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Eine Auswertung Die tabellarisch erfassten Befunde werden an exemplarischen Stellen auf Tempo, Bewegungs- und Spannungsverlauf hin angeschaut und miteinander verglichen. Wo nimmt die Szene die Partitur wörtlich, wo ist auf der Szene etwas anderes zu beobachten?

Die Tempobezeichnung der Einleitung (T. 1-12) sostenuto (gehalten, gleichmässig fortklingen lassen) und die Tonart fis-moll verorten die Wolfsschlucht in einem unwägbaren Gelände. Ein Seitenblick auf die Tonartencharakteristik von fis-moll lohnt sich: Mattheson spricht vom verlorenen und einsamen Ton, der etwas „Misanthropisches an sich“ hat, nach Schubart „zerrt“ er an der „Leidenschaft, wie der bissige Hund am Gewande. Groll und Missvergnügen ist seine Sprache.“1 Der Gegensatz zwischen gehaltenem Tempo einerseits und nervösen raschen Bewegungen in den Tremoli anderseits erzeugt Spannung an der Oberfläche, während der eigentliche Fortgang der Geschichte in der absteigenden Basslinie erzählt wird. Die Abwärtsbewegung wird als „schwerer Gang“ (Passus duriusculus) bezeichnet und stellt sich als Kette von chromatisch abwärts steigenden Sekunden dar, eingeleitet wird er durch die rhetorische Figur des Ausrufs (Exclamatio), der aus Schrecken oder Erschütterung erfolgen kann. Diese satztechnischen Phänomene verweisen auf die im siebzehnten Jahrhundert entwickelte Musiktheorie der Figurenlehre, die ihrerseits auf die Rhetorik der Antike zurückgreift. Eine musikalische Figur „ist eine auf einen bestimmten Abschnitt beschränkte musikalische Bewegung – sowohl in der Harmonik als auch in der Melodie – welche mit einer Clausel beginnt und in einer Clausel endet, die von der einfachen Art der Komposition abweicht und mit Tugend eine verziertere Haltung annimmt und sich aneignet.“2 Die musikalisch-rhetorische Figurenlehre wird als „theoretisches Konstrukt“ beschrieben, „das den Komponisten in die Lage versetzen soll, den Sinn, Affekt und Bildgehalt jedes Textdetails mit der angemessenen Figur darzustellen“. Dadurch sollte es dem Ausführenden wie dem Hörer leichter fallen, „diese Darstellung zu verstehen“.3

In der musikalischen Praxis ist dieser trocken dargestellte Zweck einer solcherart fundierten Satztechnik allerdings höchst wirkungsvoll: Die Figurenlehre ist einerseits ein Instrument, um die Synästhesie zwischen Hören und Sehen künstlerisch darzustellen und verweist auf die enge Verbindung von Musik und Rede; anderseits animiert sie die Vorstellungskraft (nicht allein des Komponisten), Musik als Bewegung in Zeit und Raum plastisch zu deuten. Genau diese Kompetenz wird dem Zuhörer und Zuschauer einer Oper abverlangt, der gleichzeitig Musik hören, die Szene beobachten und „verstehen“ will. An dieser Stelle hört der Zuschauer die stetige Abwärtsbewegung abstrakten melodischen Materials und sieht den wörtlich musikalisierten Abstieg auf den Tiefpunkt (T. 13). Diesem Vorgang stehen Akkorde gegenüber, die eine harmonische Auflösung verweigern. Es sind allesamt Vorhaltsakkorde in enger Lage, angereichert etwa durch Septakkord und trugschlussartige Wendung (T. 7 f.), sie stellen die im eigentlichen Sinn des Wortes komponierte Ausweglosigkeit dar.

1 Mattheson 1713, S. 240; Schubart 1806, S. 379. 2 Burmeister 1606, S. 55. 3 Dahlhaus (Hg.) 1995, Bd. 13, S. 312. 477

Kaspars Bewegungspotential scheint auf den ersten Blick nur vom Bedeutungspotential der Musik durchdrungen. Er lauscht angespannt, schaut ratlos ins Dunkle, seine Augen suchen nach einem Anhaltspunkt. Festen Halt verspricht das Gewehr, dort kennt er sich aus: Den Finger hält er am Abzug, den schlanken Lauf nach rechts, während sein Blick starr nach links oben gerichtet ist. Einen Jäger, der auf der Hut ist und wartet, stellt man sich anders vor, nämlich gelassen und aufmerksam. Die Rollen scheinen vertauscht: Kaspar ist das aufgeschreckte Wild, das sich verbirgt und wartet, bis die Hatz vorbei ist. Der Graben, auf dessen Rand er sitzt, ist sein Einstand – eine Rückzugsort für Wildtiere nämlich, den diese zum Schutz oder als Ruheraum aufsuchen. Kaspars eingegrenzter Bewegungsradius soll jenes physisch bedingte Singen und Sprechen befördern, das der psychischen Situation (der Angst) entspricht. Ruth Berghausʼ körperorientierte Arbeit mit Sängern (oft von aussen nach innen) war auf ein Singen ausgerichtet, das Roland Barthes die Pflege der „Rauheit der Stimme“ nannte. Gemeint ist der präzise abgesteckte Raum (nämlich das Genre gesungene Musik), in dem „eine Sprache einer Stimme begegnet“. Wenn eine Stimme auf „zweierlei ausgerichtet“ ist und „zweierlei hervorbringt“ – „Sprache und Musik“ – spricht Barthes von der Rauheit der Stimme. Hier interessieren nicht „die Modalitäten der emotionalen Hervorbringung“, der Mythos des Atems und die Lunge, „dieses blödsinnige Organ (Katzenfutter!)“, das „schwillt“ aber nicht „straff“ wird. Hier interessieren Zunge, Stimmritze, Zähne, Innenwände und Nase – jene Körperteile, die anders als die Lunge, „Signifikanz“ und „Wollust“ hervorbringen. Die Kunst des Singens liegt „in den Buchstaben, nicht im Blasebalg“, und hervorbringen kann sie ein Sänger, den man nicht „atmen“ hört, sondern „den Satz zerteilen“.

In der Kehle, dem Ort, wo das Lautmetall gehärtet und gestanzt wird, und im Gesichtsausdruck, bricht die Signifikanz auf und lässt nicht die Seele, sondern die Wollust hervortreten.4

Auf den zweiten Blick eröffnet Kaspars Körpersprache Parallelen zum Tempo-, Bewegungs- und Spannungsverlauf der Musik. Sein physisches Tempo etwa ist ebenfalls gehalten, wie es die Spielanweisung sostenuto für die Musik vorgibt und prägt das psychische Tempo, das Lähmung verrät. Nebst diesen verborgenen Parallelen gibt es offensichtliche Verdoppelungen dessen, was die Musik sagt und Handlungen, die den Regieanweisungen verwandt sind. Als der Chor der Geister („unsichtbar“) einsetzt (T. 13), wechselt Kaspar die Blickrichtung, schleckt sich die Lippe, reisst die Augen auf. Er versteht nicht, was er nicht sieht („Milch des Mondes fiel aufs Kraut“). Die Auflösung der verschlüsselten Drohung („Uhui!“ Chor- und Orchestereinsatz T. 15.) schlägt wie ein Blitz ein, schreckt Kaspar auf und weckt den Scharfschützen in ihm, der er einmal war. Anderseits weist sein ruckartiges Hochnehmen des Kopfes auf die Figur hin, die nicht allein in der Musik zu beobachten ist (Exclamatio in T. 15 ff.), sondern in der Jägersprache als „Aufwerfen“ bezeichnet wird: Wenn das Wild etwa beim Äsen durch ein Geräusch gestört wird, wirft es den Kopf auf. Wer wie Kaspar ein Gewehr im Arm hält, sollte auch ein Ziel im Auge haben – nur: Hier ist es dunkel, nichts ist zu sehen. Er bekommt eine zweite und dritte Chance, die allfällige Beute ins Visier zu nehmen (Chor- und

4 Barthes 1990, S. 273. 478

Orchestereinsatz T. 16, T. 19). Der dritte Versuch fällt zaghaft aus, Kaspar reckt sich nur noch halb, um den Lauf in Richtung der Publikumslogen zu lenken.

