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GfBS news 30 2015 Inhalt Liebe GfBS-Mitglieder, Seite dies ist die 30. Ausgabe des GfBS-Newsletters, der 6 Niels Peder Kristensen Zoologisches Forschungsmuseum zum ersten Mal vor 17 Jahren erschien. Daher möch- Alexander Koenig – Leibniz-Institut 9 AnnoSys te ich mich besonders bei Dieter Waloßek in Ulm für Biodiversität der Tiere (ZFMK) 12 ABS Stiftung des öffentlichen Rechts bedanken, der als mein Vorgänger den Newsletter 17 Quo vadis? in den Anfängen der GfBS erfolgreich auf den Weg 16. Adenauerallee 160 53113 Bonn 23 CeNak brachte. Im Laufe der Jahre ha- Jahrestagung der 28 Belmont Forum ben sich einige Dinge geändert, 34 VBIO andere sind gleich geblieben. Gesellschaft für 36 Und sie fliegt doch Zu letzteren gehört, dass der Newsletter durch die ehrenamt- Umschlagsfoto: Fleissige Blütenbesucher liche Aktivitäten der Mitglieder Biologische Systematik (GfBS) Foto: David Goulson „lebt“. Ohne Sie gäbe es nicht die Herausgeber Vielfalt, wie wir sie heute als selbst- Gesellschaft für Biologische Systematik e.V. verständlich beim Aufschlagen des Der Bedarf an taxonomischem Geschäftsführer Michael Raupach, Deut- Newsletters wahrnehmen. Daher sches Zentrum für Marine Biodiversitäts- gebührt besonders den vielen Au- forschung (DZMB), Forschungsinstitut Sen- Wissen – für wen, in welcher Form? ckenberg, Senckenberg am Meer, Südstrand torinnen und Autoren der letzten 44, 26382 Wilhelmshaven Jahre ein herzliches Dankeschön. www.gfbs-home.de Es gibt da aber auch noch einige, die bisher nie in Vom Schriftleiter & Redaktion Ralph O. Schill, Universität Stuttgart, Biolo- Erscheinung getreten sind, weder mit Namen noch 18.-21. März 2015 am gisches Institut, Zoologie, Pfaffenwaldring auf einem Foto. Das sind diejenigen, die zusammen 57, 70569 Stuttgart, mit mir in den letzten Jahren nach jedem Druck Zoologischen Forschungsmuseum e-mail: [email protected] und der Anlieferung die Namensetiketten auf die Briefumschläge klebten und dann einen Newsletter Layout & Konzept Alexander Koenig in Bonn luzia schneider | lucoo creative company einsteckten. Das heißt, dass jede Zusendung durch e-mail: [email protected] mehrere Hände ging, bis sie letztendlich im Briefka- impressum sten lag. All denen, die sich immer spontan zusam- Für unverlangt eingesandte Manuskripte, mengefunden haben und nebenbei Postleitzahlen- Fotos, Dias, Bücher usw. wird nicht gehaf- raten mitgespielt haben, sei an dieser Stelle gedankt. tet. Der gesamte Newsletter einschließ- lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus dem Urheber- Einige Mitglieder haben die gesamten GfBS-News- rechtsgesetz und sonstigen Vorschriften letter-Ausgaben aufgereiht im Regal stehen, ande- nichts anderes ergibt. Jede Verwertung ist re bevorzugen PDFs. Wir haben daher die älteren ohne schriftliche Zustimmung der GfBS Ausgaben nachträglich als PDF verfügbar gemacht. unzulässig. Dies gilt insbesondere für Ver- vielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover- Diese können von der GfBS-Homepage herun- filmungen und die Einspeicherung und tergeladen werden. Blättern Sie einmal durch die Verarbeitung in elektronischen Systemen. älteren Jahrgänge und Sie werden teilweise über die Copyright für Inhalt und Gestaltung – falls damaligen Themen und Diskussionen erstaunt sein. nicht ausdrücklich anders vermerkt – bei Und noch etwas können Sie zwischen den Zeilen GfBS e. V. Der Newsletter ist das offizielle entdecken. Nämlich all das, was die GfBS in bald zwei Mitteilungsorgan der Gesellschaft für Bio- logische Systematik e. V. Er erscheint zwei- Jahrzehnten alles erreicht hat. Anmeldung ab sofort unter mal jährlich und wird allen Mitgliedern im Rahmen der Mitgliedschaft geliefert. [email protected] Die Zeitschrift ist im Mitgliedsbeitrag Ihr enthalten. Ralph Schill Anmeldeschluß ist der 11.01.2015 ISSN 1867-6766 (Printausgabe) Weitere Informationen unter ISSN 1867-6774 (Internetausgabe) www.zfmk.de/gfbs2015 GfBS news 30 2015 3 GfBS intern

Liebe GfBS-Mitglieder, noch nicht so recht, wie sich die Ratifizie- Generationen heranzuziehen, das Jahr 2014 liegt hinter uns und wir rung und Umsetzung des Nagoya-Proto- die in allen, wohlgemerkt müssen den Blick nach vorne richten. kolls auf unsere tägliche Arbeit auswirken auch den „traditionellen“ Be- Kurz vor Jahresende erreichte uns noch wird. Sicher ist allerdings: Beides wird uns reichen, versiert sind. Was will die traurige Nachricht, dass mit Niels Pe- in den nächsten Jahren eingehend be- man mehr? Nun gilt es die der Kristensen eines unserer verdienten schäftigen. Stellungnahme mit Leben zu Ehrenmitglieder verstorben ist. Wir wer- Manche Kolleginnen und Kollegen be- füllen! Lesen Sie hierzu die den seine Verdienste für die Biologische fürchten aktuell, dass mit den OMICS- spannenden Beiträge von Systematik in würdigem Gedenken hal- Technologien „neue Gefahr“ für die Taxo- Alexander Suh, Michael Rau- ten! Der vorliegende Newsletter enthält nomie und Systematik droht und führen pach und Rudolf Amann im neben einem Nachruf auf diesen großen hier gar die jüngst erschienene Leopol- vorliegenden Heft! Entomologen eine Vielzahl lesenswerter dina-Stellungnahme zur taxonomischen Weniger optimistisch blicke Beiträge, die Schlaglichter auf verschie- Forschung im OMICS- Zeitalter als „mani- ich auf die Entwicklungen dene Aspekte der Biologischen Systema- fest gewordenes Böses“ an. Ich sehe das im Zusammenhang mit dem tik werfen. Ich hoffe, dass Sie dieses Heft völlig anders und glaube, wir sollten viel- Nagoya-Protokoll. Noch lässt genauso gelungen finden wie ich, und an mehr den Schub und die Aufmerksamkeit, sich nicht völlig abschätzen, dieser Stelle möchte ich ein großes Dan- die die Taxonomie durch die Leopoldina- in wie weit die Umsetzung keschön an unseren Schriftleiter Ralph Empfehlungen gewinnt, für uns nutzen. dieses gut gemeinten Werkes Schill schicken, ohne dessen Engagement Letztlich wird dort vorgeschlagen, auch die Grundlagenforschung das vorliegende Heft –und so manches die OMICS-Technologien in eine „inte- betreffen wird. Es zeichnet vorhergehende– nicht entstanden wäre. grative Taxonomie“ einzubinden. Gute sich jedoch ab, dass es zu ei- Überhaupt ist dies einmal der richtige Taxonomie und gute Systematik waren ner massiven Steigerung des Zeitpunkt, dem gesamten Vorstand für schon immer „integrativ“ und haben alle Verwaltungs- und Genehmi- die gute Zusammenarbeit zu danken zur Verfügung stehenden Methoden zur gungsaufwandes in vielen – und auch den Organisatoren unserer Beschreibung der Biodiversität einge- unserer Forschungsbereiche nächsten Tagung, die vom 18.-21. März im setzt. Das kann auch im OMICS-Zeitalter kommen könnte. Im Worst- Alexander Koenig Museum in Bonn statt- nicht anders sein. Tatsächlich ist in der Case-Szenario könnten sogar finden wird (siehe den entsprechenden Stellungnahme, die auch die Bedeutung viele unserer Arbeiten kom- Uwe Fritz in KwaZulu-Natal an der Ostküste Südafrikas Beitrag in diesem Heft). Ohne dieses viel- der Sammlungen für die Biodiversitäts- plett undurchführbar werden. | Foto: privat fältige ehrenamtliche Engagement wäre forschung betont, wortwörtlich zu lesen: die GfBS undenkbar. „Im Prozess der Entwicklung der Taxono- Mehr zu diesem heiklen Thema finden Sie In diesem Sinne Als Biologen leben wir in spannenden mie für dringende Anwendungen wird es in dem Beitrag von Peter Giere, Cornelia mit den besten Wünschen für 2015 Zeiten – einerseits können wir miter- notwendig sein, moderne Forschungsin- Löhne, Christoph Häuser und Dirk Neu- leben, wie sich unsere Wissenschaft in frastrukturen für Morphologie und OMICS- mann. atemberaubendem Tempo weiter entwi- Technologien aufzubauen und in der Aus- Ihr ckelt (ich denke hier zum Beispiel an die bildung eine breite methodische Expertise Passend zur aktuellen Situation und zur Uwe Fritz Chancen und Möglichkeiten, die sich mit zu vermitteln“ [kursive Hervorhebungen Jahreswende fällt mir abschließend das Präsident der GfBS den sogenannten „OMICS-Technologien“ von mir]. Die in der Leopoldina-Stellung- Erich Kästner-Zitat ein: „Wird‘s besser? gerade für die Systematik und Taxono- nahme vorgeschlagenen „Schools of Ta- Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. mie, aber auch für die klassische Morpho- xonomy“ sind schließlich genau das, was Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebens- logie auftun), andererseits wissen wir alle wir brauchen, um künftige Taxonomen- gefährlich!“

GfBS news 30 2015 5 Niels Peder Kristensen (1943 – 2014)

Niels Peder Kristensen passed away on Lepidoptera in the „Handbook of entomology, and head of zoology. Inter- December 6th, 2014. For more than 40 Zoology“ series (published in 1998 nationally, he was on the advisory boards years, he was a leading international fi- and 2003). He was the editor of these of the natural history museums in Bonn gure in systematic entomology, excelling volumes, but also the main contributor and Berlin, President of the Societas Eu- in particular in Lepidoptera systematics by a large margin. As a fitting coda to his ropaea Lepidopterologica and council and general insect phylogenetics. As a life’s work, a second basal moth family, member of the International Congress of scholar and scientist, he was in a league the Aenigmatineidae, has just been Entomology. He also contributed to the of his own; as a teacher, supervisor and published (January 2015) in a paper with success of the Dresden Meetings on In- colleague, he was an inspiration to many. Niels as the lead author. sect Phylogeny (up to 2011). His scientific His absence will be keenly felt. and societal merits were acknowledged Despite his immense contributions to with a number of honorary memberships Niels‘ interest in entomology took off at systematic lepidopterology, Niels was and awards, the most prominent being an early age, and already as a high school probably most widely known as an the Karl Jordan Medal (Lepidopterists So- student he established contact to the Da- authority on general insect phyloge- ciety, USA – 1988), the Joachim Jungius nish Entomological Society and his future netics. His reputation in this area was Medaille (Hamburg, Germany – 1999), work place, the Zoological Museum of founded with a paper published in 1975. and the 2014 Linnean Medal in the field the University of Copenhagen. Biology The paper was commenting on and up- of Zoology. Since 1982, he has been a was the natural choice for his university dating some aspects of Willi Hennig‘s member of Danish Academy of Natural studies, and already as a student he star- „Die Stammesgeschichte der Insekten“ Sciences. Eventually, in 2007 Niels was ted publishing scientific papers, initially (1969). Niels would over the following awarded honorary membership to the on cicadas but quickly focusing on Lepi- decades regularly update this review of GfBS, for the sake of his achievements in doptera, especially the basal lineages. He insect phylogeny based on morpholo- the systematics of Insecta and Lepido- completed his studies in 1968 and was gical characters, incorporating the latest ptera; the laudatio was then presented immediately hired as an assistant profes- Ehrenmitglied in der GfBS | Foto: privat. advances in the literature. He made se- by Ulrike Aspöck (see GfBS Newsletter Nr. sor at the Entomological Department in veral contributions to this area himself, 20, pages 48ff). Ulrike hit the nail when the Zoological Museum. He would conti- mostly on basal Hexapoda. However, the calling Niels a „catalyst“ in science. nue to work there beyond his retirement SEM studies to insect anatomy, and Jean zenith of his achievements in order level in 2013, from 1995 as full Professor of En- Chaudonneret, University of Dijon, where insect phylogenetics is undoubtedly the Niels‘ high quality as a scientist was paral- tomology. he refined his histological techniques. 2002 publication in „Science“ of the new leled by his qualities as a human, always order Mantophasmatodea with him as a friendly, helpful and fair, and „radiating As a scientist, Niels was pioneering the Niels‘ major original contributions to co-author, the first insect order to be de- happiness“ as Ulrike perfectly formula- combination of detailed morphologi- lepidopterology focused on the basal, scribed after almost a century. ted in her laudatio. After his retirement in cal studies with Hennigian principles for jaw-bearing moths. Throughout the 70’ies 2013, Niels was looking forward to many phylogenetic inference. Indeed, he was and early 80’ies he published a series of Apart from his publications, Niels was also years of fruitful scientific work, without one of the first to employ the latter me- papers on various aspects of the anatomy highly active in other aspects of science. being distracted by administration and thodology in Denmark. His supervisor of ‘primitive’ Lepidoptera, culminating He supervised five graduate students over teaching. However, this was not to be. He was Anker Nielsen at the Zoological Mu- in an overview article including a three decades as well as a number of un- passed away much too early, with many seum, a specialist in Trichoptera but with reconstruction of the adult ground plan dergraduates. He attracted several post unfinished projects in progress. With a broad interest in insect anatomy. Ano- of the order. This work would earn him docs, and was for decades the primary him, the systematic entomological com- ther early influence was Karl Georg Wing- the Dr. Scient. (‘Habilitation’) degree in force in teaching the entomology course munity has lost one of its most outstan- strand, Professor in comparative anatomy 1984. Along the way, a new family of at the University of Copenhagen. He was ding, truly overarching representatives. at the University of Copenhagen. Niels basal moths, the Heterobathmidae, was heavily involved in the administration of We shall not see his like again. would seek further inspiration and gui- published in 1979. Later on, Niels‘ main the Zoological Museum of the University dance from Howard Hinton, University efforts in lepidopterology culminated in of Copenhagen, taking a number of turns Lars Vilhelmsen, Copenhagen of Bristol, who was a pioneer in applying producing the two monumental volumes as director and deputy director, chair of Klaus-Dieter Klass, Dresden

