Beilage: Kulturelle Bildung und Tanz

Zeitung des Deutschen Kulturrates

Nr. 01/08 • Jan. - Feb. 2008 www.kulturrat.de 3,00 € • ISSN 1619-4217 • B 58 662

Kulturpolitik der Grünen Kultur-Enquete Kulturelle Bildung Streitfall Computerspiele Kultur Kompetenz Bildung Was zeichnet die Kulturpolitik der Am 13.12.2007 hat die Enquete-Kom- Was brauchen Kinder und Jugendli- Der Deutsche hat mit der Der Tanzplan Deutschland wurde Grünen aus? Was sind die Schwer- mission „Kultur in Deutschland“ ihren che Bildung oder Kompetenzen? Verabschiedung des Haushalts 2008 von der Kulturstiftung des Bundes punkte? Darüber geben Claudia Abschlussbericht vorgelegt. Jetzt geht Welchen Stellenwert haben die auch die Entscheidung getroffen, als fünfjähriges Projekt aufgelegt, Roth, Katrin Göring-Eckardt, Griet- es darum, die Handlungsempfehlun- künstlerischen Fächer in der Schu- künftig Computerspiele zu fördern. um die Tanzlandschaft in Deutsch- je Bettin, Uschi Eid, Alice Ströver gen umzusetzen. Abgeordnete des le? Kehren die musischen Zeiten zu- Was ging dieser Entscheidung voraus? land zu stärken. In der Beilage wird und Jan Engelmann Auskunft. Olaf Deutschen Bundestages und Ver- rück? Mit diesen Fragen befassen Damit setzen sich unter anderem Mo- aufgezeigt, wie lebendig die kultu- Zimmermann kommentiert die Kul- bandsvertreter nehmen erste Be- sich Ulrich Thöne, Ludwig Eckinger, nika Griefahn, Dorothee Bär und Mal- relle Bildungslandschaft im Tanz turpolitik der Grünen. wertungen vor. Josef Kraus und Max Fuchs. te Behrmann auseinander. ist. Seiten 3 bis 9 Seiten 1, 10 bis 27 Seiten 28 bis 32 Seiten 34 bis 39 Beilage Seiten 1 bis 12

Editorial Steilvorlage nicht nur für die Kulturpolitik Nörgeln Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ legt Kulturkompass vor • Von ass dieses Lob auch noch vom Es ist vollbracht. Das Werk ist ge- litik nicht wichtigere Aufgaben als die für kommunale Kultureinrichtungen besser den Künstlern selbst. Unseren D immer nörgelnden Deutschen tan. Die Enquete-Kommission „Kul- Kultur gäbe. Was rechtfertigt also die zählen zu den so genannten freiwilli- Handlungsempfehlungen gingen in- Kulturrat kommt. Das ist doch ein tur in Deutschland“ hat ihre Arbeit Einsetzung einer Enquete „Kultur“? Es gen Leistungen. Nur der Freistaat tensive Recherchen und sorgfältige wahrer Ritterschlag“, sagte die CDU- abgeschlossen. Und ich sage mit ist die Bedeutung, die eine vielfältige Sachsen bildet hier die rühmliche Aus- Prüfungen voraus. Von den 22 Kom- Bundestagsabgeordnete Monika Stolz: Die vierjährige Arbeit war er- und lebendige Kultur für unsere Ge- nahme. In allen anderen Ländern sind missionsmitgliedern war ein beträcht- Grütters bei der Haushaltsberatung folgreich. Mit dem Schlussbericht sellschaft hat. Sie ist nicht nur Orna- diese Ausgaben – auch zum Leidwe- liches Arbeitspensum zu bewältigen. Ende November 2007 im Deut- hat die Kommission einen Kultur- ment, sondern das Fundament, auf sen der Kommunalpolitiker – keine Jedes der mehr als 50 behandelten schen Bundestag. Und der Haus- kompass vorgelegt, der nicht nur für dem unsere Gesellschaft steht und auf Themen verdient eine öffentliche De- haltspolitische Sprecher der Union die Kulturpolitik richtungweisend das sie baut. batte. Mit der Empfehlung, Kultur als Steffen Kampeter fiel ihr ins Wort: sein kann. 465 Handlungsempfeh- Die Pfeiler dieses Fundaments be- Staatsziel im Grundgesetz zu veran- „Immer nörgelnd! Das ist wohl zu- lungen werden an Bund, Länder, dürfen jedoch starker Verankerung. kern, konnten wir diese bereits aus- treffend!“. Kommunen und andere Träger öf- Denn sie werden nicht nur durch lösen. Darüber dürfen die ande- Da hatten wir mal wieder unser fentlicher Belange gerichtet. Dabei kleinere Beben erschüttert wie 18 SEITEN ren nicht übersehen werden. Fett weg. Nicht zum ersten Mal. wurde manche parteipolitische Gren- die regelmäßig aufflackernde Sie betreffen die rechtlichen Steffen Kampeter hat das Nörgeln ze gemeinsam überschritten. Es galt, Debatte um den ermäßigten ENQUETE-KOMMISSION und strukturellen Rah- des Deutschen Kulturrates ja be- das Unmögliche zu versuchen, um Umsatzsteuersatz für Kul- menbedingungen von kanntlich sogar schon so geärgert, das Mögliche für Kunst und Kultur turgüter. Sie werden auch „KULTUR IN DEUTSCHLAND“ Theatern, Kulturorches- dass er vor einem Jahr kurzerhand in Deutschland zu erreichen. Ent- durch Unterspülungen be- tern, Opern, Museen und vom Deutschen Bundestag ein Fax- gegen aller Bedenken, auch eige- droht, die von der Not der Ausstellungshäusern verbot für den Kulturrat beschließen ner anfänglicher Zweifel. Denn kann öffentlichen Haushalte in den · Informationen ebenso wie Bibliotheken ließ. es wirklich gelingen, die Situation letzten Jahren ausgelöst wur- · Kommentare und Soziokulturelle Zentren. Natürlich hat der Deutsche Kul- von Kunst und Kultur in Deutschland den. Es werden Vorschläge für eine turrat auch im Verbotsjahr 2007 flei- zu beschreiben? Angesichts dieser Zwar verfügt Deutschland im- · Bewertungen Stärkung der Kultur in ländlichen ßig gefaxt, gemailt, telefoniert und in einzigartigen Dichte und Vielfalt? mer noch über eine beispielhafte Regionen, die Förderung des bür- jeder anderen bekannten Art kom- staatliche Kulturförderung. Staatlich? gerschaftlichen Engagements und die muniziert. Als Spitzenverband der ehr als einmal wurde die Fra- Unsere Untersuchungen ergaben: Der kulturelle Tätigkeit der Kirchen unter- Bundeskulturverbände ist es seine M ge gestellt, warum sich eine größte Kulturfinanzierer in Deutsch- breitet. Auf die wirtschaftliche und Aufgabe zu mahnen, zu warnen und Kommission des Deutschen Bundes- land ist der Bürger. Zunächst als Pflichtaufgaben. Das ist die falsche soziale Lage der Künstlerinnen und natürlich auch zu loben, Vorschläge tages mit dem Thema Kultur befasst. Marktteilnehmer, dann als Spender – Priorität. Zu einer notwendigen Infra- Künstler haben wir zu Recht ein be- zu machen, zu bewerten und manch- Dahinter stand zum einen der Vor- wird nämlich die Zeitspende mit ein- struktur gehören nämlich nicht nur sonderes Augenmerk gerichtet, denn mal auch zu verwerfen, immer aber wurf, sich Länderhoheiten aneignen gebracht, beläuft sich alleine dieses Verkehrswege, sondern zwingend Kul- ohne diese gäbe es keine Kultur in heftig mitzudiskutieren. Dass sich zu wollen. Dieser ließ sich leicht ent- Volumen auf cirka zehn bis 19 Milliar- tur- und Bildungseinrichtungen. Erst Deutschland. Wir unterbreiten allein aber gerade Kulturpolitiker manch- kräften, denn der Bund ist als Gesetz- den Euro – und in dritter Linie als Steu- die Investition in kulturelle Infrastruk- 50 Vorschläge für eine verbesserte Aus- mal erstaunlich schwer tun, mit die- geber für viele Rechtsgebiete zustän- erzahler. Und diese Steuermittel flie- tur eröffnet die Chance auf gleiche und Fortbildung, Änderungen im Ta- ser eigentlich selbstverständlichen dig, die unmittelbar Kunst und Kul- ßen wieder stärker. Aber in den ver- Teilhabe. Ich würde mir deshalb wün- rif- und Arbeitsrecht bis hin zu Fragen Arbeit einer Organisation der Zivil- turschaffende betreffen – vom Urhe- gangenen Jahren sind viele Theater, schen, dass die Länder dem sächsi- der Besteuerung und Altersvorsorge. gesellschaft, ist schon ein Phäno- berrecht bis zum Sozialversiche- Orchester, Bibliotheken und Musik- schen Beispiel folgen würden. Ein Hinzu kommen fundierte Aussagen men. rungsrecht. Zum anderen wurde Un- schulen den Sparzwängen geopfert Stück Abhilfe kann hier die Veranke- zur Kreativ- und Kulturwirtschaft wie Wenn Umweltverbände kritisie- verständnis geäußert, ob es für die Po- worden – zu viele. Denn die Ausgaben rung eines Staatszieles Kultur leisten. der Vorschlag spezieller Förderungs- ren, Sozialverbände monieren, wenn Es bedarf eines solchen Bekenntnis- instrumente. Denn dieses bisher stief- Sportverbände debattieren, erken- ses zur Verantwortung des Staates auf mütterlich behandelte Aschenbrödel nen die Fachpolitiker die Notwen- allen seinen Ebenen für Schutz und hat das Potential einer ansehnlichen digkeit der Beobachtung und Betei- Förderung von Kunst und Kultur in Braut, denn dieser Wirtschaftsbereich ligung aus der Zivilgesellschaft in der Kultur-Mensch Deutschland. trägt auch zur Sicherung eines vielfäl- Regel an. Wenn Kulturverbände das- Klaus-Dieter Lehmann Es wäre allerdings ein Fehler, Kul- tigen kulturellen Lebens in Deutsch- selbe tun, fühlen sich Kulturpolitiker turpolitik auf finanzielle Aspekte zu land bei. Die Behandlung von Kultur schnell angenörgelt. Doch zur Ge- Preisträger des Kulturgroschens des Besondere Verdienste hat sich Prof. reduzieren. Denn das hieße, die Mög- in Europa und auf internationaler Ebe- waltenteilung in unserer Demokra- Deutschen Kulturrates 2008 ist der Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann bei der lichkeiten zu verkennen, die der Ge- ne rundet den Bericht ebenso ab wie tie gehört eben dazu, dass die Re- scheidende Präsident der Stiftung Restitution von Kulturgut und in der setzgeber zum Schutz und zur Förde- die Feststellung der Notwendigkeit, gierung vom Parlament und beide Preußischer Kulturbesitz Klaus-Die- Debatte um die so genannte Beute- rung von Kunst und Kultur hat – von einheitliche kulturstatistische Daten von einer freien Presse und den Or- ter Lehmann. Damit wird sein gro- kunst erworben. Änderungen im Gemeinnützigkeits- zu erheben. Wer den Bericht liest, wird ganisationen der Zivilgesellschaft ßes kulturpolitisches Engagement recht bis zur Fortschreibung des Stif- erkennen: Kulturpolitik ist das große kontrolliert werden. Und das gilt na- gewürdigt. Als Generaldirektor der tungsrechts. Jeder Gesetzgeber ist Querschnittsthema: Bildungspolitik, türlich auch für das immer noch Deutschen Bibliothek hat er nach der dabei gut beraten, die Weichenstellun- Wirtschaftspolitik, Arbeits- und Sozi- zarte Pflänzchen der Bundeskultur- Vereinigung der beiden deutschen gen auf europäischer und internatio- alpolitik. politik. Staaten Die Deutsche Bibliothek in naler Ebene nicht nur wachsam zu Angesichts des Wertes jeder Hand- Der Deutsche Bundestag hat für Frankfurt/Main und Die Deutsche beobachten, sondern auf Rechtsakte lungsempfehlung kann und will ich als 2008 nicht noch einmal ein Faxver- Bücherei in Leipzig zusammenge- wie etwa die GATS-Verhandlungen Vorsitzende keine einzelne hervorhe- bot über den Deutschen Kulturrat führt. Hierfür war nicht nur großes oder das Europäische Vergaberecht ben. Eine Einzelbewertung überlasse verhängt. Vielleicht ist das ein erstes Verhandlungsgeschick, sondern vor frühzeitig Einfluss zu nehmen. Denn ich in diesem Rahmen den nachfol- Zeichen dafür, dass auch im Kultur- allem auch Einfühlungsvermögen er- nur dort können, müssen Angriffe auf genden der einzelnen Kommissions- bereich Nörgeln in der Zukunft nicht forderlich. eine autonome nationale Kulturpoli- mitgliedern, die über vier Jahre hin- mehr als Majestätsbeleidigung ge- Als Präsident der Stiftung Preußischer tik abgewendet werden. Deutschland weg Herausragendes geleistet haben. wertet wird, das mit Faxverbot nicht Kulturbesitz hat er mit dem Master- darf sich also nicht mit einer Zuschau- Nur eine Ausnahme sei mir gestat- unter einem Jahr bestraft wird. In plan für die Museumsinsel sowie den errolle begnügen. tet: das Augenmerk auf die kulturelle diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein Plänen für das Humboldt-Forum An dieser Stelle wird die Aufgabe maßgeblich an der Gestaltung der gutes Jahr 2008. der Kulturpolitik besonders deutlich. Weiter auf Seite 2 historischen Mitte mitgewirkt. Ihre Aufgabe ist es nicht, selbst Kul- Olaf Zimmermann, Er hat dabei stets sowohl das natio- tur zu schaffen, sondern für die er- Herausgeber von politik und kultur, nal kulturelle Erbe als auch den Aus- © Stiftung Preußischer forderlichen politischen Rahmenbe- Geschäftsführer des Deutschen tausch mit anderen Kulturen im Blick. Kulturbesitz/Foto: Urban Ruths dingungen zu sorgen. Die Gestaltung Kulturrates von Kunst und Kultur überlässt sie 4:l;W LEITARTIKEL politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 2

schaft und der Kultureinrichtungen tur sowie privat veranstalteter „kom- Fortsetzung von Seite 1 größer. Die Handlungsempfehlungen merzieller“ Kultur gemacht werden. in diesem Bereich sollten deshalb von Diese künstliche, schädliche Tren- Steilvorlage nicht nur für allen Beteiligten besondere Berück- nung sollte nach diesem Bericht der die Kulturpolitik sichtigung erfahren. Vergangenheit angehören. Von einer Stärkung des Bewusst- Was bleibt? Die Arbeit aller Frakti- Bildung zu richten. Denn diese ist seins für kulturelle Bildung erhoffe ich onen und Sachverständigen hat zu der eine der besten Investitionen in die mir letztlich auch eine Stärkung der wohl umfassendsten Untersuchung Zukunft unseres Landes. Der Wert Kultur insgesamt. Kunst und Kultur der deutschen Kulturlandschaft seit dieser kulturellen Bildung scheint dürfen kein Luxusgut einiger weniger 1975 geführt. Er ist ein leidenschaftli- zwar inzwischen in der Öffentlich- Privilegierter sein. Die Teilhabe aller ches Plädoyer für die Förderung der keit weitgehend erkannt zu sein. an der Kultur muss gewährleistet sein, Kultur in Deutschland als einer ebenso Glücklicherweise. Unser Land darf denn sie bedeutet auch Teilhabe an notwendigen wie lohnenswerten In- sich nämlich nicht nur der Kreativi- der Gesellschaft. Diese Teilhabe wird vestition in die Zukunft des Landes. tät als seines einzigen Rohstoffes von einer Vielfalt an Trägern gewähr- Die Bestandsaufnahme ist erfolgt, und damit seiner Zukunftsfähigkeit leistet. Kulturpolitik und öffentliche die Handlungsempfehlungen liegen begeben. Vielmehr darf Bildung Kulturförderung finden im Wechsel- vor. Und nun? Jedem Ende wohnt nicht auf ein trostloses Lernen redu- spiel von Staat, Wirtschaft und Zivil- auch ein Anfang inne. Mit der Vorlage ziert werden. gesellschaft statt. Sie gemeinsam stel- unseres Berichtes beginnt eine neue In einer Welt, die immer schneller len die kulturelle Infrastruktur zur Ver- Etappe. Jetzt sind die Kulturpolitiker wird, mit einem Überfluss an Angebo- fügung – von Vereinen und Kulturun- in den Fraktionen und die Kultur- ten, ist es für Kinder und Heranwach- ternehmen über Kirchen und Glau- schaffenden auf allen Ebenen gefragt, sende nicht leicht, eine Orientierung bensgemeinschaften bis hin zu Rund- unsere Vorlage zum Wohl der Kultur zu zu finden. Kunst und Kultur können funkanstalten, Stiftungen, Sponsoren nutzen. eine solche geben. Bei der kulturellen und den Künstlern selbst. Dieser Drei- Es ist vollbracht. Das Werk ist ge- Bildung geht es um den ganzen Men- klang aus Politik, Zivilgesellschaft und tan. Nun beginnt die Arbeit. schen, um die Bildung seiner Persön- Wirtschaft ermöglicht ein kulturelles lichkeit, um Emotionen und Kreativi- Leben, dass keiner allein gewährleis- Die Verfasserin ist Mitglied des tät. Ohne kulturelle Bildung fehlt ein ten könnten. Es darf kein Unterschied Deutschen Bundestages und war Schlüssel zu wahrer Teilhabe. Deshalb zwischen staatlich geförderter „guter“ Vorsitzende der Enquete-Kommissi- Gitta Connemann, MdB, Vorsitzende der Enquete-Kommission, während ihrer ist auf keinem Feld die Verantwortung Kultur und auf bürgerschaftlichem on des Deutschen Bundestags Rede bei der Abschlussveranstaltung der Kultur-Enquete in der Parlamentari- des Staates, aber auch der Zivilgesell- Engagement gegründeter Breitenkul- „Kultur in Deutschland“ schen Gesellschaft. Foto: Stefanie Ernst Inhaltsverzeichnis EDITORIAL Von kulturellen Prozessen lernen Absage an das wettbewerbsorien- Geschichte in Computerspielen nur KURZ-SCHLUSS Nörgeln Von Susanne Binas-Preisendörfer 14 tierte EU-Modell ein Verkaufsargument? Wie die Kultur einmal den Kopf aus Von Olaf Zimmermann 1 Von Ferdinand Melichar 26 Ein Interview mit Rainer Pöppinghe- einem Rattenloch im Bundestag Weiter Blick auf das Gesamtkunst- ge, Daniel Pickert und Alexander streckte… KULTUR-MENSCH werk Kultur Das Werk ist getan. Nun beginnt die Schmeding 38 Von Theo Geißler 52 Von Helga Boldt 14 Arbeit Klaus-Dieter Lehmann 1 Von Peter Raue und Friedhelm EUROPA BEILAGE KULTUR Plädoyer für mehr lebendige und Klinkertz 27 KULTURPOLITIK DER Europa und die Kultur KOMPETENZ BILDUNG anregungsreiche kulturelle Milieus Von Barbara Gessler 39 GRÜNEN Von Dieter Kramer 15 STAATSZIEL KULTUR Der hat gut tanzen, dem das Glück aufspielt Kreativitätspolitik im Übergang zur Kultur als Staatsziel Europäische Kulturagenda im Zei- Von 1 Wissensgesellschaft Meilenstein in der Geschichte der Von Jan-Hendrik Olbertz 28 chen der Globalisierung Von 3 Kulturpolitik Von Gerd Harms 40 Von Oliver Scheytt 16 Experimentierraum KULTURELLE BILDUNG Von Olaf Zimmermann 1 „Die K-Frage“ – Kultur diesseits und Trend zur Drei-Fächer-Schule führt Auswärtige Kulturpolitik in der Dis- Plädoyer für einen Lernbereich „Kul- jenseits der Ökonomie zur kognitiven Schlagseite kussion turelle Bildung“ in der Schule Man muss die Progressivsten den Von Katrin Göring-Eckardt 4 Von Ulrich Thöne 28 Von Kristin Bäßler 40 Von Wolfgang Schneider 17 Raum bauen lassen Arnd Wesemann im Gespräch mit Ma- Das Kunstwerk im Zeitalter digital- Schule und Weltklugheit KULTURREGIONEN Die „unbekannte kulturpolitische deline Ritter u. Hortensia Völckers 2 globaler Reproduzierbarkeit Von Ludwig Eckinger 29 Hightech trifft Lebensart Macht“? Von Grietje Bettin 5 Von Gerd Hager und Von Thomas Sternberg 17 Jeder Mensch ist ein Tänzer Bildung ist weit mehr als PISA Volkmar Baumgärtner 41 Von Gitta Connemann 3 Von Kopenhagen bis Kalkutta Von Josef Kraus 30 Von Uschi Eid 5 Eine Fundgrube für die Kulturpoli- tik STEUERN You can change your life in a dance Kommen die musischen Zeiten zu- Besteuerung ausländischer Künstler class Kultur – Bund – Von Olaf Zimmermann 18 rück? unkompliziert regeln! 42 Von Karin von Welck 4 Von Alice Ströver 6 Von Max Fuchs 30 Gelebte Vielfalt: Kultur in Deutsch- land DAS INTERVIEW Netz an Kraftzentren für Tanz Auszug zur Kultur aus dem Grund- Wir sind … lesefähig! Von Dorothee Bär 19 Evolution in Aktion zeigen: Das Na- Von Oliver Scheytt 4 satzprogramm von Bündnis 90/Die Von Stefanie Ernst 31 Grünen „Die Zukunft ist grün“ 7 turkundemuseum Berlin Kultur – Ausdruck nationaler Identi- Olaf Zimmermann im Gespräch mit Ästhetische Bildung ist selbstver- Kinder brauchen die richtigen In- tät und Weltoffenheit Reinhold Leinfelder 43 ständlich Mitteilungen von ganz anderer Art strumente Von Monika Grütters 19 Von Rolf Bolwin 5 Von Jan Engelmann 8 Von Matthias Pannes 32 KULTURELLES LEBEN Kultur als Lebens-Grundlage Ästhetische Bildung fördern – aber Die kulturpolitische Seele der Grü- Deutschland im Jahr 2010 – Ein Blick 20 KANON: PRO & CONTRA wie? Von Johannes Krummacher in die Zukunft von gestern nen Pro: Kultur weitergeben Von Karin Heyl 6 Von Olaf Zimmermann 8 Von Georg Ruppelt 45 Aus föderaler Sicht Von Hermann Wilske 33 Auf dem Weg zu einem europäischen Von Hans Zehtmair 20 NS-Raubgut in Bibliotheken Geschichte von Bündnis 90/ Contra: Kanon ist didaktische Masterplan Tanz? Die Grünen 9 Von Rainer Strzolka 46 Europa macht Kultur. Kultur macht Steinzeit Von Helmut Ploebst 7 Von Christian Höppner 33 Europa Die erste Hürde ist genommen KULTUR-ENQUETE Investition in die Zukunft Von 21 Von Frank Simon-Ritz 47 Steilvorlage nicht nur für die Kultur- STREITFALL Von Edith Boxberger 8 politik Demografischer Wandel ist kein Ar- COMPUTERSPIELE Was ist Kunstwert Von Gitta Connemann 1 gument „…, was kommt von draußen rein“ Computerspielförderung – was lan- Von Börries von Notz 48 Von Simone Violka 21 Von Antje Klinge 8 ge währt, wird gut Vielfältige Kulturlandschaft gründ- Von 34 Ohne Freundschaft geht’s nicht lich vermessen Theater ist mehr als Unterhaltung Von Karlheinz Schmid 49 Die Arbeit des Kinder- und Jugend- Von Wolfgang Börnsen 10 22 projekts des Bayerischen Staatsbal- Von Lydia Westrich Fördern statt verbieten letts Von Dorothee Bär 34 PORTRAIT Anforderungen an eine moderne Ein Bericht von Gewicht Eva-Elisabeth Fischer im Gespräch Zur Stellung des Architekten in der Kulturpolitik Von Max Fuchs 23 mit Bettina WagnerBergelt 9 Kulturgut und Spitzentechnologie Gesellschaft Von Siegmund Ehrmann 11 Von Olaf Wolters 35 Von Andreas Kolb 49 Bürgerschaftliches Engagement: Po- Kann man „Ozon“ tanzen? Nadine Querfurth im Gespräch mit Informatives Kulturkompendium tenzial für die Kulturarbeit Pragmatisch und wegweisend REZENSION Claudia Hanfgarn und Gert König- über das deutsche Kulturleben Von Hildegard Bockhorst 24 zugleich Kultur und Schule? Kultur macht 10 Von Lukrezia Jochimsen 12 Von Malte Behrmann 36 Langlo Kulturelle Bildung als Weltaneignung Schule! Von Kristin Bäßler 50 Enquete abgeschlossen – Von Christian Höppner 25 Computerspiele: Kulturgut des digi- Gute Beispiele kultureller Bildung im Nun beginnt die Arbeit talen Zeitalters Tanz Von Hans-Joachim Otto 12 Erforderliche Tiefe und Von Malte Spitz und Oliver Passek 36 BUNDESTAGS- Von Melanie Suchy 11 Präzision nicht in allen Teilen 51 Die kulturelle Vielfalt bewahren und vorhanden Jugendschutz für Spiele – ein Spiel DRUCKSACHEN Verantwortliche Institutionen in stärken Von Heinrich für den Jugendschutz? Schwingung versetzen Von Undine Kurth 13 Bleicher-Nagelsmann 26 Von Inka Brunn und Stefan Dreyer 37 AUS DEN GREMIEN 51 Von Ulrich Schötker 12 KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 3

Kulturpolitik der Parteien In der Ausgabe 4/2007 von politik und auseinander. Grietje Bettin, Medienpo- die SPD, zu Wort. Auskunft gaben der kam der Vorsitzende der FDP Guido West- sen berichtete von der Verankerung der kultur wurde mit einer Reihe zur Kul- litische Sprecherin der Fraktion Bündnis Vorsitzende Kurt Beck, der Vorsitzen- erwelle zu Wort und erläuterte die Grund- Kulturpolitik in der CDU/CSU-Bundes- turpolitik der Parteien begonnen. Es 90/Die Grünen im Deutschen Bundes- de des Kulturforums der Sozialdemo- sätze liberaler Kulturpolitik, Hans-Joach- tagsfraktion, Johanna Wanka und Hans- wurde die Frage aufgeworfen, ob sich tag, befasst sich mit der Frage der Kul- kratie , die Kulturpo- im Otto stellte das Liberale Kulturforum Heinrich Grosse-Brockhoff setzten sich die Kulturpolitik tatsächlich so sehr tur- und Medienpolitik im digitalen Zeit- litische Sprecherin der SPD-Bundes- vor, Christoph Waitz berichtete von der mit der Kulturpolitik der CDU in den ähnelt, wie es manchmal den Anschein alter. Uschi Eid, Sprecherin der Fraktion tagsfraktion Monika Griefahn, der für Verankerung der Kulturpolitik in der FDP- Ländern auseinander, Jörg-Dieter Gau- hat, ob in der Kulturpolitik weitgehend Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen die Auswärtige Kulturpolitik verantwort- Bundestagsfraktion, Ruth Wagner setzte ger stellte die kulturpolitische Arbeit der übereinstimmende Positionen beste- Bundestag für Auswärtige Kulturpolitik, liche Bundesaußenminister Frank-Wal- sich mit den freiheitlichen Grundsätzen Konrad-Adenauer-Stiftung vor und hen und diese gegenüber anderen stellt die Positionen der Fraktion Bünd- ter Steinmeier, der Regierende Bürger- der FDP und der Kulturpolitik auseinander Hans-Jörg Clement ergänzte um die Ak- Fachpolitikern vertreten werden müs- nis 90/Die Grünen in der Auswärtigen Kul- meister von Berlin Klaus Wowereit, der und stellte die kultur- zente in der Künstlerförderung der Kon- sen oder ob die Parteien eigene kul- turpolitik vor. Mit der Kulturpolitik von den Leitantrag zur Kulturpolitik für den politische Arbeit der Friedrich-Naumann- rad-Adenauer-Stiftung. Gabriele Schulz, turpolitische Profile ausbilden. Bündnis 90/Die Grünen in der Hauptstadt SPD-Parteitag im Oktober 2007 mit Stiftung vor. Der Herausgeber von politik Wissenschaftliche Mitarbeiterin des In dieser Ausgabe erläutert die Vorsit- befasst sich die Kulturpolitische Spreche- vorbereitet hatte und Uwe-Karsten und kultur Theo Geißler kommentierte die Deutschen Kulturrates, kommentierte zende von Bündnis 90/Die Grünen rin im Berliner Abgeordnetenhaus Alice Heye als Chefredakteur des Vorwärts, Kulturpolitik der FDP. die Kulturpolitik der CDU. Claudia Roth die Verankerung der Kul- Ströver. Jan Engelmann informiert über der eine stärkere kulturpolitische Aus- Die Ausgabe 6/2007 widmete sich der In der nächsten Ausgabe von politik und turpolitik als Kreativitätspolitik bei Bünd- die Verankerung der Kulturpolitik in der richtung anstrebt. Der Herausgeber von Kulturpolitik der CDU. Zu Beginn erläu- kultur steht Die Linke im Mittelpunkt. nis 90/Die Grünen. Die Kulturpolitische Heinrich-Böll-Stiftung. Olaf Zimmer- politik und kultur Olaf Zimmermann terte der Stellvertretende Vorsitzende der Den Abschluss dieses Schwerpunktes Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen mann kommentiert die Kulturpolitik von hinterfragte in einem Kommentar die CDU Christian Wulff die Grundsätze der bildet in der Ausgabe 3/2008 die Kul- im Deutschen Bundestags Katrin Gö- Bündnis 90/Die Grünen. Kulturpolitik der SPD. Kulturpolitik der Union, Kulturstaatsmi- turpolitik der CSU. ring-Eckardt setzt sich besonders mit In der Ausgabe 4/2007 von politik und In der Ausgabe 5/2007 stand die Kul- nister stellte die Akzen- der Frage des Arbeitsmarktes Kultur kultur kam die älteste deutsche Partei, turpolitik der FDP im Mittelpunkt. Es te seiner Kulturpolitik vor, Wolfgang Börn- Die Redaktion

