Sonntag, 04. Dezember 2016 (11:05-12:00 Uhr), KW 48 Deutschlandfunk Abt. Feature/ Hörspiel/ Hintergrund Kultur

F R E I S T I L

Löwenherz mit frecher Schnauze Der Sportreporter und -Regisseur Sammy Drechsel Von Katinka Strassberger Regie: die Autorin Redaktion im DLF: Klaus Pilger Produktion: BR 2016

MANUSKRIPT

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ZUSPIEL 1 MUSIK RBT-Orchester 1946, instrumental 0.40 kurz hoch, unterlegen

ERZÄHLERIN 0.32 1946. In der Trümmerwüste, die von Hitlers Reichshauptstadt übrig geblieben war, trieb sich ein kleiner, dunkelhaariger Reporter herum auf der Suche nach spannenden Geschichten. Drahtig von Statur und ausgestattet mit einer besonders schnellen und frechen Berliner Schnauze. Immer dann, wenn er eine seiner waghalsigen Sensationsreportagen präsentierte, versammelten sich die Hörer wie gebannt vor den Lautsprechern.

ZUSPIEL 4 Atmo Trommelwirbel, unterlegen

ZUSPIEL 2 Hochseil-Reportage / Sammy Drechsel / RIAS 1947 0.43 „Herzkranke Hörer werden ersucht, das Radiogerät abzuschalten.“

„Können wir jetzt mit Ihnen diese Todesfahrt antreten, liebe Hörer? Wir müssen auf diesem dünnen Seil vom französischen Dom rüber zum deutschen Dom. Wir wollen es jetzt einmal wagen ... wir rasen jetzt herunter ... herrlich ... der Aufprall.

ERZÄHLERIN 0.13 Der tollkühne Reporter auf dem Hochseil über dem Gendarmenmarkt hieß Sammy Drechsel. Er war damals erst 20 Jahre alt und arbeitete für das „Radio im amerikanischen Sektor“, kurz RIAS.

ZUSPIEL 3 O-Ton Sammy Drechsel 0.17 „Ich bin da auf so einem ganz kleinen Haken gesessen, Kopf nach hinten, hatte Angst vor dem Aufprall, tat auch weh, es konnte aber eigentlich nüscht passieren.“

ERZÄHLERIN 0.29 Riskant war diese Aktion natürlich schon, wie Sammy Drechsel viele Jahre später erzählte, obwohl er dabei von erfahrenen Artisten begleitet wurde. – 3 –

Mit atemberaubenden Mutproben wie dieser versetzte er die Berliner immer wieder in Erstaunen. Mal kletterte er mit dem Mikrofon in der Hand den kriegsversehrten Turm der Gedächtniskirche hoch, mal sprang er in den Landwehrkanal, um Blindgänger zu entschärfen oder er legte sich zwischen die Gleise und ließ sich von einem Zug überrollen.

ZUSPIEL 6 ATMO Zug, kurz hoch und wegblenden

ERZÄHLERIN 0.14 Warum, fragt man sich, suchte einer, der gerade erst auf abenteuerlichste Weise den Krieg überlebt hatte, auf so extreme Art die Gefahr, den Nervenkitzel, die Aufmerksamkeit?

ZUSPIEL MUSIK Edgar Meyer „Travis“ 0.58 kurz hoch, unterlegen

ERZÄHLERIN 0.55 Schon als Kind hatte der kleine Karl-Heinz, wie sein eigentlicher Vorname lautete, sich angewöhnt, seine eher zarte Konstitution durch ein umso lauteres Mundwerk zu kaschieren. Der lebhafte Junge, den alle nur Heini nannten, wuchs in einer Berliner Pflegefamilie auf. Seinen leiblichen Vater, einen persischen Diplomaten jüdischen Glaubens, hat er nie kennen gelernt, seine Mutter erst viele Jahre später, kurz vor ihrem Tod. Sie hatte ihren unehelichen Sohn gleich nach seiner Geburt am 25. April 1925 in eine Kinderkrippe gegeben. Von seinem Ziehvater Paul Kamke, der als Packer in einer Lederwarenfabrik arbeitete, wurde der Kleine streng, aber liebevoll erzogen. Er war es auch, der die große Leidenschaft für den Fußball in Sammy Drechsel entfachte. Jeden Sonntag nahm er seinen Pflegesohn mit auf den Platz.

ZUSPIEL 7 Atmo Fußballplatz

ZUSPIEL 8 O-Ton Sammy Drechsel 0.33 „Ich war ein besonders armer Junge, der froh war, wenn er mal mit eingeladen war, so z. B. auch mal ins Kino kam. Ich hatte nichts an mir, was auffällig war, ich war nur dadurch über die anderen etwas erhoben, weil ich ein guter Fußballer war. Ich habe – 4 –

aus den unmöglichsten Situationen Tore gemacht und war aufgrund dieser Tatsache immer einige Mannschaften höher eingesetzt als ich eigentlich durfte.“

ERZÄHLERIN 0.18 1935, gerade 10 Jahre alt, war Sammy Drechsel als jüngstes Mitglied dem Berliner Sportverein beigetreten, dem BSV 92. Dass er das geschafft hat war auch deshalb erstaunlich, weil er als sogenannter „Halbjude“ kein Mitglied der HJ werden durfte.

ZUSPIEL 10 O-Ton Sammy Drechsel 0.17 „Ich musste in meinem Fußballpass den Stempel von der Hitlerjugend drin haben, dass ich Dienst mache. Ich habe immer Freunde gehabt, die sagten, das machen Sie mal, irgendein höherer HJ-Führer hat dann den Stempel rein gemacht, es fiel nie auf, ich war sogar bei den deutschen Jugendmeisterschaften in Breslau dabei.“

ATMO Fußballplatz, kurz hoch, wegblenden

ERZÄHLERIN 1.04 Statt Schulbücher studierte Sammy Drechsel nun eifrig die „Fußballwoche“ und verfolgte begeistert die Sportreportagen im Großdeutschen Rundfunk, besonders die seines großen Idols Rolf Wernicke. Schon bald hatte er sich ein enormes Wissen angeeignet. Als er 1939 mit 14 die Schule verließ, wollte Paul Kamke ihn eigentlich zum Feinmechaniker ausbilden lassen. Doch sein eigensinniger Schützling hatte andere Pläne. Er wollte Sportreporter werden und bewarb sich bei Ernst Werner, dem Chefredakteur seiner Lieblingszeitung um ein Volontariat. Da ihm dafür aber der erforderliche Schulabschluss fehlte, begann er eine kaufmännische Lehre in der angegliederten Druckerei, nutzte aber jede Chance, sich nebenbei auch in der Redaktion nützlich zu machen. Dort lernte Sammy Drechsel eines Tages auch Rolf Wernicke kennen. Der verschaffte ihm Zugang zu dem Berliner Prominenten- Fußballclub „Oase“ und holte ihn nach bestandener Gesellenprüfung zum Großdeutschen Rundfunk.