In der Regieanweisung zur Einleitung liest man, „Kaspar ist beschäftigt, mit schwarzen Feldsteinen einen Kreis zu legen, in dessen Mitte ein Totenkopf liegt“. Diese Handlung findet in einer Umgebung statt, in der sich der Komponist vom „Blitz“ zerschmetterte Bäume vorstellt sowie „eine grosse Eule mit feurig rädernden Augen“, die auf einem knorrigen Ast sitzt. Dieses naive Bild stellt sich auf Berghausʼ Szene anders dar: Kaspar sitzt mit dem Rücken zu einer baumlosen und menschenleeren schiefen Ebene. Später richtet er sich in seinem Einstand auf, in dem er steht (T. 21). Aus seiner Manteltasche holt er ein Bündel grosser schwarzer Federn (T. 23), breitet sie zu einem Fächer aus und hält sich den Federnfächer in genau dem Moment vor Gesicht und Augen, als der Chor „tot“ singt (T. 26). Harmonisch klingt hier eine überraschende Dur-Subdominante auf h. Sie bringt Licht ins Dunkel, erhellt, was geschehen wird: Die Braut stirbt, getroffen von der siebten Kugel, die der Teufel gelenkt hat. Kaspar hat die Botschaft verstanden, seine Bewegungen weisen in der Chronologie der Geschichte vorwärts und rückwärts: Er verbirgt sich hinter dem Fächer und schaut weg, als die Braut stirbt (Zukunft). Statt Agathe zu berühren, die ihm rechtmässig zustehen würde, erinnert er hinter den Federn verborgen den versagten Kuss (Vergangenheit).

Die Federn sind unverkennbar Vogelfedern. Ihre symbolische Bedeutung ist offensichtlich und ruft das Jägerlatein in Erinnerung, das im Freischütz transformiert vorliegt und von der Regie noch einmal transformiert und in eine szenische Handlung übersetzt wird. Hier hat sich das platte Symbol zu einer szenischen Metapher gewandelt, die eine ganze Palette von Auslegungen zulässt. Einige davon seien hier ausformuliert: Die ambivalente Redewendung „den Vogel abschiessen“ geht auf den Brauch zurück, bei Schützenfesten einen Holzvogel auf einer Stange zu platzieren. Wer ihn herunterschoss, wurde Schützenkönig. Die Redewendung hat aber auch die gegenteilige Bedeutung: nämlich Misserfolg; ausserdem geht sie auf den Begriff der „Vogelfreien“ zurück – auf Menschen ohne Rechte, die erschossen werden durften; sie waren „völlig frei von Diensten wie die Vögel“ und wurden den „Vögeln zum Frass freigegeben wie ein Gehenkter“.5 „Vögeln“ kommt schon im Mittelhochdeutschen in der Umgangssprache vor und meint das Begatten des Vogels. Die Feder wiederum gilt über die phallische Bedeutung hinaus als Jagdtrophäe, die sich der Jäger an den Hut steckt; und das „an den Hut stecken“ verweist wiederum auf ein militärisches Ritual: Wer aus unehrenhaften Gründen die Truppe verlassen musste, demjenigen wurde eine Papierblume an den Hut gesteckt.

Der Fächer, mit dem man sich Wind verschafft, hat seinerseits mehrere Bedeutungen. Der Gegenstand kam im 17. Jahrhundert unter der Bezeichnung éventail nach Deutschland. Der ebenfalls mit Federn besteckte Feueranfacher, den man in der Küche benutzte, erhielt im selben Jahrhundert den Namen Fächer. Man facht ein Feuer an und fächert sich Luft zu.

5 Duden, Band 7, 1997, S. 792. 479

Auf diesem Hintergrund kommt der Geste des älteren Jägerburschen (Kaspar) eine höchst aufgeladene Bedeutung zu. Er fächert nicht, er verbirgt sich lediglich hinter dem Fächer. Statt ein Feuer anzufachen und sich Mut zu machen, verharrt er regungslos. In den Händen hält er Federn eines profanen Riesenraben und keine Überreste eines stolzen Steinadlers – eine traurige Trophäe, hinter der er sich versteckt. Außerdem drängt sich der unappetittliche Vergleich zu Agathe auf, die ebenfalls als Haufen blutiger Federn enden könnte. Später im Stück wird Max auf Geheiss des Fürsten auf die weisse Taube zielen und Agathe treffen. Im Finale wendet sich auf der Oberfläche alles zum Guten, Agathe „erwacht aus schwerer Ohnmacht“ (Finale T. 38).

Um diese Zusammenhänge zu verstehen, muss man auf den Dialog zwischen Kaspar und Max am Ende der vierten Szene des ersten Akts zurückblenden. Max, der ansonsten nichts mehr trifft, hat mir nichts dir nichts einen Steinadler vom Himmel geschossen. Kaspar hat ihm das eigene Gewehr in die Hand gedrückt und ihn regelrecht genötigt, in „Schellenobers Namen“ zu schiessen. Die Kugel, die Max losschickt, ist eine Freikugel.

Die rabenschwarzen Federn, die Kaspar aus der Manteltasche zieht, sind also dramaturgisch vorbereitet. Ebenso steht es mit dem, was Kaspar tut, nachdem er den Fächer heruntergenommen hat: Er beginnt, die Federn in einem Halbkreis vor sich aufzufächern (T. 27 ff.) – was zweifellos auf die Regieanweisung am Anfang der Einleitung verweist („mit schwarzen Feldsteinen einen Kreis“ legen).

Die Regieanweisung „Die Uhr schlägt ganz in der Ferne zwölf. Der Kreis mit Steinen ist vollendet.“ (T. 39) führt ebenfalls zu metaphorischen Handlungen auf der Szene. Hat das letzte Stündlein geschlagen, ist die Zeit abgelaufen? Im selben Takt findet sich ausserdem eine Handlungsanweisung für Kaspar („Kaspar reisst heftig den Hirschfänger heraus und stösst ihn in den Totenbschädel“). Die Musik ist bei der Kernbotschaft angekommen: am Tiefpunkt fis, der als Leerklang jeden Zusammenklang (Harmonie) verweigert und durch tremolierende Celli und Kontrabässe dargestellt wird. Die Grundton fis steht in der denkbar grössten Spannung zur Tonart C-Dur, die als (Schein)Lösung des Konflikts im Finale erklingt. Hier jedoch beherrscht das fis – als Tritonus („diabolus in musica“) zu c – regelrecht die Szene. Kaspar ist dem Leerklang hörig, der als Metapher für den Teufel gehört und gelesen werden kann, und greift zu Praktiken, die der Liturgie des Teufels entsprechen könnten. Er tut dies in der Generalpause (T. 40), die in der Figurenlehre Sterben, Schlafen oder Schweigen ausdrückt. Er nimmt einen stumpfen Gegenstand (der Regieanweisung nach einen „Hirschfänger“) aus der Manteltasche und schlägt zu; er tötet, was ihn hindert. Er schlägt auf einen Hinterkopf ein, dessen Identität unklar ist. Man vermutet ein weibliches Gesicht, wobei die weisse Schminke und das unter einer schwarzen Mütze verborgene Haar geschlechtsneutrale Gestaltungsmittel der Maske sind. Ob Kaspar den abwesenden Vater, den Geist der Mutter (Regieanweisung T. 210), das Weibliche schlechthin oder seine innere Stimme ermordert, um mit dem Teufel ins Geschäft zu kommen – das bleibt offen. Der Schlag mit dem „Hirschfänger“ fällt mit dem Schlag der Musik auf den mit Akzent versehenen Ton es zusammen (T.41), der vom Ton a aus angesteuert wurde – der Weg zum Töten führt über den Tritonus. Der Verschmelzungsgrad dieses Intervalls ist bekanntlich gering und verweist über die wahrnehmungspsychologische Wirkung 480 hinaus auf eine musikhistorische Debatte, die mit der mehrstimmigen Musik an Gewicht gewonnen hatte und im strengen Kontrapunkt (im Palestrina-Satz) zu ebensolchen kompositorischen Auflagen führte.