Kreativitätspolitik im Übergang zur Wissensgesellschaft Verschiedene Politik- und Aufgabenfelder miteinander in Beziehung setzen • Von Claudia Roth

Wir leben im Übergang zur globalisier- Engagements geben. Im Gegenteil. ten Wissensgesellschaft. Das alte Die Entfaltung des Kulturlebens auf Ordnungsmodell einer von „oben“ und drei starken und eigenständigen „außen“ disziplinierten Arbeitsgesell- Säulen ist ein „europäisches Erfolgs- schaft tritt hinter Netzwerkstrukturen modell“, das im Sinne eines mög- und „flachen Hierarchien“ zurück. lichst vielfältigen und lebendigen Selbständige Entscheidungen, Ver- Kulturlebens in ihren besonderen ständnis der Zusammenhänge, Kom- Funktionen und ihrer Unterscheid- munikationsfähigkeit, Einfallsreich- barkeit erhalten und entwickelt wer- tum, Vorstellungskraft, Wissen und den muss. vor allem Kreativität und Innovations- Die öffentlich finanzierten Kul- fähigkeit sind gefragt. Diese Fähig- tureinrichtungen sind ein Rückgrat keiten werden zu entscheidenden des Kulturlebens. Die einzigartige Ressourcen des 21. Jahrhunderts. Dichte der deutschen Theater-, Or- chester- und Museenlandschaft wäre ie neuen Anforderungen an ohne das starke Engagement der öf- D Kreativität und einen viel eigen- fentlichen Hand nicht denkbar. Wir ständigeren Umgang mit Wissen be- Grüne wollen diesen öffentlichen treffen auch Kunst und Kultur und ihre Bereich erhalten, stärken und – wo Rolle in der Gesellschaft. Die Gesell- nötig – modernisieren und effekti- schaft muss viel mehr von dem auf- vieren. Wir wollen, dass die öffentli- nehmen, was in diesem Bereich para- chen Kultureinrichtungen „Durch- digmatisch vorgelebt wird. Zugleich lauferhitzer“ für Kreativität mit gro- wirken die Anforderungen an kreati- ßen Reichweiten sind, die sich viel- ve Zugänge im Alltag auch auf Kunst fältig mit anderen Einrichtungen, und Kultur zurück – nicht zuletzt mit Vereinen, freien Kulturprojekten und Blick auf eine Kunstautonomie, die Bildungsstätten vernetzen, um für mit Notwendigkeiten der Arbeitsge- möglichst viele Menschen möglichst sellschaft und Gewinnorientierungen vielfältige und ansprechende und der Erwerbswirtschaft konfrontiert kulturell und ästhetisch aktivieren- Blick in den Veranstaltungssaal und auf das Tagungspräsidium der Bundesdelegiertenkonferenz von Die Grünen vom wird. Die Fragen und Ambivalenzen, de Angebote zu machen. 16.–19.5.1986 in Hannover. Foto: Ralph Rieth die sich hier ergeben, sind hoch aktu- Der intermediäre Kultursektor ell und bedürfen einer angemessenen hat eine große und noch steigende mittleren Städten, im ländlichen Be- nehmen und Verwaltungen wissen das für vielfältige neue Möglichkeiten im kulturpolitischen Reflexion. Ich möch- Bedeutung. Das von rot-grün ge- reich. Hier ein förderndes Umfeld zu und betreiben längst „diversity ma- Zusammenhang mit Ganztagsange- te im Folgenden einige Problemfelder schaffene neue Stiftungsrecht hat zu entwickeln und Sensibilität für neue nagement“, unkluge Monokulturalis- boten für Kinder und Jugendliche. In benennen und zeigen, wo sich beson- einem wahren Stiftungsboom ge- Entwicklungen zu schaffen, ist beson- ten phantasieren weiter von einer ein- Zukunft wird es um den weiteren dere Zugänge für eine grüne Kreati- führt. Für private und zivilgesell- deres grünes Anliegen. heitlichen „Deutschen Leitkultur“. Ausbau der Angebote gehen – und vor vitätspolitik ergeben. schaftliche Akteure ist es nun viel Kreativitätspolitik ist heute Teil Kreativitätspolitik meint für uns Grü- allem um eine bessere und umfas- Zunächst und grundsätzlich: Kre- einfacher, mit Stiftungen kulturelle einer zukunftsorientierten Standort- ne die Ermöglichung und Unterstüt- sendere Nutzung der neuen Chancen ativitätspolitik meint eine Quer- Belange und Aktivitäten gezielt zu politik. Richard Florida hat mit sei- zung einer lebendigen Kommunikati- für Kreativität. Die zusätzliche Zeit, schnittsaufgabe, die verschiedene fördern. Besondere Bedeutung ha- ner Formel von den drei „Ts“ gezeigt, on und Kooperation in der Differenz – die Kinder und Jugendliche in Bil- Politik- und Aufgabenfelder mitein- ben freie Kulturträger, kleine Thea- dass „Talente“ dorthin gehen und zwischen Menschen, die „anders“ sind dungs- und Betreuungseinrichtun- ander in Beziehung setzt. Sie erfor- ter und Cabarets, Bühnen, Clubs, dort bleiben, wo sie gute, weltoffe- und in dieser Andersheit nicht diskri- gen verbringen, sollte in besonderer dert eine komplexe Sichtweise, ein in- konfessionelle Einrichtungen und ne, freiheitliche, durch „Toleranz“ miniert, sondern geachtet und ge- Weise für kulturell-kreative Aktivitä- tegriertes Handeln auf verschiedenen Vereine, die mit ihren Aktivitäten oft geprägte Lebensbedingungen vor- schätzt werden wollen. ten zur Verfügung stehen. Nötig sind Ebenen, ein fach- und ressortüber- einen wichtigen Teil des kommuna- finden, eine lebenswerte Umwelt Vor sehr weitreichenden Aufga- neue und ausgeweitete Kooperatio- greifendes Engagement. Und sie erfor- len Kulturangebots tragen. Auch hier und eine lebendige Kulturszene mit ben stehen wir bei Bildung und Be- nen zwischen Künstlern, Kulturinsti- dert ein Bewusstsein davon, dass Kre- gibt es wahre „Brutstätten“ von Kre- vielen verschiedenen Kulturen – bis treuung. Wir wollen ein gerechtes Bil- tutionen, Schulen und Betreuungs- ativität eine ganz besondere mensch- ativität, die tief in die Gesellschaft in die Bohème, die Schwulen- und dungssystem, das soziale Unterschie- einrichtungen – ein Feld des Gebens liche Fähigkeit ist, die gefördert und ausstrahlen und für die grüne Poli- Lesbenszene und die Kultur der Ein- de nicht zementiert, so wie das ge- und Nehmens, das auch zusätzliche unterstützt, nicht aber per Beschluss tik ein besonderer Ansprechpartner gewanderten hinein. Städte, die eine genwärtig der Fall ist, sondern Krea- Beschäftigungs- und Einkommens- angeordnet werden kann. Kreativi- sein möchte. solche Kultur bieten, sind auch für tivität von Kindern und Jugendlichen möglichkeiten für Künstler und Kre- tätspolitik muss ihrerseits kreativ Auch in der sich schnell entwi- den Teil der Kreativen, die die „Tech- gezielt fördert und ihnen faire Bil- ative eröffnen kann. sein, sie muss Rahmenbedingungen ckelnden Kultur- und Kreativwirt- nologien“ weiter entwickeln, von dungschancen gibt. Das Wort von Jo- Kreativitätspolitik ist für uns Grü- schaffen und entwickeln, um Chan- schaft sehen wir ein großes Potenti- besonderer Anziehungskraft. Talen- sef Beuys, wonach „Jeder Mensch ein ne keine widerspruchsfreie Spielwie- cen und Möglichkeiten für kreatives al. Gerade kleinere und mittlere Ak- te – Technologie – Toleranz: Urgrü- Künstler“ ist, hat auch und gerade se und auch kein neoliberales Eliten- und innovatives Handeln zu verbes- teure brauchen unsere Aufmerksam- ne Stadtpolitik ist essentieller Teil hier seine Bedeutung. Die Erfahrung förderungsprogramm. Es geht um ei- sern. keit. Denn sie sind es, die unter den einer zukunftsgerichteten Standort- und Entwicklung der eigenen Kreati- nen fairen und menschenwürdigen Mit Blick auf den Kulturbereich Plattenlabels, Filmproduktionen, Ver- entwicklung im Übergang zur globa- vitätspotentiale ist Selbstzweck und Übergang in die globalisierte Wis- wende ich mich entschieden gegen lagen, Galerien, Buchhandlungen, lisierten Wissensgesellschaft. Teil eines erfüllten und selbstbe- sensgesellschaft, um die Analyse und falsche Funktionsübertragungen zwi- Antiquariate, Softwareentwicklern Wir brauchen eine Integrations- stimmten Lebens. Und sie ist auch praktische Bearbeitung der Wider- schen den drei großen Sektoren, dem neue Tendenzen oft zuerst hervor- politik, die dazu beiträgt, dass alle eine Grundlage für Anforderungen in sprüche und Risiken, um die Nutzung öffentlichen Sektor, dem „intermedi- bringen, aufgreifen und unterstützen Mitglieder der Gesellschaft sich ein- der heutigen Berufs- und Arbeitswelt, der Chancen für ein gutes und selbst- ären“ Sektor der freien Träger und und mit ihrem Engagement einen bringen können. Es gilt, das große Po- in der Probleme und Aufgaben selbst- bestimmtes Leben – und um die des zivilgesellschaftlichen Engage- besonderen kulturellen Treibsatz dar- tential von „diversity“ freizusetzen ständig und innovativ zu lösen sind. wachsende Rolle von Kunst und Kul- ments und dem erwerbsorientierten stellen. Und oft sind es sogar Mikro- und Kreativitätschancen zu nutzen, Auch deswegen ist die Förderung von tur in diesem Prozess. Sektor der Kultur- und Kreativwirt- firmen, die mit kleinsten finanziellen die aus dem Zusammenwirken von Kreativität und kultureller Bildung schaft. Es darf keinen Ausverkauf des Mitteln und großem persönlichen Menschen mit sehr unterschiedlicher heute eine ganz vordringliche Aufga- Die Verfasserin ist Vorsitzende Kulturlebens und keinen Rückzug Engagement bemerkenswerte Pro- Herkunft, kultureller und religiöser be der Bildungspolitik. von Bündnis 90/Die Grünen und keine Verminderung des öffent- dukte und kulturelle Dienstleistun- Orientierung und Generationenzuge- Grüne Bildungs- und Betreu- und Mitglied des Deutschen lichen oder zivilgesellschaftlichen gen anbieten – auch in kleinen und hörigkeit entspringen. Kluge Unter- ungspolitik hat den Boden bereitet Bundestages KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 4

„Die K-Frage“ – Kultur diesseits und jenseits der Ökonomie Kulturpolitik als bevorzugter Bereich kreativen und politischen Denkens • Von Katrin Göring-Eckardt

Wie die Kultur selbst kann auch die erarbeiten. Wir sind gespannt auf die Kulturpolitik ein Laboratorium sein: Ergebnisse. ein Ort, wo gesellschaftliche Span- nungen und Probleme, aber auch Politik machen für die Werte- und Grundsatzfragen frühzei- Macher von Kultur tig und intensiv debattiert werden. Weil sich die Grünen als eine Partei Kulturpolitik ist kein „Orchideen- verstehen, die an und in die Zukunft fach“, das sich mit dem idyllischen denkt, spielt Kulturpolitik in der Reich des Schönen, Wahren und Gu- Bundestagsfraktion eine wichtige ten beschäftigt. Nein, in der Kultur Rolle. Kulturpolitik ist für uns ein geht es wie in anderen Politikfeldern bevorzugter (aber natürlich nicht auch um handfeste Interessen und der einzige) Bereich des kreativen Konflikte. Besonders wichtig sind für politischen Denkens. uns die Macher und Produzenten von Kultur, denn sie sind es, die neue m die unterschiedlichen Sphä- Ideen entwickeln, Experimente wa- U ren, in denen über Kultur nach- gen und so für gesellschaftliche Be- gedacht wird, zusammenzuführen, wegung sorgen. Trotzdem leben sie veranstaltet die Bundestagsfraktion meist in sehr prekären ökonomi- Ende Februar 2008 einen ganztägi- schen Verhältnissen. gen Kulturgipfel. Unter dem Motto Deshalb haben wir uns in den „Eine Begegnung von Kultur und letzten Monaten an verschiedenen Politik“ wollen wir dort gemeinsam Stellen dafür eingesetzt, die Stellung mit Kulturschaffenden und Politi- von Künstlern und Kulturschaffen- kern aus allen Bereichen über die den auf dem Arbeitsmarkt zu verbes- unterschiedlichen Rollen und Funk- sern. Dabei geht es unter anderem tionen von Kultur sprechen. In Vor- darum, einige Probleme in der Um- trägen soll das Spannungsverhältnis setzung der Hartz-Gesetze zu behe- zwischen dem Eigenwert der Kultur, ben und die Arbeitsmarktpolitik fle- Kultur als Gesellschaftskritik und xibler an die besonderen Existenzbe- Kultur als ökonomischer Ressource dingungen von Künstlerinnen und behandelt werden. In Workshops, Künstler anzupassen. die gemeinsam von Politikern und Kontinuierlich befassen wir uns Impression von einer Sitzung der Bundestagsfraktion Die Grünen, Frühjahr 1985; vorn v.l.n.r.: , Heinz Kulturschaffenden geleitet werden, mit der Vermittlung von Kulturschaf- Suhr und . Foto: Richard Schulze-Vorberg sollen die grundsätzlichen Fragen fenden durch die Bundesagenturen praktisch vertieft werden – mit dem für Arbeit. Kulturschaffende, und Augenhöhe, die ihren besonderen Le- men ist die „Initiative Musik“ der Für eine kritische Ziel, Ideen und Forderungen für die nicht nur sie, haben einen Anspruch benslagen gerecht wird. Mit diversen Bundesregierung zu kritisieren. Die Erinnerungskultur weitere kulturpolitische Debatte zu auf qualifizierte Vermittlung auf parlamentarischen Initiativen haben Initiative wird nicht genutzt, um end- wir uns deshalb gegen die Schlie- lich substanziell mit den kleinen La- Derzeit führem wir in der Fraktion ßungspläne der Bundesregierung und bels ins Gespräch zu kommen. Statt- eine angeregte Debatte um die Zu- für den Erhalt aller Künstlerdienste bei dessen hat man wieder in erster Li- kunft der Erinnerungspolitik. Die Abonnieren oder empfehlen Sie puk der Bundesagentur für Arbeit einge- nie die Major-Firmen an den Tisch zentrale Frage ist für uns dabei, wie setzt. Gerade bei den Künstlerdiens- gebeten. Dabei sind es auch in der wir die Erinnerung an den National- und Sie erhalten ein ganz ten sitzen Fachprofis, die mit dem Populärmusik meist die kleinen un- sozialismus und seine Verbrechen künstlerischen Berufsfeld und dem abhängigen Labels, die neue innova- nach dem Verschwinden der Gene- besonderes Dankeschön! Arbeitsalltag von Kulturschaffenden tive Stile entwickeln. Dennoch ist es ration der Überlebenden und Zeit- vertraut sind. Umso bedauerlicher ist gut, dass die Debatte um Kulturwirt- zeugen gestalten. Der Diskussions- es, dass Standorte der Künstlerdiens- schaft und „Creative Industries“ nun entwurf der Bundesregierung für ein te geschlossen wurden. auf höchster Ebene – in den zustän- neues Gedenkstättenkonzept bleibt Unser Antrag „Vermittlung in digen Ministerien – geführt wird. Er- unbefriedigend, da er den Schwer- Selbständigkeit“ wurde von den Ko- freulich, wie die parlamentarischen punkt zu sehr auf die Aufarbeitung alitionsfraktionen weitgehend auf- Mechanismen funktionierten: Als die der DDR-Geschichte legt und damit gegriffen – womit die Politik die be- Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ den Eindruck erweckt, als sei bei der sonderen Lebensverhältnisse im Die Grünen im Oktober 2006 eine Aufarbeitung des Nationalsozialis- Kulturbereich anerkennt. Doch auch Kleine Anfrage zur Kulturwirtschaft mus das Wichtigste getan. Zudem hier gibt es einen Wermutstropfen: an die Bundesregierung stellte, wirk- zeigt sich auch in diesem Konzept So dürfen die Künstlerdienste zu- te dies wie ein Startschuss für die grö- wieder die Falle des Ökonomismus: künftig zwar arbeitsuchende Künst- ßere politische Bewusstseinsbildung. Als allererster Indikator für den „na- lerinnen und Künstler auf Betäti- Es sollte bei kommenden politischen tionalen und internationalen Stel- gungsmöglichkeiten als Selbständi- Entscheidungen nicht primär darum lenwert“ eines Erinnerungsortes ge aufmerksam machen, den von gehen, der „Kulturindustrie“ neue wird im Regierungsentwurf nämlich uns geforderten Anspruch auf eine Umsatzchancen zu eröffnen oder den die Besucherzahl genannt. Mit die- solche unverbindliche Vermittlung puren Kommerz fröhliche Urständ’ sem wirtschaftlichen Erfolgskriteri- 25 JAHRE DEUTSCHER KULTURRAT in selbständige Tätigkeiten haben feiern zu lassen. Es darf auch nicht um wird aber übersehen, dass es Die Jubiläums-DVD die Koalitionsfraktionen aber ver- darum gehen, das öffentliche Gut immer Orte gegeben hat und weiter- hindert. Kultur zu privatisieren. Nein: Im Zen- hin geben wird, die in der öffentli- 25 Jahre Deutscher Kulturrat spiegeln auch 25 Jahre Kulturpolitik in trum der Debatte müssen auch hier chen Wahrnehmung keine bedeu- Deutschland wider. Persönlichkeiten Kulturwirtschaft: Mehr als die Produzenten und Autoren der tende Rolle spielen und vergessen aus dem kulturellen Leben blicken nach vorne und zurück. ein Standortfaktor Kultur selbst stehen. Ziel muss es oder verdrängt wurden. Außerdem Mit über 95 Minuten Interviews, Diskussionen, Vorträgen, Kommentaren und sein, die politischen Rahmenbedin- wird dabei völlig die Bedeutung aus- Musik. Diese Parteinahme für die Produ- gungen für kreative und künstlerische geblendet, die die Gedenkorte für zentinnen und Produzenten von Kul- Arbeit zu verbessern. Es geht um Re- Opfer und ihre Nachkommen ha- !...... tur ist geleitet von der Grundhaltung, spekt für das, was Künstler und Kul- ben. Kultur nicht allein als ökonomischen turschaffende leisten. Wenn Bündnis 90/Die Grünen Standortfaktor zu betrachten. Kultur Denn Kulturwirtschaft ist nicht der Regierung außerdem vorwerfen, Ich möchte politik und kultur (puk) abonnieren hat auch einen Wert jenseits von Fra- gleich Kulturwirtschaft. Es gibt die dass in dem Entwurf eine ausdrück- (€ 18,00/6 Ausgaben im Jahr, inkl. Porto) und erhalte als gen der Verwertbarkeit. Sie muss ein Großen und es gibt die Kleinen. Eine liche Würdigung und Förderung Geschenk die DVD: Gemeinschaftsgut mit niedrigen Zu- Studie von Michael Söndermann mit neuer zivilgesellschaftlicher Initiati- gangshürden bleiben, weshalb die dem Titel „Kultur- und Kreativwirt- ven fehlt, dann zielt diese Kritik ins 25 Jahre Deutscher Kulturrat – Die Jubiläums-DVD öffentlichen Infrastrukturen – Biblio- schaft – aktuelle Trends unter beson- Zentrum des Verständnisses von Po- theken, Musikschulen, Theater etc. – derer Berücksichtigung der Kreativ- litik generell und Kulturpolitik im Meine Adresse (=Rechnungsanschrift) nicht dem freien Markt überlassen szene“, die wir im letzten Jahr für die Speziellen: Statt einer paternalisti- Ich abonniere puk werden dürfen. Kulturelle Räume Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen schen Haltung des „Wir – die öffent- sind Räume der Befähigung und ge- in Auftrag gegeben haben, zeigte, lichen Institutionen – regeln das rade in der Wissensgesellschaft un- dass gerade die Klein- und Kleinst- schon für euch!“, brauchen wir verzichtbar. Natürlich ist Kreativität unternehmen die entscheidenden immer wieder neue Ideen und Initia- Name auch eine ökonomische Ressource, Ideen- und Impulsgeber für die Kul- tiven „von unten“. Kultur und Kultur- diese Tatsache darf aber nicht zu ei- turwirtschaft sind. Die Anzahl solcher politik können in diesem Prozess nem „ökonomistischen“ Tunnelblick Mikrounternehmen steigt stetig, sie Medien der gesellschaftlichen Selbst- Straße führen. Deshalb gilt: Künstlerinnen besitzen aber oftmals schwach entwi- verständigung sein und so dazu bei- und Künstler dürfen und sollen auch ckelte wirtschaftliche Potenziale und tragen, dass neue Fragen aufgewor- PLZ Ort Unnützes und Überflüssiges produ- tragen nur selten zu einem Ausbau fen und und kreativ debattiert wer- zieren. Die verengte ökonomische von sozialversicherungspflichtigen den. Perspektive ist aber bei den Regie- Arbeitsplätzen bei. Wichtig ist also, Unterschrift/Datum rungsparteien oftmals vorherr- dass die Rahmenbedingungen den Die Verfasserin ist kulturpolitische schend, hier treffen wir oft auf eine Existenz- und Arbeitsbedingungen Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/ Coupon einsenden/faxen an: ConBrio Verlagsgesellschaft mbH, „Kulturindustriepolitik“. Ein Beispiel: dieser Mikrounternehmen angepasst Die Grünen im Deutschen Bundes- Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, Fax: 0941/945 93 50 Gerade aus der Perspektive der „klei- und für die Kreativszene insgesamt tag und Vizepräsidentin des Deut- nen“ Kreativen und Kulturunterneh- verbessert werden. schen Bundestags KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 5