GfBS news 30 2015 7 Linné-Medaille für Prof. Dr. H. Walter Lack AnnoSys - Virtuelle Belegdaten revidieren Höchste Auszeichnung der Linnean Society of London für Lebenswerk Neue Möglichkeiten für Taxonomie und Sammlungskuration

Prof. Dr. H. Walter Lack leitete bis letztes Sein wissenschaftliches Werk ist bis heute Traditionell besuchen Wissenschaftler Jahr die Abteilung Wissenskommunika- von grundlegender Bedeutung für die naturkundliche Archive, Sammlungen tion am Botanischen Garten und Bota- der Erforschung der Biodiversität. Unter und Herbarien, revidieren und be- nischen Museum Berlin-Dahlem und war den bisherigen Preisträgern der Linné- stimmen Belege aus mehreren Jahr- Professor an der Freien Universität Berlin, Medaille befinden sich bedeutende hunderten, entziffern und ergänzen Für sein wissenschaftliches Lebenswerk Biologen wie Sir Joseph Dalton Hooker, handschriftliche Etiketten, notieren erhielt er die höchste Auszeichnung der Alphonse Pyrame de Candolle, Alfred ihre Recherche-Ergebnisse auf Anno- AnnoSys-Annotationssystems 2014 wur- Linnean Society of London. Die Linnean Russel Wallace, Ernst Haeckel, George tations-Etiketten und fügen diese den de dieses Ziel erreicht. In dieser ersten Medal wurde am 23. Mai 2014 in London Charles Wallich, Eduard Strasburger, Sammlungsbelegen hinzu. Durch Di- Ausbauphase können nach dem ABCD- verliehen, dem Geburtstag von Carl von , Willi Hennig, Josias Braun- gitalisierung von Sammlungsbelegen Standard (Access to Biological Collec- Linné. Blanquet, William Thomas Stearn, Ernst und Publikation dieser virtuellen Belege tions Data) veröffentlichte Daten verar- Mayr, Arthur John Cronquist, Vernon im Internet ergibt sich die Möglichkeit, beitet werden. Dadurch ist das Werkzeug Die Auszeichnung ist von internationaler Heywood und David Mabberley. einen Teil der Recherchen und Revisi- bereits für viele komplexe Sammlungs- Bedeutung. Seit 1888 vergibt die Linnean onen am Computer, unabhängig von der daten, unter anderem der GBIF-D Kno- Society of London weltweit einmal Sammlung, vorzunehmen. teninstitutionen ein-setzbar (siehe http:// im Jahr die Linné-Medaille an einen www.gbif.de/statistik). Der Zugang er- Botaniker und / oder einen Zoologen für In einer zunehmend digital vernetzten folgt derzeit über sieben Biodiversitäts- dessen Lebenswerk. Bisher ging diese Welt stehen diese Biodiversitätsdaten portale einschließlich des Datenportals Auszeichnung lediglich ein einziges Mal aus weit verteilten Sammlungen in groß- des Humboldt-Rings (BiNHum-Portal), nach Berlin, an den Botaniker Adolf Engler en Mengen über Biodiversitätsportale der Sammlungsportale des Herbarium im Jahre 1913. Der letzte Empfänger aus wie BioCASE (Biological Collection Ac- Berolinense und des Portals des JACQ dem Bereich der Botanik in Deutschland cess Service for Europe, www.biocase. Sammlungsverwaltungssystems. war Karl Ritter von Goebel im Jahre 1931. org) zur Verfügung. Den Chancen des verbesserten Zugangs zu primärer Bio- Das aktuelle System spricht mehrere Dr. H. Walter Lack ist international diversitätsinformation und der verbes- Zielgruppen an. Einerseits können regis- renommierter Experte für die Geschichte serten Datennachnutzung durch die Wis- trierte Nutzer alle zu einem Sammlungs- der Pflanzentaxonomie, der botanischen senschaft stehen die Risiken gegenüber, beleg veröffentlichten Daten in Form Forschungstätigkeit Alexander von dass die aus der Bearbeitung durch Wis- einer Annotation korrigieren, ergänzen Humboldts und der botanischen senschaftler gewonnenen Erkenntnisse oder kommentieren. Andererseits kön- Illustration. Seine zahlreichen, in nicht in die physischen Sammlungen nen Taxonomen und Systematiker, die mehreren Sprachen erschienenen zurückfließen und/oder nicht unmittel- über Annotationen von Belegdaten in Veröffentlichungen sind Standardwerke bar mit der Scientific Community geteilt ihrer systematischen Gruppe informiert zur Geschichte der Botanik geworden. werden. Hier setzt das Projekt AnnoSys werden wollen, sich per Abonnement Er leitet die Bibliothek, Verlag und an, das Werkzeuge und Workflows für gezielt informieren lassen. Dies gilt auch Ausstellungen im Botanischen Garten Annotationen in virtuellen Sammlungen für Sammlungskustoden, die auch die und Botanischen Museum Berlin- bereitstellt. Möglichkeit haben, die Annotationen Dahlem. mit Bezug auf ihre Sammlung zu prüfen Hauptziel der ersten Phase (2011-2014) und das Ergebnis über entsprechende Die Linnean Society of London des AnnoSys-Projektes war es, ein Anno- Kurationsannotationen zu veröffentli- wurde 1788 gegründet und ist die Botaniker H. Walter Lack untersucht einen tations-Repositorium mit einer einfach chen. Im Ergebnis unterstützt AnnoSys älteste existierende naturforschende Herbarbeleg der Roßkastanie im Berliner Herbarium zu bedienenden Nutzeroberfläche zu die Lebenswissenschaften insgesamt, da Gesellschaft für Botanik und Zoologie während seiner Forschung zum Ursprung der erstellen, mit der die Korrekturen oder das System ein zusätzliches Werkzeug mit Mitgliedern in allen Teilen der Kastanienminiermotte | Foto: Ch. Hillmann-Huber, Ergänzungen der Sammlungsdaten ein- zur Qualitätskontrolle von biologischen Welt. Sie ist nach dem schwedischen Botanischer Garten und Botanisches Museum gegeben und abgerufen werden können. Daten bereitstellt. Naturforscher Carl von Linné benannt. Berlin-Dahlem Mit der Publikation des frei zugänglichen

GfBS news 30 2015 9 In einem weiteren Entwicklungsschritt soll AnnoSys in weitere Portale wie das GBIF-Datenportal (Global Biodiversity In- formation Facility, http://www.gbif.org) und das künftige Datenportal des Global Genome Biodiversity Network (GGBN, http://data.ggbn.org) eingebunden wer- den. Damit verbunden ist die Einbindung von weiteren Sammlungsdatenstan- dards (Darwin Core, ABCD-DNA). Für die Zukunft sollen auch andere Typen von Biodiversitätsdaten annotierbar gemacht werden, z.B. taxonomische Checklisten. Da AnnoSys den „W3C Open Annotati- on“ Standard einhält, werden Austausch und Synchronisation von Annotationen mit anderen Plattformen ermöglicht. Mit dem jetzigen Stand des Systems ist ein erster aber wichtiger Meilenstein er- reicht, hin zum Aufbau einer globalen Annotationsinfrastruktur für Biodiversi- tätsdaten.

Wolf-Henning Kusber, Okka Tschöpe, Lutz Suhrbier, Anton Güntsch, Walter G. Berendsohn, Berlin AnnoSys: Annotations-Editor (in deutscher Spracheinstellung) | Foto: BGBM Berlin

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt „Ein generisches Annotationssystem für Biodiversitätsdaten“ im Rahmen des LIS-Programms.

Literatur Kusber, W.-H., Tschöpe, O., Suhrbier, L., Gennrich, S., Güntsch, A. & Berendsohn, W.G. (eingereicht): AnnoSys: Annotationen als Evaluationswerkzeug für die Nutzung virtueller Belegdaten in der Umweltforschung. - Deutsche Gesellschaft für Limnologie (DGL): Erweiterte Zusammenfassungen der Jahrestagung 2014 (Magdeburg), Hardegsen 2015.

Tschöpe, O., Macklin, J.A., Morris, R.A., Suhrbier, L. & Berendsohn, W.G. (2013): Annotating Biodiversity Data via the Internet. Taxon 62(6): 1248-1258. DOI: http://dx.doi.org/10.12705/626.4

Weitere Informationen unter: AnnoSys-Homepage: https://annosys.bgbm.fu-berlin.de, e-mail: [email protected]

GfBS news 30 2015 11 ABS jeht mir nüscht an – denkste! Neuigkeiten aus der Welt der Formulare

Sammeln im Ausland und die Nutzung bi- Grundlagenforschung, bemerkenswert. ologischen Materials wird komplizierter So erfordert dies ein Umdenken und ent- – Anmerkungen zur Umsetzung des Nago- sprechendes Handeln von Wissenschaft- ya-Protokolls und zum „Access and Benefit lern, die mit genetischen Ressourcen Sharing“ in der EU arbeiten – worauf wir in diesem Beitrag näher eingehen wollen. Mit dem 12. Oktober 2014 ist eine neue Zeitrechnung angebrochen – könnte man sagen. Dies ist sicher etwas übertrie- Was ist ABS? ben, aber ein Paradigmenwechsel ist mit ABS steht für „Access and Benefit Sha- dem Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls ring“ – wobei „Access“ den Zugang zu an diesem Datum durchaus erfolgt. Die genetischen Ressourcen bezeichnet und Grundlage dafür wurde bereits 1993 mit „Benefit Sharing“ den gerechten Vorteils- dem Inkrafttreten der Biodiversitätskon- ausgleich zwischen Nutzern und Her- vention gelegt, da seitdem genetische kunftsland meint. Eingeschlossen ist auch Ressourcen (also auch Pflanzen und Tiere, die Nutzung von mit genetischen Res- die für die Forschung gesammelt werden) sourcen verbundenem traditionellen Wis- nicht mehr als Allgemeingut sondern als sen („Traditional Knowledge“), worauf wir Ressource und Eigentum des Staates, aus hier jedoch nicht weiter eingehen wer- dem sie stammen, angesehen werden. den. ABS ist eine der drei Säulen der 1993 Staaten dürfen nun also den Zugang zu in Kraft getretenen Biodiversitätskonven- ihren genetischen Ressourcen regulieren tion, und wurde u.a. als Werkzeug gegen und müssen wiederum dafür Sorge tra- Bioprospecting auch durch international gen, dass Nutzer innerhalb ihres Territori- agierende Großkonzerne gesehen. Nach ums nur legal erworbene genetische Res- langwierigen, z.T. kontroversen interna- sourcen nutzen und die daraus erzielten tionalen Verhandlungen im Rahmen der Gewinne und Vorteile mit den Herkunfts- CBD wurde hierfür schließlich das so- ländern teilen. Das Nagoya-Protokoll gibt genannte Nagoya-Protokoll (im Volltext: Sammeln ist nicht mehr so einfach | Foto: Ralph Schill dafür einen völkerrechtlichen Rahmen Nagoya Protocol on Access to Genetic vor, den Mitgliedsstaaten umzusetzen Resources and the Fair and Equitable Sha- zieller Nutzung, z.B. in der Grundlagen- Durchführungsrechtsakte näher geregelt. haben, wenn sie dem Protokoll beitreten. ring of Benefits Arising from Their Utili- forschung erfolgt. Daher wird vor allem Auch Deutschland ist zum Vollzug dieser Innerhalb der EU wird die Umsetzung des zation) 2010 verabschiedet, das dann, 90 auch die Biodiversitätsforschung von den Verordnung verpflichtet, auch wenn die Nagoya-Protokolls durch die EU-Verord- Tage nach der Hinterlegung des 50 Rati- ABS-Regelungen unverhältnismäßig stark Ratifizierung des Nagoya-Protokolls und nung 511/2014 (http://eur-lex.europa.eu/ fizierungsdokumentes, am 12.10.2014 in betroffen sein. Dies dient nicht unbedingt die entsprechende nationale Gesetzge- legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:3 Kraft getreten ist. Nach dem langen und den ursprünglichen Zielen der CBD, um es bung noch ausstehen. Die Details der 2014R0511&from=EN) geregelt, die seit zähen Abstimmungsprozess ist von dem vorsichtig zu formulieren. Die bereits ge- Umsetzung in Deutschland werden aber dem 12. Oktober unmittelbar in allen EU- ursprünglich beabsichtigten Instrument nannte EU-Verordnung 511/2014 ist mit Anfang nächsten Jahres, spätestens im Mitgliedsstaaten gilt. zur Finanzierung des angewandten Na- dem Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls Herbst 2015 geklärt sein. turschutzes und gegen ungeregeltes wirksam geworden. Die für den Vollzug Dieses Umdenken, das im Zuge der Biopi- Bioprospecting nicht mehr viel übrig relevanten Artikel gelten allerdings erst rateriediskussion bei den Verhandlungen geblieben. Auch konnte bei diesen Ver- mit einer Verzögerung von einem Jahr, Wer ist betroffen? zur Biodiversitätskonvention eingesetzt handlungen nicht durchgesetzt werden, also zum 12. Oktober 2015. Die Details Im Prinzip sind alle Arbeitsgruppen bzw. hat, ist insbesondere hinsichtlich seiner dass eine grundsätzliche Unterscheidung werden derzeit mit den betroffenen Nutz- Institute betroffen, die genetische Res- beabsichtigten – und leider auch un- zwischen kommerzieller Nutzung gene- ergruppen und den EU-Mitgliedsstaaten sourcen nutzen, die nach dem 12.10.2014 beabsichtigten – Auswirkungen auf die tischer Ressourcen und nicht-kommer- diskutiert, und schlussendlich durch eine erworben („accessed“) wurden und aus

