Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur visuelle und Druckgraphik für Zeitschrift UM: DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Jänner 22 Buch - zweites

Zeit(lose) Zeichen – in der Zeit verankert Die große Ausstellung „Zeit(lose) Zeichen“ im Wiener Künstlerhaus, kuratiert von Christina Maria Holter und Barbara Höller, versammelt künstlerische Positionen, die sich in unterschiedlicher Intensität und Trefflichkeit auf das Werk des Wiener Philosophen und Bildstatistikers Otto Neurath beziehen.

Von Philipp Maurer cm 33 je Durchmesser Digitaldruck, Siebdruck, Zeichnung, Uhren, 2012, IKEA Visualisation): (Data of Life Perceptions WEGERER. Michael

Viele bildende KünstlerInnen sind es müde, nur über Beitrag einen metaphysischen Gedanken erkannte, „Internationalen Kongresse für Einheit der Wissen- innerkünstlerische Fragestellungen, über Form- und laut „Metaphysik!“ rief und später nur mehr „mmm“ schaft“, die bereits vom Wiener Kreis als internati- Materialprobleme nachzudenken und die Ergebnisse summte. onales Diskussionsforum empirischer und rationaler solchen Denkens in ästhetischen Gestaltungen zu Philosophie und Erkenntnistheorie geplant worden diskutieren. Sie greifen außerkünstlerische Themen Der Verein Ernst Mach wurde 1934 von den Aus- waren, hielt Vorlesungen über Empirische Sozial- auf und bringen damit sich und ihre Sichtweisen in trofaschisten verboten, ebenso das Publikationsor- wissenschaften und agitierte konsequent gegen jeg- öffentliche Diskussionen ein. Dabei nähern sie sich gan des Vereins, die Zeitschrift „Erkenntnis“. Mo- liches totalitäre Denken. Otto Neurath starb plötz- gerne wissenschaftlichen Themen an, vor allem sol- ritz Schlick wurde am 22. Juni 1936 auf der Phi- lich am 22. Dezember 1945 in Oxford. chen, die mit ihrem eigenen Metier, dem Visuellen, losophenstiege der Universität Wien von seinem zu tun haben. Daher ist Otto Neurath, der Schöp- ehemaligen Studenten Dr. Johann Nelböck, einem Otto Neuraths Werk wurde in Österreich erst zu fer der Bildstatistik, der die Visualisierung wissen- antisemitischen, deutschnationalen Katholiken, er- Ende des 20. Jahrhunderts intensiver rezipiert; es schaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnisse för- schossen. Eine Gedenktafel im Fußboden der Philo- kam über England, Skandinavien und die USA nach derte und mit seinen Arbeiten den aktuellen „pic- sophenstiege erinnert heute an Moritz Schlick. Otto Österreich zurück. Durch die Ausstellung „Zeit(lose) torial turn“ einleitete, sozusagen ein „g’fundenes Neurath hatte Österreich bereits nach den Februar- Zeichen“ finden Neuraths volksbildnerische und po- Fressen“ für sie. kämpfen 1934 verlassen. litische Verdienste erfreulicherweise hierzulande wieder Aufmerksamkeit. Die bildende Kunst fördert Otto Neurath (1882 – 1945) war nicht bildender Otto Neurath studierte in Berlin und Wien Nati- zwar dank ihrer sinnlichen Qualität das Interesse Künstler, sondern Historiker, Sozialwissenschafter, onalökonomie, Philosophie und Geschichte. 