -4. Jahrhunderts, Zu dieser systematischen Studie dann finden wir in Lydney Park den römisch- keltischen Kult des Gottes Nodens, der in of dogs within the societies diesem -4. Jahrhundert seine Blütezeit er- reicht: Hier diente der Tempel des Gottes als will die Kynosophische Zeitreise einen Sanatorium, ganz analog zu den Asklepieia bescheidenen Beitrag liefern. Sie glaubt (~ „Krankenhäuser“). Sieben bronzene dies mit einem gewissen Erfolg zu tun, Hundestatuetten waren unter dem Fuß- indem sie die Heilgottheiten auf ihre frühe- boden des Tempels „beigesetzt“. ren, umfassenderen Kompetenzen hin befragt und so auch den Hund in einen Diese merkwürdigen Parallelen für die Funk- größeren gesellschaftlichen Zusammen- tion(en) des Hundes im Kult von Heilgott- hang stellt - so z.B. im nächsten Kapitel am heiten werden erklärt mit der heilenden Fall (in des Wortes doppelter Bedeutung) Kraft der leckenden Hundezunge. Aber die der elamisch-mesopotamischen Göttin Lamaschtu und ihres hündischen Gegen- healing rituals in Mesopotamia do not dämons Pazuzu, aber auch am Beispiel des seem to involve licking by dogs when- assyrischen Königs Assurbanipal und seiner ever dogs are involved (Avalos, 414). Zeremonialjagd auf den Löwen. Band_4_2.-5.-Version15 22.08.2006 9:44 Uhr Seite 490

490 5. KAPITEL · ASHKELONS RÄTSEL UND DIE HALBGÖTTER IN WEIß

Übersichts- karte zum Nahen und Mittleren Osten vor ca. 4.500 Jahren. In: Potts, 34.