Nr. 2 – Ausgabe Dezember 2015 – Erscheint in loser Folge FOKUS LINN

RUNDWANDERUNG Von der Linner Linde nach Oberzeihen

DEMOKRATIETAGE Sind alle vor dem Gesetz gleich?

ENNETBADENER KLAUSUR Wichtiger Entscheid in Linn gefällt

IDENTITÄT Gibt es eine Aargauer Identität?

SAGEN ZUR LINNER LINDE Um den mayestätischen Baum ranken sich viele Geschichten, Legenden und Mythen PLATZHALTER EDITORIAL

W EINGUT ZUR L INDE Michel Jaussi Foro Foro

Liebe Linnerinnen und Linner, liebe Leserinnen und Leser

Es ist uns eine grosse Freude Ihnen „die Verkostung des Linner Pinot Noirs zählt im Namen des Vereins ProLinn zum für mich zu den schönsten Weinerlebnissen“ Ausklang des Jahres die zweite Ausgabe Daniel Cortellini, Weinhändler, Baden des Fokus Linn überreichen zu dürfen. Neben zahlreichen Beiträgen zur Natur und Kultur in Linn werfen wir in dieser Ausgabe auch einen weiten Blick in die Region und betrachten einige historische, politische und geologische Gegebenheiten, welche unser heutiges Dorf Linn geprägt haben oder dessen zukünftige Entwicklung wesentlich beeinflussen könnten. Im Streben nach einer bedachten und nachhaltigen Entwicklung möchten wir damit einen Beitrag zum Erhalt der regionalen Schätze und insbesondere zum Erhalt der Identität, der Kultur und der Traditionen unseres Dorfes leisten.

Wir freuen uns sehr, dass Sie uns in diesem Anliegen unterstützen und wir hoffen, dass Sie am Fokus Linn genauso viel Freude haben werden wie wir.

Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften und wünschen Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und viel Glück und Gesundheit im neuen Jahr.

Dr. Hans-Martin Niederer Präsident Verein ProLinn

Eine Pinot-Exklusivität aus dem Aargauer Jura. Mit kompromissloser Ertragsreduktion und zweijährigem Holzausbau in Tronçé-Eiche wird aufgezeigt, dass im Schweizer Weinland vieles möglich ist. Entsprechend sind die drei Pièces jeweils sehr schnell ausverkauft. Weingut zur Linde · Michel Jaussi · 5225 Linn · [email protected] · www.weingutlinde.ch Die Linner Linde am 22. Februar 2015.

Die Weine vom Weingut zur Linde werden exklusiv über Cortis Schweizer Weine GmbH in Baden vertrieben. Rathausgasse 5 · 5400 Baden Schweiz · Tel 056 222 5 666 · Fax 056 222 9 600 [email protected] · www.cortis.ch · Dienstag - Freitag 11 - 19 h · Samstag 9 - 17 h 2 3 INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis

Editorial 3 Rundwanderung von und zur Linner Linde 6 Wasser – Element des Lebens 12 Jurapark 17 Linn im Glanz der unsterblichen Linde 20 Der Lindwurm 24 In Linn fiel der Schatten länger 27 Der klassische Sonntagsausflug 29 Atommüll im Bözberg? 30 Mehrheit bestimmt (Un)Gleichheit 32 Demokratiepreis für Fusionsprojekt 36 Gemeindefusionen im Vergleich 37 Sagen zur Linner Linde Das Milisystem in der Gemeindepolitik 38 Linn im Glanz der unsterblichen Linde 20 Wichtiger Entscheid in Linn gefällt 42 Aargau: Das identitäsfreie Jahrhundertmodell 45 AZ Leserwanderung 52 Rezept – Linner Linzertorte 57 Schöne Dorftraditionen zum Advent 58 Wir wären gerne Zürcher 62 Hightech in Sichtweite der Linde von Linn 68 Klausur des Gemeinde- Linn ist und bleibt unser Heimatort 74 Demokratietage rat Ennetbaden in Linn 32 42 Nachbarn mit Sichtverbindung 78 Wappen und Fahnen des Kantons Aargau 85 Historisches Linn 86 Der Erfolg kam unerwartet 89 Feedback 90 Impressum 91

High-Tech in Sichtweite Rundwanderung Aargauer Identität 45 68 der Linner Linde 6 Linner Linde Titelbild: Thomas Zischg, Linn

4 5 WANDERN WANDERN

Links: Weitsicht von der Ibergfluh ins Fricktal.

Unten: Die Linner Linde im Sommerkleid.

nächstes der Zeiher Homberg auf dem staunten die interessante Kapelle, bis wir serviert wurde, schwärmt meine Gruppe Plan und von dort wollten wir weiter nach das nostalgische Wirtshausschild «Zum noch heute. Ob Kuchen, SchoggiMousse Rundwanderung Oberzeihen wandern. Ein Blick auf die Uhr Ochsen» entdeckten. Längst war es Zeit für oder frische Erdbeeren mit Rahm: Alles war riet uns jedoch, den Berg für ein nächstens einen Kaffee und so liessen wir uns im lau- so liebevoll angerichtet, dass wir keine Mi- Mal aufzuheben und den direkten Weg zu schigen Garten nieder. Dass das Gasthaus nute bereuten, hier Rast gemacht zu haben. von und zur Linner Linde wählen. Bekanntlich isst ja das Auge mit und hier hat einfach al- Die folgende Strecke führ- les gestimmt: Was uns so Märchenhaftes – wundervolle Natur und Gastfreundschaft te über schöne Wege und dekorativ serviert wurde, Strässchen durch Feld, Wald sah nicht nur toll aus, es und Wiese und eröffnete schmeckte auch so! Text Sabine Itting teilweise herrliche Weitbli- Fotos Michel Jaussi cke. Ein kurzes Stück gingen Schliesslich mussten wir uns Seit rund 11 Jahren organisiere ich Genuss- Ich zupfte ein paar Blättchen ab, denn zum te. Besser hätten wir es für unsere Wande- wir wieder auf dem gleichen vom netten Damenteam wanderungen in allen Teilen der Schweiz. Picknick hatte ich einen Salat eingepackt, rung nicht treffen können. Weg wie während der Wan- im Gasthaus Ochsen verab- Dabei lernten wir im vergangenen Herbst an den die jungen Lindenblättchen wun- derung von Linn zur Burg- schieden und die Rucksäcke Linn mit seiner beeindruckenden Linde ken- derbar passten. Wussten Sie schon, dass Pünktlich zur Mittagszeit trafen wir auf der ruine Schenkenberg, über schultern. Es lag doch noch nen. Die Linde von Linn war auch Start und man junge, zarte Lindenblätter essen kann? Ibergflue ein, die sich an der westlichen die ich in der letztjährigen eine rechte Strecke vor uns. Ziel unserer diesjährigen Muttertags-Wan- Auch als essbare Dekoration sehen sie mit Flanke des Linnerbergs befindet, wo wir Ausgabe von Fokus Linn be- Ein wenig ausserhalb von derung. Zwar bekam ich den Vorschlag für ihrer Herzform wunderschön aus. rasteten und die atemberaubende Aussicht richtet hatte. Als in der Ferne Oberzeihen verliebten wir diese gemütliche Rundwanderung schon über die Hügel und Wälder des Aargauer die Ruine zu sehen war, bo- uns in eine Herde Hoch- Anfang Jahr, aber wir wollten die herrliche Nachdem meine ganze Gruppe, natürlich Jura bis hin zum Schwarzwald genossen. gen wir ab und folgten einer landrinder mit Jungen. Die Region und die 800-jährige Linde im Früh- wieder inklusive Wanderhund, eingetroffen Wie zauberhaft muss dieser Blick erst sein, kaum befahrenen Strasse Landschaft ringsum brachte jahr wiedersehen. Erstmals erlebten wir sie war, machten wir uns auf den Weg den Lin- wenn die Landschaft in Herbstfarben ge- in Richtung Oberzeihen. Dieser kleine Ort gut besucht war, lag wohl einerseits am uns alle ins Träumen. Hier wären wir gerne mit ihrer Blätterpracht und haben noch nie nerberg hoch. Der war gesäumt von üppig taucht ist? Wir konnten uns gar nicht satt könnte aus einem Bilderbuch stammen. Er Muttertag, anderseits denken wir, dass es geblieben! Zufrieden und beschwingt mar- einen so beeindruckenden und schönen blühenden Wiesen und wie es sich für ei- sehen und hätten ewig hier sitzen können. liegt idyllisch, umgeben von Feldern und sich herumgesprochen hat, dass man hier schierten wir weiter und bogen an einer Baum gesehen! nen Muttertag gehört, strahlte die Sonne So kam es, dass unser Zeitplan ein wenig Wald. Langsam schlenderten wir an den herzlich bedient und kulinarisch so richtig kleinen Kreuzung falsch ab. Der folgende mit allen Mamis an diesem Tag um die Wet- durcheinander geriet. Eigentlich stand als gepflegten alten Häusern vorbei und be- verwöhnt wird. Vom Dessert, welches uns Waldweg war zwar schön, aber unser Ge-

6 7 Einer der kühlsten Orte im Kanton Aargau: Beim Wasserfall im Sagimüli- täli, welcher sich unterhalb des Dorfes Linn befindet, ist es so kühl, dass sogar das Eis vom vergangenen Winter erhalten geblieben ist. Dank Bildbearbeitung sind die Eissäulen vom letzten Winter im Hoch- sommer immer noch da. Mit seinen 5.4 Metern ist der Linner Wasserfall Foto Michel Jaussi übrigens der höchste im Kanton Aargau. WANDERN WANDERN

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2 Swisstopo, Bewilligung BAT150252 4 Quelle 3

fühl meldete bald Zweifel an: Die Richtung Das Problem wurde kurzerhand gelöst, be- Nach so viel Hilfsbereitschaft und diesem wieder Linn in Sicht. Es blieb noch Zeit, Bild links: Das Sagimülitäli hat auch im stimmte nicht. Wahrscheinlich schaffen es ziehungsweise löste sich dahin gehend auf, lustigen, unvergesslichen Erlebnis zogen durch das kleine Dorf mit seinem Ortsbild Winter einen ganz besonderen Reiz. nicht viele Wandergruppen, sich im Aargau dass es zum Highlight des ganzen Tages wir fröhlich weiter. Ein Höhepunkt wartete von nationaler Bedeutung zu schlendern, Übersichtskarte oben: Die Rundwande- zu verlaufen, aber wir waren für einen kur- wurde: Kurzerhand kletterten die beiden ja noch auf uns: Der Linner Wasserfall im sich wie bereits beim ersten Besuch, an den rung mit folgenden Highlights: zen Moment «verloren». Buben zum Papi auf den Traktor und un- Sägimülitäli. Mit gerade mal 5,4 Metern hübschen Häusern und blühenden Gärten 1. Linner Linde sere Truppe zum Mami auf den Anhänger. ist er der höchste Wasserfall im Kanton zu erfreuen und schliesslich von der Linner 2. Ibergfluhe 3. Buchmatt An einem so rundherum perfekten Tag Dort sass schon eine brave Hundedame, Aargau, kann es aber als Kraftort mit so Linde Abschied zu nehmen. Ins Abendlicht 4. Zeiher Homberg klappte jedoch einfach alles. Ein kleiner ro- die offensichtlich Freude an unserem Vier- manch grösserem Vertreter absolut aufneh- getaucht, wirkte der ganze Ort noch friedli- 5. Restaurant Ochsen Oberzeihen ter Oldtimer-Traktor kam uns entgegen ge- beiner Butz hatte, der auch ganz begeistert men. Am Natur- und Kulturweg Linn gele- cher als ohnehin schon. 6. Linner Wasserfall tuckert. In der Hoffnung, dass ein ortskun- von der neuen weiblichen Bekanntschaft gen, schafft er inmitten der ohnehin intak- 7. Sagimülitäli 8. Ortsbild Linn diger Bauer uns sagen wird, wie wir wieder schien. So rumpelten wir rassig und erleb- ten Natur eine einmalige Atmosphäre. Ein Während ich das schrieb, habe ich den gan- auf den richtigen Weg zurückfinden, stopp- nisreich im genialsten Traktor-Taxi, welches bezaubernder, magischer Ort, an dem wir zen Tag nochmals erlebt und mich gerne Bild rechts: Die gemütliche Gaststube des ten wir ihn. Was für eine Überraschung: wir je erlebten, zum ehemaligen Bahnhof kurz innehalten mussten. Es ist immer wie- an die so gastfreundlichen Menschen, die Restaurants Ochsen in Oberzeihen. Kein Aargauer Landwirt hielt mit dem roten . der erstaunlich, was für Wunder die Natur herrliche Natur, die märchenhaften Kraftor- Sabine Itting arbeitet als freiberufliche Schmuckstück neben uns, sondern eine in hervorbringt und womit sie Menschen seit te und schönen Dörfer erinnert. Der Kan- Texterin und Autorin. Ehrenamtlich Oberzeihen wohnhafte, total aufgestellte Während der lustigen Fahrt wurde uns be- unzähligen Jahren begeistern kann. ton Aargau gehört inzwischen zu unseren organisiert und leitet sie seit vielen deutsche Familie auf Muttertags-Ausflug. wusst, dass es ein riesiger Umweg gewesen Lieblingswanderkantonen. Die offene und Jahren Wanderungen und Ausflüge Während der Vater unsere Wanderroute wäre, hätten wir das alles wandern müssen. Leider gehen auch die schönsten Tage ein- weite Landschaft, die Geschichte und nicht in der gesamten Schweiz. Mehr auf der Karte studierte, stellte sich schnell Deshalb möchte ich mich, im Namen von mal zu Ende und die Uhr zeigte uns an, zuletzt die Menschen dort machen jeden Informationen über Sabine Itting und heraus, dass wir nicht nur ein wenig falsch meinem Grüppli, inkl. Hund Butz, nochmals dass wir uns vom Sägimülitäli verabschie- Ausflug zu einem schönen Erlebnis. Dass ihre Wanderprojekte finden Sie auf marschiert, sondern gründlich vom Weg ganz herzlich für die nicht selbstverständli- den müssen, um unseren Bus zu erwischen. wir wieder kommen werden, steht ausser www.wanderforum.ch abgekommen waren. che Hilfe bedanken! Nach wenigen Wanderminuten war bereits Frage!

10 11 GESCHICHTE GESCHICHTE

gig realisiert, sodass bereits 1911 sämtliche Linner Quellen werden heute noch Haushaltungen in Linn und über genutzt einen Hausanschluss verfügten. Die Gemeinde nutzt die Linner Quelle bei der Linde auch heute noch. Das Von Linn nach Habsburg Wasser fliesst ohne Pumpaufwand ins tiefer Bis 1908 bezogen die Einwohner von Vill- gelegene Reservoir Buech. nachern und Habsburg ihr Wasser von Sod- brunnen. 1908 fasste Villnachern rund 100 Die Vereinigte Wasserversorgung Bözberg, Meter von der Linner Linde entfernt eine welcher seit 1974 auch Mönthal angehört, Quelle, ein Projekt, dem sich die Gemein- hat im Jahr 1975 13 Quellen am Linnerberg de Habsburg anschloss. Eine 4,5 km lange saniert, neu gefasst, mit einer Aufberei- Leitung versorgte die Gemeinde Habsburg tungsanlage ausgerüstet und wieder mit fortan mit Linner Wasser. Die Höhendif- dem Netz der VWV Bözberg verbunden. ferenz von zirka 75 m genügte für einen Diese Quellen, die zuvor vernachlässigt leidlichen Wasserdruck. Mit dem Bau des worden waren, liefern heute einen nicht Kraftwerks Wildegg/ offerierten die unwesentlichen Teil an den Wasserbedarf. Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) Aufgrund der Netzsituation dürfte Linn der Gemeinde Habsburg den Betrag von weitgehend vom Linnerberg mit Trinkwas- 40‘000 Franken für den Fall, dass die Was- ser versorgt werden. serleitung nicht mehr durch ihr Gebiet führen sollte. Habsburg akzeptierte diesen Quellen: Vorschlag. Die Gemeinde -Bad, «Leben auf dem Bözberg» von Max Bau- die damals ein neues Reservoir erstellte, mann, 1998 bot Hand zu einem Anschluss an ihr Was- Badener Tagblatt vom 12. September 1975 sernetz. Verschiedene Unterlagen

Oben links: Die Linner Linde mit der Habs- burg im Hintergrund. Wasser – Element des Lebens Unten links: Blick in den Sodbrunnen an der Linner Dorfstasse. Bericht im Badener Tagblatt vom 12. Sep- tember 1975. Auf dem Bild links Dr. Günther Linner Wasser für Habsburg und Villnachern Unten: Der beim Dorfstrassenausbau rekon- Sandfuchs; dritter von links der damalige struierte Sodbrunnen. Linner Gemeindeammann Hans Wülser sen. Text Geri Hirt Fotos Michel Jaussi

Wasser ist von lebensnotwendiger Bedeu- dass der Regierungsrat die Verantwortung derte die Haltung der Stimmbürger. 1910 tung, ja Wasser ist Leben! Das kostbare für irgendwelche Schäden ausdrücklich stimmten sie dem Projekt zu. Die gemein- Nass ist speziell auf den Jurahöhen ein rares dem Gemeinderat Gallenkirch zuwies, än- same Wasserversorgung wurde sodann zü- Gut, weshalb man ihm stets Sorge tragen musste. Erst der Anschluss der Vereinigten Wasserversorgung Bözberg (VWV) an das Grundwasserpumpwerk Villnachern garan- tiert seither nicht nur die Versorgungssicher- heit und den Löschschutz auch in Trocken- perioden, sondern ermöglichte nicht zuletzt auch die enorme bauliche Entwicklung.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts bezog man das Wasser hauptsächlich von Sodbrunnen oder einzelnen örtlichen Quellen. Die Linner waren in der durchaus komfortablen Situa- tion, am Linnerberg über einige Quellen zu verfügen. So packte Linn als erste Gemein- de auf dem Bözberg 1909 das Projekt einer Wasserversorgung mit Hydranten an. Die geplante Zusammenarbeit mit Gallenkirch scheiterte vorerst an der schlechten Finanz- lage der Gemeinde Gallenkirch. Erst als der Kanton die prekäre Wasserqualität gerügt hatte, die keineswegs den minimalen An- forderungen genügte sowie der Umstand,

12 13 AUFGEFALLEN AUFGEFALLEN Aufgefallen Denkanstösse von verschiedenen Schweizer Persönlichkeiten Identität «Sie soll die Identität der Region stärken, der Bevölkerung ein Hei- matgefühl vermitteln und der lokalen Community eine Plattform für Informationen sein. In der globalen, digitalisierten Welt wird das immer wichtiger.» Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, in seinem Wochenkommentar vom 1. November 2014 zur Wiederbelebung des «Badener Tagblatt».

Kultur «Kultur ist nicht nur ‚nice to have‘, sondern ein essenzieller Teil unserer Identität.» Felix Gutzwiller, Ständerat aus Zürich an der Ständeratsdebatte zur Kulturpolitik am 12. Zufall oder nicht? – Die geografische März 2015. Nord-Süd Ausrichtung des Aargauer Regierungs- und Grossratsgebäude ist fast auf den Zentimeter identisch mit dem des historischen Dorfteils von Linn an der Dorfstrasse. Sachen gibt’s... Konkordanz-Demokratie «In der Konkordanz-Demokratie dürfen Parteien nicht auf die Mehrheit spielen» Politikphilosophin Katja Gentinetta. Quelle: Renat Kuenzi, Zürich, www.swissinfo.ch, 10. Februar 2015.

Lokaljournalismus «Wer schreibt noch über uns? Ein starker Lokaljournalismus kont- rolliert als vierte Gewalt die lokalen Würdenträger. Doch die gros- sen Verlage untergraben diese Grundlage unserer Demokratie.» Meteo – Am Mittwoch 1. September Ein Warnruf von Catherine Duttweiler in die DIE ZEIT Nr. 47/2014, 13. November 2014. Ein 2015 tauchte Linn plötzlich doch wieder empfehlens- und lesenswerter Artikel: www.zeit.de/2014/47/lokaljournalismus-schweiz-demokratie als Dorf mit Ortschaftsname auf, leider nur auf der Wetterkarte von SRF Meteo. Der Auftritt war also nur sehr kurz, aber uns hat’s gefreut... Minderheiten «Der inhaltliche Einbezug von Minderheiten ist wichtig für die Demokratie.» Ortschaftsnamen – Unser Nachbar- Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger an der Eröffnungsfeier des Erweiterungsbaus des Zent- kanton Basel-Landschaft pflegt einen rums für Demokratie Aarau (ZDA) am 6. Dezember 2014. ganz besonderen Umgang mit seinen Ortschafts- und Gemeindenamen. Die Gemeindenamen zieren nun die neue Bildwelt des Kantons. Auf unsere Anfrage Kompromiss erläuterte uns der 2. Landschreiber des «Es wäre eine Illusion zu meinen, Demokratie bestehe nur aus Kanton Basel-Landschaft, Nic Kaufmann: «Der Kanton Basel-Landschaft wird ab Rechten und Institutionen. Es braucht auch eine demokratische Ge- 2016 ein neues Corporate Design (CD) sinnung. Zu dieser Gesinnung gehören unter anderem der Respekt haben – in allen Medien. Ein Element des vor anderen Meinungen, die Achtung von Minderheiten, eine posi- neuen CD sind die Gemeindenamen des tive Bewertung des Kompromisses und eine Abneigung gegenüber Kantons Basel-Landschaft, die künftig auf Titelfotos hinterlegt sind. In den Social allem Unverhältnismässigen, aller Radikalität. Nur so konnte es ge- Media haben wir dies bereits dieses Jahr lingen, eine Konkordanz- oder Konsensdemokratie zu entwickeln, ausprobiert und sind mit dem Ergebnis die zu einer grossen Stabilität unseres Landes geführt hat.» zufrieden.» René Rhinow (emeritierter Professor für öffentliches Recht) in einem Gastkommentar vom Wir finden das doch sehr interessant... 13. Mai 2015 in der NZZ.

