porträt: thomas tuschl

Der Mann, der die zum Schweigen brachte

Der deutsche Chemiker Thomas Tuschl entdeckte, wie sich Gene im Menschen unterdrücken lassen. Doch das war für ihn nicht mehr als eine Zwischenstation, um zu erforschen, wie menschliche Zellen ihre Gene regulieren.

Von Hubertus Breuer drew Fire und für die ursprüngliche Entdeckung des Phänomens im Fadenwurm den Nobelpreis für Medizin. lle halbe Stunde springt der Kuckuck aus seinem Holzver- Die Methode, Gene zum Schweigen zu bringen, wirkt – wie viele schlag. Das Souvenir, ein Andenken aus der deutschen geniale Entdeckungen, welche die Welt verändern sollten – im Heimat, hängt hoch an der Wand eines sanierten Brown- Nachhinein nicht besonders kompliziert. Will eine Zelle ein Protein stones, eines im 19. Jahrhundert erbauten bürgerlichen produzieren, erstellt sie zunächst vom zugehörigen Gen eine Blau- ReihenhausesA in Brooklyn. Genauer in Crown Heights, einem Vier- pause der Bauanleitung: ein Botenmolekül aus einzelsträngiger tel, das lokale Radiomoderatoren das »schwarze Herz« Amerikas RNA. Werden jedoch doppelsträngige, der Blaupause sequenz- nennen. Während in Harlem, der einstigen Hochburg kulturellen Le- gleiche RNA-Stücke in die Zelle eingeschleust, lässt sich der weitere bens der Afroamerikaner im Norden Manhattans, die Bourgeoisie Ablauf unterbinden. Denn dort werden die eingeführten Abschnitte von der Wall Street und aus anderen lukrativen Branchen reihen- erst einmal in relativ kurze Schnipsel zerhackt, die bei Fliegen und weise Häuser aufkauft und luxussaniert, sieht man hier nach wie auch Säugetieren, wie Tuschl herausfand, exakt 21 Bausteine lang vor nur selten ein weißes Gesicht auf der Straße. An Straßenecken sind. Anschließend werden sie in Einzelstränge aufgetrennt – und wird mit Drogen gehandelt. Polizeisirenen heulen vorbei. dann teils gleich abgebaut, teils wie bei der Vogeljagd als Leimrute Hier lebt seit dem Frühsommer letzten Jahres der deutsche Mo- verwendet. Denn der Leimrute lagert sich die passende Boten-RNA lekularbiologe Thomas Tuschl, 42, Professor an der renommierten an. Damit wird sie als zu zerstörendes Objekt gekennzeichnet und in Manhattan, die ihren Fakultätsmitglie- ebenfalls abgebaut. dern großzügig erschwingliche Wohnungen mit Blick über den East Die Folge des Abbauprozesses: Die Bauanleitung gelangt nie bis River anbietet. »Wir wollten mehr Platz für unsere Familie«, er- zu den Proteinfabriken der Zelle. Damit ist das Gen so gut wie aus- klärt der Deutsche an einem kalten Januarabend den Umzug. Und geschaltet. Die Erklärung der RNA-Interferenz (RNAi) war ein Durch- ganz Wissenschaftler fügt er hinzu: »Es ist sicher ein Experiment. bruch (siehe Grafik S. 50). Nachts gehen wir zwar nicht spazieren – aber das Viertel ist besser Evolutionärer Hintergrund hinter dem Mechanismus ist der als sein Ruf.« Schutz gegen bestimmte virale Eindringlinge. Über ihn steuert die Zelle aber auch ihre eigene Gentätigkeit. Sie produziert so genann- Im Jahr 2003 folgte Tuschl einem Angebot nach New York, als er te doppelsträngige Mikro-, die dann letztlich verhindern, dass nach vier Jahren als Gruppenleiter am Göttinger Max-Planck-Insti- die Genabschrift genutzt werden kann. Rund 350 dieser kurzen tut für biophysikalische Chemie in Deutschland keine angemessene RNA-Sequenzen sind bislang bekannt. Diesem natürlichen Steuer- Stellung fand. Verwunderlich, war doch Tuschl damals schon für mechanismus gilt jetzt vor allem Tuschls Aufmerksamkeit, da, wie eine bahnbrechende Entdeckung bekannt: Er entwickelte ein Ver- er vermutet, Störungen bei dem Prozess zu Krankheiten beitragen fahren, wie sich Gene gezielt ausschalten lassen – nicht zuletzt im können. »Die RNAi war nur ein Intermezzo«, sagt Tuschl im Ge- Menschen. Nur ein Jahr später erhielten die US-Wissenschaftler An- spräch, während der Kuckuck zwölfmal Mitternacht schlägt.

