Datum: 18.10.2017

Berner Landbote Medienart: Print 3123 Medientyp: Tages- und Wochenpresse 031/ 720 60 10 Auflage: 104'966 Seite: 3 Auftrag: 3006643 Referenz: 67089219 www.bernerlandbote.ch Erscheinungsweise: 26x jährlich Fläche: 139'166 mm² Themen-Nr.: 313.018 Ausschnitt Seite: 1/3

Berner Landbote - Mittwoch, 18. Oktober 2017 - Nr. 21 TITELSTORY Gabriele Reusser verhilft Betagten zu grösstmöglicher Autonomie SPITEX Die öffentliche Spitex warnt vor einschneidendem Leistungsabbau, wenn der Kanton sein angedrohtes Abbauprogramm umsetzt. Schon heute arbeiten Spitex-Mitarbeitende oft am Limit. Der Einsatz der Gesundheitsfachleute vor Ort ist gefragter denn je - zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Die Pflegefachfrau betreut im Rahmen ihres Spitex-Auftrags regelmässig Hochbetagte, damit diese trotz Einschränkungen möglichst lange im trauten Heim bleiben können. Bilder: dv

Seit 27 Jahren arbeitet die diplomierteund die letzten Meter zu Fuss zurückle-ten Lebensphase steigt weiter an. Pflegefachfrau Gabriele Reusser für diegen. Und sie kennt die Bedürfnisse von öffentliche Spitex -Gürbetal. VonMenschen im hohen Alter; die demo-Es droht eine Sparrunde den drei Stützpunkten Belp, Münsingengrafische Entwicklung und das moder-Doch wieder sieht sich die öffentliche und Wichtrach aus betreuen die Fach-ne Gesundheitssystem machen die Spi-Spitex im Kanton , die eine Versor- frauen der Spitex-Organisation Klien-tex zum unverzichtbaren Service publicgungspflicht zu erfüllen hat, mit ein- tinnen und Klienten in Allmendingen,vor Ort. Während andere Dienste desschneidenden Sparforderungen kon- Belp, Belpberg, , Jaberg, Kie-täglichen Lebens wie Dorfladen, Post,frontiert: Die Regierung will über 20 sen, Kirchdorf, Mühledorf, Münsingen,Beiz, Schule und Bus weggespart wur-Millionen Franken pro Jahr einspa- Oppligen, Rubigen, Tägertschi, ,den oder werden, haben die Gesund-ren mit höherer Patientenbeteiligung Trimstein und Wichtrach. heitsdienstleistungen vor Ort dem an-als Folge. In der Novembersession des Reusser kennt in ihrem Gebiet fast je-haltenden Spardruck mehr oder wenigerGrossen Rats steht das sogenannte Ent- des Strässchen und jeden Hof; bei ver-standgehalten; die Nachfrage nach Hil-lastungspaket 2018 auf dem Programm. eister Strasse im Winter musste sie dasfeleistungen am Menschen in der letz- Dienstauto auch schon stehen lassen «Wie geht es heute?»

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Berner Landbote Medienart: Print 3123 Belp Medientyp: Tages- und Wochenpresse 031/ 720 60 10 Auflage: 104'966 Seite: 3 Auftrag: 3006643 Referenz: 67089219 www.bernerlandbote.ch Erscheinungsweise: 26x jährlich Fläche: 139'166 mm² Themen-Nr.: 313.018 Ausschnitt Seite: 2/3