14 15 PLATZHALTER NATUR (2007) Frank Reiser Jurapark Aargau Foto Quelle

Jurapark Aargau

Text Jurapark Aargau

Der Jurapark Aargau ist ein regionaler Na- Für Einwohner und auswärtige Besucher Der Jurapark Aargau in Zahlen: turpark von nationaler Bedeutung. Das wartet die grüne Schatzkammer mit Land- Parkgebiet umfasst 27 Aargauer Gemein- schaftsjuwelen (z.B. Jurahügelzüge mit Mi- • Gegründet im Jahr 2012 den und eine Solothurner Gemeinde. Er schwäldern), Naturperlen (z.B. Orchideen), • 241 km2 umfasst die Hügellandschaft des Ketten- Steinreichtum (z.B. Ammoniten), Gaumen- • 28 Parkgemeinden (AG/SO) und Tafeljuras zwischen Brugg, Laufenburg gold (z.B. Wein und Früchte) sowie vielen • 38‘000 Einwohner Rheinfelden und Aarau. Die Bewohner des Kulturschätzen (z.B. alten Dorfkernen und • 425 Pflanzen- und Tierarten Parks setzen sich in verschiedenen Projek- Bräuchen) auf. von nationaler Bedeutung ten für die Erhaltung und Aufwertung der Natur- und Kulturschätze in der Region ein und sorgen für eine nachhaltige Regional- entwicklung. Organisiert werden die Tätig- keiten im Parkgebiet durch den Trägerver-

ein «Jurapark Aargau». Die Geschäftsstelle Patrik Wald befindet sich im ehemaligen Schulhaus in Foto Linn, unweit der altehrwürdigen Linner Lin- de, die symbolisch für viele Werte des Parks steht. Der Natur- und Kulturweg rund um Linn und das Sagimülitäli repräsentieren ebenfalls anschaulich einige Kernthemen.

Der Jurapark Aargau ist unter anderem in folgenden Tätigkeitsbereichen aktiv: • Regionalprodukte Die Jurapark-Geschäftsstelle befindet sich in Linn. Im Vordergrund die Linner Linde. • Umweltbildung • Artenförderung • Land- und Forstwirtschaft • Landschaftsmedizin Linn im Jurapark. • Naturnaher Tourismus

16 17 PLATZHALTER Michel Jaussi Foto

Jurapark-Landschaft in Linn.

18 19 GESCHICHTE PLATZHALTER Linn im Glanz der unsterblichen Linde

Der Ort Linn verdankt seine Bekanntheit nicht nur dem schönen Ortsbild, sondern vor allem auch der Linner Linde. Der Baum am Nordhang des Linnerbergs hat eine unglaublich lange Tradition und gibt Anlass für viele Sagen. Demgemäss entschied sein Schattenwurf über nichts Geringeres als Sein oder Nicht-Sein der habsburgischen Macht.

Text Irene Wegmann Bider Thomas Zischg und Michel Jaussi

Die Silhouette der Linner Linde hebt sich 800 wechselvolle Jahre markant vom Rücken des Linnerbergs ab. Es gibt keine wissenschaftliche Untersu- Als wäre sie ein Anker für den rastlosen chung, welche das Alter der Linner Linde Blick, halten Wanderinnen und Wanderer belegen würde. Die Angaben bewegen auf den gegenüberliegenden Anhöhen sich zwischen 500 und 800 Jahren. Das des Reuss- und Aaretals inne, suchen die Dorf Linn, dessen Name vermutlich auf Silhouette und rufen erfreut, wenn sie sie die Linde zurückgeht, wurde 1306 erst- entdeckt haben: «Ah, da ist sie ja!» mals urkundlich erwähnt.

Ein alter Baum an gut sichtbarer Lage ist Es ist eine nette gedankliche Spielerei, prädestiniert ein Symbol für die Unver- sich vorzustellen, dass die heutige Linde gänglichkeit zu werden, also auch die tatsächlich mehr als 800 Jahre alt sei. Linner Linde. Ihr mächtiger Stamm – für Dann stand sie schon gegenüber der den es eine Schulklasse braucht um ihn Habsburg, als im Jahr 1273 Rudolf I zum mit Armen umfassen zu können – weist römisch-deutschen König gekrönt wurde. auf die Generationen hin, welche vor Und auch, als 1415 die Berner die Habs- uns lebten, litten und glücklich waren. Sie burger Stammlande südöstlich der macht uns Hoffnung, dass ebenso viele eroberten (und statt die Bewohner zu be- Generationen wie der Baum überdauert freien, sie zu ihren Untertanen machten). hat, nach uns kommen werden. Und ihre Die Linde war Zeugin, als 1460 die Ber- schattenspendende Krone lädt uns ein, ner nordwestlich der Aare den Bözberg über die Toten, die noch nicht Geborenen einnahmen und den Auseinandersetzun- und über unser Leben nachzudenken. gen zwischen Brugg und dem Herrn von Schenkenberg ein Ende setzten. Wo der heilige Gallus predigte Laut Michel Werder (siehe «Baumriesen Könige im sicheren Schatten der Schweiz») stand schon im 6. Jahr- Manche Sage rankt sich um die Linde und hundert eine Vorgängerin der heutigen weiss von ihrem Triumph des Lebens zu Linde bei Linn. Sie diente den Pilgern auf erzählen. So heisst es in einer Sage: Fällt dem Weg zwischen dem Balaton und den der Schatten der Linde nicht mehr auf Ru- Pyrenäen als Wegweiser. So besagt die dolfs Haus – die Habsburg – geht die Welt Sage, dass der heilige Gallus, ein irischer unter. Was für eine Ehre für einen Baum, Missionar, unter der Linde gepredigt ha- wenn sein Ende gleichzeitig das Ende der ben soll. Welt markiert. Und wehe dem, der es wagt, den Baum zu fällen!

Blick von der Habsburg zur Linner Linde am 17. April 2010

2020 21 GESCHICHTE GESCHICHTE

Rechnerisch und fotografisch erwiesen «Leit d linde nüm ihres chöpfli geschichtlich belegbar: eine in den Jahren drei Mal, 1863, 1908 und 1979 wurde sie fällen: Sind dann nicht wir die Mächtigen, Ihr neuer Glanz liegt vielleicht gerade an Vor neunzig Jahren errechnete ein Mathe- ufs Ruedelis hus, so eschs met 1348/49 und eine zweite zwischen 1667 beinahe ein Opfer der Flammen. Die Feu- die über den Tod triumphieren? der Abgeschiedenheit. So wandern man- matiklehrer der Alten Kantonsschule Aarau allne wälte us». und 1669. Der Sage nach sollen die Toten, erwehr rückte die jüngsten beiden Mal aus, che um der Linde willen an den Fuss des mit seinen Schülern, dass der Schatten der welche keinen Platz auf dem Friedhof ge- um den Brand zu löschen. Bereits 1908 Sagen erklären das Unerklärliche, das Le- Linnerbergs und geniessen die Idylle. Und Linde theoretisch zweimal im Jahr, näm- «Leit d‘linde-n-ihr‘s chöpfli ufs funden hatten, ausserhalb des Dorfes Linn wurden die Äste mit Drahtseilen stabilisiert, ben, den Tod, eine Ungerechtigkeit, warum Linn, das seit wenigen Jahren zur Gemeinde lich am 17. April und 26. August, auf die Ruedelis hus, Se-n-isch mit alli begraben worden sein. Um den Tod zu und heutzutage erinnert ein Schild bei der eine Macht aufsteigt und die andere ver- Bözberg gehört, hat Teil an diesem Glanz Habsburg fällt. Der Lehrer beschreibt die weiten us.» bannen wurde auf der Stätte eine Linde ge- Linde daran, dass ein Baumpfleger ihr Ge- geht. Oftmals nimmt sie dazu Magisches zu und ist hoffentlich so unvergänglich wie die Berechnungen ausführlich in den Brugger Aus den «Schweizersagen aus dem pflanzt, denn Linden wird eine Schutzwir- deihen überwacht. Hilfe. Sie stiftet Sinn und gibt einer Gemein- Linde selbst. Neujahrsblättern von 1925. Fotografien, Aargau» nach Rochholz (1856) kung vor bösen Mächten nachgesagt. schaft Grund, sich stolz als solche zu fühlen. die Thomas Zischg von der Habsburg aus Die Linde als eine alte Lady, die dem Tod aufgenommen hat, beweisen, dass die Die Pest gebannt Dem Tod ein Schnippchen schlagen mit Hilfe von Baumchirurgie trotzt! Dass Der Schattenwurf der Linner Linde hat seine Sonne aus Sicht der Habsburg, tatsächlich Auf ganz andere Weise zeugt eine Sage um Obwohl die Linner Linde in Sagen über Tod das Leben der Linde endlich ist, macht sie Bedeutung eingebüsst. Auch die Gesund- hinter der Linde untergeht. die Linner Linde vom Triumph des Lebens. und Machtwechsel triumphiert, zeigt sie uns umso teurer. Denn solange es in unse- heit der Bevölkerung hängt nicht mehr vom Zwei Pestepidemien sind auf dem Bözberg ihre eigene Gebrechlichkeit. Mindestens rer Macht steht, sie zu hegen und nicht zu Schutz der Linde ab. Verhängnisvoller 17. April 1415 Oben: Sicht von der Linner Linde ins Aaretal, In einer Sage, die von Ernst Ludwig Roch- aus dem Nebel ragt die Habsburg. holz Ende des 19. Jahrhunderts aufgezeich- net wurde, heisst es in einer Verkehrung Unten: Blick von der Habsburg zur Linner Linde am 17. April 2010. der ersten Schatten-Sage: Eben gerade dann, wenn die Linde ihren Schatten auf Rudolfs Haus wirft, ist es aus mit der Welt. Die Variante könnte auf den Wandel der Machtverhältnisse im Jahr 1415 anspielen. Die Berner begannen den Eroberungszug auf die habsburgischen Stammlande am 18. April 1415, just einen Tag nachdem der Schatten der Linde wahrscheinlich auf die Irene Wegmann ist Germanistin, Jour- Habsburg fiel. nalistin und seit 2015 Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie «Git d‘Linner Linde nüm Schatte wohnt mit ihrer Familie in , für welche die Linde von Linn ein beliebtes ofs Ruedelis Hus, so isch mit alle Darstellung des geometrischen Modells zur Berechnung des Datums des Schattenwurfs Ausflugsziel ist. Walte us». der Linner Linde auf die Habsburg (publiziert in den Brugger Neujahrsblättern 1925).

22 23 SAGEN VERSCHIEDENES Sandra Ardizzone / Aargauer Zeitung Sandra Ardizzone Foto «Der Lindwurm» Eine moderne Sage, erzählt von den «Sagenstarken»

Sie spazierte zur Linner Linde und schaute konnte, lenkte ein Rascheln ihre Aufmerk- Als sie mit dem Kind vom Baum herunter- übers Land. Auf der gegenüberliegenden samkeit aufs Geäst. Sie vernahm ein feines kletterte, lösten sich immer mehr Fäden aus Hügelkette ragte die Habsburg aus dem Stimmchen, das ihr zuraunte: «Schau her, der Windel. Das Körperchen wurde immer rotgoldenen Herbstwald. Die Abendsonne ich bin hier! Befreie mich, dann gehöre ich kälter. Kaum hatte sie Boden unter den Olma – Der Kanton Aargau hatte an der OLMA 2015 seinen Gastauftritt. Auch die Linner Linde hatte ihren prominenten Auftritt und liess die Farben geradezu explodieren. Die dir.» Sie kniff die Augen zusammen, etwas Füssen, lief sie über die Wiese. Die Fäden wurde von Landammann Dr. Urs Hofmann, dem Vize-Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann und dem Aargauer Gross- Ruine stand wie erloschen in diesem Feuer. Helles schimmerte zwischen den Blättern schwebten nun überall in der Luft, verfin- ratspräsidenten Markus Dieth an der Eröffnungsfeier vom 8. Oktober spontan als fotogener Hintergrund ausgewählt. hindurch. Ein Vogel? Nein, ein zartes Ba- gen sich in ihren Haaren und klebten in ih- Alles war übers Jahr gekeimt und gereift bygesichtchen! Dort oben im Baum lag ein rem Gesicht. Doch sie achtete nicht darauf. und schien nun in Flammen zu stehen. Alles Findelkind! Sie war besessen von dem Gedanken, das ausser der Burg und ihr selbst. Der Schat- Kind daheim warm zu reiben. ten der Linde legte sich auf sie. Sie setzte Sein Körperchen steckte in einer Art Kokon. Gemeinsame Generalversammlungen des Dorfvereins Linn sich auf eine Bank. Bald würde die Sonne Jemand musste es in Stoffwindeln gewickelt Als sie den Garten erreichte, war der Stoff und des Vereins ProLinn untergehen und unten im Tal die Lichter an- haben. Sie streckte die Hände aus, doch das völlig zerfranst. Die nackte Haut des Kindes gehen. Jetzt schon sah man vereinzelt, wie Kind war unerreichbar. Wieder hörte sie leuchtete. Es hatte das Gesichtchen in ih- im Wald auf der anderen Talseite die Lichter das feine Stimmchen: «Nimm mich herun- rer Armbeuge verborgen. Sie drückte den eines Autos nach dem Weg spähten. ter, dann gehöre ich dir.» Sie begann den Ellbogen auf die Klingel und läutete Sturm. dicken Stamm hochzukletterten, arbeitete Ihr Mann öffnete. Er wich vor ihr zurück. Sie Es war ein guter Sommer gewesen. Bohnen sich langsam und mit ruhigen Bewegungen konnte nicht sprechen, der Mund war ver- und Fenchel waren in ihrem Garten gedie- zu dem Kind vor. Sie wollte es auf keinen klebt von den Fäden. Sie deutete auf das hen, Storchenschnäbel, Stiefmütterchen, Fall erschrecken. Manchmal kam ihr ein Kind. Ringel- und Sonnenblumen hatten geblüht. Drahtseil, das die Äste stabilisierte, zu Hilfe. Vor einer Woche waren die Astern aufge- Endlich erreichte sie die Astgabel, auf dem Da lag ein riesiger Wurm. Er wand und gangen. das Baby lag. Es hatte die Augen geschlos- drehte sich, rollte sich vom Arm, aus dem sen und der Mund machte kleine Saugbe- alle Kraft gewichen war, und kroch schnell Sie hatte viel Zeit gehabt, um das Blühen wegungen, als hätte es Durst. Das Tuch, in durch den Garten davon. und Vergehen zu beobachten. Manchmal das es kunstvoll eingewickelt war, schim- war sie wütend geworden, weil sie selbst merte weiss wie Seide. Sie hörte sich laut nicht Teil dieses Entstehens war. Ihr Mann sagen: «Du brauchst keine Angst zu haben. hatte sie ausgelacht, wenn sie mit traurigem Ich befreie dich, mein Kleines.» Gesicht Samen von den verblühten Pflanzen ablas. «Freu dich doch ein wenig», hatte er Als sie den Stoff berührte, vernahm sie ei- sie gemahnt. Sie hatte gelächelt, während nen wohligen Seufzer, und ein Zittern ging das Gefühl an ihr nagte, dass der Kreislauf durch das Körperchen, als wolle es sich stre- «Sagenstark» – Das Autoren-Duo der Natur sie ausgeschlossen hatte. cken und sich aus seinem engen Gefängnis Der Präsident von ProLinn, Dr. Hans-Martin Niederer (links), übergibt als Geschenk Irene Wegmann und Peter Rüegg aus befreien. Der Stoff war feucht und klebrig. eine Linner Fahne dem Präsidenten des Dorfvereiens Linn, Rolf Fries. Windisch erfindet Sagen und publiziert Sie wurde am Rücken berührt. Erschrocken Und als sie das Kind in ihren Arm nahm, da diese mit einer Illustration auf einem wandte sie sich um und sah ein dunkles Ge- schwebten ein paar Fäden davon. Es musste Die Generalversammlungen der beiden Linner Vereine «Dorfverein Linn» und «Pro- Blog. wusel im aufgerissenen Lindenstamm. An- schon recht ausgekühlt sein, denn alle Wär- Linn» wurde am 20. März 2015 in der ehemaligen Gaststube des Restaurants zur Link: sagenstark.wordpress.com, E-mail: gestrengt starrte sie in die Eingeweide des me schwand aus ihrem Körper, während sie Linde in Linn gemeinsam abgehalten. Anschliessend folgte ein gemütliches Zusam- [email protected], www. Baumes, um herauszufinden, was sich dort es im Arm wiegte. mensein bei Brot, Wurst, Salat und Wein. facebook.com/Sagenstark bewegte. Doch bevor sie etwas erkennen

24 25 PLATZHALTER GESCHICHTE In Linn fiel der Schatten länger auf habsburgischen Boden Das Jahr 2015 begeht der Kanton Aargau im Gedenken an die Ereignisse vor 600 Jahren, als die Ber- ner die Habsburger Herrschaft ablösten. Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass 1415 nur die rechtsufrige Seite des heutigen Bezirks Brugg vom Machtwechsel betroffen war und die Linner noch 45 Jahre länger bei der habsburgischen Landesherrschaft verblieben als die Stadt Brugg.

Text Titus J. Meier

Ende des 14. Jahrhunderts war die Einheit gestanden haben. Diese führten im Gepäck in Brugg Zollfreiheit. und Solothurn des Heiligen Römischen Reichs, zu dem so- auch eine Kapitulationsurkunde mit sich, ihrerseits versprachen, die Rechte der Stadt wohl die habsburgischen sowie auch die welche die Brugger unterzeichnen muss- Brugg zu belassen und sie im Kriegsfalle zu eidgenössischen Gebiete gehörten, durch ten. Darin sagte sich die Stadt Brugg von unterstützen. Da die Städte im Namen des innere Streitigkeiten bedroht. Drei Päpste, seiner bisherigen Herrschaft, den Herzogen Reichs handelten, war Brugg – rein rechtlich jeweils von unterschiedlichen Fürsten un- von Österreich, los und schwor als «ein ge- gesehen – ans Reich gefallen. Bern woll- terstützt, wetteiferten um die Vorherrschaft recht fry und unbetwungen richstatt» dem te sich auf gar keinen Fall auf einen Streit in der katholischen Kirche. Der König des Reich und den Städten Bern und Solothurn mit dem König einlassen und erwarb am Reichs, Sigmund von Luxemburg, wollte ewige Treue. Alle Rechte der bisherigen 1. Mai 1418 gegen eine Bezahlung von eine Einigung erreichen und lud deshalb Herrschaft fielen an Bern und gleichzeitig 5000 Gulden die Pfandschaft über die er- zum Konzil nach Konstanz ein. Dort hoffte erhielten die Bürger Berns und Solothurns oberten Gebiete von König Sigmund. Dies er Kraft seines Amtes als Vogt und Beschüt- zer der Kirche die Fürsten dazu zu bringen, sich auf einen neuen Papst zu einen. Dazu wäre aber der Rücktritt der bisherigen Päps- te notwendig gewesen. Papst Johannes XXIII. wollte seine Macht jedoch nicht ver- lieren und floh mit Unterstützung des habs- burgischen Herzogs Friedrich IV. aus Kons- tanz. König Sigmund reagierte umgehend und verhängte Ende März 1415 faktisch die Reichsacht über den Habsburger, um ein Scheitern des Konzils zu verhindern.

Auch die eidgenössischen Orte vernah- men den Aufruf des Königs, die Besitztü- mer Friedrichs IV. zu behändigen und dem Reich zu übergeben. Bern zögerte nicht lang und nahm am 18. April 1415 zusam- men mit Solothurn und Biel die Stadt Zo- fingen ein. Innert kürzester Zeit eroberten die Berner mehrere Burgen und Städte und am 20. April kapitulierte auch die Stadt Brugg. Wie auch Lenzburg dürfte Brugg den Angreifern ziemlich hilflos gegenüber

Bild links: Einnahme der Habsburg. Dar- stellung in der Spizer Chronik von Diebold Schilling, 1484/85. Provenienz: Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.I.16, p. 629, Foto: Codices Electronici Territoriale Aufteilung des Aargaus nach der Eroberung durch die Eidgenossen. AG, www.e-codices.ch. Quelle: Wikipedia

26 27 GESCHICHTE AUS UND ÜBER LINN passte allerdings dem habsburgischen Her- zog Friedrich IV. nicht, der noch jahrelang auf eine Rückgabe seiner ehemaligen Ge- biete im Aargau pochte. Da er jedoch im- mer wieder in Auseinandersetzungen mit

dem König verwickelt war, bekam er von André Albrecht dieser Seite keine Unterstützung. Foto

Obwohl sich Friedrich IV. bereits im Mai 1415 König Sigmund unterworfen und letz- terer die Eidgenossen aufgefordert hatte, ihren Eroberungszug einzustellen, liessen die Eidgenossen es sich nicht nehmen, am 17. Mai 1415 die Stadt und Festung Ba- den einzunehmen. Dadurch gelangte das wichtige Archiv der Habsburger in eidge- nössische Hände. Die Eidgenossen mussten fortan die gemeinsam eroberten Gebiete im Freiamt und in der Grafschaft Baden auch gemeinsam verwalten. Dazu trafen sie sich regelmässig zur Tagsatzung in Baden, die dadurch zu einem verbindenden Element unter den eidgenössischen Orten wurde.