ZUSPIEL 13 O-Ton Sammy Drechsel 0.11 „So habe ich schon als 17jähriger damals Sportreportagen gesprochen, natürlich auch deshalb, weil die guten Reporter alle an der Front waren.“

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ERZÄHLERIN 0.34 Ein kleiner jüdischer Redaktionsbote, dem mit Schläue und Beharrlichkeit der Aufstieg zum einflussreichen Filmmogul gelingt: davon handelte ein amerikanischer Roman, der Anfang der 1940er Jahre in der „Berliner Illustrierten“ abgedruckt wurde. Anders als von den Nazis intendiert fanden viele Leser diesen ehrgeizigen Sammy aber gar nicht abschreckend, sondern sehr sympathisch. Und weil die Mitarbeiter im Großdeutschen Rundfunk der Ansicht waren, er habe eine gewisse Ähnlichkeit mit Heini Drechsel, verpassten sie diesem den Spitznamen Sammy.

ZUSPIEL MUSIK Ludovico Einaudi „Samba“ (Einaudi) 1.00 kurz hoch, unterlegen

ERZÄHLERIN ca. 0.50 Die große Wertschätzung, die Sammy Drechsel bei seinem Mentor Rolf Wernicke genoss, verschaffte ihm auch einen gewissen Schutz. Als seine jüdischen Wurzeln 1943 publik wurden, war er am Sender nicht mehr zu halten. Wernicke verhinderte seine Verhaftung und sorgte dafür, dass er zu einem Wehrmachtssender im griechischen Saloniki abgeschoben wurde. Aus Mangel an Beschäftigung, denn er war ja kein Soldat, begann Drechsel dort bunte Kleinkunstabende zu organisieren. 1944 wurde er in eine Strafeinheit an der Ostfront versetzt und bekam die ganze Härte des Krieges doch noch zu spüren. Anfang Januar 1945 flüchtete er heimlich zurück in seine Heimatstadt, wo Musiker des ehemaligen „Scala“-Orchesters ihm Unterschlupf verschafften.

ZUSPIEL 14 O-Ton Sammy Drechsel 0.42 „Ich war eine Zeit lang total untergetaucht in Berlin und musste nun was zu Essen haben, mir von dem einen oder anderen etwas Geld geben lassen, die wussten alle, was mit mir los war, und die haben mich teilweise in dem Ersatzbass von Mischa Andrejeff, der später auch bei den RBT-Solisten, die nannten sich dann Three Travellers, dabei war, der hat da Löcher in seinen Kasten reingebohrt und bei Fliegeralarm haben die mich in diesem Kontrabass-Kasten in Luftschutzkeller mitgenommen. Teilweise bin ich da auch drei, vier Tage immer wieder in so einen Kasten reingeklettert, bis ich dann total verschwinden musste.“

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ERZÄHLERIN 0.47 Mit einem gefälschten Pass, den ihm Freunde besorgt hatten, konnte sich Sammy Drechsel nach Schleswig-Holstein absetzen. Dort erlebte er das Kriegsende. Mit Erlaubnis der britischen Militäradministration stellte er eine Gruppe von Musikern und Artisten zusammen, die nur zu gerne bereit waren, mit ihm als Conférencier für Bares oder Naturalien über die Dörfer zu tingeln. Auf Dauer in der Provinz zu leben, konnte er sich aber nicht vorstellen. Er sehnte sich nach der Großstadt und wollte zurück zum Radio. Und so landete Sammy Drechsel 1946, nach kurzen Intermezzi beim NWDR in Hamburg und beim russisch verwalteten Berliner Rundfunk, schließlich beim RIAS.

ZUSPIEL 16 RIAS – Pausenzeichen 0.07

ERZÄHLERIN 0.24 Dort konnte Sammy Drechsel sein Reporter-Talent nach Herzenslust ausleben. Die Hörer liebten die unkonventionelle Art, mit der er interessante Themen aufspürte, und die Leidenschaft, mit der er davon berichtete. Seine amerikanischen Dienstherren hingegen scheinen zunehmend an seiner politischen Verlässlichkeit gezweifelt zu haben, zumal er sich auch zur Blockadezeit oft im Ostsektor der Stadt herumtrieb.

ZUSPIEL 17 O-Ton Sammy Drechsel 0.43 „Und dann haben sie irgendwann erfunden, ich hätte den RIAS mit einer Bombe in die Luft sprengen wollen, man hat auch wirklich in meinem Schrank ein Uhrwerk von einem Wecker gefunden, darüber hingen zwei Schals von mir und daran hing eine Bombe, das stimmt alles, nur war das eine Granate, die ich irgendwann mal bei einer Sensationsreportage, nämlich Tauchen im Landwehrkanal, rausgeholt hatte, mein Glück war, der Stadtkommandant von Berlin, der hieß Frank Howley, der hatte „Frankie“ da reingeritzt, aus Blödsinn, der war bei der Reportage dabei. Das rettete meinen Kopf, würde ich sagen, aber es war schon eine sehr komische Sache.“

ERZÄHLERIN 0.25 Gar nicht komisch war es für Sammy Drechsel, als er im Sommer 1948 während eines Autorennens auf der Berliner AVUS von einem Blitz getroffen wurde, der ihm ein Trommelfell zerfetzte und seine rechte Körperhälfte vorübergehend lähmte. Obwohl er – 7 –

im Auftrag des RIAS dort gewesen war, und fast ein Jahr brauchte, um sich von diesem Unfall zu erholen, zahlte ihm der Sender keinen Pfennig Schadensersatz.

ZUSPIEL MUSIK Edgar Meyer „Contramonkey“ 0.56 kurz hoch, unterlegen

ERZÄHLERIN 0.45 Sammy Drechsels Verhältnis zum RIAS war also schon nachhaltig eingetrübt, als der Bayerische Rundfunk 1949 Interesse bekundete, ihn nach München zu locken. Obwohl er anfangs Zweifel hatte, ob er mit seiner Berliner Kodderschnauze überhaupt klarkommen würde in Bayern, nahm er das Angebot an. Und machte, wie immer, das Beste aus seiner neuen Situation. Er ließ sich in Schwabing nieder, knüpfte sofort neue Kontakte, gründete 1952 den Fußballverein FC Schmiere und berichtete für den BR über Sportereignisse in aller Welt. Die Art, wie er das tat, hat Robert Lembke, damals stellvertretender Chefredakteur, von Anfang an sehr fasziniert.