Die Tritonus-Verbindung (fis-c) kündigt ausserdem den Auftritt Samiels melodisch an (T. 39/41) und konkretisiert sich als musikalische Figur im übermässigen Terzquartakkord (T. 48). Die dissonante harmonische Situation wird szenisch überhöht, indem Samiel gleichzeitig mit einem Double auftritt und deren Auftritt in Zeitlupe erfolgt. Was auf der Bühne real vollzogen wird (die künstliche Drosselung des Tempos der Figuren), erinnert an die Technik des Films, die bevorzugt dann zum Zug kommt, wenn etwa schnelle oder komplizierte Vorgänge anschaulich dargestellt werden sollen oder aber die Verfremdung gefragt ist. Deren Gegenteil ist der Zeitraffer, der auf die entgegengesetzte Weise erzielt wird, nämlich indem man die Bildfrequenz bei der Filmaufnahme verlangsamt und mit normaler Geschwindigkeit abspielt. Die Rolle des Zeitraffers fällt dem überstürzten Beginn des agitato der Musik zu (T.51). Das Tempo (was eigentlich Taktbewegung bedeutet) hat von der unterdrückten Spannung des sostenuto zur hektischen Aktivität des agitato gewechselt. Die Beschleunigung schlägt sich ausserdem im Bild der Partitur nieder: Viele schwarze Noten, kleine Notenwerte, synkopierter Verlauf. Die Synkope ist „die Störung der Akzentordnung im Takt“ und bedeutet musikalisch, dass der Taktschwerpunkt fehlt.6 Eine Note wird von einer leichten zur schweren Zählzeit übergebunden, die Balance ist gestört. Auch szenisch sind die Bewegungen aus dem Lot und haben ein von der Musik abgekoppeltes Tempo. Samiel und sein Double bewegen sich roboterhaft langsam vorwärts, Kaspar harrt aus und muss sich auf beide Hände abstützen (T. 51 ff.).

Schlussfolgerung Der Befund dieser Detailanalyse födert zweierlei zu Tage: Einerseits wird die Behauptung widerlegt, das so genannte Regietheater sei auf „Entmündigung und Entwürdigung der Texte“ aus; anderseits erweist sich die Faustregel als haltlos, dass gutes Theater das Tautologie-Verbot befolgen muss.7 inszeniert – entgegen ihrem Ruf – sehr oft wörtlich: Man erinnere den Anfang (T.1) und eine Musik, die schon vorher da ist; das gilt auch für Kaspar, der schon lange wartet, den Finger ab Abzug. Dem eingefrorenen Zustand der Musik entspricht Kaspars Körperhaltung, die von aussen nach innen wirken soll, Lähmung statt Handlungsfähigkeit bewirken. Dies wiederum spiegelt auch die Musik, die aus prinzipiell vermeidenden Vorhaltsakkorden besteht, nicht vom Fleck kommt. Man glaubt eine erste Bewegung wahrzunehmen (T. 10), die trugschlussartige Wendung (T. 7) löst sich in einen Quartsextakkord (T. 10) auf – auch Kaspar bewegt sich, er wechselt erstmals die Blickrichtung (T. 10). Der musikalischen Harmonisierung des Vermeidens entspricht die Scheintätigkeit Kaspars (Mund steht offen, er schluckt, kneift ein Auge zu). Solche Regungen liest man als Signale der Hilflosigkeit und Angst – eine angespannte Atmosphäre baut sich auf, die durch die unaufgelösten Reibungen der Musik noch verstärkt wird.

6 Ebd., S. 354. 7 Laurenz Lütteken, in: wagnerspectrum, Heft 2/2005, S. 24. 481

Parallelen zwischen Musik und Szene finden sich auch in T. 13: Ein neue Klangfarbe kommt hinzu, der vierstimmige Chor der „Geister“ setzt ein, vom Komponisten ausdrücklich als auf der Bühne „unsichtbar“ verortet. Der Chor überbringt einer Kassandra ähnlich die schlechte Botschaft und kündigt sich mit einem Schockmoment an. Die aufschreienden Sexten der Holzbläser (T. 15) schrecken Kaspar auf, er reisst wie ein aufgescheuchtes Wild den Kopf hoch – der Haltungswechsel von Musik und Figur erfolgt gleichermassen ruckartig und außer Kontrolle. Schliesslich überwältigt die Musik die Figur (T. 17), erreicht die Tonika fis- moll und damit ihr Ziel: Kaspar duckt sich an die Seitenwand – der „Duckmäuser“, als den Berghaus ihn bezeichnet, nimmt die Regieanweisungen des Komponisten von T. 51 und T. 56 voraus, dort heisst es nämlich: Er „wirft sich nieder“ bzw. „kriechend“.

Anderseits erfindet Berghaus szenische Metaphern, die den in der Musik erzählten Vorgang deutlich machen. In T. 23 setzen die Bässe auf der Terz von fis-moll (a) ein, während Kaspar ein Büschel großer schwarzer Federn aus der Manteltasche zieht. Kaspar nimmt einer Vorahnung gleich vorweg, was die Musik erzählt und was in T. 26 dann vom Chor der Geister ausgesprochen wird: Die Braut ist tot – worauf sich Kaspar hinter dem Fächer aus Federn versteckt.

Es finden sich einerseits szenische Handlungen, die wörtlich aus der Musik abgeleitet sind, anderseits solche, die die Erzählung der Musik vorausnehmen und schließlich Vorgänge, in denen die Musik die Figur überwältigt. Die Partitur ist allgegenwärtig, eine reale Bebilderung jedoch, wie sie eine konventionelle Regie bevorzugt, findet nicht statt. Vielmehr erzeugt Ruth Berghaus auf der Szene eine visuelle Ebene, die als eigenständige Textschicht vom Text der Partitur geleitet wird, bisweilen auch verschlungen. Die Hierarchie jedoch zwischen den beiden Textsorten ist eine fliessende und kehrt sich bisweilen auch um: Gelegentlich nimmt die Szene vorweg, was die Musik noch nicht preisgibt. Das Diktum nämlich, dass die Musik mehr weiss als die Figur, geht Berghaus wie alle Theatermittel dialektisch an. Es entsteht ein Raum, der durch die Bewegung von Musik und Figur und ihren unterschiedlichen Zeitmaßen gestaltet wird – es eröffnet sich ein Spielraum an Deutungen, den die Regisseurin dem mündigen Zuschauer überlässt.

Ruth Berghaus ist als Meisterin der Verschlüsselung in die Geschichte eingegangen und hat mit ihrem metaphorischen Theater jene Vorurteile auf sich gezogen, die mit dem unscharfen Begriff des Regietheaters verbunden sind. Der Vorwurf, gegen die Partitur zu inszenieren, zieht sich wie ein roter Faden durch die Rezeption von Berghausʼ Operntheater und erweist sich offensichtlich als ungerechtfertigt. Vorurteile werden unbewusst erstellt, weiss man, sie basieren meist auf der Einschränkung der Urteilsfähigkeit und sind ein hilfreiches Mittel, um komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und damit der drohenden Überforderung zu entgehen. Der transitorische Charakter einer Opernaufführung ist besonders ausgeprägt, die intermedialen Bezüge sind dicht und deren Gleichzeitigkeit ist in der Tat eine Herausforderung. Dass sich das Verbot der Tautologie als Kriterium „moderner“ Formen des (Opern)Theaters durchgesetzt hat, ist möglicherweise eine Strategie, der Überforderung durch die Kunstgattung mit einem Regulativ ihrer Spielregeln zu begegnen. Ruth Berghausʼ Kunst ging ihren eigenen Weg. Die Regisseurin nahm die Partitur wörtlich, und sie erlaubte sich szenische Transformationen, die sich immer 482 auf den Bewegungs- und Spannungsverlauf der Musik zurückführen lassen oder von diesem ausgehen. Dass dies kunstvoll überhöht geschah, versteht sich von selbst.

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Nachbeben im (Musik)Theater der Gegenwart

Ruth Berghausʼ Inszenierungen sind Geschichte, die Wiederaufnahmen aus den Spielplänen verschwunden (mit einer Ausnahme: Rossinis Barbier von Sevillia an der Staatsoper Unter den Linden ), ihre Herangehensweise kann nicht mehr auf der Bühne nachvollzogen werden. Was bleibt von der Pionierin des Musiktheaters, deren Kunstanspruch ein politischer war und deren Methoden die Inszenierungskonventionen aufbrachen? Man begegnet Opernregisseuren, die von nachhaltigen Theatererlebnissen erzählen und Ruth Berghaus für die wichtigste Regisseurin des zwanzigsten Jahrhunderts halten (Claus Guth), man trifft auf Schauspieler, die durch sie die Oper als Kunstform entdeckten (Peter Schweiger), man besucht schließlich Aufführungen und misst das (Musik)Theater der Gegenwart an dessen Geschichte, die Ruth Berghaus maßgeblich und gegen Widerstand umgestaltet hatte.

