DEUTSCHLAND

Ermordung des Schriftstellers August von 1819 (zeitgenösssiche Darstellungen): „Verräter des Vaterlandes!“ „Todesstoß“ in Vor 200 Jahren erstach der radikale Burschenschafter und Theologiestudent in Mannheim den berühmten Schriftsteller August von Kotzebue.

er junge Mann, der am 23. März gründeten „Urburschenschaft“ und trat theater. Nach Meinungsverschiedenhei - D1819, gegen 17 Uhr, zum Wohn - dem radikalen Studentenkreis „Die Un - ten mit Schauspielern ließ er sich in sei - haus des Schriftstellers August bedingten“ bei. ner Heimatstadt nieder, wo von Kotzebue nach Mannheim kam, August Kotzebue, auch Johann Wolfgang von Goethe gab sich als „Heinrichs aus Mitau“ aus geboren am 3. Mai wirkte. In Wien wurde 1802 eines der und bat um ein Gespräch mit dem be - 1761 in Weimar, wuchs in einer begü - bekanntesten Werke Kotzebues, das rühmten Literaten. Der Besucher war terten Familie auf, studierte Rechtswis - Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“, schon am Vormittag erschienen, aber senschaften in Jena und Duisburg und uraufgeführt. abgewiesen und gebeten worden, am arbeitete für kurze Zeit als Advokat in Im April 1800 wurde Kotzebue auf Nachmittag wiederzukommen. Als Kot - Weimar. 1781 zog er nach St. Peters - einer Reise nach Russland an der russi - zebue den Gast zu sich bat und die bei - burg, der Hauptstadt des russischen Rei - schen Grenze als vermeintlicher „Jako - den einige Worte sprachen, zog der Un - ches, wurde Sekretär des Generalgou - biner“ verhaftet und ohne Gerichtsurteil bekannte einen Dolch, stach mehrmals verneurs und 1783 Assessor am Obers - nach Sibirien verbannt, wo er vier Mo - auf den Oberkörper des Schriftstellers ten Gerichtshof in Reval (). Er nate verbringen musste. Ein zaren - ein und rief: „Hier, du Verräter des Va - heiratete die adelige Tochter eines ho - freundliches Drama („Der alte Leibkut - terlandes!“ Einige Minuten später war hen russischen Offiziers und wurde rus - scher Peters III.“) von Kotzebue bewog Kotzebue tot. sischer Staatsbürger. 1785 wurde er Zar Paul I., den Schriftsteller zu begna - Sein Mörder versuchte, sich selbst zu Präsident des Magistrats des russischen digen und mit einem Gut in Livland zu töten, indem er sich mit dem Dolch in Gouvernements Estland und in den rus - entschädigen. Kotzbue wurde Direktor die Brust stach. Verletzt wankte er zur sischen Adelsstand erhoben. Nebenbei des deutschen Theaters in Sankt Peters - Haustür und übergab einem Hausange - schrieb er Theaterstücke und andere burg. stellten die von ihm verfasste Schrift Werke und arbeitete in einem Theater. Nach der Ermordung des Zaren kehr - „Todesstoß dem August von Kotzebue“. Sein erster internationaler Erfolg war te der Schriftsteller 1801 nach Weimar Danach stach er sich neuerlich in die das 1789 veröffentlichte Stück „Men - zurück und zog bald nach , wo er Brust und stürzte zu Boden. Er wurde schenhass und Reue“. ab 1803 die Literaturzeitschrift „Der ins Krankenhaus gebracht, überlebte die Nach dem Tod seiner ersten Frau Freymüthige oder Berlinische Zeitung Dolchstiche und kam in Untersuchungs - 1790, schied Kotzebue aus dem russi - für gebildete, unbefangene Leser“ he - haft in Mannheim. schen Staatdienst aus und hielt sich ei - rausgab. König Friedrich Wilhelm III. Beim Attentäter handelte es sich um nige Zeit in Paris und auf. Ab ernannte Kotzebue zum Mitglied der den Theologiestudenten und Burschen - 1795 lebte er auf einem Landgut, das er Preußischen Akademie der Wissen - schafter Karl Ludwig Sand. Am 5. Ok - in Narva in der Nähe von Reval erwor - schaften. Nach dem Tod seiner zweiten S N tober 1795 in geboren, ab - ben hatte. Er verfasste viele Romane Frau 1803 heiratete er im Jahr darauf O M M solvierte er die Lateinschule und das und Dramen, Erzählungen und satiri - deren Cousine. Ihr viertes Kind Alexan - O C A Gymnasium und begann im November sche Texte. Viele seiner Dramen wur - der wurde als Vierjähriger Zeuge der I D E P I

2014 mit dem Studium in Tübingen. den in andere europäische Sprachen Ermordung seines Vaters. K I W

Später wechselte er zur Universität Er - übersetzt. Als Napoléon Bonaparte begann, : S O T langen und 1817 zur Universität Jena. 1798 kam August von Kotzebue nach und nach europäische Länder zu O F Er wurde Mitglied der 1815 in Jena ge - nach Wien und wurde Direktor am Hof - erobern, zog Kotzebue auf sein Landgut 66 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/19 POLITMORD VOR 200 JAHREN

