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ZÜRICH 27. Sep 2019 Vom Broadway nach Zürich

Der US-amerikanische John Thade tritt in Zürich auf.

Der US-amerikanische Tenor John Thade singt Operetten, Tonfilmschlager und Musicals – nach einer langen Karriere in den USA lebt der Sohn zweier Ufa-Musikfilmstars nun in der Schweiz und konzertiert im Herbst in Zürich.

John Thade wechselt gern die Sprachen, singt bei seinen Konzerten Operettenmelodien und Musical-Klassiker auf Deutsch, Englisch und Italienisch. So wie es seine Künstlereltern einst taten, die Franz Lehárs «Die Lustige Witwe» in verschiedenen Sprachversionen einstudierten, mit ihren Korrepetitoren zu Hause zu üben pflegten – Sohn John hörte ihnen von Kindes beinen an in New York dabei zu. Seine Eltern, das waren Marta Eggerth und , das glamouröse Traumpaar der deutschsprachigen Ufa-Filmoperette der 1930er Jahre, nach der Emigration in New York gefeierte Broadway-Stars mit Fans rund um den Globus, zwei musikalische Legenden. Und so betritt mit dem polyglotten Mittsiebziger John Thade heute nicht nur ein humorvoller und charismatischer Herr alter Schule mit grosser Stim me die Bühne, sondern auch der Glanz einer vergangenen, aber nicht vergessenen Epoche der Musikgeschichte. John Thade lässt die Melodien berühmter Komponisten wie Franz Lehár, Emmerich Kálmán und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder aufleben und performt Broadway-Classics aus «Kiss me Kate» und «My Fair Lady», was das ältere Publikum in nostalgischen Erinnerungen schwelgen lässt und auch die jüngeren Zuhörer fasziniert. Seine persönlichen Erinnerungen – etwa an die Musik beim ersten Wien-Besuch 1952 – und Anekdoten aus der Ära seiner Eltern, die Thade zwischen den Liedern mit seinen Zuhörern teilt, machen das Konzertereignis zu einem einzigartigen Erlebnis, einer musikalischen Zeitreise, wie sie wohl kein zweiter Künstler so bieten kann. Und viele Musik stücke aus seinem Repertoire bringt er gewissermassen nach Hause. Denn ein Grossteil davon wurde von Künstlern geschrieben, die, wie Jan Kiepura und Marta Eggerth, Deutschland, Österreich und überhaupt Europa, in den 1930er Jahren verlassen mussten.

Zwischen Europa und New York Die im k. u. k. Budapest geborene und als musikalisches Wunderkind gefeierte Marta Eggerth (1912–2013) übernahm schon Kinderrollen an der Budapester Oper, feierte dort frühe Bühnenerfolge unter dem Dirigat des damals noch am Anfang seiner kometenhaften Karriere als Operettenkomponist stehenden . 1930 hatte sie ihren grossen Durchbruch in einer Kálmán-Operette in Wien, hatte sich mit Glanz und Gloria und ihrer Koloraturstimme zur populären Operettendiva emporgesungen, gastierte unter anderem in Hamburg und Frankfurt. 1930 bis 1938 drehte sie zahlreiche Filme, lebte in Deutschland und Österreich und war einer der beliebtesten und erfolgreichsten Kinostars der 1930er Jahre. 1936 heiratete Eggerth ihren polnischen Filmkollegen Jan Kiepura (1902–1966), mit dem sie zwei Söhne bekam, der ältere davon ist John. Jan Kiepura war, neben Richard Tauber und Joseph Schmidt, einer der ganz grossen Tenöre in Europa, einer, der eine Arie aus «» an der Oper ebenso gern sang wie den amüsanten Welthit «Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n», den Robert Stolz, der letzte Meister der Wiener Operette, dem Frauenschwarm Kiepura 1935 für einen Tonfilm auf den Leib schrieb. Obwohl Jan Kiepura das Ansinnen, sich mit einer «Schlagersängerin» wie der Eggerth gemeinsam vor eine Filmkamera zu stellen, anfangs schlichtweg em pört zurückwies, gab er schliesslich nach. Und sollte es nicht bereuen: Bis zum Kriegsausbruch waren Musikfilme wie «Zwei Herzen im Drei- vierteltakt» die einzige echte Konkurrenz für Hollywood-Produktionen. Und Jan Kiepura der erste Tenor, der auf Bühne und Leinwand Erfolg hatte. Die Mutter von Jan Kiepura war jüdisch, auch Marta Eggerth war Halbjüdin. Die Nazis tolerierten die beliebten Kiepuras lange in Deutschland, als berühmte Ausländer, als Zugpferd für die Kinofilme, doch nach dem Auftrittsverbot zog das Paar sich zurück, drehte von Österreich aus weitere Kinofilme. Schliesslich ging es über Paris nach New York, wo Kiepura ein Engagement an der Met bekommen hatte. Bis 1938 reisten die Stars für Auftritte in Europa noch hin und her über den Atlantik, dann blieb das Ehepaar in Amerika. Auch (der nicht jüdische) Robert Stolz verliess Berlin und Wien, um nach New York zu gehen, wo es ihm gelang, als eine Art Botschafter die Wiener Operetten neu zu beleben. Das hervorragende Personal und das Publikum dafür standen ihm ja in Form Dutzender deutschsprachiger Emigranten zur Verfügung. «», die erfolgreichste Operette von Johann Strauss Sohn, war im Juni 1942 der erste gelungene Wurf, aber der grösste Erfolg sollte erst noch kommen: die umjubelte «Lustige Witwe» im Majestic Theater am Broadway, die Stolz dirigierte und in der seine alten Weggefährten aus der Filmzeit in Europa, Kiepura und Eggerth, die Hauptrollen übernahmen. Bei jeder Vorstellung donnernder Applaus und Standing Ovations. Wiener Operetten hatten nun einen festen Platz im amerikanischen Kulturleben. Die Kiepuras kehrten nach Kriegsende oft nach Deutschland zurück, feierten neue Erfolge. Jan Kiepura starb 1966, Marta Eggerth sang noch im hohen Alter und starb mit 101 Jahren in New York.