Eine Schule, wie oft behauptet wird, hat sie nicht begründet. Sie war als Pionierin, Frau und bekennende Kommunistin eine Außenseiterin der Operngeschichte und schrieb sie im geteilten Deutschland in der Frontstadt Berlin mit. Sie hatte einen Raum besetzt, der bisher Männern vorbehalten war, und wurde als Frau rezipiert, die einen Deutungsanspruch erhob, der für sie nicht vorgesehen war. Sie erzeugte fremde Bilder auf der Opernbühne und definierte einen Raum neu, der für Kontinuität und Gewissheiten gesellschaftlicher Selbstverständigung steht. Ruth Berghaus war als Künstlerin in mehrfacher Hinsicht fremd: als Pionierin, Frau und Kommunistin weckte sie die Angst vor dem Anderen – als Regisseurin, die Choreografin blieb, vertrat sie das Fremdartige. Fremdes entsteht durch den Prozess der Ein- und Ausgrenzung: Fremdes steht dem Eigenen als das Unzulängliche und Unzugehörige gegenüber – wie es in der interkulturellen Forschung längst formuliert wurde und sich in der Rezeption von Berghausʼ Inszenierungen auf exemplarische Weise vollzogen hat.8 Ihre ästhetische Leistung als Regisseurin ist eine singuläre geblieben, Nachfolger gibt es über das Lehrer-Schüler-Verhältnis hinaus keine, Nachahmer sind künstlerisch uninteressant. Hingegen hat ihr Selbstverständnis überlebt, die Oper als Denkraum zu betreten, um dort die gesellschaftlichen Übereinkünfte einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Außerdem hat sich das von ihr etablierte nicht-lineare Erzählen einer szenischen Handlung eingebürgert, die eine andere Handlung als die des Stücks erzählt – ein Prinzip, das nach 1960 inszenierungsgeschichtlich bahnbrechend war und einen Epochenwechsel eingeleitet hatte. Schließlich hat sich Berghausʼ Anspruch durchgesetzt, dass Sänger auch Darsteller sind und statt private Gestik präzise Bewegungen produzieren. Insgesamt könnte man von der Professionalisierung der Oper als szenisches Theater sprechen, die Berghaus fast vierzig Jahre lang eingefordert und damit einen grundlegenden Wandel in Gang gesetzt hatte: Statt die Oper als Fest der Stimmen zu feiern, ist Gesang auf hohem Niveau erst der Ausgangspunkt für die Oper als totales Theater. An diesen Prämissen müssen sich heute Inszenierungen messen, die beanspruchen, zeitgemäß zu sein.

8 Vgl. Kristina M. Ritter: Interkulturelle Philosophie, in: www.univie.ac.at 484

In der Gegenwart findet sich die Opernkonvention neben der angestrengten Aktualisierung und Theatermittel wie Gewalt, Sex und Fernsehästhetik, die zuerst im Schauspiel anzutreffen waren, haben sich mit der gattungstypischen Verspätung und unter Einbezug vielversprechender Schauspielregisseure (etwa Christoph Schlingensief und Calixto Bieito) in den letzten Jahren eingebürgert. Die Oper ist lauter geworden, ihr Publikum jünger, und das Spektrum an Sichtweisen ist breiter als je zuvor. Die Beliebigkeit vieler Inszenierungen lebt in vorwiegend friedfertiger Koexistenz mit nachhaltigen Aufführungen, Theaterskandale – wie sie Berghaus und Hans Neuenfels einst ausgelöst hatten – sind selten geworden. Man begegnet außerhalb der kurzlebigen Sensation einem stillen Regisseur wie Claus Guth und seinem langjähriger Bühnenbildner Christian Schmidt, man trifft auf die Präzision des Denkens und Umsetzens in den Inszenierungen von Jossi Wieler und Sergio Morabito; man hat sich mit den hochmusikalischen Transformationen Christoph Marthalers und der dem Zeitgeist widersprechenden Entschleunigung des Theaters befreundet. In dieser Umgebung wirkt die Gesellschaftskritik in Form des körperhaft- verfremdeten Realismus von Peter Konwitschny und eigentümlich fremd und in der Nachbarschaft schriller Komik etwa eines Nigel Lowery und dessen Verweise auf reality-tv ausgesprochen altmodisch. Mit Ruth Berghausʼ Vokabular von szenischen Metaphern und deren Enigmatik steht es anders: Sie sind ihres zeichenhaften Rätselcharakters wegen gewissermaßen zeitlos.

Die Ökonomisierung der Kunstgattung Die Beschleunigung, die sich in der stetig steigenden Zahl der Neuproduktionen der 1990er Jahre zeigte, hat die Arbeitsmethoden der Oper verändert. Für die philologisch präzise Vorarbeit, wie sie und Ruth Berghaus zu etablieren versuchten (und wie sie heute Sergio Morabito verteidigt), bleibt immer weniger Zeit. Auch an großen Opernhäusern wird an der Dramaturgie gespart und das Profil dieses Berufes umdefiniert: Die angestellte Dramaturgin ist nicht mehr primär eine Produktionsdramaturgin, sondern sie verfasst Presseinformationen, empfängt Sponsoren, speist die Homepage und ist in der Folge auf den Proben immer weniger präsent. Der Wandel von Berufsbildern innerhalb der Oper ist in der Regel ökonomisch motiviert und führt selbstverständlich zu anderen Ergebnissen auf der Bühne. Der Schauspielregisseur, der eine Partitur nicht lesen kann, inszeniert ausgehend vom CD-Booklet und entwickelt die Szene aus dem Plot – die Dramaturgin, die nicht auf der Probe ist, lässt sich vom Team über die szenischen Veränderungen informieren – der Regisseur, der gleichzeitig eine andere Produktion vorbereitet, ist abwesend und lässt eine Probe ausfallen. Diese realen Verhältnisse spiegeln einen Theateralltag, wie er immer schon idealen Vorstellungen einer professionellen Auseinandersetzung widersprach, zweifellos aber wird dem Diskurs über die konzeptionellen Entscheidungen und der Evaluation der Proben weniger Zeit eingeräumt. Das bestätigt Klaus Zehelein, der den Opernbetrieb seit 1967 kennt und heute, in seiner Funktion als Präsident der Bayerischen Theaterakademie München, den Beruf des Dramaturgen auch institutionell zu stärken versucht.

Die Wirtschaftskrise wird in der europäischen Kulturszene zu einem nicht abschätzbaren Abbau der Mittel und damit einem Umbau der Inhalte führen. Die Oper könnte die Krise besonders ausgeprägt treffen, ist sie doch die kostenaufwändigste Life-Kunst und lässt sich als Inbegriff der so genannten Hochkultur besonders gut instrumentalisieren. Oper verfügt über jenen Glamour- 485

Faktor, der Sponsoren und Werbeträger in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders anzieht – das wissen auch Intendanten, die jetzt vermehrt private Gelder akquirieren müssen. Ob Oper wirklich soviel kosten muss, wie sie beispielsweise in Zürich kostet, ist an einem anderen Ort zu diskutieren. Sicher ist, dass auch die künstlerische Freiheit auf dem Spiel steht, wenn der Zweck der Oper allein der Wirtschaftlichkeit unterliegt und der Spielplan nicht mehr vom Intendanten bestimmt wird, der Inhalte verteidigt, sondern vom Marketingchef, der Standortvorteile im Auge hat. Regisseure, die ihr Selbstverständnis als Künstler verteidigen, werden in diesem Spannungsfeld herausgefordert sein, die künstlerischen Ziele nicht mit den wirtschaftlichen zu verwechseln, kurz: das Inhaltstheater wird es schwer haben, sich neben dem Repräsentationstheater zu behaupten.