Das Kunstwerk im Zeitalter digital-globaler Reproduzierbarkeit Gesetzliche Rahmenbedingungen neu justieren • Von Grietje Bettin Kultur und Medien treffen nicht al- on allerdings betrachtet ihn eher als lein im Feuilleton aufeinander. Ra- Wirtschaftsgut. dio, Fernsehen und vor allem das So hat die novellierte Fernseh- Internet sind zweifelsohne Teil und richtlinie primär zum Ziel, die Re- Vermittler von Kultur. Die gesetzli- geln für „grenzüberschreitende chen Rahmenbedingungen müssen Dienstleistungen zu harmonisie- im digitalen Zeitalter vor allem im ren“. Unter anderem sollen Produkt- Bereich des Urheberrechts und des platzierungen erlaubt werden. Pro- Rundfunks, aber auch in der Förde- dukte sollen in Filmen und Serien in rung digitaler Kulturgüter wie Com- gutem Licht dargestellt und damit puterspielen neu justiert werden. beworben werden können. Die für uns elementare Trennung von Wer- er atemberaubende Wandel der bung und Programm wird so aufge- D Medienlandschaft in den letz- weicht. Mit der steigenden Gefahr ten drei Jahrzehnten eröffnet für Me- von Schleichwerbung nimmt auch dien- und Kulturschaffende viele journalistische Glaubwürdigkeit ab. bislang ungeahnte Möglichkeiten. Letztlich leidet darunter die wichti- Konzerte können über das Netz in- ge Rolle des Rundfunks für Informa- zwischen live vor einem internationa- tionsfreiheit, Qualitätsjournalismus len Publikum gespielt werden – und und Demokratie. Eine rein wirt- das mit einem vergleichsweise gerin- schaftliche Betrachtung des Medi- gen Aufwand. Für Künstlerinnen und ums wird zudem den Inhalten nicht Künstler, Fotografinnen und Fotogra- gerecht, denn das Programm in Ra- fen ist eine virtuelle Galerie heutzu- dio und Fernsehen ist auch Ergebnis tage ebenso unverzichtbar wie für kreativer, bisweilen künstlerischer Musikerinnen und Musiker ein Profil Arbeit. auf einer Internetplattform. Die Unesco-Konvention „Kultu- Mit der Chance, zielgenauer und relle Vielfalt“ hält uns dazu an, den mehr Menschen als früher mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eigenen Werken zu erreichen, erge- seiner Rolle als Förderer und Spiegel ben sich aber auch Herausforderun- kultureller Vielfalt, aber auch als Blick auf den Präsidiumstisch des Bundesparteitags vom 21.–22.6.1980 in Dortmund, mit vier Mitgliedern des Bundesvor- gen und Risiken für Kulturschaffen- Garant für den Meinungspluralis- standes Die Grünen. © POT , Foto: Michael Dethleffsen de und Publikum. Das Verhältnis von mus zu stärken. Auch wenn die Re- Verbraucherrechten und Schutz des form der Fernsehrichtlinie in ande- tigkeiten schulen (zum Beispiel räum- ser zu bewahren. Archive und Biblio- innen und Urheber rechtlos zu stel- geistigen Eigentums muss im Zeital- ren Bereichen grundsätzlich zu be- liches Denken). theken können dank Digitalisierung len. Auf keinen Fall darf das digitali- ter des „Copy and Paste“ neu defi- grüßen ist, zeigt sie doch, dass die Insbesondere aber sind Compu- auch die alten Wissensbestände und sierte Weltwissen der Kontrolle von niert werden, um beiden Seiten ge- EU auch das öffentlich-rechtliche terspiele ein Spiegel unserer Zeit. Wir Werke von Kunstschaffenden erhal- Netzmonopolisten á la Google an- recht werden zu können. Das wurde Fernsehen auf den Status eines rei- Grüne halten eine systematische Ar- ten, zugleich aber auch einfacher als heimfallen. Dies schadet der Infor- jüngst mit dem berühmt-berüchtig- nen Wirtschaftsgutes reduziert. chivierung von Spielen für notwendig je zuvor zugänglich machen. Das In- mationsvielfalt und gefährdet letzt- ten „Zweiten Korb“ der Urheber- Ein weiteres Feld kreativen Schaf- – aufgrund ihres kulturellen Wertes, ternet löst hier ein altes Dilemma: lich die Demokratie. rechtsreform versucht – leider nur fens sind Computerspiele geworden. aber auch, weil viele Spiele im Zuge Früher bedeutete Archivierung oft, Gerade in einer globalisierten und mit mäßigem Erfolg. Als Teil der Medienkultur sind sie der sich rasant ändernden Technolo- Inhalte mehr oder minder verschlos- digitalisierten Welt dürfen Kunst und Einerseits konnten wir Grüne er- längst viel mehr als nur Jugendkult. gien immer häufiger nicht mehr sen aufbewahren zu müssen, um sie Kultur nicht allein Marktmechanis- reichen, große Nachteile zu Lasten Oft sind sie Ergebnis künstlerischen spielbar sind und somit für die Nach- zu schützen. Digitale Bibliotheken men unterworfen sein, sonst leidet von Urheberinnen und Urhebern Schaffens. Sie haben ihre eigene Äs- welt verloren gehen. Literatur und und Archive können heute Inhalte die Qualität und wuchert der Main- abzuwenden. So haben wir die ge- thetik, Musik, und Erzählstrukturen. Filme werden heute umfangreich ar- gleichzeitig bewahren und im selben stream. Wir sollten Profitinteressen plante Deckelung der Gerätevergü- Ihre Genrevielfalt ist enorm, es gibt chiviert, Spiele nicht. Wir lassen da- Schritt für jedermann weltweit pro- dort bremsen, wo sie die Kreativität tung auf maximal 5 % des Preises für Denk- und Rätselspiele, Strategie-, her gerade prüfen, inwiefern die Ar- blemlos zur Verfügung stellen. abzuwürgen drohen. Deswegen bleibt kopier- und abspielfähige Geräte Rollen- und Kampfspiele. Diese Gen- chivierungspflichten der Deutschen Digitalisierung und Internet ge- die politische Intervention zu Gunsten verhindern können. Ebenso ist nun res existierten bereits vor dem ers- Nationalbibliothek und des Bundes- fährden nicht das kulturelle Erbe der der Freiräume von Kunst und Kultur – entgegen ursprünglicher Pläne – ten Computerspiel, die letztlich die archivs auf das Medium Computer- Menschheit, sondern bieten enorme auch in den digitalen Medien unver- jedes Gerät abgabepflichtig, das für moderne Fortschreibung altbekann- spiele übertragen werden können Chancen zu seiner Bewahrung und zichtbar. urheberrechtsrelevante Handlungen ter Spielkultur sind. Gute Computer- und welche Archivierungsregeln hier Vermehrung. Beim Schutz des geis- verwendet werden kann. spiele können zudem Medienkom- sinnvoll erscheinen. tigen Eigentums muss hier eine Ba- Die Verfasserin ist medienpolitische Deutliche Schwächen hat das Ge- petenz fördern, zur Vermittlung von Digitalisierung und Internet bie- lance gewahrt werden, in der der Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/ setz bei Rechten von Autorinnen und Wissen eingesetzt werden (z.B. Lern- ten aber auch die großartige Chance, Zugang zu Wissen nicht künstlich Die Grünen im Deutschen Autoren, wenn Verwerter ihre Werke spiele), aber auch persönliche Fer- das Wissen der Welt insgesamt bes- verknappt wird, ohne aber Urheber- Bundestag in bislang unbekannten Nutzungsar- ten vermarkten wollen. Insbesondere das fehlende Widerrufsrecht für Filmschaffende gegen diese Vermark- tung ist nicht akzeptabel. Für andere Von Kopenhagen bis Kalkutta gemeinsam erstellte Werke gibt es seit Die Auswärtige Kulturpolitik der Grünen Bundestagsfraktion • Von Uschi Eid langem ein, wenn auch eingeschränk- tes, Widerrufsrecht. Wir setzen uns Mit einer Erhöhung der Finanzen für tikfeldes durchaus unterschiedliche Schwerpunktsetzung auf dynami- thematische Abgrenzung und Reich- dafür ein, dass Filmschaffende hier die Auswärtige Kultur- und Bildungs- Bewertungen von Deutschlands Rol- sche Wachstumsregionen ist ange- weite des Politikfeldes zu klären. nicht diskriminiert werden. Ein wei- politik im Bundeshaushaltsentwurf le in der Welt und in Europa vorneh- sichts der weltpolitischen Entwick- Eine wichtige Ergänzung wird darin teres Problem bleibt in diesem Zu- 2008 ist die von der Bundesregierung men, Deutschlands Selbstverständ- lungen folgerichtig, darf jedoch bestehen, Wissenschaft, Bildung und sammenhang die immer wieder beschworene „Trendwende“ noch nis als Kulturnation anders akzentu- nicht „auf Kosten“ Europas gehen. Entwicklungspolitik in die Agenda proklamierte angemessene Vergü- nicht begründet, so sehr die Etater- ieren oder auch die Aufgabe kultur- Nicht „Kopenhagen oder Kalkutta“, der Auswärtigen Kulturpolitik zu in- tung für bekannte und unbekannte höhung auch zu begrüßen ist. Was politischer Instrumente unter- sondern „Kopenhagen und Kalkutta“ tegrieren. Angesichts einer entste- Nutzungsarten, die de facto jedoch fehlt, sind eine klare Konzeption und schiedlich bewerten, ist wenig über- sollte das Ziel sein. henden globalen Wissensgesellschaft kaum stattfindet. eine Strategie der Außenkulturpoli- raschend. Ich freue mich, dass die Die jüngsten Erfahrungen haben stellt sich vor allem die Aufgabe, eine Korrekturbedarf besteht ferner tik. Der von der grünen Bundestags- Initiative meiner Fraktion erfolg- außerdem deutlich gemacht, dass Konzeption zu entwickeln, die Wis- beim Recht auf Privatkopie. Nach fraktion im Oktober 2007 einge- reich war, wieder einen Unteraus- Krisen und Konflikte nur in begrenz- senschafts- und Forschungspolitik, unserer Überzeugung wird das Recht, brachte Antrag ist als Beitrag zur schuss für Auswärtige Kultur- und tem Maß mit den Mitteln der Kultur- aber auch Wirtschafts- und Entwick- ein Werk zu nutzen, fürs Leben erwor- derzeitigen Neuorientierung der Aus- Bildungspolitik einzusetzen, damit politik gelöst werden können. Zu lungspolitik in einem neuen Quer- ben. Die Lebensdauer digitaler Trä- wärtigen Kultur- und Bildungspolitik diese Debatte wieder einen Ort im beobachten ist eine zunehmende schnittsbereich der Politik verbindet. germedien wie CDs oder Festplatten gedacht. Deutschen Bundestag hat und inten- Tendenz der Politisierung von Kunst Eine stärkere Akzentuierung von Wis- jedoch ist sehr viel kürzer als z.B. siv geführt werden kann. und Kultur. Dies gilt nicht nur in Hin- senschaft und Forschung in der Au- noch bei Schallplatten. Deswegen ür uns Grüne ist der Stellenwert Die in der „Konzeption 2000“ der sicht auf den Verzicht auf die Freiheit ßenpolitik dient gleichzeitig der Si- muss die private Sicherheitskopie F des Kulturaustausches und der rot-grünen Bundesregierung formu- der Kunst in der kulturpolitischen cherung der internationalen Wettbe- rechtlich besser abgesichert werden, Auswärtigen Kultur- und Bildungs- lierten Grundsätze und Ziele tragen Praxis, wie es im Verlauf des weltum- werbsfähigkeit des Wirtschaftsstand- um lebenslangen Kunstgenuss zu ga- politik unumstritten: Tragfähige in- mit ihrer wertakzentuierten Pro- spannenden Streits um die Moham- orts Deutschland. Deshalb kommt rantieren und damit letztlich das Ver- ternationale und gute nachbarschaft- grammatik, der regionalen Schwer- med-Karikaturen geschehen ist. Eben- der Öffnung und Zusammenarbeit im brauchervertrauen zu stärken. liche Beziehungen benötigen ein kul- punktsetzung und der Anpassung an so gravierend ist die – in den letzten Bereich Wissenschaft und Hoch- Die mediale Globalisierung trifft turelles Fundament. Nichts ist hier- neue medientechnologische Ent- Jahren verstärkt zu konstatierende – schulen künftig noch größere Be- aber auch die „klassischen“ Medien, für wichtiger als die Begegnung von wicklungen in der medialen Außen- programmatisch gewollte Indienst- deutung zu. die ihre Inhalte zunehmend interna- Menschen, von Künstlern und Kul- repräsentanz prinzipiell auch den nahme von Kunst und Kultur für Zu prüfen ist außerdem – in Ab- tional erwerben, aber auch selbst turschaffenden, Studierenden und heutigen internationalen Herausfor- wirtschaftliche, soziale und politi- grenzung zum originären Hand- international vermarkten. Rundfunk Wissenschaftlern über nationale, ge- derungen und Entwicklungen Rech- sche Zwecke. Gerade die Auswärti- lungsbereich der Auswärtigen Kul- ist daher immer weniger nur natio- sellschaftliche und kulturelle Gren- nung. Jedoch gewinnen dynamische ge Kulturpolitik ist in besonderer tur- und Bildungspolitik – das Auf- nales Gut – und wird immer mehr zen hinweg. Auch deshalb muss die Wachstumsregionen wie China oder Weise der Gefahr einer solchen In- gabengebiet der Public Diplomacy über Staatsgrenzen hinweg reguliert, Auswärtige Kulturpolitik, wie Sicher- besondere Krisenregionen wie der strumentalisierung von Kunst und des Auswärtigen Amtes. Die beiden wie zum Beispiel auf europäischer heits- und Entwicklungspolitik, ein Nahe und Mittlere Osten weiter an Kultur ausgesetzt und ist deshalb ge- Bereiche werden als zwei unabhän- Ebene durch die Fernsehrichtlinie. fester Bestandteil der Außenpolitik Bedeutung. Neue politische, wirt- halten, Kunst und Kultur in ihrer Au- gige, komplementär eingesetzte In- Konflikte sind damit vorprogram- sein. Dass wir im Deutschen Bundes- schaftliche, aber auch kulturelle tonomie zu schützen. miert. Denn Rundfunk ist in erster tag bei grundsätzlicher Übereinstim- Schwerpunktregionen sind in den Insgesamt steht die Auswärtige Weiter auf Seite 6 Linie Kulturgut. Die EU-Kommissi- mung über die Bedeutung des Poli- letzten Jahren entstanden. Die neue Kulturpolitik vor der Aufgabe, die KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 6

eindeutig definiert. Die jüngst er- sprüchen zu überfrachten. Vielmehr schlägt, auch konzeptionell einge- Zwar hat die Bundesregierung in ih- Fortsetzung von Seite 5 folgte Zusammenlegung der zustän- ist eine ehrliche Bilanzierung und läutet werden. rer Antwort auf die Große Anfrage digen Abteilungen im Auswärtigen ein klares konzeptionelles Leitbild Mit einer Großen Anfrage zur Aus- eine Reihe von gestellten Fragen be- Von Kopenhagen bis Amt zur Abteilung für Kultur und der auswärtigen Kulturarbeit gefragt, wärtigen Kulturpolitik (Drs. 16/2233) antwortet (Drs. 16/4024), insgesamt Kalkutta Kommunikation, die nun Auswärti- um weiterhin effizient und erfolg- hat meine Fraktion einen Beitrag zu hat sich jedoch gezeigt, dass eine ge Kultur- und Bildungspolitik, Kom- reich agieren zu können. Was wollen grundsätzlichen Anpassungs- und umfassende Bestandsaufnahme des strumente der deutschen Außenpo- munikations- und Medienpolitik so- wir mit Auswärtiger Kulturpolitik er- Überprüfungsnotwendigkeiten der Politikfeldes der Auswärtigen Kultur- litik verstanden, wobei die Auswär- wie politische Öffentlichkeitsarbeit reichen? Welche Instrumente und „Konzeption 2000“ geleistet. In unse- politik, gerade unter Berücksichti- tige Kulturpolitik primär kultur- und in sich vereint, macht eine solche welche finanziellen Mittel stehen rem aktuellen Antrag „Neujustierung gung der neuen Entwicklungen und bildungspolitische Ziele verfolgt, Klärung besonders dringlich. uns dafür zur Verfügung? Welche Zie- der Auswärtigen Kulturpolitik“ (Drs. Herausforderungen, bisher nicht vor- während Public Diplomacy im Aus- Ein weiteres Problem ist die bis- le konnten mit den bisherigen Mit- 16/6604) geben wir Anregungen für liegt. Eine solche Bestandsaufnahme, land nicht nur Interesse für Deutsch- herige Trennung von Außenkultur- teln erreicht werden, welche nicht? eine zukunftsweisende Außenkultur- die die institutionellen und konzep- land und Verständnis für unsere ge- politik und den Institutionen der Wo stößt die Auswärtige Kulturpoli- politik der Bundesregierung. Beson- tionellen Dimensionen des Politikfel- sellschaftlichen Wertvorstellungen Kulturpolitik im Inland. Auch hier tik an ihre Grenzen? Eine umfassen- ders die kulturelle Dimension der eu- des berücksichtigt, sollte – nach 30 wecken, sondern dauerhafte Bin- stellt sich die Aufgabe, eine global de und systematische Überprüfung ropäischen Integration, die Unterstüt- Jahren – mit der erneuten Einsetzung dungen zu Deutschland aufbauen ausgerichtete Netzwerkorientierung der vorhandenen Instrumente der zung der transatlantischen Beziehun- einer Enquete-Kommission „Auswär- will. Allerdings hat die Bundesregie- zu entwickeln, die alle Akteure der auswärtigen Kulturarbeit und deren gen durch die Auswärtige Kulturpoli- tige Kulturpolitik“ des Deutschen rung bisher keine klare begriffliche Kulturpolitik prinzipiell einschließt. Anpassung an die gesteckten Ziele tik, die kritische Überprüfung der re- Bundestages erreicht werden. Abgrenzung dieser beiden Bereiche Die aktuellen weltpolitischen sind daher dringend erforderlich. gionalen Schwerpunktsetzungen und vorgenommen. Weder in themati- Entwicklungen erfordern keine ziel- Nur so kann die von der Bundesre- der Aufbau kulturpolitischer Dialog- Die Verfasserin ist Sprecherin für scher noch institutioneller Hinsicht lose Erweiterung des Aufgabenkata- gierung beschworene „Trendwen- und Begegnungsstrukturen als Beitrag Auswärtige Kulturpolitik der sind die operationalen Anforderun- logs, denn es besteht die Gefahr, die de“, die sich bisher nur in einer Er- zur Konfliktbearbeitung sind wesent- Bundestagsfraktion Bündnis 90 / gen dieser beiden Bereiche bisher Auswärtige Kulturpolitik mit An- höhung der Finanzmittel nieder- liche Aspekte des Antrags. Die Grünen Kultur – Bund – Berlin Die Stadt mit der magischen Anziehungskraft für Künstler und Publikum • Von Alice Ströver Der internationale Blick auf das kulturelle Treiben in Berlin ist eu- phorisch. In New York war gerade zu erleben, wo das von der Carne- gie Hall veranstaltete „Berlin in Lights“-Festival mit etwa 50 unter- schiedlichen kulturellen Veranstal- tungen mit Akteuren und Institutio- nen aus Berlin auf ein überwältigen- des öffentliches Echo gestoßen ist. Aus der Sicht der New Yorker scheint Berlin der ideale Kulturstandort, weil hier das öffentlich geförderte Kultur- angebot und die vielfältigen ande- ren Aktivitäten eine geradezu magi- sche Anziehungskraft für Künstler und Publikum aus aller Welt erzeu- gen. Die Motivation ausländischer Touristen für einen Berlin-Besuch liegt auch im Berliner Kulturleben. Für Berlin erzeugt dieses Image ei- nes idealen Kulturstandortes eine unglaubliche Werbewirksamkeit, ohne dass der Berliner Senat viel dazu tun muss. Im Gegenteil: Das Land hat seit der Wiedervereinigung die öffentlichen Kulturfördermittel fast halbiert und pflegt dennoch das Image, eine grandiose Kulturstadt zu sein. Kein Wunder, dass dieses Bild Berlins im Inland von Neid und Missgunst begleitet wird. Ob be- rechtigt oder nicht: Berlin hat Mün- chen und Köln den Rang als Film- und Medienstadt abgelaufen und wer spricht heute noch von Düssel- dorf oder Köln als wichtigsten Ga- lerienstandorten?

ie Sicherung des Kulturstandor- D tes ist der Unterstützung des Bundes zu verdanken, denn ohne die laufende Bundeshilfe ginge schon vieles nicht mehr. Das beste Beispiel ist der Hauptstadtkulturfonds, das wichtigste Förderinstrument für die freie Kulturszene. Mit den rund zehn Millionen Euro, die der Bund jährlich Blick in den Saal des Bundesparteitags der Grünen in Dortmund vom 21.–22.6.1980. © POT, Foto: Michael Dethleffsen für innovative Kulturprojekte in die Hauptstadtförderung steckt, präsen- Staaten auf deutschem Boden die Kultureinrichtungen von dischen Lebens und Geschichte. Die- fristet und danach evaluiert und er- tiert sich in Berlin genau dass inno- Möglichkeit vorgesehen, die Zustän- nationaler Bedeutung ses Alleinstellungsmerkmal erfüllen in gänzt werden. vative Kulturangebot, wofür die ei- digkeit für diese Hinterlassenschaft Berlin zum Beispiel das Haus der Kul- genen Mittel nicht reichen. dem Bund zu übertragen. So ist es Hier ist in den vergangenen Jahrzehn- turen der Welt mit der Präsentation Verantwortung für die Um die Missgunst anderer Bun- 1957 zur Gründung der Stiftung ten eine besondere Bundesförderung und der Auseinandersetzung mit Geschichte desländer nicht weiter zu schüren, Preußischer Kulturbesitz gekom- entstanden, von der viele Länder pro- Kunst und Kultur der außereuropäi- muss transparent und nachvollzieh- men, in die nach der Wende nur die fitieren, ohne dass es klar definierte schen Welt und die Berlinale, dem ein- Berlin hat als zentraler Ort der nati- bar sein, warum und wofür der Bund Museen im Ost-Teil Berlins integriert Kriterien gibt, was warum dazu ge- zigen deutschen Filmfestival von welt- onalsozialistischen Gewaltherr- Kultur in Berlin finanziert, in Stutt- wurden. rechnet wird. Der Bund hat unter sei- weiter Ausstrahlung. Aus systemati- schaft eine besondere Verantwor- gart oder Hamburg aber nicht. Es ist Nicht einbezogen wurden die Ein- ne Fittiche genommen, was er für rich- schen Gründen ist allerdings die Fi- tung für den Umgang mit Gedenk- sehr bedauerlich, dass es in der Fö- richtungen der Musik und des Mu- tig hielt, und die einzelnen Länder nanzierung des Filmmuseums in der orten an den Nationalsozialismus. deralismusreform nicht zu einer siktheaters, deshalb wurden die waren froh, finanziell entlastet zu sein. Stiftung deutsche Kinemathek durch Auch die historische Aufarbeitung grundlegend neuen und systemati- Deutsche Staatsoper Unter den Lin- Niemand hat je eindeutig defi- den Bund nicht gerechtfertigt. Was und Erinnerungsarbeit an die deut- schen Bestimmung der Zuständig- den und das Konzerthaus am Gen- niert, was denn eigentlich diese ge- woanders von der Kommune oder sche Teilung, die Berliner Mauer und keiten von Bund und Ländern und darmenmarkt unmittelbare Landes- samtstaatliche Bedeutung ausmacht. dem Land getragen wird, sollte in Ber- das DDR-Unrechtsregime sind eine zum Verhältnis des Bundes zu seiner einrichtungen. Auch die dreihun- Es kann ein inhaltliches Kriterium he- lin auch dauerhaft Landesaufgabe kulturpolitische Verpflichtung für Hauptstadt gekommen ist. Wichtig dertjährige Akademie der Künste rangezogen werden oder die überra- sein. die Stadt und große finanzielle Her- wären klare Kriterien für die Bundes- mit ihren großartigen Archivschät- gende Bedeutung und Einmaligkeit Der Bund selbst hat gut daran ausforderungen. Der Bund selbst hat förderung. Hier der Versuch einer zen gehört zweifellos zum preußi- des Projektes, die die gesamtstaatliche getan, auch Einrichtungen in ande- sich zu einer klaren Mitverantwor- systematischen Klärung. schen Erbe, was der Bund inzwi- Bedeutung bestätigen. Die histori- ren Orten der Bundesrepublik in die tung für die Gedenkstätten von über- schen durch die Übernahme bestä- schen Museen zur deutschen Ge- Förderung aufzunehmen, z.B. das regionaler Bedeutung bekannt. Es ist Das Erbe Preußens tigt hat. Es hätte zumindest einer schichte gehören aus inhaltlichen Bacharchiv in Leipzig oder die Bay- aber falsch hieraus abzuleiten – wie Diskussion bedurft, um Korrekturen Gründen dazu. Das Jüdische Museum reuther Wagner-Festspiele oder die In Artikel 135 des Grundgesetzes ist vorzunehmen, was bis heute nicht in Berlin verfolgt ebenso einem über- Bundeskunsthalle in Bonn. Die För- Weiter auf Seite 7 für die Rechtsnachfolge vergangener geschieht. regionalen Ansatz der Präsentation jü- derung sollte hier auf zehn Jahre be- KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 7

Fortsetzung von Seite 6 Auszug zur Kultur aus dem Grundsatzprogramm von vor allem von CDU und Linkspartei immer wieder vorgetragen – der Bündnis 90/Die Grünen „Die Zukunft ist grün“ Bund allein möge für die Vergangen- heitsaufarbeitung zuständig sein. Das Grundsatzprogramm „Die Zukunft Eine Akzeptanz der Kulturpolitik durch produzenten und -vermittler tragen we- heit sichern und für neue Nutzungen Wir brauchen keine „Nationale ist Grün“ wurde auf der Bundesdele- junge Menschen setzt voraus, dass sie sentlich zur kulturellen Vielfalt bei. öffnen. So wird die baukulturelle Ge- Mahn- und Gedenkstättenpolitik“. giertenkonferenz von BÜNDNIS 90/ ihre Lebensformen und Lebensstile in Ohne kulturelle Privatinitiative und in- schichte den nachfolgenden Genera- Gerade weil viele dieser Orte über- DIE GRÜNEN am 15. bis 17. März der Politik wiederfinden. dividuelles kulturelles Engagement kön- tionen weitergegeben. Wir wollen aber haupt nur durch bürgerschaftliches 2002 im Berliner Tempodrom be- nen Kunst und Kultur nicht überleben. nicht nur Vergangenes bewahren, Engagement entstanden und doku- schlossen. Der Bereich Kultur ist un- Weil die Frage, wie wir leben und wie Bundeskulturpolitik darf die Förderung sondern ebenso den Dialog über zeit- mentiert wurden, muss es politisch ter der Überschrift „Aufbruch in die wir leben wollen, vor allem auch eine hier nicht den Ländern und Kommu- genössische Bau- und Städtebaukul- bei der regionalen Verantwortung Wissensgesellschaft“ zu finden. Frage der Kultur ist, so ist der Wechsel nen, die den größten Teil der Kultur- tur pflegen. bleiben und die Gedenkstätten ihre zu einer ökologisch verantwortlichen ausgaben tragen, überlassen, sondern inhaltliche Unabhängigkeit behalten. V. KULTUR Lebensweise auch eine Frage von muss sich durch Förderung exemplari- Kulturelles Erbe Ein Manko der Nichtdebatte dieser Kunst, Kultur und Kulturpolitik. Die Fra- scher, herausragender Projekte auch Frage in der Föderalismuskommissi- Kultur ist Lebenselixier. Sie ist gera- ge nach unserer Zukunft verbindet Kul- vor Ort engagieren. Wir müssen wissen, woher wir kom- on wird hier deutlich. Statt sich zu ei- de in einer Welt wachsender Unüber- tur und Nachhaltigkeit. men, um zu wissen, wohin wir gehen. ner gemeinsamen Verantwortung zu sichtlichkeit von herausragender Be- Kulturgut Sport Die Auseinandersetzung mit unserer bekennen, die zu einer anteiligen Fi- deutung. Kultur entsteht in der Aus- Kulturförderung als Geschichte – insbesondere mit dem nanzierung aller führen könnte, ähn- einandersetzung der Menschen mit öffentlicher Auftrag Sport ist ein wichtiges Kulturgut unse- Nationalsozialismus – ist ein Funda- lich wie beim Preußischen Kulturbe- ihrer Umwelt, mit Geschichte, Gegen- rer Zeit. Bewegung, Spiel, gemeinsam ment unserer Demokratie. Die histo- sitz, lässt man den Bund und das je- wart und Zukunft. In vielfältigen Aus- Aufgabe der öffentlichen Kulturpolitik Erlebtes, Erfolge und die Verarbeitung rischen Orte mit Mahnmalen, Muse- weilige Sitzland der Gedenkstätte die drucksformen reflektiert die Kunst ist es, kulturelle Aktivitäten und künst- von Niederlagen fördern das Selbstbe- en, Gedenkstätten, Archiven und Bi- Finanzierung allein schultern. Ein Erfahrungen, die Menschen mit sich lerische Betätigung für möglichst viele wusstsein der Menschen. Sie tragen bliotheken sind wichtige Lernorte le- Unding, wie sich viele Länder sich vor selbst, mit der Natur und der Gesell- Menschen zu ermöglichen. Dabei geht auch zur Entwicklung sozialer Kompe- bendiger Erinnerungskultur, die uns der gemeinsamen Verantwortung für schaft machen. Sie bietet normative eine demokratische Kulturpolitik von tenzen, von Leistungsbereitschaft, to- Erfahrungen der Vergangenheit für die Unrechtsgeschichte in unserem und ästhetische Orientierungen für der Gleichberechtigung vielfältiger kul- lerantem und fairem Verhalten sowie zukünftiges Handeln bewusst ma- Land drücken! das Leben der Einzelnen und der Ge- tureller Bedürfnisse der verschiedenen zu mehr bürgerschaftlichem Engage- chen. sellschaft. Bevölkerungsgruppen und Nationalitä- ment bei. Dafür sind die Rahmenbe- Hauptstadtkultur ten in Deutschland sowie von der dingungen weiter zu verbessern. Ehren- Geschichte trägt sich gerade auch in Kultur und Gleichwertigkeit von traditionellen Kul- amtliches Engagement im Sport ist von der jeweiligen Nachbarschaft zu. Des- Nun gibt es also einen neuen Haupt- Selbstbestimmung turinstitutionen, neuen innovativen hohem gesellschaftlichen Wert und halb sind die vielen kleinen Initiati- stadtvertrag zwischen Berlin und Kunstformen und freien soziokulturel- deshalb in besonderer Weise zu stär- ven und Einrichtungen, die die lokale dem Bund, der weitreichende Aussa- Kulturelle Vielfalt, künstlerische Frei- len Projekten aus. Unsere Aufmerksam- ken. Sport kann nur in einer gesunden Erinnerungskultur lebendig halten, gen auch zur Kultur in der Hauptstadt heit, der Zugang zu kultureller Bildung keit gilt auch der Förderung von Spra- und intakten Umwelt ausgeübt werden. durch Kommunen und Länder zu för- enthält. Die Finanzierung des größ- sind zentrale Voraussetzungen für chen und Kulturen der autochthonen Umweltverträgliche Sportausübung und dern. Die Bundesförderung für die an ten Teils der Sanierung der Staatsoper Freiheit und Selbstbestimmung. Der Minderheiten, wie zum Beispiel der Sor- umweltgerechte Sportstätten sind ein NS-Verbrechen und das Unrecht des ist ein wichtiges Signal der Mitverant- Kulturbegriff hat sich erweitert. Die ben. Ausdruck hierfür. Der Staat fördert auf SED-Regimes erinnernden Gedenk- wortung des Bundes für die Oper. Die Vielfalt kultureller Sparten und die allen Ebenen gemäß seiner Zuständig- stätten ist unverzichtbar. Koppelung der zugesagten 200 Mio. wechselseitige Durchdringung ver- Die Bundesrepublik Deutschland hat keiten Breiten- und Gesundheitssport, Euro daran, das Berlin der Staatsoper schiedener Kulturen finden ihr Spie- mit ihrer föderalen Struktur einer vor Behinderten- wie auch Spitzensport. Zeugnisse der Vergangenheit sind jährlich zehn Millionen Euro mehr gelbild in den Lebensformen und Le- allem durch Kommunen und Bundes- Die öffentliche Förderung für den Sport eine Grundlage für das historische gibt, zwingt nun das Land, auch die bensstilen moderner Gesellschaften. länder finanzierten Kulturförderung eine ist nur dann gerechtfertigt, wenn Sport und kulturelle Gedächtnis der Gesell- beiden anderen Opern und das Die Durchlässigkeit und Vermischung weltweit bemerkenswert vielfältige Kul- und Training nach humanen Prinzipien, schaft. Sie machen immer wieder Er- Staatsballett besser auszustatten. Aus der Kulturen als untrennbarer Be- turlandschaft geschaffen. Darüber hi- fair und ohne Doping betrieben werden. fahrungen der Vergangenheit bewusst kulturpolitischer Sicht ist jeder Euro standteil der Globalisierung schlägt naus ist eine stärkere Rolle des Bun- Die Gesundheit der Sportler muss im und tragen zur Lebensqualität der mehr im Berliner Kulturhaushalt sich in jedem persönlichen Lebens- des in der Kulturpolitik wünschenswert, Vordergrund stehen. Städte, Dörfer und Landschaften bei. selbstverständlich zu begrüßen. Die entwurf, in jeder Stadt und auf jeder um dadurch die Förderung von Kunst Das bauliche Erbe ist Fundament für Fixierung der Mittelsteigerung allein Homepage nieder. Der Kunstbegriff ist und Kultur auf eine breitere Basis zu Kultur der Stadt – Kultur eine qualitätsvolle zeitgenössische auf die Opernhäuser ist bei einem in offen und muss vor staatlichen Zu- stellen und die internationale Wahrneh- im ländlichen Raum Bau- und Städtebaukultur. vielen Bereichen, vor allen der freien griffen und Vereinnahmungen ge- mung zu intensivieren. Deshalb befür- Kulturszene, dramatisch unterausge- schützt werden. Die Definition von worten wir in ausdrücklicher Anerken- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für Kultur in Europa – stattetem Haushalt allerdings ziem- Kunst ist – nicht nur unter den Künst- nung der Kulturhoheit der Länder, die die Förderung einer vielfältigen Stadt- Kulturen der Welt lich problematisch. lerinnen und Künstlern selbst – seit Kulturpolitik auf der Bundesebene auf- kultur. Die europäische Stadt war die Der alte Hauptstadtkulturvertrag jeher umstritten. Dieser Streit ist of- zuwerten und die Kultur als Gemein- Wiege der Demokratie, der Selbstver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen bleibt als „Sonderhilfe des Bundes“ fen zu halten und kann nicht politisch schaftsaufgabe im Grundgesetz zu ver- waltung der öffentlichen Angelegenhei- eine aktive Begegnung der Kulturen weiterhin in Kraft und fördert unstruk- entschieden werden. ankern, um ihrer gewachsenen Bedeu- ten durch die Bürgerinnen und Bürger. der Welt. Dies trägt zu gegenseitigem turiert ein Sammelsurium von Kultur- tung gerecht zu werden. Zu den urbanen Traditionen, die wir Respekt, zu Anerkennung und Tole- institutionen. Allein der Hauptstadt- Kulturelle und technische Innovatio- bewahren und weiterentwickeln wollen, ranz bei. Auf kultureller Ebene kann kulturfonds hat sich bewährt. Aller- nen sind in modernen Gesellschaften Es ist eine zentrale Aufgabe unserer gehört die Offenheit der Stadt für neue die Verständigung und Auseinander- dings ist dieser Fonds inzwischen in auf vielfache Weise verwoben. Kultu- Politik, Freiräume für Kunst und Krea- Ideen, für Zuwanderung und die Viel- setzung von Menschen unterschied- seine eigene Erfolgsfalle getappt, denn relle Offenheit fordert zu einem offe- tivität zu sichern und zu fördern. Kultur falt von Lebensstilen und Kulturen, ge- licher Herkunft, Religionen und Le- immer mehr Projekte sind in regelmä- nen und abwägenden Umgang mit und Kunst gehen von den Menschen hört ihre dichte politische und kultu- benskonzepten in besonderer Weise ßige Festivals umgewandelt worden, den neuen Kulturtechniken in elektro- aus, nicht vom Staat. Der Staat hat die relle Öffentlichkeit und das gleichbe- gelingen. Keine der beteiligten Kultu- für die nun Jahr für Jahr immer neue nischen Medien heraus. Kultur und Aufgabe, den kulturellen und künstle- rechtigte Zusammenleben von Men- ren darf die andere beherrschen wol- Finanzierungsquellen gesucht werden Kunst geben auch solchen neuen ge- rischen Anliegen in der Gesellschaft schen unterschiedlicher sozialer Her- len. Kultureller Austausch ist unver- müssen, wofür es im Landeshaushalt sellschaftlichen Entwicklungen Aus- Raum zu geben und Rahmenbedingun- kunft. Die Städte müssen ihre Identi- zichtbar für ein tolerantes, friedliches kein Geld gibt. Deshalb sollte der druck und Interpretation. gen zu schaffen, in denen sie sich frei tät als Handels-, Kultur- und Kommu- Zusammenleben, und nur die Kultu- Fonds um eine „zweite Säule“ erwei- entfalten können. Mit einer so verstan- nikationszentren bewahren und fortent- ren, die sich austauschen, bleiben tert werden, damit erfolgreiche Festi- Kultur und Demokratie denen Kulturpolitik fördert er die Ent- wickeln – mit lebendigen Innenstädten entwicklungsfähig. Kulturpolitik ist vals eine dauerhafte Förderung be- wicklung personaler und gesellschaft- und Stadtteilen, unverwechselbarer Friedenspolitik. kommen können. Bis auf den Haupt- Kulturschöpfungen und kulturelle Prä- licher Identität. Jugendkultur braucht Baukultur, städtebaulicher Eigenart und stadtkulturfonds ist ein Hauptstadt- sentationen bieten starke Antriebs- Räume, um sich zu treffen und zu kom- Nutzungsvielfalt und einem regen ge- Wir begreifen kulturelle Verständigung kulturvertrag völlig überflüssig, denn kräfte hin zu einer freien und demo- munizieren. Sie braucht Jugendzentren, sellschaftlichen Leben. als Schlüssel für ein zusammenwach- besondere kulturelle Hauptstadtauf- kratischen Gesellschaft. Die formsu- Proberäume, Auftrittsmöglichkeiten, sendes Europa. Darüber hinaus ist der gaben sind nicht auszumachen, wenn chende und formgebende Dynamik Clubs, Kinos und vieles mehr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten für internationale Kulturaustausch im es allgemein gültige Kriterien für Bun- der Kunst ist unverzichtbarer Bestand- die Erhaltung und Pflege kultureller Äu- Rahmen einer aktiven auswärtigen desförderungen gibt. teil einer lebendigen Demokratie. Bündnisgrüner Politik geht es darum, ßerungen und Lebensformen des länd- Kulturpolitik weiter zu entwickeln. Deswegen ist ein einfaches Wei- allen Gesellschaftsschichten und -grup- lichen Raums ein. Nachhaltiger und ter so der falsche Weg. Kulturpolitik Gegenseitiger Respekt, Anerkennung pen den Zugang zu Kunst und Kultur sorgsamer Umgang mit der Natur als Zur Kultur eines Einwanderungslands muss Rahmenbedingungen setzen, der persönlichen Integrität des Ande- offen zu halten. selbstverständlichem Teil der Kultur gehört die Offenheit gegenüber Men- um Spielräume zu schaffen für Neues ren, Entfaltung der intellektuellen, äs- sind im ländlichen Raum vielfältig aus- schen aus anderen Kulturen, Ethnien und Kreatives. Würden die politisch thetischen und sinnlichen Begabun- Auch dort, wo sich kulturelle Bereiche geprägt. Lokales Brauchtum und und Religionen. Ein besonderes Au- Verantwortlichen sich für Reformen gen, Offenheit für das Abweichende, selbst tragen, muss Kulturpolitik über sprachliche Besonderheiten sind ein genmerk liegt hierbei auf der Begeg- ein wenig Zeit lassen, könnte am Marginalisierte und Ausgeschlossene die Gestaltung der Rahmenbedingun- wichtiger Teil unserer kulturellen Wur- nung der Kulturen und der Förderung Ende vielleicht ein tragfähiges För- sind wesentliche Elemente einer gen fördernd tätig werden, zum Beispiel zeln. Die Kultur im ländlichen Raum lebt von Kunst und Kultur der in Deutsch- derkonzept für Bundeshilfen im Be- bündnisgrünen Kulturpolitik. Politik durch die soziale Sicherung von Künst- im Spannungsverhältnis ihrer eigenen land lebenden MigrantInnen. Ihre reich Kultur herauskommen, bei dem muss sich für die Pluralität der Le- lerinnen und Künstlern oder die weite- Traditionen und der Begegnung mit Kreativität ist eine Ressource, die ge- nicht jedes Mal neu diskutiert wird, bensstile öffnen und die Verallgemei- re Gestaltung des Stiftungs- und Steu- aktuellen Entwicklungen. Kultur wird sellschaftliche Innovation hervor- warum das Geld fließt. Gäbe es einen nerung eines Lebensstils oder einer errechts. Die öffentlich getragenen und zum wichtigen Identifikationsmerkmal bringt. Interkultureller Dialog wird so Konsens in der Förderlogik des Bun- vermeintlichen Leitkultur zu Lasten finanzierten Kultureinrichtungen bilden in der Region, wenn es dem ländlichen zu einer gesellschaftlichen Bereiche- des, könnten unbotmäßige Debatten anderer verhindern. gemeinsam mit dem privatwirtschaftli- Raum gelingt, seine Eigenständigkeit zu rung, die Erkenntniszuwachs berei- über die Berlin-Förderung entfallen. chen Kultur- und Kunstbereich und dem erhalten und nicht zum gesichtslosen tet und individuelles Selbstverständ- Diese langfristige Konzept muss her, Gerade für die heranwachsende Ge- in den letzten Jahren stark gewachse- „Umland der Stadt“ abzugleiten. Des- nis vertieft. Andere als gleichberech- jenseits aller Parteipolitik. neration sind frühe und intensive Be- nen frei gemeinnützigen Kultursektor halb ist es unsere Aufgabe, regionale tigt gelten lassen zu können, setzt gegnungen mit Kultur und Kunst und die drei Säulen des bundesrepublika- Kulturlandschaften zu stärken und zu voraus, auch über Kenntnis und Die Verfasserin ist kulturpolitische das Erfahren von Toleranz, Neugier nischen Kultursystems. Eine offene Kul- profilieren. Wertschätzung der eigenen Kultur zu Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/ und Selbstvertrauen in die eigene Kre- turpolitik darf kommerzielle Kulturan- verfügen. Die Grünen im Berliner Abgeordne- ativität von herausragender Bedeu- gebote nicht primär als Gefahr sehen. Ein vorausschauender Denkmalschutz tenhaus und Vorsitzende des tung. Freie und privatwirtschaftliche Kultur- soll bauliche Zeugnisse der Vergangen- Ausschusses für kulturelle Angele- genheiten KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 8

