50 JAHRE STONEWALL

Gebt uns Stonewall zurück! Am 30. Juni wird es voll in City. Gleich zwei riesige Demos wälzen sich durch die Straßen – die einen feiern das 50-jährige Stonewall-Jubiläum ofziell als gigantischen Pride , die anderen sehen sich als politische und unkommer- zielle Alternative und halten den Queer Liberation March ab

Es wird der größte und meistbeachtete CSD in den 1990er Jahren Meinungsverschieden- zumeist linken und alternativen CSD- werden, den die Welt bisher gesehen hat. Am heiten, beispielsweise in Berlin, in gleich drei Organisationen abgetan. Sonntag, den 30. Juni 2019, werden Millionen parallel stattfindende CSDs, die alle unter- Menschen im New Yorker Stadtteil schiedliche politische Haltungen vertraten. Erstmals zwei CSDs in New York den New York City Pride begehen und das Während in manchen Teilen der Welt ein große Jubiläum „50 Jahre Stonewall“ sichtbares Demonstrieren für LGBT-Rechte Nun ist dieser Konflikt auch in New York zelebrieren. undenkbar oder illegal ist, wird in vielen angekommen. Erstmals wird es zum großen Alle wollen irgendwie mitfeiern und sich auf Teilen der westlichen Welt erbittert darüber New York City Pride, der in diesem Jahr die Fahnen schreiben, dass sie die große gestritten, ob es eine Errungenschaft ist, in „Stonewall 50 March“ heißt, einen gleich - ehrwürdige Legende bewahren und im der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ zeitig stattfindenden Alternativ-CSD geben. Sinne der ungehorsamen Protestierenden angekommen zu sein, oder ob es vielmehr Immerhin wird auch bei der Großveranstal - aus der für die Rechte von der Untergang ist. Die großen CSDs in Nord- tung Wert darauf gelegt, dass es nicht LGBT kämpfen. Seit es im Nachgang der amerika und West-Europa werden schon „Parade“ (Umzug) heißt, sondern „March“, es Straßenschlacht die ersten „Pride Marches“ lange von Großkonzernen, Banken, Flug - sich also um eine Demonstration handelt. (also Demos für „Stolz“, wie CSDs in Nord - linien, Alkoholmarken oder politischen Außerdem ist der New Yorker CSD zugleich amerika genannt werden) in den 1970er Parteien mitfinanziert und müssen sich den der WorldPride, der zentrale „Welt-CSD“, Jahren gab und diese in den späten 1970ern Vorwurf eines Ausverkaufs der Community dessen Sinn außer den Organisatorinnen und und frühen 1980ern auch nach Europa zugunsten eines zügellosen Kapitalismus Organisatoren selbst wohl noch nie jemand schwappten, gab es immer wieder Zoff um machen lassen. Als zu klein, unwirksam, zer- durchdrungen hat. die politische Ausrichtung und die „wahre stritten und letztlich von der Öffentlichkeit Das Bündnis Reclaim Pride (Zurückeroberung

Botschaft“ der Veranstaltungen. So gipfelten unbeachtet werden hingegen viele der des Pride) hat in nur wenigen Monaten einen Fotos: Philip Schubin; Bahlman Philip Bill Fotos:

38 L-MAG „Pride for Sale“ (CSD zum Verkauf): Ein Demonstrant des „Resistance Contingent“ (Widerstandsblock) prangert beim New Journalistin und LGBT- York City Pride 2018 die Pionierin Ann Northrop Kommerzialisierung des CSD an