Reussers Einsätze beginnen am Stütz-der Spitex-Einsätze: «Wir helfen unse-hende noch weitgehend selbst. Auf der punkt Wichtrach, wo sich der Dienstwa-ren Klientinnen und Klienten dabei, soSüdseite des grosszügigen Balkons, der gen und die benötigten Instrumente fürlange als möglich maximale Selbststän-eine grossartige Sicht übers Aaretal und den Tag befinden. An diesem Morgendigkeit in ihrer trauten Umgebung zu er-auf die Stockhornkette erlaubt, gedei- besucht die Pflegefachfrau zuerst denhalten.» Dann fährt sie zum 87-jährigenhen prächtige Tomaten. 72-jährigen ehemaligen Abwart undLandwirt, der seinen Beruf vor 15 Jahren Reusser misst Blutdruck und Puls Chauffeur im Dorf. Nach einer schwerenwegen Asthma definitiv aufgeben muss-und vervollständigt die Daten auf dem Dickdarmoperation mit anschliessen-te. Seit einem akuten Vorfall, bei dem erTablet. Minutiös bereitet sie die umfang- der Chemotherapie bedarf der allein-fast erstickt wäre, muss er das Sauer-reiche Medikamentenpalette für eine stehende Rentner der engen Begleitungstoffgerät griffbereit haben. In der NachtWoche vor. Die betagte Frau schluckt und Überwachung, zumal er auch nochträgt er eine leichte Sauerstoffmaske dergut und gerne gegen zwanzig Medika- an Rheuma leidet. «Wie geht es heute?»,Lungenliga. «Dadurch geht es mir vielmente pro Tag, nebst den rezeptpflich- fragt Reusser nach der Begrüssung. Derbesser», berichtet der Patient. Wenn ertigen auch noch Vitamine, Magnesium Patient zeigt sich zufrieden, er hat guteunterwegs ist, nimmt er das mobile Sau-und Schlafmittel. Reusser schaut, ob al- Neuigkeiten: Darmspiegelung und Blut-erstoffgerät mit. les in genügender Dosis vorhanden ist. kontrolle ergaben einen zufriedenstel-Die tägliche Medikamentendosis Die Medikamentenbeschaffung ist von lenden Befund. Eine grosse Ansammlung verschiede-Fall zu Fall verschieden; verschrieben ner Medikamentenpackungen steht aufwerden die Medikamente aber in der Der Computer ist immer dabei dem Küchentisch bereit. Fein säuberlichRegel durch Spital oder Hausarzt. Längst hat die Digitalisierung auch diefüllt Reusser die einzelnen Pillen in Ta-Vereinbarkeit von Beruf und Familie Spitex erfasst: Bei jedem Einsatz vor Ortgesrationen für die ganze Woche ab, dieAm Abend erwartet Reusser ein Spät- dokumentiert Reusser mithilfe eines Ta-Ablagen des Medikamentenkastens sinddiensteinsatz. Da ihre Söhne erwach- blets Gesundheitszustand, Pflegeschrit-prall gefüllt. Wie viele Pillen sind es pro sen sind, kann sie solche Dienste jetzt te und Medikamente. Das Smartpho-Tag? «Sieben bis acht mit einem Schluckregelmässig leisten. In der Zeit, da ihre ne hält die Arbeits- und Wegzeiten fest.Kaffee am Morgen», antwortet der Pati-Söhne noch zu Hause lebten, gingen bei Die portablen Computergeräte ermög-ent. Der pensionierte Landwirt, der lei-der Alleinerziehenden die familiären lichen die detaillierte Einsatzplanungdenschaftlicher Viehzüchter war, erfülltVerpflichtungen vor. Die Spitex-Orga- und Pflegedokumentation. Die Datenalle Verhaltensregeln mit grosser Sorg-nisationen legen grossen Wert auf Ver- dienen der Spitex-Zentrale zur Abrech-falt: Täglich muss er inhalieren, die Me-einbarkeit von Beruf und Familie und nung und belegen die Aufwendungendikamente schlucken, ausgewogen es-berücksichtigen individuelle Wünsche gegenüber Arzt und Krankenkasse. sen und auf die Waage stehen, damitihrer Mitarbeitenden so gut als möglich. Reusser rüstet die rezeptpflichtigensein Körpergewicht nicht überbordet. Er Medikamente für die nächste Woche,erfüllt dieses Programm im eigenen In-Austarierte Arbeitspensen nicht ohne sich vorher vergewissert zuteresse: «Allein, ohne Spitex, könnte ichDer Stützpunkt Wichtrach beschäftigt haben: «Hat sich etwas geändert?» Dannhier nicht mehr bleiben.» Diese Dienst-28 Berufsleute, ausschliesslich Frauen, bekommt der Patient seine wöchentli-leistungen zu kürzen sei «Sparen am fal-die meisten mit Teilzeitpensen, und drei che Spritze in den Oberschenkel ge-schen Ort», sagt der alleinstehende Be-Lernende. Das Team hat momentan 72 gen die Rheumaschmerzen. «Ich bintagte mit Überzeugung. Klientinnen und Klienten zu betreuen, froh, dass sie das macht», sagt der Pati-Lift hilft Treppen zu überwinden im Einzelfall sind bis zu vier Einsätze ent. Jetzt ist er guter Dinge und schmie-Reussers nächster Einsatz gilt einerpro Tag nötig. Die Teams arbeiten mit det Pläne für die Zukunft: Gerne möch-84-jährigen Klientin auf dem Oppli-den mobilen spezialisierten Spitex-Pal- te er kommenden Winter wieder einmalgenbergli. Stolz präsentiert die Gehbe-liativdiensten von Bern und Thun zu- auf eine Skitour gehen. In seiner Zeit alshinderte den neuen Treppenlift, der insammen. Bei Engpässen hilft man sich Tourenleiter hatte er unzählige Bestei-diesen Tagen im zweistöckigen Wohn-innerhalb der Stützpunkte aus. gungen und Abfahrten unternommen. haus eingebaut worden ist. Ihre Gelen- Eine erneute Sparrunde hätte «gravie- Maximale Selbstständigkeit als Ziel ke bereiteten ihr immer grössere Prob-rende Auswirkungen für alle», sagt Stütz- Zurück im Dienstauto reinigt Gabrieleleme, berichtet die siebenfache Mutter,punktleiterin Martina Spahni. Die Spitex Reusser ihre Hände vorschriftsgemässGross- und Urgrossmutter. Das zweiteAare-Gürbetal würde in die roten Zahlen geraten. mit einem Sterilium. Sie erklärt das ZielKnie lasse sie aber nicht mehr operie- Daniel Vonlanthen ren. Den Haushalt besorgt die Alleinste-