Ruth Berghausʼ Methoden ins 21. Jahrhundert retten? Der Spielraum wird kleiner, es kündigt sich ein Epochenwechsel an, den auch das (Musik)Theater mitgestaltet. In der Zwischenzeit führen vermehrt Frauen Opernregie, die anders als ihre männlichen Kollegen kaum auf Vorbilder zurückgreifen können, falls sie es denn wollten. Ruth Berghaus wird zwar von der Kritik oft als Referenzpunkt genannt, wenn etwa Vera Nemirowa und Tatjana Gürbaca inszenieren, die als Studentinnen an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin mit ihr gearbeitet haben. Fragt man bei den Betreffenden nach, was eine allfällige Verwandtschaft mit Berghaus bedeuten könnte, halten sie sich jedoch zurück. Anders als bei Heiner Müller, der eine Jüngerschaft um sich geschart und nach seinem Tod eine „deutsche Müller-Gedenk-Kultur“ in Gang gesetzt hatte, verhandeln Regisseurinnen und Regisseure (etwa Sebastian Baumgarten) einen allfälligen Besitzanspruch auf Berghausʼ Erbe nicht öffentlich.9 Hier offenbart sich einerseits ein geschlechtsspezifisches Rezeptionsverhalten, anderseits wird der Prozess des Vergessens beschleunigt, dem die ephemeren Künste selbstredend ausgesetzt sind – und wie er für das historische Gedächtnis weiblicher Geschichte exemplarisch ist.

Die bulgarische Opernregisseurin Vera Nemirowa hat den offensichtlichsten Bezug zu Ruth Berghaus und gehört zu den gefragten Vertreterinnen der jungen Generation, inszeniert sie doch an Häusern wie der Volksoper Wien, der Staatsoper Dresden und der Oper Frankfurt. Auch als sie 2006 in der Schweiz, am Luzerner Theater, die Dreigroschenoper aufführte, wurde sie stets auf ihre Verwandtschaft mit Ruth Berghaus und deren einstigen Regiehospitanten Peter Konwitschny angesprochen – eine Verwandtschaft, die nicht sichtbar ist, aber spürbar wird, sobald man der Regisseurin begegnet. Nemirowa (1973 in Sofia geboren, 1982 in die DDR übersiedelt) studierte nach der Wende Musiktheater-Regie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, assistierte bei Ruth Berghaus und wurde im Rahmen der damals noch existierenden Nachwuchspflege der Akademie der Künste „Meisterschülerin“ von Peter Konwitschny. Nemirowa hat ein kritisches, aber kein gebrochenes Verhältnis zu den Werten, die ihr Berghaus und Konwitschny vermittelt hatten. Werte werden auch über Arbeit und Arbeitsmethoden weitergegeben und Nemirowa verfügt anders als viele Opernegisseure ihrer Generation über ein professionelles Handwerk, das im Bildungssystem der DDR und den Impulsen der darin eingebundenen Künstlern wurzelt. Die Arbeit beginnt bei der dialektischen

9 Dirk Pilz: Die Lücke der Komik, in: NZZ, 13.1.2009. 486

Auseinandersetzung mit Text und Musik, wie Nemirowa sagt – weil Text und Musik oft nicht dasselbe meinen. Daraus entwickle sie „Mittel, die Ruth Berghaus in ihrem Musiktheater geradezu kultivierte“ und die Nemirowa geprägt haben. Die Mittel sind dieselben geblieben: „Körper, die sprechen, zeigen, verfremden, Distanz schaffen, um uns etwas wiederum auf eine andere Weise näherzuholen. Erst durch den Abstand können wir uns in den Figuren spiegeln.“10 – Die Transformation der Mittel ergibt jedoch ein anderes, sehr viel konkreteres Theater als bei Berghaus, denn Nemirowa will die Menschen von heute erreichen. „Das bedeutet nicht, zwanghaft eine Handlung in die Jetztzeit versetzen zu müssen, aber wenn man immer mehr assoziative Bezüge zum Heute sucht, findet man sich eben plötzlich in der Gegenwart wieder.“11

Vera Nemirova spricht die Sprache ihrer „Lehrer“, zu denen sie außerdem den Musikwissenschaftler Gerd Rienäcker zählt, wenn sie den Ursprung modernen Theaters und die Bedeutung Bertolt Brechts schildert. Er musste die Rolle des Staatsdichters spielen, wie sie sagt, aber sie verzichtet auf ein Urteil über dessen Arrangement mit dem Regime der DDR. „Mit Psychologie ist Brecht nicht beizukommen: weder ihm selbst noch seinen Stücken.“12 Nemirowa ist mit ostdeutschen Mythen wie Brecht und Ernst Busch groß geworden und von den Diktaturerfahrungen zweier Länder geprägt – ein Hintergrund, der sich in ihrer Rhetorik ebenso abzeichnet wie er in ihren Inszenierungen deutlich wird. Gräfin Mariza etwa siedelte sie 2002 auf einer Gutsruine in einem heutigen Land Südosteuropas an und zeigte die Inszenierung ausgerechnet an der Volksoper in Wien. Arbeitslose Jugendliche schwärmen in Trainingshosen und Anoraks gekleidet aus, Dorfschönheiten arbeiten im Sexgewerbe, während sich Touristen nur selten in die trostlose Gegend verirren und dann mit Sex und Musik der Kapelle „Karandila“ bei Laune gehalten werden. Treffpunkt ist die Dorfbar „Europa“, und wenn aus dem Transistorradio die schmeichelnde Melodie für die „Frauen im Wien, im schönen Wien“ erklingt, treten alle – Kinder, Prostituierte, Alte und Krüppel – an die Rampe und schauen das Publikum an. Europa ist ein Sehnsuchtsort, er verspricht denjenigen Wohlstand und Glück, die in der hinteren Walachei ihr Leben fristen und sich aus Emmerich Kalmans Balkanstaat wegträumen.

Nemirowa greift wie oft in ihren Inszenierungen zum Mittel der Überzeichnung und des Kontrasts, indem sie harte Schnitte bevorzugt und übergangslos von der Tristesse zum Slapstick wechselt. Die ökonomisch und sozial verarmte Gesellschaft, die sie in dieser Operette vorgeführt hat, ist Gesellschaftskritik, die in ihrer Biografie wurzelt, wie sie sagt. „Es war eine sehr persönliche Arbeit und vielleicht die für mich wichtigste, weil ich meine biografischen Erfahrungen mit meiner Heimat Bulgarien verarbeitet habe. Eine Arbeit, an der sich die Geister scheiden. Aber das stört mich nicht. Wenn ich etwas ausgelöst, einen Impuls in Gang gesetzt habe, dann ist das doch gut so.“13 Vera Nemirowa teilt mit Ruth Berghaus Diktaturerfahrung, Geschlecht und eine explizite politische Überzeugung, die nach eigener Aussage autobiografisch geprägt

10 Vera Nemirowa, in: Reflexe Schweizer Radio DRS2, 14.8.2006. 11 Vera Nemirowa, in: www.bundestheater.at, 1.10.2007. 12 Vera Nemirowa, in: Reflexe Schweizer Radio DRS2, 14.8.2006. 13 Vera Nemirowa, in: www.bundestheater.at, 1.10.2007. 487 ist. Nemirowa positioniert sich links, Gerd Rienäcker bezeichnet sie als kritische Marxistin, sie selbst versteht Theater wieder als Korrektiv und legt Wert auf die „Familienbande“ innerhalb des Theaters: Bei aller künstlerischen Verschiedenheit ist man über eine gemeinsame Welthaltung – eine politische – verbunden.14 Ein DDR- Autor wie Heiner Müller und ein Regisseur wie Benno Besson, die im „Bruderland“ Bulgarien rezipiert wurden, sind für die Generation Nemirowas noch konstitutiv. Müller und Besson waren Autoritäten, die von jungen Theaterschaffenden um Rat gebeten wurden. Dimiter Gotscheff etwa, der 1983 die bulgarische Erstaufführung des Philoktet von Heiner Müller in Sofia wagte, 1962 in die DDR übersiedelt war, sagt von sich: „Ich war wie eine Zecke und habe von Besson nicht gelassen, bis er einverstanden war, dass wir gemeinsam Theater machen und ich von ihm lernen kann.“15 Gotscheff, einer der bedeutendsten Schauspielregisseure nach Heiner Müller und Einar Schleef, beruft sich unbekümmerter als Vera Nemirowa auf große Vorbilder, und steht nach Frank Castorf (der von Manfred Karge gefördert wurde) für ein neues lustvolles politisches Theater.