Mitteilungen von ganz anderer Art Die kulturpolitische Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung • Von Jan Engelmann Über seine eigene Zunft sagte Hein- darin, immer neue Plattformen für rich Böll in den Frankfurter Vorle- den Dialog von ästhetischer und poli- sungen: „Schriftsteller (…) zahlen tischer Praxis zu entwickeln. In unse- ihre Steuern, zahlen im statisti- rer Veranstaltungsreihe „Spielstand“ in schen Durchschnitt ihre Miete, ih- den Berliner Sophiensaelen diskutie- ren Strom und ihr Gas – das ist ihre ren Schriftsteller wie Burkhard Spin- einzige Berührung mit dem Staat –, nen oder Annette Pehnt, Regisseure ich glaube, mehr ist aus diesem wie Andres Veiel oder Daniel Wetzel Verhältnis nicht herauszuholen.“ (Rimini Protokoll), Popmusiker wie Frank Spilker (Die Sterne) oder Melis- st es nicht? Einmal abgesehen sa Logan (Chicks On Speed) über I davon, dass die Energieversorger drängende kulturpolitische Fragen: heutzutage immer häufiger Privat- Welche Einspruchsmöglichkeiten ha- unternehmen sind, steht das dama- ben Künstler im öffentlichen Diskurs? lige Understatement Bölls im Wider- Wie ist die soziale Lage von Alleinselb- spruch zu den kulturpolitischen Rea- ständigen in der Kreativwirtschaft zu litäten. Auf schätzungsweise 8 Milliar- bewerten? Was bedeutet Autorschaft den Euro summieren sich die Kultur- im digitalen Zeitalter? ausgaben in Bund, Ländern und Ge- Bei solchen Veranstaltungen wird meinden; insbesondere Schriftsteller deutlich, dass sich Kulturschaffende profitieren von den öffentlichen Sub- schwer damit tun, Lösungen für ge- ventionen für Bibliotheken, Literatur- sellschaftliche Probleme zu verabrei- häuser und städtische Bühnen sowie chen, einfache Antworten auf kom- den mehr als fünfhundert zum Teil plexe Fragen zu geben. Häufig sind hochdotierten Literaturpreisen, die sie sich unsicher, wie sie ihre beson- hierzulande vergeben werden. Bei die- deren Fähigkeiten und Qualitäten sem reichhaltigen Investment in Kul- einbringen können, ohne gleich von tur soll sich kein Verhältnis herausge- irgendeiner Seite vereinnahmt zu bildet haben? Nun, Bölls Punkt war werden. Ihre Erfahrung lehrt sie, dass wohl ein anderer. Die „Mitteilungen“ allzu oft ihr dekorativer Wert, nicht Torsten Ehrke, Mitarbeiter der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, im Gespräch mit Gabriele Schulz vom der Literatur seien „von ganz anderer aber ihre persönliche Meinung als Deutschen Kulturrat. Foto: Stefanie Ernst Art als die der Politik“, heißt es an glei- Staatsbürger gefragt ist. Angesichts cher Stelle. Und in der Tat scheint es dieser skeptischen Distanz zum Poli- der dänische Karikaturenstreit in wende“ der Auswärtigen Kultur- und andere Projekte, teilweise in Koopera- mir diese unterschiedliche Codierung tikbetrieb übernimmt die Heinrich- neuer Dringlichkeit vor Augen ge- Bildungspolitik (AKBP) angekündigt tion mit dem Goethe-Institut durch- von Kommunikation zu sein, die Böll-Stiftung vor allem eine Modera- führt. Projekte wie die „Arabisch-ira- hatte, zielte die Große Anfrage der geführt, zielen auf den Abgleich ver- oftmals unausgesprochen im Zen- torenrolle beim Versuch, Perspekti- nischen Filmtage“ oder die Konferenz Grünen Bundestagsfraktion auf eine schiedener Denk- und Handlungs- trum kulturpolitischer Debatten steht. ven miteinander zu vergleichen und und Ausstellung „Identitiy vs. Globa- kritische Überprüfung ihres Aufga- muster, um daraus Schlüsse für globa- Derzeit wird das kulturelle Feld mit politische Handlungskonzepte für die lization“ mögen als Beispiele dafür benkatalogs. Anlässlich der Antwort le Transformationsprozesse zu ziehen. Ansprüchen geradezu überhäuft: Kultur- und Wissensgesellschaft des genügen, dass die Heinrich-Böll-Stif- der Bundesregierung diskutierte Dabei kann die Heinrich-Böll-Stiftung Dort, wo das Leitmedium Fernsehen 21. Jahrhunderts zu entwickeln. tung ständig darum bemüht ist, den Uschi Eid (MdB Bündnis 90/Die Grü- vor allem von der landeskundliche n auf Quoten fixiert ist, sollen Theater- Doch der Austausch mit Künst- Resonanzraum des interkulturellen nen) gemeinsam mit Cord Meier- Kompetenz und dem hohen Vernet- stücke die soziale Wirklichkeit abbil- lern und Kreativen erfordert starke Dialogs zu erweitern. Neben dem Klodt (Auswärtiges Amt), Hans-Georg zungsgrad ihrer Auslandsbüros profi- den. Dort, wo die Bildungsinstitutio- Impulse von außen, will er nicht stets Kontakt zu internationalen Künstlern Knopp (Goethe-Institut) und Kurt- tieren. Für 2008 haben sich in diesem nen unter Reformzwang und Ergeb- auf die vergleichsweise luxuriösen und zivilgesellschaftlichen Akteuren Jürgen Maaß (ifa) über eine erneuer- Zusammenhang zwei größere Vorha- nisdruck leiden, soll die flächendeck- Gegebenheiten einer selbstbewuss- ist dabei auch der intensive Aus- te Aufgabenbestimmung der Außen- ben herauskristallisiert: ein deutsch- ende Verteilung von Musikinstru- ten Kulturnation zurückgeworfen tausch mit Partnerstiftungen oder kulturpolitik und eine stärkere Koo- israelischer Schriftstelleraustausch menten den neuen Menschen her- sein. So muss Kulturpolitik auch die Bundesinstitutionen von entschei- peration der Mittlerorganisationen anlässlich des 60. Jubiläums der vorbringen. Dort, wo Menschenrech- Schwierigkeiten ihres vielgestaltigen dender Bedeutung. untereinander. Staatsgründung Israels sowie eine te mit Füßen getreten werden, sollen Gegenstandbereichs adressieren, um Das hochrangig besetzte Round- Ohne in deren Struktur eingebun- Tagung zur Meinungsfreiheit in der Autoren Vorkämpfer für die Mei- produktiv und realitätstauglich zu table „Kultur in neuer Mission?“ im den zu sein, versteht sich die Hein- Türkei. Eines ist sicher: Die Mitteilun- nungsfreiheit sein. Keine Frage, dass bleiben. Dass kulturelle Differenzen März 2007 hat deutlich gemacht, dass rich-Böll-Stiftung durchaus auch als gen der Literatur, sie werden auch so mancher vom Kunstglauben der und abweichende Kulturtraditionen der Kulturarbeit in den internationa- Ort für den internationalen Kulturaus- dort gehört werden. Politik profitiert. Doch der Unwille, im internationalen Kontext keine len Beziehungen weiterhin ein wich- tausch. Nicht nur das Böll-Haus in solche hehren Erwartungen als allge- „soften“ Konfliktfelder darstellen, tiger Stellenwert zukommt. Nachdem Langenbroich stärkt mit seinen mehr- Der Verfasser ist Referent für Kunst mein gültige Selbstbeschreibung zu haben der Mord am holländischen Außenminister Frank-Walter Stein- monatigen Stipendien für ausländi- und Kultur der Heinrich-Böll- akzeptieren, eint die Künste quer Filmemacher Theo van Gogh oder meier im Herbst 2006 eine „Trend- sche Künstler dieses Ansinnen. Viele Stiftung durch die Genres. Man tut also gut daran, ihnen ihren Eigensinn nicht abzusprechen. Für die politische Bildungsarbeit stellt sich die Herausforderung, das Die kulturpolitische Seele der Grünen kulturelle Feld zu beackern, ohne – um Ein Kommentar von Olaf Zimmermann im Bild zu bleiben – einen Raubbau zu betreiben. Die Kunst kann uns mit ih- Als 1988 unter dem Dach des Stif- wurde das Programm, kleiner als von dienen, zum anderen sind es aber ge- Grünen hier die Zeichen der digitalen rer wichtigsten Ressource, dem krea- tungsverbandes „Regenbogen“ René Böll und mir gewünscht, realisiert. rade die Grünen, die trotzdem den Ei- Zeit möglicherweise schneller und tiven Spiel mit Möglichkeiten, zwar gleich drei grünnahe politische Die direkte Förderung von Künstlern in genwert der Kunst erkennen und ach- deutlicher erkannt haben als andere. anregen und zu neuen Sichtweisen Stiftungen gegründet wurden, war Afrika und Asien und ein kleines, aber ten. führen, entlasten von der eigenen Po- unter ihnen auch die Heinrich-Böll- feines Stipendienprogramm als „Artist Kulturpolitische Verantwortung in Lan- sitionsbestimmung und der oftmals Stiftung in Köln. Dies war ein No- in Resistenz“ in Bonn waren ein No- Vielleicht ist das der Grund dafür, dass desregierungen und der Bundesregie- schwierigen Entscheidungsfindung vum, denn die anderen Parteien in vum, das Maßstäbe für andere Förde- Künstler, wenn sie sich überhaupt ei- rung haben die Grünen bislang nur äu- im politischen Prozess kann sie uns Deutschland nennen „ihre“ Stif- rungsprogramme setzte. Heute gibt es ner politischen Richtung zugehörig füh- ßerst zurückhaltend wahrgenommen. ganz sicher nicht. In diesem Sinne tungen nach Politikern, wie Fried- dieses Programm nicht mehr, zwischen len, deutliche Sympathien für die Grü- Michael Vesper als ehemaliger Kultur- sind die kulturpolitischen Aktivitäten rich Ebert, Konrad Adenauer oder Ökologie und Nachhaltigkeit, Demokra- nen erkennen lassen. Dass es gerade minister von Nordrhein-Westfalen und der Heinrich-Böll-Stiftung in erster Rosa Luxemburg, nicht aber nach tie und Menschenrechte, Selbstbestim- die Grünen waren, die in den ersten Joschka Fischer als für die Auswärtige Linie Annäherungen an kulturelle Mi- Künstlern. Sind die Grünen etwa mung, Gerechtigkeit und Geschlechter- Jahren der Rot-Grünen-Bundesregie- Kultur- und Bildungspolitik zuständiger lieus, Probebohrungen nach mögli- die Künstlerpartei in Deutschland? demokratie war nicht genügend Platz rung heftig an der Künstlersozialkasse ehemaliger Außenminister sind hier die chen Verbindungspunkten. Dabei lei- für ein solches elitäres Programm der rumbohrten, hat viele Künstler darum seltenen Ausnahmen. In der politi- tet uns eher ein angelsächsisches Ver- Als Anfang der neunziger Jahre des Förderung von Künstlerinnen und besonders verschreckt. Auch war der schen Agenda der Grünen steht Kul- ständnis von cultural politics – also ein letzten Jahrhunderts René Böll, der Künstler aus der so genannten Dritten grüne Bundesaußenminister unter Ger- turpolitik nicht in der ersten Reihe. Interesse an den einerseits impliziten, Sohn von Heinrich Böll, mich bat, für Welt. hard Schröder einer jener Grünen-Ver- andererseits zugeschriebenen politi- die Heinrich-Böll-Stiftung eine Kon- treter, die Kunst nur dann gelten las- In der Themenauflistung der Heinrich- schen Potenzialen von kulturellen Pra- zeption für ein internationales Künst- In der Selbstdarstellung der neuen sen, wenn sie einen vermeintlichen um- Böll-Stiftung im Internet steht Kunst xen und Erzeugnissen – als das admi- lerförderungsprogramm zu entwickeln Heinrich-Böll-Stiftung, die 1997 aus mittelbaren Nutzen für die Gesellschaft und Kultur, hinter Geschlechterdemo- nistrative Verhältnis zu Museen, Spiel- und umzusetzen, konnte ich einen tie- den drei grünnahen Stiftungen hervor- erkennen lässt. Unter Joschka Fischer kratie, Migration, Ökologie, Entwick- stätten oder Förderinstitutionen, das fen Blick in die kulturpolitische Seele ging und jetzt in Berlin ihren Sitz hat, wurde die Auswärtige Kultur- und Bil- lungspolitik, Europapolitik u.a. auf mit dem deutschen Begriff „Kulturpo- der Grünen werfen. Über wenige Pro- findet man den Satz: „Unser Namens- dungspolitik nicht nur heftig gerupft, dem vorletzten Platz. Hier sollte nicht litik“ gemeint ist. Die spannende Fra- jekte wurde ausgiebiger in der Hein- geber, der Schriftsteller und Nobelpreis- sondern auch in einem bis dahin nicht nur der Name der Stiftung mehr Pro- ge lautet dabei, ob die politische Bil- rich-Böll-Stiftung debattiert als über träger Heinrich Böll, steht für eine Hal- gekannten Umfang in Dienst für die na- gramm sein, sondern als think tank dungsarbeit und die diversen Formen dieses Künstlerförderungsprogramm. tung, der wir uns selbst verpflichtet se- tionale Interessenpolitik genommen. der Partei hat die Stiftung eine Ver- ästhetischer Produktion voneinander Heftig gestritten wurde darüber, ob es hen: Verteidigung der Freiheit, Zivilcou- Eine schwierige Debatte führen die Grü- antwortung dafür zu sorgen, dass grü- lernen können. Dieser wechselseitige denn zur grünen Identität gehöre, rage, streitbare Toleranz und die Wert- nen auch in der Urheberrechtspolitik. ne Kulturpolitik deutlicher sichtbar Austauschprozess muss oftmals unter Künstler direkt und unmittelbar zu schätzung von Kunst und Kultur als ei- Das Verhältnis von Verbraucherrechten wird. Vielleicht wird ja dann irgend- Mühen organisiert werden. Lohnens- fördern. Ob es grüner Politik entsprä- genständige Sphären des Denkens und und dem auch materiellen Wert des wann die erste Bundeskulturminister- wert sind diese Versuche allemal. che, den einzelnen Künstler als hoch- Handelns.“. Dieser Satz umschreibt tref- Geistigen Eigentums der Künstler wird in eine Grüne sein. Vielfältige Kooperationen der begabten Individualisten deutlich aus fend das Verhältnis der Grünen zur Kul- in den Diskussionen bei den Grünen Heinrich-Böll-Stiftung mit Kulturpro- der Masse herauszuheben und ihn mit tur und den Künsten. Zum einen soll nicht selten zu ungunsten der Künstler Der Autor ist Geschäftsführer des jekten, etwa dem Talent Campus der durchaus nicht unerheblichen Förde- Kunst und damit letztlich auch immer verschoben. Wenngleich man gerade Deutschen Kulturrates und Heraus- Berlinale oder dem Vermittlungsbe- rungsmittel zu unterstützen? Letztlich die Künstler höheren wertvollen Zielen bei dieser Frage sagen muss, dass die geber von politik und kultur reich der documenta, bestärken uns KULTURPOLITIK DER GRÜNEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 9

Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen grüne Koalition in Hessen beendet. Ab verbindungen zwischen Grünen und Sachsen und scheitert die Vorgeschichten: 1977 bis 1979 Regieren? Streit der Mai 1987 intensive Auseinanderset- Bürgerbewegung. Sie erreichen Land- Partei an 5-Prozent-Hürde. Im Oktober Strömungen: 1984 bis 1989 zungen zwischen den verschiedenen tagsmandate. In Mecklenburg.-Vor- 1994 Einzug in den Deutschen Bundes- Seit 1977 Gründung von grünen oder Parteiströmungen. Es ist von einer pommern konkurrieren Bündnis 90 und tag. Mit wird erstmals eine bunten Listen, die für Kreistage kandi- Im Januar 1984 Beschluss der außer- Spaltung der Partei die Rede. Im März Die Grünen. Beide schaffen den Ein- Grüne Vizepräsidentin des Deutschen dieren. Im November 1977 Gründung ordentlichen Bundesversammlung, 1988 Gründung einer grünnahen Stif- zug in den Landtag nicht. In Branden- Bundestags. Im Oktober 1994 gelingt der wertkonservativen Grünen Liste Um- dass auch bei Abgeordneten des Euro- tung (Stiftungsverband Regenbogen burg scheitern die Grünen. Bündnis 90 in Thüringen und Mecklenburg-Vorpom- weltschutz (GLU) in Niedersachsen. Im paparlaments das Rotationsprinzip gilt. aus den Stiftungen: Buntstift, Heinrich- ist im Landtag vertreten und arbeitet mern der Einzug in den Landtag nicht. März 1978 Gründung der „Aktionsge- Im Juni 1984 Einzug in das Europäi- Böll-Stiftung und Frauen-Anstiftung.). in einer Ampelkoalition mit der SPD und Im Saarland erstmals im Landtag ver- meinschaft Unabhängiger Deutscher“ sche Parlament. Im Dezember 1984 Im Januar 1989 erreicht die Alternati- der FDP mit. Im Dezember 1990 schei- treten. Im Mai 1995 Bildung der ers- (AUD). Im Juli 1978 Gründung der wird in einer Resolution beschlossen, ve Liste (AL) 11,8 % bei der Wahl des tern die Die Grünen in Westdeutsch- ten rot-grünen Koalition in NRW. Im März „Grünen Aktion Zukunft“ (GAZ) durch dass „zur Zeit keine Möglichkeit der Berliner Abgeordnetenhauses. Sie land an der 5-Prozent-Hürde, in Ost- 1996 Zusammenführung des Stiftungs- den ehemaligen CDU-Bundestagsabge- Koalition oder Regierungsunterstützung schlägt der SPD eine Koalition vor. In deutschland erreicht Die Grünen/Bünd- verbunds Regenbogen in der Heinrich- ordneten Herbert Gruhl. Zur Wahl des auf Bundesebene“ gesehen wird. Auf der DDR Gründung von Demokratie nis 90 6 % und zieht in den Deutschen Böll-Stiftung. Im März 1996 Bildung ei- Europäischen Parlaments Gründung Orts-, Kreis- oder Landesebene können Jetzt, Neues Forum, Vereinigte Linke, Bundestag. Im Dezember 1990 Zu- ner rot-grünen Koalition in Schleswig- des Listenbündnisses DIE GRÜNEN die jeweiligen Gremien über eine Zu- Grüne Partei, Grüne Liga und Unabhän- sammenschluss der ost- und west- Holstein. Im November 1997 Bildung durch Delegierte von AUD, GLU und sammenarbeit entscheiden. Im März giger Frauenverband. November 1989 deutschen Grünen. zur rot-grünen Koalition in Hamburg. Im GAZ sowie anderen Initiativen als 1985 weigert sich die Bundestagsab- Gründung der Grünen Partei der DDR. September 1998 Wahlsieg von rot- „Sonstige politische Vereinigung“ geordnete Petra Kelly zu rotieren. Im grün bei der Bundestagswahl. Joschka (SPV). Bei der Bürgerschaftswahl in März 1985 (Wahl im Saarland) und Mai Der Weg zu BÜNDNIS 90/ Fischer wird Außenminister, Jürgen Trt- Bremen im Oktober 1979 kommen 1985 (Wahl in Nordrhein-Westfalen) Wahldebakel: 1990 DIE GRÜNEN: 1991 bis 1993 tin Umweltminister, Ge- erstmals Grüne in ein Landesparla- erreichen die Grünen keine Landtags- sundheitsministerin. ment. Im November 1979 zweite Ver- mandate. Die Forderung nach einer Im Mittelpunkt der Auseinandersetzun- Im Januar 1991 Bildung von erneuter sammlung der SPV mit dem Beschluss Orientierung auf rot-grün auch auf Bun- gen im Jahr 1990 steht die Haltung rot-grüner Koalition in Hessen. Im April die SPV im Jahr 1980 in eine Partei desebene wird laut. Hiergegen gibt es der Grünen zur deutschen Einheit: Zwei- 1991 Strukturreform der Partei. Im Regierungsbeteiligung auf umzuwandeln. auch starken Protest. Oktober 1985 staatlichkeit, Konföderation oder Ver- September 1991 Bildung einer Am- Bundesebene: 1999 bis 2005 Bildung der ersten rot-grünen Koaliti- einigung? Der Bundestagswahlkampf pelkoalition in Bremen mit der SPD und on auf Landesebene in Hessen. Josch- wird unter anderem mit dem Motto be- der FDP. Im September 1991 Grün- Die rot-grüne Regierung stellt im Ja- Die ersten Jahre 1980 bis 1983 ka Fischer wird Umweltminister. Mari- stritten: „Alle reden von Deutschland. dung der Partei Bündnis 90, Beitritt von nuar 1999 ihren Entwurf für das neue ta Haibach Staatssekretärin für Frau- Wir reden vom Klima“. Februar 1990 Demokratie Jetzt und Initiative für Frie- Staatsbürgerschaftsrecht vor. August Im Januar 1980 Gründung der Bundes- enfragen. Im Januar 1986 erstes „Re- Gründungsparteitag der Grünen Partei den und Menschenrechte sowie der 2001 tritt das rot-grüne Gesetz zur partei DIE GRÜNEN. Im März 1980 alo-Treffen“ in Frankfurt/Main, im März der DDR. Nach der Landtagswahl in Hälfte der Mitglieder des Neuen Fo- „Eingetragenen Partnerschaft“ in Kraft. Einzug in den Landtag von Baden- 1986 erstes Treffen der „Linken in den Niedersachsen im Mai 1990 Bildung rums. Im November 1992 Assoziati- März 2002 Beschluss des Grundsatz- Württemberg. Im Juni 1982 Einzug in Grünen“. Im Mai 1986 Beschluss der einer rot-grünen Koalition. September onsvertrag von Bündnis 90 und Die programms „Zukunft ist grün“. Im Sep- die Hamburger Bürgerschaft. Im Sep- Bundesversammlung zur 4-Jahres-Ro- 1990 Parteitag der Grünen Partei der Grünen. Mai 1993 erste ordentliche tember 2002 Bestätigung der rot-grü- tember 1982 Einzug in den Hessi- tation und der Quotierung. September DDR Beschluss des Zusammengehens Bundesversammlung von Bündnis 90/ nen Koalition bei der Bundestagswahl. schen Landtag. Im Januar 1983 Be- 1986 Eröffnung der Umweltbibliothek mit den westdeutschen Grünen. Okto- Die Grünen. Januar 2004 Feier zum 25-jährigen schluss des Rotationsprinzips für Bun- in der Ostberliner Zionskirche, aus die- ber 1990 Vereinigung der beiden deut- Bestehen der Partei. Im September destagsabgeordnete, das hieß Wech- sem Umfeld stammen viele Gründer der schen Staaten. Die -Frak- 2005 Abwahl der rot-grünen Koalition sel der Abgeordneten nach zwei Jah- Grünen Partei Ostdeutschlands. Im tion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlerfolge (und Misserfolge): auf Bundesebene. ren. Im März 1983 Einzug in den September 1986 beschließt die au- benennt sieben Vertreter für den Bun- 1994 bis 1998 Deutschen Bundestag. Sprecher der ßerordentliche Bundesversammlung destag: , Ernst Dörf- ersten Bundestagsfraktion der Grünen Verhandlungen mit der SPD nach der ler, , , Januar 1994 Gründung des Grün-Al- Oppositionspartei im Deutschen waren: -Oberdorf, Pe- Bundestagswahl 1987 als Option. Ein- , Hans-Jochen Tschiche ternativen Jugendbündnis (GAJB). Juni Bundestag tra Kelly und . Parlamenta- zug in den Deutschen Bundestag im Ja- und . Bei Landes- 1994 kommen Bündnis 90/Die Grünen rischer Geschäftsführer wurde Josch- nuar 1987 mit einem Wahlergebnis von tagswahlen in Sachsen, Sachsen-An- in den Landtag von Sachsen-Anhalt und Seit September 2005 Oppositionspar- ka Fischer. 8,3%. Februar 1987 wird die erste rot- halt und Thüringen kandidieren Listen- bilden eine Koalition mit der SPD. In tei im Deutschen Bundestag. KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 10

Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“

Enquete-Kommissionen sind Bera- Aufgrund der Breite des Themenspek- sident Dr. Norbert Lammert, MdB statt. num fand auch die Verabschiedung des Jetzt kommt es darauf an, dass der tungsgremien des Deutschen Bundes- trums ist die Enquete-Kommission ar- Vorsitzende wurde erneut Gitta Conne- Abschlussberichts statt. Wie in der 15. Abschlussbericht mit Leben erfüllt tags. Sie werden auf Beschluss des beitsteilig vorgegangen. Sie hat zu je- mann, MdB (CDU/CSU), ihr Stellvertre- Legislaturperiode vergab die Enquete- wird. Abgeordnete des Deutschen Deutschen Bundestags mit einem im dem der Themenschwerpunkte eine Ar- ter Siegmund Ehrmann, MdB (SPD). Kommission Gutachten, führte Exper- Bundestags müssen sich bestimmter Einsetzungsbeschluss formulierten beitsgruppe eingesetzt. tengespräche und öffentliche Anhörun- Themen annehmen, damit der Ab- Auftrag eingesetzt. Ihre Aufgabe be- Die Enquete-Kommission hatte den gen durch und informierte sich auf schlussbericht nicht nur ein dicker steht darin, dem Deutschen Bundes- Zur zusätzlichen Informationsgewin- Auftrag, die Arbeit aus der 15. Legisla- Kommissionsreisen. Bericht bleibt, sondern in konkrete tag möglichst konkrete Handlungs- nung hat die Enquete-Kommission Gut- turperiode fortzusetzen. Dabei sollten Politik umgesetzt wird. Mitglieder der empfehlungen für gesetzgeberische achten an externe Gutachter vergeben folgende Schwerpunkte vorgenommen Über die Handlungsempfehlungen an Enquete-Kommission geben nachfol- Maßnahmen zu unterbreiten. En- sowie interne Expertengespräche und werden: den Deutschen Bundestag und die gend Auskunft, welche Themen aus quete-Kommissionen gehören neben öffentliche Anhörungen durchgeführt. · Infrastruktur, Kompetenzen und recht- Bundesregierung hinaus hat die En- ihrer Sicht als erstes angepackt wer- Abgeordneten des Deutschen Bun- Darüber hinaus hat ein Teil der Kom- liche Rahmenbedingungen für Kunst quete-Kommission auch den Ländern den sollten. destags gleichberechtigt Sachverstän- missionsmitglieder Reisen in das In- und Kultur in Staat und Zivilgesell- und Kommunen sowie den Institutio- dige Mitglieder an. Die Sachverstän- und Ausland unternommen, um sich schaft nen des kulturellen Lebens Empfehlun- Aber auch die organisierte Zivilgesell- digen Mitglieder werden von den Frak- über die Kultur und Kulturpolitik vor Ort · die öffentliche und private Förderung gen zur Verbesserung der Rahmenbe- schaft wird sich den Bericht vorneh- tionen vorgeschlagen und durch den zu informieren. und Finanzierung von Kunst und Kul- dingungen für Kunst und Kultur unter- men und ihn bewerten müssen. Die Bundestagspräsidenten berufen. tur – Strukturwandel breitet. Gerade im Kulturbereich tragen Fachausschüsse des Deutschen Kul- Geplant war, dass die Enquete-Kom- · die wirtschaftliche und soziale Lage die Kommunen und Länder eine beson- turrates werden sich ab Januar 2008 Die Enquete-Kommission „Kultur in mission ihren Abschlussbericht noch der Künstlerinnen und Künstler dere Verantwortung, es war daher wich- intensiv mit dem Enquete-Bericht be- Deutschland“ wurde am 01.07.2003 vor dem Ende der 15. Legislaturperio- · Kulturwirtschaft – Kulturlandschaft tig, sie bei den Überlegungen zur Ver- fassen und ihre Position darlegen. Sie erstmals eingesetzt. Der Einsetzungs- de im Jahr 2006 vorlegt. Aufgrund der und Kulturstandort besserung der Rahmenbedingungen werden aus der Fülle an Handlungs- beschluss (Bundestagsdrucksache vorgezogenen Neuwahl im Jahr 2005 · Kulturelle Bildung, Kultur in der Infor- von Kunst und Kultur nicht außen vor empfehlungen diejenigen auswählen, 15/1308) wurde einvernehmlich von konnte die Enquete-Kommission ihre mations- und Mediengesellschaft – zu lassen. die am vordringlichsten in der Politik den Bundestagsfraktionen SPD, CDU/ Arbeit nicht fertig stellen. Es wurde Vermittlung und Vermarktung umgesetzt werden sollten. Der Vorsit- CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP daher ein Tätigkeitsbericht über die · Kultur in Europa, Kultur im Kontext der Am 11.12.2007 überreichte die En- zende des Deutschen Kulturrates kom- formuliert. Er wurde von allen Frakti- geleistete Arbeit erstellt. Weiter wurde Globalisierung quete-Kommission „Kultur in Deutsch- mentiert in dieser Ausgabe das Ergeb- onen angenommen (Plenarprotokoll ein Zwischenbericht zu „Kultur als · Kulturstatistik in der Bundesrepublik land“ Bundestagspräsident Dr. Norbert nis der Enquete-Kommission. Die Vor- 15/56). Am 13.10.2003 fand die Staatsziel“ (Bundestagsdrucksache 15/ Deutschland Lammert ihren Abschlussbericht (Bun- sitzenden der Fachausschüsse des konstituierende Sitzung der Enquete- 5560) vorgelegt. In diesem Zwischen- destagsdrucksache 16/7000). Die Deutschen Kulturrates geben eine ers- Kommission unter dem Vorsitz von bericht spricht sich die Enquete-Kom- Die Enquete-Kommission sollte noch Bundestagsdebatte fand am 13.12. te Einschätzung zu dem Bericht ab. Bundestagspräsident Dr. h.c. Wolf- mission einstimmig für die Aufnahme im Jahr 2007 ihre Arbeit abschließen, 2007 zur so genannten Kernzeit von gang Thierse statt. Zur Vorsitzenden des Staatsziels Kultur im Grundgesetz so dass in der laufenden Legislaturpe- 9.00 bis 11.00 Uhr statt (Bundestags- Die Arbeit der Enquete-Kommission wurde die Abgeordnete Gitta Conne- aus. Sie schlägt folgende Formulierung riode die Umsetzung der an den Deut- protokoll 16/133). Bereits die Termin- ist zu Ende. Jetzt beginnt ein neues mann, MdB (CDU/CSU) gewählt. Zu als Art. 20b Grundgesetz vor: „Der schen Bundestag und die Bundesregie- setzung für diese Debatte unterstreicht Kapitel: die Arbeit mit dem Bericht der ihrem Stellvertreter der Abgeordnete Staat schützt und fördert die Kultur.“ rung gerichteten Handlungsempfehlun- die Bedeutung, die diesem Abschluss- Enquete-Kommission. Horst Kubatschka, MdB (SPD). gen erfolgen kann. bericht beigemessen wird. Auf über 500 Im Einsetzungsbeschluss wurden drei In der 16. Legislaturperiode wurde am Seiten wird der Kulturbereich in Deutsch- Stellungnahmen und Einschätzungen Schwerpunktthemen formuliert: 15.12.2005 auf Antrag (Bundestags- Aufgrund der Komplexität der Fragestel- land ausgeleuchtet. Einer Bestandsauf- des Deutschen Kulturrates, Kommen- · öffentliche und private Förderung von drucksache 16/196) der Bundestags- lungen hat die Enquete-Kommission nahme, in der der Sachstand zu einer tare aus der Politik und den Verbän- Kunst und Kultur – Strukturwandel fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Berichterstattergruppen eingerichtet, bestimmten Fragestellung zunächst be- den und Veranstaltungshinweise zum · wirtschaftliche und soziale Lage der Die Grünen, FDP und Die Linke die En- die sich detailliert mit den Fragestel- schrieben wird, folgt eine Problembe- Enquete-Bericht werden laufend un- Künstlerinnen und Künstler quete-Kommission „Kultur in Deutsch- lungen befasst haben. Die Ergebnisse schreibung. Diese Problembeschrei- ter http://www.kulturrat.de/enquete. · Kulturlandschaft und Kulturstandort land“ erneut eingesetzt. Die konstitu- der Berichterstattergruppen wurden bung ist dann die Grundlage für kon- htm veröffentlicht. Deutschland – kulturelle Grundver- ierende Sitzung fand am 13.02.2006 dem Plenum der Enquete-Kommission krete Handlungsempfehlungen der En- sorgung unter der Leitung von Bundestagsprä- vorgelegt und hier diskutiert. Im Ple- quete-Kommission. Die Redaktion

Vielfältige Kulturlandschaft gründlich vermessen CDU/CSU zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Wolfgang Börnsen Deutschland kennzeichnet eine pendium vor, das in Umfang, Vielfalt großartige Kulturlandschaft, die und Konsequenzen ein nationales durch Vielfalt, Qualität und Klasse Kulturbuch von folgenreicher Wir- geprägt ist. Doch es gilt, sie für die kung sein kann, wenn die politisch veränderten Bedingungen des 21. Verantwortlichen entsprechend han- Jahrhunderts zu optimieren. Die deln. Von vielen anderen Kommissi- Bundesrepublik als attraktiver Wirt- onen unterscheidet sich diese Kul- schaftsstandort setzt eine kreative, tur-Enquete dadurch, dass sie unter ideen- wie traditionsreiche Kultur- der umsichtigen Leitung von unse- szene voraus. Der Abschlussbericht rer Kollegin Gitta Connemann, MdB, der Enquete-Kommission „Kultur in ihren Auftrag pünktlich, im Jahr Deutschland“ bietet für diese Ziel- 2007, erfüllt hat. Das verschafft uns setzung eine hervorragende Aus- einen Riesenvorteil: Wir haben die gangsbasis. Chance, zentrale Ergebnisse noch in dieser Wahlperiode in konkrete Po- ie Kulturlandschaft in unserem litik umzusetzen. D Land gleicht einem kräftigen Für CDU und CSU ist dabei ganz und vielgestaltigen Mischwald, ei- klar: Die Kulturpolitik kann nicht der nem blühenden Garten oder üppi- Landschaftsplaner oder -architekt gen Park. Sie zeigt sich hier gehegt sein, denn die Kultur in Deutschland und gepflegt, wuchert dort wild und wächst und gedeiht größtenteils von wirkt hier und da auch mal ein biss- alleine, durch die Initiative, Vorlie- chen schütter. Diese vielfältige ben und Talente der Menschen; die- Landschaft gründlich zu vermessen sen Freiheitsraum gilt es zu sichern. und zu kartographieren, war die vom Die Politik kann die Rolle des Land- Deutschen Bundestag gestellte Auf- schaftsgärtners einnehmen, der hier gabe der Enquete-Kommission Kul- wässert und dort etwas Neues Wolfgang Börnsen, MdB im Gespräch mit Christian Wolfgang Börnsen, MdB im Gespräch mit Klaus Staeck, tur. Nach einer umfassenden Be- pflanzt, was sich dann von selbst Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats. Präsident der Akademie der Künste. standsaufnahme der Situation von entwickelt und wieder fortpflanzt. Foto: Stefanie Ernst Foto: Stefanie Ernst Kunst und Kultur in Deutschland hat Deshalb betrachten wir es als be- sie nun ihren Abschlussbericht mit deutsam, dass uns die Kommission Bewusstsein angekommen ist. Ein für Deutlich für diesen neuen Blick auf tivwirtschaft zu installieren, einen über 400 Handlungsempfehlungen darin gefolgt ist, den umstrittenen die Kommission angefertigtes Gut- die Kultur wird die neue Aufge- Kulturmoderator auf Grundlage der vorgelegt. Bei unserer Bestandsauf- und missverständlichen Begriff der achten ergab z. B., dass die Kirchen schlossenheit besonders bei der Kul- bestehenden Kompetenzen. Bereits nahme haben wir die Kulturland- „kulturellen Grundversorgung“ in Deutschland zwischen 3,5 und 4,8 tur- und Kreativwirtschaft. Der Poli- jetzt ist die Bedeutung der Kultur- schaft und den Kulturstandort durch den der „kulturellen Infra- Mrd. Euro für ihre kulturellen Aktivi- tik der Großen Koalition unter Feder- wirtschaft für unser Land imponie- Deutschland überwiegend als reich struktur“ abzulösen. Uns ist wichtig, täten aufwenden (im Vergleich zu führung der Union ist es zu verdan- rend. Ihr Umsatz liegt bei 117 Milli- und vielfältig, abwechslungsreich bei der Betrachtung von Kulturpoli- rund 8 Mrd. Euro von der Öffentli- ken, dass nunmehr sowohl im Bun- arden Euro, sie trägt mit einer und prächtig erlebt, wir haben uns tik alle Ebenen der politischen und chen Hand). Bei der Bestimmung des deswirtschaftsministerium als auch Bruttowertschöpfung von 58 Milliar- an dieser Pracht oftmals erfreut und gesellschaftlichen Verantwortung in Kulturbegriffs gehören starre Grenz- im Haus des Kulturstaatsministers den Euro 2,6 Prozent zum Bruttoin- waren von diesem Reichtum beein- den Blick zu nehmen, bis hin zu den ziehungen zwischen dem öffentli- eigene Referate für Kulturwirtschaft landsprodukt (BIP) bei, und mit rund druckt. Mitunter kam es uns auch Beiträgen der Zivilgesellschaften und chen, dem privaten und dem sog. eingerichtet worden sind. In der En- 815.000 hat allein die Kulturwirt- wie ein schwer zu durchdringendes traditionellen Kulturvereinigungen. Dritten Sektor endgültig der Vergan- quete-Kommission ist die Idee aufge- schaft mehr Beschäftigte als das Kre- Dickicht vor, für das es Patentlösun- Heute können wir davon sprechen, genheit an. Die Etablierung des Be- griffen worden, auf Bundes- und Län- ditgewerbe (786.000). gen nicht gibt. dass die enorme Leistung privater griffs „Kulturelle Infrastruktur“ geht derebene nach dem Vorbild des ma- Mit dem Schlussbericht liegt ein und gemeinnütziger Träger für die mit den Vorstellungen der Union zur ritimen Koordinators jeweils einen Weiter auf Seite 11 umfassendes kulturpolitisches Kom- Kultur weitgehend im allgemeinen Subsidiarität Hand in Hand. Koordinator für Kultur- und Krea- KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 11

gefördert werden, per Bewilligungs- ven zu ihrer Förderung, vor allem im und Generationengerechtigkeit und schon praktiziert werden und dies als Fortsetzung von Seite 10 bestimmungen dazu verpflichtet Bereich Erziehung und Ausbildung weiteren Forderungen – behelfen Bestätigung ihrer Arbeit verstehen. werden sollen, einen angemessenen Heranwachsender, aber auch der In- muss. Einen solchen Gemischtwa- Nicht alle unsere Handlungs- Die Kulturelle Bildung ist hingegen Teil ihres Angebots für Kinder und tegration von Migranten, stärker zu renladen lehnen wir ab, denn er wird empfehlungen, an welche staatliche ein Feld, in dem der Staat, in diesem Jugendliche zur Verfügung zu stellen. fördern. Dieses Thema wird die Uni- der besonderen Bedeutung der Kul- Ebene auch immer adressiert, wer- Fall zuvorderst die Länder und Kom- Wir glauben, dass wir eine solche on mit anderen Engagierten weiter tur nicht gerecht. den sich in den ersten Monaten rea- munen, als Anbieter weiterhin un- Debatte brauchen, weil kulturelle energisch verfolgen. Kulturpolitik ist in Deutschland lisieren lassen. Die Ergebnisse der verzichtbar ist. Auch der Bund kann Bildung eine Verpflichtung auch al- Schließlich noch ein paar Worte überwiegend Sache der Länder und Enquete-Kommission „Zukunft des und sollte aktiv werden. Daher be- ler Akteure im Kulturbereich ist und zum Staatsziel Kultur. Wir dürfen vor allem der Kommunen. Entspre- Bürgerschaftlichen Engagements“ grüßen wir, dass Staatsminister eine nachhaltige kulturelle Bildung nicht in den Fehler verfallen, den chend oft sind diese in den Empfeh- (2002) sind jetzt, fünf Jahre später, Bernd Neumann, MdB, hierzu die dadurch besser erreicht werden Schlussbericht der Enquete-Kom- lungen der Enquete-Kommission an- von der Großen Koalition in prakti- Initiative ergriffen hat. Seine jüngs- kann als durch einige wenige öffent- mission auf die Empfehlung, das gesprochen. Deshalb rufen wir die sches Regierungshandeln umgesetzt ten Schritte basieren bereits auf den lichkeitswirksame Events. Auch über Staatsziel Kultur in das Grundgesetz verantwortlichen Akteure in den Län- worden, und der Erfolg ist sehr groß. Erkenntnissen der Enquete-Kom- die Schaffung einer Bundeszentrale aufzunehmen, zu reduzieren. Es ist dern und Gemeinden auf, diesen Be- Diese Chance und ausreichend Zeit mission. Wir unterstützen besonders für kulturelle Bildung wird es ver- zweifellos eine wichtige Handlungs- richt nicht als unzulässige Einmi- und Geduld sollte man auch der Kul- die Empfehlungen, bundesweite mutlich eine strittige Auseinander- empfehlung, aber es ist auch nur schung in fremde Angelegenheiten, tur-Enquete geben, damit sie zur Wettbewerbe nach dem Vorbild von setzung geben. eine von 400. Die Mitglieder der Uni- sondern als große Chance und als weiteren Blüte der Kulturlandschaft „Jugend musiziert“ für alle Sparten Kulturelle Bildung fängt bei der on in der Enquete-Kommission wie eine Vorleistung des Deutschen Bun- Deutschland beitragen kann. der Kulturellen Bildung ins Leben zu eigenen Sprache an. Wir freuen uns, auch die Arbeitsgruppe Kultur und destages zu begreifen. Wir wünschen rufen und die Zahl der Plätze für das dass es endlich gelungen ist, dem Medien der CDU/CSU-Fraktion un- uns, dass die Länder und Kommunen Der Verfasser ist Mitglied des Freiwillige Soziale Jahr Kultur deut- Erhalt und der Förderung der Deut- terstützen dieses Staatsziel. Zurzeit unvoreingenommen prüfen, welche Deutschen Bundestags, ist kulturpo- lich zu erhöhen. Für kontroverse schen Sprache einen prominenten gibt es aber im Deutschen Bundes- unserer Handlungsempfehlungen sie litischer Sprecher der CDU/CSU- Diskussionen wird sicherlich die Platz im Schlussbericht einzuräu- tag keine Mehrheit für dieses Staats- sich eventuell zu Eigen machen kön- Bundestagsfraktion und war Handlungsempfehlung sorgen, dass men. Wir werden dazu beitragen, ziel, ohne dass man sich mit einem nen. In manchen Punkten werden sie Obmann der CDU/CSU-Fraktion in Kultureinrichtungen, die vom Bund, deren Bedeutung ins öffentlichen Huckepackverfahren – die Kultur ge- vielleicht feststellen, dass die Emp- der Enquete-Kommission „Kultur in den Ländern oder den Kommunen Bewusstsein zu heben und Initiati- meinsam mit dem Sport, der Kinder- fehlungen der Enquete bei ihnen Deutschland“ Anforderungen an eine moderne Kulturpolitik Die SPD zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Siegmund Ehrmann Was macht Kultur in Deutschland nennen sind hier beispielhaft die aus? Worin besteht der zu schüt- Theater, die Museen und Ausstel- zende und weiter zu entfaltende lungshäuser, die Musikschulen usw. Reichtum unserer Kultur? Wie kann Deshalb war klar, dass sich unsere vor dem Hintergrund der teilweise Empfehlungen ebenso an Länder bedrohlichen finanziellen Lage der und Kommunen richten werden, Kommunen dem Druck auf die Kul- wohl wissend, dass die Umsetzung turhaushalte widerstanden werden? nicht immer einfach sein wird. Ich Wie wird sich das größer werdende möchte das am Beispiel der öffentli- Europa und die Globalisierung auf chen Bibliotheken verdeutlichen. die Kultur auswirken? Fragen über Öffentliche Bibliotheken zählen Fragen, die die rot-grünen Kultur- nicht zu den Aufgaben des Bundes. politikerinnen und Kulturpolitiker um Sie sind Sache der Länder bzw. der die Jahrtausendwende umtrieben. Kommunen. Trotzdem haben wir uns entschlossen, die Bibliotheks- a im Rahmen des kooperativen landschaft in Deutschland genauer D Kulturföderalismus die Förde- zu betrachten. Öffentliche Bibliothe- rung des kulturellen Lebens in ken werden von nahezu allen gesell- Deutschland eine gemeinsame Auf- schaftlichen Gruppen genutzt. Von gabe von Bund und Ländern ist, älteren und jungen Menschen, von stellte sich die Frage, wie will und „Bildungsbürgern“ ebenso wie von wie kann der Bund unter diesen Be- Migranten und sozial Benachteilig- dingungen seine Verantwortung ten. Allerdings schenken wir in wahrnehmen. Verbesserte Rahmen- Deutschland den Bibliotheken ver- bedingungen für die Entwicklung gleichsweise wenig Aufmerksamkeit. von Kunst und Kultur sind aber nur Es fehlt an gesellschaftlicher Aner- möglich, wenn aktuelles Basismate- kennung und Wertschätzung ihrer rial zur Verfügung steht. Doch die Leistungen für Bildung und Kultur. letzte umfassende Analyse stammte Woran liegt das? Ein wesentlicher aus dem Jahr 1975 und umfasste na- Grund ist die mangelnde Wahrneh- türlich nur die alte Bundesrepublik. mung von Bibliotheken als Bildungs- Aus dieser Feststellung erwuchs der ort. Im traditionellen Verständnis fir- Wunsch, im Rahmen einer Enquete- mieren Bibliotheken als kulturelle Kommission eine aktuelle umfas- Einrichtungen. Diese kulturelle Ein- sende Analyse zu erstellen. Der kul- bindung wird aber ihren tatsächli- turpolitische Sprecher der SPD-Bun- chen Potenzialen nur unzureichend destagsfraktion in der 15. Legislatur- gerecht. Bibliotheken sind einerseits periode, Eckhardt Barthel, und die kulturelle Stätten, die zum Umgang Siegmund Ehrmann, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der Enquete-Kommission, beim Empfang in der Parlamenta- kulturpolitische Sprecherin von mit Literatur, Musik, Kunst und Wis- rischen Gesellschaft. Foto: Stefanie Ernst Bündnis 90/Die Grünen Antje Voll- senschaft anregen. Andererseits sind mer machten sich diesen Enquete- sie Orte des Lesens, der Leseförde- der Kultur- und Kreativwirtschaft begonnene Debatte über „New Pu- sellschaft und der Privatwirtschaft gedanken zu eigen, warben um Mit- rung und der systematischen Struk- zum Beispiel ist sie ebenfalls entwi- blic Management“. Im Kern ging es sowie auf die Verantwortungsge- streiter und erreichten, dass mit ei- turierung und Aufbereitung von di- ckelt. Hier fällt der Doppelcharakter darum, politische Ziele zu definieren meinschaft Politik und Verwaltung. nem interfraktionellen Antrag von gitalen und analogen Informationen kultureller Güter ins Gewicht: Träger und diese optimal in staatliches Politische Ziele spielen in diesem SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die jedweder Art und dienen der Bil- von Ideen und Wertvorstellungen als Agieren umzusetzen. In Deutschland Konzept eine entscheidende Rolle. Grünen und FDP am 1. Juli 2003 eine dung. Bibliotheken sind also Orte auch Handelsgut auf Märkten zu fanden diese Überlegungen primär Moderne Kulturpolitik muss transpa- Enquete-Kommission „Kultur in der Kultur und der Bildung und da- sein. Zwischen diesen sehr unter- mit dem Konzept des „Neuen Steue- rent sein. Hier bietet die Kulturent- Deutschland“ eingesetzt wurde. Die mit verschiedenen Ressorts zuge- schiedlichen Polen müssen Kreative rungsmodells“ (NSM) Anfang der wicklungsplanung vielfältige Mög- Kommission umriss ihre Schwer- ordnet. Als Orte der kulturellen Bil- agieren und bestehen. Um Künstlern 1990er Jahre Eingang in die verwal- lichkeiten. Kulturentwicklungspla- punkte dung müssen sie stärker in schuli- und künstlerisch Kreativen eine Per- tungspolitische Diskussion. Die Idee nung ist nicht nur ein kommunales · öffentliche und private Förderung sche und außerschulische Einrich- spektive zu bieten, müssen wirt- ist nach wie vor aktuell. Gerade in Instrument. Auch auf Landesebene von Kunst und Kultur – Struktur- tungen einbezogen werden. Erfah- schaftspolitische und kulturpoliti- der Kulturpolitik ist es wichtig, in (Beispiel Brandenburg) zeigt es Erfol- wandel, rungen aus anderen Ländern wie sche Kompetenzen gebündelt wer- gewissen Zeitabständen Schwer- ge. Die Kommission empfiehlt die- · wirtschaftliche und soziale Lage Schweden zeigen, dass ein Biblio- den. Hierzu hat die Kommission Vor- punkte zu überprüfen und ggf. neue sem Beispiel zu folgen. Sie empfiehlt der Künstlerinnen und Künstler, theksgesetz sehr positiv auf die Bi- schläge gemacht. Ziele zu formulieren. Schließlich es nicht nur den Länder, sondern · Kulturlandschaft Deutschland – bliothekslandschaft wirken kann. Ein weiterer Aspekt kommt hin- entwickeln sich in Kunst und Kultur auch dem Bund. In diesem Sinne Kultur als Standortfaktor. Die Kommission entschloss sich da- zu. Kultur hat keine Grenzen. Moder- permanent neue Ausdrucksmöglich- müssen kulturpolitische Ziele jetzt im Hauptauftrag war, aus einer Be- her, den Ländern zu empfehlen, Bi- ne Kulturpolitik kann deshalb nicht keiten und Darstellungsformen. Das politischen Prozess definiert und standsaufnahme Handlungsemp- bliotheksgesetze zu erlassen und sie nur auf nationalstaatlicher Ebene Konzept NSM konnte jedoch nur transparent gemacht werden. Die fehlungen für unseren Auftraggeber ggf. in einem Staatsvertrag landes- agieren. Um dieses Themenfeld – zum Teil überzeugen. Es konzent- Enquete-Kommission gibt hierfür – den Deutschen Bundestag – zu er- weit zu sichern. Kultur in Europa – wurde der Auftrag rierte sich zu sehr auf ökonomische wertvolle Hinweise. arbeiten. Kulturpolitik im 21. Jahrhundert in dieser Wahlperiode erweitert. Kennziffern und vernachlässigte da- In unserer föderalen Staatsstruk- muss spartenübergreifend arbeiten. Sehr konkrete, umsetzbare Hand- bei das, was man heute „Public Value“ Der Verfasser ist seit 2002 Mitglied tur obliegt den Ländern und Kom- Diese Erkenntnis wird durch die Un- lungsempfehlungen hat die Kom- nennt. Der gesellschaftliche Mehr- des Deutschen Bundestages, Stell- munen die Kompetenz für den Kul- tersuchung der Enquete-Kommissi- mission erarbeitet. wert muss im Vordergrund stehen. vertretender Vorsitzender des turbereich. Deshalb musste die En- on untermauert. Das betrifft in be- Während unserer Arbeit stießen Hier setzt das Konzept „Governance“ Ausschusses für Kultur und Medien. quete-Kommission bei ihrer Be- sonderer Weise die Kooperation zwi- wir immer wieder auf die Frage, was an. Governance bezieht staatliche Er war stellvertretender Vorsitzender standsaufnahme zur kulturellen Si- schen dem Bildungs- und Kulturres- soll und kann moderne Kulturpoli- und nicht-staatliche Akteure in ge- der Enquete-Kommission „Kultur in tuation in Deutschland sich in ers- sorts. Spartenübergreifende Arbeit tik leisten, wie modern und effektiv meinwohlorientiertes Handeln ein Deutschland“ und Sprecher der SPD ter Linie der Einrichtungen in Län- lässt sich jedoch nicht nur auf die sind ihre Strukturen. Dabei bezogen und setzt auf Kooperation zwischen Arbeitsgruppe in der Enquete- dern und Kommunen annehmen. Zu kulturelle Bildung beschränken. Bei wir uns auf die in den 1980er Jahren der öffentlichen Hand, der Zivilge- Kommission KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 12