alternativen CSD auf die Beine gestellt, der ganze Gemeinschaftsgefühl sehr weit hinten in der Demo zeitgleich mit dem großen Pride stattfinden ist verlorengegangen. Und das platziert – und somit für Publikum und wird. Eine der Organisatorinnen des Queer stimmt auch mit meinem Gefühl überein. Kameras unattraktiv. Als Reaktion darauf, Liberation March (Queere Befreiungsdemons- Man ging früher dorthin, um seine Freunde wird es nun erstmals einen neuen, alternati- tration), die Mietrechtsanwältin Natalie zu treffen – es war sowohl Politik als auch ven CSD in Manhattan geben. James, erklärte im Telefonat mit L-MAG ihre Spaß.“ Ann Northrop kritisiert: „Die Organisation Motivation dazu: „Wie viele Menschen bin Eine Kritik, die auch bei den großen CSDs organisiert den New York ich ehrlich gesagt schon seit langem angeekelt hierzulande, zum Beispiel in Köln, Hamburg City Pride seit 1984 und hat das Ganze zu davon, wie der New Yorker CSD in den oder Berlin immer wieder laut wird. Doch die dem Kommerz- und Polizeifest gemacht, das letzten Jahren aussieht. Oft bin ich gar nicht politische Lage in den USA stellt sich seit der es heute ist. Sie haben den Kontakt zur Basis mehr hingegan - Wahl von verloren und unsere Community, unsere gen, sondern war Do nald Trump Kultur und unsere Geschichte verscherbelt, lieber bei anderen „Unser Traum wäre der noch krasser um Großkonzernen Profit zu verschaffen. Events, wie dem von einer wirklich stabilen, dar: „Kurz nach - Das hat mit dem allgemeinen Prozess der Dyke March oder dem Trump ins Kommerzialisierung von Homosexualität zu dem Drag March. politischen Community und einer Amt kam, tun.“ Wegen der Ent- solchen Demonstration jedes Jahr“ herrschte be- fremdung, die kanntermaßen Pride-Demo hinterm Metallzaun der große Pride in Manhattan auslöst, gibt es große Bestürzung im Land. Als Reaktion mittlerweile auch in anderen Bezirken Pride darauf gab es beim New York Pride 2017 das Doch nicht nur die vielen Wagen der Groß- Marches, wie in Queens, der Bronx oder sogenannte „Resistance Contingent“ (Wider- konzerne, der Polizei und Justizbehörden Brooklyn – alles Events, die sehr von der standsblock) mit vielen eher linken Gruppen sowie der Parteien, die sich mit viel Geld und Basis kommen.“ wie Act Up und Gay Men’s Health Crisis Pomp in der Parade als homo-freundlich Ein „Urgestein“, die sowohl bei der Aids- (auch eine frühe Aids-Aktivismusgruppe, Anm. präsentieren, stehen in der Kritik. Das in Politgruppe Act Up (1987 in New York d. Red.) oder die Democratic Socialists of Nordamerika übliche System, die CSD-Strecke entstanden) als auch bei den Dyke-March- America (sozial demokratisch-linkssozialis - komplett einzuzäunen und die eigentliche Erfinderinnen, den (1992 tische Polit-Organisation) , bei denen ich aktiv Demo nur für Leute zugänglich zu machen, gegründet) aktiv war, ist die Journalistin Ann bin“, so die 38-jährige Natalie James. die sich vorher als Gruppe oder Verein Northrop. Sie erklärte im Gespräch: „Wenn Im darauffolgenden Jahr gab es Ärger mit registriert haben, stinkt vielen Aktivistinnen. du Leute in New York nach dem offiziellen der Organisation Heritage of Pride (Erbe des So kommt es zu der kuriosen Situation, dass CSD fragst, ist die übliche Antwort: ,Ich Prides), die den New York City Pride seit nur rund 45.000 Menschen tatsächlich hasse die Pride Parade!’ Viele sagen, sie seien vielen Jahren organisiert. Der Widerstands - demonstrieren und eine Million hinter seit Jahren nicht mehr da gewesen, es ist block sollte zunächst gar nicht Gittern am Stra ßenrand zuschauen müssen. fürchterlich und überkom merzialisiert. Das dabei sein, wurde schließlich nach dem Streit Auch Natalie James lehnt dieses Prinzip ab: 50 JAHRE STONEWALL