46 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008 medizinM &ed ibzini olog& biologiiee abian B irgfeld ZUR PERSON

issenschaft / F Nach seinem Chemiestudi- um in Regensburg und der Promotion 1995 am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen arbeitete Thomas Tuschl, Jahrgang des A rtikels : S pektrum der W alle F otos 1966, am Whitehead- Institut für biomedizini- Spektrum: Herr Professor Tuschl, im letzten bar hält – und wie er die Lösung möglichst sche Forschung des Sommer wurde der deutsche Standort der schnell finden kann. Dass er eine Entdeckung Massachusetts Institute of amerikanischen Biotechfirma Alnylam, die Sie patentiert, die sich womöglich kommerziell Technology (MIT) in Cam- 1999 mitgegründet haben, für 200 Millionen nutzen lässt, ist heute nur selbstverständlich. bridge, USA. Dollar an das Pharmaunternehmen Roche Spektrum: Ihre Forschung konzentriert sich Nach seiner Rückkehr verkauft; die Zusammenarbeit könnte eine auf die Rolle der RNA in der Humanzelle. 1999 ans Max-Planck-In- Milliarde Dollar wert sein. Freut Sie das? Haben Sie zu Beginn Ihres Studiums rasch die stitut für biophysikalische Thomas Tuschl: Natürlich freut es einen, RNA als Forschungsobjekt ausgemacht? Chemie gelang es ihm dort wenn eine biotechnische Entwicklung, die Tuschl: Nein, im Gegenteil, die RNA hat viel- mit seiner Arbeitsgruppe, man mit angestoßen hat, medizinisches Po- mehr mich gefunden – ich habe nur ein gutes die so genannte RNA-In- tenzial zeigt. Die Hoffnung, Gene im Men- Labor ausfindig gemacht, das für einen jungen terferenz aufzuklären. Da- schen an- und ausschalten zu können, um Studenten sehr attraktiv war. Ich kam 1989 mit ist es möglich, einem Krankheiten heilen zu können, hat aber noch von der Universität Regensburg als Teaching einzelnen Gen quasi einen keine breite Anwendung gefunden. Das muss Assistant für organische Chemie an die Uni- Maulkorb zu verpassen, sich in klinischen Tests erst noch erweisen. versity of Colorado in Boulder. Dort hatte indem man kurze RNA- Auch bin ich bei Alnylam nur noch Berater. Thomas Cech, der die selbstspleißende RNA Stränge in die Zelle ein- Ich kümmere mich vornehmlich um meine (siehe Lexikon S. 48) entdeckte, gerade den schleust, um seine Boten- eigene Forschung. Ich bin schließlich Natur- Chemie-Nobelpreis zugesprochen bekommen. RNA abzufangen und wissenschaftler, kein Unternehmer. Und da dachte ich mir, es wäre prima, in letztlich zu zerstören. Auf Spektrum: Aber Sie ziehen doch finanziellen seinem Labor zu arbeiten – obwohl ich da- diese Weise lassen sich Nutzen daraus, die Alnylam-Aktie stieg nach mals nur wenig über RNA wusste. Schließlich die Funktionen von Genen Bekanntgabe des Deals um die Hälfte. war ich Chemiker. Dort arbeitete auch der besser untersuchen, aber Tuschl: Sehen Sie, hätte ich je gezielt viel heute an der University of Chicago forschende auch bestimmte Tumoren Geld verdienen wollen, dann hätte ich Öko- Joseph Piccirilli als Postdoc in Cechs Labor – und andere Erkrankungen nomie studiert oder wäre Patentanwalt gewor- und der meinte, ich könne für ihn chemisch könnten künftig damit den, was ich mir nach meiner Promotion modifizierte Bausteine für die RNA syntheti- therapierbar werden. 1995 tatsächlich kurz überlegt habe. Daran sieren. Die sollten Erkenntnisse zum Mecha- Seit 2003 ist Tuschl liegt mir aber nicht viel. Es ist doch so: Ein nismus des Selbstspleißens der RNA liefern. Professor und Laborleiter Forscher sieht sich einem ungeklärten Phäno- So bin ich überhaupt erst auf RNA gestoßen. an der Rockefeller Univer- men gegenüber, dessen Geheimnis er lüften Spektrum: Und da haben Sie gleich Feuer ge- sity in New York. will. Dann überlegt er sich, ob er es für mach- fangen?

