PORTRÄT: THOMAS TUSCHL Der Mann, der die Gene zum Schweigen brachte Der deutsche Chemiker Thomas Tuschl entdeckte, wie sich Gene im Menschen unterdrücken lassen. Doch das war für ihn nicht mehr als eine Zwischenstation, um zu erforschen, wie menschliche Zellen ihre Gene regulieren. Von Hubertus Breuer drew Fire und Craig Mello für die ursprüngliche Entdeckung des Phänomens im Fadenwurm den Nobelpreis für Medizin. lle halbe Stunde springt der Kuckuck aus seinem Holzver- Die Methode, Gene zum Schweigen zu bringen, wirkt – wie viele schlag. Das Souvenir, ein Andenken aus der deutschen geniale Entdeckungen, welche die Welt verändern sollten – im Heimat, hängt hoch an der Wand eines sanierten Brown- Nachhinein nicht besonders kompliziert. Will eine Zelle ein Protein stones, eines im 19. Jahrhundert erbauten bürgerlichen produzieren, erstellt sie zunächst vom zugehörigen Gen eine Blau- AReihenhauses in Brooklyn. Genauer in Crown Heights, einem Vier- pause der Bauanleitung: ein Botenmolekül aus einzelsträngiger tel, das lokale Radiomoderatoren das »schwarze Herz« Amerikas RNA. Werden jedoch doppelsträngige, der Blaupause sequenz- nennen. Während in Harlem, der einstigen Hochburg kulturellen Le- gleiche RNA-Stücke in die Zelle eingeschleust, lässt sich der weitere bens der Afroamerikaner im Norden Manhattans, die Bourgeoisie Ablauf unterbinden. Denn dort werden die eingeführten Abschnitte von der Wall Street und aus anderen lukrativen Branchen reihen- erst einmal in relativ kurze Schnipsel zerhackt, die bei Fliegen und weise Häuser aufkauft und luxussaniert, sieht man hier nach wie auch Säugetieren, wie Tuschl herausfand, exakt 21 Bausteine lang vor nur selten ein weißes Gesicht auf der Straße. An Straßenecken sind. Anschließend werden sie in Einzelstränge aufgetrennt – und wird mit Drogen gehandelt. Polizeisirenen heulen vorbei. dann teils gleich abgebaut, teils wie bei der Vogeljagd als Leimrute Hier lebt seit dem Frühsommer letzten Jahres der deutsche Mo- verwendet. Denn der Leimrute lagert sich die passende Boten-RNA lekularbiologe Thomas Tuschl, 42, Professor an der renommierten an. Damit wird sie als zu zerstörendes Objekt gekennzeichnet und Rockefeller University in Manhattan, die ihren Fakultätsmitglie- ebenfalls abgebaut. dern großzügig erschwingliche Wohnungen mit Blick über den East Die Folge des Abbauprozesses: Die Bauanleitung gelangt nie bis River anbietet. »Wir wollten mehr Platz für unsere Familie«, er- zu den Proteinfabriken der Zelle. Damit ist das Gen so gut wie aus- klärt der Deutsche an einem kalten Januarabend den Umzug. Und geschaltet. Die Erklärung der RNA-Interferenz (RNAi) war ein Durch- ganz Wissenschaftler fügt er hinzu: »Es ist sicher ein Experiment. bruch (siehe Grafik S. 50). Nachts gehen wir zwar nicht spazieren – aber das Viertel ist besser Evolutionärer Hintergrund hinter dem Mechanismus ist der als sein Ruf.