Dies alles betraf wohl die südliche Hälfte des Bezirks Brugg, nicht jedoch den Norden oder die Menschen in Linn, die unter habs- burgischer Landesherrschaft verblieben. Mit Der klassische Sonntagsausflug dem Einmarsch der Berner wurde die Aare zum Grenzfluss und zerschnitt die bisheri- gen Beziehungen zwischen der Stadt und Text und Foto Marianne Steiner-Gygli der Herrschaft Schenkenberg, zu der auch das Amt Bözberg gehörte. Die Inhaberin der Es gibt ihn noch, den klassischen Sonntags- Zu Beginn, auf der Habsburg, war ich mit len sich die Halbwüchsigen demonstrativ, Herrschaft Schenkenberg, die verwitwete ausflug der Familie – er hat weitergelebt, dem Ausladen der Dekoration und der Rol- während die jüngeren Kinder ausgelassen Margaretha von Fridingen, geborene Gess- von mir unbemerkt. Er hat nicht einmal ein latoren beschäftigt. Ich achtete kaum auf spielen – ohne sich schmutzig zu machen. ler, befand sich nun in einer ungemütlichen Schattendasein gefristet, nein. Ich war ein- die Dinge, die mich umgaben. Selbst die Neu ist, dass Grosseltern einen Rollator vor Lage. Sie erkannte, dass ihre Landesherren, fach nie mehr dabei und darum hat er für Tatsache, dass ich nur mit Mühe eine Park- sich hinschieben. Zwei Kinder spielten mit die Habsburger, zu geschwächt waren, um mich aufgehört zu existieren. lücke fand, rüttelte mich nicht auf. einem davon, ausgelassen und von Hunden ihr im Ernstfall Schutz zu bieten. Deshalb umtänzelt. Die dazugehörende Grossmutter versuchte sie sich nach allen Seiten abzusi- Bis am letzten Sonntag war für mich der Erst als unser Autokonvoi nach dem Mittag- war nicht in Sicht. chern. Dazu erwarb sie ein Haus in Brugg Sonntagsausflug «en famille» eine me- essen zur Linde von Linn aufbrach, erkannte und wurde Bürgerin der Stadt. Gleichzeitig lancholische Erinnerung: Kniesocken, von ich mit Schrecken, dass ich mittendrin und Ich fotografierte die Leute, die Linde, die Au- bat sie König Sigmund um eine Bestätigung der Grossmutter gestrickt, gesprenkelt mit ein Teil davon war: Ich karre an einem Sonn- tos und gesellte mich dann zu meiner Fami- ihrer Herrschaft. 1423 wandte sie sich we- Gummiband. Die Pullis der Brüder aus der- tag, blauer Himmel, Sonnenschein, mit dem lie; nicht ohne verstohlen den uralten Baum gen Auseinandersetzungen mit ihren Bür- selben Wolle, in grün. Lackschuhe, Blazer, Auto durch die Gegend, ich, zusammen mit zu streicheln und zu küssen – wie immer gern an die Stadt Bern, damit der Rat einen dunkelblau, eine Literflasche Pepita – der allen anderen, die das auch tun! eben. Ich liebe diese besondere Linde. Schiedsspruch fällen konnte. 1431 erwarb Gedenkjahr 1415-2015: Feier in der Stadt- Papagei auf der Etikette, eine grosse Por- Freiherr Thüring von Aarburg die Herrschaft kirche Zofingen, Ansprachen, mittelalter- tion Pommes Frites für alle. Beim Spazieren Verschämt parkierte ich meinen Wagen am Schenkenberg und ging im folgenden Jahr liche Musik und szenische Interventionen auf der Strasse bleiben, die Sonntagskleider Feldrand in eine Lücke zwischen den vielen erinnerten zum Auftakt des Gedenkjahres ein Burgrecht mit Brugg ein. Auch Junker nicht verdrecken. Erwachsene, die reden, Wagen der anderen. Ich kann nicht sagen, 1415 an den Einmarsch der Berner Truppen Anton von Ostra, Inhaber der Herrschaft reden, reden. Die Mutter mit der Tante, der dass mir wohl war, als ich ausstieg. Man in Zofingen. Eine stimmige Feier zum Auf- Vater mit dem Onkel. schien mir jedoch meine innere Zerrissenheit Villnachern, wurde über ein Burgrecht zu takt des aargauischen Gedenkjahrs «1415 nicht anzusehen: Ich will das nicht sein, ich einem Bürger der Stadt Brugg. Diese Beispie- – die Eidgenossen kommen». Landammann Diamanthochzeit, 60 Jahre verheiratet! Am finde es schrecklich und so bieder, dass es le zeigen einerseits, dass die Aare nicht zu Urs Hofmann bei seiner Ansprache. einer absoluten Grenze wurde und anderer- letzten Sonntag feierten wir dieses Ereignis fast weh tut: ein Sonntagsauflug mit dem Marianne Steiner-Gygli ist in Brugg seits, dass Bern schrittweise seinen Einfluss mit unseren Eltern. Wir besuchten zwei je- Auto, die ganze Familie! Ich möchte heraus- aufgewachsen und lebt heute in Titus Meier, lic. phil. UZH Historiker, FDP in die Herrschaft Schenkenberg und das Amt ner Orte, die wir besuchen, wenn wir einen schreien, dass ich das letzte Mal mit dem Schenkon. Sie schreibt kurze Ge- Politiker. Seit 2009 ist er Grossrat im Bözberg auszudehnen versuchte. Aber erst Familienanlass in der Region Brugg feiern: Velo hier war, von Böttstein her kommend schichten aus dem Alltag, normale Kanton Aargau, im Jahr 2006 wurde 1460, als die Eidgenossen mit den Habsbur- Wir, das sind meine Brüder, ich und unsere auf dem Weg zur Staffelegg. Begebenheiten, die dadurch, dass sie er in den Einwohnerrat von Brugg gern um die Landgrafschaft Thurgau stritten, Anhänge. Die Orte sind die Habsburg für beobachtet und erzählt werden, einen gewählt. Er ist Mitglied der Kommission besetzten die Berner die Herrschaft Schen- das Mittagessen und die Linde von Linn für Ich stellte fest: Die Erwachsenen plaudern besonderen Wert erhalten. Gesundheit und Soziales im Grossen die Seele. immer noch paarweise und geschlechter- kenberg mit dem Bözberg. Fortan, bis 1798, Blog: www.mariannesteiner.com Rat. waren die Linner nun Untertanen Berns. getrennt miteinander. Wie gehabt, langwei-

28 29 POLITIK POLITIK

offenbar die Gewissheit, dass der Bözberg technisch wissenschaftlichen auf dem Gebiet der ganzen Schweiz einer Grundlagen und deren pro- der beiden am besten geeigneten Standorte jektbezogene Beurteilung und

für ein Atommüll-Endlager ist. Dieses Vor- Dokumentation zuhanden der Geri Hirt

(Bildmontage) gehen ist vergleichbar mit der Vorstellung, Aufsichtsbehörde ENSI. Statt- Foto man hätte die geologische Prognose für den dessen werden mit tsunamiar- Gotthard-Basistunnels aufgrund von drei tigen Berichtsfluten die längst Bohrungen abgestützt: Kein Tunnelbauer vorgefassten Wunschszenari- Keystone hätte sich daran die Finger verbrennen wol- en als «objektiv», d.h. die den Foto len!! eigenen Kriterien «genügen- den» Endlagerprojekte dem Hier ist festzuhalten, dass die Riniker Boh- völlig überforderten Publikum rung, die im Sand des Permokarbon-Trogs vor die Füsse gespült. Überfor- – und nicht wie von den «Spezialisten» dert und wie gelähmt ange- der Nagra damals prophezeit im Granit des sichts dieser Berichts-Monster- Grundgebirges – stecken blieb, damals als wellen ist jedoch in eklatanter für weitere geologische Untersuchungen Weise die Fachbehörde ENSI: und damit für ein Endlager als ungeeignet Dieses «Inspektorat» müsste eingestuft worden ist. Doch die Resultate ja eigentlich als Anwalt der dieser Bohrung aus dem Jahr 1983 dienen Öffentlichkeit die Nagra kri- heute der Nagra als Referenzpunkte für die tisch beaufsichtigen. Doch Festlegung des Standorts Bözberg. von dieser Aufgabe ist wenig bis nichts zu spüren. Es ist Ein weiterer Punkt, der an der Seriosität ein offenes Geheimnis, dass der Nagra Zweifel aufkommen lässt, ist der das ENSI eng mit der Nagra Umstand, dass die Nagra im Frühjahr 2015 verbandelt ist. Böse Zungen von sechs oder sieben Sondierstandorten behaupten gar, dass das ENSI auf dem Bözberg gesprochen hat. Bloss drei nach der Geige der Nagra Monate später sind die vorgesehenen Tief- tanzt. bohrungen auf deren drei reduziert worden. Wer soll da diesen «Experten» noch Glau- Geologe Marcos Buser bezeichnete an der ben schenken?! Offensichtlich diktiert der Veranstaltung vom 24. September 2015 das Sparauftrag der AKW-Betreiber die soge- ENSI als «schwach» und als «Fehlaufsicht». Keystone

nannte «Explorationsstrategie». Die Frage, wer eigentlich das ENSI als Auf- Foto sichts- und Sicherheitsbehörde kontrolliert, Atommüll im Bözberg? Ein künstlicher Zeitdruck ist unbeantwortet: Im dafür zuständigen Nach 40 Jahren erfolglosem Werkeln mit ENSI-Rat ist vornehmlich Stillschweigen die Die Nagra hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt milliardenschweren Kosten ist die Nagra Devise! heute ganz massiv unter politischen und wirtschaftlichen Druck geraten: Jetzt müs- Ein Scheinverfahren sen Teufel komm raus Fakten geschaffen Text Geri Hirt Die Standortevaluation für ein Endlager ist Oben: Nagra Probebohrung 1983 in Rinken. werden. Die Nagra, die sich selbst als neutra- ein Scheinverfahren, eine im Grunde skan- Die Ende Januar 2015 bekannt gegebene 1998/99) abgeteuft worden ist (einschliess- sein, um festzustellen, dass dieses Gebiet, le, fachkompetente Expertenstelle zwischen dalöse milliardenschwere Inszenierung, die Mitte: Regierungsrat Stephan Attiger erläu- Einengung möglicher Endlager-Standorte lich einer 3D-seismischen Erkundung), hat das seit Jahrzehnten mit dieser Technolo- AKW-Betreibern, der Politik und der Bevöl- jetzt mit der Reduktion auf zwei Standorte tert die Haltung des Kantons Aargau: auf nunmehr schweizweit zwei Standorte, im Bözberg noch niemand gebohrt, nicht gie verbunden ist und davon gut lebt, einen kerung rühmt, ist längst nicht mehr politisch nach 40 Jahren im Hau-Ruckverfahren auf «Wir wollen kein Endlager im Kanton Aargau». neutral. Zusammen mit dem Bundesamt für hat sowohl in Fachkreisen als auch beim einmal die Zementindustrie. Dennoch gilt der pflegeleichteren Boden für ein Endlager bie- die Zielgerade gebracht werden soll. Jetzt, Energie werden örtliche Veranstaltungen or- Aargauer Regierungsrat und in breiten Krei- Bözberg schon jetzt als «Favorit» unter den tet, als beispielsweise die Innerschweiz mit da die Hauptzahler – die Stromkonzerne – ganisiert, an denen keine Experten mit dif- sen der Bevölkerung für Staunen, ja Unver- Endlagerkandidaten. Dies erstaunt sowohl in ihrem an der Urne zweimal abgeschmetter- finanziell mageren Jahren entgegenbangen, ferenzierten Argumenten geduldet werden, ständnis gesorgt. Nach rund 40 Jahren mit Geologen- als auch in Politikerkreisen. ten Wellenberg. wird durch die in keiner Weise begründba- um ja keine Kritik aufkommen zu lassen. verschiedenen selbst verschuldeten Rück- Diese einseitigen Veranstaltungen werden in re Einschränkung auf bloss zwei mögliche schlägen (Projekt Kristallin; Wellenberg) Sind es wirklich nur geologische Kriterien Wie bereits festgestellt, ist im Bözberg bis- möglichst kleinem Rahmen abgehalten, da Standorte viel Geld gespart. Zudem wird ist die Geschäftsleitung der heute über oder spielt auch die politische Machbarkeit her keine Tiefbohrung abgeteuft worden. sich solche Versammlungen besser kontrol- durch die obsessive Fixierung der Nagra 100-köpfigen Nagra-Equipe zu diesem Ent- bei der Standortwahl wesentlich mit? Diese Die Experten der Nagra – und diejenigen des lieren lassen. Fragen aus dem Publikum wer- auf die «sachplangestützte» Rahmenbe- scheid gekommen! Frage drängt sich geradezu auf. ENSI (Eidgenössisches Nuklearsicherheits- den «aus Zeitgründen» abgewürgt. Öffentli- willigung für einen Standort der Verdacht Geri Hirt ist im «Atomdorf» inspektorat), welche die Nagra eigentlich che Veranstaltungen mit kontradiktorischem begründet, dass die «Branche» letztlich gar Würenlingen aufgewachsen. Er ist In der ganzen Schweiz gibt es somit gemäss Bözberg – politisch geeignet kontrollieren sollten – haben aufgrund der Potenzial scheuen die Organisatoren wie der kein Endlager bauen will: Für die absehba- überzeugt, dass die atomaren Abfälle Nagra nur zwei Standorte, die geologisch In der Region Ost-Aargau wohnen über- 1983 in erfolgten Tiefbohrung sowie Teufel das Weihwasser. Erst auf Druck kri- ren, enormen Baukosten werden die an der möglichst sicher und rückholbar für ein Endlager prioritär geeignet sind. Die- proportional viele Leute, die eng mit der der vor wenigen Jahren vorgenommenen tischer Bürgerinnen und Bürger ist am 24. Pleite vorbeischrammenden Atomkonzerne gelagert werden müssen. Die Stand- se Feststellung provoziert in der Tat einige Energie- und Atomtechnik verbunden sind. 2D-seismischen Exploration (mittels Vibrati- September 2015 ein Info-Anlass mit zwei kaum aufkommen können. ortwahl muss auf geologischen Fakten Fragen, insbesondere in Bezug auf die Se- Einige Tausend Personen arbeiten bei ABB, onsfahrzeugen) ein paar wenige, weit ausei- kritischen Referenten durchgeführt worden. und entsprechenden internationalen riosität und die Glaubwürdigkeit der Nag- Alstom, PSI oder in den Atomkraftwerken nanderliegende geologische Profile konstru- Das atompolitische Fiasko ist vorprogram- Standards basieren und darf keinesfalls ra. Während im Gebiet des Zürcher Wein- Beznau, Leibstadt oder Gösgen. Da braucht iert. Diese vage und lückenhafte geologische Die Aufgabe der Nagra wäre grundsätz- miert: Würenlingen wird noch lange auf den aufgrund politischer Kriterien erfolgen. lands zumindest eine Tiefbohrung (Benken, man nicht Politologe oder Wahrsager zu Information gibt den Mitarbeitern der Nagra lich die ergebnisoffene Beschaffung der Castorbehältern «sitzen»…

30 31 DEMOKRATIE DEMOKRATIE

Mehrheit wird, schmückt sich das nationale Grundgesetz mit dem Artikel 8, der sämtli- chen Bewohnern des Landes unantastbare Rechtsgleichheit zusichert und Diskrimina- tion unter Strafe stellt. Er ist eine der wich- tigsten Errungenschaften unserer Landes- geschichte. Doch was passiert, wenn das mächtigste Organ, das Volk, sich für Anlie- gen einsetzt, die im Widerspruch zu diesem Grundsatz stehen?

Andreas Glaser, Professor für öffentliches Recht und Direktionsmitglied des Zentrums für Demokratie, referierte an den siebten Demokratietagen zu diesem Thema und er- klärte, warum trotz des Schutzartikels, Dis- kriminierungen in gewissen Fällen erlaubt seien. Es sei eine Frage der Abwägung von Argumenten, basierend auf sachlichen und vernünftigen Gründen, ob der Artikel zur Anwendung komme oder nicht, so der Be- fund von Glaser. Seine Schlussfolgerung sinnvoll erachte, eine bundesrechtskonfor- stützt er mit dem Burkaverbot. Ein solches me Gesetzschreibung aber möglich sei. Die befürwortete das Tessiner Volk und lies es Diskrepanz zwischen den verschiedenen ins Gesetzbuch schreiben. Zu gleicher Zeit Gerichten bestätigt den Befund von Glaser, wurde das Verbot aber im Kanton Basel- dass der Begriff der Ungleichheit innerhalb land gerichtlich als verfassungswidrig de- des direktdemokratischen Systems immer klariert. Mit der Fürsprache des Europäi- ein relativer sei und in Übereinkunft mit der schen Gerichtshofes für Menschenrechte obersten Satzung gebracht werden kann, zur Rechtmässigkeit eines ähnlichen Verbo- sofern genügend sachliche Gründe vorlie- tes in Frankreich, der keinen Widerspruch gen. zwischen dem Verbot und der Konvention Links: Regierungsrat Alex Hürzeler eröffnet ausmachen konnte, war die Verwirrung Das Volk hat immer Recht als Vorsitzender der Gesellschafterversamm- perfekt. 2014 beantragte auch der Bundes- Am Beispiel des Burkaverbotes scheiden lung des Zentrums für Demokratie Aarau. rat die Billigung der Verfassungsänderung sich die Geister. Fakt ist, die Idee eines Ganz oben: Kultur- und Kongresshaus Aarau. Mehrheit bestimmt im Tessin. In seiner Medienmitteilung hielt solchen Artikels steht im eindeutigen Wi- Oben: Rechtsprofessor Andreas Glaser. das Exekutivorgan fest, dass er das Ver- derspruch zum Diskriminierungsartikel. Unten: v.l. Wolf Linder, Samantha Besson, bot angesichts der geringen Anzahl von Das letzte Wort wird mit grosser Wahr- Moderatorin Sonja Hasler, Hans-Ueli Vogt (Un)Gleichheit verhüllten Frauen in der Schweiz nicht als scheinlichkeit auch hier kein Bundesrich- und Andreas Glaser auf dem Podium. Erträgt eine direkte Demokratie Ungleichbehandlung?

Text Elia Blülle Fotos Michel Jaussi

Die Grundform der Demokratie, entstan- nale Politgrössen wie Altbundesrat Moritz das «Zentrum für Demokratie» besonders. den in den griechischen Polis, gestützt von Leuenberger füllen Zeitungen seitenweise Die Hochschuleinrichtung mit Sitz in Aarau den grossen Staatsphilosophen der Antike, mit düsteren Lageberichten, internationale hat die Ungleichheit innerhalb der Schwei- hat Jahrtausende überdauert. Das Gute Kritiker betonen, welche potente Gefahr zer Staatsform zum Tagungsmotto der überlebt! In der Schweiz hätte die direk- vom Volksbeschluss als letztes Mittel aus- siebten Demokratietage erklärt. te Demokratie ihre Vollendung gefunden, gehe und dass sie Ungleichheiten fördere. pflegen die Einheimischen zu sagen. Man Umstrittene, knappe Abstimmungsent- Diskrimination ist relativ ist stolz hierzulande auf die einzigartige scheide, die Freiheiten grosser Minderheits- Volksentscheide zugunsten der Massenein- Staatsform, welche in den über 160 Jah- gruppen einschränken, haben eine Debatte wanderungs- oder Minarettverbotsinitiati- ren ihres Bestehens noch jede Unsicherheit zur direkten Demokratie über die Landes- ve unterziehen unsere Bundesverfassung überstanden hat. Zurecht: Rund 60 Prozent grenzen hinweg befeuert und sind Wasser einer Zerrreisprobe. Es ist das eingetroffen, aller auf der Welt verabschiedeten Volks- auf die Mühlen der Skeptiker. Ist unsere was Skeptiker des majoritären Systems entscheide treffen Schweizer Bürger. Eine direkte Demokratie gerecht? Eine Frage, schon lange befürchten: The-winner-takes- Auszeichnung für den Kleinstaat. Doch die die gestellt werden darf oder besser, ge- it-all. Zwangsläufig werden Minderheiten Schweizer Demokratie durchläuft zurzeit stellt werden muss. Diese Imperfektion der bei Entscheiden benachteiligt. Damit aus einen Wandel, der kein leichter ist. Natio- scheinbar perfekten Staatsform beschäftigt der Basisdemokratie keine Tyrannei der

32 33 DEMOKRATIE WISSEN Wussten Sie schon? Fakten zu Sonne, Mond und menschlichen Schwächen

Sonnenfinsternis Plötzlich war alles in ein ganz beson- deres Licht gehüllt. Eine Dämmerung mitten am Tag. Auch an unserem Dorfeingang in Linn bei der Linner Linde wurde das Spektakel der partiel- len Sonnenfinsternis von interessierten Besuchern verfolgt. Die nächste partielle Sonnenfinsternis in der Schweiz wird es erst wieder am 12. August 2026 geben. Dann wird die Bedeckung bei 90 Pro- zent liegen. Eine totale Sonnenfinsternis in der Schweiz gibt es jedoch erst am ter, sondern der Stimmbürger haben. Eine 3. September 2081! (MJA) entsprechende Initiative von SVP-National- rat Wobmann steht vor der Lancierung. Stimmt es zu, steht das Verbot endgültig Besserwissen und Recht- in der Verfassung. Doch hat das Volk im- Foto Thomas Zischg, Linn mer recht? Ist es fähig, unter den nach Gla- haberei als Verhalten «Supermond» ser relativen Facetten der Diskriminierung Ähnlich wie beim Fanatiker stößt die Der besonders helle und nahe Vollmond zu unterscheiden? Für Andreas Glaser ist Umgebung sich am «Besserwisser», weil – «Supermond» genannt – tauchte klar: «Das Volk hat immer recht, was nicht er stur und oft moralisierend an einer zwischen 4:11 und 5:23 Uhr komplett in heisst, dass es richtig liegt.» Zusätzlich hält als vorgefasst empfundenen Meinung den Kernschatten der Erde ein. Obwohl er dem Schweizer System zugute, dass die Oben: Jolanda Urech Stadtpräsidentin von festzuhalten scheint. Manchen Besser- Aarau, Aarauer Einwohnerrätin Gabriela Su- der Mond im Kernschatten lag, erschien institutionelle Zusammenarbeit reibungs- wissern wird zugestanden, tatsächlich ter und weitere Zuhörerinnen und Zuhörer. er nicht ganz dunkel. Dies deshalb, los funktioniere, wodurch alltägliche Dis- etwas von ihrem Thema zu verstehen. weil die Atmosphäre der Erde das kriminierung besser erfasst und behoben Sie würden aber versuchen, durch Kleines Bild: Professor Dr. Daniel Kübler in Sonnenlicht bricht. Bei dieser totalen werden könne. Das Volk müsste nicht vor Demonstration von Fachwissen sozialen Diskussion mit den Podiumsteilnehmern. Mondfinsternis verfärbte sich der weiss sich selbst geschützt werden, zum Bei- Status als fachliche Autorität zu gewin- leuchtende Vollmond im Kernschatten spiel in Form eines Verfassungsgerichtes. nen. Ihre Äusserungen werden somit der Erde zu einer rot glühenden Kugel – Er attestiert dem Souverän ein tendenziell als Angriff auf Autoritätsstrukturen dem «Blutmond». Da rotes Sonnenlicht grosses Verantwortungsbewusstsein und er empfunden, welche von den anderen in der Erdatmosphäre stärker gebrochen sehe das System nicht in Gefahr. Im Gegen- Beteiligten stillschweigend anerkannt wird als etwa blaues Licht, fiel rötliches teil: Mit der direkten Demokratie baue die werden. Ihre Umgebung empfindet Sonnenlicht auf den Vollmond. Diese Schweiz auf Fels. daher Zeitpunkt und Inhalt der Äus- Überlagerung von Supermond und Blut- serungen als der sozialen Situation SRF bi de Lüt – mond kommt selten vor. Das Spektakel Demokratie ist der hellenische Ausspruch unangemessen. Kommunikatives Ziel war auf der Erde letztmals 1982 zu für Herrschaft. Herrschaft der Mehrheit. Wunderland der Benutzung des Begriffs Besserwisser beobachten, und nun lässt es wieder bis Tyrannei der Mehrheit? Die Frage ist nicht kann damit auch sein, durch heimlichen 2033 auf sich warten. Gewisse Astrono- neu, hat Generationen von Staatsphiloso- Nik Hartmanns Route begann im Was- Verweis auf bestehende Autoritäts- phen beschäftigt und die wieder aufkom- men errechnen die Wiederkehr in dieser serschloss der Schweiz, dem Zusam- strukturen Denkverbote zu erteilen oder speziellen Konstellation gar erst auf das mende Diskussion verdeutlicht, dass sie ein sogar Tabus zu etablieren. In manchen Das «Zentrum für Demokratie Aarau» menfluss von Aare, Reuss und Limmat. Jahr 2574. Eine totale Mondfinsternis ständiger Begleiter bleiben wird, die zur Fällen werden grosse Teile des Wissens (ZDA) wurde 2009 gegründet und ist Von da wanderte er entlang der Aare wird in der Schweiz das nächste Mal am Selbstreflexion zwingt. Die noch amtieren- nur vorgetäuscht. Einer sachlichen eine akademische Forschungseinrich- nach , wo er den letzten Seiler Abend des 27. Juli 2018 zu beobachten de Bundespräsidentin Simonetta Sommeru- Argumentation, in deren Verlauf sie tung der Universität Zürich und der im Kanton Aargau traf. Von hier ging sein. (MJA) ga meint dazu in ihrer Neujahrsansprache: ihr angebliches Wissen zwangsläufig Fachhochschule Nordwestschweiz. Das es zu der Linde von Linn, dem Wahrzei- «Nirgends sonst haben die Bürger so viel vorzeigen und prüfen lassen müssten, ZDA widmet sich der Forschung und Macht und Verantwortung.» Das gefällt chen in der Region. Die Dreharbeiten in entziehen die Betroffenen sich dann so Lehre zur Demokratie auf universitärem mir. Sie traut uns allen viel zu. Sommaruga Linn fanden am 11. Mai 2015 statt und konsequent etwa durch rhetorische Mit- Niveau. Das Zentrum organisiert auch hat recht, am Ende entscheidet der Schwei- dauerten mehr als einen halben Tag. tel wie Sophismen und Scheinargumen- die jährlich stattfindenden «Demokra- zer Bürger über Ungleichheit. Es liegt an Die Sendung SRF bi de Lüt, Unterwegs te, so dass die Hochstapelei über lange tietage», die in den letzten Jahren zu ihm, das Vertrauen nicht auszunutzen. im schönen Aargauer Jura wurde am Zeit unentdeckt bleiben kann. Oftmals einem wichtigen Fixpunkt der Schweizer ist sie auch dem Betroffenen selbst gar Politszene geworden sind. 1. Juni 2015 ausgestrahlt. nicht bewusst. (Quelle: Wikipedia)