1919 des Publikums an Neurath, behindert aber die in- Philosoph, Volksbildner und nicht zuletzt revolutio- wirkte er als Leiter des Zentralwirtschaftsamtes an haltliche Auseinandersetzung mit ihm wegen ihrer närer Agitator. Seine politische und philosophische der Münchner Räterepublik mit. In Wien gründete emotionalen und intuitiven Wirkung und wegen ei- Basis war die „Wissenschaftliche Weltauffassung“ er 1924 das „Österreichische Gesellschafts- und niger inhaltlicher Missverständnisse seitens der Ku- des Wiener Kreises, in dem Otto Neurath Mitglied Wirtschaftsmuseum“, das bis heute in Wien-Mar- ratorinnen oder KünstlerInnen. war. Der Wiener Kreis war in den 1920er und 30er gareten besteht, als Volksbildungsinstitut für wirt- Jahren ein Zirkel von Philosophen, die sich durchaus schaftliche und soziale Aufklärung. Für die Ver- Leider diskutieren die beiden Kuratorinnen Maria nicht in allen Fragen einig waren. Alle aber standen mittlungs- und Bildungsarbeit entwickelte er seine Christine Holter und Barbara Höller weder in der am Standpunkt des „Logischen Empirismus“ oder „Wiener Methode der Bildstatistik“, die er im Exil Ausstellung noch im Katalog den Wiener Kreis und „Logischen Positivismus“ der wissenschaftlichen zur ISOTYPE (International System Of Typogra- den Verein Ernst Mach, die Wissenschaftliche Welt- Welterkenntnis, wandten sich kritisch gegen alle phic Picture Education) ausbaute. Der Begriff meint erkenntnis und die Internationalen Kongresse zur theologisch inspirierten philosophischen Traditio- ein international verständliches, durch den Druck Wissenschaftlichen Weltauffassung, und sie unter- nen und verbannten jegliche Metaphysik aus Phi- vervielfältigbares System von Bildzeichen, das zur schlagen Otto Neuraths Tätigkeiten als Mathemati- losophie, Politik und Bildung. Die organisatorische Bildungs- und Informationsarbeit eingesetzt wer- ker, Volksbildner, Sozialist, Revolutionär. Vielmehr und publizistische Plattform der Gruppe war der den kann. Zur Entwicklung der einzelnen Zeichen rücken sie den visuellen Aspekt in den Vordergrund „Verein Ernst Mach“, Vorsitzender des Vereins war nahm Otto Neurath die intensive künstlerische Mit- – und da öffnet sich ein weites Spektrum, an dessen der Professor für Philosophie Moritz Schlick. Neben arbeit des Holzschneiders Gerd Arntz (1900 – 1988, einem Ende durchaus eine konkrete Auseinander- Schlick und Neurath gehörten Rudolf Carnap, Hans siehe Um:Druck 14/2010, S.31), Mitglied der Kölner setzung mit Otto Neuraths Werk passiert, an des- Hahn, Edgar Zilsel und andere zu diesem Kreis, mit „Gruppe progressiver Künstler“, in Anspruch. sen anderem Ende aber die nur manchmal witzige dem auch Ludwig Wittgenstein in enger Verbindung Auseinandersetzung mit heutigen Piktogrammen stand. Otto Neurath fiel in philosophischen Diskus- Mit seinem in England gegründeten ISOTYPE-In- und ihren Funktionen im Alltag steht. Im umfang- sionen gerne auf, indem er, wann immer er in einem stitut organisierte Otto Neurath in Cambridge die reichen und schön gestalteten Katalog werden die