« Schutz gegen bestimmte virale Eindringlinge. Über ihn steuert die Zelle aber auch ihre eigene Gentätigkeit. Sie produziert so genann- Im Jahr 2003 folgte Tuschl einem Angebot nach New York, als er te doppelsträngige Mikro-RNAs, die dann letztlich verhindern, dass nach vier Jahren als Gruppenleiter am Göttinger Max-Planck-Insti- die Genabschrift genutzt werden kann. Rund 350 dieser kurzen tut für biophysikalische Chemie in Deutschland keine angemessene RNA-Sequenzen sind bislang bekannt. Diesem natürlichen Steuer- Stellung fand. Verwunderlich, war doch Tuschl damals schon für mechanismus gilt jetzt vor allem Tuschls Aufmerksamkeit, da, wie eine bahnbrechende Entdeckung bekannt: Er entwickelte ein Ver- er vermutet, Störungen bei dem Prozess zu Krankheiten beitragen fahren, wie sich Gene gezielt ausschalten lassen – nicht zuletzt im können. »Die RNAi war nur ein Intermezzo«, sagt Tuschl im Ge- Menschen. Nur ein Jahr später erhielten die US-Wissenschaftler An- spräch, während der Kuckuck zwölfmal Mitternacht schlägt. 46 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · SEPTEMBER 2008 MEDIZINM &ED IBZINI OLOG& BIOLOGIIEE IRGFELD B ABIAN / F ZUR PERSON issenschaft W Nach seinem Chemiestudi- DER um in Regensburg und pektrum der Promotion 1995 am : S Max-Planck-Institut für RTIKELS A experimentelle Medizin in DES Göttingen arbeitete otos F Thomas Tuschl, Jahrgang ALLE 1966, am Whitehead- Institut für biomedizini- Spektrum: Herr Professor Tuschl, im letzten bar hält – und wie er die Lösung möglichst sche Forschung des Sommer wurde der deutsche Standort der schnell finden kann. Dass er eine Entdeckung Massachusetts Institute of amerikanischen Biotechfirma Alnylam, die Sie patentiert, die sich womöglich kommerziell Technology (MIT) in Cam- 1999 mitgegründet haben, für 200 Millionen nutzen lässt, ist heute nur selbstverständlich. bridge, USA. Dollar an das Pharmaunternehmen Roche Spektrum: Ihre Forschung konzentriert sich Nach seiner Rückkehr verkauft; die Zusammenarbeit könnte eine auf die Rolle der RNA in der Humanzelle. 1999 ans Max-Planck-In- Milliarde Dollar wert sein. Freut Sie das? Haben Sie zu Beginn Ihres Studiums rasch die stitut für biophysikalische Thomas Tuschl: Natürlich freut es einen, RNA als Forschungsobjekt ausgemacht? Chemie gelang es ihm dort wenn eine biotechnische Entwicklung, die Tuschl: Nein, im Gegenteil, die RNA hat viel- mit seiner Arbeitsgruppe, man mit angestoßen hat, medizinisches Po- mehr mich gefunden – ich habe nur ein gutes die so genannte RNA-In- tenzial zeigt. Die Hoffnung, Gene im Men- Labor ausfindig gemacht, das für einen jungen terferenz aufzuklären. Da- schen an- und ausschalten zu können, um Studenten sehr attraktiv war. Ich kam 1989 mit ist es möglich, einem Krankheiten heilen zu können, hat aber noch von der Universität Regensburg als Teaching einzelnen Gen quasi einen keine breite Anwendung gefunden. Das muss Assistant für organische Chemie an die Uni- Maulkorb zu verpassen, sich in klinischen Tests erst noch erweisen. versity of Colorado in Boulder. Dort hatte indem man kurze RNA- Auch bin ich bei Alnylam nur noch Berater. Thomas Cech, der die selbstspleißende RNA Stränge in die Zelle ein- Ich kümmere mich vornehmlich um meine (siehe Lexikon S. 48) entdeckte, gerade den schleust, um seine Boten- eigene Forschung. Ich bin schließlich Natur- Chemie-Nobelpreis zugesprochen bekommen. RNA abzufangen und wissenschaftler, kein Unternehmer. Und da dachte ich mir, es wäre prima, in letztlich zu zerstören. Auf Spektrum: Aber Sie ziehen doch finanziellen seinem Labor zu arbeiten – obwohl ich