Das Stimulans der Diktatur Will man es als Zufall bezeichnen, dass so viele zwingende Inszenierungen von Theaterschaffenden stammen, die in der ehemaligen DDR und in osteuropäischen Ländern sozialisiert worden sind? Jürgen Gosch wäre noch zu nennen, der kürzlich verstorben ist und mit der Flucht in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1978 sein zweites Leben als regieführender Schauspieler begonnen hat. Oder Andreas Kriegenburg, der als Ziehsohn Frank Castorfs gilt und zu einer komödiantisch- absurden Theatersprache gefunden hat. Und natürlich Peter Konwitschny, der neben Harry Kupfer ein explizites Operntheater des Zeigens verfolgt. Sie alle wurden in einer Diktatur sozialisiert und arrangierten sich auf unterschiedlichste Weise mit einem System, das unberechenbar war – Müller, Berghaus und Konwitschny blieben, während Schleef und Gosch gingen.

Diese besondere autobiografische Situation haben Regisseure wie Heiner Müller und Einar Schleef auch in ihrem literarischen Werk reflektiert und sich dabei ganz unterschiedlich radikal von der Ausprägung der Diktatur der DDR distanziert. Beide waren sie einst Mitarbeiter am Berliner Ensemble und der Intendantin Ruth Berghaus unterstellt, beide verhielten sich nicht konform, als sie anders als Berghaus die Regeln der Diktatur offen brachen. Schleef floh 1976 in die BRD, Müller blieb und unterschrieb beispielsweise 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Beide wurden sie von der Intendantin als Künstler geschützt, beide jedoch von ihr auf unbedingte Loyalität der DDR gegenüber verpflichtet. Müller hielt Ruth Berghaus vergleichbar bis zuletzt an dem fest, was die DDR verheißen hatte: Einen Weg nach vorn offen, eine „Utopie“, die zunächst nichts weiter ist

„als die Weigerung, die gegebenen Bedingungen, die Realitäten als die einzig möglichen anzuerkennen, ist also der Drang nach dem Unmöglichen. Und wenn man das Unmögliche nicht verlangt oder will, wird der Bereich des Möglichen immer kleiner.“16

14 Mündl. Auskunft von Gerd Rienäcker, 8.12.2000. 15 Dimiter Gotscheff, zit. nach Vera Nemirowa, in: Reflexe Schweizer Radio DRS2, 14.8.2006. 16 Heiner Müller, in: Hauschild 2001, S. 7. 488

Heiner Müller sprach im Unterschied zu Berghaus offen über den Abstand zwischen Utopie und realen Verhältnissen und verwies auf das Stimulans, das diese der Diktatur eigene Spannung bedeutete. Während Berghaus gerne sagte, „hier gebraucht zu werden“ und erläuterte, ihre „geistige Kondition“ habe sie aus der Notwendigkeit gewonnen, ihre Regiekonzepte vor Bürokraten zu rechtfertigen, wurde Müller, der „notorische Untergangsprophet“, deutlicher.17 Er sprach einerseits von „Rache“ als „Hauptimpuls zum Schreiben“, anderseits von der emotionalen „Bindung“ an den Sozialismus, die er einfach „nicht mehr los“ werde. Gleichzeitig bekannte er im Unterschied zu Berghaus, dass er in einer Diktatur aufgewachsen sei und in eine andere Diktatur hineingewachsen, „die ein Gegenentwurf ist zu der vorigen“.18

Berghaus sprach offiziell nie von Diktatur und selten von Utopie – sie wusste, worüber sie schwieg, weil immer einer mithörte. Der Diskurs über das Stimulans der Diktatur – so die hier vertretene These – wurde noch nicht geführt, die Diskussion über den Zusammenhang zwischen Diktatur und Utopie ist ideologisch geprägt geblieben. Utopische Entwürfe, auch des Theaters, sind seit den 1980er Jahren zunehmend einem Generalverdacht ausgesetzt: sich nämlich jener Herrschaftsinstrumente (wie Kontrolle des Körpers und Unfreiheit des Darstellers) zu bedienen, die man gleichzeitig aus der Welt schaffen will. Michel Foucault legte in seiner wegweisenden Schrift Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses von 1976 die Disziplinierungstechniken offen, die mit dem Bau von Kasernen, Gefängnissen, Manufakturen und Schulen vor allem des achtzehnten Jahrhunderts verbunden waren.19 Der menschliche Körper hatte sich an eine räumliche und zeitliche Ordnung anzupassen, indem seine „Bewegungsbahnen“ einem vorbestimmten anatomisch-chronologischen Verhaltensschema folgen mussten.20 Auch das Theater entdeckte den Körper „als Gegenstand und Zielscheibe der Macht“: Man denke etwa an die streng normierten Tanzschritte und den Höhepunkt absolutistischen Theaters am Hof Ludwig des XIV oder an Meyerholds Entdeckung des Schauspielers der Zukunft, der wie ein Arbeiter „in keinem Moment die Kontrolle über den Bewegungsprozess seines Körpers verlieren darf“.21 Der streitbare Kulturtheoretiker Boris Groys, selbst diktaturerfahren, untersuchte in dem 1988 erschienen Buch Gesamtkunstwerk Stalin die propagandistische Funktion(alisierung) der Kunst in der Stalin-Zeit und die Entstehung des sozialistischen Realismus aus dem Geist der Avantgarde. Und er behauptet, dass sich die konstruktivistische Avantgarde nach 1910 im Totalitarismus kompromittiert hatte – jene Avantgarde, die im Westen ihres emanzipatorischen Potenzial wegens bewundert wurde und wird. Groys bezeichnet diese Avantgarde als Versuch,

die Diktatur des Kunstkonsumenten durch die Diktatur des Kunstproduzenten zu ersetzen. Die Einbeziehung des Betrachters in das Kunstwerk stellt somit das eigentliche Projekt der Avantgarde dar. Dieses Projekt ist von Anfang totalisierend oder, wenn man so will, totalitär.22

17 Ruth Berghaus im Gespräch mit Maxim Dessau, o.D. RBA; Berghaus, zit. nach Matthias Matussek, in: Der Spiegel, 9.7.1990; Hauschild 2001, S. 7. 18 Heiner Müller, in Hauschild 2001: S. 10, 473, 9. 19 Vgl. Avramova 2008, S. 55. 20 Ebd., S. 56. 21 Foucault 1976, S. 174; Avramova 2008, S. 51. 22 Boris Groys: Werbung für den Kommunismus, in: Die Zeit, 10/2003. 489

Auch Ruth Berghaus berief sich explizit auf jene Avantgarde, wie sie ihr erstmals die Tänzerin Gret Palucca vermittelt hatte. Diese war einerseits von Künstlern des Bauhauses in Weimar beeinflusst und anderseits vom Gedanken fasziniert, mittels Improvisation die Sphäre des Mimischen und Pantomimischen zu verlassen, „diese stets darstellende Intellektkunst“, wie es in der Zeitung der SS 1936 zu lesen ist. Die später als „Halbjüdin“ entlarvte Palucca wird als „deutscheste“ Tänzerin bezeichnet, die sich „nicht nur im Technischen, sondern vor allem in der inneren Tiefe des Erlebens“ beweise und „Führerin des deutschen Kunsttanzes“ werden sollte.23 Im selben Jahr wurde Palucca zur Leiterin der Abteilung Konzerttanz in den Meisterstätten in Berlin berufen und „damit vor Mary Wigman zur ersten Tanzpädagogin für den Modernen Tanz im „Dritten Reich“ erklärt“.24 Palucca war mädchenhaft schlank und verwandelte expressionistisches Pathos in dynamische Formen der Improvisation – inwieweit sie ein nationalsozialistisches Ideal von Weiblichkeit im Tanz erfüllt haben könnte, ist bis heute nicht erforscht worden. Anders steht es mit den Körperbildern und jeweiligen Idealisierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, die in der NS-Propaganda eine zentrale Rolle spielten und in die systematische Vernichtung insbesondere auch von körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen mündeten.