Schmäh und Lässigkeit John Thade, wie seine Eltern ein Grenzgänger zwischen Amerika und Europa, wurde 1944 in New York City geboren. Er erhielt seine Ausbildung von dem Gesangslehrer und «Guru» Oren Lathrop Brown in New York und bei Margarethe von Winterfeldt in Berlin. John Thade feierte anfangs grosse Erfolge mit Melodien aus Broadway-Musicals in den elegantesten Clubs von Manhattan. Dann zog er nach Vermont und gab mit der Reihe «John Thade Sings Broadway All-Time Favourites» über die Jahre Hunderte von Konzerten in Neuengland. Nach seiner Übersiedlung nach Zürich 2012 debütierte er dort im Jecklin-Forum mit seiner Show «John Thade singt Classic Broadway und Operetten». Weitere Konzerte folgten, auch in Deutschland, vor allem in Hamburg. Operetten und Musical-Hits sind in der Hanse- und Musikstadt beliebt: In den 1950er Jahren wurden Paul Abrahams Vorkriegs-Filmoperetten von der Real-Film in Hamburg neu verfilmt, im Operettenhaus läuft seit Jahrzehnten ein Erfolgs-Musical nach dem anderen. Und Marta Eggerth war einst in Hamburg aufgetreten, kam später gern zurück, im Gepäck anfangs den kleinen John. Da passt es, dass John Thade gerade in Hamburg eine treue, wachsende Fangemeinde hat. Er wurde 2015 zu den dortigen Bergedorfer Musiktagen eingeladen, einem kleinen, aber feinen Hamburger Festival, wo Thade von Presse und Publikum begeistert aufgenommen wurde. Seitdem ist er ein regelmässiger Gast bei dem Festival, zuletzt im Juni 2019. Und ausgerechnet in Hamburg-Kirchwerder, bei einem Auftritt in fast familiärem Kreis, schrieb er ein (weiteres) Stück Operettengeschichte, als er im Herbst 2015, ein paar Monate nach seinem Debüt in Hamburg, sein bestgehütetes Geheimnis lüftete: 35 Jahre lang hatte er seine Herkunft vor der Öffentlichkeit verborgen, war nur unter dem in seinem Pass eingetragenen Namen John Thade aufgetreten. Berühmte Künstlereltern zu haben, bedeutet in grosse Fussstapfen zu treten – Thade wollte sichergehen, dass nicht «mein Name, sondern mein Können gelobt wird», gestand er dem verblüfften Hamburger Publikum. Nun erzählt er bei Auftritten und in Interviews gern davon, hat den Blickwinkel verändert. «Ich habe eine ganze Erbschaft bekommen.» Das riesige Repertoire, die Lieder, die Komponisten vor 60, 70 oder 80 Jahren für seine Eltern geschrieben haben, Thade recherchiert all die Bezüge nun im Internet. «Ich möchte die Musik von damals zurückbringen», sagt er, «es gibt ein grosses Publikum dafür.» Seit vielen Jahren begleitet ihn bei Konzerten (die in Hamburg-Kirchwerder geborene) Annkatrin Isaacs, die, verheiratet mit dem amerikanischen Dirigenten und Oboisten James Isaac, ebenfalls in der Schweiz lebt. Ihre Arbeit als Korrepetitorin führte die Pianistin einst zum Internationalen Opernstudio Zürich, sie spielte auch im Operetten- Format des Zürcher Kammerorchesters und ist dem Schweizer Publikum durch ihre zahlreichen Konzerte etwa in Zürich, Basel, Luzern und Winterthur bekannt. John Thade wird im Herbst mit Annkatrin Isaacs in Zürich auftreten. Für ihn sei es «das wundervollste Gefühl der Welt», ein Publikum zu unterhalten, das die Musik jener Ära und «die Arbeit meiner Eltern noch heute so bewundert». Mit Operette und Broadway quasi als Teil seiner DNA vertraut, präsentiert er die unvergesslichen Evergreens musikalisch anspruchsvoll und stimmlich äusserst souverän, vereint Wiener Schmäh und amerikanische Lässigkeit auf charmante Weise. Er möchte die Musik, die Schlager von damals, weitergeben, die Begeisterung dafür. Wenn man ihn bei einer seiner Shows erlebt, spürt man, dass ihm das jedes Mal aufs Neue gelingt.

John Thade, Tenor, und Annkatrin Isaacs, Klavier. Melodien aus Operetten und Musicals. Samstag, 5. Oktober, und Samstag, 30. November, 16 Uhr, Kirche St. Peter, Lavatersaal im Lavaterhaus, St. Peterhofstatt 2, Zürich.

Katja Behling