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008 47 Tuschl: Es war ein spannendes, junges Ge- Spektrum: Haben Sie damals nicht schon lexikon biet, das versprach, ein wenig Licht in die weitergedacht? komplexen Zellmechanismen zu werfen. Ich Tuschl: Nein, ich denke eigentlich nie weiter. q Die DNA (chemisch: habe mir dann überlegt, wo ich in Deutsch- Spektrum: Das ist ein Scherz. Desoxyribonukleinsäure) land über RNA arbeiten könnte. Ich unter- Tuschl: Nein, so läuft die Forschung ab. Der ist ein in allen Lebewe- hielt mich mit Leuten in Cechs Labor und Kern eines Labors sind die Experimente. Die sen und DNA-Viren anderen Kollegen, und es war schnell klar, Ideen erhalten wir nicht auf Grund der Fach- vorkommendes Biomole- dass in Deutschland zwar nur wenig an RNA literatur, sondern auf Grund dessen, was im kül und Trägerin der geforscht wurde, es aber eine sehr gute Ar- Labor passiert. Die Veröffentlichungen in der Erbinformation. Sie beitsgruppe um Fritz Eckstein am Max- Molekularbiologie, Zellbiologie und Bioche- enthält unter anderem Planck-Institut für experimentelle Medizin in mie sind inzwischen so komplex, dass man die Gene, die für RNA (Ri- Göttingen gab. Ihm habe ich dann einen Brief eigentlich nur die Hälfte von dem glauben bonukleinsäuren) und geschickt mit dem Briefkopf des Howard sollte, was man publiziert sieht. Bei den eige- Proteine kodieren, Hughes Medical Institutes – dem Cech bis nen Experimenten gibt es hingegen kaum welche für die biolo- heute angehört ... Zweifel – und daraus entstehen neue Ideen, gische Entwicklung eines Spektrum: ... Sie ja auch ... die im Diskussionsteil einer Veröffentlichung Organismus und den Tuschl: Ja, aber das kam erst viel später. Ich ja auch angerissen werden. Stoffwechsel in der Zelle schickte also Eckstein einen Brief, und er lud Spektrum: Die Richtungsentscheidung findet notwendig sind. Vom mich sofort zu einem Gespräch ein. Bei Eck- also im Labor statt? Aufbau her ist die RNA stein habe ich dann zügig meine Diplomar- Tuschl: Ja, es ist das Biotop, in dem die For- der DNA ähnlich, beide beit geschrieben. Allerdings bin ich zuerst ein- schung sprießt. Allerdings haben Labors auch bestehen aus verketteten mal durch eine Prüfung in Regensburg geras- ihre Tiefpunkte. Das einzig Stabile in so ei- Grundbausteinen, den selt, was meinen Start bei Eckstein um drei nem Labor ist der Arbeitsgruppenleiter. Und Nukleotiden. RNA-Mole- Monate verzögerte. Die formale Betreuung bevor man sich auf ein Labor einlässt, fragt küle sind – im Gegensatz der anschließenden Arbeit erfolgte noch über man sich, wer ist der Leiter, welche Papers zur doppelsträngigen Regensburg – Max-Plack-Institute dürfen ja veröffentlichen die, welche Laufbahnen schla- DNA – in der Regel ein- selbst keine akademischen Prüfungen abneh- gen die Mitarbeiter später ein. Ecksteins La- zelsträngig. men und Grade verleihen. Das Labor war sehr bor war sehr gut. Ich habe in den vier Jahren aggressiv für deutsche Verhältnisse, was mir dort zehn Papers publiziert oder war an diesen q Als Boten-RNA, fachlich nach meinen Erfahrungen in Boulder sehr gut beteiligt, unter anderem eines in »Science«. auch Messenger-RNA, gefiel. Da hat mir meine Frau dann ein T-Shirt ge- wird die »Abschrift« Spektrum: Aggressiv – was heißt das? schenkt, auf dem stand: »I published in Sci- eines Proteingens Tuschl: Die Mitarbeiter forderten sich gegen- ence.« (lacht) bezeichnet. Sie dient seitig heraus, man beobachtete die Konkur- Spektrum: Schloss Ihre Doktorarbeit nahtlos dann der »Übersetzung« renz genau. Es wurde viel geschrieben und an die Diplomarbeit an? der genetischen Bauan- viel publiziert. Für eine Publikation wurden Tuschl: Ja, da ging es um so genannte Ham- weisung in das entspre- nur die notwendigsten Experimente durchge- merhead-Ribozyme. Das war eine geradlinige chende Protein. führt. Lag ein spannendes Ergebnis vor, über- Fortführung der Diplomarbeit, in der ich legte man sich, welche zwei, drei Experimente mich bereits mit diesen katalytischen RNAs q Bei Mikro-RNAs (fachlich braucht es noch, um das abzusichern. und deren Mechanismus der RNA-Spaltung kurz: miRNAs) handelt es Spektrum: Wie kamen Sie zu Ihrem Thema? auseinandergesetzt habe. Diese Ribozyme, die sich um einzelsträngige Tuschl: Ich habe mich in dem Labor erst ein- in der Zelle chemische Prozesse katalysieren, RNA-Moleküle von etwa mal umgesehen: Was sind die interessantesten bestehen aus einer Kette von nur 35 Nukleo- 21 Nukleotiden Länge. Fragestellungen, und wo kann ich meine Er- tiden, lassen sich also synthetisch-chemisch Sie spielen bei der Steu- fahrung einbringen? Chemisch-synthetisch ar- leicht herstellen. In der Promotionsarbeit un- erung einer Vielzahl von beiten hat mir immer Spaß gemacht, da gab tersuchte ich vor allem Struktur- und Funkti- zellulären Prozessen eine es am Ende immer ein Häufchen, das sich onsfragen des hammerkopfförmig gefalteten entscheidende Rolle: Bei charakterisieren lässt. In der Biochemie ist es Moleküls. Pflanzen regulieren sie dagegen viel schwieriger, Endpunkte zu defi- Spektrum: Ging es damals schon um medizi- Wachstum und Blütenbil- nieren. In Göttingen habe ich mich deshalb nische Anwendungen? dung, in der Taufliege zunächst auf ein chemisch-synthetisches Pro- Tuschl: Sicher, wenn auch nicht in meiner den programmierten Zell- jekt konzentriert. Arbeit. Tom Cech hatte eine Firma gegrün- tod, in menschlichen Ich habe untersucht, wie sich die Eigen- det, Ribozyme Pharmaceuticals. Die Idee war, Zellen die Differenzie- schaften katalytischer RNAs – bekannt auch dass Ribozyme zu Medikamenten gegen Krebs rung von potenziell als Ribozyme – verändern, wenn man che- und Viruserkrankungen führen sollten. In unsterblichen Stammzel- misch modifizierte Moleküle anstatt der na- Ecksteins Labor gab es einen Postdoc, der len zu spezialisierten türlichen Bausteine einfügt. Damals musste hoffte, auf diesem Wege gegen HI-Viren vor- Geweben. >>> man diese synthetischen Bausteine noch selbst gehen zu können. Und es sah damals so aus, im Labor fabrizieren – heute kann man sie im als müsste man all das nur noch ein wenig Katalog ordern. perfektionieren, dann läuft das. Ich war als

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Chemiker allerdings schon froh, die Ham- nen Primärabschrift die nicht kodierenden Ab- >>>� merhead-Ribozyme synthetisieren und be- schnitte heraustrennen und die restlichen Ab- q Spleißen heißt ein schreiben zu können. schnitte wieder verknüpfen. Die Idee war hier, wichtiger Schritt bei der Damals erschien auch das erste »Science«- bei den im Spleißosom enthaltenden RNAs Bearbeitung der pri- Paper in einer Kooperation mit dem Göttinger katalytische Eigenschaften nachzuweisen. mären RNA-Abschrift Max-Planck-Institut für biophysikalische Che- Ganz so erfolgreich, wie ich mir erhofft vieler Gene im Zellkern, mie, in dem die räumliche Struktur dieser Ri- hatte, war das Projekt dann leider doch nicht. die eine Art Informa­ bozyme errechnet wurde. Eine Röntgenstruk- Aber ich habe, gemeinsam mit David Bartel, tionsmosaik enthalten. turanalyse eines kristallisierten Hammerhead- neue Ribozyme entdeckt. Die für diese Ar- Dabei entsteht aus der Ribozyms einer Forschungsgruppe in Stanford, beiten angewendeten Methoden habe ich ver- recht langen Primärab- Kalifornien, die fast gleichzeitig erschien, bes- wertet, um einen Forschungsantrag für eine schrift durch Heraus- tätigte unsere Ergebnisse dann auch. Im Detail mögliche Rückkehr nach Deutschland zu stel- schneiden und Zusam- allerdings war dann unsere Arbeit doch nicht len. Darin beschrieb ich die Idee eines modifi- menfügen (Spleißen) so perfekt. Das aber wiederum hat uns ange- zierten Genschalters. relevanter Abschnitte spornt, es noch besser zu machen. Spektrum: Ähnlich wie bei RNAi? erst die reife Boten-RNA. Spektrum: Wie kamen Sie dann nach Bos- Tuschl: Das Ziel war zumindest das gleiche – Auf diesem Weg kann die ton, ans Massachusetts Institute of Technolo- Gene zu regulieren. Damals war ja ein drän- Zelle auch mehr als eine gy, das MIT? gendes Problem der Gentherapie, dass die Proteinsorte nach dem- Tuschl: Als klar war, dass ich meine Doktor- transferierten Gene, einmal eingeschleust, selben Gen erzeugen. arbeit zusammenschreiben kann, ging es da- nicht mehr abgestellt werden können. Und rum, was tun? Ich hatte ein Angebot, als Pa- über ein Spleißosom hätte man das mit eini- q Ribozyme von Ribonukle- tentanwalt nach München zu gehen. Da hat gen Tricks erreichen können. Zumindest sah insäure (RNA) und Enzym sich meine Frau quergelegt und gemeint, ich es in der Theorie so aus. Nachdem die Finan- sind katalytisch aktive könne doch keine zehn Minuten still sitzen. zierung für dieses Projekt genehmigt war und RNA-Moleküle, die wie Heute, wo ich regelmäßig Patentpost be- die Spleißosom-Arbeiten zur Publikation ein- Enzyme chemische Reak- komme, bin ich heilfroh, das nicht gemacht gereicht waren, hatte ich unerwartet noch drei tionen katalysieren. zu haben. Patentanwälte sind zwar extrem Monate Zeit vor dem Umzug nach Deutsch- gute Wissenschaftler, sie arbeiten aber anders. land. Und so kam ich überhaupt erst zu dem q Transgene Organismen Also ging es darum, wo ich als Postdoc ar- RNAi-Problem. sind gentechnisch ver- beiten sollte. Immerhin war klar, dass ich in Spektrum: Sie interessierten sich nicht dafür? änderte Lebewesen, die USA gehen müsste, denn dort war die Tuschl: So kann man das nicht sagen; ich hat- denen man zusätzliche RNA, im Gegensatz zu Deutschland, bereits te ja mein Projekt. Seitdem und Gene aus anderen Arten ein etabliertes Forschungsfeld. Craig Mello aber entdeckt hatten, dass sich eingebaut hat. Spektrum: Hat Deutschland damals den Zug Gene im Fadenwurm mit doppelsträngiger verpasst? RNA ausschalten lassen, fragte Phillip Sharp Tuschl: Das lässt sich so einfach nicht sagen. fast wöchentlich in die Laborrunde, welcher Es hängt auch mit der Geschichte zusammen. Wirkungsmechanismus wohl dahintersteckt. Seit Watson und Crick 1953 die Struktur der Ich hatte den Eindruck, dass Sharp und Fire, DNA klärten, war die Molekularbiologie in der übrigens bei Sharp promoviert hatte, wö- den Staaten ein fruchtbares Forschungsfeld. chentlich miteinander telefonierten. Aber nie- Dort gab es Mitte der 1990er Jahre auch be- reits eine »RNA Society« mit 100 Mitglie- dern, der alle wichtigen Forscher in diesem Gebiet angehörten. Heute ist das eine große Gesellschaft – und ich habe inzwischen meine eigenen Meetings allein zu RNAi und regu­ latorischen Mechanismen in der Zelle. In Deutschland stand damals dagegen noch klas- sische Mikrobiologie und Chemie im Vorder- grund. Spektrum: Und wie kamen Sie dann zu Phil- lip Sharp am MIT? Übrigens ja auch ein No- belpreisträger. Tuschl: Ja, aber das allein reicht nicht. Ich habe wiederum mit Kollegen gesprochen, mich über seine Arbeitsweise erkundigt, und dann war klar, dass mir dieses Labor liegen würde. Dort habe ich drei Jahre lang an so genannten Spleißosomen gearbeitet, die nach dem Kopie- ren der Geninformation aus der entstande-

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008 49 mand im Labor wollte sich so richtig an dieses ligt. Ich habe selbst noch nie einen Geschäfts- Genzensur durch Problem heranwagen – und ich war selbst plan geschrieben, auch Phillip Sharp übrigens RNA-Interferenz skeptisch, was die Bedeutung dieser For- nicht. Dafür kennt man aber Leute, die das schung anging. Als ich mich schließlich für wirklich können. Wenn heute ein Doktorand Doppelsträngige RNA in einer die neue Thematik interessierte, fragte ich ihn, in meinem Labor eine kommerziell verwert- Zelle gilt häufig als Hinweis auf wie ich es anpacken solle. Und dann meinte bare Entdeckung macht, wüsste ich heute einen Eindringling (sie wird er in fast typischer MIT-Manier: »Na, warum auch, wen ich anrufen müsste. auch natürlich erzeugt). gehst du nicht einmal durch die Labore hier Spektrum: Sie waren am Aufbau der Firma und redest mit den Leuten.« Das habe ich also gar nicht direkt beteiligt? dann gemacht. Tuschl: Ich konnte ja gar nicht. Seit Herbst Spektrum: Klingt ja kinderleicht. 1999 war ich ja bereits in Göttingen. Ich habe Tuschl: Ideen auszutauschen ist nie das Prob- meine anfängliche Beraterfunktion weit ge- Ein Protein namens Dicer lem, aber diese müssen sich schließlich erst im hend aus der Ferne wahrgenommen. (Häcksler) greift sie auf und Experiment bewähren – das ist unser Hand- Spektrum: In Göttingen haben Sie sich dann zerhackt sie in 21 »Sprossen« werk. Die erste Frage war, welchen Organis- den Humanzellen gewidmet. lange Fragmente. mus wir wählen sollten. Und da meinte Phil- Tuschl: Ja, am Max-Planck-Institut, wo ich

Dicer lip Zamore, der ebenfalls Postdoc in einem an- eine junge Forschungsgruppe leitete, haben deren Labor war, dass er ohnehin schon an wir uns daran gemacht, den Prozess des Ab- Translationsmechanismen in der Taufliege ar- schaltens von Genen auch in menschlichen Dicer beitet, also dem Schritt von der RNA zum Zellen nachzuweisen. Mit der Hilfe von Klaus Protein – und ich könne doch diese Fliegen- Weber, damals einem der Direktoren des In- zellextrakte verwenden. Das Schwierigste war stituts, der seit Jahren diverse humane Zellen Enzymkomplexe namens RISC dann, den Doppelstrang zu synthetisieren. erforscht hatte, ließ sich leicht testen, ob wir binden diese Fragmente und Das erste richtige Experiment im Reagenz- im Menschen Gene mittels RNAi an- und spalten jeweils einen Strang ab. glas hat aber auf Anhieb geklappt. Dann ha- ausschalten können – und das klappte dann. ben wir noch ein paar zusätzliche Experimen- Spektrum: Das war die Sensation ... RISC te gemacht – Länge des Doppelstrangs, Kon- Tuschl: Ja, schon das MIT-Paper war ja aufre- zentrationsabhängigkeit –, und