ZUSPIEL 18 Drechsel-Reportage Eishockey/Robert Lembke 2.15 mit O-Ton 1960 Olympische Winterspiele in Squaw Valley, USA

Olympia-Fanfare (kurz freistehend)

Eishockey-Reportage Sammy Drechsel, Robert Lembke drüber, kommentiert Drechsels Reporter-Stil Lembke trocken weiter: Drechsel wollte auch in den Zeitfunk ... wurde zur Probe zum Stadtpfarrer geschickt ... wann wird denn der Herr Gemahl wieder zurück sein?“

ZUSPIEL MUSIK Taj Mahal „Teacup´s Jazzy Blues Tune“ (Mahal) 0.26 Raven Records RVCD-264

ERZÄHLERIN 0.18 Das erhoffte zweite Standbein im Zeitfunk musste sich Sammy Drechsel also erst mal abschminken. Da er sich aber als Sportreporter nicht ausgelastet fühlte, suchte er auch anderswo nach neuen Herausforderungen. Dabei stieß er auf eine Kabarettbühne, die gerade überall in den höchsten Tönen gelobt wurde.

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ZUSPIEL (Lied) „Die kleine Freiheit“ 0.30

ERZÄHLERIN 0.28 „Die kleine Freiheit“, 1951 von Trude Kolman gegründet, gehörte zu den wichtigsten Nachkriegskabaretts überhaupt - mit exzellenten Autoren wie Erich Kästner und Martin Morlock und einem hochkarätigen Ensemble, dem unter anderen Ursula Herking, Oliver Hassenkamp und Klaus Havenstein angehörten. Platzanweiser in der „Kleinen Freiheit“ war ein junger Student namens .

ZUSPIEL 21/22 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.52 „Eines Tages sagte unsere Kassiererin: da kommt einer zu spät, schauen Sie mal, Sie werden den sicherlich kennen, das ist der Sammy Drechsel. Ach, der Fußballreporter? Ja. Das freut mich, dass ich den mal kennenlerne. Und 15 Minuten zu spät kam Sammy Drechsel herunter, laut, und ich war dafür zuständig, dass die Vorstellung nicht gestört wurde. „Psst!“ „Ja wat denn? Kriege ich jetzt meinen Platz?“ Ich dachte: das ist aber ein unangenehmer, ein unsympathischer Mensch. Später habe ich ihn dann noch mal wiedergetroffen, ein Jahr später, da saß er in der Vorstellung, kam dann nachher zu uns und sagte, dass er das sehr gut fände, was wir da machen, und ob er denn öfter mal vorbeikommen dürfte, er würde sich auch für Kabarett interessieren.“

ERZÄHLERIN 0.30 Es war eine Vorstellung der „Namenlosen“, die Sammy Drechsel damals besuchte, in einer Keller-Kneipe namens „Die alte Laterne“ an der Leopoldstraße. Dieter Hildebrandt und Klaus Peter Schreiner, beide Studenten am Theaterseminar von Artur Kutscher, hatten dieses Ensemble 1952 gegründet. Aus denen könnte was werden, dachte sich Sammy Drechsel, man sollte sie im Auge behalten. Und Fußball spielen können die sicher auch.

ZUSPIEL 7 Atmo Fußballplatz, unterlegen

ZUSPIEL 23 O-Ton Sammy Drechsel 0.52 „Ich hatte diesen FC Schmiere frisch gegründet, den gab es vielleicht ein Jahr, da war der Harry Valerien, der Franz Schönhuber, Gerd Wendland, Wolfgang Neuß, – 9 –

Maximilian Schell. Wir hatten also den FC Schmiere gegründet, weil wir nie Zeit hatten, wenn andere Leute Fußball spielten, mussten wir über die berichten oder die anderen standen auf der Bühne oder mussten drehen, also sagten wir, wir machen unseren eigenen Kram und spielen gegen die Bäcker, die Metzger und die Müllabfuhr, aber Hauptsache, wir spielen Fußball. Aber meine Stars wie Mario Adorf, Bubi Scholz, die konnten dann oft nicht, da hab ich gesagt: Kinder, wollt ihr nicht mitspielen? Die trainierten auch eifrig mit, waren gute, junge, konditionell starke Fußballer ... (Atmo Fußball kurz hoch, wegblenden)

ZUSPIEL 25 O-Ton Sammy Drechsel 0.30 „Dann hatten sie plötzlich kein Haus mehr, wollten aber ein drittes Programm machen, da habe ich gesagt: Kinder, ich kenne hier einen Kumpel, das ist der Fred Kassen, der hat ein Lokal, das ist der „Pfälzer Hof“, früher „Mutti Bräu“, ich will mal mit dem reden. Und der hat gesagt: wenn die so gut sind, wie du sagst: her damit! Und dann sind die rüber gegangen, machten dann ein neues Programm, irgendwann ist jemand an mich herangetreten, ich weiß gar nicht mehr wer, sagte, wir haben keinen Regisseur, wie wär´s denn, wenn du mal.“

ZUSPIEL 26 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.10 „Und dann habe ich gesagt: wie kann jemand, der noch nie mit Kunst, Theater und Kleinkunst, wie kann solch ein Mensch Regie machen? Und habe es abgelehnt.“

ERZÄHLERIN 0.05 Die anderen aber hielten hartnäckig fest an ihrem Plan, Sammy Drechsel ins Boot zu holen.

ZUSPIEL 27 O-Ton Sammy Drechsel 0.16 „Und ich habe dann „ja“ gesagt, war ihr Pech dann. Und dann kam ein Programm raus, das hieß „Die Nullen sind unter uns“, hat mir viel Spaß gemacht und wir waren mit einem Schlag plötzlich, das lag aber sicher nicht an mir, waren wir hier die Kaiser von München.“

ZUSPIEL 28 (Lied) „Die Nullen sind unter uns “ 0.30 Die Namenlosen

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ERZÄHLERIN 0.30 Dieter Hildebrandt war positiv überrascht. Dieser Sammy Drechsel hatte zweifellos gute Arbeit geleistet, obwohl er nebenbei noch auf vielen anderen Hochzeiten herumtanzte. Gerade hatte er seinen autobiografisch gefärbten Roman über seine Berliner Fußballjugend veröffentlicht, „11 Freunde müsst ihr sein“, davor noch einen Dokumentarfilm über die Fußballweltmeisterschaft von 1954 fertiggestellt, dazu kam sein normales Arbeitspensum für den Bayerischen Rundfunk.

ZUSPIEL 29 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.10 „Seine erste Regie, die er bei uns machte, hat mich vollkommen überzeugt, bis mein Ensemble langsam gegen ihn war und ich der einzige war, der auf seiner Seite war.“

ERZÄHLERIN ca. 0.25 Nämlich als es Anfang 1956 Streit gab um die Frage, ob man aufgrund des großen Erfolges nicht in einen größeren Saal umziehen sollte. Sammy Drechsel und Dieter Hildebrandt waren strikt dagegen, konnten sich aber nicht durchsetzen. Also ließen sie die anderen ziehen und beschlossen, gemeinsam etwas Neues zu machen. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

ZUSPIEL MUSIK Taj Mahal (s. oben) 0.08

ZUSPIEL 30 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.10 „Und dann haben wir uns gedacht, wir müssen ein neues Ensemble gründen, aber wie machen wir das? Wer spielt mit uns, wer kennt mich, wer spielt mit mir? Und dann hat Sammy gesagt: lass mal, lass mal.“ ERZÄHLERIN 0.30 Der Typ hat Nerven, dachte Dieter Hildebrandt. Ihn hingegen plagten ernsthafte existentielle Sorgen. Wovon sollte er jetzt leben, wovon die Miete zahlen für das kleine Appartement, das er mit seiner Freundin Irene teilte? Da mach Dir mal keine Sorgen, meinte Sammy Drechsel. Zwar lebte auch er mehr oder weniger von der Hand in den Mund, das aber gar nicht so schlecht. Irgendwie hatte er es sogar geschafft, binnen kürzester Zeit von einem VW Käfer auf einen Porsche Carrera umzusteigen.