Während sich die „Life-Style-Propaganda“ der Nationalsozialisten (um mit Boris Groys zu sprechen) an eine abgegrenzte Zielgruppe (den „arischen“ neuen Menschen) richtete, rief die kommunistische Werbung mit Blick auf den neuen Menschen insgesamt die „Menschheit dazu auf, das Produkt des Kommunismus zu erwerben – wie heute die Menschheit aufgerufen wird, Coca-Cola oder Big Macs zu kaufen“.25 Hinter der Polemik eines Groys, den Tabuthemen reizen und der seine Theorie medienwirksam aufzubereiten weiß, steht die Aufforderung, sich kritisch mit jener Avantgarde auseinanderzusetzen, auf welcher die Moderne und die von ihr ausgelösten Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts basieren. Einerseits haben Radikalisierungen ästhetischer Überzeugungen potentiell totalitäre Dimensionen – wie es die Geschichte des Futurismus zeigt, aber beispielsweise auch Meyerholds Methode der Biomechanik, die vom Taylorismus durchdrungen ist und zum Ziel hat, nach „maximaler Produktion“ zu streben, um „in einer Stunde so viel zu spielen, wie wir jetzt in vier Stunden spielen können“.26 Anderseits entsteht visionäre Kunst nur in Abgrenzung zum Alten, indem in einem ersten Schritt dessen „Regeln“ erkannt werden. Laut Groys setzt „Innovation“ voraus, sich erst einmal den Regeln der Tradition zu unterwerfen und deren Material zu erforschen, bevor jemand „das Neue, Ungewöhnliche [...] produzieren“ kann.27

Auch Ruth Berghaus war dem Generalverdacht des Totalitären stets ausgesetzt. Wie unerbittlich sie etwa mit Chören gearbeitet und Menschen in der Masse in einem streng begrenzten Feld bewegt hatte, ist in bleibender Erinnerung. Berghaus sprach von der „Massenmeinung“, die ein Chor vertreten kann – von einem Phänomen, das

23 Vgl. Stabel 2001, S. 113. 24 Ebd., S. 120. 25 Boris Groys: Werbung für den Kommunismus, in: Die Zeit, 10/2003. 26 Meyerhold, 1979 Bd.2, S. 479. 27 Vgl. Groys/Knöfel: in Politik der Unsterblichkeit, München 2002. 490 sie faszinierte, wie sie selbst gestand.28 Die Oper war damals (1986) – im Vorfeld der chorischen Musikalisierung des Schauspiels durch Regisseure wie Schleef und Christoph Marthaler – „die anscheinend letzte Möglichkeit“, nach einer Kunstform für den Massenchor (etwa in Hector Berliozʼ Trojanern) zu suchen.29 Berghausʼ Verhältnis zum Chor, den sie im antiken Sinne als „eingehegten Tanzplatz“ deutete, blieb ein gespanntes und war für sie eine szenische Herausforderung, die sie zweifellos stimulierte.30 Sie brachte in den Schlachtszenen aus Brechts Coriolan (1964) zweiundzwanzig Mann dazu, wie zwei mächtige Einzelkörper zu wirken und reibungslos zu funktionieren, sie choreografierte in Berliozʼ Trojanern (1983) den über hundertköpfigen Chor und gliederte die Chormasse in unterschiedlich motivierte Gruppen (jubeln, intrigieren, beobachten). Sie verwehrte sich, wie sie sagte, der

Gleichmacherei, aber es ist eine Führung, die mehr zum chorischen Charakter tendiert, wobei es vielleicht für das einzelne Chormitglied sehr viel schwerer ist, in dieser disziplinierten Art und Weise des Spielens eines Gedankens oder eines Vorganges zu bleiben und trotzdem sein Ganzes für diesen Vorgang oder diese drei Takte 31 einzusetzen.

Hinter einer Äußerung wie dieser – die nur abgesegnet durch die Urheberin publiziert werden durfte – steht ihre Geschichtserfahrung des Nationalsozialismus und der miterlebte Drill etwa in den Sprechchören der Hitler-Jugend; eine Erfahrung, die sie mit dem Dramatiker und Regisseur Heiner Müller teilt, der in seinen Antike-Modellen der 1970er Jahre „die Schrecken einer Gesellschaft“ vergegenwärtigte, „die auf Gewalt gebaut ist“.32 Die Pervertierung des Menschen durch den Krieg baue auf „Massenmeinungen“ – der einzelne kann sich nicht aus dem Krieg der Völker und der Klassen heraushalten, er stellt, so das Pathosʼ Müllers, die göttliche Ordnung in Frage.33 Anders als Müller (und Einar Schleef) hat man Berghaus nicht offen „faschistoide Tendenzen“ unterstellt, hingegen fanden Staatssicherheit, Parteifunktionäre, Theaterschaffende, Publikum und Kritik in seltener Einmütigkeit zusammen, wenn es darum ging, die Hintergründe ihres strengen Formwillens zu benennen.34 So viel Kontrolle, gepaart mit Soldateska, musste eine Folge der stalinistischen Konditionierung sein und ihre Weiblichkeit deformiert haben. Ihr Aussehen (schütteres Haar, meistens in Hosen) verstärkte diesen Eindruck und wurde unermüdlich kommentiert, ihr Auftritt (präzise vorbereitet) legte die Vermutung nahe, sie sei eine unbelehrbare „Alt-Stalinistin“.35 Hinter Berghaus verbarg sich der „künstlerische Wille zur Beherrschung des Materials und zu seiner Organisation gemäß vom Künstler diktierter Gesetze“ und damit „eine unmittelbare Verbindung zum Willen zur Macht, was auch zum Konflikt zwischen Künstler und Gesellschaft führte“.36 Klaus Zehelein, als Dramaturg ein Verbindungsglied zum Publikum, trug derartige Konflikte aus und sagt, Berghaus sei von toten Utopien umgeben gewesen

28 Ruth Berghaus, in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 147/1986, S. 30. 29 Ebd. 30 Vgl. Duden Herkunftswörterbuch 1989, S. 111. 31 Ruth Berghaus, in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 147/1986, S. 30. 32 Hauschild 2001, S. 246. 33 Vgl. Hauschild 2001, S. 246 f. 34 Lothar Schmidt-Mühlisch, in: Hauschild 2001. 35 Mündl. Auskunft von Sigrid Löffler, 2001. 36 Groys 1988, S. 11. 491 und hätte sich im Laufe ihrer Arbeitsbeziehung (von 1980 bis 1995) zunehmend verhärtet.37 Andere wiederum deuten ihre Krebserkrankung als Reaktion auf den politischen Wandel und den Untergang des angeblich real existierenden Sozialismus. Sie selbst schwieg und inszenierte in den ihr verbleibenden Lebensjahren nach 1989 so viel wie nie zuvor.

Zweifellos bedeutet das Ende einer Utopie immer den Beginn der Sehnsucht nach Utopie, ist der Kulturtheoretiker Boris Groys überzeugt, und bezeichnet das postutopische Zeitalter nach 1989 als „Zeitalter der Enttäuschung“.38 Ruth Berghaus hätte ihm insofern widersprochen, als das Zeitalter der Enttäuschung sehr viel früher eingesetzt hat: Spätestens 1977, als sie als Intendantin des Berliner Ensembles abgesetzt wurde und in eine „Hundehütte“ an der Deutschen Staatsoper verwiesen, wird der Riss größer. So groß, dass sie es wagt, 1982 in einem Brief an höchste Stellen zu drohen: „Nach Lukullus“ von Paul Dessau – man verlangt ihr bereits zum fünften Mal eine Neuinszenierung dieser Oper ab – werde sie „keine Kompromisse mehr eingehen.“39 Das ist eine Drohung. Sie könnte bedeuten: Wenn man ihr die Zustimmung zum Engagement in Frankfurt am Main verweigert und sie in der DDR weiterhin kurz hält, ist womöglich mit ihrem Weggang zu rechnen.