UM:DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Seite 17 Ausstellung

Ausstellungslogo nach Olaf OSTEN: Pendeln / Commuting 090. 2012, Filzstift auf Taschenkalender

Christoph Hinterhuber: systems. 2002, Siebdruck auf composite board, 5 Tafeln, je 200 x 66 cm

Eigenes, Charakteristisches, ihre besonderen Sicht- nen kleineren schwarzen und einen ganz kleinen weisen auf die Welt und ihre speziellen Formen der blauen Kreis mit jeweils eingeschlossenen Ringen Stellungnahme zur Realität genommen wird. in den Farben der anderen Kreise. Zu lesen ist die Erläuterung, dass ein Zentimeter des Durchmessers Schon das „Logo“ der Ausstellung, nach einer Arbeit ein Mandat bedeute. Damit kann man zwar erken- von Olaf Osten, ist gegen Neuraths Intentionen ge- nen, dass die (damals noch) Sozialistische Partei richtet: das Ziffernblatt einer Uhr ohne Zeiger. Was Österreichs die Wahl gewonnen und mehr Mandate ist die Botschaft? Ist die Zeit stehengeblieben? Ist hatte, aber um die Anzahl zu erkennen, müsste man sie belanglos geworden? Müssen wir uns an Augus- einen Maßstab zur Hand haben. Solche Vermittlung tinus’ Definition der Ewigkeit (= Abwesenheit von ungefährer Inhalte, deren Größe nicht definiert ist, Zeit) erinnern? Neurath hätte sein „mmm“ gesummt! war Otto Neurath verhasst. Er zeigte Symbole, von denen jedes eine bestimmte Menge bedeutete: um Im Ausstellungsteil „Zahlen Feld“, der Otto Neuraths zu wissen, wie groß die dargestellte Menge ist, muss Anliegen sehr nahe kommt, zeigt Bernard Cella man bloß die Symbole abzählen. Neurath vermittelt Bernard Cella: Annual Table on Art in Austria. 1995, Sieb- die Siebdrucke „Jahrestafeln Kunst Österreich“: Wissen, Painitz vermittelt Gefühl. druck auf handgeschöpftem Papier, 100 x 140 cm auf Jahresplaner-Kalendern, deren Waagrechte den zeitlichen Ablauf darstellt und auf deren Senkrech- Das Gefühl der Hilflosigkeit vermittelt die Ar- ter Orte in Österreich eingetragen sind, trägt Cella beit von Christian Rupp: Sitzend im Wagen einer die Anzahl der Ausstellungen pro Woche mit unter- Hochschaubahn, der aus dem Wiener Prater herbei- schiedlichen Symbolen in Rot und Olivgrün ein. Am gebracht wurde, sieht man vor sich ein Video der Rand des Planers hat er säuberlich die Bedeutun- Hochschaubahnfahrt. Die Aufs und Abs, erläutert gen der einzelnen Symbole eingetragen. Aus dem ein parallel laufendes Bild, folgen dem Börsenindex Wechsel von Rot und Olivgrün ergibt sich ein dy- Dow Jones von 2007 bis 2012. Die Erkenntnis, die namisch-abwechslungsreiches Bild, das aber nicht man gewinnt: ordentlich rauf und runter ist’s gan- dazu einlädt, die Anzahl der Ausstellungen wirklich gen. Aber um wie viel (in Prozent oder absoluten nachzuzählen, sondern „Gefühl“ für österreichische Zahlen), erfährt man nicht. Und die Frage, zu wes- Kunstrealität vermittelt. sen Vorteil alles abgelaufen ist, kommt nicht in den Blick. Die Kunst wird zum beliebigen Spiel … Im selben Raum präsentiert Michael Wegerer eine Kollektion von IKEA-Uhren, deren industriell er- Karl-Heinz Klopf präsentiert in einer PowerPoint- zeugte Gleichförmigkeit auf die Globalisierung ver- Präsentation die Häufigkeit der Farben seines Ober- weist, deren Ziffernfelder aber statistische Daten, hemdes als Balkendiagramme. Zu jedem Erscheinen die eine netzbasierte Datenorganisation geliefert eines Balkens ertönt ein Piepston. Die Bedeutungs- hat, aus je einem Staat der Welt visualisieren: sie losigkeit der Botschaft des Werkes korreliert mit der verknüpfen Informationen über Kreativität und Bil- nervtötenden Wirkung des