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ZUSPIEL 30a O-Ton Jochen Busse „Sammy hatte weiß Gott nichts gegen Geld.“

ERZÄHLERIN 0.14 Und er teilte es gerne mit all jenen, die ihm am Herzen lagen, weiß der Schauspieler Jochen Busse zu berichten. Er hat Sammy Drechsel als ausgesprochen geschäftstüchtigen, aber auch sehr großzügigen Menschen in Erinnerung.

ZUSPIEL 30b O-Ton Jochen Busse 0.21 „Das war finanziell der fairste, anständigste Mensch den es gab. Für den gab es nichts Schöneres als zu sagen: jetzt haben meine Leute ihr Haus oder eine Wohnung gekauft oder der kann sich den oder den Klasse-Wagen leisten. Das war für ihn schön, das hat er gerne gehabt.“

ERZÄHLERIN 0.23 Das beachtliche Netz an Kontakten, das der nimmermüde Treibauf inzwischen in München aufgebaut hatte, ließ er nun auch seinem klammen Freund Dieter zu Gute kommen. Sammy Drechsel verschaffte ihm Sprecherjobs beim Bayerischen Rundfunk und trieb einen beachtlichen Teil der Kaution auf, die Hildebrandt für eine größere Wohnung brauchte. Denn seine Ehefrau in spe war schwanger und die Hochzeit stand bevor.

ZUSPIEL ATMO Kirchenorgel, kurz hoch, unterlegen

ZUSPIEL 31 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.45 „Wir waren dann mit Sammy in der Kirche ... er sagte vorher dem Küster: ich bin doch Jude, wann muss man denn bei euch knien? Kann ich Ihnen so nicht sagen ... Fred Kassen, gelernter Katholik aus dem Rheinland sagte, ich gebe Dir ein Zeichen ... ich sah die beiden im Rückspiegel, bin ja Brillenträger ... die beiden Trauzeugen Kassen und Drechsel, musste lachen ... der Sammy kniete mit enormem Aplomb, drehte sich immer um, als wollte er fragen: na, war ich gut?“

ATMO dto. kurz hoch und wegblenden

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ERZÄHLERIN 0.11 Was die Besetzung des neuen Kabarett-Ensembles anging hatte Sammy Drechsel große Pläne. Er wollte die Besten und scheute weder Mühen noch Tricks, um dieses Ziel zu erreichen.

ZUSPIEL 32 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.51 „Der Mann war einfach ein Diplomat und ein hinterfotziger Bursche. Sammy rief die Ulla Herking an. Ich sagte immer: die Ulla Herking, mit der einmal Kabarett spielen, das wäre es gewesen! Und die hat er angerufen, und hat gesagt: er wüsste was von einem gewissen Klaus Havenstein, der hatte auch schon einen großen Namen als Kabarettist, und der würde mit ihr gerne Kabarett machen. Die Herking hatte vorher gesagt, sie macht nie wieder Kabarett. Und dann sagte sie: ach, der Havenstein, das interessiert mich, und dann sagte sie: o. k., wenn der Havenstein mitmacht. Und dann hat der Havenstein, der noch gar nichts wusste, den hat er angerufen und gesagt: die Ulla Herking wäre sehr interessiert mit Ihnen ... Die Ulla Herking, das ist interessant! Der hatte auch vorher erklärt, er macht nie wieder Kabarett. Plötzlich waren die beiden da, und ich war der Dritte.“

ERZÄHLERIN 0.19 Und den hatte Sammy Drechsel den beiden Stars als zwar noch unbekannten, aber sehr talentierten Textautor angepriesen. Durch Vermittlung von Ursula Herking kam als viertes Ensemblemitglied noch Hans Jürgen Diedrich dazu. Damit war das Gründungs-Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft komplett. ZUSPIEL 33 a O-Ton Sammy Drechsel 0.10 „Alle mochten, vertrugen sich, wenn es auch harte Proben gab, denn wer hört sich schon gerne vom Sportreporter an, wie es nun richtig zu sein hätte ...“

ERZÄHLERIN 0.06 ... zumal Sammy Drechsel von klassischer Regie keine Ahnung hatte, meint der Kabarettist Werner Schneyder.

ZUSPIEL 33b O-Ton Werner Schneyder 0.36 „Ich habe ihm gesagt, du bist kein Regisseur, du bist ein Regie-Darsteller. Er hat einen Regisseur gespielt. Können oder fachliche Voraussetzungen waren nicht da. Aber ein Gefühl für Sachen, die ankommen oder die nicht ankommen, – 13 –

es hätte wohl nichts gegeben, was Sammy Drechsel sich nicht zugetraut hätte, der hat sich gesagt: wenn das andere können, dann kann ich das auch.“

ZUSPIEL 33 c O-Ton Sammy Drechsel 0.08 „Und so kamen wir am 12. Dezember 1956 mit dem Programm „Denn sie müssen nicht was sie tun“ raus.“

ZUSPIEL 34 (Lied) Lach & Schieß „Lachen, Schießen“ 0.25

ERZÄHLERIN 0.48 Nach der erfolgreichen Premiere des ersten Lach- und Schieß-Programms gelang es Sammy Drechsel sogar, Klaus Peter Schreiner zurückzuholen, der mit Dieter Hildebrandt von da an ein ideales Autoren-Team bildete. Dass es kaum möglich war, das Unternehmen Lach- und Schießgesellschaft allein durch die Einnahmen aus den abendlichen Vorstellungen zu finanzieren, zumal der „Laden“, wie ihn alle nannten, kaum mehr als 130 Zuschauen Platz bot, war Sammy Drechsel schnell klar. Die Sache musste auf ein breiteres Fundament gestellt werden. Schon früh erkannte Drechsel die wachsende Bedeutung des jungen Mediums Fernsehen und sorgte dafür, dass seine Lach & Schieß sich dort fest etablieren konnte. Eine echte Pionierleistung, meint Dieter Hanitzsch.