in Estland, wo er in zwei von ihm he - rausgegebenen Zeitschriften zahlreiche, meist satirische Artikel gegen Frank - reichs Herrscher verfasste. Außerdem schrieb er weitere Romane, Dramen, au - tobiografische Schriften und historische Texte, darunter Werke über die Ge - schichte Preußens. Mit seinen zahlrei - chen Lustspielen und Dramen wurde Kotzebue in Europa sehr populär. Er galt als einer der produktivsten und er - folgreichsten Bühnenautoren seiner Zeit. Johann Wolfgang von Goethe in - szenierte seine Werke für das Weimarer Hoftheater. 1815 wurde Kotzebue auswärtiges Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Im Jahr darauf trat er in den Dienst der au - ßenpolitischen Abteilung Russlands in Hinrichtung des Mörders Ludwig Sand 1820 (zeitgenössische Darstellung). St. Petersburg und 1817 wurde er russi - scher Generalkonsul in Deutschland. Agitation gegen Burschenschafter. Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar wurde am 20. Mai 1820 am Heidelber - In von Metternich im August 1819 die ger Tor in Mannheim hingerichtet. seinem „Literarischen Wochenblatt“ Fürsten der „Heiligen Allianz“ nach Werner Sabitzer kritisierte August von Kotzebue die Karlsbad in Böhmen ein, wo Maßnah - deutschen Burschenschaften und Tur - men zur Überwachung und Bekämp - Quellen/Literatur: nerbünde als „Brutstätten der Revoluti - fung liberaler und nationaler Strömun - Brückner, Peter: „… bewahre uns on“ und verhöhnte „Turnvater“ Fried - gen beschlossen wurden, darunter stren - Gott in Deutschland vor irgendeiner rich Ludwig Jahn und die deutsche Na - gere Regeln für die Zensur und die Uni - Revolution!“ Die Ermordung des tionalbewegung. versitäten („Karlsbader Beschlüsse“). Staatsrats v. Kotzebue durch den Stu - Beim Wartburgfest im Oktober 1817 Den Burschenschaften wurde die politi - denten Sand. Verlag Wagenbach, Ber - in Eisenach, einer Versammlung von sche Tätigkeit verboten und die Autono - lin, 1975. Studenten evangelischer deutscher Uni - mie der Universitäten stark einge - Carové, Ludwig: Ueber die Ermor - versitäten 300 Jahre nach Beginn der schränkt. dung Kotzebue´s. Eisenach, 1818. Reformation, wandten sich die Teilneh - Die „Heilige Allianz“ war ein Bünd - Courtin, Carl: Carl Ludwig Sand’s mer gegen reaktionäre Politik und nis, das die drei Monarchen Russlands, letzte Lebenstage und Hinrichtung. Ge - Kleinstaaterei und forderten einen Na - Österreichs und Preußens nach dem schichtlich dargestellt. Franckenthal, tionalstaat mit einer eigenen Verfas - endgültigen Sieg über Napoléon Bona - 1821. sung. Das Wartburgfest hatte auch anti - parte am 26. September 1815 in Paris Häntzschel, Hiltrud: Kotzebue, Au - semitische Züge. Die Studenten hissten beschlossen hatten. Frankreich trat der gust von. In: Neue Deutsche Bibliogra - erstmals die Fahne mit den Studenten - Allianz 1818 bei. Zur Umsetzung der phie (NDB), Band 12, Verlag Duncker farben Schwarz-Rot-Gold und ver - Beschlüsse wurde die Mainzer Zentral - & Humblot, Berlin, 1980; S. 624-625. brannten Symbole der „Reaktion“ sowie untersuchungskommission eingerichtet, Meiners, Antonia (Hg.): Authenti - Bücher, darunter Kotzebues Werk „Ge - die ihre Tätigkeit 1828 beendete. Nach scher Bericht über die Ermordung des schichte des Deutschen Reiches“. Kot - der Revolution 1848/49 wurden die Kaiserlich-Russischen Staatsraths zebue galt bei den Burschenschaftern „Karlsbader Beschlüsse“ aufgehoben. Herrn August von Kotzebue; nebst vie - als „russischer Spion“ und das Zaren - Hinrichtung durch das Schwert. len interessanten Notizen über ihn und reich als Inbegriff der Reaktion. Unter At - über Carl Sand, den Meuchelmörder. den Teilnehmern des Wartburgfestes tentäter Karl Ludwig Sand galt bei den Berlin, 1999 (Nachdruck der 1819 in befand sich Karl Ludwig Sand. In ei - Burschenschaftern und in einigen ande - Mannheim erschienenen Ausgabe). nem Tagebucheintrag vom 5. Mai 1818 ren Kreisen als „Held“ und Revolutio - Schulze, Hagen: Sand, Kotzebue und bezeichnete er Kotzebue als „Landes - när. In der Untersuchungshaft im Zucht - das Blut des Verräters (1819). In: De - verräter“ und Feind der Burschenschaf - haus Mannheim genoss er Privilegien, mandt, Alexander (Hg.): Das Attentat in ten. Sand dürfte schon damals den Be - unter anderem legt man ihm keine Ket - der Geschichte. Suhrkamp Verlag, S

N schluss gefasst haben, den Schriftsteller ten an. Er bereute den Mord nicht und Frankfurt am Main, 1999; S. 256–276. O M

M zu töten. bezeichnete Kotzebue als „Verräter“, Siegert, Harry M.: Carl Ludwig O C A

I der den Tod verdient hätte. Karl Ludwig Sand und das Attentat auf August von

D Karlsbader Beschlüsse. E P I Als Reaktion Sand wurde am 5. Mai 1820 vom Hof - Kotzebue. In: Geschichtsblätter für den K I W

auf die Ermordung Kotzebues und aus : gericht Mannheim wegen Mordes zum Kreis Bergstraße, Band 47. Verlag Lau - O T

O Angst vor einer Revolution lud Öster - Tod durch das Schwert verurteilt. Er rissa Lorsch, Heppenheim, Bergstraße, F reichs Außenminister und späterer verzichtete auf ein Gnadengesuch und 2014. 67 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/19