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Spitex-Dienste erbringen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen Im wachsenden Pflegemarkt operieren di- auf seiner Website. Er hat errechnet, dass verse Anbieter, öffentliche und private, die der Kostenanteil der Spitex an den kanto- gesetzliche Mindestauflagen erfüllen müs- nalen Nettoausgaben lediglich 1,5 Prozent sen. Im Kanton Bern beispielsweise ist die ausmacht. Schon heute seien mehr als die Spitex Stadt und Land führende private Hälfte aller Einsätze der öffentlichen Spitex Spitexorganisation. Unterschiede zwischen nicht kostendeckend. «Ohne Zusatzfinan- «privat» und «öffentlich» fallen in der Al- zierung durch den Kanton wird diese Leis- ters- und Krankenbetreuung sowie im tung niemand erbringen. Auf der Strecke hauswirtschaftlichen Bereich ins Gewicht: bleiben die betroffenen Menschen.» Die öffentliche Spitex ist wie Post, Wasser- Laut Verband hätten die Sparmass- und Stromversorgung in der Pflicht, allen nahmen dramatische Leistungskürzungen Menschen zu Hause die gleiche Dienstleis- in allen Regionen zur Folge. 50 regiona- tungsqualität zu bieten. Der Ort des Domi- le Organisationen sind derzeit Mitglied des zils darf dabei keine Rolle spielen, die öf- öffentlichen Spitex-Verbands Kanton Bern. fentliche Spitex muss auch abgelegene Die Zahl nimmt im Zuge von Fusionen ein- Weiler bedienen. Private hingegen könnenzelner Organisationen laufend ab. Die Non- ihr Operationsfeld frei wählen. Profit-Organisationen zur Erbringung spita- Bei den Arbeitsbedingungen und den lexterner Leistungen in Form von Hilfe im Löhnen orientieren sich öffentliche Spi- Haushalt, Gesundheits- und Krankenpfle- tex-Organisationen am Personalrecht der ge sind meistens als Verein organisiert und öffentlichen Hand, während die privaten rechtlich selbstständig. Gabriele Reusser im Einsatz. Anbieter diesbezüglich freier sind. Einige 2008 schlossen sich die Spitex-Organi- Private unterschreiten die branchenübli- sationen Belp-Toffen, Münsingen und Um- chen Standards; besonders betroffen von gebung sowie Wichtrach und Umgebung prekären Bedingungen sind Care-Migran- zur öffentlichen Spitex-Organisation Aare- tinnen aus dem Osten. Gürbetal zusammen. Das Versorgungsge- Die öffentliche Spitex hat überdies ei- biet umfasst ein Dutzend Gemeinden mit nen Ausbildungsauftrag. Sie bildet jedes gegen 40 000 Einwohnenden. Jahr qualifizierten Pflegenachwuchs fürs Ausgelöst durch die Streichung von Kan- Gesundheitssystem aus, was entsprechen-tonsbeiträgen für hauswirtschaftliche und des Lehrpersonal erfordert. sozialbetreuerische Leistungen liess der Nun will der bernische Regierungs- Spitex-Verband 2013 den Sinn der Versor- rat bei der öffentlichen Spitex sparen: Das gungspflicht in einem Gutachten ermitteln, «Entlastungspaket 2018», über das im No- sah er doch schon damals den Grundsatz vember der Grosse Rat befindet, sieht Ein- «ambulant vor stationär» infrage gestellt. sparungen von 21 Millionen Franken bei Das Gutachten attestierte der öffentlichen der Spitex und ihren Klienten vor. Der Spi- Spitex einen hohen volkswirtschaftlichen tex-Verband Kanton Bern ist alarmiert: Nutzen, der deutlich werde in den Folge- «Stoppen wir diesen unverantwortlichen kosten, welche die Abschaffung der Ver- Kahlschlag. Setzen wir uns Pin für eine Ver-sorgungspflicht auslösen würden: Tausen- sorgung der Betroffenen vor Ort zu tragba-de Patientinnen und Patienten müssten im ren Kosten für alle», schreibt der Verband Pflegeheim betreut werden. dv

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