34 35 POLITIK POLITIK Demokratiepreis für Gemeindefusionen vorbildliches Fusionsprojekt im Vergleich: Schinznach an Escholzmatt-Marbach versus Bözberg Die Luzerner Gemeinde Escholzmatt-Marbach wird für ihr Fusionsprojekt mit dem zweiten Demokratie- Kleiner Auszug aus einer lesenswerten Semesterarbeit von Nicole Storrer und Rahel Widmer zum preis der Neuen Helvetischen Gesellschaft – Treffpunkt Schweiz (NHG-TS) ausgezeichnet. Der sogenann- Thema Gemeindefusionen. te Albert-Oeri-Preis ist mit 20‘000 Franken dotiert.

Sind Sie mit der jetztigen Situation in der In ihrer 24-seitigen aufwendig erarbeiteten Gemeinde zufrieden? Tiefere Wahlbeteiligung Semesterarbeit zum Thema Gemeindefusi- zvg onen erstellten die zwei Lernenden, Nicole nach Gemeindefusionen

Fotos Storrer und Rahel Widmer, anfangs Jahr eine Nach Gemeindefusionen gehen im äusserst interessante Analyse zu Gemeinde- Kanton Tessin weniger Stimmberechtig- fusionen in der Schweiz. Sie arbeiten in den te wählen als vor der Fusion. Dies zeigt Gemeindekanzleien und Riniken eine Studie des Zentrums für Demokra- und haben die Fusionen von Linn, Gallen- tie Aarau (ZDA). Auswirkungen auf das kirch, Unterbözberg und Oberbözberg zur politische Leben müssen deshalb bei Gemeinde Bözberg sowie und Als es darum ging zu fusionieren, haben Sie Gemeindefusionen mitbedacht werden. Schinznach-Dorf zur Gemeinde Schinznach sich dafür interessiert? Eine statistisch signifikante Abnahme genauer untersucht. Dazu führten sie in bei- der Wahlbeteiligung in fusionierten den Gemeinden eine Umfrage in der jewei- Gemeinden kann zum grössten Teil ligen Bevölkerung durch und haben diese den Fusionen zugeschrieben werden. statistisch und grafisch dargestellt. Dabei Die Analyse der beiden Politikwissen- zeigte sich ein interessantes Resultat. schaftler Philippe Koch und Andreas Rohner vom Zentrum für Demokratie Nicole Storrer und Rahel Widmer erläutern Escholzmatt im luzernischen Entlebuch im Winter. Marbach im luzernischen Entlebuch im Sommer. Aarau (ZDA) zeigt, dass unter Berück- das Ergebnis so: Waren Sie bei der Fusion dafür oder sichtigung anderer Einflussfaktoren die dagegen? Gemeindefusionen im Durchschnitt «Aus unserer Umfrage heraus sieht man einen Rückgang der Wahlbeteiligung eindeutig, dass die Fusionen in Schinznach um 5.74 Prozent verursachten. Fusionen Das Fusionsprojekt der Gemeinden Escholz- Preis für Verdienste in Demokratie Eidgenossenschaft und zur Bildung des Bun- und Bözberg ganz unterschiedlich abliefen. verstärken somit den bestehenden Trend matt und Marbach im Jahr 2013 vermöge Der Demokratiepreis wurde 2012 zum desstaates von 1848 beigetragen hatte. Es wurde deutlich, dass es in Schinznach einer Abnahme der Partizipation noch mit aller Deutlichkeit erkennbar zu machen, 250-Jahr-Jubiläum der NHG ins Leben geru- für die Bevölkerung einiges besser lief, als deutlich. wie eine starke demokratische Partizipation fen. Er soll mindestens alle zwei Jahre für Rencontres Suisses wurde 1945 nach dem in Bözberg. Der Grund, den wir aus diesen durch vom Souverän getragene Fusion er- besondere Verdienste und innovative Beiträ- Zweiten Weltkrieg gegründet mit dem Ziel, Umfragen herauslesen konnten, war die Ad- Entfremdung von der Politik halten und gefördert werden könne, teilte ge zum Funktionieren der rechtsstaatlichen den Zusammenhalt des Landes zu stärken. ressänderung, welche den Einwohnern auf Die Politikwissenschaftler erklären sich die NHG-TS mit. Demokratie ausgerichtet werden. Der erste 1999 fusionierte RS mit der jüngeren Organi- dem Bözberg zu schaffen machte. Zudem Was denken Sie, wie aktuell das Thema? den Effekt dadurch, dass das politi- Demokratiepreis ging 2013 an den Verlag sation «Agir pour demain» zu Rencontres Su- haben wir festgestellt, dass viele Einwohner sche Interesse der Stimmbürger nach Das Siegerprojekt wurde einstimmig aus «Loisirs et Pédagogie» in Le Mont-sur-Lau- isses – Treffpunkt Schweiz. (Quelle: SDA) grosses Interesse an ihrer Wohngemeinde einer Fusion sinkt, weil sich ein Teil der acht eingereichten Bewerbungen ausge- sanne. haben und dies durch die Teilnahme an den Stimmberechtigten mit der fusionierten wählt. Eine unabhängige Experten-Jury Gemeindeversammlungen zeigen. Mit der Gemeinde nicht mehr identifizieren lobte «die grosse Ideenvielfalt» sowie das Die überparteiliche Vereinigung «Neue Hel- Durchführung dieser Umfrage erhielten wir kann. «Die Wählerinnen und Wähler «besondere Einfühlungsvermögen» beim vetische Gesellschaft – Treffpunkt Schweiz» einen Einblick, wie unterschiedlich eine Fu- messen ihrer Stimme in einer fusionier- schrittweisen Heranführen der Bevölkerung entstand durch die Fusion der beiden Part- sion für die Einwohner ablaufen kann. Diese ten und somit grösseren Gemeinde an das Projekt. Alle Phasen seien klar und ner Neue Helvetische Gesellschaft und Ren- Umfrage ist ein wichtiger Bestandteil unse- vermutlich weniger Gewicht bei. Darauf nachvollziehbar dokumentiert worden. contres Suisses – Treffpunkt Schweiz (RS-TS) rer Arbeit und wir haben sehr viel Neues da- Haben Sie positive oder negative Erinnerun- deuten auch Umfrageergebnisse aus am 1. Januar 2007. zugelernt.» (MJA) gen an diese Zeit? dem Ausland hin», so Philippe Koch. Die Jury beschloss zudem, das Fusionspro- jekt «Aggregazione del Bellinzonese» aus- Die NHG wurde kurz vor Ausbruch des So zeigt die ZDA-Studie, dass die Ab- drücklich zu erwähnen. Es handle sich um Ersten Weltkrieges gegründet, als die Mei- Der Gemeinderat von Escholzmatt-Marbach: Die ganze Semesterarbeit kann hier abgeru- nahme der Wahlbeteiligung in denje- ein ambitioniertes und komplexes Projekt, nungsverschiedenheiten zwischen Deutsch- fen werden: «Es war ein Kraftakt, der sich gelohnt hat». nigen Ursprungsgemeinden besonders zu dem sich 17 Gemeinden der Umgebung und Westschweiz den inneren Frieden des www.linnaargau.ch/pdf/Gemeindefusio- v.l.: Pius Kaufmann (Gemeindeammann), nen-Semesterarbeit.pdf deutlich ist, die nur einen kleinen Bevöl- von Bellinzona aufgemacht haben, eine Ge- Landes gefährdeten. Sie sah sich als Nach- Daniel Portmann (Sozialvorsteher), Ruth kerungsanteil an der neu entstandenen meinde mit gesamthaft 51‘000 Einwohnern folgerin der Helvetischen Gesellschaft, Rava-Stalder, Fritz Lötscher (Gemeindepräsi- Diagramme zu den Umfrageergebnissen Gemeinde ausmachen. zu bilden. welche von 1761 bis 1858 zur Stärkung der dent) und Franz Duss. (Auszug aus der Semesterarbeit)

36 37 POLITIK POLITIK

Das Milizsystem in der Gemeindepolitik besitzt einen hohen Stellenwert

Zur Veranstaltung «Milizorganisation der Aargauer Gemeindeexekuti- ven» fanden sich am 26. Februar 2015 mehr als 300 Gemeindepolitiker aus dem ganzen Kanton im Gemeindesaal Möriken ein. Im Fokus stand die Frage, wie der nebenberufliche Einsatz auf kommunaler Ebene erhalten und gestärkt werden könnte.

Text Max Weyermann Fotos Michel Jaussi

Im Kanton Aargau sind rund 5000 Behör- und Entschädigung der Milizarbeit. Diese vor. Immerhin sprechen sich gemäss einer denmitglieder tätig, davon die meisten im Punkte thematisiert auch die vom Zentrum Umfrage gegen 80 Prozent der Bevölkerung Milizsystem, also im Nebenamt zu ihrem für Demokratie Aarau im Auftrag des De- für die Beibehaltung des Milizsystems aus. Hauptberuf. Yvonne Reichlin, Leiterin der partementes Volkswirtschaft und Inneres Gemeindeabteilung im Departement Volks- und der Gemeindeammänner-Vereinigung In der ersten, von Kurt Schmid, dem frühe- wirtschaft und Inneres (DVI), betonte, die durchgeführte und von ZDA-Direktor Da- ren Lengnauer Gemeindeammann, geleite- Erfüllung von öffentlichen Aufgaben auf niel Kübler und Projektleiter Oliver Dlabac ten Podiumsdiskussion mit den Parteipräsi- dieser Basis habe sich bewährt, aber an- vorgestellte Studie «Milizorganisation der denten von FDP, SVP, CVP und SP kam die gesichts gesellschaftlicher Veränderungen Gemeindeexekutiven im Kanton Aargau Rolle der Parteien in der Kommunalpolitik gelte es, sich Gedanken zur künftigen Ent- – Rekrutierungsprobleme und Reformvor- zur Sprache. Dabei wurde die Wichtigkeit wicklung zu machen. Laut ihren Ausfüh- schläge». Andreas Müller, Vizedirektor von der Ortsparteien in Sachen Personalpla- rungen tritt von den 1100 Gemeinderäten Avenir-Suisse und Autor der von dieser Or- nung und Rekrutierung unterstrichen. Zu- durchschnittlich einer pro Woche zurück ganisation im Januar 2015 veröffentlichten dem bleiben die parteigebundenen Männer und muss ersetzt werden, was heute – spe- Studie «Bürgerstaat und Staatsbürger» und Frauen dem Vernehmen nach meist ziell in ländlichen Gegenden – nicht immer über das Schweizer Milizsystem, wies an- länger in ihrem Amt als die parteilosen, einfach ist. Renate Gautschy, Präsidentin schliessend darauf hin, dass punktuelle Re- welche immerhin rund die Hälfte der Ge- der Gemeindeammänner-Vereinigung, or- formen wie eine höhere Entlöhnung oder meindepolitiker ausmachen. tete Probleme in den immer komplexeren die Reduktion der Belastung bisher kaum Bild oben: v.l. Beat Tinner, Präsident der der Vereinigung St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten; Susanne Aufgaben, der starken hauptberuflichen positive Auswirkungen auf die Beteiligungs- Die Führungsmodelle in ihren Kantonen Voser, Frau Gemeindeammann, Neuenhof; Renate Gautschy, Präsidentin der Gemeindeammänner-Vereinigung; Kurt Schmid, ehema- liger Gemeindeammann, Lengnau; Marlène Koller, Frau Gemeindeammann, , Peter Emmenegger, Vizepräsident des Belastung möglicher Kandidaten sowie in bereitschaft gezeigt habe. Er schlug deshalb stellten Peter Emmenegger, Vizepräsident Verbandes Luzerner Gemeinden; Hans-Peter Budmiger, Gemeindeammann, Muri, in der zweiten Podiumsdiskussion. der zum Teil ungenügenden Anerkennung die Einführung eines Bürgerdienstes für alle des Verbandes Luzerner Gemeinden, und Unten: Die beiden Verfasser der ZDA-Studie, links Prof. Dr. Daniel Kübler und Dr. Oliver Dlabac.

38 39 POLITIK POLITIK La Venta Internacional La Venta Quelle

Beat Tinner, Präsident der Vereinigung werde die Erkenntnisse aus den vorliegen- Studie des Zentrums St. Galler Gemeindepräsidentinnen und den Studien und aus der Veranstaltung in für Demokratie Aarau Gemeindepräsidenten, vor. Peter Emme- Möriken weiter vertiefen und aus den zu negger präsentierte die Gemeinderats-Va- erwartenden Resultaten noch vor den Ge- Milizorganisation der Gemeindeexe- rianten Delegierten-Modell, operatives meinderatswahlen 2017 Empfehlungen zur kutiven im Kanton Aargau – Rekru- Modell (klassisch bewährt), CEO-Modell Stärkung des Milizsystems abgeben. Dass tierungsprobleme und Reformvor- schläge Politische Autorität und Geschäftsleitungs-Modell. Speziell etwas unternommen werden sollte, zeigt mit den beiden letztgenannten Varianten auch dieser Ausspruch von Landammann Im Auftrag des Departements Volkswirt- könnten Gemeinderäte wirkungsvoll ent- und DVI-Vorsteher Urs Hoffmann: «Man Text Johannes von schaft und Inneres des Kantons Aargau lastet werden. Aber es bestehe bei solcher kann nicht mit kleinen Pflästerli ein System sowie der Gemeindeammänner-Ver- Professionalisierung eine erhöhte Wahr- erhalten, welches vielleicht im Mark verfault Politische Autorität bezeichnet die höchste, Doch führt uns die Herrschaft eines absolu- einigung des Kantons Aargau hat das scheinlichkeit, dass sich der Geschäftsleiter ist.» Zentrum für Demokratie Aarau eine ungeteilte Befehlsgewalt innerhalb eines ten Souveräns, der an kein Gesetz gebunden (zum Beispiel der Gemeindeschreiber) noch Studie über das Milizsystem der Aargauer Territoriums. Sie kann vom absolutistischen ist, wirklich aus dem beschriebenen chaoti- verstärkt zur grauen Eminenz entwickle. In Gemeindeexekutiven durchgeführt. Ziel Herrscher bis hin zum Demos (griechisch schen Naturzustand in erstrebenswerte, ge- diesem Zusammenhang wies auch Beat Tin- Oben: Mehr als 300 Gemeindepolitiker aus war es, die Probleme bei der Besetzung für Staatsvolk) ausgehen und daher ver- ordnete Verhältnisse? Gemäss John Locke ner darauf hin, dass bei derartigen Dorfkö- dem ganzen Kanton Aargau im von Exekutivämtern in den Aargauer schiedenste Formen annehmen. Doch was (1632-1704), einem Zeitgenossen von Hob- nigen leicht die Einstellung «Es ist mir egal, Gemeindesaal in Möriken. Gemeinden zu untersuchen, deren legitimiert – und vor allem determiniert sie bes, wäre der Zustand des absoluten Sou- wer unter mir Gemeinderat oder Gemein- Entwicklung nachzuzeichnen, Gründe eigentlich? Eine Frage, die sich aufgrund der veräns noch schlimmer, da die Bevölkerung depräsident ist» entstehen könne. Damit dafür zu eruieren sowie Empfehlungen aktuellen globalen bis hin zu regionalen Er- wohlmöglich der Tyrannei einer einzelnen würde ein wesentliches Element von Of- zu formulieren. Hierzu wurden Wahlpro- eignissen lohnt zu stellen. Person ausgesetzt wäre. Er schliesst daraus, tokolle der letzten drei bis vier Jahrzehnte fenheit und Demokratie verloren gehen. Es dass sich auch der Souverän den bekannten für insgesamt 126 Gemeinden (59% Ganz oben: Philosoph Thomas Hobbes gelte deshalb, die Professionalisierung mit Besonders damit auseinandergesetzt hat Regeln der Rechtsordnung notwendiger- aller Aargauer Gemeinden) ausgewertet. (1588-1679). dem Milizsystem in Einklang zu bringen, so Zusätzlich wurde eine Befragung der sich der englische Staatstheoretiker und weise unterordnen muss. zum Beispiel durch eine möglichst optimale Aargauer Gemeindeschreiber durchge- Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679). Er Oben: Karikatur von Volker Kriegel, Aufteilung von strategischer (Gemeinde- führt sowie bestehende Befragungen von geht bei der Abwesenheit von politischer Diese bereits im 17. Jahrhundert entstande- erschienen in der ZEIT vom 31.10.1980. rat) und operativer (Verwaltung) Arbeit. Gemeindeschreibern und Exekutivmitglie- Autorität von einem Naturzustand des nen Annahmen finden ihre Gültigkeit noch Die abschliessende Podiumsdiskussion mit dern herangezogen. Menschen aus, der sich im Kampf «jeder in der heutigen Zeit. Der arabische Frühling Referenten und den Gemeindeammännern gegen jeden» befindet. Die Unsicherheit beispielsweise entstand genau aus dem von Hans-Peter Budmiger (Muri), Susanne Vo- Hauptergebnisse der Studie vor Angriffen anderer bestimmt das täg- Locke beschriebenen Dilemma von Souve- ser (Neuenhof) und Marlène Koller (Unter- Anders als in einzelnen Ostschweizer liche Leben. Der Mensch sieht in seiner ränen, die vom Gesetz losgelöst regieren siggenthal) zeigte unter anderem auf, dass Kantonen oder im Nachbarkanton Luzern verzweifelten Situation die Selbstjustiz als konnten. Doch schon in unserer Nähe, gibt es im Kanton Aargau nur vereinzelt die Unterscheidung zwischen «strategisch» letztes Mittel und versucht den möglichen wenn auch in stark abgeschwächter Form, haupt- oder teilamtlich tätige Exekutiv- und «operativ» und die Beschränkung der Angriffen zuvorzukommen. sind ähnliche Probleme sichtbar. So scheint mitglieder. Rund 85 Prozent der Aargauer Gemeindebehörden auf die reine Strategie Max Weyermann ist freier Journalist Gemeindeexekutiven bestehen aus- es, dass auf Staats-, Kantons- oder gar auf Johannes von Mandach studiert an nicht immer leicht fällt. Aber generell arran- sowie Personen- und Unternehmens- schliesslich aus nebenamtlichen Mitglie- Es bildet sich eine Spirale der Gewalt. Ein Gemeindeebene gewisse Volksbeauftragte der Universität Zürich Politikwissen- giert man sich offenbar grösstenteils doch berater mit Büro in Brugg. Zudem dern. Probleme bei der Rekrutierung von rationaler Akteur würde gemäss Hobbes ei- ihre Rechte überschätzen und die Pflichten schaften und Volkswirtschaft. Seit recht gut. präsidiert er seit 33 Jahren die 1815 nebenamtlichen Amtsträgerinnen und nem solchen Zustand nie zustimmen, wes- vernachlässigen. Wünschen wir uns also in seiner Geburt wohnt er auf dem gegründete Kulturgesellschaft des Amtsträgern treffen das Gemeindesys- halb für ihn politische Autorität im besten dieser besinnlichen Zeit, dass uns die Souve- Bözberg und hat daher einen engen Zum Abschluss der Veranstaltung betonten Bezirks Brugg. tem des Kantons Aargau somit im Kern. Fall in Form eines absolutistischen Herr- räne bzw. Souveränitätsträger dieser Welt Bezug zu Linn. Yvonne Reichlin und Renate Gautschy, man schers unabdingbar vorhanden sein muss. von der Tyrannei verschonen.