„Zum Beispiel hat Aids Verstorbenen. Dann setzt sich der Zug die Polizei einen mit über 400 Gruppen und über 100 teils Platz ganz am gigantischen Wagen am Madison Square Beginn der Demo, Garden in Bewegung. Mitmarschieren mit einer komplet- werden auch dieses Jahr nur bis zu 100.000 ten Marschkapelle Menschen, der Rest steht auf der 5th Avenue und Uniformen. am Rand hinter den skurrilen Gittern. Angestell te des Während die alternative Demo schon nach Justizvollzugs mar- drei Stunden im Central Park ankommen schierten ebenfalls möchte, wird der große Pride über neun auf. Und die zahl - Stunden dauern. Auch dieser marschiert am losen großen vorbei und endet, wie einige Wagen von Großkonzernen mit korrupten Kritikerinnen sagen, „im Nichts“ an der Politikern darauf bekamen immer gute 7th Avenue, Ecke 23. Straße. Danach wird Ehrenplätze in der Demo – lange vor den am Times Square ein riesiges, kostenloses Basisgruppen. Also stellten wir Forderungen Konzert mit Melissa Etheridge als eine der auf, dass die Polizeipräsenz abnehmen soll, Haupt-Acts stattfinden. aber auch die Polizeiabsperrungen weniger Abgesehen vom Kommerz, der Strecke und werden – hier in New York sind die Behörden vielem anderen, ist es auch immer wieder die geradezu besessen von diesen Metall- Anbiederung an die Polizei, die viele Aktive, Absperrgittern. Diese Begrenzungen, die zur vor allem Schwarze und People of Color Sicherheit dienen sollen, sind unserer An- kritisieren. Beim Queer Liberation March sicht nach schädlich für jede Spontaneität, sind deshalb Uniformierte unerwünscht. man kann nicht einfach vom Bürgersteig aus Natalie James erklärt dies so: „Keine Polizei mitlaufen. Und für die Sicherheit sind sie in der Demo! Weil Persons of Color – in unse- Polizisten begegneten LGBT-Demonstrantinnen auch nicht von Vorteil, denn wie sollen all die rer Community sind das vor allem transgender häufg mit Brutalität, etwa bei Protesten für Homo-Rechte am 27. April 1973 in New York Leute im Falle eines Angriffs wegkommen, Women of Color – noch immer alltäglich so (oben). Doch heute darf die Polizei – hier die Gay wenn sie komplett eingezäunt sind?“ brutal von der Polizei behandelt werden wie Ofcers Action Leage beim letzten New Yorker damals 1969 zu Zeiten des Stonewall- Pride – beim CSD oft ganz vorne mitmarschieren Millionen marschieren in Manhattan Aufstands. Es gibt die Gay Officers Action League (die LGBT-Gruppe der Polizei), von Nicht ganz so durchorganisiert und in der einige meinen, die könnten doch mit - ordentlichen Gruppenverbänden laufend, marschieren. Aber diese Gruppe ist immer will also der Queer Liberation March die noch eine offizielle Gruppe der New Yorker Alternative bieten, die sich mehr nach dem Polizeibehörde, die eine rassistische Instituti- ursprünglichen Stonewall-Rebellionsgefühl on ist. Dies dient unserer Meinung dem anfühlt. Wenn beide Großdemos gleichzeitig ,Pinkwashing‘, sie lassen die Polizei mit durch Manhattan laufen, wird es sicher diesem Alibi besser aussehen. Bei uns dürfen interessant. Der alternative March startet am Polizei angehörige mitlaufen, wenn sie es Sheridan Square, also nahe des Stonewall individuell möchten oder Teil einer anderen Inns und der Christopher Street um 10 Uhr Gruppe sind, aber nicht in Uniform.“ morgens. Erwartet wird alles Mögliche – eine Durch das Riesen-Event in diesem Jahr ist zu Zahl zwischen 5.000 und 100.000 Teilneh - erwarten, dass das Standing der her - merinnen und Teilnehmern. Sie laufen zum kömmlichen Heritage-of-Pride-Organisation Central Park, wo es eine große politische eher besser wird. Was also kann der alter- Abschlussveranstaltung geben wird. native Queer Liberation March überhaupt Der große New York City Pride hingegen bewirken? Die 70-jährige Aktivistin Ann startet um kurz vor 12 mit dem legendären Northrop hat ein klares Ziel: „Persönlich wäre Gänsehaut-Moment des „Moment of mein Ziel, dass der Pride wieder eine