schon war das gend. Aber der Schritt zum Menschen war erste Paper fertig. Wir konnten so den Mecha- ­natürlich ein weiterer Meilenstein. Er erlaubt RISC nismus des Schalters beschreiben – dass die uns, die Funktion von Humangenen zu erfor- Doppelstrang-RNA sequenzspezifisch ist, eine schen und möglicherweise neue Medikamente bestimmte Länge voraussetzt, einsträngige für Krankheiten zu entwickeln. Denn prin­ Der andere Strang dient als RNA wirkungslos bleibt und die komplemen- zipiell lässt sich so die Produktion jeglichen Leimrute, um durch Basenpaa- täre Boten-RNA stark abgebaut wird. Proteins stilllegen. Das kann für Krebs hilf- rung Boten-RNA-Moleküle mit Ich habe mich danach, das war bereits in reich sein, aber auch für genetisch bedingte komplementären Abschnitten Göttingen, auf den RNA-Doppelstrang kon- Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwech- anzulagern. zentriert, und da konnten wir zeigen, dass die selkrankheiten. Aber es ist nicht garantiert, Doppelstränge in Stücke von 21-Nukleotid- dass es funktionieren wird – ein großes Pro- Länge gespalten werden. Phillip Sharp hat blem ist, wie man diese Schalter in die betrof- RISC dann zusätzlich darauf gedrängt, die Entde- fenen Gewebe einbringen kann. RISC ckung gleich als Patent anzumelden – er hatte Spektrum: Ein erstes Medikament befindet dafür schon einen Blick. Schließlich hat er sich doch bereits in klinischen Tests – gegen RISC Biogen mitgegründet, eines der wenigen wirk- die Makula-Degeration, eine Augenkrankheit RISC lich erfolgreichen Biotech-Unternehmen der im fortgeschrittenen Alter, die zur Erblindung letzten Jahrzehnte. führen kann. Spektrum: Und mit dem Patent kam das Un- Tuschl: Ja, denn der Wirkstoff kann in die- ternehmen Alnylam? sem Fall direkt ins Auge gespritzt werden, au- Tuschl: Das ging ebenfalls sehr schnell. Sharp ßerdem wird er von den erkrankten Zellen Die gebundene Boten-RNA wird hat einfach bei dem Kapitalinvestor Polaris auch noch bereitwillig aufgenommen. Das zerschnitten, freigesetzt und den Mediziner Christoph Westphal angeru- große Hindernis bei den meisten RNAi-The- von Enzymen im Zellplasma auf- fen. Es folgte ein Abendessen, Westphal ent- rapien ist aber, das Medikament in das betrof- gelöst. warf den Geschäftsplan, und innerhalb von fene Gewebe – und dann dort in die Zellen zwei, drei Wochen waren bereits mehrere Mil- zu transportieren. Wie wollen Sie sicherstel- lionen auf dem Konto. Und dann ging es len, dass der Wirkstoff zu dem Krankheits- schon in die zweite Finanzierungsrunde. herd gelangt? Derzeit werden mehrere Mög- Spektrum: Wie vereinbarte sich das mit Ihrer lichkeiten erforscht – etwa mit Nanopartikeln Forschung? oder Virenhüllen. Bei Alnylam hat ein Medi- Tuschl: Im Grunde überhaupt nicht. Ich habe kament bereits die erste klinische Testphase / A nnika Rö hl or P hysiology ommitee for M edicine ja nur das Patent zur Verfügung gestellt, am bestanden – ein RNAi-Wirkstoff, der vor

N obel C Aufbau der Firma war ich selbst kaum betei­ allem gegen das Respiratorische Syncytialvirus

50 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008 Medizin & biologie hilft, Auslöser einer Atemwegserkrankung, an Rummel um Antisense war um 2000 sehr der vor allem Säuglinge erkranken. Sein Vor- groß, als wir plötzlich über die Karte des Hu- teil: Es lässt sich inhalieren und so der Lunge mangenoms verfügten, aber nicht wussten, wie direkt zuführen. man Gene ausschalten sollte. Damals erschien Spektrum: Und wie sieht es mit längerfris­ Antisense als die einzige Option. Aber es gab tigen Problemen aus? eben auch noch viele Probleme, von denen Tuschl: Auch da kann RNAi zumindest theo- heute aber etliche gelöst sind. Forscher, die da- retisch helfen. Ein bekanntes Beispiel sind ran arbeiten, haben längst automatisierte Test- hohe Cholesterinwerte, die mit einem höhe- verfahren für ihre Wirkstoffe eingeführt und ren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen pharmakologische Eigenschaften verändert. einhergehen. Studien haben festgestellt, dass Inzwischen hat Antisense auch mehrere viele Personen, die ungewöhnlich niedrige Wirkstoffe in klinischen Tests. Also, sofern es Cholesterinspiegel hatten, eine Mutation in überhaupt einen Wettstreit zwischen RNAi einem Gen hatten, die es ausschaltete. Lange und Antisense gibt – sie könnten sich ja auch Zeit hat die Pharmaindustrie versucht, dieses für verschiedene medizinische Anwendungen Gen zu nutzen, um ein Cholesterin-Medika- als hilfreich erweisen –, so ist der noch nicht ment zu entwickeln, aber nichts hat geholfen. entschieden. Antisense