40 41 POLITIK POLITIK

Gemeinsames: Das Siegel der Ge- meinde Ennetbaden und der ehema- ligen Gemeinde Linn stammen beide aus dem Jahr 1872

Links oben: Der Gemeinderat von Ennetba- Die erste urkundliche Erwähnung von den nach der Klausur in der Gaststube des Alio Badin erfolgte im Jahr 1150. Die ehemaligen Restaurants zur Linde in Linn. Form Ennentbaden erscheint erstmals v.l. Gemeinderätin Elisabeth Hauller, 1410. Der Ortsname geht auf eine Gemeinderat Michel Bischof, Vizeammann Wichtiger Entscheid Jürg Braga, Gemeindeammann Pius Graf, alamannische Übersetzung von Aquae Gemeinderat Dominik Kramer, Gemeinde- Helveticae zurück (ze badun, «bei den schreiber Anton Laube, Bädern»), die differenzierende Präpo- sition kann «jenseits von Baden» oder in Linn gefällt «das jenseits (der Limmat) gelegene Oben: Der Gemeinderat von Ennetbaden bestaunt die Linner Linde. Baden» bedeuten.

Kleine Bilder: Impressionen vor, während Der Gemeinderat Ennetbaden diskutierte eine und nach der Klausur. allfällige Fusion mit Baden an einer Klausur in Unten: Beim Rundgang durch das mit Aargauer-, Ennetbaderner- und Linner- Linn. Fahne beflaggte Linn.

Text Geri Hirt Fotos Michel Jaussi

An der Juni-Gemeindeversammlung 2015 die Meinungsbildung. Im ehemaligen Res- hat der Gemeinderat Ennetbaden den An- taurant Linde tagten die fünf Gemeinderäte Siegel der Gemeinde Ennetbaden von trag unterbreitet, die Fusionsgespräche mit samt Gemeindeschreiber und sie fällten dort 1872 der Stadt Baden zu sistieren. Die Gemein- den Entscheid, der Gemeindeversammlung deversammlung, die ein Jahr zuvor solche die Sistierung der Fusionsverhandlungen Fusionsverhandlungen gefordert hatte, mit der Stadt Baden vorzuschlagen. stimmte mit überraschender Mehrheit von 120 zu 20 Stimmen deutlich zu. Die Ehre, für eine solch wichtige Klausur als Tagungsort ausgewählt zu werden, ho- Die Gemeindebehörde hat sich den Ent- norierte ProLinn mit einem kleinen Empfang scheid nicht leicht gemacht. Zuvor, im Früh- des Ennetbadener Gesamtgemeindrats, der jahr 2015, hatte sich der Rat zur Klausur zu- – man merke – mit dem öffentlichen Ver- rückgezogen, um in Ruhe die Argumente, kehrsmittel angereist war. Ein Apéro diente die für oder gegen eine Fusion sprechen, dem Gedankenaustausch und gab den an- abzuwägen. Linn, das bezüglich Fusion seit wesenden Linnerinnen und Linner Gelegen- Siegel der ehemaligen Gemeinde Linn, längerem in den Schlagzeilen war, erachte- heit ihre Fusionserfahrungen darzulegen. ebenfalls von 1872 te der Gemeinderat als geeigneten Ort für (GHI)

42 43 PLATZHALTER IDENTITÄT Konzept Aargau: Das identitätsfreie Jahrhundertmodell

Text Elia Blülle Fotos Michel Jaussi

Dieser Text entsteht im Speisewagen eines bin nicht aussen. Ich bin hundert Prozent. mein Lebensmittelpunkt aber eigentlich in Neigezuges. Ohne Halt Bern–Zürich. Die Meine Eltern sind hier geboren, sitzen ge- Zürich befände. Ich bin nicht alleine. Eine kanalisierte Aare blitzt immer wieder durch blieben. Ich, hier geboren, sitzen geblieben. gross angelegte Befragung der Aargauer die vorbeiziehenden Auenwälder. Stiller Und nein, es sind nicht die Schlösser und Zeitung stellte fest, dass sich nur fünf Pro- Begleiter der Pendlerarterie. Die meisten «knallharten» Politiker, sondern studenten- zent der Bevölkerung primär als Aargauer meiner Freunde aus den Schweizer Provinz- gerechte Mietpreise und Nachtzüge, die verstehen. Schuld daran: Napoleon Bona- metropolen kennen meinen Heimatkanton mich an der Emigration in die nahe gele- parte. Der französische Feldherr und grös- allenthalben vom Blick durch die zerkratz- gene Universitätsstadt hindern. Der Kanton senwahnsinnige Touche-à-tout hat mit der ten Plexiglasscheiben genau jener Züge. Im Aargau wird von der Restschweiz bevorzugt Feder eidgenössische Gebietsüberreste zu- Stundentakt treffen die Lokomotiven an durch die Stereotypschablone betrach- sammengeschustert und flugs Aarau nach Orten ein, deren Namen an Shoppingmalls tet. Manche sind berechtigt – die meisten Vorbild der Grand Nation zur kantonalen erinnern, und verlassen den Kanton Aargau falsch und historische Reminiszenzen. Die- und schwächlichen eidgenössischen Kapita- eine Pendlerzeitung später in Olten, ohne se Identitätssuche zwingt mich, den Berg len befördert. Meine Grosseltern rufen sich zu halten. Gehört noch dazu. Oder? Der an Klischeesocken und Jod-Tabletten zu Freiämter und Fricktaler, aber sicher nicht Kanton Aargau ist der grösste der kleinen durchwühlen. Es lohnt sich. Wer blenden- Aargauer. Der Gang in die kantonale Beam- und gefühlt der unbedeutendste der gros- de Minderwertigkeitsgefühle ablegen kann, tenzentrale Aarau ist für sie bis heute ein sen. Ein Sandwichkanton, Belag der zwei entdeckt am Boden hinter Lärmschutzbar- Mühsal; man muss nach Aarau fahren. Das mächtigsten eidgenössischen Einheiten der rikaden und Spreitenbach einen Kanton Fehlen eines allseits akzeptierten Zentrums, föderalen Ordnung. Aargau, der modern gedacht werden muss. erschwert seit jeher die Entwicklung eines einheitlichen Verständnisses und stärkt die Ich sollte an dieser Stelle über die Identität Überschätzte Wesenseinheit Geschlossenheit der jeweiligen Regionen. des Kantons Aargau schreiben. Um es vor- Bei der Nennung meines Wohnortes ertap- Ein weiterer Beweis für das künstliche Kons- wegzunehmen: Ich kann das nicht. Iden- pe ich mich häufig dabei, wie ich im selben trukt Aargau ist die Dialektvielfalt. Während tität wird von aussen zugeschrieben. Ich Atemzug betont hinterherschiebe, dass sich sogar Kleinstkantonen wie Schaffhausen

Links: Markthalle am Färberplatz in Aarau. Der Schweizer Heimatschutz hat der Stadt Aarau den Wakkerpreis 2014 verliehen.

Rechts: Neuer Bahnhof Aarau mit seinen «Wolken».

44 45 PLATZHALTER

Das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum katapultieren den Aargau auf die Spitzenplätze der Schweizer Kantonsrankings. Kann dies identitätsstifend sein? Sicht auf das industrielle Baden.

46 47 PLATZHALTER

Maienzug in Aarau und die Morgeneier im Telliring. Identitätstiftend?

48 49 IDENTITÄT IDENTITÄT

über einen eindeutigen Duktus verfügen, Im Windschatten zum Erfolg rade die bewusstseinsmässige Distanz der ist die Vermengung der Sprachfärbungen Der Kanton Aargau wächst in allen Belan- Regionen verschiedene Wege eröffne, um im Wasserkanton gross. Aargauerdeutsch gen. Das Wirtschafts- und Bevölkerungs- Probleme zu lösen. Anschaulich manifes- als homogene Mundart existiert nicht. Dem wachstum katapultieren die Region auf die tiert sich der Wandel vor allem in der Kan- Kanton Aargau kann eine Identität zuge- Spitzenplätze der Schweizer Kantonsran- tonshauptstadt Aarau. Sie hat den Status wiesen werden, die als Bindemittel zwi- kings. Neben dem eidgenössischen Met- der verschlafenen Militärstadt überwunden schen den einzelnen Regionen und Bevölke- ronom Zürich ist der Aargau der schnellst und sich neben Baden als Kulturdomizil rungsschichten wirken könnte. Das ist nicht wachsende Kanton. Zentrale Lage, gute etabliert. Die Investitionen in eine länger- alleine ein gesellschaftliches Phänomen, das Verkehrsanbindung, schlanke Verwaltung fristige Stadtentwicklung tragen Früchte: nur der Kanton Aargau kennt. und die wirtschaftsnahe Regierung machen Aarau wurde 2014 den Wakkerpreis vom Links: Die Umwelt Arena, den Kanton Aargau interessant für kleine Schweizer Heimatschutz verliehen für eine auch das ist Spreitenbach. Ähnliche Konstellationen lassen sich rund und mittlere Unternehmen, die eigentlichen vorbildliche Stadtentwicklung. Der gelebten um den Globus finden. Nicht zuletzt tut sich Wirtschaftstreiber des Landes. Provinzialität weicht ein urbaner Geist. auch das junge Konglomerat der Europäi- keine Mittel, die einer florierenden Sphäre Das Gute kommt von selbst schen Union schwer damit, einen Kontinent Der Kanton profitiert von der Nachbarschaft Zentralisierung als Zukunftsmodell zudienen. Diese hohe Zustimmung zeigt, Das Stadtmuseum Aarau hat im vergange- synthetisch unter der gleichen Identitäts- zum gedeihenden Zürich und sahnt in des- Die SVP verzeichnete an den letzten Natio- was der Kanton Aargau eben auch ist: Ein nen Herbst ein Lied – «S neue Aargauerlied» mütze zu vereinen. Doch wo keine Einheit sen Fahrwasser ab. Die Lenzburger Philo- nalratswahlen einen Wähleranteil von 38%. Landkanton. Dem Kanton Aargau fehlen – texten und komponieren lassen. Aargauer herrscht, herrscht Vielfalt. Diversität ist die sophin Katja Gentinetta spricht in einem Es ist im Vergleich ein überdurchschnittliches grosse, urbane Zentren, die Gegensteuer konnten den Song dann vertonen, per Vi- Tarnkappenressource, welche sich hinter NZZ-Interview davon, dass durch die fehlen- Bekenntnis zum Konservatismus, der nicht geben zur ländlichen Stimme. Gemäss Pro- deobotschaft einsenden und diese wurden dem Prinzip Aargau versteckt; mitverant- de kantonale Identität eine grosse Offenheit kompatibel ist mit einer modernen Stand- gnosen der Regierung wird die Bevölkerung dann zusammengeschnitten. Die Aktion wortlich für eine prosperierende Gegenwart entstehe, die Menschen und Wirtschafts- ortentwicklung. Fremdenfeindliche Politik, des Kantons Aargau bis 2040 um 188‘000 sollte identitätsstiftend wirken. Naja... tut Elia Blülle ist freischaffender Journalist und Versprechen für die Zukunft. treiber anziehe. Sie betont auch, dass ge- Reformscheue und ein harter Sparkurs sind Einwohner wachsen. Menschen brauchen sie nicht: Das Resultat ist ein disharmonie- und ist Präsident von Junge Journalis- Platz. Es droht die Gefahr der Zersiedelung. render Flickenteppich aus Schulklassen, ten Schweiz. Studiert Philosophie und Die Entstehung von charakterlosem Sied- Hobbysängerinnen und Profiinstrumentalis- Politikwissenschaften an der Universität lungsbrei in Flusstälern wäre bedauerlich. ten, die im Musikvideo den platten Refrain Oben links: Wasserschloss bei Brugg. Zürich. Er lebt in Aarau. Interessant erscheint hierbei die Idee des «Aargau, Rüüssgau, Rhygau, Limmetgau» Oben rechts: Aare bei . Aargauer Architektenkollektives «Biber- trällern. «S neue Aargauerlied» ist aber eine geil», die mit raumplanerischen Vorschlä- gelungene Parodie auf den Kanton, der es Rechts: Schloss Lenzburg. Alles Aargauer Orte mit Ausstrahlungskraft, gen unter dem Titel «Les Argovies – Iden- schafft, Dissonanzen ohne Zwang nebenei- sind sie auch identitätsstiftend? tität des Dazwischen» die Neuentwicklung nander klingen zu lassen. Verkrampft dem des Kantons Aargau anstossen möchten. Aargau eine Identität aufzuerlegen, ist der Das Projekt verfolgt den Grundsatz, die falsche Weg. Erfolg und Wachstum werden bestehenden Kleinstädte entlang der Aare, diese Aufgabe von alleine bestreiten. Viel Limmat und Reuss zu stärken und sieht vor, wichtiger ist es, eine gescheite Raumpla- die Entwicklung der Dörfer auf den Kern, nung voranzutreiben, die Standortattrak- nicht auf die Expansion zu konzentrieren. tivität beizubehalten und nicht kurzfristig Wichtig erscheint ihnen dabei, die anfangs gedacht, an den falschen Stellen zu sparen. Michel Jaussi ist freischaffender Fotogaf erwähnte Diversität beizubehalten. Sie ist Dann kommt das mit der Identität womög- und wohnt in Linn. Zu verschiedenen das Kapital des Kantons und macht ihn lich von selbst. Und wenn nicht, bleiben wir Themen realisiert er immer wieder freie wendig, dynamisch. halt Agglo Zürich und Transitzone. Na und. Arbeiten wie hier zum Kanton Aargau. Grosse Erfolge durfte er mit seiner Serie zu den erneuerbaren Energien erfahren. Seine Arbeitsgebiete sind Landscape, Transportation, Architecture, Industry und Corporate. Michel Jaussi gehört zum zweiten Mal in Folge zum Kreis der 200 Best Ad Photographers Worldwide by Lürzers Archive.

50 51 GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT

Die Leserwanderer und die Magie der Linde

Text Sven Altermatt Fotos Michel Jaussi Oben links: 160 Leserinnen und Leser der az Aargauer Zeitung nahmen an der Wande- Vielleicht muss man diesen Baum selbst ge- Tag unter sengender Sonne. Wie so oft in rung teil. Sie alle bestaunen die Linner Linde. sehen haben, um es zu verstehen. Diesen diesem Sommer. Baum? Selbst Bettina aus dem solothurni- Oben rechts: Auch zwei Rücken können ent- schen Biberist fand es «nicht gerecht, da Gekommen war Bettina mit den Leser- zücken. Regierungsrätin Susanne Hochuli im einfach von einem Baum zu reden». Denn wanderern der «Aargauer Zeitung» und Gespräch mit Grossrätin und Präsidentin der die Linde von Linn, das sei ein Monument. den anderen Zeitungen der «az Nord- Aargauer Wanderwege, Esther Gebhard-Schöni. Nicht mehr und nicht weniger. Dabei war westschweiz». Auf der vierten Etappe der sie zuvor ziemlich skeptisch. «Als meine Leserwandern-Sommeraktion entdeckte Rechts: Start der Leserwanderung bei der Linde von Linn. Wanderfreundin aus Lenzburg die Linde sie die Linde von Linn. Und noch Wochen in den Himmel lobte», erzählt Bettina, später schwärmte die pensionierte Kauf- Mitte: Nationalrat Beat Flach im Gespräch. «schien mir das ein wenig übertrieben.» frau über die Wanderung, die bei der Linde Aber dann sass sie auf einer der Bänke startete und auf der Staffelegg endete. Mit Unten: Im Vordergrund Sabine Kuster, Leiterin neben der Linde – «und ich verstand die 160 Teilnehmern war es die Rekordetappe Ressort Aargau-West der az Aargauer Zeitung Kraft, die von diesem Ort ausgeht». Es war der diesjährigen Ausgabe. und Bremgartens Stadtammann Raymond Tel- der Abend des 9. Juli 2015, ein schwüler lenbach im Gespräch beim Aufstieg.

52 53 GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT

Insgesamt waren 2560 Leserwanderer auf von Titterter Äpfeln. Mehr als ein Dutzend Links oben: Frau Landstatthalter Susanne den 25 Etappen in der Nordwestschweiz Mal knackten die Leserwanderer die Hun- Hochuli mit dem einzigen regierungsrätli- dabei. Jeden Wochentag in den Sommer- derter-Teilnehmermarke an einem Wan- chen Hund des Kantons Aargau, Mira. Mit ferien eine Wanderung, Sehenswürdigkei- dertag. Nur der Rekord der vierten Etappe dabei der junge Leserwanderer Vinzenz. ten, prominente Gäste: Das ist eine griffige blieb bis zum Schluss unerreicht. Kurzformel, aber der Erfolg des Leserwan- Mitte links: Stefanie Heimgartner, Grossrätin und Einwohnerrätin von Baden, derns ist damit noch nicht erklärt. Wenn ein Teilnehmer auf den Jurahöhen geniesst sichtlich die Wanderung. von «meinem Leibblatt» spricht, scheint Für den Rekord-Teilnehmer Hans aus Thal- das aus der Zeit gefallen. Der Begriff um- Mitte rechts: Auf dem Weg zur Buchmatt. heim ist es vor allem der niederschwelli- reisst jedoch nicht nur die Nähe, sondern ge Zugang, der die Aktion ausmacht. Es gibt der Zeitung auch eine soziale Dimen- Unten links: Ziel erreicht. Die Wanderer braucht weder eine Anmeldung noch ein sion. Leser treffen beim Wandern auf Re- werden mit einer wunderschönen Abend- Auto für die Anfahrt. Die Etappen sind daktoren. Sie reden, diskutieren, streiten stimmung auf der Staffelegg überrascht. für Jung und Alt machbar. Geführt wer- miteinander. Und entdecken zusammen den die Teilnehmer von erfahrenen Wan- magische Orte wie die Linde von Linn. Oben: Wer ist schneller auf dem Linnerberg. derleitern, für die Routenplanung sind Die 160 Wanderer oder die 10 Kühe? regionale Organisationen verantwortlich. Oben links: Aarauer Einwohnerrätin «Man sieht viel und lernt neue Orte und Gabriela Suter und Wettinger Gemeinde- Menschen kennen», sagt Hans. Bettina aus rätin und Nationalräti Yvonne Feri. Biberist schätzt es derweil, das unterwegs auch mal eine Überraschung wartet. Auf der vierten Etappe war es der Lindenblü- ten-Tee, der unter der Linner Linde serviert wurde. Sven Altematt ist Stagiaire bei der «az Die Leserwanderer entdeckten Burgruinen, Nordwestschweiz». Als «Mister Leser- blickten von Aussichtstürmen aufs Umland wandern» begleitete er 25 Wandere- und erkundeten die Kantonsgrenzen. Mal tappen. Die Aktion fand im Sommer bissen sie auf dem Oberdörferberg in ei- 2015 zum fünften Mal statt. nen Cervelat, dann kosteten sie Süssmost

54 55 PLATZHALTER REZEPT

Linner Linzertorte

Wir freuen uns Ihnen ein süsses Highlight aus Linn vorzustellen: Die Linzertorte von der ältesten Linnerin Vreni Bläuer ist unwiderstehlich gut. Familie und Freunde lieben ihre Eigenkreation des Kuchenklassikers und wir freuen uns sehr, dass wir das Rezept an Sie weitergeben dürfen! Dafür ein herzliches Dankeschön an Vreni Bläuer.

Die Zutaten • 180 g Butter • 2 Eier • 200 g Zucker • 1 Prise Salz • 1 Messerspitze Nelkenpulver • 1 Kaffeelöffel Zimt • geriebene Schale einer halben Zitrone • 200 g gemahlene Mandeln • 200 g Mehl • Himbeerkonfitüre • 1/3 Päckli Backpulver • Eigelb • Und dazu das Geheimnis von Vreni Bläuer: 2 Löffel Schoggipulver!

Die Zubereitung 1. Butter schaumig rühren, Zucker und Eier dazu geben und tüchtig rühren. 2. Mandeln, Schoggipulver und Mehl dazugeben, den Teig leicht kneten und mindestens eine Stunde kalt stellen. 3. Mit ¾ des Teiges den Boden einer Springform belegen und mit Konfitüre bestreichen. 4. Mit dem restlichen Teig das Gitter formen und mit Eigelb bestreichen. 5. Bei mittlerer Hitze ca. 30 – 40 min. backen.

56 57 DORFTRADITION DORFTRADITION

eine Zeitlang stehen: Solange, bis Heinrich aufgang. Das römisch-katholische Pfarramt Kohler, ältester Einwohner Linns, auf dessen St. Michael, Ennetbaden, zum Beispiel lädt Land der grosse Christbaum steht, sich vom an zwei Donnerstagen, jeweils um 6.45 Uhr Anblick der Tanne lösen mag und ihm ihre zu einer solchen Lichtfeier ein. Solche Ro- Äste im Garten als Schattierung in den Bee- rate-Messen werden ausschliesslich in der ten dienen. Auch dieser Weihnachtsbaum Adventszeit begangen. Ursprunglich Mes- wird von einem grossherzigen Menschen sen zu Ehren der Gottesmutter Maria, feiern gesponsort. Die Tanne stammt aus dem sie das ewige Licht, das Maria der Erde mit Brugger Wald. der Geburt Jesu geschenkt hat. Dieses Licht soll wieder in den Herzen der Menschen Eine kleine Auswahl von weiteren Advents- entfacht werden, und dieses Licht soll die anlässen in drei verschiedenen Aargauer vermehrte Dunkelheit der Jahreszeit erhel- Gemeinden. len. Daran erinnert das Kerzenlicht des Ro- rate-Gottesdienstes: Denn zu diesem festli- Dorfweihnacht Mulligen chen Anlass erleuchten einzig Kerzen den Seit Jahrzehnten stehen die Kinder im Mit- Raum, das elektrische Licht bleibt ausge- telpunkt der Mulliger Dorfweihnacht. Die schaltet. Die Ennetbadener Lichtfeiern sind Kindergärtlerinnen und Kindergärtler sowie fur jedermann gedacht, fur Erwachsene wie die Schulerinnen und Schuler aller Klassen fur Kinder. Die Gottesdienste sind so gehal- der Grundstufe – insgesamt 90 Kinder – ten, dass mit viel Gesang und liturgischem bringen den Zauber der Weihnachtszeit ins Inhalt sehr wohl dem lebensspendenen Dorf und stimmen mit ihren Auffuhrungen Licht Jesu und Maria gedacht wird, ohne je- die Dorfbevölkerung in der Adventszeit auf doch die Teilnehmer zu uberfordern. Weihnachten ein. Jede Klasse, vom kleinen Kindergarten bis zur 6. Klasse, fuhrt je ein Chlauseinzug Wettingen kurzes Theaterstuck auf, das dem Thema In die Adventszeit gehört der Samichlaus des Schuljahres Rechnung trägt. 2015 be- mit seinem Gehilfen, dem Schmutzli. In vie- gleitete die Schuler das Thema «Regenbo- len Dörfern wird der Einzug des Samichlaus gen» durch das Jahr, entsprechend steht oder dessen Aussenden auf seine Tour von die diesjährige Dorfweihnacht unter dem Tur zu Tur in besonderer Weise gefeiert. Stern der Frage «Welche Farbe hat Weih- Wettingen zum Beispiel feiert den Einzug nachten?» Die einzelnen Vorfuhrungen der der Samichläuse am Chlausmarkt auf dem jungen Schauspielerinnen und Schauspieler Zentrumsplatz. Ab 12 Uhr locken Markt- werden musikalisch umrahmt und mit inte- stände mit Geschenkideen und vor allem ressanten Übergängen verbunden. Zur Tra- vielen duftenen Leckereien. Die Kindergar- dition gehört, dass der Mulliger Schulchor tenkinder besammeln sich um 16 Uhr auf zum Schluss Weihnachtslieder singt und die dem Lindenplatz, um die Samichläuse ab- Schulpflege anschliessend Zopf, Speckzopf zuholen. Die Kinder begleiten die Chläuse, und Tee serviert. Schmutzli und Esel vom Lindenplatz zum Oben: Der Linner Weihnachtsbaum 2014 Zentrumsplatz, wo sie feierlich empfangen am Dorfplatz in Linn. Rorate Ennetbaden werden. In einer kurzen liturgischen Feier Schöne Dorftraditionen Unten: Christbaumverteilet 2015 in Linn. Eine besondere Möglichkeit, sich auf das wird die Geschichte des Heiligen Nikolaus bevorstehende Weihnachtsfest einstimmen erzählt, und die Samichläuse empfangen zu können, bieten verschiedene katholische ihren Segen. Im Anschluss haben die Kleins- Pfarrämter der Region mit den beliebten ten ihren grossen Auftritt: Sie durfen dem verzaubern die Adventszeit Rorate-Gottesdiensten an Wochentagen, Samichlaus ein Värsli aufsagen. Ein warmer, ganz fruh am Morgen, noch vor Sonnen- herzlicher Einstieg in eine gesegnete Zeit.