Informatives Kompendium über das deutsche Kulturleben DIE LINKE zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Lukrezia Jochimsen DIE LINKE hat die Einsetzung einer mokratischen Gesellschaft gewinnt Enquete-Kommission „Kultur in ihre Qualität aus öffentlichem Diskurs. Deutschland“ in der 15. Legislatur- „Dem demokratischen Verfassungs- periode wie auch ihre Fortsetzung in staat widerspricht die verbindliche der 16. Legislatur nachdrücklich un- Festlegung einer nationalen Kultur terstützt. 30 Jahre nach der letzten und Religion“ – heißt es dazu in der großen Untersuchung des Bundesta- Präambel. Dem haben wir einhellig ges zum Thema Kultur war es höchs- zugestimmt. te Zeit, die veränderte Situation zu Themen wie Interkultur und Mi- analysieren und Handlungsempfeh- grantenkultur sind für unser gesell- lungen für den Gesetzgeber zu ent- schaftliches Zusammenleben essenti- wickeln. Nach der Wiedereinsetzung ell. Im Schlussbericht ist ihnen ein ei- konnte sich DIE LINKE – nunmehr genes Kapitel mit weitreichenden wieder eine Fraktion – aktiv in die Handlungsempfehlungen gewidmet. Arbeit der Enquete-Kommission ein- Verstärkt muss den Herausforderun- bringen. gen an Kulturpolitik im Einwande- rungsland Deutschland als einer zu- ür meinen Fraktionskollegen nehmend multikulturellen und mul- F Hakki Keskin und mich als Mit- tiethnischen Gesellschaft und damit glieder der Kommission waren dabei verbunden den neuen Anforderungen folgende Gesichtspunkte von beson- an interkulturellen Dialog und inter- derer Bedeutung: kulturelle Bildung Rechnung getragen werden. Wir sehen darin einen Kulturelle Vielfalt sichern – Staats- Schwerpunkt unserer weiteren Arbeit. ziel Kultur ins Grundgesetz Bis heute gibt es in diesem Lande eine Kulturelle Nachwirkungen der deut- auch im internationalen Vergleich be- schen Teilung beachten merkenswert reiche, vielgestaltige kul- Von Beginn an haben wir nachdrück- turelle Szene. Wie diese erhalten wer- lich darauf gedrängt, dass in einem den und allen Menschen die Möglich- Kapitel auch das Kulturverständnis in keit zum kulturellen Selbstausdruck seinem historischen Prozess darge- und zur Teilhabe an diesem kulturel- stellt wird. Eine Besonderheit stellt in len Reichtum gegeben werden kann, diesem Zusammenhang die vierzig- Lukrezia Jochimsen, MdB, unterhält sich angeregt mit Nike Wagner, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete. ist für uns die entscheidende Frage. jährige Geschichte der deutschen Tei- Foto: Stefanie Ernst Ohne weitere öffentliche Förderung lung von 1949 bis 1989 dar. In beiden kann die derzeit noch vorhandene rei- Gesellschaften entwickelten sich ein und Differenziertheit des kulturellen ler in prekären sozialen Verhältnis- rifabschnitt einige Vorschläge befin- che Kulturlandschaft nicht erhalten eigenes Kulturleben und eine eigene Alltags wie des künstlerischen Schaf- sen leben. Insbesondere die Ein- den, die im Widerspruch zu oben ge- werden – darin sind wir uns mit den kulturelle Infrastruktur. Bald zwei fens in keiner Weise gerecht werden. kommenssituation muss dringend nanntem Anliegen stehen. Leider Kollegen der anderen Parten einig. Jahrzehnte nach dem Ende der Tei- Im Raster der Betrachtung von „SED- verbessert werden, liegen doch die wurde die Chance verpasst, die Vor- Die Förderung von Kultur muss lung sind daraus resultierende Unter- Diktatur“ auf der einen und „Wider- Einkommen vieler unter dem Exis- schläge zur künftigen Förderung der auch weiterhin eine verpflichtende schiede der ostdeutschen Länder im ständlern“ auf der anderen Seite al- tenzminimum. Das ist auch eine ent- Kultur mit einer Verbesserung der Aufgabe des Staates bleiben. Kunst Vergleich zu den westdeutschen fest- lein lässt sich die kulturelle Leistung scheidende Voraussetzung dafür, Beschäftigungssituation in den ein- und Kultur sind unverzichtbar für den stellbar, wie auch kulturelle Eigenhei- der vielen Künstler und Kulturschaf- dass sie im Alter ein Leben in Würde zelnen Bereichen zu verbinden. Fortbestand einer humanen Demo- ten ihrer Bürger. Wir bedauern, dass fenden, auch die von vielen Kultur- führen können. Der Bericht macht kratie. Deshalb ist eine Verankerung es auch nach langen Debatten nicht politikern, die unter diesen Bedin- wichtige Vorschläge zur Verbesse- Fazit der Kultur als Staatsziel im Grundge- gelungen ist, mehr als ein paar ma- gungen versucht haben, künstleri- rung der sozialen Lage – zur Stabili- Insgesamt aber ist ein informatives setz nötig, wie von der Enquete-Kom- gere Feststellungen dazu im Bericht sche Freiräume zu schaffen, nicht sierung der Künstlersozialversiche- Kompendium über die Kultur in mission vorgeschlagen. Das ist mehr darzulegen, die den ursprünglichen beurteilen. Einer solchen einseitigen rung und zu Verbesserungen im Ur- Deutschland entstanden, mit vielen als Symbolpolitik. Kulturpolitische Intentionen nicht entsprechen. Bewertung konnten wir nicht zu- heberrecht. Hervorzuheben ist hier wichtigen Handlungsempfehlun- Ziele erhalten dadurch einen höhe- Unser Anliegen war es, die Fol- stimmen und haben deshalb ein insbesondere der Vorschlag, eine gen. Nach viel Arbeit beginnt die ei- ren Stellenwert bei allen Entschei- gen der Existenz zweier deutscher Sondervotum dazu eingebracht. Vergütungspflicht für die gewerbli- gentliche Arbeit nun in der parla- dungsprozessen. Es ist ein wichtiges Staaten in kultureller Hinsicht zu be- Darin heißt es als Fazit: Die bis che Verwertung von Abbildungen mentarischen Umsetzung. Vielleicht Signal zur Stärkung der Kultur und schreiben – in Bezug auf die Infra- heute zu konstatierenden mentalen von Kunst im öffentlichen Raum ein- gelingt diese Umsetzung über Frak- eine Absage an den neoliberalen Zeit- struktur und auch heute noch zu Unterschiede zwischen Ost und West zuführen. tionsgrenzen hinaus – zum Schutz geist, der Kunst gern zur Ware und beobachtende Unterschiede in den sind eine Herausforderung an die Leider aber hat sich die Kom- und zur Förderung der Kultur. Künstler zu Dienstleistern machen Wertorientierungen, den Erwartun- Kulturpolitik, wobei es nicht darum mission mehrheitlich nicht für die möchte. Durch Initiativen der Linken gen an Kunst und Kultur wie auch im geht, sie zu überwinden. Vielmehr gilt Einführung von Ausstellungshono- Die Verfasserin ist haben sich jetzt schon zwei Landes- Kulturverständnis. Diese Erläuterun- es, sie als Chance zu nutzen. raren für bildende Künstler und für kulturpolitische Sprecherin parlamente – in Mecklenburg-Vor- gen sind weitgehend entfernt. Dafür ein Künstlergemeinschaftsrecht ent- der Bundestagsfraktion DIE LINKE pommern und Berlin – für ein Staats- wurden Bewertungen der Kulturpo- Soziale Situation von Künstlerinnen scheiden können. Dazu hat unsere und war Obfrau der Fraktion ziel Kultur ausgesprochen. Jetzt ist litik und des kulturellen Lebens der und Künstlern verbessern Fraktion ebenfalls ein Sondervotum DIE LINKE in der Enquete- der Bundestag gefordert. DDR aufgenommen, die durch ihren Die Bestandsaufnahme verdeutlicht, eingebracht. Kritisch anzumerken ist Kommission „Kultur in Es geht uns dabei um Kultur in einseitigen Blickwinkel der Vielfalt dass viele Künstlerinnen und Künst- auch, dass sich im Theater- und Ta- Deutschland“ ihrer ganzen Vielfalt – von den Küns- ten, über die Pflege der Traditionen und die Erinnerungskultur, die Sozi- okultur bis hin zu den populären Formen der Medienkultur. Und es Enquete abgeschlossen – Nun beginnt die Arbeit geht uns um mehr als um „Angebots- Die FDP zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Hans-Joachim Otto kultur“ – es geht um ein reiches Le- ben, um vielfältige kulturelle Aktivi- Allein die Existenz der Enquete-Kom- hen des Schlussberichtes der En- etwa der Reform des Rechts der Ver- wenn sich bisher noch keine parla- täten und anregungsreiche kulturel- mission „Kultur in Deutschland“ war quete-Kommission beteiligt. wertungsgesellschaften, also des Ur- mentarische Mehrheit gefunden hat, le Milieus, um kulturelle Bildung für ein wichtiges Signal für die Bedeu- Das Zusammenwirken in der En- heberrechtwahrnehmungsgesetzes. war es wichtig, dieses Thema im alle, um die Vermittlung von Werto- tung, die der Kultur in der öffentli- quete-Kommission hat zu einem Zu- Der wichtigste Gedankenanstoß der Bundestag auf die Tagesordnung zu rientierungen auch in den zwischen- chen und politischen Wahrnehmung sammenrücken der Kulturpolitiker bisher von der Enquete-Kommissi- setzen und den Entscheidungsdruck menschlichen Beziehungen – insge- beigemessen wird. Der Bericht der geführt und es ist erfreulich, dass on ausgegangen ist, ist sicherlich die zu erhöhen. Mittlerweile haben sich samt also um eine humanitäre Aus- Kultur-Enquete – das Ergebnis von sich die Kulturpolitiker aller Frakti- von allen Kommissions-Mitgliedern auch die Sozialdemokraten zu einer gestaltung unserer Gesellschaft. vier Jahren Arbeit und die Essenz der onen in fast allen Punkten auf eine einmütig getragene Forderung nach Befürwortung des Staatsziels Kultur Empfehlungen zahlreicher Experten gemeinsame Position einigen konn- einer Ergänzung des Grundgesetzes durchgerungen, so dass die CDU/ Neuen Anforderungen an interkul- aus dem Kulturbereich, der Wissen- ten: jeweils auf diejenige Forderung um ein Staatsziel Kultur. Der Um- CSU-Fraktion jetzt unter Zugzwang turellen Dialog und interkulturelle schaft und der Politik – ist ein wert- und Handlungsempfehlung, die zum gang mit dieser Forderung, die in ei- steht, sich zu entscheiden, ob sie für Bildung Rechnung tragen volles Kompendium der Kultur in Wohl der Künstler, Kulturschaffen- nem Zwischenbericht der Kultur- oder gegen die Grundgesetzergän- Von Beginn an hat uns eine Frage um- Deutschland und die Grundlage für den und des kulturellen Lebens ist. Enquete vorab veröffentlicht wurde, zung ist. getrieben – gibt es die „eine“ Kultur in die kulturpolitischen Aktivitäten der Die intensive Zusammenarbeit un- zeigt zudem, wie es auch mit den Es fällt nicht leicht, bei den zahl- Deutschland? Gibt es das eine, alle ei- kommenden Jahre. tereinander und die vielen Anhörun- übrigen Empfehlungen der Enquete- reichen wichtigen Themenkomple- nigende Band? Worin besteht es, und gen und auswärtigen Termine haben Kommission weitergehen wird: xen, die in der Enquete-Kommissi- sollten wir Anforderungen an alle im uch wenn die Enquete-Kommis- zu zahlreichen Kontakten und Be- Nachdem die Enquete-Kommission on behandelt wurden, eine Priorisie- Sinne einer „Leitkultur“ definieren? A sion „Kultur in Deutschland“ gegnungen geführt, die für eine er- die Empfehlung für das Staatsziel rung vorzunehmen. Was ist wichti- Die Diskussion in der Enquete hat er- nicht die kontinuierliche öffentliche folgreiche politische Arbeit nah an Mitte 2005 ausgesprochen und ver- ger? Sind es die rechtlichen Rahmen- geben, dass wir im Rahmen der Glo- Berichterstattung und Diskussion den Bedingungen des Lebens uner- öffentlicht hatte, hat sie den weite- bedingungen der Theater und sons- balisierung mit zunehmender Vielfalt erfahren hat, wie es sicher wün- lässlich sind. ren Fortgang der politischen Willens- tiger Kulturbetriebe oder ist es die und Differenzierung und schnellem schenswert gewesen wäre, ist die Ar- Die Enquete-Kommission hat bildung in den Fraktionen des Deut- Altersversorgung von Künstlern oder Wandel konfrontiert sind. Gerade des- beit doch zumindest in der Fachöf- zudem einige öffentliche Debatten schen Bundestages überlassen. ist es die kulturelle Bildung? Es wird halb bedarf es der identitätsstiftenden fentlichkeit mit großer Aufmerksam- angestoßen, und zwar sowohl zu Bereits im Januar 2006 hat die eine nicht ganz einfache Aufgabe Wirkung von Kunst und Kultur, aber keit verfolgt worden. Zudem waren Themen, die ich persönlich für we- FDP-Bundestagsfraktion diese Emp- werden, die Fülle wichtiger Hand- nicht im Sinne der Festlegung auf eine viele der maßgeblichen Akteure der niger weiterführend halte, wie z.B. fehlung der Enquete-Kommission lungsempfehlungen in eine Reihen- „Leitkultur“. Zweifellos notwendig ist Kultur in Deutschland als Sachver- die Frage nach einer „Quote für Mu- aufgegriffen und einen entsprechen- die Diskussion darüber, was uns wert- ständige, Experten, Gutachter oder sik aus Deutschland“, als auch zu den Gesetzentwurf in den Deut- Weiter auf Seite 13 voll und wichtig ist. Kultur in der de- Ratgeber im Hintergrund am Entste- unstreitig wichtigen Themen, wie schen Bundestag eingebracht. Auch KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 13

Wirtschaftszweige in Deutschland, Fortsetzung von Seite 12 die über ein enormes Wachstumspo- tential verfügen, zum anderen sind folge zu bringen und es ist klar, dass die kulturwirtschaftlichen Unterneh- die Umsetzung viele Jahre in An- men attraktive Arbeitgeber und berei- spruch nehmen wird. chern die jeweilige Region mit ihren Exemplarisch möchte ich von den Produkten. Insgesamt wäre es wün- Themen in der Kultur-Enquete, die schenswert, wenn sich in Deutschland aus liberaler Sicht von besonderer die Politik für ein ähnliches Projekt Bedeutung waren und deren weite- stark machen würde, wie es in Groß- re Bearbeitung von einer gewissen britannien unter dem Stichwort Dringlichkeit ist, den Kulturauftrag „Creative Britain“ geschehen ist und und die kulturelle Tätigkeiten des dort einen Boom vor allem der klei- Rundfunks nennen. nen kreativen Unternehmen ausge- Bei diesem Thema gibt es eine inte- löst hat. ressante Ausgangslage: Der öffent- Auch wenn sicherlich nicht jede lich-rechtliche Rundfunk, also die Handlungsempfehlung des Schluss- Gesamtheit von ARD, ZDF und drit- berichtes umgesetzt werden kann ten Programmen, den regionalen Ra- (und manche hoffentlich auch nicht dioprogrammen und Deutschlandra- umgesetzt wird!), auch wenn sich bei dio und Deutschlandfunk sowie den der Vielzahl der Informationen der Spartenkanälen wie 3sat, arte oder eine oder andere Fehler in den Be- Phoenix, hat mit einem Gesamtetat richt eingeschlichen hat: Es gab von über acht Milliarden Euro wahrscheinlich noch nie einen so ungefähr mehr Geld zur Verfügung klaren und umfassenden Auftrag an als Bund, Länder und Kommunen die Politik, was veranlasst werden insgesamt für die Kulturförderung muss, um die Rahmenbedingungen ausgeben – mit einem entscheiden- der Kultur in Deutschland optimal zu den Unterschied: Während der Etat gestalten. Wir Politiker haben nun des öffentlich-rechtlichen Rund- die Aufgabe, das Beste daraus zu ma- funks kontinuierlich und beträcht- chen. lich steigt, gibt es bei den öffentli- chen Kulturausgaben einen bedroh- Der Verfasser war für die FDP lichen Rückgang, der auf Einspa- Mitglied der Enquete-Kommission rungen bei den Ländern und Kom- „Kultur in Deutschland“ und ist munen zurückzuführen ist. Vorsitzender des Ausschusses für Ausgangspunkt der Befassung Kultur und Medien des Deutschen Christoph Waitz, MdB, Olaf Zimmermann, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete und Hans-Joachim Otto, MdB der Kultur-Enquete mit dem Kultur- Bundestages bei einer Sitzung im Paul-Löbe-Haus (v.l.n.r.). Foto: Jan Gerd Becker-Schwering auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war die einhellige Mei- nung, dass der Kulturauftrag des öf- fentlich-rechtlichen Rundfunks nur unzureichend wahrgenommen wird. Die kulturelle Vielfalt bewahren und stärken Bei aller Wertschätzung der kulturel- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Undine Kurth len Leistungen des öffentlich-recht- lichen Rundfunks bestand innerhalb Die Arbeitsergebnisse der Enquete- Eigenwert und häufig einen unbe- spielen als bisher. BÜNDNIS 90/DIE an den gesellschaftlichen Ist-Zu- der Enquete-Kommission Konsens Kommission „Kultur in Deutschland“ quemen Eigensinn – ihn wollen wir GRÜNEN haben hierzu bereits kon- stand gefunden worden ist. Den öf- darüber, dass von ARD und ZDF sind in zweierlei Hinsicht besonders verteidigen. Nur so kann einer Ori- krete Vorschläge unterbreitet. fentlich-rechtlichen Medien kommt mehr erwartet werden kann, ja mehr interessant. Zum einen liegt eine be- entierung allein am „Massenge- Sozio- und Laienkultur sind ein dabei eine große Verantwortung zu. erwartet werden muss. Aus diesem eindruckende Bestandsaufnahme schmack“ entgegengewirkt werden. Garant für kulturelle Teilhabe. Sie Kunst und Kultur sind geeignet, Grunde hat die Enquete-Kommissi- über Kultur, Kultureinrichtungen, Kul- Ohne das ehrenamtliche Engage- fördern kreative Eigentätigkeit und die europäische Identität zu stärken on eine Reihe von Handlungsemp- turwirtschaft, Künstlerinnen und ment vieler Menschen wäre kulturel- kulturelle Kompetenz. Ihre Stärkung und gemeinsame Grundwerte zu fehlungen ausgesprochen, die den Künstler, Verwerter und Vermittler von le Vielfalt nicht möglich. Es muss in der Kulturlandschaft ist uns betonen, daher müssen Mitglieds- öffentlich-rechtlichen Rundfunk an Kultur, über kulturelle Bildung und durch Qualifizierung, verlässliche besonders wichtig. staaten übergreifende Kulturprojek- seine Pflicht und Verantwortung er- über Kultur in Europa vor. Zum ande- Kooperation mit Hauptamtlichen, Die Kultur- und Kreativwirtschaft te finanziell besser gefördert werden. innern, seinen Kulturauftrag wahr- ren wurden zahlreiche wertvolle klare Aufgabenstrukturen und öf- trägt zur Sicherung eines vielfältigen Daher brauchen Kulturstätten von zunehmen. Neben einer Präzisie- Handlungsempfehlungen ausgespro- fentliche Anerkennung kontinuier- kulturellen Lebens in Deutschland besonderer Bedeutung für die Ge- rung des Kulturauftrages der öffent- chen, deren Umsetzung geeignet lich gefördert werden. bei. Hier entstehen Arbeitsplätze schichte und Identität Europas be- lich-rechtlichen Rundfunkanstalten wäre, die Situation der Kultur und der Für den Denkmalschutz und den und Wertschöpfung. Die Rahmenbe- sondere Aufmerksamkeit und müs- im nächsten Rundfunkstaatsvertrag, Kulturschaffenden in Deutschland Schutz der UNESCO-Welterbestät- dingungen vor allem für die in diesem sen stärker in das Bewusstsein der die auch aus medienpolitischen nachhaltig zu verbessern. Dabei wur- ten muss mehr Unterstützung ge- Bereich vorherrschenden Kleinst- Bürgerinnen und Bürger gerufen Gründen unabdingbar ist, wäre die de manche parteipolitisch definierte währt und mehr rechtliche Verbind- und Kleinunternehmen müssen werden. Europäische Kunstwettbe- Aufnahme einer festen Rubrik „Kul- Grenze mutig übertreten – und das lichkeit geschaffen werden. Das ebenso verbessert werden. Die In- werbe können die wechselseitige turnachrichten“ in den Hauptnach- mit großem Gewinn für die Sache. deutsche Welterbe muss durch eine strumente der Förderung und Bera- Wahrnehmung zeitgenössischer richtensendungen eine vergleichbar Wenn in diesem Geist die Umsetzung Verankerung der UNESCO-Welter- tung müssen weiterentwickelt und Kunst in Europa fördern. einfach umzusetzende Maßnahme, der Handlungsempfehlungen ange- bekonvention vor allem im Bau- und an die spezifischen Belange ange- um die besondere gesellschaftliche gangen wird, kann viel erreicht wer- Raumordnungsrecht rechtlich bes- passt werden. Der Deutsche Bundestag als Förde- Relevanz der Kultur deutlich zu ma- den. ser geschützt werden, ihre Bin- Die Kommunen müssen in die rer der Künste chen. Es ist nicht einzusehen, war- dungswirkung muss gewährleistet Lage versetzt werden, eigene Verant- Der Deutsche Bundestag hat auch um selbst Ergebnisse der zweiten olgende Erkenntnisse der En- werden. Dabei bräuchten der Denk- wortung wahrnehmen und Kunst selbst die Möglichkeit, als Förderer Fußball-Bundesliga wie selbstver- F quete-Arbeit möchte ich her- malschutz und die Deutsche Stiftung und Kultur fördern zu können. Dafür der Künste aufzutreten, er macht ständlich einen Platz in den Nach- ausstellen. Denkmalschutz finanzielle Siche- bedarf es einer angemessenen finan- dies bereits über den Ankauf von richten bekommen, wichtige Schau- rung. ziellen Ausstattung. Zugleich dürfen Kunstwerken. Wir unterbreiten ei- spiel- oder Opernpremieren aber Kunst und Kultur staatlich fördern, Als Vorsitzende des Beirates des die Kommunen Kunst und Kultur nen weiteren konkreten Vorschlag auch Ereignisse der Populärkultur ihren Eigenwert verteidigen Deutschen Bibliotheksverbandes nicht nur als Finanzierungslast be- zur Förderung von Kunst und Kultur. nur selten Erwähnung in den Nach- Kulturpolitik muss aufgewertet wer- Sachsen-Anhalt liegen mir die öf- greifen, sondern als eine angenehme Wir empfehlen dem Deutschen Bun- richten finden. den. Sie ist Gesellschaftspolitik und fentlichen Bibliotheken besonders Pflicht und einen wichtigen Stand- destag, ein Stipendium für Künstler- Gerade angesichts der immer muss im politisch-administrativen am Herzen. Sie dürfen keine freiwil- ortfaktor. innen und Künstler einzurichten, größeren Vielfalt an audiovisuellen Bereich gestärkt werden. lige Aufgabe bleiben, sondern müs- das jeweils befristet für ein Jahr die Angeboten ist es wichtig, dass die Die einzigartige Dichte an Thea- sen eine Pflichtaufgabe werden – so Kulturelle Bildung stärken und ge- Stelle eines Parlaments-Schreibers, etablierten und objektiven Plattfor- tern, Orchestern, Bibliotheken, Aus- sah es auch die Enquete-Kommissi- sellschaftliche Teilhabe sichern eines Parlaments-Malers und eines men, wie es die Hauptprogramme stellungshäusern, soziokulturellen on. Bibliotheken sind als „Wissens- Einrichtungen der kulturellen Bil- Parlaments-Komponisten mit Ar- von ARD und ZDF sind, eine Navi- Zentren, Kunst-, Musik- und Volks- orte“ unverzichtbarer Teil unserer dung von Kindern, Jugendlichen beitszimmer bzw. Atelier im Bundes- gatorfunktion erfüllen und relevan- hochschulen, Vereinen und Stiftun- Kulturgeschichte und von überra- (Musikschulen, Kunstschulen usw.) tag finanziert. Diese Stipendiaten te Informationen aus dem Bereich gen muss und soll erhalten werden. gender Bedeutung für die kulturelle und Erwachsenenbildung und in der müssten, wie das üblich ist, zum der Kultur anbieten. Dabei besteht eine gemeinsame Ver- Bildung. In Bibliotheksgesetzen der Lebensperspektive müssen auch Abschluss ihres Aufenthalts ihre Ar- Ein weiteres Thema, welches sich antwortung von Bund, Ländern und Länder und gegebenenfalls des Bun- perspektivisch gesichert werden, beiten dem Haus und seiner Öffent- zu einer zügigen Umsetzung anbie- Kommunen. Dem Staat kommt für des müssen Standards formuliert denn kulturelle Bildung ist ein lichkeit präsentieren. Wir glauben, tet, ist das Thema Kulturwirtschaft. die Sicherung eines vielfältigen kul- und finanzielle Förderungen festge- Schlüssel zu gesellschaftlicher Teil- dass so nicht nur eine interessante Es kann und sollte vor allem deshalb turellen Lebens und dem Erhalt und schrieben werden. habe und Chancengerechtigkeit. Form der Förderung installiert wür- unverzüglich angepackt werden, Ausbau einer leistungsfähigen kultu- Kindern und Jugendlichen wollen de, sondern dass dies auch den Dia- weil eine Beförderung dieses The- rellen Infrastruktur eine entschei- Situation der Künstler und Kultur- wir den Zugang zu Kunst und Kultur log des Bundestags mit Künstlerin- mas fast kein Geld kostet, sondern dende Bedeutung zu. Ein Staatsziel schaffenden verbessern erleichtern. Die kulturelle Bildung nen und Künstler – wie er der Arbeit eine verstärkte politische Aufmerk- Kultur würde diese Verantwortung Ohne Künstlerinnen und Künstler muss mit allen Bereichen öffentli- der Enquete-Kommission immanent samkeit schon fast ausreicht. Der unterstreichen. gibt es keine Kunst und keine kultu- cher Bildung und Erziehung ver- war – weiterführen und auf eine Anspruch der Enquete-Kommission Öffentlich geförderte kulturelle relle Vielfalt. Ihr Alltag entbehrt je- zahnt werden, sie muss elementarer neue Ebene heben könnte. Beide „Kultur in Deutschland“ bei der Be- Akteure werden zunehmend an wirt- doch oft jeder Romantik. Im Gegen- Bestandteil lebensbegleitender Bil- Seiten würden profitieren. arbeitung des Themas Kulturwirt- schaftlicher Effizienz gemessen. Die teil, viele von ihnen leben in schwie- dung werden. schaft war es, allen Entscheidungs- Kultur muss jedoch vor einseitiger rigen Verhältnissen, ihr Einkommen Angesichts der kulturellen Viel- Die Verfasserin ist Parlamentarische trägern den zweifachen Gewinn vor Anpassung an ökonomische Zwän- ist in Deutschland oft genug beschä- falt müssen wir in unserer Gesell- Geschäftsführerin der Bundestags- Augen zu führen, der sich mit einer ge bewahrt werden. Gerade das, was mend niedrig. Die besondere sozia- schaft einen ernsthaften Diskurs fraktion von BÜNDNIS 90/DIE Investition in die Kulturwirtschaft sich nicht „verkaufen“ lässt, gehört le Lage der Künstlerinnen und über Interkultur und Migrantenkul- GRÜNEN und war Obfrau ihrer erzielen lässt. Zum einen ist die Kul- zu den Kernaufgaben öffentlich-kul- Künstler muss in der Kultur- und Ar- turen führen. Die Debatte zeigt, dass Fraktion in der Enquete-Kommissi- turwirtschaft einer der wenigen tureller Förderung. Kultur hat einen beitsmarktpolitik eine größere Rolle hier noch immer nicht der Anschluss on „Kultur in Deutschland“ KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 14