Pieps. Neuerdings ist es dungsstand mit subjektiv empfundener „Happyness“. ein Mittel der Konkurrenz zwischen den Künstler- Die Daten sind aber nur ablesbar, wenn der Uhrzei- Innen innerhalb einer Ausstellung, sein/ihr Werk ger in einer bestimmten Stellung steht, und sie sind mit Geräusch zu versehen, um dem p.t. Publikum, farblich gestaltet, um emotional zu wirken. Nicht die wenn es schon das eigene Werk nicht ansieht, den Anzahl von Figuren und Symbolen, sondern ihre Genuss der Arbeiten anderer KünstlerInnen nach- Hazem EL MESTIKAWY: Seven Heads (Ausschnitt). 2007 – Platzierung auf der Kreisscheibe der Uhr und der haltig zu vermiesen. Die für den Betrachter irrele- 2012, Karton, Papier, Fotodruck, Inkjetdruck Zeitpunkt der Ablesung durch den Betrachter ver- vante Mitteilung des Werkes macht deutlich, dass mitteln Information. Die von Wegerer gewählte Uhr, Kunst entweder nur Spiel mit der eigenen Kreati- die Exaktheit symbolisiert, und deren Einteilung des vität, dem eigenen Oberhemd, dem Computer und ausgestellten Werke mit ausführlichen Kommenta- Ziffernfeldes in zwölf Stunden uns geläufig und ein- seinen vielfältigen Möglichkeiten, mit Farbe und ren, teils von den KünstlerInnen selbst, dokumen- deutig ablesbar ist, vereinigt die wissenschaftliche Klang ohne Inhalt oder Zweck ist, oder dass Kunst tiert – diese Kommentare sind oft sehr decouvrie- Informationsabsicht mit dem künstlerischen Spiel andererseits als scheinbar ironische, scheinbar über rend: Gegenüber den aufklärerischen, klaren Visu- von Form, Farbe, Zeitpunkt und Zufall. den Dingen stehende arrogante Welterklärung er- alisierungen wissenschaftlicher Erkenntnisse durch läutert, dass die Welt nur aus Schein und Trug be- Neuraths Isotypen wirken der von einigen Künstler- In den Kunstwerken von Cella und Wegerer erweist stehe, dass ein Balkendiagramm nie etwas bedeuten Innen vorgetragene, manchmal reichlich bornierte sich die Kunst als das ergänzende, emotionale Ge- könne und dass das Eigentliche der Dinge hinter den Welterklärungsanspruch, das esoterisch und my- genteil von Wissenschaft: nicht exaktes Wissen Dingen und nur in unseren Assoziationen, jenseits thisch geprägte irrational-assoziative Denken und wird vermittelt, sondern ein „G’spür“ für die Wirk- der Wirklichkeit, jenseits der Physik, in der Meta- die egomanische Überheblichkeit etlicher Künstler- lichkeit, ein Spiel mit ihr in einem nach ästhetischen physik liege. Und zu einer solchen Botschaft hätte Innen ziemlich naiv und kleingeistig. Kriterien gestalteten Kunstwerk, ein weites Feld an Otto Neurath sehr lautstark sein „mmm“ gesummt. Assoziationen. Beide Werke hantieren mit alltägli- Die Werke der Ausstellung und die Kommentare im chen Gebrauchsgegenständen, einem Kalender und Vollends an Neurath vorbei agiert Nikolaus Gan- Katalog machen die grundlegenden Unterschiede einer Uhr. Und beide verweisen auf eine soziale Re- sterer, der die Bilder von Werbeprospekten samt in Inhalten und Methoden von Kunst einerseits alität außerhalb ihrer selbst, die sie mit künstleri- den zugehörigen Texten schwarz übermalt, um die und Wissenschaft, Bildung und Politik andererseits schen Mitteln zur Diskussion stellen. „Fragen nach der Grenze zwischen Information deutlich, auch wenn solche gerne wegdiskutiert und Desinformation, Bedürfnissen und Begierden, werden, was sowohl der Kunst als auch der Wissen- Hermann Josef Painitz’ „Bild der Nationalratswahl schaft zum Nachteil gereicht, weil beiden damit ihr vom 10. Oktober 1971“ zeigt einen großen roten, ei- Fortsetzung Seite 20 unten