Text Susanne Wild, Brugg Media Foto Michel Jaussi

In Linn gehört es zur Dorftradition, dass die der Anlass der Christbaumverteilete mit geschlagen, sondern beim Förster bestellt. hoch, geschmuckt mit 2000 funkelnden Einwohner mit Christbäumen beschenkt Punsch und Christstollen bereichert, so Grosszugige Sponsoren machen es weiter- Lichtlein. Der Verein ProLinn – der zweite werden. Fruher war es die Ortsburgerge- dass die Christbaumverteilete zu einem hin möglich, dass die Tännchen fur die Lin- Verein Linns, der sich das Weiterleben der meinde, welche fur die Weihnachtsbäume gern genutzten Zusammenkommen der ner gratis sind. So treffen sich die Einwoh- Identität Linn seit 2013 zum Inhalt gemacht aufkam. Die Tännchen wurden von den Linner Bevölkerung auf ihrem Dorfplatz ner weiterhin jeweils ein Wochenende vor hat – verschönert damit nicht nur den An- Bauern in den eigenen Waldstucken ge- geworden ist. Nach der Eingemeindung Weihnachten auf dem Dorfplatz bei Punsch lass des befreundeten Dorfvereins, sondern schlagen und hergebracht. Später über- in die Gemeinde Bözberg 2013 zögerten und Stollen. Rund 30 bis 40 Weihnachts- die gesamte Festzeit. «Jeweils ab dem Ers- nahm die Einwohnergemeinde diesen die Linner nicht: Der Dorfverein setzte die bäume finden jeweils den Weg in die Linner ten Advent steht der Dorfchristbaum in Brauch und offerierte den Linnern weiter- Christbaumverteilete fort. «Wir wollen die- Stuben. Zauberhaft weihnachtliches Am- vollem Glanz da bis am Drei-Königs-Tag», hin ihre Christbäume. Jeder durfte sich ein sen schönen Brauch erhalten», erklärt Irene biente verleiht der Christbaumverteilete seit sagt Michel Jaussi vom Verein ProLinn. Al- Tännlein aussuchen, welches das eigene Fries, Vorstandsmitglied im Dorfverein Linn. letztem Jahr ein besonderer Christbaum: lerdings bleibe die grosse Tanne, des Lich- Zuhause schmucken sollte. Bald wurde Die Bäume werden heute nicht mehr selbst eine stattliche Weisstanne, rund 8 Meter terschmucks entledigt, auch danach noch

58 59 WINTER IN LINN SOMMER IN LINN

Pünktlich zum 1. Advent wurde der Weihnachtsbaum der beiden Linner Vereine auf dem Dorfplatz aufgestellt und Linn zeigte sich dabei Professionelles Pflücken der Lindenblüten durch die Helferinnen ArboVitis und der Tilia Baumpflege AG, welche auch die Linner Linde winterlich. Fotos Iris Krebs pflegt. Aus den Linner Lindenblüten wird wiederum ein köstlicher Lindenblüten-Eistee hergestellt. Fotos Michel Jaussi

60 61 IDENTITÄT IDENTITÄT

glaubliche 95% der Befragten fühlten sich anno 1803 ganz schön viel Wasser Aare, damals nämlich als alles andere, nur nicht Reuss, Limmat und Rhein hinuntergeflos- als Aargauer. «Als alles andere», heisst in sen. Und Hand aufs Herz: Wozu braucht diesem Zusammenhang als Schweizer, Eu- der Aargau ein Zentrum, wenn er, der als ropäer, Weltbürger, oder – etwas kleinräu- idealer Pendlerwohnsitz gilt, damit den miger – als Fricktaler, Freiämter, Aarauer, Beweis erbringt, nichts Geringeres als das Badener etc. Wohlverstanden: Es ist nichts eigentliche Zentrum der Schweiz zu sein? Verwerfliches daran, sich eher als Badener denn als Aargauer zu fühlen, umso mehr, Im Zusammenhang mit einem Gebiet oder als das Regionalgefühl ein erster Schritt zu einer Gruppe von Menschen kommt dem einem Kantonsgefühl sein kann. Wirklich Brauchtum eine wichtige identitätsstiften- tragisch ist es erst, wenn man sich als gar de Funktion zu. Gelebte Bräuche gibt es nichts mehr fühlt. Und auch wenn der Ver- im Aargau viele, einen typischen Aargauer leger Peter Wanner das Badener Tagblatt Brauch hingegen kann ich tatsächlich kei- im November 2014 kaum aus reinem Alt- nen nennen. Dinge wie das Scheibenspren- ruismus wieder auferstehen liess, steckt in gen, der Maienzug, das Chlauschlöpfe seiner Begründung für diesen Schritt sehr oder das Bärzelitreiben sind eindeutig viel Wahres: «Sie [die Regionalzeitung] soll regional. Der 1. August wiederum stärkt die Identität der Region stärken, der Bevöl- bestenfalls unsere nationale Identität. So kerung ein Heimatgefühl vermitteln und gesehen täte ein offizieller Aargau-Tag der lokalen Community eine Plattform für not. Dieser könnte mit einem Aargauer Informationen sein. In der globalen, digi- Braten mit Kartoffelgratin und Dörrboh- talisierten Welt wird das immer wichtiger.» nen und einer Aargauer Rüeblitorte gefei- ert und – nein, nicht mit DJ Bobo, sondern Landläufig wird das Fehlen einer eigentli- mit «Im Aargau sind zwöi Liebi» besungen chen Aargauer Identität damit begründet, werden. Wie man sieht, besitzt der Aargau dass es sich beim Aargau nicht um etwas also immerhin nahrungsmitteltechnisches organisch Gewachsenes handle, sondern und musikalisches Identifikationspotenzial. um ein von Napoleon aus unterschiedli- Es gibt übrigens auch ein neues Aargauer chen Regionen zusammenbefohlenes Ge- Lied; 2015 wurde es im Auftrag des Stadt- Links: Die Mitte des Kantons Aargau. bilde, dem erst noch ein Zentrum fehle. museums Aarau komponiert und getextet. Beides lässt sich nicht abstreiten. Allerdings Ob sich «S neue Aargauer Lied» jedoch als Unten: Der Kantonsmittiweg. ist seit Napoleons Aargau-Konstruktion Kristallisationskeim für die Bildung einer «Wir wären gerne Zürcher»

Text Ursula Kahi Fotos Michel Jaussi

«Wann ist ein Mann ein Mann?», fragt wohnen, ist das eine, Aargauer oder Basler Auch zu unserem «DJ Bobo» können wir Herbert Grönemeyer in seinem Song sein oder sich gar als solcher fühlen, etwas stehen; andere haben dafür einen «ganz, «Männer». Ja, wann? Gut muss ich keinen ganz anderes. ganz schlimmen Dialekt» (Thurgau). Die Männer-Text schreiben, sondern lediglich übrigen Umfrageergebnisse tragen wir mit einen Beitrag zum Thema «Identität und Doch was ist denn nun ein Aargauer? Oder Gelassenheit («Puffer zwischen Basel und Aargau», dachte ich, als ich mich an die- anders gefragt: Welche Merkmale weist Zürich», «AKW») oder Stolz («Thermalbä- sen Text setzte. Inzwischen weiss ich: Die ein Aargauer auf? Im Jahr 2014 führte die der», «Schlösser und Burgen»). Selbst die Frage «Wann ist ein Aargauer ein Aargau- Pendlerzeitung 20 Minuten eine Umfrage «weissen Socken» entlocken uns nur mehr er» ist mindestens ebenso knifflig wie die durch. Über 70‘000 Leser nahmen daran ein müdes Lächeln. Einzig das «wären ger- Männerfrage. teil und liessen die Zeitung in einem Stich- ne Zürcher» geht zu weit. Ich bitte Sie: wort wissen, was ihnen zu jedem der 26 Welcher Aargauer wäre schon gern Zür- «Ein Aargauer ist jemand, der im Aargau Schweizer Kantone einfällt. Wer nun in cher? Aber man munkelt ja schon lange, wohnt», las ich irgendwo. Dagegen lässt Bezug auf den Aargau das Schlimmste be- dass die gängigsten Aargauer Klischees sich wenig einwenden. Eigentlich. Denn fürchtet, darf aufatmen. Im Gegensatz zu von den Zürchern kämen. streng genommen hiesse das, dass ich Obwalden («wo liegt das?»), scheint man zwischenzeitlich keine Aargauerin mehr beim Aargau immerhin zu wissen, wo er Die Umfrage von «20 Minuten» wider- war, sondern eine Baslerin. Ich. Eine Bas- sich befindet. Die «schlechtesten Auto- spiegelt primär, wie der Aargau und sei- lerin. Diese Vorstellung dürfte den Basler fahrer der Schweiz» zu sein, nehmen wir ne Bewohner von aussen wahrgenommen Daig ebenso befremden wie mich. Daran gern in Kauf, wenn man uns dafür nicht werden. Wie aber sehen sich die Aargau- ändern auch die knapp 4 Jahre nichts, die nachsagt, «Hunde zu essen» (Appenzell er selbst? Glaubt man einer Umfrage der ich in der Stadt gelebt habe. Ich behaup- Innerrhoden) oder «arbeitsscheu» (Tes- Aargauer Zeitung aus dem Jahr 2011, gibt te daher kühn: Im Aargau oder in Basel sin) und «Wolf-Killer» (Wallis) zu sein. es so etwas wie die Aargauer gar nicht; un-

62 63 PLATZHALTER

Die Linner Linde, ein Stück Aargauer Identität? Jedenfalls ein besonderer Ort im Kanton Aargau. Dieses einzigartige Bild entstand am 24. August 2015.

64 65 IDENTITÄT IDENTITÄT

spezifischen Aargauer Identität eignet, muss sich erst noch weisen.

Doch ist es überhaupt wichtig, sich als Aargauer zu fühlen? Solange es genü- gend andere Pfeiler gibt, auf die sich das Bewusstsein der eigenen Identität grün- det, lautet die Antwort: nein. Anders sieht Wenn es stimmt, dass Lesen wesent- Oben: «Sie soll die Identität der Region es aus, wenn zentrale Identitätsfaktoren lich zum Schreiben gehört, schreibe stärken, der Bevölkerung ein Heimatgefühl wie Freunde, Familie, Arbeitskollegen etc. ich, seit ich denken kann. Puppen vermitteln und der lokalen Community wegbrechen oder – wie es vor dem Hin- haben mich nie interessiert. Ich wollte eine Plattform für Informationen sein. In tergrund von Samenbanken, Leihmutter- immer nur eines: Bücher. Bis ich selber der globalen, digitalisierten Welt wird das schaft, Adoptiv- und Pflegeeltern bei der eines schrieb, hat es allerdings Jahr- immer wichtiger», schrieb Verleger Peter Frage nach der Herkunft geschehen kann Wanner zur Neulacierung des Badener zehnte gedauert. Der Weg führte über – plötzlich unklar werden. Tagblatt. Computerhandbücher, wissenschaftli- che Berichte, Buchrezensionen, Kurz- Dass etwas sinnstiftend wirkt, bemerkt Unten links: Der höchste Aargauer, geschichten, einen Groschenroman man übrigens oft erst dann, wenn man es Grossratspräsident Markus Dieth und sowie ein Bilderbuch. Dann aber war nicht mehr hat. Nicht immer müssen die Landammann Urs Hofmann blicken über er da: Mein Aarau-Krimi. 2015 gesell- das Wasserschloss des Kantons Aargau Umstände dabei so dramatisch sein wie in te sich zu diesem ersten «richtigen» in Brugg. Ist das Wasserschloss ein Stück Syrien, wo der IS mit Palmyra nicht nur ein Buch mit «111 Orte im Aargau, die Aargauer Identität? Zeugnis für die Frühzeit mehrerer Zivilisati- man gesehen haben muss» ein zwei- onen zerstört hat, sondern tatsächlich ein tes. Zurzeit arbeite ich unter anderem Oben rechts: «Staatsbesuch in Aarau.» Stück der syrischen Wurzeln und Identität. Dass die Aargauer Regierung mit proto- an einem zweiten Aarau-Krimi. kollarischen Ehren Gäste empfängt, ist ein Es leuchtet ein, dass sich ein Identitätsge- www.kahi.ch seltenes Ereignis. Am 21. November 2014 fühl mit einer Gruppe, einer Sache oder empfing der Kanton Aargau den österrei- 111 Orte im Aargau, die man chischen Bundeskanzler Werner Faymann, eben einem Kanton nicht von heute auf gesehen haben muss der sich über das schweizerische Steuer- morgen einstellt. Von aussen verordnen system informieren wollte. Er wurde vom lässt es sich schon gar nicht. Es hat aber erschienen bei Emons Verlag damaligen Landammann Roland Brogli im gute Chancen zu entstehen, wenn man April 2015 Beisein von Bundesrätin Eveline Wid- sich mit den betreffenden Menschen oder mer-Schlumpf empfangen. War dies eine Dingen auseinandersetzt. Was 44 Jahre Im Schatten des Schlössli identitätsstiftende Inszenierung? Leben im Aargau nicht geschafft haben, erschienen bei Emons Verlag haben jene zehn Monate des Jahres 2014, Oktober 2013 das als «Jahr der Kantonserkundung» in meine ganz persönlichen Annalen einge- Lisa und Max gangen ist, fertiggebracht: Sie haben in erschienen bei Van Eck Verlag mir ein Aargau-Gefühl wachsen lassen, August 2013 das ich nicht mehr missen möchte.

66 67 WIRTSCHAFT WIRTSCHAFT

neuesten Stand der Technik, sondern auch Die Akteure «wirkungsvoll» waren und sind und damit Das Paul Scherrer Institut (PSI), das den Na- eben die Kriterien für Hightech erfüllen. men des Schweizer Physikers Paul Scherrer Als Beispiel dafür mögen die Kabelwerke (1890 bis 1969) trägt, ist Ende der Acht- Brugg, heute Brugg Cables, stehen, die seit zigerjahre aus dem Zusammenschluss des 1920 ein eigenes Hochspannungslaborato- Eidgenössischen Instituts für Reaktorfor- rium betreiben. schung (EIR) mit dem Schweizerischen Ins- titut für Nuklearphysik (SIN) hervorgegan- «Der Industrie-Cluster in der Region Brugg gen. Mit seinen rund 1900 Mitarbeitenden hat die Entstehung von Bildungs- und For- ist das PSI, das Teil des ETH-Bereichs ist, das schungsstätten wie der FHNW oder des PSI grösste Forschungsinstitut der Schweiz. Die gefördert», sagt Martin Bopp, Geschäfts- Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit lie- führer des Hightech-Zentrums Brugg. «In gen in den Gebieten Materie und Materi- der Region Brugg wurden Technologien al, Energie und Umwelt sowie Mensch und entwickelt, welche zur Innovationsförde- Gesundheit. rung der Region massgeblich beitrugen und die in Zukunft die Innovationskraft – auch Die Hochschule für Technik Brugg-Win- von KMU – in der ganzen Region stärken disch der Fachhochschule Nordwestschweiz werden.» (FHNW) ist im Zuge der Bildung der FHNW aus der ehemaligen Höheren Technischen Es sind vor allem die beiden grossen Bil- Lehranstalt, der HTL Windisch, entstanden. dungs- und Forschungsinstitutionen im Sie bildet zurzeit rund 1600 Bachelor- und Raum Brugg, die massgeblich die High- Master-Studierende im Ingenieurwesen aus. techregion prägen. «Geografische Anker- Die Hochschule für Wirtschaft Brugg-Win- punkte für das Konstrukt, das heute als disch der FHNW zählt gegenwärtig gut 600 Hightech-Cluster dasteht, sind das PSI, die Studierende. Beide Hochschulen betreiben Hochschulen für Technik und für Wirtschaft im Rahmen ihres Auftrages auch Forschung. der FHNW im Campus Brugg-Windisch sowie der Technopark Aargau», bringt es Zu den Akteuren in der Hightechregion Jürg Christener auf den Punkt. PSI-Direktor Brugg gehört auch der Technopark Aargau Joël Mesot stellt fest: «Die Fachhochschule in Windisch. Hinter ihm steht eine Stiftung, Nordwestschweiz und das Paul Scherrer Ins- die 2006 vom Kanton Aargau, der Aargau- titut sind die akademischen Säulen, die das ischen Kantonalbank, ABB Schweiz AG, Dach der Hightechregion Brugg tragen. Bei- ALSTOM Schweiz AG und der Axpo Hol- de arbeiten aber auch eng mit der Industrie ding gegründet wurde. Die Kernaufgabe Hightech in Sichtweite zusammen. Der PARK innovAARE wird eine des Technoparks Aargau besteht in der För- weitere tragende Säule sein.» derung von Gründungen und dem Aufbau der Linde von Linn Mit dem Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz und dem Paul Scherrer Institut (PSI) als Ankerpunkte einerseits und mit dem Technopark Aargau und dem Hightech Zentrum Aargau anderseits hat sich in den letzten Jahren in der Region Brugg ein eigentlicher Hightech- Cluster gebildet. Mit dem PARK innovAARE stösst jetzt eine weitere Institution dazu.

Text Louis Probst Fotos Michel Jaussi

Hightech: Was steckt denn eigentlich hinter zum Wohlstand der Gesellschaft beiträgt», daher nicht gleichzusetzen mit ‹aufwendig› diesem geradezu inflationär verwendeten stellt Jürg Christener, Direktor der Hoch- oder ‹kompliziert›, sondern mit ‹wirkungs- Begriff? Wikipedia, sozusagen die Enzyklo- schule für Technik der FHNW, Standort voll›. Das ist meine Interpretation.» Wie pädie des Internetzeitalters, meint: «Die Be- Brugg, fest. «Es gibt keine Definition, was auch immer die Interpretation von Hightech griffe Spitzentechnologie, Hochtechnik und der Begriff Hightech inhaltlich bedeutet. Es ausfallen mag: Hightech prägt jedenfalls Hightech bezeichnen Technik, die dem ak- gibt aber die interessante Erkenntnis, dass die Region Brugg – wobei hier der Begriff tuellen technischen Stand entspricht. Auch Hightech oft für etwas steht, das weder Region über historische Grenzen hinaus et- werden darunter angewandte Forschungs- wahnsinnig aufwendig ist, noch techno- was weiter gefasst werden soll. Allerdings Oben: Synchrotron Lichtquelle Schweiz felder verstanden, die besonders innovativ logisch riesige Anforderungen stellt. Ein stellen Industriebetriebe in der Region seit (SLS) im Paul Scherrer Institut (PSI). arbeiten.» «Hightech steht als Metapher für Beispiel dafür ist SMS, der Short Message vielen Jahren – lange bevor der Begriff High- etwas, das im technisch-technologischen Service, der mit seinen zusätzlichen Diens- tech ins tägliche Leben Einzug gehalten hat Unten: Campus-Neubau der FHNW in Bereich einen Beitrag bildet, der letztlich ten die Welt verändert hat. Hightech ist – Erzeugnisse her, die nicht bloss auf dem Brugg-Windisch.

68 69 WIRTSCHAFT WIRTSCHAFT von innovativen Unternehmen im Techno- Ende September ist mit dem «delivery lab» logie- und Forschungsbereich. Im Vorder- das erste Gebäude des PARK innovAARE grund stehen dabei die Unterstützung des eingeweiht worden. Bereits haben sich zwei Wissens- und Technologietransfers zwi- Firmen eingemietet. «Unser Ziel ist es, mit schen Hochschulen und Jungunternehmen, dem PARK innovAARE unsere Aktivitäten die Vernetzung von Kompetenzen und die im Bereich des Wissens- und Technologie- Nutzung von Synergien für die im Techno- transfers noch weiter auszubauen», erklärt park angesiedelten Unternehmungen. PSI-Direktor Joël Mesot. «Das PSI hat vom Bund den Auftrag erhalten, für die Schweiz Das Hightech-Zentrum Brugg, das 2012 einzigartige Grossforschungsanlagen zu gegründet wurde und aus der Wachstum- bauen und zu betreiben. Deshalb haben sinitiative des Kantons Aargau heraus ent- wir eine breite Technologiekompetenz. standen und damit Teil der Hightechstrate- Unsere Mitarbeitenden erarbeiten immer gie des Kantons ist, soll ebenfalls mithelfen, wieder neue Schlüsseltechnologien, die für Unternehmen, insbesondere KMU, den op- die Grossforschungsanlagen unabdingbar timalen Zugang zu den besten verfügbaren sind. Diese Schlüsseltechnologien hat das Technologien zu ermöglichen. PSI schon in der Vergangenheit Schwei- zer Unternehmen zur Verfügung gestellt, Zu den arrivierten Institutionen der High- und diese haben daraus weitere Produkte techregion stösst jetzt der PARK innovAA- entwickelt und sind damit in neue Märkte RE, der Schweizerische Innovationspark im vorgedrungen. Dieses Vorgehen will das PSI Aargau. Träger und Betreiber dieses Parks durch den PARK innovAARE nun strategisch ist eine Aktiengesellschaft, hinter der neben ausbauen.» der Privatwirtschaft der Kanton Aargau, das PSI, die Fachhochschule Nordwestschweiz Der Austausch als Motor sowie die Standortgemeinden Villigen und Dieser «Schwarm» von Akteuren bildet den Würenlingen stehen. Seit Kurzem hat der Hightech-Cluster der Region Brugg. Das PARK innovAARE in einem Pavillon auf dem Ganze ist auch hier mehr als die Summe der Areal des PSI seinen ersten, noch proviso- Einzelteile. Die Wirkung – der Beitrag von rischen Standort. Nach dem Willen seiner Technik und Technologie zum Wohlstand Initianten soll der PARK innovAARE «ein der Gesellschaft – entsteht letztlich durch weltweit anerkanntes Zentrum werden, das Zusammenwirken der einzelnen Insti- in dem zusammen mit Unternehmen der tutionen. Privatwirtschaft auf der Basis der Grossfor- schungsanlagen und des Know-hows des «Für das Funktionieren der Hightechregion ternehmungen ist der Motor, der das Ganze FHNW und PSI einerseits und der Wirtschaft den Forschern ist die Technologietransfer- PSI in den Bereichen Energie, Mensch und braucht es Menschen», stellt Jürg Christe- trägt und beflügelt. Eine gewisse Nähe der anderseits, der sogenannte Technologie- stelle des PSI, die für Industriepartner die Gesundheit, Beschleunigertechnologien so- ner zum Mechanismus fest. «Es braucht Institutionen ist dabei sehr hilfreich. Denn transfer. erste Anlaufstelle zur Forschung am PSI ist. wie Advanced Materials and Processes In- zudem Ideen und technologisches Wissen. die Erfahrung zeigt, dass trotz allen moder- novationen vorangetrieben werden». Dabei Beides trifft an den Hochschulen aufeinan- nen Kommunikationsmitteln der persönli- «Der einfachste Transfer von Wissen funk- Der Austausch im weitesten Sinne steht sollen durch die «räumliche Konzentration der. Auf der andern Seite braucht es Un- che Austausch wichtig bleibt.» tioniert über die Menschen», stellt Jürg schliesslich auch im Mittelpunkt der Tätig- von Spitzenforschung und unternehme- ternehmungen, die auf gut ausgebildete Christener dazu fest. «Junge, gut ausgebil- keiten des Technoparks Aargau sowie des rischer Innovationstätigkeit Innovationen junge Menschen angewiesen sind. Dieser Ausbildung und Austausch gehören seit dete Leute gehen in die Unternehmungen Hightech Zentrums Aargau. schneller zur Marktreife gebracht werden». Austausch zwischen Hochschulen und Un- jeher zu den traditionellen Aufgaben der und bringen ihr Wissen mit.» Der Austausch Hochschulen und auch des PSI. Immerhin beschränkt sich aber nicht auf «Köpfe». Kompetenzen dienstbar machen sind rund ein Viertel der Mitarbeitenden am Ebenso bedeutend ist der Austausch von «Zwischen den verschiedenen Institutionen PSI Lernende, Doktorandinnen und Dok- Wissen an sich. und der Wirtschaft besteht eine vielfältige toranden oder Postdoktorierende. Zudem Zusammenarbeit», stellt Jürg Christener kommen jährlich mehr als 2400 Wissen- Für den Technologieaustausch ist bei der fest. «Ziel ist es immer, Kompetenz, die schaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Hochschule für Technik die Technologiebe- vorhanden ist oder spezifisch aufgearbeitet Schweiz und der ganzen Welt ans PSI, um ratung FITT, Forschung Innovation Techno- werden kann, der Wirtschaft zu erschliessen, an seinen Grossanlagen Experimente durch- logietransfer, zuständig, die seit 1982 als mit dem Ziel des wirtschaftlichen Erfolgs. zuführen. Joint Venture von der Aargauischen Indus- Zentrale Akteure sind sicher PSI und FHNW, trie- und Handelskammer (AIHK) und der welche im Rahmen der Forschung und der Der Austausch findet zwischen den Insti- damaligen HTL und mittlerweile der heuti- anwendungsorientierten Entwicklung die tutionen, insbesondere der Hochschule für gen Hochschule für Technik der FHNW tätig Kompetenz bereitstellen. Dazu kommt der Technik der FHNW Brugg-Windisch und ist. Ziel der Technologieberatung FITT ist es, Technologietransfer, der schwergewichtig dem PSI selber, statt. Das kommt sehr schön Unternehmen den einfachen und schnellen durch das FITT und die Technologietransfer- in den Instituten für Nanotechnische Kunst- Zugang zu Kompetenzen der Hochschulen stelle des PSI umgesetzt wird.» stoffanwendungen sowie für Biomasse und zu ermöglichen. Oben: Das PSI in Villigen. Ressourceneffizienz zum Ausdruck, die als Aber auch bei der Förderung von Unterneh- Joint Ventures gemeinsam von FHNW und Auch das PSI macht die Erkenntnisse aus mensgründungen und der Betreuung von Unten: Technopark und das Hightech- PSI betrieben werden. Von grosser Bedeu- seiner Forschung der Wirtschaft zugänglich. Jungunternehmungen, so Jürg Christener, Zentrum Aargau im Zentrum von Brugg. tung ist aber auch der Austausch zwischen Bindeglied zwischen den Unternehmen und würden die FHNW und das PSI eine wichti-

70 71 WIRTSCHAFT VERSCHIEDENES

Claudia Laesser – die Schweizer Fernsehmoderatorin und Model hat ihrer süssen Tochter den schönen Namen «Linn» gegeben. Als Thurgauerin ja keine Selbstverständlichkeit – aber uns Visualisierung vom PARK innovAARE, freut’s... im Hintergrund Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS).

Linn Plüss – mit Vater Ralf Plüss beim Dorfeingang mit der Ortschaftstafel ge Rolle spielen – als «Lieferanten» gewis- ren. Aber Hightech muss auch gelebt wer- soll die Standortattraktivität des Kantons Linn. Linn Plüss ist stolz, dass sie «Linn» sermassen, von Menschen mit spezifischen den. Man muss sich zur Hightechregion be- Aargau für innovative Unternehmen wei- heisst. Am 8. Juli besuchte die Familie Kompetenzen nämlich, welche Jungun- kennen. Hightech ist jedoch in den Köpfen ter gestärkt werden. Diese Strategie soll Plüss aus Winterthur mit grosser ternehmen gründen können. «Die FHNW noch viel zu wenig angekommen. Es fehlt schliesslich dazu beitragen, dass im Aargau Begeisterung unser kleines Dorf Linn. fördert gezielt die Gründung von Unterneh- an der Kommunikation.» durch eine hohe Wertschöpfung bei tiefem men mit Aktivitäten, wie zum Beispiel dem Ressourcenverbrauch in den nächsten Jah- Swiss Up Start Challenge», erklärt er. «Sys- «Zusammenarbeit enorm wichtig» ren ein qualitatives Wirtschaftswachstum tematisch werden junge Leute animiert, «Die Zusammenarbeit der einzelnen Ak- stattfinden kann. Damit wird gewissermas- sich konkrete Gedanken zur Gründung von teure – FHNW, PSI, Technopark, Hightech sen wieder der Bogen zur Feststellung ge- eigenen Unternehmen zu machen. Sie wer- Zentrum Aargau und Industrie – ist enorm schlagen, wonach Hightech einen Beitrag den beraten und gecoacht und mit Wett- wichtig», betont Martin Bopp. «Sie ergän- bilden soll, der eben letztlich mit zum Wohl- bewerben näher an das effektive Ziel her- zen und befruchten sich gegenseitig und stand der Gesellschaft führt. angeführt. Sind die Unternehmen einmal entwickeln gemeinsam innovative, praxis- gegründet, kommen der Technopark, der nahe Lösungen. Die aktuelle Konstellation Aus den Brugger Neujahrsblättern junge Unternehmen begleitet, sowie weite- mit dem PSI, der FHNW, dem Hightech Zen- 2016. Mit freundlicher Genehmigung re Institutionen dazu. So beispielsweise ‹ge- trum Aargau, dem PARK innovAARE sowie der Effingerhof AG, Brugg. Prominet – Die Facebook Seite «Linner Linde» hatte ihren prominten Auftritt nilem Aargau›, eine Förderorganisation für die Nähe zur Industrie bieten ein enormes Radio SRF 1 war für die Reportage in der az Aarguer Zeitung vom 10. Juli innovative Jungunternehmen. Schliesslich Entwicklungspotenzial für die ganze Regi- zum Jubiläum des Schreckmümpfeli in leistet auch das Hightech Zentrum Aargau on. Bei den aktuellen Negativfaktoren wie 2015. Uns freut’s... Schönster Weihnachtsbaum – Die az Linn und berichtete spät am Abend live einen Beitrag im Gebiet der Innovations- Frankenstärke und Hochlohnland ist Inno- Aargauer Zeitung, bz Basellandschaftliche mit Gästen. Auf dem Bild v.l.n.r.: SRF- beratung. Hier geht es darum, bestehende vation ein entscheidendes Mittel, um an der Zeitung, bz Basel, az Solothurner Reporter Sirio Flückiger, Komiker Beat Unternehmungen auf Innovationsbedarf, Spitze zu bleiben. Durch neuartige Produkte Zeitung, az Limmattaler Zeitung und Schlatter, Fotograf Michel Jaussi und beziehungsweise Innovationspotenzial, auf- oder Funktionen erhält die Industrie in der das az Grenchner Tagblatt suchten das Team Sagenstark Irene Wegmann merksam zu machen und diese Unterneh- Schweiz einen Wettbewerbsvorteil gegen- im letzten Jahr den schönsten und Peter Rüegg. mungen gezielt mit Hochschulen in Kontakt über der Konkurrenz aus dem Ausland und Weihnachtsbaum. Gewonnen hat mit zu bringen.» kann sich so im Markt behaupten. Solche über 70% der Stimmen unser Linner Innovationen entstehen nicht zuletzt durch Weihnachtsbaum. Die Weisstanne Ein Beispiel für das Funktionieren dieses genau dieses Zusammenspiel der Institutio- wurde gemeinsam vom Verein ProLinn Austausches und das Entstehen von neuen nen der Hightechregion Brugg.» und Dorfverein Linn auf dem Dorfplatz Unternehmungen im Umfeld der Hightech- aufgestellt. In der dunklen Winternacht region und insbesondere der Fachhoch- Diese Erkenntnis – dass der Verfügbarkeit leuchteten 1500 Lämpchen; sie sollen schule dürfte das Softwareunternehmen und der Anwendung modernster Techno- Herz und Seele wärmen. (dieses Jahr Coresystems AG sein, das 2006 gegründet logien eine Schlüsselrolle zukommt – steht sind es noch mehr...). Hochzeit im Amt – Regierungsrat Alex worden ist. «Die Nähe zur Fachhochschule auch hinter der Hightechstrategie des Hürzeler und seine Partnerin Ursula ist essenziell », betont Philipp Emmenegger, Kantons, von Hightech Aargau. Erklärtes Kühne haben am Dienstag, den Mitgründer und CEO der Coresystems AG, Ziel dieser Strategie ist es denn auch, den 14. Juli 2015 geheiratet und – beinahe Neue Staatsschreiberin – Mit die heute als weltweit tätige Gruppe rund Aargauer Unternehmen, insbesondere den in Sichtweite der Linde von Linn – auf Vincenza Trivigno leitet ab 1. Juni 2016 140 Mitarbeitende beschäftigt. Er gibt aber KMU, einen optimalen Zugang zu den bes- Louis Probst war bis zu seiner Pensio- Schloss Wildegg gefeiert. Da gratulieren erstmals eine Frau die Staatskanzlei des auch zu bedenken: «Wir haben sehr viel in ten verfügbaren Technologien zu ermögli- nierung Redaktor bei der Aargauer-Zei- wir doch herzlich. Kantons Aargau. der Region. Das Wissen ist vorhanden. Die chen, damit sie ihre Leistungs- und Wettbe- tung. Er wohnt in Döttingen. Region könnte sich damit positiv positionie- werbsfähigkeit erhöhen können. Dadurch

72 73 HEIMAT HEIMAT

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1 Zwei Jahre später, als ich als junger Zugfüh- rer, und verantwortlich für die Motorradfah- rer der Genie-RS in Brugg, wiederum die Gelegenheit hatte, in dieser wunderschönen Gegend Orientierungsfahrten zu organisie- ren, wählte ich Linn als Meldezentrale aus. 2 Im damals noch betriebenen Gasthaus Linde richtete ich mich in der Gaststube ein und hatte die Gelegenheit mit dem Wirte-Ehe- paar über die Gemeinde Linn Gedanken aus- zutauschen.

Erst im Jahr 1978, inzwischen war ich verhei- 4 gend erwähnt wurde. Interessant sind das ratet und Vater von drei Kindern, entdeckte Resultat und das abgeleitete Familienwap- ich die Wanderroute «Staffelegg – Linn». pen (siehe Fotos). Es war auch der Moment, wo ich meiner Familie die Linde von Linn und unsere Hei- Im 20. Lebensjahr (1957) absolvierte ich als matgemeinde Linn vorstellen wollte. Als die Motorfahrer die Rekrutenschule bei den Ge- Gemeinde Linn mit ihrer Gesamtschule im nietruppen in Brugg und hatte so die Gele- gleichen Jahr zu Gast am Zofinger Kinder- genheit während ca. drei Wochen mit einem fest war, luden wir die Linner Gäste zu einem GMC-Kipper für eine im Bau befindende Mittagessen ein, und als Revanche durften Militärstrasse auf dem Schiessplatz in wir dann bei winterlichem Schneetreiben an Kies zu transportieren. Der Transportweg der Schulweihnacht in Linn teilnehmen. führte jedes Mal an der Linde von Linn Rich- tung Schinznach vorbei, wo ich in einer Gru- Viel später, ich glaube, es war im Jahr 1989, be Kies auflud und diese bei Thalheim über im Zusammenhang mit dem Bözberger Jubi- «Linn ist und bleibt den Berg nach Zeihen transportierte. Es war läumsfest «800 Jahre Bözberg», erhielten wir eine sehr anspruchsvolle und anstrengende von einer Familie Niederer von Linn eine Ein- Arbeit, aber es machte Spass und alle Betei- ladung an diesem Anlass teilzunehmen. Als unser Heimatort» ligten waren sehr motiviert. Beilage wurde uns eine Kopie des von Heidi

Text & Fotos Walter Wülser

Ein Bericht von einem in Linn heimatberech- Bühne gehen, wie jene der Gemeinde Müh- wöhnliches. Schon als zehnjähriger Junge tigten Aargauer Bürger, namens Walter Wül- lethal mit der Gemeinde Zofingen vor ein interessierte ich mich für die Herkunft unse- 6 ser (1937), wohnhaft in Zofingen. paar Jahren? Mühlethal besitzt heute noch res Namens «Wülser». Und so zeigte es sich seine angestammte Postleitzahl, und die An- bald, dass die Wurzeln unserer Vorfahren Stop, das gilt heute nicht mehr! Über Nacht schrift der Einwohner ist gleich geblieben. aus dem Gebiet Linn und Zeihen stammen. sind wir Bözberger geworden: Die Gemeinde Das Einzige, was äusserlich geändert hat, Mein Vater hatte zwar keine grossen Ver- Linn mit der Postleitzahl 5224 gibt es nicht sind die Ausserortstafeln mit der Aufschrift wandtschaftskontakte mehr, aber er erzählte mehr. Das wollte ich genau wissen und adres- «Mühlethal, Gemeinde Zofingen». Aber der uns vieles über die Linde von Linn, dass es sierte eine Postsendung an unsere Verwand- Amtsschimmel arbeitet schnell, wenige Tage sich um eine uralte Linde handelt und diese ten in Linn mit der bis «gestern» gültigen Ad- nach diesem Linner Beschluss bekam ich eine vermutlich auf einem Massengrab aus der resse. Nach drei Wochen ist dieser Brief mit Mitteilung, dass ich meinen Heimatort Linn Pestzeit gepflanzt wurde. Der Umfang dieses der Aufschrift «nicht zustellbar, Empfänger streichen und mit Bözberg korrigieren soll. prächtigen Baumes sei 14 m und es brauche unbekannt» retour gekommen. Es war sogar Mit solchen Lappalien sollte man sich nicht eine halbe Schulklasse um die Linde einzu- ein Stempel von Linn in Deutschland auf dem gross aufhalten, der in der Schweiz verwur- kreisen. Als wir dann in der Heimatkunde et- Umschlag. Zuerst traute ich meinen Augen zelte Heimatort ist sowieso in Frage gestellt was über den Kanton Aargau zu wissen be- nicht, aber am Telefon klärte mich dann Er- und wird vermutlich in nächster Zeit abge- kamen, war ich natürlich schon etwas stolz, ich Niederer vom «ehemaligen Linn» auf: Die schafft. dass ich Bürger von Linn, einer der kleinsten 1 Buchmatt im Winter Linner bekommen eine neue Identität und Gemeinden des Kantons, bin. 2 Stolz werden wir jeweils von der Linner Linde begrüsst. gehören jetzt zur Gemeinde Bözberg. Eigentlich wollte ich den Bericht über meinen 3 Begegnungen auf dem Höhenweg Heimatort ganz anders beginnen, aber mei- Meine Eltern wollten es aber genauer wissen, 4 Linner Linde am Zofinger Kinderfest im Juli 1978 Das kann doch nicht wahr sein! Warum ne Beziehung zur Gemeinde Linn betrachte was eigentlich der Name «Wülser» bedeutet 5 Sind wir jetzt Bözberger geworden? konnte diese Fusion nicht so einfach über die ich gewissermassen als etwas Ausserge- und wann er das erste Mal in unserer Ge- 6 Linn hatte noch einen Sheriff

74 75 HEIMAT HEIMAT

Niederer zusammengetragenen Stammbau- mes der Wülser-Sippe unterbreitet. Darin sind auch die Abstammung und der Verwandt- schaftsgrad ersichtlich. Gespannt auf dieses Treffen fuhren wir an diesem Sonntag nach Linn. Gekannt haben wir nur zwei Cousinen aus der direkten Linie unseres Vaters, alle an- deren Teilnehmer waren uns fremd.

Mit der Familie Niederer begann eine sehr harmonische Freundschaft, und somit auch eine besondere Leidenschaft in jeder Jah- reszeit von der Staffelegg nach Linn zu wan- Zum Beispiel: Wetter-App der Meteoschweiz, Zum Beispiel: Google Maps, auf der meist- dern. Oft begleiten uns Freunde aus der «Dieser Ort ist nicht mehr verfügbar!». genutzten Karte ist Linn verschwunden. Region Zofingen, und jedes Mal werden wir mit offenen Armen in der Wohnküche bei der Familie Niederer empfangen. Wenn ich die Wanderungen mit der Männerriege und den Gipfelstürmern dazu zähle, war es dieses Jahr das 26. Mal, dass wir diese zweieinhalb- 1 stündige Wanderung erleben durften. Etwa beim 15. Mal konnten wir sogar Erich und Heidi Niederer dazu überreden, auch einmal mitzuwandern. Wir haben sie auf der Staf- felegg empfangen und sie waren ebenfalls sehr überrascht von diesem sehr schön ange- legten Wanderweg.

Von diesen Wanderungen und Erlebnissen in Linn gäbe es noch vieles zu erzählen. Ich hoffe sehr, dass wir in der Zukunft noch oft 2 unseren Heimatort Linn auf diesem Höhen- Walter Wülser, geboren am weg besuchen können. Nichts gegen die Ge- 1 Auch an diesem Jubiläum 9.Juli.1937, Beruf Ing.HTL/HLK, waren wir dabei! meinde Bözberg, aber für uns ist Linn immer Unternehmer in Pension, wohnhaft in 2 Vor der Linde darf Zum Beispiel: Auf der Karte von search.ch taucht Linn als Ortschaftsname nicht mehr auf. noch der Heimatort und der Ursprung unse- Zofingen. ein Gruppenbild nicht fehlen. Umiken, das zu Brugg gehört, konnte seinen Ortschaftsnamen beibehalten. rer Sippe. 3 Text und Ursprung des Namens «Wülser».

3 Und so verschwand unser Ortschaftsname «Linn» aus vielen Karten und Verzeichnissen

Am 27. November 2013 wurde im Nach- regierungsrätliche Unterstützung für diese gang zur Gemeindefusion im allerweites- Sache Linn’s vermochte daran nichts mehr ten Sinne demokratisch beschlossen, dass zu ändern. der historische Ortschaftsname unseres Dorfes «Linn» nicht weiter existiert und Für uns Linnerinnen und Linner wird das dieser auf allen offiziellen und aktuellen Dorf Linn aber für immer Linn bleiben. Das Karten und Verzeichnissen wegradiert wer- Dorf Linn mit seiner einzigartigen Linner den muss. Alle Dörfer auf dem Bözberg Linde, das Dorf in dem wir vor Weihnach- hiessen fortan gleich und auch das Dorf ten beim grossen Weihnachtsbaum am Linn sollte ab jetzt «Bözberg» heissen. Die Dorfplatz zusammen Glühwein trinken, das individuellen Strassennamen im Dorf Linn Dorf wo viel gemeinsam gefestet wird, das wurden eliminiert und durch die Strassen- Dorf in dem wir leben und das wir lieben. bezeichnung «Linn xy» mit fortlaufenden Wir werden das Dorf Linn mit seinem ro- Nummern ersetzt, egal an welcher Strasse mantischen Dorfbild von nationaler Bedeu- sich die Adresse befindet. Dagegen hatte tung und seiner liebenswerten Traditionen sich die überwiegende Mehrheit der Linner erhalten und weiterentwickeln. Wir freuen Bevölkerung bereits vor dem 27. November uns sehr über die vielen Sympathien, Kon- 2013 ausgesprochen. Aber nach der Fusion takte und neuen Freundschaften die daraus blieben die Stimmen unerhört und selbst gewachsen sind.