Von kulturellen Prozessen lernen Kultur nicht als hermetischen Raum begreifen • Von Susanne Binas-Preisendörfer Im Sommer 2003 rief mich Eckhard die man im weiten Feld der Kultur Bartel – damals MdB – an und frag- haben kann, auch wenn dies auf den te, ob ich als Sachverständige für ersten Blick von außen so nicht die SPD in der Enquete-Kommissi- wahrnehmbar war. Es handelte sich on „Kultur in Deutschland“ zur Ver- keineswegs – und diesen Verdacht fügung stehen würde. Kurz erläuter- kann man in anderen kulturpoliti- te er mir am Handy den Sinn einer schen Gremien durchaus bekom- solchen Kommission und bat um men – um eine generations- und auf- baldige Zu- oder Absage. fassungshomogene Gruppe. Was alle einte, ist die Überzeugung, dass es ur damaligen Zeit arbeitete ich sich bei Kultur um einen umfangrei- Z als freie Autorin, Dozentin und chen und bedeutsamen Sachkom- Veranstalterin im Kulturbereich und plex handelt, der ins Zentrum der hatte gerade das Buch „Erfolgreiche Politik gehört. Wie nun diesen Sach- Künstlerinnen – Arbeiten zwischen komplex systematisieren, sinnvoll Eigensinn und Kulturbetrieb“ veröf- Bestandsaufnahmen anstrengen, fentlicht. Als Auftraggeber fungier- um Probleme zu erkennen und ggf. ten das Kulturforum der Sozialde- Handlungsempfehlungen formulie- mokratie und die Philipp-Morris- ren? Eine Enquete-Kommission ist Kunstförderung. Dies dürfte wohl kein Sonderforschungsbereich. Das auch der Anlass für den Anruf Eck- musste gerade auch ich als Wissen- hard Bartels gewesen sein. Vier Jah- schaftlerin zur Kenntnis nehmen: re danach gefragt, was ihn bewogen nicht jedes Detail konnte recher- hätte, mich als Sachverständige vor- chiert, nicht jeder Diskurs erläutert, zuschlagen, war es sowohl die Nähe nicht jede Position belegt werden. zu Künstlerinnen und Künstlern, Der politische Handlungsraum er- zum Kulturbetrieb sowie der reflexi- fordert möglichst präzise, manchmal ve kulturhistorische, kulturwissen- auch grobe, nachvollziehbare klar schaftliche und gesellschaftspoli- gegliederte Argumentationen. Den- tisch orientierte Blick auf Kultur und noch hatte ich es mir zur Aufgabe ihre Akteure, insbesondere meine gemacht, „die Wirklichkeit“ nicht in praktischen und theoretischen den Rastern von Ressorts und poli- Susanne Binas-Preisendörfer, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete und Roland Bernecker, Generalsekretär Kenntnisse zur komplexen Infra- tischen Begehren aufgehen zu las- der Deutschen UNESCO-Kommission. Foto: Stefanie Ernst struktur künstlerischer und kulturel- sen, sondern die Konfrontation mit ler Produktion und zu den Heraus- der Komplexität der Wirklichkeit – schen Bundestag – war von großem spezifische Wünsche und Erwar- den Ressorts und administrativen forderungen von Globalisierung und zum Beispiel den historisch begrün- Medieninteresse begleitet, zeigte tungshaltungen richtet. Strukturen her zu denken. Des Wei- Mediatisierung von kulturellen Pro- deten gegenseitigen Berührungs- aber auch, dass Politik sehr schnell Was die Umsetzung konkreter teren scheint dieses politische zessen. Daneben sicherlich nicht ängsten von Kultur und Wirtschaft, auf den Holzweg geraten kann, wenn Handlungsempfehlungen betrifft, Handlungsfeld (kleinteilige Unter- von Nachteil, dass ich eine Frau, öffentlichen Aufgaben und Marktge- sie die verschiedensten Aspekte und möchte ich mich auf die Arbeitsfel- nehmensstrukturen, wenig Eigenka- damals unter 40 und in der DDR so- schehen – herauszufordern, genau Interessenskollisionen, die ein sol- der beschränken, an deren Be- pital, risikoreiche Umsatzentwick- zialisiert war. hinzuschauen, Plattitüden nicht zu- ches Thema mit sich bringt, außer standsaufnahme und Problembe- lung) geradezu paradigmatisch für Die Arbeit der Enquete-Kommis- zulassen, Mythen offen zu legen. Acht setzt. Im Abschlussbericht hat schreibungen ich unmittelbar betei- zukünftige ökonomische und sozia- sion war während der 15. Wahlperi- Vielleicht hat mich mancher Politi- die Kommission auf grelle Pauken- ligt war: Kultur- und Kreativwirt- le Entwicklungen der Gesellschaft. ode ganz strikt von den Aufgaben- ker dafür gehasst, die Leistungsbe- schläge verzichtet. Das mag die Me- schaft, wirtschaftliche Lage von Wertschöpfung geht hier nicht in der stellungen des Einsetzungsbeschlus- schreibungen zu den Gutachten dien enttäuschen, der Kulturarbeit Künstlern. Besonders ersteres ist ge- Deutungslogik von Industriegesell- ses getragen. Dazu gehörte als eine (zum Beispiel Kulturwirtschaft in vor Ort, in den Vereinen, kleinen genwärtig in aller Munde – zuneh- schaften und entsprechenden Hand- von drei Säulen die Befassung mit Deutschland oder Existenzgründung Unternehmen der Kulturwirtschaft, mend auch im Bereich der Kulturpo- lungsstrukturen auf. Von diesen kul- der sozialen und wirtschaftlichen und Existenzsicherung von Künst- Beratungsinitiativen, Museen, Bibli- litik und -verwaltung. Wenn die En- turellen Prozessen lernen, heißt für Lage von Künstlerinnen und Künst- lern) erzeugten bei einigen den An- otheken und Projekten der kulturel- quete-Kommission den Ländern andere gesellschaftliche Bereiche lern. Hier sah ich zunächst mein schein, dass die Themen kaum zu len Bildung, Stadttheatern oder und Kommunen vorschlägt, dieses Politikmodelle zu antizipieren, die wichtigstes Feld sachverständiger bearbeiten wären. Die Ergebnisse Künstlerverbänden wird die Arbeit Thema in interministeriellen oder den sozialen und ökonomischen Beratung bei der Erschließung eines allerdings zeugen davon, dass sich der Kommission – das hoffe ich je- ressortübergreifenden Arbeitsgrup- Wandel souverän gestalten helfen. großen und von vielerlei Erwar- die Enquete-Kommission sowohl auf denfalls – dafür auf interessierte, pen zu organisieren, ohne dabei die tungshaltungen geprägten Themas. der Höhe der entsprechenden Dis- gern auch kritische Resonanz tref- speziellen Förderinstrumente in Fra- Die Verfasserin ist Professorin für Mein Anspruch bestand darin, aus- kussionen als auch der entsprechen- fen. Kultur wird nicht als hermeti- ge zu stellen, sondern im Gegenteil „Musik und Medien“ am Institut für gehend von einem differenzierten den politischen Herausforderungen scher Raum begriffen, sondern als mehr noch aufeinander abzustim- Musik der Universität Oldenburg Kulturverständnis die Position und befindet. ein sehr differenziertes Phänomen, men, dann folgt die Empfehlung und war Sachverständiges Mitglied Bedeutung künstlerischer Arbeit in Manche Debatte – ich erinnere an das ihre unterschiedlichen Akteu- meinem Ansatz von der Wirklichkeit der Enquete-Kommission „Kultur in ihren historischen Dimensionen als an die Quotenanhörung im Deut- re – das Publikum einbegriffen – je kultureller Prozesse und nicht von Deutschland“ auch insbesondere angesichts aktu- eller Problemlagen (steigende Zahl von Freiberuflern, deren schwierige wirtschaftliche Lage, diskontinuier- liche Erwerbssituation, Patchwork- Weiter Blick auf das Gesamtkunstwerk Kultur biographien, Ausbildungssituation, Den Bericht offensiv als Politikberatung nutzen • Von Helga Boldt Veränderung des Selbst- und Fremd- bildes, Künstlerautonomie, Künstler Die Einsetzung der Enquete-Kommis- den Großstädten, sondern in weiten mission: Bundestagsmitglieder aus ches Lernen, jede Kulturerfahrung, als Unternehmer) zu erörtern und sion durch den Bundestag und ihren Teilen Deutschlands zum Normalfall Ost und West, Stadt und Land, Künst- jeder Kulturausdruck vollzieht sich zum Ausgangspunkt der Bestands- Auftrag, sich mit erweitertem Sach- geworden ist, in der berufliche und ler, kommunal Verantwortliche, Kul- in konkreten Räumen und Struktu- aufnahme zu machen. Als außeror- verstand und ohne Begrenzung durch persönliche Bindungen fragiler und turwissenschaftler und Kulturver- ren. Wenn wir wollen, dass Bildung, dentlich hilfreich habe ich das erste Fraktions- und Ressortzwänge einen biographische Verläufe unberechen- mittler. Hinzu kam der Ertrag aus An- Kultur und Kulturvermittlung ihre Treffen bzw. die Klausur der En- weiten Blick auf das „Gesamtkunst- barer werden, war es politisch klug, hörungen, Exkursionen, Gutachten, Wirkung für Individuum und Ge- quete-Kommission in Steinhöfel in werk“ der Kultur in Deutschland zu die mehrdimensionale Perspektive auch der bewusste Blick auf gelunge- meinwesen entfalten können, müs- Erinnerung. Dort konnten die Mit- erlauben, habe ich als große Chance einer Enquete-Kommission zu nut- ne Praxis im Ausland. Die Enquete- sen wir ihre „Eigensinnigkeit“ re- glieder des Bundestages sowie die elf für die Kultur bewertet. Bündnis 90/ zen, um Kultur aus der Nische eines Kommission hat die Wahrnehmung spektieren und förderliche Rahmen- Sachverständigen vor dem Hinter- Die Grünen haben sich bei Konstitu- Ressorts in den Mittelpunkt der Ge- dafür geschärft, dass jede Gesell- bedingungen schaffen. Ganz kon- grund ihrer jeweiligen Tätigkeits- ierung der Kommission bewusst sellschaftspolitik zu rücken. Die För- schaft immer wieder an ihrem kultu- kret: gut ausgebildete und professi- oder Interessensfelder Ansprüche an dafür entschieden, die kommunale derung von Kunst und Kultur ist als rellen Fundament arbeiten muss, da- onell arbeitende Bibliothekarinnen, die Enquete-Arbeit formulieren. In- Perspektive zu stärken und mit be- Kernaufgabe staatlichen Handelns mit die Brücke vom historischen Erbe Musikschullehrer, Museumsmitar- teressant war dies v.a., weil quasi sonderer Aufmerksamkeit die Förde- auf allen politischen Ebenen fassbar zu den Zukunftsaufgaben nicht brü- beiterinnen und Intendanten, qua- unter der Hand alle Teilhabenden ihr rung generationen- und milieuüber- geworden – das ist das wichtigste chig wird. litätvolle Tanz-, Theater- und Film- Verständnis von Kultur offen legten greifender kultureller Bildung zu be- Resultat der vierjährigen Arbeit. Gerade auf kommunaler Ebene räume, vielfältige Projektunterstüt- und die Perspektiven staatlicher Ver- arbeiten. Als kommunale Kulturde- Glücklicherweise hat sich die En- entsteht unter entwicklungsfreund- zung, öffentliche Zeit und Aufmerk- antwortung in diesem Politikbereich zernentin, die zuvor viele Jahre quete-Kommission in keiner Phase lichen Bedingungen die Bereitschaft samkeit, veränderungsoffene För- ansprachen. Diese reichten von ei- „Wahrnehmen und Gestalten“ an ei- ihrer Arbeit auf das Glatteis begeben, zu einem kulturell aktiven Leben, zur derstrukturen – alles dieses und nem klaren Bekenntnis zur ästheti- ner Ganztagsschule unterrichtet hat- eine politische Ebene auf Kosten der Achtung vor unterschiedlichen kul- noch viel mehr muss auf kommuna- schen Erziehung mittels Kunst und te, habe ich einen Schwerpunkt da- anderen stärken zu wollen. Bund, turellen Prägungen und zum kultu- ler Ebene geschaffen werden, damit Kultur, der Bedeutung der Theater- rin gesehen, immer wieder Boden- Länder, Gemeinden müssen gemein- rellen Dialog. Bei einer Lebenser- ein kulturell anregendes Milieu ent- landschaft für Deutschland, Fragen haftung und Handlungsorientierung sam und korrespondierend handeln, wartung von bald 90 Jahren, in der stehen kann. Dass dieser Anspruch der kulturellen Grundversorgung, in die breit angelegten Diskussionen wenn eine Stärkung der Kulturland- zukünftig höchstens ein Drittel der auf kulturelle Partizipation nicht nur der sozialen Absicherung von Künst- einzubringen. schaft und eine „barrierefreie“ Parti- Lebenszeit, wenn überhaupt, maß- in den großen Städten, sondern lern bis hin zu Statements zur plu- zipation am kulturellen Leben gelin- geblich durch Erwerbsarbeit geprägt überall in Deutschland einzulösen ralen Verfasstheit und sich daraus n einer Situation, in der vier Ge- gen sollen. Diese Idee des kulturellen ist, in einer Situation, in der die ist und es hierfür jeweils spezifische ergebenden Funktionen staatlichen I nerationen mit ihren spezifi- „Gesamtkunstwerks“, an dem Staat Schere zwischen kulturellem Reich- Formen der Realisierung geben Handelns gegenüber den sehr unter- schen kulturellen Prägungen und und Zivilgesellschaft, Individuum tum und kultureller Armut größer muss, wird im Schlussbericht der schiedlichen Akteuren kultureller Anforderung „unter einem gesell- und Wirtschaft gleichermaßen betei- wird, bedarf es politischer Phantasie Enquete in vielen Facetten darge- Prozesse. Das Gremium spiegelte in schaftlichen Dach“ leben, in der das ligt sind, zieht sich durch den Bericht und Überzeugungskraft, um ein so- beiden Wahlperioden m.E. die recht Zusammenleben unterschiedlicher – ein Ergebnis der mehrperspektivi- ziales, eigenverantwortliches, ge- Weiter auf Seite 15 unterschiedlichen Haltungen wider, Kulturen und Milieus nicht nur in schen Zusammensetzung der Kom- nussvolles Leben anzuregen. Jegli- KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 15

um die erforderlichen öffentlichen ereignisse gesellschaftlich akzeptiert matische Profilierung von Kultur in Qualität in Deutschland zu erhalten Fortsetzung von Seite 14 Mittel in Richtung auf dieses Ziel zu sein. Sie muss deshalb in allen künst- Parteiprogrammen, kulturpolitische und Spielräume für neue kulturelle lenken. Kultur muss heute auf einem lerischen und kulturwissenschaftli- Leitlinien und Handlungsprogram- Ausdrucksformen zu öffnen. Wenn stellt und das verstärkt – hoffentlich ausdifferenzierten Freizeitmarkt um chen Ausbildungsgängen größeres me auf kommunaler Ebene, aussage- der Bericht offensiv als Politikbera- – den Handlungsdruck. private und öffentliche Zeit, um Räu- Gewicht erhalten – auch dieses ist ein kräftige Kulturwirtschaftsberichte, tung genutzt wird, kann auf allen po- Bildung, auch kulturelle Bildung, me, Geld und Aufmerksamkeit kon- Ertrag der Enquete-Arbeit. Ausbau systematischer Kooperatio- litischen Ebenen eine kulturbewuss- lässt sich weder verordnen noch er- kurrieren. Durch die Arbeit der En- Ein wichtiges Ziel ist schon jetzt nen zwischen Schule und Kultur, te und damit klügere Politik gelin- zwingen. Es geht im Kern darum, die quete-Kommission ist es gelungen, erreicht: Bereits während der letzten eine stärkere Profilierung auswärti- gen. empfindlichen Sensoren der Kinder kulturelle Bildung als integralen Be- Phase der Enquete-Arbeit war auf al- ger Kulturpolitik, um nur einige Bei- so lange wie möglich für vielfältige standteil allgemeiner Bildung sicht- len politischen Ebenen eine größere spiele zu nennen. Mit der Veröffent- Wahrnehmung und Ausdrucksdi- bar zu machen und einer fatalen Ver- Sensibilität für kulturelle Entwick- lichung des Enquete-Berichts erhal- Die Verfasserin war Sachverständi- mensionen offen zu halten und bis engung der Bildungsdiskussion auf lungsaufgaben wahrnehmbar: die ten nun alle diejenigen eine profun- ges Mitglied der Enquete-Kommis- zum Lebensende kulturell berührbar die „Pisa-Fächer“ entgegen zu wir- kulturelle Profilierung von Stiftungen, de Argumentationshilfe, die wissen, sion „Kultur in Deutschland“, zu bleiben. Um eben dieses zu errei- ken. Nur wenn Kulturvermittlung gut das Kulturinvestitionsprogramm des dass in einer Demokratie auch kul- bis zum Jahr 2005 Kulturdezernen- chen, braucht es Zeit und Räume, gelingt, wird auch in Zukunft der Ein- Bundestages, materiell wirksame In- turferne Entscheidungsträger davon tin in Münster und arbeitet jetzt inspirierende, ermutigende Men- satz öffentlicher Mittel für Kulturein- itiativen zum Ausbau kultureller Bil- überzeugt werden müssen, die bei- freiberuflich im Bildungs- und schen und viel politische Klugheit, richtungen, Kulturförderung, Kultur- dung auf Länderebene, die program- spielhafte kulturelle Vielfalt und Kulturbereich Plädoyer für mehr lebendige und anregungsreiche kulturelle Milieus Sachliche Arbeit über die Parteigrenzen hinweg • Von Dieter Kramer Angenehm war für mich die Erfah- rung, dass in der Enquete-Kommis- sion Sachlichkeit und Politik in Eins gehen konnten. Wie oft in der Kom- munalpolitik bei Kulturfragen, spiel- ten auch hier Parteigrenzen nicht immer eine Rolle. Das strahlte dann auch ab auf die Behandlung wirk- lich kontroverser Fragen.

iele Gemeinsamkeiten, vor al- V lem, was die Verpflichtungen von Bund, Ländern und Kommunen anbe- trifft, können von allen Parteien und Sachverständigen hervorgehoben werden. Die Sondervoten sind freilich für mich mehr als Pflichtübungen, etwa wenn es um die unterschiedliche Interpretation der deutsch-deutschen Geschichte bis 1989 geht. Ähnlich wichtig ist mir der Umgang mit den Bundesmitteln nach dem Bundesver- triebenengesetz § 96: Die sollten ge- rade der Flüchtlinge und Vertriebenen wegen endlich dafür verwendet wer- den, der gemeinsamen Zukunft Euro- pas zusammen mit den osteuropäi- schen Staaten ein stabileres Funda- ment zu geben. Ich wurde erst in der neuen (16.) Legislaturperiode Mitglied des Gre- miums, deswegen konnte ich meine Bedenken gegen die bereits verein- barte Staatsziel-Formel „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ nicht intensiver einbringen und meinen Vorschlag „Der Staat fördert das kul- turelle Leben und schützt das kultu- relle Erbe“ nicht verteidigen. Aber wenn man sich in Kapitel 1 auf das internationale Verständnis von Kul- tur beruft, wie es in den UNESCO- Dokumenten formuliert ist, dann kann man nicht die Kultur fördern, sondern nur eine spezielle Ausprä- gung von Kultur, wie sie in einer Ge- Gesellig vereint: Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, Dieter Kramer, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete und Dorothee Bär, MdB. meinschaft gelebt wird. Foto: Stefanie Ernst Im Übrigen freilich kann ich mich nicht beklagen: Mein eigener An- tenten blickdichten Parallelwelten der materiellen privaten Kunstförde- sozialen Status“ (3.3.1, 1.). Dadurch Dass kulturelle Bildung ein so großes spruch, mit dem ich mich für die (keineswegs nur in migrantischen rung. erhält im Idealfall der kapitalstarke Gewicht erhalten hat, findet gewiss Kommissionsarbeit gewinnen ließ, Milieus) sind mir alle Formen neuer Die Anerkennung spezieller Be- Stifter das gleiche Gewicht wie der breite Anerkennung. Dass der Bund bezog sich darauf, als europäischer Gemeinschaftlichkeit und Gemein- reiche wie Soziokultur, Laienkultur, engagierte Hartz-IV-Empfänger – vor- eine Kulturentwicklungskonzeption Ethnologe mit kulturwissenschaftlich schaftsbildung mit Hilfe kultureller kulturelles Leben in ländlichen Regi- ausgesetzt, beide können in der Lie- und einen Kulturbericht vorlegen inspiriertem kulturpolitischem Sach- Tätigkeit außerordentlich wichtig. onen, Interkultur und Migrantenkul- be zur Kunst und in der Kennerschaft soll, ist eine schöne weiterführende verstand die Arbeit der Kommission Sie sind allerdings nicht nur we- tur, Minderheiten ist mir ebenfalls gleich ziehen. Forderung. Menschenrechtsbildung zu begleiten, und das konnte ich. gen der sozialen Dimension unver- begrüßenswert. Bei der Laienkultur Wichtig sind in diesem Zusam- und Erinnerungsarbeit werden nicht Angesichts der Horrormeldun- zichtbar. Würde man sich darauf be- gilt dies insbesondere für die Forde- menhang die Erleichterung und An- nur plakativ gefordert, sondern auch gen über den inneren Zustand einer schränken, läge der Vorwurf nahe, rung, sie gleichberechtigt zu behan- erkennung der Vereinsarbeit (auch in Bezug gesetzt zu aktuellen Men- Gesellschaft, in der Arm und Reich kulturelle Praxis zu instrumentalisie- deln: „Die Förderung von Vereinen, in durch fiskalische Berücksichtigung schenrechtsverletzungen. immer mehr auseinanderdriften ren. Sie sind auch wichtig, weil durch denen Brauchtum und Laienkultur des Bürgerschaftlichen Engage- Schließlich: Die Fortentwicklung und in der das soziale und kulturelle die Interaktion mit dem potenziellen gepflegt werden, ist Teil der allgemei- ments) und die Freiwilligenagentu- der Kulturverträglichkeitsprüfung auf Milieu, in dem jemand lebt, von Publikum bedeutende Impulse für nen Kulturpolitik auf lokaler und re- ren (3.3.3, 6.). der EU-Ebene wie im Zusammen- Kindheit an die Weichen für das gan- die Entwicklung des kulturellen Le- gionaler Ebene“, heißt es in Hand- Hinter dem Kapitel „Kultur in hang mit den Verhandlungen über in- ze Leben stellt, bedaure ich es je- bens (auch der Künste speziell) ent- lungsempfehlung 1 von 3.3.4. ländlichen Regionen“ verbirgt sich ternationale Handelsverträge und doch, dass ich nicht früh genug ein- stehen. Anregungsreiche und leben- Ähnlich bedeutsam ist eine an- die Verbindung von Strukturpolitik Dienstleistungsabkommen (GATS) ist gefordert habe, die soziale Dimensi- dige kulturelle Milieus bringen Men- dere geradezu sensationelle Feststel- und Kulturpolitik, gipfelnd in der Er- bedeutend. In diesen Zusammen- on des kulturellen Lebens stärker zu schen zueinander, sensibilisieren für lung. Bezieht man die Zeitspenden mutigung zur Bildung von „Kultur- hang gehört auch die Forderung nach berücksichtigen. Gewiss, in den Ka- die wechselseitigen Besonderheiten ein, kommt man zu dem Ergebnis: räumen“, inspiriert von dem Sächsi- einem Vertragsgesetz zur Umsetzung piteln Laienkultur und Brauchtum, und Probleme, und geben zudem den „Der größte Kulturfinanzierer in schen Kulturraumgesetz. der UNESCO-Welterbekonvention. Ländlicher Raum, Soziokultur oder mitwirkenden Künstlern Gelegenheit, Deutschland ist der Bürger in erster New Public Management kann in Mithin, es gibt eine Fülle von inter- kulturelle Bildung sind Ansätze zur viel über die Wirklichkeit in unserer Linie als Marktteilnehmer (Kultur- den kommunalen Verwaltungen das essanten Aufgaben – mal sehen, was Berücksichtigung sozialer Probleme Gesellschaft zu erfahren, ohne dass wirtschaft), in zweiter Linie als Spen- Aufbrechen hierarchischer Struktu- daraus wird. enthalten. Aber wenn ausdrücklich deswegen die Freiheit ihrer künstleri- der und erst in dritter Linie als Steu- ren bedeuten und Initiative, Motiva- von Armut oder Arbeitslosigkeit die schen Tätigkeit eingeschränkt wird. erzahler“. Noch viel später kommt in tion und Qualitätsstreben freisetzen Der Verfasser ist Kulturwissenschaft- Rede ist, dann nur im Zusammen- Die Beziehung zwischen Künsten und dieser Aufzählung Sponsoring. Des- sowie Freiräume schaffen. Nicht ler, ao. Universitätsprofessor in Wien, hang mit den Künstlern, denen sol- ihrem Publikum ist in Milieus, in de- halb freue ich mich über die Aner- zwangsläufig verbunden damit ist die war bis zur Pensionierung Oberkustos ches droht. Bei zunehmender gesell- nen viele Menschen partizipieren, kennung der Zeitspende und die da- gern fetischisierte Privatisierung – am Museum der Weltkulturen in schaftlicher Desintegration im Zu- anders akzentuiert als bei dem an mit mögliche Beteiligung am Bürger- bewusst offen gelassen ist die Frage Frankfurt/Main. Er war Sachverstän- sammenhang mit Armut und bei materiellen Beiträgen orientierten schaftlichen Engagement und der der Rechtsform, allenfalls mit einem diges Mitglied der Enquete-Kommis- immer mehr argumentationsresis- Sponsoring und bei anderen Formen Kulturförderung „unabhängig vom Prüfauftrag verbunden. sion „Kultur in Deutschland“ KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 16