ZUSPIEL 36 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.16 „Dass der BR damals mit dem Saur als Unterhaltungschef, dass die diese Geschichten, „Schimpf vor 12“, die Mitternachtssendungen an Silvester, ausgestrahlt haben, live, im BR, also das ist Sammy.“

ZUSPIEL 37 O-Ton Sammy Drechsel 0.17 „Wir hatten einen bestimmten Fernsehstil auch erfunden für uns, und so stiegen wir mit dem Anstieg der Fernsehzuschauer mit hoch und wurden dadurch, egal wie gut wir waren, einfach unheimlich populär.“

ZUSPIEL 38 (Lied) Lach- und Schießgesellschaft / Schimpf vor zwölf 0.54 „Jam-Session für Waffenhändler“

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ERZÄHLERIN 0.35 Sammy Drechsels Strategie hatte sich ausgezahlt: so gut wie jeder, der in den 1960er Jahren das Fernsehprogramm verfolgte, kannte die Lach- und Schießgesellschaft. Der besondere Stil, den er damals entwickelte, um Kabarett im Fernsehen zu inszenieren, war ebenso neu wie klug, meint Catherine Miville, (heute Intendantin des Stadttheaters in Gießen). Sie hat seit den frühen 1970er Jahren als Regie-Assistentin eng mit Sammy Drechsel zusammengearbeitet und nach seinem Tod die künstlerische Leitung der Lach und Schieß übernommen.

ZUSPIEL 39 O-Ton Cathérine Miville 0.32 „Der Sammy hatte eine untrügliche Nase für Wirkungen. Er wusste, insofern war er wirklich sehr innovativ, Kabarettisten können nur mit Publikum zusammen. Das heißt: er hat das Publikum wie in der L&S erst mal mit Tischen um die Bühne herum gebaut. Und da hat er die entsprechenden Leute hingesetzt, also möglichst Politiker oder Leute die man kennt, dadurch hatten auch die Fernseh-Zuschauer zuhause viel mehr das Gefühl, in diesem Geschehen drin zu sein.“

ZUSPIEL 40/41 „Ein Platz an der Sonne“: Wolfgang Gruner 0.10 ERZÄHLERIN 0.30 Ganz ähnlich inszenierte Sammy Drechsel ab 1961 die Auftaktsendungen zur ARD- Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“, die das Lach- und Schieß-Ensemble gemeinsam mit den Berliner Stachelschweinen bestritt. Durch den Fernseh-Ruhm waren die Vorstellungen des Lach- und Schieß-Ensembles stets ausverkauft, sowohl auf ihren Tourneen, als auch im Schwabinger Stammhaus. Mit vielen, oft ungewöhnlichen Werbemaßnahmen sorgte Sammy Drechsel dafür, dass das auch so blieb.

ZUSPIEL 42 O-Ton Renate Küster 0.12 „Ja, er war der Hansdampf in allen Gassen, er war so richtig der kleene Berliner, der sich überall durchgeboxt hat, und wo es eine Chance gab, die roch er, die schmeckte er, das war toll.“

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ERZÄHLERIN 0.16 ... erinnert sich Dieter Hildebrandts Witwe Renate Küster. Mit erstaunlicher Chuzpe und entwaffnendem Charme knüpfte Sammy Drechsel Kontakte bis in die höchsten gesellschaftlichen Sphären hinein. Unter seinen Duz-Freunden waren auch viele hochrangige Politiker.

ZUSPIEL MUSIK Taj Mahal (s. oben) 0.08

ZUSPIEL 43 O-Ton Werner Schneyder 0.15 „Der Sammy war ein Mensch, der von früh bis spät Kontakte gepflogen hat oder aufgerissen hat, und wenn er gesagt hat, da ruf ich mal den Willy an, dann hat er den Willy Brandt gemeint, und wenn er sagte, das bespreche ich mal mit dem Horst, dann war es der Horst Ehmke.“

ZUSPIEL 43b O-Ton Dieter Hildebrandt 0.29 „Ich habe einmal die Sätze notiert, die ein Telefonpartner in der Lage war zu äußern, als Sammy in Hochform war, hier sind sie: Sammy, hör mal, ich wollte ... ja, Sammy aber ... nein, nein, ich habe ... Sammy! ... Ja, bitte, du sollst mir ja nur ... Sammy, ich wollte Dir nur sagen, dass ich jetzt keine Zeit habe zu telefonieren, kann ich Dich Morgen anrufen ... Hallo?!? Sammy?!? Zu spät.“

ZUSPIEL 44 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.18 „Der hatte, wie heißt diese indische Göttin, die 20 Hände hat? Die hätte er gebraucht, um sämtliche Telefone gleichzeitig zu bedienen, in die er reingeredet hat. Er war ja ein Manager von allerhöchsten Graden, also er hat das auch gekonnt, bis heute habe ich nie jemanden Vergleichbaren kennengelernt.“

ZUSPIEL MUSIK Edgar Meyer „Travis“ 0.40

ERZÄHLERIN 0.33 Dieter Hanitzsch kann sich noch gut an seine erste Begegnung mit Sammy Drechsel erinnern. Anfang der 1960er Jahre hatte ihn die Münchner Abendzeitung in die Lach und Schieß geschickt, um Zeichnungen der Ensemblemitglieder für eine Programmankündigung zu machen. Sammy Drechsel war sofort begeistert von dieser Idee und von dem, was dieser junge Mann zu Papier brachte. Also bat er ihn, Portraits – 16 –

der Künstler für den Laden und auch für die Programmhefte zu zeichnen. So wurde Dieter Hanitzsch zum Hauskarikaturisten der Lach und Schieß.

ZUSPIEL 45 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.20 „Dann hat er mich beauftragt, ihn zu zeichnen. Für mich am charakteristischsten waren seine unglaublich wachen, hellen, schnellen Augen, aus denen alles rausguckte, klar, er hatte so eine etwas kräftige Nase, als Frau hätte ich ihn als gut aussehenden Mann bezeichnet, das hat er ja auch versucht auszunützen, aber seine Augen waren das, was am meisten aufgefallen ist.“

ZUSPIEL Boxen Olympiade 1960 1.00 kurz hoch, unterlegen

ERZÄHLERIN 0.35 Olympische Sommerspiele 1960 in Rom. Im Finale der Halbmittelgewichts-Boxer kämpfte der US-Amerikaner Wilbert McClure gegen den Italiener Carmelo Bossi um die Goldmedaille. Nur einer von vielen Wettbewerben, die Sammy Drechsel für die deutschen Radiohörer kommentierte. Schon damals war deutlich zu bemerken, wie sein Faible für das Kabarett auf seine Sprache abgefärbt hat, meint der Box-Experte Werner Schneyder.

ZUSPIEL O-Ton Werner Schneyder 0.17 „Das hat er sehr geschickt gemacht, erstklassig! Schnell hat er gemerkt, dass er mehr Achtung genießt, wenn er die Sprache freier behandelt, mal einen Joke macht, eben nicht so das Reporter-Deutsch, das ausgelutschte.“

ERZÄHLERIN ca. 0.10 Durch seine mitreißende und leidenschaftliche Art schaffte es Sammy Drechsel wie kein Zweiter, auch Jugendliche für seine Passion zu begeistern.