76 77 GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT

Nachbarn mit Sichtverbindung lernen sich kennen Habsburger und Linner besuchten sich gegenseitig

Text Geri Hirt Fotos Patrik Walde und Michel Jaussi

Die Linner und die Habsburger haben durch das Schloss erläuterte der Windischer beide von ihren identitätsstiftenden und Historiker Dr. Jürg Stüssi auf packende den Dörfern den Namen gebenden, Art die grosse Geschichte der Habsburger geschichtsträchtigen Punkten – Linner und ihres Stammschlosses. Stüssi verstand Linde und Schloss Habsburg – Sichtverbin- es, gerafft und prägnant die Bedeutung dung. Doch kennen sich die Leute beider der Habsburger und deren Einfluss auf die Ortschaften auch? europäische Geschichte darzulegen. Vom Turm aus genoss man sodann praktisch auf Dem Anliegen des Kennenlernens galten Augenhöhe die direkte Sichtverbindung mit Oben links: Das Schloss Habsburg und das die gegenseitigen Besuche. So reisten der Linner Linde. Dorf Habsburg aus der Vogelperspektive. drei Dutzend Linnerinnen und Linner, darunter die beiden ältesten Personen Die Exkursion durch das Schloss und seine Oben rechts: Der ehemalige Grossrat Vreni Bläuer und Heini Koller, mit einem Geschichte endete in gemütlichem Rahmen Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg, Militärhistoriker Oldtimer-Postauto nach Habsburg. Beim im Schlosskeller. Bei Speis und Trank ergaben und Leiter der Bibliothek am Guisanplatz erläutert Geschichtliches zur Habsburg. Schloss wurden sie von einer starken sich neue Kontakte und gute Gespräche. Delegation des Vereins «Habsburg trifft Rechts: Herzliche Begegnungen zweier Dör- sich» empfangen. Auf dem Rundgang fer auf der Habsburg.

78 79 GESELLSCHAFT GESELLSCHAFT

Habsburger in Linn

Im September durfte Linn drei Dutzend Linde entfernten Quelle. Mit dem Bau des Oben: Gemeinsam hören rund 50 Personen Habsburgerinnen und Habsburger bei der Kraftwerks Villnachern wurde die Leitung aus Habsburg und Linn den Sagenerzäh- Linde empfangen. Der sagenumwobene unterbrochen; Habsburg schloss sich lern Irene Wegmann und Peter Rüegg zu. Ort bot Irene Wegmann und Peter Rüegg danach dem Wassernetz von Schinznach- Mitte: Die beiden Dorffahnen von das richtige Umfeld für ihre Sage. Geri Bad an (siehe Artikel auf Seiten 12/13). Habsburg und Linn. Hirt stellte Dorf und Linde kurz vor und verwies auf den Umstand, dass neben der Wiederum setzte ein Apéro, u. a. mit Die beiden ältesten Bewohner: Sichtverbindung und dem vermeintlichen feinem Wein aus der Domaine «Unter der Heini Kohler (89) aus Linn, Walter Rüegsegger (91) aus Habsburg. Schattenwurf der Linner Linde auf das Linde», beim ehemaligen Restaurant Linde Schloss Habsburg, früher eine weitere den Schlusspunkt. Man war sich einig: Herzliche Begegnungen aus zwei Dörfern Verbindung in Form einer Wasserleitung Die beiden informativen und gemütli- schaffen neue Freundschaften. bestand. Habsburg bezog nämlich ab 1908 chen Veranstaltungen rufen nach einer bis Ende der 1940er-Jahre Wasser von Fortsetzung. (GHI) Rechts: Impressionen aus dem Zusammentreffen in Linn. einer rund hundert Meter von der Linner

80 81 LINNER LINDE VERSCHIEDENES

Aus Linn ProLinn wird wahrgenommen Kleinmeldungen

Die Linner Linde

hat Durst Besucherinnen – Linn wird auch immer Die Linner Linde war in diesem heissen mehr von Gästen aus der ganzen Welt Sommer besonders durstig. Ruedi Dät- besucht, sicher auch dank SocialMedia. wiler musste sie gut zehn Mal wässern, In diesem warmen Sommer 2015 be- wobei er in den frühen Morgenstunden suchte auch die Familie Wu aus Halifax, insgesamt 50’000 l Wasser ausbrachte. Kanada auf ihrer Reise in die Schweiz Dabei musste er den Schlauch jeweils das Dorf Linn. Das Brunnenwasser während ca. zwei Stunden um die Linde gab etwas Abkühlung und die Familie führen. Eine aufwändige Arbeit aber im war begeistert von der Ruhe und der Wissen, dass damit der Linde Gutes getan 17. September 2015 – Mit dem Flugblatt «INFO-LINN» das in alle Haushaltungen auf dem Bözbe- Dorfidylle. werden konnte, sicher auch eine schöne rg verteilt worden ist, stellte ProLinn kritische Fragen an die Nagra. Insbesondere wies man auf das Aufgabe. Problem einer Probebohrung in der Nähe der Linner Linde hin.

Kasimir – so heisst wohl die älteste Die Linde von Linn Katze in Linn. Der Kater Kasimir wurde diesen Sommer 20-jährig. Er erfreut sich guter Gesundheit und vor allem eines Ein Kindheitsritual gesunden Appetits. Er ist wählerisch und stillt seinen Hunger an verschiede- Text Lucia von Lewinski-Stofer nen Fressnäpfen. Foto Thomas Zischg

In meinem kleinen Heimatdorf ging ich ten Baum erzählt hatte. Dass er blieb, wo 22. September 2015 – Die az Aargauer Zeitung greift in einem prominenten Artikel die als Kind täglich den Weg zur Kapelle, wo er schon über viele Jahrhunderte hinweg kritischen Fragen von ProLinn auf und thematisiert den Bohrturm neben der Linner Linde. der Hof meines Onkels gegenüberlag. immer war, schien mir gleichzeitig Wunder Mein Lieblingsweg, und mit ihm war mein und normal zu sein. Das gab mir Sicher- Das Leben Lieblingsritual verbunden: Nur von einer heit und manchmal auch Trost. Oft blieb der Mächtigen bestimmten Stelle aus – auf einer leichten ich an der Stelle länger stehen und schloss Anhöhe mit Blick Richtung Westen, weit die Augen. Mit dem ausgestreckten Fin- Im neuen, schön gestalteten Buch «Das über die Reuss und das angrenzende Birr- ger in der Luft versuchte ich, den genauen Leben der Mächtigen» von Zora del Buono feld hin zu den Jurahöhen – war die mäch- Standort der Linde zu erraten. Und wenn findet die Linde von Linn Erwähnung. Die tige Linde von Linn zu sehen. Es gelang mir ich auf dem Weg, wohl in Gedanken an Linde steht da in einer Reihe von Bäumen immer, ihre vertrauten Umrisse ausfindig etwas Erlebtes versunken, den Blick auf die aus den USA, Deutschland, Grossbritan- Hauskonzert – Auch in diesem Jahr zu machen, auch wenn es schon am Ein- andere Seite verpasste, rannte ich zurück. nien, Frankreich, Schweden und Italien. gab es fetzigen Jazz in Linn. Die Haus- dunkeln war. Ich stellte mir vor, dass diese Im Wissen darum, dass die Linde da war. Uns freut es natürlich, dass unsere grosse, konzerte mit teilweise internationalen erhabene, so gütig wirkende Riesin alles Trotzdem, der Blick musste sein. Denn er alte Linde solch internationale Beachtung Besetzungen finden Anklang und sind um sich herum beschützt. Das hing mit der war verbunden mit dem Weg und beides findet. Übrigens: Auch Heini Kohler findet 10. November 2015 – Die az Aargauer Zeitung berichtet, dass der Bohrturm neben der jeweils gut besucht. Klein aber fein kann Geschichte zusammen, die mir mein Vater ist bis heute, was mich freut, unverändert Erwähnung im Buch. Linner Linde keine Option mehr ist. man da nur sagen. über den ursprünglich als Pestlinde gesetz- geblieben.

82 83 HERALDIK Wappen und Fahnen des Kantons Aargau

Text und Fotos Sabine Itting

Die Abbildungen der Fahnen und Wappen der Flaggen, die normalerweise drei- oder vier- Schweizer Kantone, Städte und Gemeinden eckig und aus Tuch hergestellt sind, haben zeugen von der föderativen Eigenständigkeit ihren Ursprung in der Schifffahrt. Das erklärt, innerhalb unseres Landes. Es soll weltweit kei- warum dieser Begriff in der Schweiz weniger ne andere Nation geben, welche, im Verhält- geläufig ist. Wir verwenden den Begriff Fahne: nis zu ihrer Fläche, eine so grosse Anzahl an Landesfahne, Kantonsfahne, Gemeindefahne. altehrwürdigen Zeichen über einen Zeitraum Das traditionelle Format ist entweder ein Qua- von vielen Jahrhunderten unverändert beibe- drat oder ein Rechteck im Verhältnis 3:2. Wir halten hat. kennen zudem seit 1860 die lange, zweizipfli- ge Wappenflagge. Anfang 1803 wurde durch die Mediationsak- te die Zeit der Helvetischen Republik beendet. Unsere Kantonsfahne erscheint in Schwarz Die zu jener Zeit neugegründeten Kantone, zu und Blau. Das Schwarz befindet sich beim denen auch der Aargau zählt, wurden vom Hissen stets an der Stangenseite. Ausserdem Schweizer Landammann Louis d’Affrey auf- muss darauf geachtet werden, dass die Ster- gefordert, ein Kantonswappen zu schaffen nenzacken in der Vertikalachse stets nach und Standesfarben sowie Siegel definitiv fest- oben zeigen. Das heisst, zwei Sterne befinden zulegen. Das heute noch, bis auf wenige De- sich in der oberen Reihe, einer darunter. Leider tails unverändert gebliebene Kantonswappen wird darauf zu wenig geachtet, so dass man- schuf Samuel Ringier-Seelmatter aus Zofingen, che Gemeinden sich mit nicht korrekt gehiss- Mitglied der Regierungskommission. ten Fahnen schmücken.

Das Wappen Aargaus ist zweigeteilt: Die linke Die heraldische Beflaggung hat auch allge- Hälfte zeigt auf schwarzem Grund drei silber- meine Regeln festgelegt, die zu beachten ne Wellenlinien, die rechte, blaue, Seite zieren sind. Beispielsweise hat die ranghöchste bei drei silberne Sterne. Leider sind keine Hin- mehreren Flaggen an einem Mast ihren Platz weise zur Symbolik des Wappens überliefert zuoberst. Bei drei Flaggen steht sie in der Mit- worden, so dass verschiedene Deutungen ge- te, die zweithöchste links, die dritthöchste macht wurden. Heute nehmen wir an, dass die rechts. Wird eine Strassenbeflaggung am Seil Wellen die drei Aargauer Flüsse Aare, Limmat vorgenommen, sollte diese in beide Laufrich- und Reuss symbolisieren, der schwarze Unter- tungen die gleiche Aussage haben. Deshalb grund die fruchtbaren Böden des stark von kehrt man zwei Wappentücher abwechselnd Landwirtschaft geprägten Kantons. Die Sterne zu und weg. Oben: Gelungene Strassenbeflaggung in Frick könnten für die Grafschaft Baden, das Fricktal und Umiken (Stadt Brugg). sowie den Berner Aargau stehen. Möglicher- Wenn Sie sich näher mit der Heraldik (Wap- weise aber auch für die drei Konfessionen in penkunde) des Kantons Aargau befassen unserem Kanton: reformiert, katholisch und möchten, dann empfehlen wir Ihnen das vom jüdisch. Das leuchtende Blau bedeutet wahr- Regierungsrat des Kantons Aargau heraus- scheinlich den Wasserreichtum des Aargaus. gegebene «Gemeindewappenbuch Kanton Aargau». Hier finden Sie sorgfältig zusam- War die Anordnung der Sterne anfangs nicht mengetragene, geschichtlich und heraldisch festgelegt und wurde recht willkürlich ge- wertvolle Dokumentationen, die gleichzeitig handhabt, gab ein Rundschreiben der Staats- ein Stück Aargauer Gemeindegeschichte wei- kanzlei am 2. Juni 1930, auf einen Beschluss tergeben und eine Fundgrube an Anekdoten, des Regierungsrat vom 10. März 1930 die An- politischen Ereignissen und wappenkundli- weisung an alle Amtsstellen im Kanton, dass chen Wirrungen darstellen. künftig amtlich nur noch die ursprüngliche und heraldisch korrekte Darstellung verwen- Rechts: Freie grafische Umsetzung, ohne det werden soll und dass zukünftig im blauen heraldischen Zusammenhang, auch in Bezug Feld zwei Sterne oben und einer darunter lie- auf die Formgebung. Am 2. Juni 1930 wurde gen müsse. Dieses Schreiben stützte sich auf von der Staatskanzlei in einem Rundschreiben das Gutachten von Walter Merz, einem be- verordnet, dass zukünftig im blauen Feld zwei Der Dorfplatz in Linn am 1. August 2015. kannten Aargauer Heraldiker. Sterne oben und einer darunter liegen müsse.

84 85 PLATZHALTER HISTORISCH

Oben: Der festliche Umzug durch Linn um 1900 ist eine der ältesten noch vorhande- nen Aufnahmen. Möglicherweise wurde die Einweihung des beflaggten Schulhau- ses an der Dorfstrasse gefeiert. Das Schul- haus ist 1976 abgrochen und der Dorfplatz gestaltet worden.

Unten: Festzug zur Einweihung des neuen Schulhauses im Jahr 1965. Auf diesem Bild dürften sich wohl noch einige Linner als damalige Schüler erkennen.

Links: Am 3. April 1899 wurde dieses Bild der Linner Linde aufgenommen. Dieses ist die älteste datierte Aufnahme der 800-jährigen Linde von Linn, welches wir in unserem umfangreichen Fotoarchiv gefunden haben. Links der Linde ist Brugg, rechts ist die Habsburg zu erkennen. 1899 war unser Dorf Linn 593 Jahre alt. Die Linner Linde hatte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon das Alter von beinahe 700 Jahren. 1899 fiel der 3. April auf den Ostermontag.

86 87 SOCIAL MEDIA UND INTERNET

Michel Jaussi Der Erfolg kam unerwartet Fotos Der Beachtung des Linner Auftrittes bei Facebook ist einzigartig

www.linnaargau.ch www.linnerlinde.ch www.twitter.com/LinnAargau

www.facebook.com/linnaargau www.facebook.com/linnerlinde

21‘000 Fans für das kleine Dorf «Linn, Wir danken zwanzigtausend Mal für das In- Das Anliegen von Pro Linn ist Informatio- Aargau», wer hätte das geahnt! Nach «Ra- teresse am Dorf Linn! nen bereitzustellen, aber auch politische dio Argovia» ist die Linner Seite eine der Themen und Ideen anzusprechen und zu erfolgreichsten Facebook-Seiten im Kanton Der zusätzliche Auftritt der Linner Linde auf diskutieren. Aargau geworden. Wir freuen uns über die Facebook findet grosse Beliebtheit und hat vielen Sympathien und das anhaltend gros- bereits gut 4800 Likes erhalten. se Interesse für unser Dorf! Auch auf Twitter finden unsere Informatio- Die Rangliste im Kanton Aargau wird von nen über Linn mit beinahe 700 Followern den Aarauerinnen und Aarauern mit über (davon viel Medienschaffende) auch eine 2380 Fans angeführt, gefolgt von den Städ- bemerkenswerte Beachtung. ten Baden und Brugg und den weiteren Ortschaften wie Bad Zurzach, Wohlen, Wet- Zusätzlich zu den Aktivitäten auf den Soci- Facebook-Statistik über die Personen, tingen und Lenzburg. Auch in den kleineren al Media betreibt der Verein ProLinn zwei welchen die Seite von «Linn, Aargau» Gemeinden des Kantons Aargau haben wir Websites: www.linnaargau.ch ist thema- gefällt. Interessant ist (und für Face- viele Fans. Ausserhalb des Kantons Aargau tisch auf das Dorf Linn fokussiert, www.lin- book untypisch), dass die Seite von bekamen wir die allermeisten Likes aus der nerlinde.ch widmet sich den Themen rund Linn die meisten Fans im Altersbereich Oben: Erster Schnee in Linn, 22. November 2015 Unten: Dramatische Wetterstimmung mit Sicht auf das Dorf Linn, 24. August 2015 Region Zürich, gefolgt von Basel und Bern. um die Linner Linde. der 45 bis 54-Jährigen hat.

89 FEEDBACK IMPRESSUM

Impressum Feedback Herausgeber Verein ProLinn Beiträge auf Facebook LinnAargau und ein Mail von Landammann Urs Hofmann Linn 15 CH-5225 Linn Hallo lieber Facebookler von Linn, Heute Nachmittag habe ich mit einer (Bözberg) Ihr macht einen coolen Job! Erwartet Arbeitskollegin Linn besucht. Wir sind [email protected] man eher von Aarau als von Linn! dem Rundweg gefolgt und haben die www.linnaargau.ch Bravo… Wasserfälle, wie auch die Grillstelle Stefan Schmid entdeckt. Redaktion: Ich kam aus dem Staunen fast nicht Geri Hirt (GHI), Dr. mehr heraus. Linn hat mich absolut Hans-Martin Niederer verzaubert. Dieses wunderschöne Dorf (HMN), Iris Krebs (IK), mit den blühenden Kirschbäumen und Michel Jaussi (MJA) Lieber Verein ProLinn dem stahlblauen Himmel … einfach ein fokus.redaktion@ Traum! linnaargau.ch Für die Zusendung der ersten Ausgabe Ich freue mich riesig, wenn wir im Mai des Fokus Linn danke ich Ihnen bestens. unsere Kindergartenreise nach Linn FOKUS LINN wird Ich gratuliere Ihnen zum gelungenen machen werden. Sicherlich werden die durch Spendengelder Heft und wünsche dem Verein ProLinn Kinder von der Linde sehr beeindruckt finanziert. alles Gute bei der Pflege der Linner sein. Aber auch die Wasserfälle werden Postkonto: Traditionen. ihnen gefallen. 89-364522-7 Sie leben wahrlich an einem unglaub- IBAN: CH06 0900 Wir haben uns über den gespendenten Ihnen allen wünsche ich ein gesundes lich schönen Ort! Schön zu wissen, dass 0000 8936 4522 7 Schatten sehr gefreut! und glückliches 2015. man gar nicht um die halbe Welt flie- Vielen Dank für Ihre SRF bi de Lüt gen muss, denn das Gute liegt so nah. Unterstützung! Freundliche Grüsse Linn ist ein absoluter Geheimtipp! Dr. Urs Hofmann, Landammann Herzliche Grüsse Konzept, Layout Kanton Aargau Langsam aber sicher verliebe ich mich Jris Walde in die Gegend, traumhaft!!! Quirina Quax Es war begehrt zu allen Zeiten, Das ist wirklich ein traumhaft schöner Die hier veröffentlichte Meinung der Autoren muss nicht immer mit der Ansicht des Vereins Pro- in Frieden hier sein Pferd zu reiten, Baum, ihr postet immer so schöne Linn übereinstimmen. Der Verein ProLinn übernimmt keinerlei Gewähr für die Richtigkeit und Voll- das, treu und wach daneben meist Bilder! Habe gar nicht gewusst, dass es ständigkeit der bereitgestellten Informationen. Das Copyright liegt bei den jeweiligen Autoren Liebes Linn, schlicht und einfach «LEBEN» heisst. an eurer Seite könnte sich manche so hübsche Landschaften gibt hier im von Text und Bild. Aargau. Durch euch lernte ich das Dorf Grossstadt (und auch kleine Städte) Auch Ihr Linner, ach s’ist uns bekannt, Tobias Maurer Linn kennen, danke! eine Scheibe abschneiden. seid treu und wach in Eurem Land, (Praktikant Design in Christina Thomet Nicht nur von der äusseren Form mit in Eurem Revier, stolz und gewitzt, Aarau) den tollen Bildern, Beschreibungen und seid Ihr aus gutem Holz geschnitzt. Tipps, wie Infos von gestern und heute, sondern vor allem von der höflichen, Ja, Ihr seid treu und wach. Man hat herzlichen und empathischen Schreib- Euren Ruf verstanden und Ihr habt War jemand schneller als Sie? weise, mit meist persönlichen Bezügen. Freunde gewonnen, die Interesse be- Hohes Kompliment und danke, dass kunden an Eurer Heimat, der schönen, Falls hier keine Karte mit einer ich euch nun schon etliche Zeit und grossen Linde und dem bezaubernden hoffentlich noch lange weiter lesen und Wasserfall und allgemein der unberühr- Alina Wüthrich Beitrittserklärung für den Verein ProLinn anschauen kann. (Praktikantin mehr klebt, senden wir Ihnen gerne eine Mein Besuch bei der Linner-Linde, vor ten Natur. Harald Kaiser Mediamatik in Zürich) Anmeldekarte. Melden Sie sich bitte unter: zirka 55 Jahren. Ich denke viel an Euch, zusammen mit Verena Robertini vielen anderen! Manfred Hinni [email protected] Gut, gibt’s Facebook, sonst würde man nie erfahren, dass es einen so schönen Ich war als Kind mit der Schule in Linn, Hat Ihnen unser oder Wasserfall im Aargau gibt. Und durch diese Besuche heisst meine die Linde hatte mich sehr beeindruckt. Magazin gefallen? Verein ProLinn Ernst Faltinek Wenn sie reden könnte, wie viele Ge- Tochter jetzt Lynn Sophie. Dr. Hans-Martin Niederer schichten könnte sie erzählen? Jessica Fischer Werden auch Monika Wunder Sie Mitglied des Linn 15 Ich find’s toll, was Ihr tut, damit «Linn» 5225 Linn (Bözberg) Wir freuen uns über jeden Beitrag auf Vereins ProLinn. nicht einfach in Vergessenheit gerät zu- Facebook! Besuchen Sie uns auf face- gunsten von einem von amtlicher Seite Einfach SUPER, ich meine uns so ein book.com/linnaargau. Gerne können aufoktroyierten «Bözberg»… schönes Dorf zu zeigen. Sie uns auch via Mail (info@linnaargau. Ruth Parham Dieter Wundrak-Gunst ch) oder per Post kontaktieren.

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