hat dabei sogar einige RNAi könnte da jetzt eine Therapiealternative Vorteile: Zur RNAi braucht man ja eine dop- aufweisen. pelsträngige Molekülstruktur, die 42 negative Spektrum: Fire und Mello haben 2006 für Ladungen hat. Ein Antisense-Molekül hat nur ihre Entdeckungen zur RNAi den Nobelpreis 15 bis 20 davon. Das erleichtert natürlich sei- bekommen, Sie gingen leer aus. Hat Sie das ne Aufnahme im Körper. enttäuscht? Spektrum: Das klingt nicht gerade wie Wer- Tuschl: Die Frage konnten Sie sich wohl bung für Alnylam ... nicht verkneifen. Sie wird mir fast jedes Mal Tuschl: So ist eben die Sachlage. Und das gestellt. Aber dass ich ein heißer Anwärter auf heißt ja keineswegs, dass Alnylam kein großes den Nobelpreis sein sollte, das hat die Presse Potenzial hätte. aufgebracht – niemand in Schweden, und ich Spektrum: Die klinischen Anwendungen für schon gar nicht. Es hat mich vielmehr gefreut, RNAi sind für die Grundlagenforschung auch »vielleicht gibt dass einem Gebiet, auf dem man selbst arbei- nicht unmittelbar wichtig. Jetzt kümmern Sie tet, eine solch hohe Auszeichnung zuteilwird. sich offenbar mehr um die Frage, wie die Zel- es für mein Und es ist natürlich möglich, dass dem Gebiet le selbst kurze RNA-Stränge einsetzt, um ihre gebiet künftig in Zukunft noch weitere Nobelpreise zuge- Mechanismen zu regeln. sprochen werden, denn seine Möglichkeiten Tuschl: RNAi war für mich immer nur ein noch weitere sind noch lange nicht ausgeschöpft. Für mich Intermezzo auf dem Weg zu den regulato- nobelpreise« persönlich ist das bisher Geleistete ohnehin rischen Mechanismen der Zelle. Inzwischen nur eine Zwischenstation – man forscht wei- beschäftigt sich die Hälfte meiner Labormit- ter und sieht zu, im sportlichen Wettbewerb arbeiter damit. Dabei geht es um zelleigene der besten Labore zu bestehen. Mikro-RNA, die auf die Boten-RNA einwirkt Spektrum: Keine gekränkte Eitelkeit? und die Produktion eines Proteins drosselt Tuschl: Nein, nicht dass ich wüsste. Sie müs- oder sogar ganz abstellt. Bislang sind sicher sen den Forschungsprozess richtig verstehen. um 350 solcher Mikro-RNAs bekannt, am Es braucht ja nicht nur einen schlauen Kopf, Ende werden es wohl so zwischen 500 und sondern man muss auch zur richtigen Zeit am 1000 sein. Es könnte sein, dass diese RNA- richtigen Ort sein – und vor allem inspirie- Stränge ein wichtiger Faktor bei der Entste- rende Köpfe um sich haben. Zu glauben, nur hung diverser Krankheiten sind. Wir sind des- man selbst hätte etwas entdecken können, ist halb derzeit vor allem auf der Ausschau nach völlig abwegig. Aber es bereitet natürlich Krankheitsassoziationen. Fernziel ist, im gan- Freude, das Glück zu haben, eine wichtige zen Genom und für alle gesunden und kran- Entdeckung vor allen anderen zu machen. ken Gewebe diese Mikro-RNAs zu kartieren Spektrum: Zurück zum Genschalter. Vor und ihre Funktion zu bestimmen. RNAi gab es bereits einmal eine Methode, Spektrum: Das klingt wie die Suche nach der Gene auszuschalten, die ebenfalls als großer Nadel im Heuhaufen. Hoffnungsträger galt: die so genannte Anti- Tuschl: Sicher, aber wenn viele Molekularbio- sense-Methode – komplementär aufgebaute logen weltweit suchen, werden die schon et- RNA-Stränge, die sich an den Botenmole- was finden. Wir haben derzeit von den Natio- külen festsetzen, so dass keine Information nal Institutes of Health (NIH) Gendaten und mehr abgelesen werden kann. Gehört die jetzt DNA-Proben von 10 000 Personen bekom- zum alten Eisen? men, bei denen Erkrankungen wie Schizo- Tuschl: Wie kommen Sie darauf? Sicher, der phrenie, Parkinson, Autismus oder bipolare

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008 51 Störung diagnostiziert wurden. In diesen die Rockefeller University ermöglicht, den- DNA-Proben suchen wir jetzt nach Sequenz- noch vorsichtig umgehen. Wenn ich jede Wo- änderungen im Bereich der Mik­ro-RNA. che bei meinen Doktoranden und Postdocs Wenn man dann auf diesem Weg auf eine Fa- mit einer neuen Idee antanze, würde der La- milie stößt, die eine hohe Rate einer be- borbetrieb überhaupt nicht funktionieren. stimmten Erkrankung aufweist und gleichzei- Ein Experiment braucht sechs Monate bis tig über eine bestimmte Mutation verfügt, zwei Jahre, ehe man ein aussagekräftiges Er- wäre das ein viel versprechendes Ergebnis. gebnis vorliegen hat. Außerdem muss man Und die modernen Sequenziermaschinen hel- sich sehr genau überlegen, welche Projekte fen uns dabei. Wir können parallel bis zu 100 man angreift. Denn es muss den jungen Wis- Millionen Sequenzsegmente bestimmen. senschaftlern schließlich auch Karriereper- Spektrum: Die Rolle der Mikro-RNAs bei spektiven eröffnen. Zu belegen, dass ein Ex- »Mich würde Krankheiten wird damit aber nicht gelöst. periment in eine Sackgasse führt, mag zwar auch reizen, zu Das ist doch nur eine Sequenzanalyse. verdienstvoll sein, aber es bringt die For- Tuschl: Ja, die Untersuchung der Funktion ist schung nur bedingt weiter. unterrichten« schwierig. Man kann in einer Maus natürlich Spektrum: Sie überlegen sich derzeit, an eine eine Mikro-RNA lahmlegen. Aber manche deutsche Universität zurückzukehren – ist das Mikro-RNAs funktionieren zusammen mit nicht der Auszug aus dem Paradies? anderen Mikro-RNAs. Dann muss man beide Tuschl: Nicht, wenn es so klappt, wie ich mir herausnehmen. Viele haben aber auch mehr das vorstelle. Ein Labor in Deutschland als eine DNA-Vorlage im Genom, bei man- müsste finanziell auf jeden Fall vergleichbar chen sitzt diese in nicht kodierenden Ab- ausgestattet sein. Und da liegt die Messlatte schnitten anderer Gene – kurzum, das ist hoch. An der Rockefeller University, zugege- schwieriger, als erst einmal nur Mutationen in ben eine der reichsten Universitäten der Welt, Mikro-RNAs mit Krankheiten zu assoziieren. bekommen Forscher, je mehr Drittmittel sie Spektrum: Wie steht’s mit medizinischen An- einwerben, desto mehr Geld aus dem milliar- wendungen? denschweren Stiftungsvermögen. So wird der Tuschl: Was hier Gestalt annimmt, ist die Erfolg eines Labors gezielt gefördert. Das muss personalisierte Genomik. Wir können künftig nicht eins zu eins in Deutschland verwirklicht Menschen generell sagen, über welche gene- werden, aber das Niveau molekularbiologi- tischen Risikofaktoren sie verfügen. Und ich scher Forschung, das durch neue Methoden denke eben, dass regulatorische Interaktion getrieben wird, hängt eben leider auch vom durchaus einen Einfluss auf die Entstehung Geld ab. Aber deutsche Universitäten können und Entwicklung von Krankheiten hat. Es ja längst über ihren eigenen Etat verfügen und stellt sich sogar die Frage, ob man nicht einen kreative Lösungen entwickeln, um Spitzenfor- Großteil von genetischen Krankheiten über schung zu beherbergen. Regulationsvorgänge jenseits der Transkrip­ Spektrum: Was zieht Sie konkret zurück? tion in Boten-RNA erklären und womöglich Tuschl: Meine Frau kommt ebenfalls aus sogar steuern kann. Angenommen, wir finden Deutschland. Wir haben drei Kinder. Und da in einer Person zehn Mikro-RNAs, die klar überlegt man sich schon, wo man seine Kin- mit Depression assoziiert sind. Dann kann der aufziehen will. Aber das ist nicht der ein- man überlegen, ob man so jemanden zur Vor- zige Grund, eine solche Rückkehr in Erwä- sorgeuntersuchung schickt. Dabei muss man, gung zu ziehen. Mich würde auch reizen, zu Hubertus Breuer, der auch die um die Ausprägung eines Gens zu verändern, unterrichten. Fragen stellte, lebt als Wissen- womöglich nicht immer gleich zu drastischen Spektrum: Manch deutscher Uniprofessor schafts­autor in Brooklyn. Mitteln greifen. Um – hypothetisch gespro- würde auf Lehrverpflichtungen liebend gerne chen – eine schwache, aber dennoch wirk- verzichten. same Änderung der Genexpression gegen De- Tuschl: Ich könnte und würde das natürlich Trageser, G.: Maulkorb für Gene. pression herbeizuführen, reicht es vielleicht, nicht allein stemmen. Wichtig wäre, einen In: Spektrum der Wissenschaft regelmäßig Sport zu treiben, wenn das den funktionierenden akademischen Mittelbau zu 12/2006 S. 14. Dopaminspiegel stabilisiert, der ein wichtiges haben, der einen bei der Arbeit unterstützt – Bartl, D. P., Lau, N. C.: Zensur in Angriffsziel bei Depression darstellt. der Prüfungen abnimmt, Übungen und Ein- der Zelle. In: Spektrum der Spektrum: Gibt Ihnen Ihr großzügig ausge- führungskurse sowie den Laborbetrieb am Wissenschaft 10/2003, S. 52. stattetes Labor die Möglichkeit, viele solcher Laufen hält. Aber gerade diese Stellen, die in Das neue Genom. Sonderheft Spuren zu verfolgen? meinen Augen das hohe Niveau der deut- Spektrum-Dossier 01/2006. Tuschl: Nein. Denn zum einen betreiben wir schen Lehre lange mittrugen, sind im letzten Grundlagenforschung, therapeutische Anwen- Jahrzehnt immer mehr gekürzt worden. Weblinks zu diesem Thema dungen fallen nicht in unser Aufgabengebiet. Wenn sich eine zufrieden stellende Lösung finden Sie unter www.spektrum.de/ Zum anderen muss man mit den Freiheiten, finden ließe, wäre der Wechsel an eine deut- artikel/962047. die einem eine wohlhabende Institution wie sche Universität eine tolle Herausforderung.

52 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · september 2008