Silence“, einer Schweigeminute für die an politische und Community-Veranstaltung Fotos: Lesbian Herstory Archives/Bettye Lane; imago/Levine-Roberts; Lane; Privat Herstory Archives/Bettye Lesbian Fotos:

40 L-MAG Mietrechtsanwältin und Aktivistin Natalie James Dafür machen wir uns stark:

„Wie viele Menschen bin ich Selbstbestimmung ehrlich gesagt schon seit und Teilhabe im Alter langem angeekelt davon, wie der New Yorker CSD in den letzten Jahren aussieht“

wird und die Großkonzern-Wagen verschwinden. Ich möch- te ihm wieder eine Bedeutung geben. Deshalb machen wir unsere Veranstaltung auch am gleichen Tag, um nicht einen Zweite-Klasse- Status zu haben. Wir wollen klarstellen, dass wir das Äquivalent sind. Präsenz. Und ich denke, wir werden viele Zehntausende Menschen anziehen, die unsere Veranstaltung als ein neues Modell dafür ansehen, wie der Perspektive.PerspektivPer p kti Pride eigentlich aussehen sollte. Ich habe kein Interesse an einem Streit mit den Heritage-of-Pride-Leuten. Ich verwende die wenige Vernetzung. Zeit, die wir haben, lieber darauf, etwas aufzubauen, das für mich das richtige Event darstellt, anstatt mich mit denen rumzustreiten. Die Teilhabe.T ilh b haben eh viel mehr Geld, denn sie gehen mit den Großkonzernen ,ins Bett‘. Sie haben den viel längeren Atem und die besseren Ressourcen, weshalb wir sie in näherer Zeit nicht loswerden können.“ www.lesbenundalter.de Vier Demos an drei Tagen – Highlight Dyke March

Für L-MAG-Leserinnen und andere Touristinnen stellt das letzte Juni - Wochenende in New York also eine große Herausforderung dar: Gleich vier LGBT-Demos finden an drei Tagen statt. Angefangen mit dem Drag March am Freitag, den 28. Juni, kommt es für viele bereits am Samstag zum eigentlichen Höhepunkt: dem 27. New York City Dyke March! Bis zu 20.000 Lesben und ihre Freundinnen und Freunde werden ab 17 Uhr am Bryant Park losmarschieren. Wer dann am Folgetag überhaupt noch laufen kann, könnte zuerst beim alternativen Pride, dem Queer Liberation March, mitlaufen und sich vom Central Park nach der Abschlussveranstaltung wieder in südliche Richtung treiben lassen, um für einige weitere Stunden die schier endlosen Gruppenaufmärsche des offiziellen New York City Pride mitzuverfolgen und dann schließlich am Times Square Melissa Etheridge zu lauschen. Ein steiles Programm! Welche politische Signalwirkung von diesem Wochenende in New York tatsächlich ausgehen könnte, ist noch ungewiss. Aber Ann Northrop ist zumindest optimistisch: „Unser Traum wäre der von einer wirklich stabilen, politischen Community und einer solchen Demonstration jedes Jahr. Aber wir werden sehen. Ich weiß noch nicht, was nach dem 30. Juni passieren wird und wie viele Leute zu unserer Demo kommen. Wir haben zwar der Parkbehörde 50.000 angekündigt, wissen aber nicht, ob es nun 5.000 oder doch 100.000 werden. Das ist sehr schwer zu beurteilen. Aber wir wollen mit diesem Event zeigen, dass es wirklich einen Bedarf dafür gibt.“ Und dann gibt es für auswärtige Besucherinnen natürlich noch den schlagenden Vorteil: „Gerade für Touristinnen ist es unmöglich, bei dem großen Pride einfach mitzulaufen, der ist sehr exklusiv. Während bei uns alle mitlaufen können. Deshalb hoffe ich, dass die ganzen restlichen Massen zu uns kommen,“ lacht Ann Nortrop voller Zuversicht. // Manuela Kay

www.2019-worldpride-stonewall50.nycpride.org www. reclaimpridenyc.org www.nycdykemarch.com

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