Seite 18 UM:DRUCK Nummer 22 Jänner 2013 Szene Berlin

Toni Mau zum Gedächtnis Nach dem Tode von KünstlerInnen gerät deren Werk, wenn nicht rührige Nachlassverwalter oder Museen wirken, schnell in Vergessenheit, oft zu Unrecht, was auch auf das graphische Schaffen der Berliner Künstlerin Toni Mau – Malerin, Graphikerin und Bildhauerin – zutrifft. Von Volkhard Böhm

(Ost-)Berliner Künstlerverbandes Siebdruck-Kurse Anmerkungen: ein und während ihrer Dozententätigkeit an der 1 (1884 – 1962), 1930 – 45 Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee – wo sie ab 1953 Kunstgewerbeschule Berlin-, 1945 – 1949 Malerei lehrte4 – vermittelte sie ihren StudentInnen Professor an der Kunsthochschule ebenda; (1891 – 1977), 1935 – 38 Lehrer an der Kunst- Grundkenntnisse in dieser Technik. Obwohl von ih- gewerbeschule Berlin-Charlottenburg, 1937 als „entar- ren SchülerInnen wegen guter künstlerischer Lehr- tet“ verfemt, ab 1945 Professor an der Kunsthochschule 5 tätigkeit geachtet, verlor sie 1957 ihre Dozentur. Berlin-Charlottenburg, 1949/50 Leiter der Abteilung Freie Kunst und 1953 – 59 Stellvertretender Direktor 1966 schaffte sich Toni Mau eine Tiefdruckpresse an. 2 Arno Mohr (1910 – 2001), Maler und Graphiker, lebte in Damit begann das reiche und experimentierfreudige Berlin Schaffen mit der Relief- und Rauflächentechnik.6 Die 3 Herbert Tucholski (1896 – 1984), Maler und Graphiker, Abzüge haben in Teilen oft den Charakter von Aqua- lebte in Berlin, tinten, Mezzotinten oder Ätzungen. Künstlerisch 4 , Hans Vent, Friedrich B. Henkel, Dieter Gantz und Peter Graf sind einige ihrer Studenten. ging sie in ihrem Schaffen jetzt entweder von ei- 5 Es war die Zeit der Formalismusdebatte, in der der So- ner konkreten Naturform aus, die im künstlerischen zialistische Realismus in der DDR durchgesetzt werden Abstraktionsprozess bildhaft wird, oder – meistens sollte. Neben Toni Mau verlieren auch weitere Künstler – von einer gedanklichen Inspiration. Hauptkompo- wie Mart Stam, Herbert Behrens-Hangeler und Theo Bal- nenten sind jetzt eine phantasievolle Formenwelt, den ihre Dozenturen. Toni Mau: Unterschiedliche Temperamente II. 1981, Rauflä- spontanes Herangehen, Experimentierfreudigkeit 6 Bei Rauflächendrucken finden entweder raue (Offset- chendruck, 28,9 x 39,1 cm und ein kauziger Humor. Ihre Themen sind breit platten) oder aufgeraute Druckplatten Verwendung oder gefächert: menschliche Empfindungen wie Ernst, es werden Materialien wie Möbellack, Latex mit Kartof- felstärke, Manufix-Emulsion, verschiedene Leime und Toni Mau wurde am 2. September 1917 in Berlin ge- Trauer, Entsetzen, Hass, Humor, zwischenmenschli- anderes mehr auf die Platte aufgetragen, die dann nach boren. Mit Unterbrechungen studierte sie von 1934 che Beziehungen und gesellschaftliche Zusammen- dem Druck in der Tiefdruckpresse unterschiedliche Farb- bis 1943 an der Kunstgewerbeschule Berlin-Charlot- hänge, aber auch Naturformen, Bilderfindungen, die nuancen erzeugen. tenburg bei Hans Orlowski und vor allem Max Kaus1. an vegetativ Gewachsenes, phantastische Märchen- welten oder Zukunftsträume erinnern. Am 22. No- Angeregt durch eine drucktechnische Vorführung vember 1981 starb Toni Mau in Berlin. in Westberlin und durch Siebdrucke von Willi Bau- meister begann sie bereits 1954 in dieser Technik zu arbeiten. Es entstanden Bäuerinnenporträts, mit denen sie einer neu gewonnenen Lebenszuversicht nach den Schrecknissen von Krieg, Faschismus und unmittelbarer Nachkriegszeit Ausdruck verlieh. Später kamen Lesende, Strandszenen, besonders aber das Mutter-Kind-Thema hinzu, mit dem sie in einer realistischen Tradition steht, die über Käthe Kollwitz führt. Sie gestaltete kompakte Formen mit betonter Konturen- und Linienzeichnung.

Analog zu Arno Mohr2 für die Lithographie ist Toni Maus Bedeutung in der ostdeutschen Kunstszene für den Siebdruck: Gefördert von Herbert Tuchol- ski3 richtete sie in den zentralen Werkstätten des Toni Mau: Sangesfreudige Zwitterwesen. um 1977, Farbrauflä- Toni Mau: Beweinung II, Vietnam. 1966, Siebdruck, 62 x 76 cm chendruck, Monotypie, 14,2 x 17,5 cm