GfBS news 30 2015 13 Ländern stammen, welche das Nagoya- of heredity.“ Durch diese sehr allgemein Die zuständigen Behörden in den EU-Staa- 1. Vor dem Sammeln biologischem Ma- Protokoll ratifiziert und Zugangsbe- gehaltenen, tatsächlich aber sehr umfas- ten müssen diese Sorgfalt durch Stichpro- terials in Nagoya-Vertragsstaaten muss schränkungen zu ihren nationalen Res- senden Definitionen geht es nicht nur um ben und Kontrollen überprüfen und Ver- neben den bereits erforderlichen Geneh- sourcen beschlossen haben. Gleichzeitig Gewebeproben, DNA oder verwandtes stöße ahnden. Die EU-Verordnung regt migungen (Forschungsgenehmigung, unterliegt die Nutzung genetischer Res- Material, sondern auch um Belege oder außerdem die Erarbeitung von sektorspe- Sammelerlaubnis, ggf. Exportgenehmi- sourcen der im Nagoya-Protokoll und Objekte, die nicht direkt im Zusammen- zifischen Verhaltensregeln und Leitlinien gung, sogenannten „material transfer EU-Verordnung festgelegten Regeln und hang mit einer möglichen Beprobung zur an. Dies wurde von CETAF (Consortium agreements“, MTA) bei der zuständigen Definitionen: demnach ist Nutzung das DNA-Gewinnung gesammelt werden – of European Taxonomic Facilities) aufge- Behörde des Herkunftslandes eine for- Durchführen von Forschungs- und Ent- und womöglich auch um solche Proben, griffen und dessen für ABS eingesetzte male Zustimmung zur Beprobung/Befor- wicklungstätigkeiten an der genetischen bei denen eine biologische Fragestellung Arbeitsgruppe hat einen ABS-Verhal- schung bzw. Nutzung der genetischen und/oder biochemischen Zusammen- nicht im Fokus steht wie etwa Mikroorga- tenskodex für Naturkundesammlungen Ressourcen („prior informed consent“, setzung genetischer Ressourcen. Leider nismen in Bodenproben. Es gibt gewisse entwickelt (http://www.cetaf.org/sites/ PIC) eingeholt werden, sowie eine Ver- schafft diese Definition keine Klarheit. So Ausnahmen in der EU-Gesetzgebung default/files/cetaf_abs_code_of_con- einbarung über die konkreten Nutzungs- wird der Terminus „Forschung und Ent- (Nahrungsmittelsicherheit, Pathogene, duct_2014.pdf). Damit im Zusammen- bedingungen geschlossen werden („mu- wicklung“ („Research and Development“) menschliche Proben), doch leider bezie- hang steht auch die Etablierung eines so- tually agreed terms“, MAT). Über diese von verschiedenen Stellen als logische hen sich diese nicht auf Proben für sy- genannten „Bewährten Verfahrens“ („Best Vertragsdokumente wird die zulässige „und“-Verknüpfung interpretiert, d.h. stematische Grundlagenforschung, wie Practice“, als Anhang im CETAF Code of Nutzung der genetischen Ressourcen nur Forschung, die mit Entwicklungstä- etwa im Feld gesammeltes Material oder Conduct, derzeit noch im Entwurf), das aktuell und für die Zukunft festgelegt tigkeiten verbunden ist, würde unter die Sammlungsobjekte. Daher fällt alles bio- im praktischen Umgang mit ABS nützlich (z.B. die erlaubten Untersuchungsmetho- Definition von „Nutzung“ und somit un- logische Material, das nach dem 12. Okto- sein und in verringerten Kontrollen durch den, Weitergabe an Dritte, Nutzungs- und ter die ABS-Bestimmungen fallen. Eine ber 2014 in einem Vertragsstaat des Na- die Aufsichtsbehörde münden soll. Wie Verwertungsrechte der Ergebnisse, etc.). solche Spezifizierung würde eine we- goya-Protokolls (Liste unter: http://www. dies in der Praxis dann wirklich geregelt Informationen darüber, welche Länder sentliche Erleichterung für die Grundla- cbd.int/abs/nagoya-protocol/signatories/ wird, ist angesichts der noch ungeklärten bereits Zugangsregelungen erlassen und genforschung bringen. Doch leider gab default.shtml) erworben wurde, unter die Details noch nicht absehbar. Da die EU- zuständige Behörden (Competent Na- es dazu weder von offiziellen Stellen in neuen Regeln. Dabei spielt es zunächst Verordnung keine Sonderregelungen für tional Authorities) eingerichtet haben, Deutschland noch in der EU eine ein- keine Rolle, ob das Material in der Natur die nicht-kommerzielle Forschung vor- können auf der Clearing-House-Webseite deutige Positionierung, und auch einige (in situ) gesammelt oder aus einer dor- sieht, wird Sammlungsmaterial innerhalb zum Nagoya Protokoll abgerufen werden Herkunftsländer lehnen eine Trennung tigen Ex-situ-Sammlung stammt, da jedes der EU den jeweiligen nationalen Geset- (https://absch.cbd.int/countries). von „Forschung und Entwicklung“ strikt Land bestimmt, welche genetischen Res- zen der 28 Mitgliedsstaaten unterliegen, ab. Somit ist davon auszugehen, dass sourcen in seinem Hoheitsgebiet unter und mangels EU-weiter, harmonisierter 2. Die Herkunftsländer mit den dortigen die nicht-kommerzielle Grundlagenfor- das Nagoya-Protokoll fallen. Richtlinien, den Partikularinteressen der Kooperationspartnern müssen an er- schung in der Pflicht bleibt, ebenso wie EU Mitgliedsstaaten. zielten Vorteilen und Gewinnen („Be- die anwendungsorientierte kommerzielle nefits“) aus der Nutzung gerecht („fair“) Forschung. Wie erfolgt die Umsetzung in der EU? beteiligt werden. In einem nicht-kom- Das Grundprinzip der EU-Verordnung Was muss ich als Nutzer beachten? merziellen Kontext kann dies durch Wis- beruht auf der Einführung einer Sorg- Obwohl einige der für den Nutzer rele- senstransfer, gemeinsame Publikationen Welches Material ist betroffen? faltspflicht („due diligence obligation“, vanten Bestimmungen der EU Verord- o.ä. erfolgen und mögliche derartige, In der Biodiversitätskonvention werden Erwägungsgrund 21 und Artikel 4): nung erst im Oktober 2015 in Kraft tre- auch nicht-monetäre „Benefits“ sollten in genetische Ressourcen (um die es im Nutzer genetischer Ressourcen wer- ten werden (Art. 4, 7 und 9), sollten sich den MAT aufgelistet sein. Diese Auflistung Nagoya Protokoll geht) über zwei Defi- den dazu verpflichtet, sich über die re- Forscher, die mit genetischen Ressourcen ist besonders zu beachten, wenn materi- nitionen gefasst: 1. „‘Genetic resources‘ levante Gesetzeslage zu informieren, arbeiten, auf die absehbaren gesetzlichen elle Erlöse oder Gewinne aus Forschungs- means genetic material of actual or po- sich die entsprechenden Genehmigung Regelungen vorbereiten und sich vorläu- ergebnissen (z.B. durch Verkauf/Vermark- tential value“. 2. „‘Genetic material‘ means einzuholen sowie Verträge mit Gebern fig bis zur weiteren Klärung an folgende tung von Büchern, Bildern, etc.) geplant any material of plant, animal, microbial or auszuhandeln und sich schließlich an die Hinweise halten: sind, da diese auch beispielsweise Veröf- other origin containing functional units gemachten Vereinbarungen zu halten. fentlichungsrechte einschränken können.

GfBS news 30 2015 15 Quo vadis? Biologische Systematik im Genom-Zeitalter

3. Alle Dokumente, insbesondere PIC und ren und die Dokumentation ist dauerhaft Erinnern Sie sich noch an das Humange- Hauptstudien (Green et al. 2014, Jarvis et MAT, sind wie andere Genehmigungen zugänglich zu halten. nomprojekt? Eine der bislang größten al. 2014) erreichten dabei durch die Ver- zu den genetischen Ressourcen (Samm- und teuersten Kollaborationen in der Bi- öffentlichung in Science breite (Medien-) lungsmaterial, Proben) dauerhaft aufzu- Leider sind diese Regeln im Detail alles ologie – Kosten von mehreren Milliarden Aufmerksamkeit, was zeigt, dass biolo- bewahren und gegebenenfalls in Ver- andere als trivial und bedeuten in der US-Dollar und jahrelange Arbeit hunder- gische Systematik alles andere als eine bindung mit den jeweiligen genetischen praktischen Umsetzung einen enormen ter WissenschaftlerInnen bis zum Jahr Nischenwissenschaft ist! Ressourcen (Proben, Sammlungsbelege) Aufwand. Da die Umsetzung auf deut- 2003. Auch wenn das Ganze noch nicht in Kopie weiterzugeben. scher Seite nicht abschließend geklärt ein mal zwei Jahrzehnte her ist, befinden Genomdaten im Überfluss, ist, und da es vergleichbar mit anderen wir uns heute im sogenannten „Genom- aber Mangel an Fragestellungen 4. Für Forschung an seit dem 12. Okto- Regelungen wie dem Tierschutzgesetz zu Zeitalter“ (genomics era). Neue Sequen- bzw. FragestellerInnen ber 2014 gesammeltem biologischem Kontrollen durch die Behörde kommen zierungsmethoden (next generation Material aus Ländern, die das Nagoya- kann, ist eine Beachtung der obigen Re- sequencing) haben den Markt revoluti- Warum ist das relevant für die biologische Protokoll ratifiziert haben, ist zu beach- geln empfehlenswert und wird zumin- oniert und Genomsequenzierungen all- Systematik im Allgemeinen? Die Struktur ten, dass ausschließlich solches Material dest im Museum für Naturkunde Berlin gemein bezahlbar gemacht. Es wundert der oben genannten Genomkonsortien genutzt werden sollte, für das entspre- den Nutzern bis auf weiteres auferlegt. Da daher kaum, dass mittlerweile monatlich zeigt ein interessantes Phänomen des chende ABS-Dokumente vorliegen. Zu- an öffentlichen Einrichtungen tätige For- neue Genomsequenzen veröffentlicht Genom-Zeitalters auf: Schwergewichte dem darf sich diese Nutzung/Forschung scher immer im Namen ihrer Institution werden und es nur noch wenige Genom- unter den Genom-Sequenzierungszen- ausschließlich im dort aufgeführten Rah- handeln und diese bei Verstößen gegen studien gibt, die es in die „Prestige-Jour- tren wie BGI (Shenzhen, China) sind an men (MAT) bewegen. Dies gilt auch und die EU-Verordnung entsprechend sank- nale“ Nature und Science schaffen. nahezu allen großen Genomprojekten besonders für die Nutzung des Materials tioniert werden kann, sollte also gelten: beteiligt, da sie die finanziellen/perso- durch Kooperationspartner bzw. allge- ABS jeht mir doch watt an... A Flock of Genomes – nellen Ressourcen und das bioinforma- mein für eine Weitergabe und mögliche „Ein Schwarm aus Genomen“ tische Knowhow besitzen, derart riesige Nutzung der Proben durch Dritte. Peter Giere, Museum für Naturkunde Berlin (MfN), Mengen an Genomdaten zu produzie- Conny Löhne, Botanischen Garten und Botanisches Wenn Sie in die Dezemberausgabe 2014 ren und zu verarbeiten. Die biologischen 5. Bei der Planung und Durchführung Museum (BGBM) Berlin, Christoph Häuser, Museum von Science (Band 346) schauen, sehen Fragestellungen, die sich anhand die- eigener Forschungs- und Sammelreisen für Naturkunde Berlin (MfN) und Dirk Neumann, Sie eine der wenigen Ausnahmen. Hier ser Genomdaten ergeben, werden aber in Nagoya-Protokoll-Vertragsstaaten ist Zoologischen Staatssammlung München (ZSM) wurde eine Sonderausgabe der Genom- weiterhin hauptsächlich von „normalen“, bereits im Vorfeld zu klären, dass entspre- sequenzierung von Nicht-Modellorga- universitären WissenschaftlerInnen er- chende Abkommen (PIC, MAT) mit den nismen gewidmet. Ein paar „photogene“ forscht. Konkret heißt das, dass gerade jeweiligen Herkunftsländern vorliegen Beispiele für derartige Nicht-Modellorga- jetzt im Genom-Zeitalter biologische Sy- oder ggf. vor Ort zu Beginn der Reise un- nismen finden Sie in Abbildung 1. Insge- stematiker mehr denn je benötigt werden terzeichnet werden. Entsprechendes gilt samt wurden 45 Vogelgenome und 3 Kro- – wir sind es, die einerseits viele relevante auch für den Erhalt bzw. Empfang von kodilgenome sequenziert, die wichtige biologische Fragen (er)kennen und be- biologischen Proben und Materialien aus Informationslücken in der Biodiversität antworten können, andererseits auch diesen Ländern durch Leihen oder durch der Amniota (Landwirbeltiere ohne Am- molekulare Befunde in morphologischen, Dritte, z.B. über Studenten, befreundete phibien; Abbildung 2) füllen. Die Unmen- taxonomischen und phylogenetischen Kollegen oder Besucher. ge an Daten wurde von insgesamt über Zusammenhängen interpretieren kön- 100 Wissenschaftlern in zwei Konsortien nen. Die große Chance für die biologische (Avian Phylogenomics Consortium APC Systematik ist dabei, dass stetig Genom- 6. Alle unter dem Nagoya-Protokoll erhal- und International Crocodilian Genomes daten en masse produziert werden und in tenen genetischen Ressourcen (Proben, Working Group ICGWG) über 4 Jahre hin- der Regel im Vorab allgemein verfügbar Sammlungsbelege) und deren Verwen- weg interdisziplinär analysiert und nun in gemacht werden – natürlich kostenlos. dung (durchgeführte Untersuchungen, über 20 Publikationen in verschiedensten Aufbewahrung, Verwertung der Ergeb- Fachzeitschriften zeitgleich veröffent- nisse, etc.) sind sorgfältig zu dokumentie- licht. Die phylogenetisch-systematischen

GfBS news 30 2015 17 Die Wichtigkeit biologischer Samm- lungen im Genom-Zeitalter Sie kennen sicherlich die folgende Situa- tion – selbst im Überfluss von Daten und daraus resultierenden Fragestellungen gibt es immer etwas, was deren Erfor- schung limitiert. Im Zeitalter der komplett sequenzierten Genome wird dies auf ab- sehbare Zeit die Tatsache sein, dass längst nicht alle Spezies eines Taxons sequen- ziert bzw. zur Sequenzierung verfügbar sein werden. Selbst in photogenen Taxa wie Vögel oder Säugetiere wird es noch Jahre dauern, bis Genomdaten zu den sel- tensten Arten verfügbar sind – wenn sich überhaupt „brauchbares“ Material fin- den lässt. Gerade für bedrohte oder aus- gestorbene Arten sind hier biologische Stammbaum der Amniota (Landwirbeltiere ohne Amphibien) und die Zahl sequenzierter Genome. Der Sammlungen wichtiger denn je und es datierte Baum ist verändert nach Suh et al. (2014b) und enthält die stratigraphische Einordnung von „Genom- ist beruhigend zu sehen, dass auf diese Fossilien“ von Hepatitis-B-Viren (rote Rechtecke). Die Informationen zu den sequenzierten Genomen (Stand Wichtigkeit in einem eigenen Artikel in 15. Dezember 2014) wurden vom National Center for Biotechnology Information (http://www.ncbi.nlm.nih. Science explizit hingewiesen wird (Kress gov) abgerufen. 2014). Zwei „photogene“ Beispiele für Krokodile und Ich möchte hier aus eigener Erfahrung Vögel. Abgebildet sind der kürzlich sequenzierte ein Beispiel nennen: Im Rahmen der ICG- Mississippi-Alligator (Alligator mississippiensis) WG untersuchten wir die Genomevolu- und die Falkennachtschwalbe (Chordeiles minor). Biologisches Sammlungsmaterial von anderer Taxa zu betreiben – die Kollabo- tion der Amniota (Suh et al. 2014a) und Letztere ist eine nahe Verwandte der kürzlich Nicht-Modellorganismen kann also auch ration mit großen Genom-Sequenzie- im Kontext dessen die Genomevolution sequenzierten Nachtschwalben-Art Antrostomus direkt relevant für das Verständnis der rungs-zentren verspricht große Daten- von Hepatitis-B-Viren in Amniota (Suh et carolinensis | Foto: Alexander Suh Evolution humanpathogener Viren sein. mengen unter vergleichsweise geringem al. 2014b). Uns wurde ziemlich schnell Eigenkostenaufwand. Schlussendlich bewusst, dass es zwar großartig ist, nun Derart große Datenmengen auch für liegt es an uns Systematikern, die Fülle 4 Krokodilgenome und 4 Schildkröten- „weniger photogene“ Organismen? neu verfügbarer Genomdaten zu nutzen, genome zur Verfügung zu haben, es maier an der naturhistorischen Samm- die daraus resultierenden Möglichkeiten aber aus einem uns nicht verständlichen lung des Senckenberg Dresden war es Zum Abschluss bleibt nur zu hoffen, dass zu begreifen und weiterhin interdiszi- Grund versäumt wurde, einen Vertreter dann dennoch möglich, Halswender- in Zukunft auch die Genome bislang ver- plinär zu zeigen, wie wichtig die biolo- der Halswender-Schildkröten (Pleurodira) Schildkröten für gezielte Fragestellungen nachlässigter Organismen genauso um- gische Systematik gerade im Genom- zu sequenzieren. Dieses Taxon hatte ihren zu beproben. Nur deshalb konnten wir fassend sequenziert werden, auch wenn Zeitalter ist. letzten gemeinsamen Vorfahren mit den zeigen, dass der gemeinsame Vorfahr al- es leider immer ein starkes Ungleichge- Halsberger-Schildkröten (Cryptodira) vor ler Schildkröten vor über 200 Millionen wicht hin zu „photogeneren“ bzw. hu- Alexander Suh, Department of Evolutionary Biology ca. 200 Millionen Jahren und ist daher es- Jahren mit Hepatitis-B-Viren koexistiert manrelevanten Organismen geben wird. (EBC), Uppsala University, Norbyvägen 18D, SE-752 sentiell für Aussagen, die „alle“ lebenden haben muss (Abbildung 2) und dies somit Vielleicht sind die hier erwähnten groß- 36 Uppsala, Schweden. [email protected], Schildkröten umfassen. Dank einer Kolla- das älteste bislang direkt nachgewiesene en Konsortien ein Ansporn dafür, ähn- https://genomicrocosm.wordpress.com/ boration mit Uwe Fritz und Christian Kehl „Genom-Fossil“ von Viren überhaupt ist. lichen Aufwand auch für die Erforschung

GfBS news 30 2015 19 Eine nationale Empfehlung der Leopoldina Herausforderungen für die taxonomische Forschung im Zeitalter der ‚-omics‘-Technologien

Weiterführendes im Internet: Die Taxonomie, die Wissenschaft der Identifizierung, Beschreibung und Klassi- Sonderausgabe mit allen Science-Artikeln fizierung von Lebewesen, ist das Rückgrat (open access): http://www.sciencemag.org/con- jeglicher biologischen Forschung. Aktuell tent/346/6215.toc#SpecialIssue erlebt die taxonomische Forschung eine technische Revolution: Moderne Hoch- Liste aller Begleitartikel in anderen Zeitschriften: durchsatzverfahren zur Analyse von DNA, http://www.sciencemag.org/con- Proteinen und Stoffwechselprodukten, tent/346/6215/1308/suppl/DC1 sogenannte „-omics“-Methoden, ermög- lichen eine rasche und sehr genaue ta- Literatur: xonomische Charakterisierung eines Green, R.E., et al. (55 Autoren) 2014. Three crocodi- Organismus. Die Geschwindigkeit, mit lian genomes reveal ancestral patterns of evolution der heute diese Daten, aber auch phä- among archosaurs. Science 346: 1335. notypische Artmerkmale automatisiert erfasst werden können, lässt das große Kress 2014. Valuing collections. Science 346: 1310. Ziel der Taxonomen, die gesamte bio- logische Vielfalt der Erde zu erfassen, in Jarvis, E.D., et al. (103 Autoren) 2014. greifbare Nähe rücken. Wenn es gelingt, Whole genome analyses resolve the early branches die neuen digitalen Daten mit dem in the tree of life of modern birds. Science 346, schon vorhandenen taxonomischen 1320-1331. Wissen in öffentlichen Datenbanken zu verknüpfen, sollte es möglich sein, zu Suh, A., et al. (15 Autoren) 2014a. Multiple lineages einer integrativen Taxonomie zu ge- of ancient CR1 retroposons shaped the early ge- langen, in der auch enge Fachgrenzen nome evolution of amniotes. Genome Biology and weniger ausgeprägt sind. Dies wäre Evolution doi: 10.1093/gbe/evu256. nicht allein für die Grundlagenfor- schung ein Fortschritt, sondern wohl Suh, A., Weber, C.C., Kehlmaier, C., Braun, E.L., ein Schritt hin zur Beantwortung ver- Green, R.E., Fritz, U., Ray, D.A., Ellegren, H. 2014b. schiedenster gesellschaftspolitischer Early Mesozoic coexistence of amniotes and Hepad- Fragen wie zum Beispiel eine effektive naviridae. PLoS Genetics 10: e1004559. Charakterisierung von Schädlingen oder Pathogenen. bei dem weitere Mitglieder benannt und die Vorgehensweise der Arbeitsgruppe In diesem Zusammenhang wurde von der definiert wurden. In drei thematischen Nationalen Akademie der Wissenschaften Workshops wurden anschließend die Ent- Leopoldina mit der Arbeitsgruppe „Inte- wicklungen in der Taxonomie in unter- grative Taxonomie“ eine Expertengruppe schiedlichen Forschungsbereichen unter ins Leben gerufen, welche die Chancen Einbindung externer Experten beleuch- der molekularbiologischen „-omics“-Tech- tet: 1. Taxonomie in der Botanik (21./22. nologien (Genomik, Metagenomik, Prote- Juni 2012 in Halle/Saale), 2. Taxonomie omik und Metabolomik) für die taxono- in der Mikrobiologie, medizinischen Mi- mische Forschung analysierte. krobiologie und der Mykologie (10./11. September 2012 in Bremen) und 3. Taxo- Die Gruppe konstituierte sich in einem nomie in der Zoologie (13./14. Dezember ersten Treffen am 7. März 2012 in Berlin, 2012 in Berlin).

GfBS news 30 2015 21 Gründung des Centrums für Naturkunde (CeNak) in Hamburg Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Naturhistorische Museum soll als eine integrative Institution der sammlungsbezogenen Biodiversitätsforschung wieder aufleben Das Hauptanliegen der Arbeitsgrup- Empfohlene Forschungsprojekte be- „Hamburg erhält wieder ein Naturkun- pe lag in der Darlegung der Bedeutung inhalten i.) eine Beschreibung aller Ar- demuseum“, so titelte richtungsweisend der Taxonomie für Entscheidungsträger ten (inklusive Algen, Pilze, Einzeller und und visionär das „Hamburger Abend- sowie der Definition von Forschungs- Mikroorganismen) Mitteleuropas, ii.) die blatt“ am 22. Oktober 2014. Tatsächlich schwerpunkte. Der Fokus fiel auf zwei Innenrevision von Sammlungen und die will die Universität Hamburg ein neues wesentliche Bereiche: 1) die konzeptio- iii.) konzeptionelle Weiterentwicklung der naturhistorisches Museum bauen. Als nelle Gestaltung der Taxonomie, und 2) Taxonomie als Konsequenz auf die neuen einen ersten Schritt hat das Präsidium die daraus folgenden Empfehlungen für Herausforderungen. unter Prof. Dieter Lenzen bereits im Mai Nach zähem und Jahrzehnte währendem einen strukturellen Um- und Ausbau der 2014 die Gründung eines Centrums für Ringen mit dem Senat der auch damals in Wissenschaftslandschaft in für die Taxo- Michael J. Raupach und Rudolf Amann Naturkunde – kurz CeNak – beschlossen, dieser Hinsicht nicht eben wissenschafts- nomie relevanten Bereichen. Der erste in dem nun die bestehenden naturkund- freundlich eingestellten Hansestadt ge- Bereich konzentrierte schwerpunktmä- Die vollständige Stellungnahme (sowohl in Deutsch lichen Sammlungen der Universität Ham- lang es, für die immer schneller anwach- ßig auf die Beschreibung des Status quo, als auch Englisch) ist frei zugänglich auf der Home- burg unter einem wenngleich vorläufig senden Sammlungen 1891 endlich ein der Identifizierung von Problemen und page der Leopoldina (www.leopoldina.org/de/taxo- noch virtuellen Dach zusammengeführt eigenes Gebäude am Steintorwall zu innovative Vorschläge für eine sinnvolle nomie) im pdf-Format hinterlegt. werden. Zur Wiedererrichtung eines errichten, in unmittelbarer Nähe des zen- Vernetzung der bestehenden Richtungen neuen Museums ist es in Hamburg indes tral gelegenen Hauptbahnhofs. Letzterer und Konzepte der Taxonomie zu machen. noch ein langer Weg. Als Gründungsdi- vor allem aber wurde dann Ziel alliierter Basierend auf diesen Erkenntnissen for- rektor des Centrums und als Leiter des Bombenangriffe auf Hamburg, deren muliert der zweite Bereich die daraus Zoologischen Museums wurde dazu im Innenstadt während der sogenannten resultierenden notwendigen struktu- Oktober des Jahres Matthias Glaubrecht „Operation Gomorrha“ in der Nacht vom rellen Änderungen. berufen, der zugleich die an der Universi- 29. auf den 30. Juli 1943 durch den auf- tät neu eingerichtete Professur für Biodi- kommenden Feuersturm in Schutt und Aktuell ist Deutschland einer der weltweit versität der Tiere übernimmt. Er war zuvor Asche gelegt wurde. führenden Standorte taxonomischer For- seit 1997 als Kurator für Malakozoologie schung. Damit hier auch künftig exzel- am Berliner Naturkundemuseum tätig Bis dahin, so zeigt die Recherche in histo- lente Ergebnisse in der Taxonomie erzielt und dort zwischen 2006 und 2009 mit rischen Berichten (zusammengetragen werden können, empfiehlt die Arbeits- dem Aufbau der Forschungsabteilung etwa von der Wissenschaftshistorikerin gruppe Schwerpunktsetzungen an einzel- betraut sowie maßgeblich an den 2007 Sabine Köstering in ihrem Buch über die ne Forschungsstandorte in Deutschland, und 2009 neu eröffneten und besucher- Naturkundemuseen Deutschlands im eine verbesserte Ausbildung von Nach- reichen Dauer- und Sonderausstellungen Kaiserreich), hatte Hamburg nach Berlin wuchs in der Taxonomie, ihre Vernetzung beteiligt. das zweitgrößte Museum dieser Art in und Internationalisierung. Deutschland; zudem war es lange Zeit das meistbesuchte Naturkundemuseum, Diese Empfehlungen umfassen i.) eine Opfer der „Operation Gomorrha“ nicht zuletzt auch wegen der spektaku- verbesserte Einbindung taxonomischer Bis zur Zerstörung im Juli 1943 besaß lären Innenraumgestaltung mit meh- Expertise in Wissenschaft und Gesellschaft Hamburg ein eigenes Naturkundemu- reren Stockwerken und umlaufenden als auch ii.) eine Reform der Taxonomie seum. Dieses Naturhistorische Museum Galerien, die zudem über freitragende durch Schwerpunktsetzung, Vernetzung, war genau ein Jahrhundert zuvor, im Mai Brücken begehbar waren. Vor allem aber Stärkung der Ausbildung, Aufbau von 1843, von Hamburger Bürgern gegründet verfügte das Hamburger Museum über Forschungsinfrastruktur sowie Internatio- worden. Anders als die meist auf kurfürst- bedeutende Sammlungen: etwa das Pri- nalisierung. Weitere zentrale Aspekte sind liche Kabinette zurückgehenden Samm- vatmuseum des Kaufmanns und Oberal- iii.) die Archivierung und Verarbeitung lungen und königlich-kaiserliche Muse- ten Peter Friedrich Röding (1767-1846), von Daten sowie der iv.) „open access“ umsgründungen sind die Hamburger die Heinrich Heine in seinen „Memoiren von taxonomischen Informationen. Bestände von Reedern, Kapitänen und des Herrn von Schnabelewopski“ einst Kaufleuten zusammengetragen worden. als siebte von zehn Hamburger Merk-

GfBS news 30 2015 23 würdigkeiten verewigte, sowie die des Leonardo da Vinci gemalten Florentine- Zoologischen Museum der Universität einstigen Museums des als „Südseekö- rin Lisa del Giocondo (seit 1797 im Pariser Hamburg zu sehen. Als Wahrzeichen nig“ titulierten Hamburger Reeders Johan Louvre); sie ist dank ihrer beiden langen wirbt der Narwal Lisa nun auch im Logo Cesar VI. Godeffroy (1813-1885). In den Stoßzähne weltweit auch ebenso einma- des CeNak für die Wiedererrichtung eines Ausstellungen präsentierte das Naturhi- lig. Im Jahre 1684 brachte Kapitän Dirk naturkundlichen Museums, das der Ha- storische Museum bedeutende Stücke, Petersen auf seinem Walfänger „Der Gül- fen-Metropole seit dem Krieg fehlt. darunter die beeindruckenden Skelette dene Löwe“ aus arktischen Gewässern der gewaltigen Finn- und Buckelwale und (nicht mehr nachweisen ließ sich bisher, ein 24 m langes Blauwal-Skelett (später ob aus Grönland oder den Gewässern um Ein neues Naturkundemuseum in der mit teilweise aufmodellierten Weichteilen Spitzbergen) einen außergewöhnlichen Tradition des alten und eingesetzten Barten) sowie eines der Fang mit: eben jenen Schädel eines „Ein- Mit dem Centrum für Naturkunde soll in wenigen vollständigen Skelette der im hornfisches“, wie Narwale damals be- Hamburg jetzt an eine durchaus mit be- 18. Jahrhundert bereits ausgestorbenen zeichnet wurden. Ausweislich eines im deutenden Namen verknüpfte Tradition Stellerschen Riesenseekuh (damals noch Körper des Tieres entdeckten Embryos, so insbesondere in der sammlungsbezo- als „Rhytina gigas“ bezeichnet). Zwar gin- verkündete damals ein Flugblatt, handelt genen Biodiversitätsforschung ange- gen in der Bombennacht 1943 mit dem es sich um ein Weibchen. Bei Narwalen knüpft werden. Weitgehend vergessen ist Gebäude auch die meisten dieser unwie- haben üblicherweise nur die Männchen beispielsweise, dass etwa der Begründer derbringlichen Ausstellungsstücke ver- einen zum Einhorn umgebildeten Stoß- der Kontinentalverschiebungstheorie Al- loren; doch waren – was kaum bekannt zahn; mithin nennt die Wissenschaft den fred Wegener (1880-1913), der von 1919 ist – große Sammlungsteile, darunter die Narwal Monodon monoceros. Nur bei dem bis 1924 in Hamburg an der Deutschen umfangreiche Alkoholsammlung, ausge- Hamburger Stück trägt der Schädel eines Seewarte als Leiter der Abteilung für the- lagert worden, etwa in leerstehende U- Weibchens nun sogar zwei Stoßzähne. oretische Meteorologie (und als außeror- Bahnschächte oder wie die Vogelsamm- Nach einer Odyssee durch verschiedene dentlicher Professor an der neugegründe- lung in eine Burg in Sachsen. Dadurch Privatsammlungen und den ersten Kauf- ten Universität) tätig war und in dieser Zeit konnten historische Sammlungsbestände mannsmuseen Hamburgs, die für diesen den Hamburger Systematiker und Kurator gerettet werden. Mit der lebhaften Be- Schädel damals berühmt waren (wie sich am Museum Johann Wilhelm Michaelsen schreibung der Umstände gerade in der etwa in den Reisetagebüchern Adelbert (1860-1937) als einen der ersten zu For- durch Schwarzmarkthandel geprägten von Chamissos zeigen lässt), wurde der schungen über die Südkontinente über- Nachkriegszeit hat der kürzlich verstor- Narwal dann 1847 für das kurz zuvor greifende Chorologie und Biogeographie bene Hamburger Schriftsteller Siegfried begründete Naturhistorische Museum von Oligochaeten anregte. Tatsächlich Einst lockte das nach dem Berliner zweitgrößte Lenz in seinen „Lehmanns Erzählungen“ erworben. Den Brandbomben entging muss Michaelsen auch deshalb als einer Naturkundemuseum Deutschlands die meisten eben dieser Alkoholsammlung des Ham- die Hamburger Mona Lisa dank des be- der bedeutendsten Zoologen des Ham- Besucher ins Haus, nicht zuletzt wegen der impo- burger Museums ein literarisches Denk- herzten Einsatzes des Oberpräparators burger Museums angesehen werden, santen Innenraumgestaltung samt bedeutender mal gesetzt. Otto Holle (1888-1967). Der hatte den weil er bereits 1922 Verbreitungsverhält- Schaustücke, wie etwa den Skeletten großer Wale Narwal-Schädel, als die Luftangriffe auf nisse und Kontinentaldrift systematisch | Foto: Archiv CeNak Hamburg zunahmen, aus seiner Halte- zueinander in Beziehung setzte. In einem Ein Narwal namens Lisa rung in der Schausammlung herausge- heute noch (oder wieder!) lesenswerten zu einem Zeitpunkt, als die meisten ande- Die bewegte Geschichte der Hamburger löst und in einem Kellerraum mitten im Schlagabtausch wissenschaftlicher Aus- ren Zoologen und Botaniker weltweit die naturwissenschaftlichen Sammlungen Museum gut verpackt eingemauert. Dort einandersetzung haben die Hamburger epochalen Implikationen von Wegeners spiegelt sich auf besonders dramatische überstand er Feuersturm und Zerstörung Museumskuratoren Johann Georg Pfeffer Theorie der Kontinentaldrift noch durch- Weise im erhaltenen Schädel eines Nar- des Gebäudes und konnte unbeschadet (1854-1931), der hingegen an eine Nord- weg ignorierten. walweibchens wider. Zugleich ist diese aus der Ruine geborgen werden, bevor Süd-Wanderung der Tiere glaubte, und „Mona Lisa“ der Hamburger mit ihren diese Anfang der 1950er Jahre abgetra- Michaelsen erstmals breit die Bedeutung Auch angesichts der derzeitigen Renais- 330 Jahren nicht nur beinahe so alt wie gen wurde. Heute ist der doppelzähnige von Wegeners Theorie für die Biosyste- sance im Bewusstsein um naturwissen- das weltberühmte Ölgemälde der von Schädel am Eingang zur Ausstellung im matik und Zoogeographie diskutiert; schaftliche Sammlungen allgemein ist

GfBS news 30 2015 25 die Zeit sicherlich reif für eine Wieder- in Hamburg früher zeitweise um große so sind Standort des zukünftigen Natur- belebung der Hamburger Sammlungen. Säugetiere wie etwa allen voran Wale kundemuseums und eine vollständige Neben den umfangreichen Sammlungen ging, werden zukünftig die kleineren, Finanzierung (über die bisherige seitens vor allem des Zoologischen Museums aber zahllosen Arten der Wirbellosen wei- der Universität hinaus) noch offen. Mög- sind im neu gegründeten CeNak nun ter in den Vordergrund rücken, und zwar lichkeiten bieten sich sowohl in Campus- auch die des Mineralogischen und des ebenso jene in den australasiatischen Tro- Nähe und am Alsterufer wie in der Ha- Geologisch-Paläontologischen Museums pen wie in den marinen Lebensräumen fencity; in jedem Fall eine Riesenchance zusammengefasst. Diese waren nach dem der Polargebiete, insbesondere der Ant- für Hamburg. Und nicht nur mit den Krieg als ehemalige Landesanstalten Ei- arktis. verschiedenen vor der Tür stehenden Ge- gentum der Freien und Hansestadt Ham- denktagen anlässlich der Eröffnung bzw. burg, bis sie als solche Ende der 1960er Mit seinen schätzungsweise 10-12 Milli- Zerstörung des alten Naturhistorischen Jahre in den Besitz der Universität Ham- onen Stücke umfassenden Sammlungen Museums 2016 und 2018, sondern spä- burg überführt wurden. Die Ausrichtung verfügt Hamburg dazu über einen be- testens 2019 mit den Feiern zum 100jäh- auf den Lehrbetrieb an einer der größten deutenden Fundus an Originalobjekten rigen Bestehen der Universität bieten sich bundesdeutschen Massenuniversitäten der Biodiversitätsforschung sowie dank passende Gelegenheiten für dieses Jahr- hat dann in der Folge Pflege, Unterhalt der damit verknüpften Metadaten zudem hundertprojekt eines Naturkundemuse- und Ausbau der Sammlungen nicht im- über ein wichtiges und unverzichtbares ums in Hamburg. mer gut getan. Erst mit einer Begutach- Datenarchiv. Als solches können auch die tung durch den Wissenschaftsrat 2009 Hamburger Sammlungen helfen, einige Matthias Glaubrecht ist wissenschaftlicher Direk- und entsprechenden Empfehlungen der großen Zukunftsfragen zu beantwor- tor des neu gegründeten Centrums für Naturkunde wurde diese nachteilige Entwicklung ge- ten – etwa zu Verursachung, Verteilung (CeNak) der Universität Hamburg stoppt. Mit der Gründung des CeNak sind und Erhalt der biologischen Vielfalt. Mit www.cenak.uni-hamburg.de die betreffenden Sammlungen und das den geplanten neuen Ausstellungen in dazu gehörende Personal (immerhin ein- einem wieder zu errichtenden Naturkun- schließlich der mehr als ein Dutzend neu- demuseum eröffnen sie überdies ein Fen- geschaffenen Stellen insgesamt mehr als ster zu Forschung und Wissenschaft. 40 wissenschaftliche und technische Mit- „Ziel der Gründung eines Centrums arbeiter) jetzt aus der Zuständigkeit der für Naturkunde ist es, die Sammlungs- mathematisch-naturwissenschaftlichen schätze zu erhalten und sie gleichzeitig Fakultät herausgelöst und als zentrale für die Wissenschaft und für die Bürge- Betriebseinheit direkt dem Präsidium der rinnen und Bürger der Stadt im Rahmen Universität Hamburg unterstellt. eines zentralen Museums zugänglich zu Betagt, weiblich und einmalig erzählt der zwei Stoß- machen“, so formulierte es der Universi- „Jahrhundertprojekt“ zähne tragende Schädel eines arktischen Narwals tätspräsident Prof. Dieter Lenzen anläss- Wie andere Einrichtungen dieser Art auch (Monodon monoceros) vom bewegten Schicksal der lich der Vorstellung des CeNak vor der versteht sich das Hamburger CeNak, als naturwissenschaftlichen Sammlungen der Hanse- Presse. In Hamburg hofft man nun, dass Kristallisationskern eines künftigen Natur- stadt. Als Wahrzeichen wirbt der Narwal „Lisa“ auch Stiftungen und Förderer sich für dieses kundemuseums in Hamburg, zum einen im Logo des CeNak für die Wiedererrichtung eines „Jahrhundertprojekt Naturkundemuse- als eine Institution mit der notwendigen naturkundlichen Museums in der Hafen-Metropole um“ engagieren werden; entsprechende Infrastruktur zur Biodiversitätsforschung | Foto: Matthias Glaubrecht Signale gibt es, Bau und Einrichtung des auf allen drei Ebenen (der genetischen Museums als ein „Haus der Vielfalt“ und Vielfalt, der Vielfalt der Arten und der Viel- mithin zeitgemäßes Crossover aus Natur fältigkeit der Ökosysteme), zum anderen und Gesellschaft zu unterstützen. Aller- als Bewahrer von Kulturgut mit dem Auf- dings entzieht sich der Senat der Hanse- trag zur Wissensvermittlung. Während es stadt bisher noch seiner Verantwortung;

GfBS news 30 2015 27 Statistische Analyse von Kongressdaten belegt bedenkliche Trends Belmont Forum in der Wissenschaftslandschaft E-Infrastruktur und Daten Management Ein Fallbeispiel anhand des 8th International Congress of Dipterology

Das Belmont-Forum (https://igfagcr.org/) Mit 368 Teilnehmern aus 46 Ländern Staaten, England und Japan. Allein die- ist eine Vereinigung von 14 Forschungs- war der 8th International Congress of se fünf Nationen stellten zusammen die fördereinrichtungen und Forschungsor- Dipterology (ICD8) in Potsdam, 10.-15. Hälfte aller ICD8 Teilnehmer. Über alle ganisationen weltweit, die Forschungs- August 2014, wesentlich größer als alle acht ICDs hinweg gemittelt bleiben die aktivitäten zu Globalem Wandel im seine Vorgänger (Abb. 1). Das Feedback „Global Players“ die selben. Hier stehen al- Umweltbereich über nationale Grenzen seitens der Delegierten war überaus po- lerdings die Vereinigten Staaten unange- hinweg koordinieren und fördern. In sitiv. Sicherlich trug die günstige Lage fochten an der Spitze, gefolgt von Japan, diesem Sinne ist von Bedeutung, Wissen im Herzen Europas zu diesem Erfolg bei. Deutschland, England, und Brasilien, das bereit zu stellen, auf dessen Basis Ver- Außerdem konnten etwa 40% der Ge- seine Position erst im letzten Jahrzehnt meidungs- und Anpassungsstrategien samtkosten von Förderorganisationen deutlich ausgebaut hat. Eine Darstellung hinsichtlich potentieller umweltbezo- und Sponsoren eingeworben werden. So der Daten für alle Länder über alle 8 ICDs gener Veränderungen und Katastrophen- hielten sich die Teilnahmegebühren trotz hinweg findet sich in Kotrba 2014 (Fly szenarien entwickelt werden können. des hohen Niveaus des Kongresses mit Times 53: 42-47; http://www.nadsdiptera. Aus Deutschland sind die Deutsche For- anerkannt guter Verpflegung und vielen org/News/FlyTimes/Flyhome.htm). schungsgemeinschaft (DFG) und das WP1: Datenintegration multidisziplinärer For- Sonderleistungen im Rahmen, und 6% Bundesministerium für Bildung und For- schung der Teilnehmer konnte ein Zuschuss zu Erfreulicherweise waren die Osteuro- schung (BMBF) am Belmont Forum betei- den Kongresskosten gewährt werden. Die päischen Länder wie z. B. Polen, Tsche- ligt. WP2: Optimierung der Schnittstellen zwischen besonders hohe Teilnehmerzahl legt aber chische Republik und Russland auf dem Datenanalysen und Dateninfrastukturen auch die erfreuliche Vermutung nahe, ICD8 wieder gut repräsentiert, wie einst Eine Voraussetzung für Forschungsaktivi- dass die Verfügbarkeit dipterologischer auf den ersten ICDs in Ungarn und der täten zu Globalem Wandel ist, dass auf die WP3: Globale Datenharmonisierung zum op- Expertise im weltweiten Maßstab gese- Slowakei. Im Gegensatz dazu waren an- vielfältigen Daten der verschiedenen Wis- timierten Austausch umweltbezogener Daten hen vorerst gesichert bleibt. dere große Europäische Länder wie Ita- senschaftsdisziplinen zugegriffen werden lien, Frankreich und Spanien erneut be- kann, um sie im Sinne einer holistischen WP4: Optimierung des Datenaustauschs Eine genauere Analyse der Daten für den merkenswert schwach vertreten (Abb. Betrachtung und Entscheidung analysie- ICD8 zeigt, dass sich die Expertise bei wei- 2). Afrika, Südost Asien und Mittel- und ren und nutzen zu können. Aus diesem WP5: Optimierung der Datenverfügbarkeit tem nicht gleichmäßig auf die Nationen Südamerika (mit Ausnahme von Brasi- Grund wurde ein Kooperationsprojekt „E- (open data) verteilt. Abbildung 2 zeigt die Teilnehmer lien), also die Regionen mit der größten Infrastructure and Data Management“ in- aufgeschlüsselt nach ihrer geografischen Artenvielfalt, fehlten fast vollständig und stalliert, um die Hürden und Forschungs- WP6: Capacity Building Herkunft. Gleichauf mit Deutschland lag um den mittleren Osten war es nur wenig lücken im Bereich E-Infrastruktur und bemerkenswerterweise Brasilien. Erst mit besser bestellt. Data Management zu identifizieren und Nationale Delegierte der entsprechenden weitem Abstand folgten die Vereinigten daraus Empfehlungen für zukünftige Mitgliedsländer unterstützen das Stee- Forschungsaktivitäten zu entwickeln. ring Committee durch die Mitarbeit in Das Projekt umfaßt zwei Phasen, in Pha- den verschiedenen Arbeitspaketen. Nach se I sollen Strategien und Empfehlungen etwa ¾-jähriger Arbeit ist ein erster Zwi- entwickelt werden, um kurz- und langfri- schenbericht mit Tendenzen und Emp- stigen Forschungsförderungsbedarf und fehlungen veröffentlicht worden. Diese wissenschaftsstrategische Empfehlungen werden im weiteren Verlauf der Phase I im E-Infrastruktur und Data Management- weiter vertieft und konkretisiert. Wer sich Bereich zu identifizieren. In Phase II sollen für die vorläufigen Ergebnisse aus dem Empfehlungen, die in Phase I entwickelt Zwischenbericht interessiert oder sich wurden, umgesetzt werden. Ein inter- weiter informieren möchte, erhält Nähe- national besetztes Steering Committee res dazu unter http://www.bfe-inf.org/. hat zunächst 6 Arbeitsschwerpunkte identifiziert: Birgit Gemeinholzer, Giessen Abb. 1: Teilnehmerzahlen für alle bisherigen ICDs.

GfBS news 30 2015 29 Neben seiner hohen Teilnehmerzahl ringen Distanz nicht erwarten, dass der zeichnete sich Brasilien auch durch ei- geringe Studentenanteil vorrangig finan- nen sehr hohen Studentenanteil von 56% zielle Gründe hatte. Die großen Unter- aus. Tatsächlich kam jeder dritte Student schiede legen Rückschlüsse auf eine sehr auf dem Kongress aus diesem Land. Dem unterschiedlich starke Förderung des di- gegenüber stand ein mittlerer Studen- pterologischen Nachwuchses nahe, die zu tenanteil von 19% unter den Teilnehmern denken geben. aus allen anderen Ländern, mit beson- ders niedrigen Werten aus England (4%) und den Niederlanden (0%). Gerade bei Die deutschen Teilnehmerzahlen über letzteren würde man auf Grund der ge- die acht ICDs hinweg schwankten stark

Abb. 3: Deutsche Teilnehmerzahlen über alle 8 ICDs hinweg.

(Abb. 3). Hier wird bewusst auf die In- Am höchsten war der Anteil mit 96% terpretation eines zeitlichen Trends bei den Studenten (Abb. 4). Die Zahlen verzichtet, da der mit den unterschied- belegen eine erfreuliche Produktivität. lichen Veranstaltungsorten verbundene Zweifellos sind sie aber auch der Tatsa- Reiseaufwand einen wesentlichen, nicht che geschuldet, dass ein akzeptierter eliminierbaren Faktor darstellt. Die sehr Kongress-Beitrag meist als unabding- geringe Teilnahme an den Kongressen in bare Voraussetzung für eine finanzielle Japan 2006 und Costa Rica 2010 scheint Unterstützung der Kongressteilnahme aber doch peinlich, und es fragt sich, in- gilt – eine Praxis, die in ihrer Stringenz wieweit die hohe Teilnehmerzahl beim durchaus zu hinterfragen ist. Bei allem diesjährigen „Heimspiel“ dies ausgleichen Verständnis für die Notwendigkeit von kann. Gerade bei diesem Kongress dürfte Leistungs-Anreizen besteht doch kein sich ein deutlich größerer Teil der deut- direkter Zusammenhang zwischen der schen Teilnehmer aus „Amateuren“ rekru- Weitergabe eigener Ergebnisse und dem tiert haben, die nicht als Dipterologen in (in sich selbst förderungswürdigen) Ge- Lohn und Brot stehen und sich die private winn an Wissen und kollegialer Vernet- Teilnahme in fernen Ländern nicht leisten zung, der aus einer Kongressteilnahme zu können. Leider lassen die vorliegenden ziehen ist. Daten keine Rückschlüsse in dieser Rich- tung zu, auch nicht auf die Altersstruktur. Die Entwicklung bis zum nächsten Kon- Die ICD8 Daten zeigen, dass auch in der gress, der 2018 in Südafrika stattfinden Dipterologie der Frauenanteil über die wird, ist mit Spannung zu erwarten. verschiedenen Karrierestufen hin ab- nimmt, von 52% bei den Studenten über 26% bei den promovierten Akademikern 81% aller ICD8 Teilnehmer reichten einen bis hin zu nur noch 18% bei den Profes- oder mehrere Beiträge ein. Der Anteil soren (Abb. 5). Neben der allgemein wohl war am niedrigsten bei den Teilnehmern, eher abnehmenden Gender Diskriminie- die sich weder als Studenten, noch als rung spielen hier sicher die sehr hohen Abb. 2: ICD8 Teilnehmerzahlen differenziert nach geografischer Herkunft und Status als Student, Akademiker Akademiker registrierten. Es folgten pro- Anforderungen einer wissenschaftlichen oder keines von beiden (gestapelte Darstellung, im Insert fortgesetzt). movierte Akademiker und Professoren. Karriere eine Rolle, die teilweise geradezu

GfBS news 30 2015 31 Abb. 4: Anteil der ICD8 Teilnehmer, die Beiträge eingereicht haben, in den verschiedenen Karrierestufen. Abb. 5: Anteil der männlichen und weiblichen ICD8 Teilnehmer in den verschiedenen Karrierestufen.

unvereinbar scheinen mit dem legitimen Auch im Zeitalter globaler Mobilität muss Zumindest für Deutschland gilt, dass ein Anspruch auf ein beruflich und privat aus- dipterologische Expertise dauerhaft und Großteil der heute beruflich etablier- gewogenes Leben, besonders für junge verlässlich auf nationaler Ebene erhalten ten Dipterologen innerhalb der näch- Frauen mit Familienplänen. bleiben bzw. verfügbar gemacht wer- sten zehn Jahre in den Ruhestand treten den. Jüngste Geschehnisse zeigen, dass werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, vor Die vorliegenden Statistiken sprechen für schnellstes Erkennen und qualifiziertes allem sie müssten doch für den gesicher- sich. Wenn die Teilnehmerzahlen auch nur Eingreifen von Nöten ist (oder wäre), um ten Fortbestand der dringend notwendi- annähernd tatsächliche Umstände wider- unumkehrbare Entwicklungen mit un- gen Expertise im Lande sorgen. Vielmehr spiegeln, so geben sie in verschiedener schätzbarem Schadenspotential abzu- sind diejenigen gefragt, die nach dem Hinsicht zu denken. Dies gilt beispielswei- wenden. Ausscheiden der jetzigen Experten den se für das Ausbleiben von Experten bzw. Mangel an Nachwuchskräften zu vertre- von entsprechendem Nachwuchs aus ei- Verkehrte Welt: Dipterologische Exper- ten haben werden. Dies sind vor allem Po- nigen Regionen. Hier scheint teilweise er- ten, die eine lange und kostspielige aka- litiker und die Führungskräfte der großen heblicher Förderbedarf zu bestehen, auch demische Ausbildung durchlaufen und wissenschaftlichen Institutionen. im Hinblick auf das aktuelle Vorrücken im Anschluss jahrelang Erfahrung gesam- Dieser Artikel liefert Daten und Denk- von dipterologischen Krankheitsüberträ- melt haben, werden keineswegs als wert- anstöße. Gern dürfen sie in jeder Form gern (z.B. von West-Nil-Fieber, Chikungu- volle Ressource erkannt, behandelt und zitiert und weitergesponnen werden, im nya, Toskana-Virus-Encephalitis, Leishma- bezahlt. Statt dessen wird gefordert, dass Dienste einer Förderung der Dipterologie niose, Blauzungenkrankheit usw.) und sie in Projektanträgen und Evaluationen und der organismischen Biologie im all- Pflanzenschädlingen (z.B. Drosophilaständig neu das Recht erwerben, ihre ge- gemeinen. suzukii). Brasilien setzt ein positives Bei- lernte Arbeit zu verrichten. Viel zu viele spiel mit einer aktuell offensichtlich sehr müssen in andere Berufssparten abwan- Marion Kotrba, Zoologische Staatssammlung starken Förderung des dipterologischen dern, und nur dem geringsten Teil der München Nachwuchses. In Südeuropa hingegen ohnehin wenigen Nachwuchskräfte wird könnte der Nachwuchsmangel in naher eine dauerhafte, zuverlässige und attrak- Zukunft prekär werden. tive berufliche Zukunft geboten.

GfBS news 30 2015 33 Bericht von der Bundesdelegiertenversammlung des VBIO

Die Bundesdelegiertenversammlung des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO e.V.) fand am 21.11.2014 in Würzburg statt. Kernpunkt der Versammlung war die Ver- abschiedung der neuen Satzung des VBIO sowie die Wahl des neuen Präsidiums. Die Satzung mit der neuen Struktur des Dach- verbandes VBIO wurde im Vorfeld bereits heftig diskutiert und optimiert, so dass sie im Verlauf der Versammlung ohne große Wiedersprüche angenommen und befür- G. Haszprunar (Foto Mitte) als ehemaliger GfBS Prä- wortet wurde. sident und jetziges Präsidiumsmitglied im VBIO auf der BDV 2014 | Foto: K. Elbing Der VBIO wird vertreten durch das Präsi- dium und den Beirat, der das Präsidium berät. Gewählt werden beide Gremien durch die institutionellen Mitglieder. Die- se sind Fachgesellschaften wie z.B. die Disziplinen zu vertreten, aber trotzdem GfBS, Landesverbände und Sektionen im beschlussfähig zu bleiben. Die neue Sat- VBIO (wobei eine Mindestgröße definiert zung tritt voraussichtlich 2016 in Kraft. wurde). Jedes institutionelle Mitglied Als wichtige Aufgabe des VBIOs wird um einen „Berufsausweis für Biologen“ kann je einen Delegierten zur Bundes- Als neuer Präsident des Verbandes wur- die Informationsbereitstellung zu aktu- bzw. berufliche Weiterbildungsmöglich- delegiertenversammlung zur Wahl des de Prof. Dr. Bernd Müller-Röber von der ellen biowissenschaftlichen Themen, die keiten zu engagieren. Als Vertreterin der Präsidiums und des Beirates entsenden. Universität Potsdam gewählt. Er wird politisch-gesellschaftlichen kontrovers GfBS habe ich bei diesem Treffen noch- Alle institutionellen Mitglieder leiten 5€ von einem achtköpfigen Team aus Wis- diskutiert werden, genannt. Hierzu gehö- mals den Vorteil darin gesehen einem pro persönliches Mitglied im Fach-, oder senschaftlern und Praktikern aus Schu- ren Themen wie Biodiversität, Biosicher- Dachverband zuzugehören, der allgemei- Landesverband an den VBIO ab, davon le, Hochschule und Forschungseinrich- heit, Biotechnologie - Grüne Gentechnik, ne biologische Belange in unserem Sinne profitieren die Mitglieder von „bezahlten tungen unterstützt: Prof. Dr. Johannes Gendiagnostik, Synthetische Biologie, vertritt. Die Diversität der Biologie bringt Serviceleistungen“ durch die Geschäfts- Beckers vom Helmholtz-Zentrum Mün- Tierversuche, Translationale Medizin. Das den Bedarf der Fachgesellschaften mit stellen in München und Berlin. Als Gegen- chen - Schatzmeister; Prof. Dr. Susanne Jahr 2015 wurde von der UNESCO zum disziplininternen Interessen mit sich. Al- zug repräsentiert der VBIO die ~30.000 im Bickel von der Universität Düsseldorf als Jahr des Lichts 2015 gewählt und Akti- lerdings fördert ein Dachverband der bi- VBIO organisierten Mitglieder und ihre Sprecherin der Landesverbände; Prof. Dr. onen hierzu sollen unterstützt werden. ologischen Disziplinen die gesellschafts- biologischen Disziplinen und Belange in Felicitas Pfeifer von der TU Darmstadt als Ferner sieht das Präsidium prioritären Be- politische Sichtbarkeit der Biologie, denn Deutschland. Dem Präsidium und Beirat Sprecherin der Fachgesellschaften; Ilka darf sich für Themen wie Biologie in der die Diversität, die unter dem VBIO verei- arbeiten die VBIO Geschäftsstellen und Gropengießer (Bremen); Prof. Dr. Gerhard Schule, Karriereentwicklung für Biologen, nigt ist, ist wirklich groß. die Geschäftsstellen der Fachgesellschaf- Haszprunar von der LMU München; Prof. Qualitätssicherung im Biologiestudium, ten sowie Referenten und Arbeitskreise Dr. Hans-Martin Jäck von der Universität Vertretung des Berufsstandes Biologie Birgit Gemeinholzer, Giessen zu. Die Präsidiumsgröße wurde nach Erlangen; Prof. Dr. Dieter Jahn von der (Tierschutz, biologische Sicherheit, Quali- Diskussion auf 9 Personen beschränkt, Universität Braunschweig und PD Dr. Sa- tätssicherung, Gentechniksicherheitsver- Weitere Informationen gibt es unter um zum einen die Diversität aller biol. bine Specht von der Universität Bonn. ordnung, etc.) und die Diskussion rund http://www.vbio.de/index_ger.html

GfBS news 30 2015 35 Bücher news: You point out in your fas- where they have escaped into the wild cinating bumblebee book that our daily and are doing great harm. These factory- Bücher used ketchup was probably made in the reared nests often contain bee diseases, Netherlands from tomatoes grown in and if these are spread to new countries Spain, pollinated by Turkish bumblebees they can wipe out native bees, as we now reared in a factory in Slovakia. What was see in Chile and Argentina. your first thought as you get this informa- tion? Bücher news: One of the great stories is the expedition to find the short-haired Dave Goulson: For me, this scenario typifi- bumblebee in New Zealand and the idea es the crazily complicated, inefficient and to bring them back to Britain. However, unnatural way we produce food. To give the book ends with the consideration to news another example, I saw leeks on the shelf release bumblebees from Sweden. What in my local supermarket this week, im- is the present situation? ported from Peru, at a time of year when leeks are available from my own garden Dave Goulson: We’ve released Swedish „Und sie fliegt doch“ in the UK. We might do well to simplify short-haired bumblebee queens in the our food chains, and rely more on locally- UK each spring for the last 3 years, in an Von Hummeln und Menschen – ein furioses grown food pollinated by our native bees. area in the SE where we have created lots Plädoyer für die Bewahrung der Natur von of suitable habitat for them. In both 2013 Englands führendem Hummelforscher. Die Bücher news: Bumblebees are very im- and 2014 we saw workers in the summer, Hummel ist nicht nur ein pelziges Geschöpf, portant pollinators for e.g. tomatoes, so we know that the queens built nests an dessen Anblick wir uns erfreuen, sie ist raspberries, cucumbers, aubergines. You and reared at least some offspring, but Bücher news: What are the future major auch ein Wunder der Natur, das die Gesetze describe in your book the beginning of we do not yet know whether they have questions of bumblebee biology? der Schwerkraft überlistet, und ein Nutztier, bumblebee cultures in 1985, including properly established in the UK. We hope das jährlich Abermillionen Tomaten und Jo- ecological consequences for native bum- to see wild queens emerging from hiber- Dave Goulson: There are still many, many hannisbeeren bestäubt. Doch die Hummel blebee species. Is commercial vegetable nation this coming spring, which would things we do not know about bumble- ist vom Aussterben bedroht. Ihr Verschwin- and fruit growing still possible without be time for a major celebration! bees. We are currently studying how den hätte gravierende Folgen für unsere Ge- bumblebees? And how is it possible to their nutrition affects their health, for litt- sellschaft. Dave Goulson, Englands führen- avoid negative influences on the environ- Bücher news: You founded the Bumble- le is known about the relative quality of der Hummelforscher, öffnet uns die Augen ment? bee Conservation Trust in 2006. What are the pollen from different plant species. für ungeahnte Zusammenhänge zwischen the current activities of the trust? We are also trying to understand what Hummeln und Menschen. Sein Buch ist eine Dave Goulson: Some of the commer- chronic exposure to pesticides is doing Liebeserklärung an die wahre Königin der cially-reared bumblebees are now used Dave Goulson: The trust is involved in to our bees, and what we can do to pre- Lüfte, eine hinreißend humorvolle Schilde- for outdoor pollination, for example for many things, including creating habitat vent them coming to harm. We are also rung eines großen Abenteuers, der Rettung strawberries, when it really ought to be for bumblebees all around the UK, and investigating how best we can encourage der Erdbauhummel – und ein furioses Plä- possible to encourage sufficient wild trying to expand its bumblebee recording bees in urban areas. There are still many doyer für die Bewahrung der Natur. bees. However, commercially-reared bees scheme, Beewalks. Volunteers are asked aspects of the basic biology of most bum- are needed for pollination in glasshouses to walk a regular route every month, iden- blebee species that have yet to be stu- Ralph Schill hat sich für die GfBS mit dem where wild bees cannot get in. It is im- tifying and counting the bees, and in the died, enough to keep me occupied for Biologen Dave Goulson von der Universi- portant that such bees be free of disease, long term this will give us really impor- the rest of my career. tät Sussex über sein Hummelbuch unter- and that they be of a native species. In the tant information as to how the different halten. past, these bees have been shipped all bumblebee species are doing. 2014, 320 Seiten, Hanser Verlag, Fester Einband, over the world, to countries where they ISBN 978-3-446-44039-5, ePUB-Format ISBN 978-3- are not native such as Japan and Chile, 446-44067-8, Buch 19,90 €, E-Book 15,99 €

GfBS news 30 2015 37 pflegten und in wissenschaftliche Er- Naturkunde aus der Anfangszeit der Na- kenntnis zu überführen im Stande wa- turwissenschaften, noch ganzheitlich Bücher ren. Bis heute war dies ein weitgehend in Objekt, Bild und Wort versammelt. verborgener Schatz. Die materiellen Sie macht die Einheit der Natur für alle Belege waren nicht kohärent erfasst. Schichten erfassbar, begreifbar - einge- Die Ergebnisse waren in oft schwer er- bunden in den Charme der alten Präpa- reichbaren lokalen Schriften oder - über rate und Etiketten, der alten Schränke den ganzen deutschen Sprachraum ver- und Gemächer. Sie verführt zur neu- streut - eher versteckt als publiziert. erdings geschätzten Langsamkeit des Betrachtens und Begreifens, jenseits Ihre Wissenschaftssprachen Latein und der sensationslüsternen großen Schau- Deutsch gerieten in Vergessenheit oder stellungen mit Dinos, Meereswundern, news resignierten vor dem Englischen. Die Abenteuern mit wilden Tieren. aktuelle Ausstellung des British Muse- um greift derzeit diese Erkenntnis auf Besuchen Sie Thüringen, lassen Sie sich höherer Ebene auf und lässt auch das Zeit, seine Schätze zu bewundern und internationale Publikum spüren, dass kaufen Sie sich als profunde Anleitung Deutschland seinen kulturellen Reich- das vorliegende, sehr preiswerte Buch. „Thüringer Natur-Schätze“ tum seinem traditionellen Polyzen- trismus verdankt. Hier erschlug keine Ragnar Kinzelbach, Rostock Eine Karte mit der Lage der behandelten Hauptstadt auf Dauer die Aktivitäten der naturkundlichen Museen und Samm- Provinz. Thüringer Natur-Schätze. Naturkundliche Museen lungen in Thüringen lässt zwar deren und Sammlungen im Freistaat Thüringen. Heraus- Verdichtung entlang der alten West-Ost- Hier erleben wir die Wiedergeburt der gegeben von Ralf Werneburg du Eberhard Mey im Magistrale mit Gotha, Weimar, Jena und Wertschätzung. Zu ihr trägt das vorlie- Auftrag des Museumsverbandes Thüringen, 1. Aufl. Gera erkennen, zeigt darüber hinaus gende Werk unter der Betreuung des 1914, 280 S. Mit zahlreichen farbigen Abbildungen. jedoch eine fast flächendeckende Ver- Museumsverbands Thüringen erheblich Verlag Schnell & Steiner GmbH, Regensburg. Preis € teilung der 38 behandelten größeren bei, indem es Interesse weckt, Entde- 19.95. ISBN 978-3-7954-2729-0 und kleineren Einrichtungen, wie sie so ckungen ermöglicht, und einen anre- auf kaum einer vergleichbaren Fläche in genden Schlüssel zu den überreichen Deutschland vorkommt. Dies ist der Fül- Materialien zur Verfügung stellt. Der In- le der historischen Kleinstaaten auf der halt ist strukturiert nach (a) Naturkund- Landesfläche zu verdanken, die häufig lichen Museen und ihre Sammlungen, den Spott der Nachgeborenen erfuhren. (b) Memorialmuseen, verbunden mit Sie hatten jedoch den unschätzbaren den Namen Haeckel, Brehm und Goethe, Vorzug, dass sie in kultureller Hin- (c) Die naturkundlichen Sammlungen sicht konkurrierend, eine Vielfalt von der Universität Jena, (d) Regionale Mu- Sammlungen mit wissenschaftlichem seen und andere Einrichtungen mit Anspruch entstehen und vom 17. Jahr- naturkundliche Sammlungen. Jeweils hundert an zu Pflanzstätten wachsen- werden bedeutende Stücke vorgestellt der Gelehrsamkeit gedeihen ließen. und kommentiert, die vor Ort tätigen Zugleich erwuchs dem Lande eine Fülle Gelehrten gewürdigt, die wichtigsten bodenständiger Gelehrter der Geowis- Schriften zusammengetragen. senschaften, der Botanik und der Zoo- logie, welche die Sammlungen schufen,

GfBS news 30 2015 39 resultierte. Nach Rolf Siewings Tod suchte der Verlag ein Konzept für die moderne Bücher Weiterführung dieses Lehrbuchs. Aus der Empfehlung des Verlags , mir dafür even- tuell die Zusammenarbeit mit einem Kol- legen zu suchen, entstand der Westheide- Rieger, in dem - wie in Siewings Lehrbuch - die Bearbeitung der Taxa von verschie- denen Spezialisten aus dem deutschspra- chigen Raum durchgeführt wurde. Dieses Konzept stellte sich als überaus glückliche Entscheidung heraus und ließ sich auch news nach Reinhard Riegers frühem tragischen Tod erfolgreich weiterführen, da ich seine Frau Gunde Rieger für die Neubearbei- tungen und eine gemeinsame Herausga- be voll gewinnen konnte. „Spezielle Zoologie“ GfBS Newsletter: Auf der Vorderseite des Buches waren zwei sessile Tiere abgebil- Ralph Schill hat sich für die GfBS mit Wil- det, die zu dem neuen 1995 entdeckten fried Westheide über die Standardwerke Taxon, den Cycliophoren, zugeordnet „Spezielle Zoologie“ unterhalten. werden. Auf der Rückseite krabbelte ein Stummelfüßer aus dem Kambrium. Auf GfBS Newsletter: 1996 erschien die 1. der aktuellen 3. Auflage ist Speleonectes Auflage der „Speziellen Zoologie - Ein- atlantida aus einem Lavatunnel auf der zeller und Wirbellose Tiere“. An diesem Kanaren-Insel Lanzarote abgebildet. Wa- Reinhard Rieger und Wilfried Westheide knapp 1000 Seiten umfassenden Lehr- rum haben es ausgerechtnet diese Tiere bei der Arbeit / Foto: privat | Foto: privat buch, das von Reinhard Rieger und Ih- auf die Buchtitelseiten geschafft? nen herausgegeben wurde, haben 25 namhafte Wissenschaftler mitgearbeitet Wilfried Westheide: Von Beginn an war es und kräftig an überholten Vorstellungen Reinhard und mir wichtig, auch den klei- und Modellen gerüttelt. Was war damals nen, den neuentdeckten oder den wenig Ihre Motivation ein solches Standard- bekannten Taxa relativ breiten Raum zu werk zu erstellen? geben. Dazu gehörte auch, einige von ihnen bereits auf den Coverseiten her- Wilfried Westheide: Am Beginn des Lehr- vorzuheben. buchs stand keine langjährig gereifte Konzeptidee von meiner Seite, sondern GfBS Newsletter: Besonders in Hinblick die simple Anfrage des Gustav Fischer auf das Schattendasein der Einzeller wur- Verlags in Stuttgart nach meinem Interes- den damals vertraute Gruppierungen Auslieferung des 1. Bandes auf der DZG- se an der Herausgabe eines systematisch über Bord geworfen bzw. Taxa einer an- Tagung in Oldenburg 1996 (li. Wilfried orientierten Zoologie-Lehrbuchs, die viel- deren phylogenetischen Position zuge- Westheide, Ulrich Moltmann und Frau leicht aus meiner Beteiligung an der Bear- ordnet. Welche Veränderungen gibt es Eichen vom Gustav Fischer Verlag, beitung des Wurmbachschen Lehrbuchs in der neuen Auflage im Band „Spezielle Reinhard Rieger)

GfBS news 30 2015 41 Zoologie - Einzeller und Wirbellose Tiere ? GfBS Newsletter: Bisher sind im regelmä- Zoologisches Forschungsmuseum ßigen Abstand von fünf Jahren die neuen Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (ZFMK) Wilfried Westheide: In die dritte Auflage Auflagen erschienen. Was dürfen wir den Stiftung des öffentlichen Rechts des 1. Bandes wurde eine Reihe gravie- 2018 bzw. 2020 erwarten? 16. Adenauerallee 160 render Veränderungen aufgenommen, 53113 Bonn die sich zum größeren Teil auf Ergeb- Wilfried Westheide: Verlag und Heraus- Jahrestagung der nissen molekularer Verwandtschaftsfor- geber diskutieren zur Zeit eine englische schung der letzten Jahrzehnte ergeben Übersetzung der beiden Bände der Spezi- hatten und von denen wir annehmen, ellen Zoologie. Gesellschaft für dass sie sich auf Dauer im System der Or- ganismen halten werden. So wurden die Spezielle Zoologie. Teil 1: Einzeller und Wirbellose Biologische Systematik (GfBS) traditionellen Articulata aufgegeben und Tiere, Westheide, Wilfried, Rieger, Gunde (Hrsg.), 3. schließlich die Ecdysozoa etabliert. Die überarb. u. aktual. Aufl. 2013, XXVI, 894 S., 1210 Abb. Anneliden erhielten einen erweiterten Hardcover 94,99 € (Preis inkl. MwSt. für Deutsch- Der Bedarf an taxonomischem Umfang - mit Echiuriden und Sipunculi- land), ISBN 978-3-642-34695-8 den- und eine neue systematische Gliede- Wissen – für wen, in welcher Form? rung. Von den Plathelminthes wurden die Spezielle Zoologie. Teil 2: Wirbel- oder Schädeltiere, Acoelomorpha getrennt und mit Xenotur- Westheide, Wilfried, Rieger, Gunde (Hrsg.), 3. neu bella zu Xenacoelomorpha zusammen- bearb. u. aktualisierte Aufl. 2015, XVI, 713 S., 762 gefasst. Weitere Veränderungen mussten Abb., eBook 69,99 € (Preis inkl. MwSt. für Deutsch- Vom u.a. bei Porifera, Cnidaria, Mollusca, Pan- land), ISBN 978-3-642-55436-0, Hardcover 89,99 € arthropoda und Insecta vorgenommen (Preis inkl. MwSt. für Deutschland), ISBN 978-3-642- 18.-21. März 2015 am werden. Wie immer erfuhren die eukaryo- 55435-3 tischen Einzeller zahlreiche systematische Zoologischen Forschungsmuseum Umstellungen, deren Akzeptanz sich erst nach weiteren Jahren wird erkennen las- Alexander Koenig in Bonn sen. GfBS Newsletter: Der Band „Spezielle Zoo- logie - Wirbel- und Schädeltiere“ ist diese Jahr ebenfalls in der 3. Auflage erschienen, aber es gibt weit weniger Veränderungen als bei den Einzellern und Wirbellosen. Wilfried Westheide: Tatsächlich ist der Umfang der Veränderungen innerhalb der Wirbel- oder Schädeltiere (u.a. bei Cyclos- tomata und Placentalia) geringer als bei den Wirbellosen, was auf ein insgesamt bereits wesentlich gefestigteres System in diesem Teil des Tierreichs schließen und auf vermutlich geringere Veränderungen in einer Neuauflage hoffen lässt. Anmeldung ab sofort unter [email protected] Anmeldeschluß ist der 11.01.2015 Weitere Informationen unter www.zfmk.de/gfbs2015GfBS news 30 2015 Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft 14. – 17. September 2015

Die jährlichen Tagungen der Paläontolo- Die paläontologische Forschung ist heu- gischen Gesellschaft sind die Plattform te aktuell wie nie zuvor, und zwar nicht Dieses Foto stellt einen Abguss der Originalplatte aus dem ZfB dar | Foto: Tränkner / Senckenberg auf der die Mitglieder der Gesellschaft nur wegen des allgemeinen, öffentlichen und interessierte Hobby-Paläontologen Interesses an Dinosauriern oder anderen zusammenkommen und sich untereinan- spektakulären Fossilien, sondern weil For- der austauschen. Mitglieder, Gäste und schungsergebnisse der Paläontologie zu eingeladene Wissenschaftler präsentie- einem wichtigen Wissensbestand in un- ren hier ihre Forschungsergebnisse, junge serer Gesellschaft gehören. Paläontologie Wissenschaftler kommen mit erfahrenen liefert den Schlüssel zum Verständnis der- „alten Hasen“ zusammen. jenigen Prozesse, die noch heute das Kli- ma beeinflussen und die Veränderungen Die diesjährige Jahrestagung der Palä- auf der Erde maßgeblich steuern. ontologischen Gesellschaft wird vom 14. – 17. September 2015 am Zentrum für Zentraler Punkt für solch aktuelle Bezüge Biodokumentation (ZfB) und „GONDWA- der paläontologischen Forschung ist die NA - Das Praehistorium“ in Schiffweiler im öffentlichkeitswirksame Präsentation und Saarland stattfinden. Vermittlung von Forschungsergebnissen. Der für 2015 ausgewählte Tagungsort in Mit der Entscheidung, die Jahrestagung Schiffweiler bietet hier in der Kombinati- 2015 in Schiffweiler abzuhalten, möchte on des Zentrums für Biodokumentation die Paläontologische Gesellschaft ihren (ZfB) dem Gondwana Praehistorium eine Mitgliedern die besondere Kombinati- besondere Chance, weil hier neben muse- on an diesem Standort aus dem ZfB als alen Inhalten auch Lebensraum- und Um- Bewahrungsstelle für wissenschaftliche weltrekonstruktionen installiert worden Sammlungen und „GONDWANA - Das sind, die es dem Besucher ermöglichen, in Praehistorium“ als außergewöhnlichem die urzeitlichen Umwelten einzutauchen Der Präsident der Paläontologischen Gesellschaft Prof. Dr. Joachim Reitner erklärt Details des Fossil des Präsentationsraum für paläontologische und diese zu erleben. Jahres dem saarländischen Staatssekretär für Umwelt und Verbraucherschutz Herrn Roland Krämer Themen vorstellen. Damit verfolgt die Ge- | Foto: privat sellschaft ihr Ziel, ihren Mitgliedern auch Das vorläufige Programm der Ta- weniger bekannte Einrichtungen paläon- gung können Sie auf der Webseite der Bereits im Dezember 2014 hat die Palä- geben, da eines der derzeit vollständigsten tologischer Forschung vorzustellen um Paläontologischen Gesellschaft unter ontologische Gesellschaft diesen Stand- Exemplare von Arthropleura am ZfB aus- neue Vernetzungen für Forschungsar- www. Palges.de einsehen. ort genutzt, um das Fossil des Jahres gestellt ist. beiten zu etablieren. 2015, Arthropleura armata, bekannt zu

GfBS news 30 2015 45 Bombus pascuorum im Landeanflug SYSTEMATICS | Foto: David Goulson The Science that Underpins Biology An open invitation to give a 15-minute talk at the Systematics Association Symposium during August 26–28 2015 hosted at the Museum of Natural History,

Plans for the Systematics Association Biennial are now well underway with a program of four symposia covering systematics in relation to ecology, fossils, biodiversity origins and .

Keynote speakers: Michael Donoghue,Yale Peter Holland, Oxford Zoology

We are very keen to have contributed talks in addition to the four themed symposia, so please come and present your research and take the opportunity to attend while visiting one of the UK's historic cities and ancient universities with an opportunity to stay and eat at Christchurch College.

More details can be found at www.systass.org/biennial2015/

www.systass.org #SAbiennial

THE Systematics ASSOCIATION GfBS news 30 2015 Cilia and Flagella Ciliates and Flagellates Ultrastructure and cell biology, function and systematics, symbiosis and biodiversity E Ed.: Klaus Hausmann; Renate Radek 2014. X, 299 pages, 233  gures, 4 tables, 24 x 17 cm ISBN 978-3-510-65287-7, bound, 39.80 € www.schweizerbart.de/9783510652877

Klaus-Jürgen Götting Entomologia Generalis Malakozoologie Journal of General and Weichtierkunde in Stichworten Applied Entomology 2014. 292 Seiten, 50 Abbildungen, (ISSN 0171-8177, e-ISSN 2363-7102) 7 Tabellen, 7 Tafeln, 20 x 14 cm Entomologia Generalis publishes papers on ISBN 978-3-510-65286-0, brosch., 29.90 € experimental, comparative and descriptive www.schweizerbart.de/9783510652860 problems and studies in all  elds of research on insects and other terrestrial arthropods. www.schweizerbart.de/journals/entomologia

Anatomy and Fine Structure of Brevipalpus Mites (Tenuipalpidae) Economically Important Plant-Virus Vectors Ed.: Gerd Alberti; Elliot W. Kitajima 2014. 192 pages, 112  gures, 3 tables, 31 x 23 cm (Zoologica, Heft 160) ISBN 978-3-510-55047-0, paperback, 199.– € wwww.schweizerbart.de/9783510550470

Esther Appel; Stanislav N. Gorb Comparative functional morphology of vein joints in Odonata 2014. 104 pages, 53  gures, 1 table, 31 x 23 cm (Zoologica, Heft 159) ISBN 978-3-510-55046-3, paperback, 119.– € wwww.schweizerbart.de/9783510550463

Sven Björk Marine benthic dino agellates Limnological Methods for - unveiling their worldwide biodiversity Environmental Rehabilitation Ed.: Mona Hoppenrath; Shauna A. Murray; The Fine Art of Restoring Aquatic Ecosystems Nicolas Chomérat; Takeo Horiguchi 2014. 276 pages, 93  gures, 8 tables, 21 x 15 cm 2014. 381 pages, 489  gures, 17 tables, 28 x 21cm (Kleine Senckenberg-Reihe, Band 54) ISBN 978-3-510-65292-1, bound, 79.80 € ISBN 978-3-510-61402-8, paperback, 19.90 € www.schweizerbart.de/9783510652921 www.schweizerbart.de/9783510614028 Schweizerbart Johannesstr. 3a, 70176 Stuttgart, Germany. Tel. +49 (711) 351456-0 Fax. +49 (711) 351456-99 E [email protected] www.schweizerbart.de