da- diese Weise lassen sich Nutzen daraus, die Alnylam-Aktie stieg nach mals nur wenig über RNA wusste. Schließlich die Funktionen von Genen Bekanntgabe des Deals um die Hälfte. war ich Chemiker. Dort arbeitete auch der besser untersuchen, aber Tuschl: Sehen Sie, hätte ich je gezielt viel heute an der University of Chicago forschende auch bestimmte Tumoren Geld verdienen wollen, dann hätte ich Öko- Joseph Piccirilli als Postdoc in Cechs Labor – und andere Erkrankungen nomie studiert oder wäre Patentanwalt gewor- und der meinte, ich könne für ihn chemisch könnten künftig damit den, was ich mir nach meiner Promotion modifizierte Bausteine für die RNA syntheti- therapierbar werden. 1995 tatsächlich kurz überlegt habe. Daran sieren. Die sollten Erkenntnisse zum Mecha- Seit 2003 ist Tuschl liegt mir aber nicht viel. Es ist doch so: Ein nismus des Selbstspleißens der RNA liefern. Professor und Laborleiter Forscher sieht sich einem ungeklärten Phäno- So bin ich überhaupt erst auf RNA gestoßen. an der Rockefeller Univer- men gegenüber, dessen Geheimnis er lüften Spektrum: Und da haben Sie gleich Feuer ge- sity in New York. will. Dann überlegt er sich, ob er es für mach- fangen? SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · SEPTEMBER 2008 47 Tuschl: Es war ein spannendes, junges Ge- Spektrum: Haben Sie damals nicht schon LEXIKON biet, das versprach, ein wenig Licht in die weitergedacht? komplexen Zellmechanismen zu werfen. Ich Tuschl: Nein, ich denke eigentlich nie weiter. q Die DNA (chemisch: habe mir dann überlegt, wo ich in Deutsch- Spektrum: Das ist ein Scherz. Desoxyribonukleinsäure) land über RNA arbeiten könnte. Ich unter- Tuschl: Nein, so läuft die Forschung ab. Der ist ein in allen Lebewe- hielt mich mit Leuten in Cechs Labor und Kern eines Labors sind die Experimente. Die sen und DNA-Viren anderen Kollegen, und es war schnell klar, Ideen erhalten wir nicht auf Grund der Fach- vorkommendes Biomole- dass in Deutschland zwar nur wenig an RNA literatur, sondern auf Grund dessen, was im kül und Trägerin der geforscht wurde, es aber eine sehr gute Ar- Labor passiert. Die Veröffentlichungen in der Erbinformation. Sie beitsgruppe um Fritz Eckstein am Max- Molekularbiologie, Zellbiologie und Bioche- enthält unter anderem Planck-Institut für experimentelle Medizin in mie sind inzwischen so komplex, dass man die Gene, die für RNA (Ri- Göttingen gab. Ihm habe ich dann einen Brief eigentlich nur die Hälfte von dem glauben bonukleinsäuren) und geschickt mit dem Briefkopf des Howard sollte, was man publiziert sieht. Bei den eige- Proteine kodieren, Hughes Medical Institutes – dem Cech bis nen Experimenten gibt es hingegen kaum welche für die biolo- heute angehört ... Zweifel – und daraus entstehen neue Ideen, gische Entwicklung eines Spektrum: ... Sie ja auch ... die im Diskussionsteil einer Veröffentlichung Organismus und den Tuschl: Ja, aber das kam erst viel später. Ich ja auch angerissen werden. Stoffwechsel in der Zelle schickte also Eckstein einen Brief, und er lud Spektrum: Die Richtungsentscheidung findet notwendig sind. Vom mich sofort zu einem Gespräch ein. Bei Eck- also im Labor statt? Aufbau her ist die RNA stein habe
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