Ziel Neuraths, eine gerechte Welt zu schaffen, sinn- führen, die keineswegs in den öffentlichen Raum Zeit(lose) Zeichen lich fassbar macht. Aber auch er schuf einem me- gehören. Mit welcher Rücksichtslosigkeit Kunst vor- Fortsetzung von S.18 taphysischen, an eine Moschee erinnernden Raum. gehen kann, zeigt Peter Weibel, der im Museum für angewandte Kunst die Zeichen von den Toilettetüren Versprechung und Täuschung“ zu stellen. So wie Christoph Hinterhuber thematisiert in geheimnis- entfernte, um die Menschen darauf aufmerksam zu er ein sachliches Thema wie Information, ein von voll wirkenden Bildern, die Neugier erregen, den machen, wie wichtig eine öffentliche Zeichenspra- ihm moralisch gefasstes wie Begierde und ein juri- Wert der Informationen, erzählt aus Piktogrammen che sei – eine wahrlich aufrüttelnde Botschaft. disches wie Täuschung in einen Topf wirft und sie eigene Geschichten und löst mit seinen Bildern Re- vermischt, verunklärt er Dinge und Verhältnisse mit flexionen über reale Zusammenhänge und aktuelle Die Computer- und Videokünstler Clemens Kogler seinen Übermalungen und verweist auf die Inhalte politische Themen aus. und Karo Szmit stellen mit PowerPoint-Methoden hinter den Dingen – reine Metaphysik! Oder Hilflo- ein „Assoziationskettenmassaker zusammen, das sigkeit? Die großflächige Computeranimation von Michael sich die Aufgabe stellt, alle Fragen des Universums Bielicka und Kamila B. Richter an der Rückwand und noch ein paar mehr zu beantworten und da- Rationale Weiterführungen der Bildsprache Neu- des Hauptsaales des Künstlerhauses zeigt in Form rin natürlich auf das Grandioseste scheitert, aber raths in Kunst, die kritisch-politische Auseinan- eines an TV-Nachrichten und YouTube orientierten in diesem Scheitern dennoch ein paar bezaubernde dersetzung mit der Welt leistet, zeigt Ilse Chlan mit Trickfilms die weltpolitischen Krisenherde in iko- Zwischentöne inmitten den großen Themen […] er- ihren Inkjet-Drucken von den schematischen Be- nenhaften, Arntz’ Holzschnitten nachempfundenen schafft.“ (Katalog, S.146) Der Kommentar zum eige- legungsplänen auf Sklavenschiffen, mit denen die computeranimierten Figuren. Diese Arbeit übersetzt nen Werk fasst mit zeitgeistiger Ironie und der Lust maximale Platzausnutzung zwecks Profitmaximie- Neuraths Absicht mit neuen digitalen Möglichkeiten am schönen Scheitern auch die gesamte, hervorra- rung garantiert wurde (vergleiche dazu den „Medi- ins Heute. Sie bietet dem Betrachter das Vergnügen, gend gehängte Ausstellung zusammen, die, auch tativen Makak“ in Um:Druck Nr.19/2012). in ästhetischer Gestaltungen politische Zusammen- wenn einzelne Werke in Bezug auf Otto Neurath hänge zu erkennen. heftig zu kritisieren sind, großteils interessante, Hazem El Mestikawy (siehe Um:Druck 14/2010, weltoffene, realitätsbezogene Kunst präsentiert. Das S.31) überarbeitete die Kopfsymbole, mit denen Gerd Otto Neuraths und Gerd Arntz’ Bildsymbole wur- Publikum dankt es durch zahlreichen Besuch. Arntz BewohnerInnen verschiedener Kontinente den nach dem Zweiten Weltkrieg für Piktogramme sinnfällig machte, vervielfältigte sie und präsen- mit unterschiedlichen Zwecken, vor allem dem der Die Ausstellung „Zeit(lose) Zeichen. Gegenwarts- tierte sie als Rauminstallation, die nicht die reale Orientierung in der Stadt, weiterentwickelt und ver- kunst in Referenz zu Otto Neurath“ ist im Wiener Ungleichverteilung der Menschen auf der Erde zeigt, wendet. Viele der gezeigten Kunstwerke beziehen Künstlerhaus vom 13. Dezember 2012 bis 17. Februar wie es die wissenschaftliche Bildstatistik Neuraths sich auf diese Funktion des Piktogramms und sind 2013 zu sehen (Veranstaltungskalender S.30). notwendigerweise hätte zeigen müssen, sondern ein spielerische, witzige, manische, geistvolle, manch- Der Katalog zur Ausstellung: Zeit(lose) Zeichen. Ge- „Prinzip Hoffnung“ auf kommende Gleichheit, in- mal auch geistlose Kommentare zu den Bildern der genwartskunst in Referenz zu Otto Neurath. Hg.v. dem er alle Symbole in gleicher Anzahl gleichmäßig Realität. Eines der witzigsten Werke ist die Interven- Peter Bogner, Maria Christine Holter und Barbara im Raum verteilt. Die Vervielfältigung der Bilder ist tion des Tschechen Roman Týc, der die Glasscheiben Höller, deutsch/englisch, 173 S., 22,5 x 22,5 cm, hier wie bei Neurath ein bedeutungstragendes Ele- der Fußgängerampeln durch Scheiben ersetzte, auf Kartonumschlag, Kerber Verlag, Bielefeld 2012; ment, mit dem Hazem El Mestikawy das politische denen Figuren zu sehen sind, die Tätigkeiten aus- ISBN 978-3-86678-792-6; ca. € 30,-

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