Trotzdem hielt sie am Gedanken an die Utopie fest, als sie 1995 lapidar feststellte: „Die Utopie nach 1945 war ungeheuer groß“, ebenso „groß ist die Enttäuschung.“40 Andreas Kriegenburg (*1963) würde im Gegensatz dazu auf den Mangel an Weltanschauung verweisen, der seine Generation auszeichnet. Anders als Brecht, Berghaus und Schleef hat Kriegenburg 2004 Brechts Puntila als verkrachte Existenz inszeniert; der Regisseur meidet in Herr Puntila und sein Knecht Matti Klassen- und Geschlechterkampf, vielmehr interessieren ihn die erotisch offenen Grenzen des Stücks und die Theatermittel der Dekonstruktion: Die Stimmen der Darsteller erklingen im zweiten Teil zunächst elektronisch verstärkt, dann beginnen sich Rollen und Stimmen zu überlagern, schließlich verstummen die Darsteller, der Text kommt ab Band und untermalt deren Pantomime. Die Unschärfe des Fabelschlussʼ steht ganz im Gegensatz zur Vehemenz von Brecht, Berghaus und Schleef und illustriert das Dilemma, das Kriegenburg deutlicher artikuliert als viele Theaterschaffende seiner Generation – nämlich den „Wunsch, einerseits von der Nivellierung sämtlicher Werte wegzukommen, und anderseits, sich zu radikalisieren, um ein Selbsterlebnis zu haben.“41 Die Sehnsucht nach der Rückkehr politischer Utopien ist eine schmerzliche und widerspiegelt sich im Theater stets als dargestellte Zeit zwischen „Begehren“ und „Erwerben des Begehrten“ – auch wenn heute an die Stelle der Gewissheit die Bürde der Ratlosigkeit getreten ist.42 Dabei wird das utopische Potenzial der Oper leicht übersehen, würde sie sich doch im Unterschied zum Schauspiel als „keine völlig autonome Kunst“ anbieten, ihr parasitäres Wesen durch

37 Mündl. Auskunft von Klaus Zehelein, 28.5.2003. 38 Boris Groys, 30.3.2005, in: www.groys.hfg-karlsruhe.de. 39 Mündl. Auskunft von Peter Konwitschny, 5.4.2001; vgl. Holtz 2005, S. 122. 40 Vgl. Holtz 2005, S.137. 41 Andreas Kriegenburg, in: Der Tagesspiegel, 4.5. 2007. 42 Vgl. Kant 1798. 492 ihre Radikalisierung zu untergraben.43 Oper, kommt der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek zum Schluss, „war nie mit ihrer Zeit in Einklang. Von Anfang an wurde sie als etwas Überholtes, als rückschrittliche Lösung einer bestimmten, der Musik innewohnenden Krise und als „unreine“ Kunst angesehen. Hegelisch gesagt, ist die Oper als Begriff selbst bereits veraltet. Wie kann man sie dann nicht lieben?“44

43 Žižek 2003, S. 8. 44 Ebd. 493

Verzeichnis der zitierten Literatur

1. Ungedruckte Quellen in Archiven* Bundesarchiv Berlin (BArch) bzw. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO)

Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU MfS)

Stiftung Archiv Akademie der Künste (SAdK)

Ruth Berghaus Archiv (RBA)

2. Fernsehen, Rundfunk Rundfunk und Fernsehen der DDR Schweizer Radio DRS2 SWF ZDF 3sat

3. DVD Weber, Carl Maria von: Der Freischütz Chor und Orchester des Opernhauses Zürich, D: Nikolaus Harnoncourt, R: Ruth Berghaus; Ratingen 2004

*Vgl. ausführliches Verzeichnis ungedruckter Quellen S. 331 ff.; die Zitate aus dem RBA dürfen ohne Einwilligung von Maxim Dessau nicht veröffentlicht werden.

4. Interviews Maxim Dessau, verschiedene Gespräche, 1999-2001, Zeuthen. Michael Gielen, 4.4.2003, Loibichl. Peter Konwitschny, 5.4.2001, Hamburg. Vera Nemirowa, August 2006, Luzern. Gerd Rienäcker, 8.12.2000, Berlin. Klaus Zehelein, 28.5.2003, Stuttgart.

Sigrid Löffler, Tischgespräch 2001, Berlin.

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Quellenlage

Ruth Berghausʼ Konzeptionsmaterialien sowie ihre umfangreiche Korrespondenz sind allesamt nur eingeschränkt zugänglich. Ihr sorgfältig inventarisiertes Privatarchiv ist in ihrem ehemaligen Wohnhaus in Zeuthen bei Berlin untergebracht, vereinzelte Inszenierungen sind in der Theaterdokumentation der Akademie der Künste in Berlin verzeichnet. Der Erbe Maxim Dessau wacht über sämtliche Dokumente (auch über diejenigen im Paul-Dessau-Archiv), kontrolliert den Zugang zu und die Auswertung von Quellen (auch denjenigen in der Akademie der Künste) und wollte meine Aufarbeitung unter Verwendung seiner Materialien letztlich nur zulassen, wenn ihm das Manuskript zur Prüfung „tatsächlicher Irrtümer“ vorgelegt würde. Darauf habe ich, dem unabhängigen Werk verpflichtet, verzichtet und mich im Rahmen meiner kritischen Monographie über Ruth Berghaus gelegentlich auf das Paraphrasieren verlegen müssen. Ich nahm die Brüskierung des Erben in Kauf, der mir unterdessen den Zugang zu diesen von ihm kontrollierten Archiven verwehrt und damit jenes Verhalten des Verhinderns an den Tag legt, das vielen Witwen großer Künstler eigen ist – und eigens einer Recherche (im Fachbereich der Soziologie, unter Einbezug der Psychoanalyse) bedürfte. Ich verfüge jedoch über sämtliche damals recherchierten Informationen in besagten Archiven, habe weiterhin Zugang zu den einschlägigen Archiven wie etwa des Berliner Ensemble, Helene Weigel Archiv der Akademie der Künste und habe vom Deutschen Rundfunkarchiv ausgewählte Rundfunk- und Fernsehdokumente zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt bekommen. 498

Nachbemerkung und Dank

Der erste Teil dieser Dissertation über Leben und Werk von Ruth Berghaus ist im Jahr 2005 als Monographie im führenden Sachbuch-Verlag Europäische Verlagsanstalt in Hamburg erschienen. Ruth Berghaus. Ein Porträt ist die erste kritische Aufarbeitung über die Pionierin des modernen Musiktheaters und schildert zugleich ein unverwechselbares Kapitel deutsch-deutscher Bühnengeschichte.

In dieser Publikation, die sich an ein interessiertes Theaterpublikum richtet, habe ich Fragen der Methode und die für Berghaus relevanten Instrumentarien weitgehend weggelassen. Im Austausch mit Herrn Prof. Dr. Gerhard hat sich die Idee konkretisiert, Fragen der Methode, ihrer Wurzeln und deren Wirkungsgeschichte im Rahmen einer Dissertation zu untersuchen – und festzustellen, dass die Opernforschung vorwiegend musikhistorisch und erst in Ansätzen interdisziplinär ausgerichtet ist.

Die Ausgangslage ist ein musikwissenschaftlich noch unbearbeitetes Feld, Verknüpfungen zur Theater- und Tanzwissenschaft galt es herzustellen, ein Instrumentarium einer interdisziplinären Aufführungsanalyse vorzuschlagen und diese exemplarisch zu erproben.

Diese Dissertation ist in besonderer Weise dem offenen Charakter einer Versuchsanordnung verpflichtet und verzichtet auf eine im traditionellen Wissenschaftsverständnis „abgesicherte“ Vorgehensweise. Das Ergebnis ist die Aufforderung, Oper in der Zukunft anders zu erforschen und ihrem performativen Charakter gemässe kulturwissenschaftliche Instrumentarien zu entwickeln.

Dass ich meine wissenschaftliche Neugier in Tat umsetzen und zumindest zeitweise von meinen anderweitigen beruflichen Tätigkeiten befreit forschen durfte – dafür möchte ich danken.

Prof. Dr. Anselm Gerhard, der mich und mein unorthodoxes Ansinnen stets mit seinem kritischen Sachverstand und seinem feinen Humor unterstützt hat.

Dekanin Prof. Dr. Karénina Kollmar-Paulenz und dem Fakultätsausschuss der philosophisch-historischen Fakultät Bern, die mir das Vertrauen ausgesprochen haben und ein grosszügiges Stipendium des Theodor-Schenk-Fonds ausgerichtet.

Den Verantwortlichen des Kreativitätsfonds der SRG SSR idée suisse für die erneut grosszügige finanzielle Unterstützung – dieses Mal meines Forschungsprojekts.

Patrick Holtz, der seine juristische Kompetenz einmal mehr in den Dienst der Kunst und deren unabhängigen Erforschung gestellt hat.

Roland Wächter, der bei Schweizer Radio DRS2 Haus und Hof bestellt und mein Unternehmen und dessen innerbetrieblichen Folgen umsichtig geleitet hat.

Schliesslich 499

Ina Boesch, die mich mit Herz durch die Höhen und Tiefen dieses Projekts begleitet hat und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist.