UM: DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Jänner 22 Buch - Zweites

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UM: DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Jänner 22 Buch - Zweites Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur UM: DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 - zweites Buch 22 Jänner 2013 ZEIT(LOSE) ZEICHEN – iN DER ZEIT VERAnkERT Die große Ausstellung „Zeit(lose) Zeichen“ im Wiener Künstlerhaus, kuratiert von Christina Maria Holter und Barbara Höller, versammelt künstlerische Positionen, die sich in unterschiedlicher Intensität und Trefflichkeit auf das Werk des Wiener Philosophen und Bildstatistikers Otto Neurath beziehen. Von Philipp Maurer Michael WEGERER. Perceptions Life of (Data Visualisation): IKEA 2012, Uhren, Zeichnung, Siebdruck, Digitaldruck, Durchmesser je 33 cm Viele bildende KünstlerInnen sind es müde, nur über Beitrag einen metaphysischen Gedanken erkannte, „Internationalen Kongresse für Einheit der Wissen- innerkünstlerische Fragestellungen, über Form- und laut „Metaphysik!“ rief und später nur mehr „mmm“ schaft“, die bereits vom Wiener Kreis als internati- Materialprobleme nachzudenken und die Ergebnisse summte. onales Diskussionsforum empirischer und rationaler solchen Denkens in ästhetischen Gestaltungen zu Philosophie und Erkenntnistheorie geplant worden diskutieren. Sie greifen außerkünstlerische Themen Der Verein Ernst Mach wurde 1934 von den Aus- waren, hielt Vorlesungen über Empirische Sozial- auf und bringen damit sich und ihre Sichtweisen in trofaschisten verboten, ebenso das Publikationsor- wissenschaften und agitierte konsequent gegen jeg- öffentliche Diskussionen ein. Dabei nähern sie sich gan des Vereins, die Zeitschrift „Erkenntnis“. Mo- liches totalitäre Denken. Otto Neurath starb plötz- gerne wissenschaftlichen Themen an, vor allem sol- ritz Schlick wurde am 22. Juni 1936 auf der Phi- lich am 22. Dezember 1945 in Oxford. chen, die mit ihrem eigenen Metier, dem Visuellen, losophenstiege der Universität Wien von seinem zu tun haben. Daher ist Otto Neurath, der Schöp- ehemaligen Studenten Dr. Johann Nelböck, einem Otto Neuraths Werk wurde in Österreich erst zu fer der Bildstatistik, der die Visualisierung wissen- antisemitischen, deutschnationalen Katholiken, er- Ende des 20. Jahrhunderts intensiver rezipiert; es schaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnisse för- schossen. Eine Gedenktafel im Fußboden der Philo- kam über England, Skandinavien und die USA nach derte und mit seinen Arbeiten den aktuellen „pic- sophenstiege erinnert heute an Moritz Schlick. Otto Österreich zurück. Durch die Ausstellung „Zeit(lose) torial turn“ einleitete, sozusagen ein „g’fundenes Neurath hatte Österreich bereits nach den Februar- Zeichen“ finden Neuraths volksbildnerische und po- Fressen“ für sie. kämpfen 1934 verlassen. litische Verdienste erfreulicherweise hierzulande wieder Aufmerksamkeit. Die bildende Kunst fördert Otto Neurath (1882 – 1945) war nicht bildender Otto Neurath studierte in Berlin und Wien Nati- zwar dank ihrer sinnlichen Qualität das Interesse Künstler, sondern Historiker, Sozialwissenschafter, onalökonomie, Philosophie und Geschichte. 1919 des Publikums an Neurath, behindert aber die in- Philosoph, Volksbildner und nicht zuletzt revolutio- wirkte er als Leiter des Zentralwirtschaftsamtes an haltliche Auseinandersetzung mit ihm wegen ihrer närer Agitator. Seine politische und philosophische der Münchner Räterepublik mit. In Wien gründete emotionalen und intuitiven Wirkung und wegen ei- Basis war die „Wissenschaftliche Weltauffassung“ er 1924 das „Österreichische Gesellschafts- und niger inhaltlicher Missverständnisse seitens der Ku- des Wiener Kreises, in dem Otto Neurath Mitglied Wirtschaftsmuseum“, das bis heute in Wien-Mar- ratorinnen oder KünstlerInnen. war. Der Wiener Kreis war in den 1920er und 30er gareten besteht, als Volksbildungsinstitut für wirt- Jahren ein Zirkel von Philosophen, die sich durchaus schaftliche und soziale Aufklärung. Für die Ver- Leider diskutieren die beiden Kuratorinnen Maria nicht in allen Fragen einig waren. Alle aber standen mittlungs- und Bildungsarbeit entwickelte er seine Christine Holter und Barbara Höller weder in der am Standpunkt des „Logischen Empirismus“ oder „Wiener Methode der Bildstatistik“, die er im Exil Ausstellung noch im Katalog den Wiener Kreis und „Logischen Positivismus“ der wissenschaftlichen zur ISOTYPE (International System Of Typogra- den Verein Ernst Mach, die Wissenschaftliche Welt- Welterkenntnis, wandten sich kritisch gegen alle phic Picture Education) ausbaute. Der Begriff meint erkenntnis und die Internationalen Kongresse zur theologisch inspirierten philosophischen Traditio- ein international verständliches, durch den Druck Wissenschaftlichen Weltauffassung, und sie unter- nen und verbannten jegliche Metaphysik aus Phi- vervielfältigbares System von Bildzeichen, das zur schlagen Otto Neuraths Tätigkeiten als Mathemati- losophie, Politik und Bildung. Die organisatorische Bildungs- und Informationsarbeit eingesetzt wer- ker, Volksbildner, Sozialist, Revolutionär. Vielmehr und publizistische Plattform der Gruppe war der den kann. Zur Entwicklung der einzelnen Zeichen rücken sie den visuellen Aspekt in den Vordergrund „Verein Ernst Mach“, Vorsitzender des Vereins war nahm Otto Neurath die intensive künstlerische Mit- – und da öffnet sich ein weites Spektrum, an dessen der Professor für Philosophie Moritz Schlick. Neben arbeit des Holzschneiders Gerd Arntz (1900 – 1988, einem Ende durchaus eine konkrete Auseinander- Schlick und Neurath gehörten Rudolf Carnap, Hans siehe Um:Druck 14/2010, S.31), Mitglied der Kölner setzung mit Otto Neuraths Werk passiert, an des- Hahn, Edgar Zilsel und andere zu diesem Kreis, mit „Gruppe progressiver Künstler“, in Anspruch. sen anderem Ende aber die nur manchmal witzige dem auch Ludwig Wittgenstein in enger Verbindung Auseinandersetzung mit heutigen Piktogrammen stand. Otto Neurath fiel in philosophischen Diskus- Mit seinem in England gegründeten ISOTYPE-In- und ihren Funktionen im Alltag steht. Im umfang- sionen gerne auf, indem er, wann immer er in einem stitut organisierte Otto Neurath in Cambridge die reichen und schön gestalteten Katalog werden die UM:DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Seite 17 Ausstellung Ausstellungslogo nach Olaf OSTEN: Pendeln / Commuting 090. 2012, Filzstift auf Taschenkalender Christoph HINTerhuBer: systems. 2002, Siebdruck auf composite board, 5 Tafeln, je 200 x 66 cm Eigenes, Charakteristisches, ihre besonderen Sicht- nen kleineren schwarzen und einen ganz kleinen weisen auf die Welt und ihre speziellen Formen der blauen Kreis mit jeweils eingeschlossenen Ringen Stellungnahme zur Realität genommen wird. in den Farben der anderen Kreise. Zu lesen ist die Erläuterung, dass ein Zentimeter des Durchmessers Schon das „Logo“ der Ausstellung, nach einer Arbeit ein Mandat bedeute. Damit kann man zwar erken- von Olaf Osten, ist gegen Neuraths Intentionen ge- nen, dass die (damals noch) Sozialistische Partei richtet: das Ziffernblatt einer Uhr ohne Zeiger. Was Österreichs die Wahl gewonnen und mehr Mandate ist die Botschaft? Ist die Zeit stehengeblieben? Ist hatte, aber um die Anzahl zu erkennen, müsste man sie belanglos geworden? Müssen wir uns an Augus- einen Maßstab zur Hand haben. Solche Vermittlung tinus’ Definition der Ewigkeit (= Abwesenheit von ungefährer Inhalte, deren Größe nicht definiert ist, Zeit) erinnern? Neurath hätte sein „mmm“ gesummt! war Otto Neurath verhasst. Er zeigte Symbole, von denen jedes eine bestimmte Menge bedeutete: um Im Ausstellungsteil „Zahlen Feld“, der Otto Neuraths zu wissen, wie groß die dargestellte Menge ist, muss Anliegen sehr nahe kommt, zeigt Bernard Cella man bloß die Symbole abzählen. Neurath vermittelt Bernard Cella: Annual Table on Art in Austria. 1995, Sieb- die Siebdrucke „Jahrestafeln Kunst Österreich“: Wissen, Painitz vermittelt Gefühl. druck auf handgeschöpftem Papier, 100 x 140 cm auf Jahresplaner-Kalendern, deren Waagrechte den zeitlichen Ablauf darstellt und auf deren Senkrech- Das Gefühl der Hilflosigkeit vermittelt die Ar- ter Orte in Österreich eingetragen sind, trägt Cella beit von Christian Rupp: Sitzend im Wagen einer die Anzahl der Ausstellungen pro Woche mit unter- Hochschaubahn, der aus dem Wiener Prater herbei- schiedlichen Symbolen in Rot und Olivgrün ein. Am gebracht wurde, sieht man vor sich ein Video der Rand des Planers hat er säuberlich die Bedeutun- Hochschaubahnfahrt. Die Aufs und Abs, erläutert gen der einzelnen Symbole eingetragen. Aus dem ein parallel laufendes Bild, folgen dem Börsenindex Wechsel von Rot und Olivgrün ergibt sich ein dy- Dow Jones von 2007 bis 2012. Die Erkenntnis, die namisch-abwechslungsreiches Bild, das aber nicht man gewinnt: ordentlich rauf und runter ist’s gan- dazu einlädt, die Anzahl der Ausstellungen wirklich gen. Aber um wie viel (in Prozent oder absoluten nachzuzählen, sondern „Gefühl“ für österreichische Zahlen), erfährt man nicht. Und die Frage, zu wes- Kunstrealität vermittelt. sen Vorteil alles abgelaufen ist, kommt nicht in den Blick. Die Kunst wird zum beliebigen Spiel … Im selben Raum präsentiert Michael Wegerer eine Kollektion von IKEA-Uhren, deren industriell er- Karl-Heinz Klopf präsentiert in einer PowerPoint- zeugte Gleichförmigkeit auf die Globalisierung ver- Präsentation die Häufigkeit der Farben seines Ober- weist, deren Ziffernfelder aber statistische Daten, hemdes als Balkendiagramme. Zu jedem Erscheinen die eine netzbasierte Datenorganisation geliefert eines Balkens ertönt ein Piepston. Die Bedeutungs- hat, aus je einem Staat der Welt visualisieren: sie losigkeit der Botschaft des Werkes korreliert mit der verknüpfen Informationen über Kreativität und Bil- nervtötenden Wirkung des Pieps. Neuerdings ist es dungsstand mit subjektiv empfundener
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