ZUSPIEL DVD „Sport, Spiel, Spannung“ / Sammy Drechsel 0.04 „Schönen guten Tag, liebe Jungen und Mädel, die Ihr Euch für den Sport interessiert ...“

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ERZÄHLERIN 0.12 Mit diesen Worten begrüßte Drechsel ab 1959 seine jungen Zuschauer jeden Monat in einer Sendung, die bald Kult-Status erreichen sollte: „Sport, Spiel, Spannung“.

ZUSPIEL DVD „Sport, Spiel, Spannung“ / Sammy Drechsel 0.22 „Ihr habt Euch gewünscht ... direkt mit Sportlern zu sprechen ... Hans-Günther Winkler zu uns ins Studio gekommen.“ / Applaus

ERZÄHLERIN 0.24 Der überaus erfolgreiche Springreiter war nur einer von vielen berühmten Sportlern, die Sammy Drechsel auf Wunsch der Jugendlichen ins Studio einlud, und die sie sogar selbst befragen durften - das hatte es zuvor im deutschen Fernsehen noch nie gegeben. Sammy Drechsel sprühte nur so vor innovativen Ideen, sein Arbeitspensum war enorm. Wie, fragt man sich, hat er das alles nur geschafft?

ZUSPIEL 46 O-Ton Werner Schneyder 0.08 „Das haben sich alle gefragt. Ich habe mich auch immer gefragt, wann dieser Kerl eigentlich schläft. Seine Betriebsamkeit war ein bisschen magisch.“

ERZÄHLERIN 0.22 1962 hat Sammy Drechsel Irene Koss, Deutschlands erste und beliebteste Fernsehansagerin von Hamburg nach München gelockt und geheiratet. Viel Zeit für sie und die beiden Töchter, die kurze Zeit später zur Welt kamen, blieb allerdings nicht, denn schließlich musste er in seiner knapp bemessenen Freizeit auch noch Fußball spielen.

ZUSPIEL 7 Atmo Fußballplatz, kurz hoch, unterlegen (zwischen folgenden O-Tönen ab und zu kurz freistehen lassen)

ZUSPIEL 49 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.20 „Der FC Schmiere war für ihn auch so ein bisschen ein Fitness-Programm, weil er ja sehr gesund nicht gelebt hat, kann man ja so offen sagen. Sammy war als Spieler in der eigenen Mannschaft deshalb gefürchtet, weil er der einzige war, der behauptete, er müsste die Tore schießen.“ – 18 –

ZUSPIEL 50 O-Ton Werner Schneyder 0.10 „Also ich habe einmal irrtümlich bei einem Abstecher ein zweites Tor geschossen, da sind sie zu mir gekommen und haben mich gewarnt: lass das lieber, der Sammy ärgert sich.“

ZUSPIEL 51 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.17 „Für den Sammy gab es auf dem Spielfeld beim FC Schmiere auch kein Abseits. Er stand möglichst immer nahe vor dem Tor und hat erwartet, ja gefordert, dass man ihm sämtliche Bälle zuspielt, damit er Tore schießen kann. Das war seine Freude.“

ZUSPIEL 52 O-Ton Cathérine Miville 0.08 (lacht) „Da war er wirklich fanatisch. Fußball durfte sein wie es will, Hauptsache, er hat die Tore geschossen und der FC Schmiere hat gewonnen.“

ERZÄHLERIN 0.41 Ende der 1960er begann es im „Laden“ spürbar zu kriseln. Mag sein, dass die nun von der SPD geführte Bundesregierung die Spottlust etwas gemindert hatte, vielleicht war es aber auch nur das Bedürfnis von Dieter Hildebrandt und Sammy Drechsel, nach 15 Jahren Lach und Schieß etwas Neues zu beginnen. Ende 1972 lösten sie das Ensemble auf und starteten 1973 beim ZDF die Sendereihe „Notizen aus der Provinz“. Eine aktuelle Nachrichtensatire, die im Studio produziert wurde, ohne Publikum, mit Sammy Drechsel als Regisseur und Dieter Hildebrandt als Anchorman.

ZUSPIEL 60 Titelmelodie „Notizen aus der Provinz“ 0.35 Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll, op. 23 Peter Tschaikowsky Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; Colin Davis

ZUSPIEL 60a O-Ton Dieter Hildebrandt 0.09 „Ich war der Moderator, der da ex cathedra Dinge verkündet hat, die von einem TV- Publikum normalerweise geglaubt werden. Das war die Chance.“

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ERZÄHLERIN 0.43 ... nämlich mit den Mitteln der Satire investigativen Journalismus zu betreiben. Trotz zahlreicher Beschwerden, vor allem von Seiten konservativer Politiker und empörter Rundfunkräte, gelang es den listigen Störenfrieden, sich sechs Jahre lang im Programm des ZDF zu halten. Nebenbei musste Sammy Drechsel dafür sorgen, dass wieder Leben in das zwischenzeitlich verwaiste Stammhaus der Lach & Schieß kam. Er initiierte eine Talk- Show mit prominenten Gästen, die er jeden Sonntag selbst moderierte und organisierte Gastspiele mit alten Hasen wie Werner Finck und Gerd Fröbe. Er förderte aber auch junge Talente wie Thomas Freitag, Mary & Gordy oder Konstantin Wecker.

ZUSPIEL 61 O-Ton Konstantin Wecker 0.33 „Sammy Drechsel war der erste und einzige, der mir damals die Möglichkeit gegeben hat, mit meinem sado-poetischen Programm auf irgendeine Bühne zu gehen, ich glaube, das hätte sich sonst niemand getraut, jemanden mit solchen Liedern auftreten zu lassen, das konnte nur der Sammy machen. Und eigentlich hat mich der Sammy dann, wie es seine wunderschöne Art war, auf unaufdringliche Weise die ganzen weiteren 20 oder 15 Jahre begleitet, die es dann waren. Er lief mir immer wieder über den Weg, und zwar hilfreich über den Weg.“

ERZÄHLERIN 0.19 Freunde, die in Not gerieten, konnten sich immer auf Sammy Drechsel verlassen. So auch sein alter Freund Wolfgang Neuß. Der hatte sich in den 1970er Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und war zu einem völlig verarmten Späthippie mutiert - zahnlos und von Marihuanawolken umhüllt.

ZUSPIEL 62 O-Ton Wolfgang Neuß 0.50 „Sammy Drechsel ist schuld, dass ich überhaupt noch sprechen kann. Der hat mir hier Geld rein gebracht, davon konnte ich mir wat zu essen kofen. Und zu rauchen. ... Mr. Herzlich kann man zu dem sagen. Endlich mal einer im deutschen Kabarett, der kein Spießer ist ... ähnlich wie Willi Schaeffers, dem konntste sagen: Willi, ick hab nen Tripper, will aber heute noch konferieren, der hat dit allet ins Lot gebracht, hat nen Arzt mit ner Spritze geholt und so. Sammy Drechsel, dem kannste ooch sagen: Sammy, ich hab drei Mal Heroin jeschluckt, 7 Mal Syphilis gehabt und bin von 24 – 20 –

Frauen geschieden, hast du für mich nen Job? Immer! Sammy Drechsel immer! Das ist das Tolle daran, es gibt kaum so ne Typen, die keine Spießer sind, vastehste?“

ZUSPIEL MUSIK Taj Mahal (s. oben) 0.23

ERZÄHLERIN 0.12 Zu einer besonderen Attraktion im Laden wurde ab 1974 das Duo-Projekt von Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder, das Sammy Drechsel als Produzent und Manager unter seine Fittiche nahm.

ZUSPIEL 63 Dieter Hildebrandt/Werner Schneyder 0.37 „Datenverarbeitung“

ERZÄHLERIN 0.40 1974 war aber auch ein Jahr, in dem Sammy Drechsel die Folgen seines exzessiven Lebenswandels zu spüren bekam: er erlitt zwei Herzinfarkte. Die Mahnungen seiner Ärzte, jetzt unbedingt kürzer zu treten, schlug er allerdings in den Wind. Statt sich zu schonen machte er schon bald wieder neue Pläne. Er wollte die Ensemble-Tradition der Lach & Schieß wieder aufleben lassen und sah sich nach geeigneten Künstlern um. Seine Wahl fiel schließlich auf Rainer Basedow, Bernd Stephan und den Tiroler Kurt Weinzierl. Mit Veronika Faber wurde erstmals eine gebürtige Münchnerin verpflichtet.

ZUSPIEL 66a O-Ton Veronika Faber „Erst habe ich gedacht, nach den vielen Gerüchten über ihn, das wird vielleicht schwierig, aber das war es gar nicht.“

ERZÄHLERIN 0.20 Was nicht unbedingt zu erwarten war, denn Sammy Drechsel eilte der Ruf voraus, Frauen zwar sehr charmant, aber zielstrebig auf den Pelz zu rücken. Man musste ihn zu nehmen wissen und klare Grenzen setzen, meint Veronika Faber schmunzelnd, dann stand einer respektvollen Zusammenarbeit auf Augenhöhe nichts mehr im Wege.

ZUSPIEL 66c O-Ton Veronika Faber 0.19 „Ich war ganz froh, weil die Männer zu meiner Zeit ja in der Übermacht waren und die wollten mir oft gar keine politischen Texte geben, das war immer ein Gerangel, ich – 21 –

habe irrsinnig gekämpft, dass ich als gleichwertiger Partner da behandelt werde, und da hat er mir immer geholfen.“

ERZÄHLERIN 0.33 Zu Gast bei den Proben des neuen Ensembles war gelegentlich die junge Schweizerin Cathérine Miville. Sie hatte gerade ihr Studium in München begonnen und interessierte sich sehr für Theater und Kabarett. Sammy Drechsel bat sie zunächst, sich bei den Vorstellungen um Licht und Ton zu kümmern. Später übertrug er ihr die Zuständigkeit für alle Belange des Duos Hildebrandt-Schneyder und band sie nach und nach immer stärker in die Organisationsstruktur der Lach und Schieß ein, auch in die Regiearbeit bei Fernsehproduktionen.

ZUSPIEL 68 O-Ton Cathérine Miville 0.26 „Das war schon eine sehr spannende Zusammenarbeit, da konnte ich sehr viel Fachliches lernen, aber auch sehr viel Menschliches, wie man umgeht, wie man Menschen zusammenbringt, wie man in Krisensituationen moderiert und eben da auch wieder, wie man sehr unterschiedlich mit unterschiedlichen Menschen und Mentalitäten so umgehen kann, dass es allen gegenüber noch fair und ehrlich ist, aber doch jedem entspricht.“

ZUSPIEL 70 Scheibenwischer Titelsong (instr.) 0.38

ERZÄHLERIN 0.16 Als das ZDF den „Notizen aus der Provinz“ für das Wahljahr 1980 eine „Denkpause“ verordnen wollte, hatte Sammy Drechsel beim bereits den Vorvertrag für eine neue Sendung ausgehandelt - den „Scheibenwischer“. (Musik Scheibenwischer kurz hoch – 7.45 / Applaus)

ERZÄHLERIN 0.16 Etwa zur gleichen Zeit engagierte er zwei Neue für das Ensemble der Lach und Schieß: Bruno Jonas als Darsteller und Autor und den Schauspieler Jochen Busse. Und der staunte nicht schlecht über die Beharrlichkeit, mit der sich Sammy Drechsel marketingtechnisch ins Zeug legte.

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ZUSPIEL 71 O-Ton Jochen Busse 0.16 „Diese Leute in der Presse, wie er die bearbeitet hat, das ist schon einmalig. Das war einer von diesen Leuten, die zur Tür rausgeschmissen wurden und zum Fenster wieder reinkamen. Der hat wirklich gekämpft und hat es auf diese Weise geschafft, dass diese L&S wieder wurde.“

ZUSPIEL 72 Musik Taj Mahal (s. oben) 0.08

ZUSPIEL 73 O-Ton Bruno Jonas 0.26 „Der Sammy hätte vom Alter her mein Vater sein können und er hat mich eben zum Teil auch so behandelt als wäre ich sein saudummer missratener Sohn, und er hat vielleicht erwartet, dass ich ihm immer wieder beweise, dass ich nicht so dumm bin, aber ich wollte auch meine Ideen durchsetzen und die haben sich immer hart im Raum gestoßen mit seinen Vorstellungen von Kabarett, was dazu geführt hat, dass ich nach vier Programmen das Handtuch geworfen habe.“

ERZÄHLERIN 0.20 Während Bruno Jonas es vorzog, seine Solo-Karriere voran zu treiben, engagierte Sammy Drechsel - mal wieder sehr trickreich - zwei hochkarätige neue Nordlichter für das Ensemble. Henning Venske und Renate Küster. Beide müssen noch heute lachen, wenn sie an ihre Anbahnungsgespräche mit Drechsel zurückdenken.

ZUSPIEL 74 a O-Ton Renate Küster 0.38 „Na, Alte, was machste denn? Haste Arbeit, haste nen Mann, was machen deine Kinder?“ (lacht) Dann sagte ich: der Mann ist weg, die Kinder sind groß und Arbeit habe ich, aber keine, die mir Spaß macht. Dann bin ich also zur L&S gekommen, und er hat mich dort hin gekriegt, weil er dann sagte, weil ich fragte: wer spielt denn da? Na ja, der Jochen Busse, der Rainer Basedow und dann kommt noch der Henning Venske. Oh, der Henning kommt? Dann komm ich.“

ZUSPIEL 74 b O-Ton Henning Venske 0.16 „Das hat er ganz raffiniert eingefädelt, er sagte, ich sollte nach München kommen, er hätte ein großartiges Ensemble mit Jochen Busse, Rainer Basedow und Renate Küster, und ich sagte, das interessiert mich, das sind gute Leute ...“

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ZUSPIEL 74 c O-Ton Renate Küster 0.10 „Da wusste er aber noch gar nicht, dass wir kommen. Er hat uns auf nette Art gegeneinander aus-, bzw. füreinander eingespielt.“(lacht)

ZUSPIEL O-Ton Henning Venske 0.24 „Ich hatte keine Ahnung, weder vom Schreiben von Kabarett-Texten, noch hatte ich eine Ahnung, wie man Kabarett spielt, das musste ich alles lernen, und er hat mir dieses Vertrauen geschenkt, mir auch richtig Zeit gegeben, mich zu entwickeln, und mir auch Selbstvertrauen eingeimpft, das war fantastisch.“

ERZÄHLERIN 0.21 Auch in diesem Fall hat sich Sammy Drechsels Spürnase und seine Risikobereitschaft ausgezahlt – wie so oft. Als er kurz nach der Premiere des neuen Lach- und Schießensembles seinen 60. Geburtstag feierte, konnte er auf ein Lebenswerk zurückblicken, für das andere sicher sehr viel mehr Zeit gebraucht hätten, meinte Dieter Hildebrandt.

ZUSPIEL 77 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.27 „Denn rechnet man ihm alles nach, dem Sammy, was er angestellt, zusammengestellt, was er eingerichtet, ausgerichtet oder angerichtet, was er alles unterstützt, überzeugt, überredet oder gelenkt hat, wie viel dieser Mensch schon telefoniert und vor allem, was er schon alles ausgetrunken hat, dann muss dieser Dauerquirl mindestens schon 94 sein.“

ZUSPIEL 79 (Lied) Schneyder, Wecker und Ron Williams 0.42 „Dein ist mein ganzes Herz“

ERZÄHLERIN 0.17 Werner Schneyder, Konstantin Wecker und Ron Williams mit einer musikalischen Liebeserklärung an Sammy Drechsel zum 60. Geburtstag. Nur wenig später wurde er mit einer Diagnose konfrontiert, die all seine Zukunftspläne zunichte machten sollte: Krebs.

ZUSPIEL MUSIK Michel Petrucciani „Trilogy In Blues“ 1.57 Unterlegen – 24 –

ZUSPIEL O-Ton Henning Venske 0.21 „Er hat erst mal nicht darüber gesprochen, aber dann ist er ziemlich offen damit umgegangen, 3.08 hat gesagt, Bauchspeicheldrüse, das ist nun mal ein Todesurteil, das wusste jeder und das wusste er auch, dann hat er auf seinen geliebten Whiskey verzichtet. Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen war er unglaublich tapfer.“

ERZÄHLERIN 0.04 Trotz zunehmender Schwäche blieb Sammy Drechsel aktiv. Bis zum Schluss.

ZUSPIEL 80 O-Ton Renate Küster 0.30 „Wir haben noch eine Fernsehsendung zusammen gemacht, beim WDR, das war diese berühmte Silvestergeschichte, und da waren wir in den ersten Proben am ersten Tag und da kriegte er so unglaubliche Schmerzen, eine ganz schlimme Thrombose, da musste er ins Krankenhaus. Das war 85 im Dezember, und dann ging es ja auch nicht mehr lange. Ja, es war sehr heftig.“

ZUSPIEL O-Ton Henning Venske 0.03 „Eigentlich wussten wir alle, das ist das letzte Mal, dass er dabei ist.“

ERZÄHLERIN 0.55 Am 19. Januar 1986 ist Sammy Drechsel gestorben. Hunderte von Menschen kamen zu seiner Beisetzung auf dem Münchner Nordfriedhof, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Diesem außergewöhnlichen Mann, der seine Träume nicht nur geträumt, sondern in die Tat umgesetzt hat. Mit Mut und Fleiß, Hartnäckigkeit und Neugier, List und Leidenschaft. Selbst Kollegen, die seine kabarettistischen Vorlieben nicht teilten, haben ihn dafür bewundert. Sammy Drechsels allzu früher Tod bedeutete vor allem für die Lach und Schießgesellschaft einen schmerzlichen Verlust. Als Hugo Straßer und Walter Kabel am Grab einen alten Schlager spielten, den er sehr geliebt hat, war die Wehmut unter den Trauergästen besonders groß, erinnert sich Werner Schneyder.

ZUSPIEL MUSIK „Es war einmal eine Liebe“ 1.30 Hugo Strasser und Walter Kabel, instrumental

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ZUSPIEL 85 O-Ton Werner Schneyder 0.24 „Es war einmal eine Liebe“ (singt) Er hat mich mal gefragt, am Klavier, ob ich das spielen kann. Ich habe das so angespielt, einigermaßen hingebracht, und dann brachte er mir den Komponisten in die Vorstellung - mit gewidmeten Noten! Das war Sammy. Diese Kontakte hat er hergestellt. Der wollte, dass die Menschen voneinander wissen.“

ZUSPIEL O-Ton Henning Venske 0.10 „Auf den konnte man sich wirklich verlassen, auf ihn konnte man bauen. Er war die Seele, er war der Motor, er war das Herz.“

ZUSPIEL 86 O-Ton Dieter Hanitzsch 0.06 „Er ist ein Solitär gewesen. Und die L&S hätte es ohne ihn nicht gegeben, ganz einfach.“

ZUSPIEL 87 O-Ton Renate Küster 0.09 „Der Tod von Sammy hat den Dieter wahnsinnig mitgenommen. Sie haben ja 30 Jahre miteinander verbracht, das darf man nicht vergessen.“

ZUSPIEL 88 O-Ton Dieter Hildebrandt 0.26 „Um ehrlich zu sein: ich habe ihn für unsterblich gehalten. Ich glaube, wir alle. Sammy ist eine Legende gewesen und wird auch eine bleiben. Ja, freilich, es gab auch Ärger mit Sammy, natürlich, Aufregung, Streit, Stress. Aber man muss dabei sofort bedenken, was es ohne ihn alles nicht gegeben hätte. Vermutlich auch mich nicht vor diesem Mikrofon.“

ZUSPIEL MUSIK „Es war einmal eine Liebe“, hoch bis Ende

Erzählerin: Caroline Ebner

Originaltöne: Sammy Drechsel, Jochen Busse, Veronika Faber, Dieter Hanitzsch, Dieter Hildebrandt, Bruno Jonas, Renate Küster, Robert Lembke, Cathérine Miville, Wolfgang Neuss, Werner Schneyder, Henning Venske, Konstantin Wecker u.a.

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Ton und Technik: Lydia Schön Regie: Katinka Strassberger Redaktion: Ulrich Klenner

ENDE