Meilenstein in der Geschichte der Kulturpolitik Mehr als 400 Handlungsempfehlungen warten auf ihre Umsetzung • Von Oliver Scheytt Mit der Übergabe des Schlussbe- richtes der Enquete-Kommission an Bundestagspräsident Lammert am 11. Dezember 2007 ist die Arbeit der Kommission im Bundestag zwar abgeschlossen, doch dieser Meilen- stein in der kulturpolitischen Ent- wicklung Deutschlands sollte Start- punkt für eine intensive Phase der Diskussion und Umsetzung der über 400 Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission sein. Eine so umfassende Zusammenschau aller aktuellen kulturpolitischen Hand- lungsfelder hat es in der kulturpoli- tischen Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg nicht gegeben. Ange- sichts des Umfanges des Berichts könnte ihm drohen, einfach nur „schubladiert “ zu werden, doch für normale Schubladen ist er nicht nur zu groß, sondern auch zu bedeu- tend. Um diese drohende Gefahr gleich abzuwenden, sollen mit die- sem Beitrag einige wesentliche Schlaglichter gesetzt werden, um ausgewählte Schwerpunkte der Kommissionsarbeit so auszuleuch- ten, dass eine Orientierung und Ein- ordnung ermöglicht wird. Das Sekretariat der Enquete-Kommission und die Vorsitzende: Astrid Mahler-Neumann, Marina Kossak, Annette Therese Jäger, Katrin Delzeit, Gitta Connemann, MdB, Reinhard Tegethoff, Topsi Menzel, Angela Göllnitz, Marc Bomhoff, Alexander Plass und Georg Meyer (v.l.n.r.) Foto: Stefanie Ernst in durchgängiges Motiv ist, dass Edie Kommission Kultur nicht al- rung“, „Kulturförderung in gemein- Rahmenbedingungen, die den effi- turarbeit generell als „freiwillige blick auf folgende Punkte herbeizu- lein als staatliche Aufgabe betrach- samer Verantwortung von Staat, Zi- zienten Mitteleinsatz der öffentli- Leistung“ wieder einer fundierten führen: Die aktive Gestaltung von tet, sondern das Wechselspiel von vilgesellschaft und Wirtschaft“ zum chen Hand sicherstellen ( z.B. Haus- rechtlichen Prüfung Stand hält, da es Verantwortungspartnerschaften mit Staat, Markt und Drittem Sektor als Ausdruck kommt. Dabei hat die haltsrecht), die die kulturelle Infra- bereits jetzt zahlreiche Normen gibt, Wirtschaft und Gesellschaft ist für prägend ansieht. Damit hat sie die Kommission die öffentliche Verant- struktur garantieren (z.B. gesetzliche die einer solchen Einordnung entge- die Erfüllung des öffentlichen Auf- Rolle des Staates und der öffentli- wortung reflektiert vor dem Hinter- Regelungen zur kulturellen Bildung), genstehen, noch entspricht sie dem trags von grundlegender Bedeutung. chen Hand neu ausjustiert, was grund zivilgesellschaftlichen Enga- die Bürgerengagement und kultur- allgemein verbreiteten Verständnis, Die öffentliche Hand muss letztlich schon in Überschriften wie „Kultur gements und (kultur-)wirtschaftli- wirtschaftliches Handeln unterstüt- dass auch Angebote der Kultur zu darüber entscheiden, mit welchen als öffentliche und gesellschaftliche cher Prozesse. zen, aber auch die Rechte der Künst- dem unverzichtbaren Kernbestand Ressourcen- und Fördermitteln so- Aufgabe“, „die öffentliche und priva- In vielen einzelnen Kapiteln und ler sichern. Neben dieser „Ord- öffentlich zu verantwortender Infra- wie rechtlichen Rahmenbedingun- te Förderung und Finanzierung von Handlungsempfehlungen wird deut- nungspolitischen Funktion“ erfüllen struktur gehört. Zur Sicherung der gen die Ausgestaltung der kulturel- Kunst und Kultur“, „Lage und Struk- lich, wofür der Kulturstaat Bundes- Staat und Kommunen den Kultur- kulturellen Infrastruktur in Deutsch- len Infrastruktur von Statten gehen turwandel, der öffentlich-nichtstaat- republik Deutschland Verantwor- auftrag aber auch durch die Errich- land sind nach Auffassung der En- soll (z.B. Bibliothekswesen). lichen und der privaten Kulturförde- tung trägt: Für optimale rechtliche tung und Unterhaltung eines großen quete-Kommission folgende Maß- Einer der größten Komplexe der Teils der kulturellen Infrastruktur, nahmen erforderlich: kulturellen Infrastruktur in Deutsch- fördern und veranstalten Kunst und · Die Errichtung und Erhaltung von land, der in den letzten Jahrzehnten Kultur, wobei der kooperative Kul- Kultureinrichtungen nicht hinreichend in seinem Wech- turföderalismus prägend ist. Die Rol- · Die Förderung von Kunst, Kultur selspiel zwischen unterschiedlichen le des Bundes wurde in den letzten und kultureller Bildung Verantwortungsträgern (Staat, Kom- Jahren zunehmend öffentlich be- · Die Initiierung und Finanzierung munen, freien Trägern) sowie zwi- wusst und von der Kommission ge- kultureller Veranstaltungen schen den großen Systemen Schule, rade auch im Verhältnis zur Rolle · Die Gestaltung von angemessenen Jugend und Kultur beleuchtet wor- Deutschlands in Europa und mit Rahmenbedingungen für Künstler den ist, ist der Gesamtbereich der Blick auf die neueren Entwicklungen und Kulturberufe, bürgerschaftli- „Kulturellen Bildung“. Ich hoffe sehr, internationaler Kulturpolitik (z.B. ches Engagement, freie Kulturträ- dass durch den Vorschlag der En- UNESCO-Konvention zum Schutz ger und die Kulturwirtschaft quete-Kommission, für diese Ein- kultureller Vielfalt, WTO und GATS) Die Kommission hat den öffent- richtungen auch gesetzliche Grund- herausgearbeitet. lichen Auftrag zur Sicherung der kul- lagen zu schaffen, insbesondere für Die Kommission war sich schon turellen Infrastruktur dahingehend Bibliotheken, Musik- und Kunst- bei ihrer Arbeit in der letzten Legis- interpretiert, dass die öffentliche schulen, der zum Teil gebetsmühlen- laturperiode darüber einig, dass der Hand ihre diesbezügliche Verant- artig wiederholte Reflex, gesetzliche Schutz und die Förderung von Kul- wortlichkeit auszugestalten hat. Der Regelungen in diesem Bereich wären tur unverzichtbare Aufgabe des de- öffentliche Auftrag mündet daher in schädlich, endlich hier und da durch- mokratischen Gemeinwesens sind, einen „Kulturgestaltungsauftrag“, brochen werden kann, zumal die eu- was neben den Verfassungen der der aktives staatliches und kommu- ropäischen Erfahrungen uns in Länder auch im Grundgesetz zum nales Handeln erfordert. Auch die Deutschland eines Besseren beleh- Ausdruck kommen sollte. Daher Bereitstellung von finanziellen Res- ren sollten. wurde die Einführung einer Staats- sourcen für private Kulturträger, Nachdem 1974 die erste Enquete- zielbestimmung vorgeschlagen. Ar- Künstler etc. ist als eine solche „In- Kommission zur Kultur des Deutschen tikel 20b des Grundgesetzes soll um frastrukturaufgabe“ anzusehen. För- Bundestages als „Künstlerenquete“ den Satz ergänzt werden: „Der Staat derleistungen unterliegen daher mit dem Anstoß zum Künstlersozial- schützt und fördert die Kultur“. nicht einer im Dienstleistungsrecht versicherungsgesetz in die kulturpo- Ausgehend von einem solchen üblichen Subventionsprüfung, son- litische Geschichte der Bundesrepu- Grundverständnis, hat die Kommis- dern werden im „öffentlichen Inter- blik eingegangen ist, hat auch diese sion sich intensiv mit den kulturpo- esse“ geleistet. Auch Kunstförderung Enquete-Kommission die soziale Lage litischen Leitworten der letzten Jah- ist demzufolge eine Infrastrukturauf- der Künstlerinnen und Künstler in re „Kulturelle Grundversorgung“ so- gabe. Die Sicherung von Infrastruk- Deutschland untersucht und zahlrei- wie „Kulturelle Daseinsvorsorge“ tur sollte nicht in „beliebigen Quali- che Handlungsempfehlungen hierzu befasst. Die Kommission hat in meh- täten“ erfolgen, sondern es muss im erarbeitet. Doch ist deutlich, dass Kul- reren Kreisen darüber diskutiert, wie Einzelfall auch um die Diskussion turpolitik heute nicht nur auf Kunst- ein Modell zur Sicherung der kultu- und Festlegung von Standards ge- förderung beschränkt ist, sondern die rellen Grundlage aussehen könnte, hen. Ohne eine Diskussion, Be- Komplexität und Bedeutung ganz er- das im Wechselverhältnis von Staat, schreibung und ggf. Festlegung von heblich zugenommen hat. Gleichwohl Wirtschaft und Drittem Sektor dem Standards würde die Gewährleistung ist immer wieder auch in den Anhö- Gedanken Rechnung trägt, dass es der kulturellen Infrastruktur sonst rungen und Begegnungen mit mehr einen öffentlichen Auftrag gibt, Kul- vielfach leerlaufen. Infrastruktur als hundert Kulturexperten Folgendes tur zu schützen und zu fördern, an kann nicht „irgendwie“ sichergestellt deutlich geworden: Kunst ist die Sub- dem sich aber auch Gesellschaft und werden, sondern sollte eine je nach stanz der Kultur und Kultur ist die Sub- Zivilgesellschaft aktiv beteiligen Handlungsfeld generell zu um- stanz der Politik. können. Schließlich hat sich die schreibende Qualität haben (zum Kommission auf den Leitbegriff der Beispiel Grundstruktur einer Musik- Der Verfasser ist Kulturdezernent „Kulturellen Infrastruktur“ verstän- schule mit ausreichendem Fächer- der Stadt Essen, Geschäftsführer der digt, der diesem kulturpolitischen angebot und einer bestimmten Qua- RUHR.2010 GmbH und Präsident Modell zugrunde gelegt werden soll. lifikation von Musiklehrern). Aufga- der Kulturpolitischen Gesellschaft. Ausgehend von diesem Gedanken be der Kulturpolitik ist es schließlich, Er war Sachverständiges Mitglied hat die Enquete-Kommission aufge- Konsens über die Sicherung der kul- der Enquete-Kommission „Kultur in zeigt, dass die Einordnung der Kul- turellen Infrastruktur auch im Hin- Deutschland“ KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 17

Plädoyer für einen Lernbereich „Kulturelle Bildung“ in der Schule Sondervotum zur Frage der Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendliche • Von Wolfgang Schneider Kulturelle Bildung fand im Einset- künstlerische Interessen und Stär- kulturelle Erbe in Deutschland. Die wobei sie eng mit den Fachkräften, für Kulturelle Bildung in der Schule“ zungsbeschluss der Enquete-Kom- ken entdecken und ausbilden kön- Fächer Musik und Kunsterziehung Einrichtungen und Trägern außer- sowie bundesweite Rahmenlehrplä- mission „Kultur in Deutschland“ des nen. Die langjährigen Erfahrungen bzw. Darstellendes Spiel werden schulischer kultureller Kinder- und ne begleiten und unterstützen. Vor- Deutschen Bundestages ausdrück- kultureller Bildungsarbeit zeigen, zum integralen Bestandteil des neu- Jugendbildung kooperieren. Es bie- aussetzungen für einen regulären lich als zentraler Untersuchungsge- dass sich die Beschäftigung mit en Lernbereichs „Kulturelle Bil- tet sich an, „Kulturelle Bildung“ mit Lernbereich sind: Vertretung in den genstand Erwähnung. Ich war als Kunst und Kultur auf die Persönlich- dung“. Es wird darauf Wert gelegt, anderen Lernbereichen zu verzah- Stundentafeln aller Schularten und Sachverständiges Mitglied als Be- keitsentwicklung von jungen Men- die jeweilige Spezifik und Fachlich- nen, er soll aber einen vergleichba- Schulstufen, die Existenz von Lehr- richterstatter hauptverantwortlich schen insgesamt auswirkt: ihre Ei- keit der einzelnen Kunstsparten ren Umfang wie Deutsch, Mathema- plänen bzw. Rahmenrichtlinien, eine für diesen Bereich und habe die An- gentätigkeit wird angeregt, ihre ebenso wie ihre Gemeinsamkeiten tik und Fremdsprachen einnehmen. institutionalisierte Lehreraus-, Fort- hörung, Gutachten und Exkursionen Wahrnehmungsfähigkeit geschult herauszustellen und zu erhalten. „Kulturelle Bildung“ findet daher und Weiterbildung, ein fachkompe- zu diesem Thema begleitet. Im Ab- und wichtige Schlüsselkompetenzen Zugleich qualifizieren sich die Schü- auch an mehreren Schultagen und tent besetztes Referat in der Schul- schlussbericht ist daraus ein ge- gefördert. Künstlerische und kultu- ler praktisch für eine von ihnen frei- nicht nur am Nachmittag statt. Im verwaltung, eine ausreichende Aus- wichtiges Kapitel geworden. Ich bin relle Prozesse reflektieren zu lernen willig ausgewählte Kunstsparte. Für Rahmen von Ganztagsschulen kann stattung der Schulen mit Fachräu- stolz auf die geleistete Arbeit, den bedeutet auch, sich und seine Um- die Einsetzung dieses neuen Lernbe- das Angebot entsprechend ausge- men und fachgerechter Technik. Die Text und den großen Konsens der welt, seine Zukunft und Vergangen- reichs wird ein pädagogisch tragfä- weitet werden. Länder sollen hierfür eine interdis- Enquete, konnte mich in einem Teil- heit bewusst und kritisch in den higes und hinsichtlich der Umset- Bildung und Kultur sind zwei Sei- ziplinär zusammengesetzte Exper- bereich allerdings nicht durchset- Blick zu nehmen. In diesem Sinne ist zung realistisches Konzept zugrun- ten der gleichen Medaille und be- tengruppe einrichten, die die fach- zen. In meinem Sondervotum plä- der Lernbereich „Kulturelle Bildung“ degelegt. Seine Inhalte werden cur- dürfen neben der Förderung durch liche und strukturelle Entwicklung diere ich für die Einführung eines ein wichtiger und unverzichtbarer ricular verankert, eine fachspezifi- die einzelnen Bundesländer der För- dieses neuen Lernbereichs entwi- Lernbereichs „Kulturelle Bildung“ in Teil allgemeiner Bildung. sche Methodik und Didaktik erarbei- derung durch den Bund. Durch die ckelt. der Schule. Der Lernbereich „Kulturelle Bil- tet und geeignete Lehr- und Lern- Einrichtungen des Lernbereichs dung“ vermittelt Kunst und Kultur in mittel entwickelt. Der Lernbereich „Kulturelle Bildung“ kann die bereits Der Verfasser ist Direktor ie kulturelle Kinder- und Ju- Produktion, Rezeption und Reflexi- „Kulturelle Bildung“ wird von Fach- im Nationalen Aktionsplan „Für ein des Instituts für Kulturpolitik, D gendbildung ist ein unver- on. Er gibt den Schülern einen theo- kräften vermittelt, die für einzelne kindgerechtes Deutschland 2005 – Dekan des Fachbereichs Kulturwis- zichtbarer Bildungsort. Sie vermittelt retischen Einstieg in die verschiede- Kunstsparten qualifiziert sind und 2010“ des Bundesjugendministeri- senschaften und Ästhetische Kunst und Kultur und durch sie wer- nen Kunstsparten (Baukultur, Bil- sich für die „Kulturelle Bildung“ wei- ums geforderte Chancengerechtig- Kommunikation sowie den grundlegende Fähigkeiten und dende Kunst, Film, Fotografie, Lite- tergebildet haben und permanent keit durch Bildung und Zugang zu Mitglied im Stiftungsrat der Fertigkeiten erworben, etwa die Ent- ratur, Musik, Medienpädagogik, weiterbilden. Diese „Kulturlehrer“ Kultur für alle jungen Menschen in Universität Hildesheim. Er war wicklung von Lesekompetenz und Tanz, Theater und Zirkus, vgl. Deut- arbeiten nach den Prinzipien kultu- Deutschland aktiv unterstützen. Zu Sachverständiges Mitglied der die Kompetenz im Umgang mit Bild- scher Kulturrat, 2005), deren Ge- reller Bildungsarbeit: Freiwilligkeit, diesem Zwecke sollte der Bund die Enquete-Kommission „Kultur in sprache. Mit kultureller Bildung wer- schichte und ihre Bedeutung für das Stärken- und Prozessorientierung, Länder durch ein „Impulsprogramm Deutschland“ den Bewertungs- und Beurteilungs- kriterien für das eigene und das Le- ben anderer sowie für die Relevanz des erworbenen Wissens erlangt. Kulturelle Bildung geht nicht in Wis- Die „unbekannte kulturpolitische Macht“? sensvermittlung auf, sondern ist vor Auf die kulturellen Leistungen der Christen in unserem Land hinweisen • Von Thomas Sternberg allem auch Selbstbildung. Kulturel- le Eigenaktivität und Beteiligung Die evangelische und die katholi- Zu Anhörungen der Kommission allein auf den Leistungen der öffent- herausgestellt. Die großen Debatten sind somit entscheidende sozialisie- sche Kirche in Deutschland in einer wurden in den vergangenen Jahren lichen Hand, so fragt die „Infrastruk- über Kultur in ihrem vollen und his- rende Instanzen und bedürfen des Kultur-Kommission gemeinsam zu immer wieder Vertreter der evange- tur“ stärker nach dem, was vorhan- torischen Wortsinn hätten zwar mehr Schutzes und der Förderung durch vertreten, bedeutet vor allem, auf lischen wie der katholischen Kirche den ist, gleich welchen Trägers. Die an Verbindungen zur Religion gezei- Kulturpolitik. Rahmenbedingungen kaum öffentlich wahrgenommene geladen, die aus ihrer Perspektive künftige regelmäßige Kulturstatistik tigt – waren es doch nicht zuletzt The- sind in Deutschland geschaffen, kulturelle Leistungen der Christen Anmerkungen zum kirchlichen En- soll die kirchliche Kulturarbeit neben ologen des 19. Jahrhunderts, die sich aber die Umsetzung ist problema- in unserem Land hinzuweisen. Die gagement machten. Ein wichtiger anderer bürgerschaftlicher besser mit den Fragen der Kultur auseinan- tisch: Kulturelle Partizipation, ob Einbindung dieser Aktivitäten in die Schritt in dieser Hinsicht war die Ver- berücksichtigen. Deutlich wird der dersetzten –, aber die Kommission produktiv oder rezeptiv, ist nicht für allgemeine Kulturpolitik war über- gabe eines Gutachtens zum Beitrag Effekt des veränderten Blicks, um Bei- wäre nicht arbeitsfähig geworden. alle jungen Menschen gleicherma- fällig. Während in der Sozialpolitik, der Religionsgemeinschaften. Hier- spiele zu nennen, in der Wahrneh- Die Beschränkung des Kulturbegriffs ßen zugänglich. Hier gilt es, mehr zu in der Familien- und Wirtschaftspo- mit wurden eine Fülle von Daten ge- mung der Büchereiarbeit – gerade auf auf die Bedeutung, wie er in der Kul- tun! litik, in Fragen der Bildung und Er- liefert, die in den entsprechenden dem Land sind kirchliche Bücherei- turpolitik heute gebraucht wird, er- Das vorliegende Sondervotum ziehung geradezu selbstverständlich Abschnitt des Enqueteberichts ein- en oft der einzige Zugang zum Buch, laubte eine von Beginn an zügige Be- setzt bei der Frage an, wie es gelin- kirchliche Positionierungen erwartet gegangen sind. In Konsultationen in der Arbeit von Chören und Musik- handlung der wichtigen Themen gen kann, Chancengerechtigkeit für werden und die kirchlichen Kinder- auch mit den Kirchen selbst konn- gruppen aller Altersstufen oder in dieses Politiksachbereichs. alle Kinder und Jugendlichen auch gärten, Krankenhäuser, Pflegediens- ten die Grundlagen für eine sachge- dem, was an soziokulturellen kirchli- Eine der großen Fragen zu Be- im Sinne des „Bürgerrechts Kultur“ te und Schulen fest in das Sozial- rechte Darstellung gewonnen wer- chen Aktivitäten geschieht. ginn war für mich die nach der Kom- stärker umzusetzen. Die allgemein- und Bildungssystem der Bundesre- den. Die konstruktiven Debatten zu Was ist von der Kommission be- petenzordnung innerhalb der The- bildende Schule (Primarstufe und publik integriert sind, wurden die kul- diesem Abschnitt in der „zweiten“ arbeitet worden? Was fehlt? – Als po- Sekundarstufe I) ist die einzige Ein- turellen Aktivitäten kaum wahrge- Kommission der 16. Legislatur erga- sitiv hat sich m. E. die Beschränkung richtung im Bildungswesen, die alle nommen. Und kirchliche Stellung- ben einen Text, der in seinen Hand- auf einen funktionalen Kulturbegriff Weiter auf Seite 18 jungen Menschen erreichen kann. nahmen zu kulturpolitischen Fragen lungsempfehlungen deutlich wer- Sie ist diejenige Institution, die einen waren und sind selten, obwohl die den lässt, dass die kulturellen Inter- für alle verbindlichen und verlässli- Nähe von ästhetischer und religiö- essen der Kirchen so unterschiedlich chen Grundstein kultureller Bildung ser Erfahrung ein besonderes In- von denen der allgemeinen öffentli- für junge Menschen legen kann. Aus teresse der Kirchen an einem blü- chen Kulturpolitik nicht sind. diesem Grund wird hier für die Ein- henden kulturellen Leben nahe le- Wie sehr der Wunsch nach wech- führung eines Lernbereichs „Kultu- gen. Und dass die sozialen Fragen selseitig – öffentlicher wie kirchli- relle Bildung“ votiert. der Künstlerinnen und Künstler im cher – Wahrnehmung der Bedeu- Der Lernbereich „Kulturelle Bil- Kontext des sozialpolitischen En- tung dessen in Erfüllung ging, zeigen dung“ soll aus bildungs- und kultur- gagements der Kirchen nicht außer die breit wahrgenommenen Bericht- politischer Perspektive mit dem Ziel Acht bleiben können, liegt auf der erstattungen zu den Kirchen und de- eingeführt werden, die Idee einer Hand. ren Kulturarbeit nicht zuletzt in die- „Kultur für alle“ in der allgemeinbil- ser Zeitung, die vor kurzem auch als denden Schule als zweiter Sozialisa- ereits in den ersten Sitzungen eigene Publikation unter dem Titel tionsinstanz verbindlich umzuset- B der „ersten“ Kommission im „Die Kirche, die unbekannte kultur- zen. Er soll ein Gleichgewicht zu den Jahr 2003 wurde deutlich, dass die politische Macht“ erschienen ist. so genannten PISA-Fächern bilden Mitglieder – sowohl Parlamentarier Auch auf kirchlicher Seite sind ver- und Kultur als gleichwertigen Part in wie Sachverständige – den Argu- stärkte Aktivitäten wahrzunehmen. der Schule verankern. Er versteht menten aus kirchlicher Perspektive In der evangelischen Kirche Deutsch- sich explizit nicht als Gegenmodell sehr offen gegenüber traten. Das lands gibt es seit einiger Zeit eine ei- zur außerschulischen kulturellen gute Gesprächsklima ermöglichte gene Beauftragte mit Sitz in Berlin Bildung, sondern als Erweiterung eine sachgerechte Erörterung der und die Deutsche Bischofskonferenz und Unterstützung der gleichen An- kirchlichen Anteile an den verschie- (DBK) hat einen Studientag im Rah- liegen und Ziele. Durch die Einfüh- denen Aufgabenfeldern der Kultur in men ihrer Vollversammlung im rung dieses neuen Lernbereichs soll Deutschland. Recht schwierig war Herbst 2006 unter das Thema „Kir- zum einen die Bedeutung der Küns- die systematische Einordnung der che und Kultur“ gestellt; die dort ge- te für die allgemeine Bildung des Kirchen in die Gesamtstruktur des haltenen Referate sind seit wenigen Menschen unterstrichen, und zum Berichts. Wo sind die Kirchen zwi- Wochen in einer Veröffentlichungs- anderen der Konzentration auf ein- schen der staatlichen öffentlichen reihe der DBK als „Arbeitshilfe Nr. zelne Kunstsparten entgegenwirkt Kulturarbeit und der privaten einzu- 212“ publiziert. werden. Durch den Lernbereich ordnen? In ihrem Status als öffent- Besondere Überschneidungsbe- „Kulturelle Bildung“ erhalten alle lich-rechtliche Organisationen sind reiche gab es inhaltlich auf dem Feld Kinder und Jugendlichen gleicher- sie vergleichbar mit den Rundfunk- dessen, was – nach den Debatten in maßen einen Zugang zu Kunst und anstalten. Die Einordnung lautet der Kommission – nun nicht mehr Kultur. Sie bekommen einen spar- nun „nicht-staatliche öffentliche „kulturelle Grundversorgung“, son- tenübergreifenden Einblick in deren Kulturförderung“ und grenzt sie so- dern „kulturelle Infrastruktur“ ge- Produktion und Rezeption. Der mit zur privaten und auch zur „mit- nannt wird. Die Notwendigkeit eines Lernbereich „Kulturelle Bildung“ telbar-öffentlichen Kulturförderung“ Perspektivwechsels wurde in den trägt dazu bei, dass die jungen Men- der großen Stiftungen ab, soweit sie beiden Begriffen deutlich. Lag der Thomas Sternberg, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete und schen bereits von früh an eigene staatliche Mittel verteilen. Fokus bei der „Grundversorgung“ Undine Kurth, MdB. Foto: Stefanie Ernst KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 18

des Bundes in dieser Kommission, ge- verständigen und Abgeordneten len. Diese Zusammenfassung wird ses Landes wahrgenommen und in- Fortsetzung von Seite 17 hört zu ihrer Erfolgsgeschichte. Die konstruktiv war, gehört zu den sehr für jeden, der sich mit Kulturpolitik tegriert ist, dann sind die Kirchen Handlungsempfehlungen richten sich positiven Erfahrungen. Dies ist zwar befasst, ein unentbehrliches Hand- keine unbekannte kulturpolitische Die „unbekannte kultur- an die unterschiedlichen Ebenen der in der Kulturpolitik nicht ganz unge- buch werden – und das gilt für alle, Macht mehr. politische Macht“? Gesetzgebung oder des Handelns, das wöhnlich, lag aber doch wesentlich ob sie sich nun auf staatlicher, priva- in der Frage der Kulturförderung vor an den Mitgliedern und der Führung ter oder eben auch auf der Ebene der Der Verfasser ist Sprecher für men. Sind die großen Felder des allem kommunal bestimmt ist. „Wir durch die Vorsitzende Gitta Conne- Kirchen mit Kulturpolitik befassen. kulturpolitische Grundfragen des Künstler-Sozialrechts und des Urhe- arbeiten auf dem Boden des Grund- mann, MdB. Es geht dabei um die Ermögli- (Zentralkomitees der Katholiken ber- und Steuerrechts Fragen in der gesetzes – und niemand hat die Ab- Das wichtigste Ergebnis der En- chung von Kunst und damit um die (ZdK), Berater in der Kommission Kompetenz des Bundes, so liegt die sicht das zu ändern“; dieses Diktum quete-Kommission werden nicht ein- Arbeits- und Lebensbedingungen VIII, Wissenschaft und Kunst der eigentliche verfassungsmäßige Kom- von Staatsminister a.D. Hans Zehet- zelne Handlungsempfehlungen sein, von Künstlern. Es geht um die Kunst, Deutschen Bischofskonferenz (DBK) petenz für die Kultur fraglos bei den mairs zu Beginn der Arbeit leitete die so wichtig sie jeweils sind, sondern nicht als Entertainment oder Frei- und seit 2005 Mitglied des Landtags Ländern. Dass es hier gelang, an den pragmatische Herangehensweise in die kompakte Zusammenfassung zeitvergnügen, sondern als ein wich- von Nordrhein-Westfalen. Er war einzelnen Fragen orientiert zu arbei- den vergangenen Jahren. nahezu aller wichtigen Themen der tiger Teil des Lebens. Und wenn der Sachverständiges Mitglied der ten, ohne Sorgen haben zu müssen, es Dass die Zusammenarbeit auch Kulturpolitik in Darstellungen, in Beitrag der Kirchen künftig besser im Enquete-Kommission „Kultur in gehe um eine Kompetenzanmaßung überparteilich und zwischen Sach- Gutachten und Anhörungsprotokol- allgemeinen kulturellen Leben die- Deutschland“. Eine Fundgrube für die Kulturpolitik Über die Unterschiede von Künstlerbericht und Abschlussbericht der Kultur-Enquete • Von Olaf Zimmermann Als die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor vier Jahren ein- gesetzt wurde, haben viele gedacht, der vor inzwischen über 30 Jahre aufgelegte „Künstlerreport“ von Kar- la Fohrbeck und Andreas Joh. Wie- sand – auch Künstlerenquete ge- nannt – würde wiederholt werden. Jene, die meinen, der nunmehr vor- liegende Abschlussbericht der En- quete-Kommission wäre so etwas Ähnliches wie ein Künstlerbericht und würde genau Auskunft über die soziale Lage von Künstlern geben, werden enttäuscht sein. Der Ab- schlussbericht der Enquete-Kommis- sion unterscheidet sich zunächst grundsätzlich vom Künstlerreport dadurch, dass es sich hier um eine echte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags handelte mit einem konkreten Einsetzungsbe- schluss und damit Arbeitsauftrag sowie einem Arbeitsgremium, das aus Abgeordneten des Deutschen Bundestags und gleichberechtigten Sachverständigen zusammengesetzt war. Es wurde also nicht wie seiner Zeit von einem Bundesministerium ein Forschungsinstitut beauftragt, sondern der Deutsche Bundestag v.l.n.r. Olaf Zimmermann, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete, Monika Grütters, MdB, Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecanata-Instituts und setzte ein eigenes Arbeitsgremium Thomas Sternberg, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete im Gespräch. Foto: Stefanie Ernst ein. Der Enquete-Bericht unterschei- det sich aber auch inhaltlich wesent- Verschlechterung der Arbeitsbedin- Kommission ausdrücklich zu diesem notwendig gewesen, der einen oder nanziert, entgegen zu treten. Bedeut- lich vom Künstlerreport. Im Künstler- gungen für die Beschäftigten. Mei- Instrument der sozialen Absiche- der anderen Seite reinen Wein ein- sam im Bereich des Bürgerschaftli- report wurde die soziale und wirt- nen die einen alle Kultureinrichtun- rung der Künstlerinnen und Künst- zuschenken, entweder sich für Aus- chen Engagements sind auch alle schaftliche Lage der Künstler unter- gen sollten einen besonderen Akzent ler. Sie fordert den bestehenden stellungsvergütungen auszuspre- Forderungen zum Zuwendungs- sucht. Im Arbeitsauftrag der En- auf die kulturelle Bildung legen, er- Bundeszuschuss zu erhalten und chen und den Institutionen, die hät- recht. Hier werden Vorschläge aus quete-Kommission war diese Frage- innern die anderen an die Autono- daran festzuhalten, dass die unter ten zahlen müssen, Möglichkeiten der Enquete-Kommission des Deut- stellung eine unter mehreren ande- mie der Kunst. Glauben die einen, die Generalklausel fallenden sowie der Finanzierung in Aussicht zu stel- schen Bundestags „Zukunft des Bür- ren. Die Aussagen zur sozialen und dass alleine das Musizieren glücklich Eigenwerbung betreibenden Unter- len oder aber den Künstlern klipp gerschaftlichen Engagements“ er- wirtschaftlichen Lage der Künstlerin- macht, schwören die Nächsten auf nehmen auch weiterhin abgabe- und klar zu sagen, dass die Ausstel- neut aufgegriffen und es ist zu hof- nen und Künstler sind also eingebet- die Kraft des Theaters, die Anzie- pflichtig sind. Dieses klare State- lungsvergütungen nicht kommen fen, dass nach dem Motto „Steter tet in eine Gesamtbetrachtung des hungskraft des Tanzes, die Verzaube- ment zur Künstlersozialversiche- werden. Hier wurde ein Thema auf Tropfen höhlt den Stein“ auch in die- Kulturbereichs in Deutschland. Das rung durch Literatur oder die bilden- rung wird von großer Bedeutung die lange Bank geschoben, bei dem ses Feld Bewegung kommt. So man- ist meines Erachtens die große Stär- de Kunst. Die Liste ließe sich noch sein, wenn es darum geht, zu über- alle Argumente seit langem ausge- che Debatte um die Privatisierung ke dieses über 500 Seiten umfas- lange fortsetzen. prüfen, ob die 3. Novelle des Künst- tauscht sind. Hinsichtlich des Künst- von Kultureinrichtung wäre über- senden Abschlussberichtes. Vielleicht geschult durch meine lersozialversicherungsgesetzes aus lergemeinschaftsrechts hat die En- flüssig, würden konsequent die be- Arbeit im Deutschen Kulturrat, die dem vergangenen Jahr den ge- quete-Kommission die Chance ver- stehenden Spielräume im öffentli- anch einer, der vor allem in stets dadurch bestimmt ist, einen wünschten Erfolg gebracht hat. Eben- tan, sich intensiver mit dem Thema chen Haushaltsrecht ausgeschöpft M seinen eigenen Schrebergar- Kompromiss zwischen den Interes- so wichtig ist, dass an dem im Künst- zu befassen. Gerade eine Enquete- und würden weitere Lockerungen ten schaut, wird vielleicht unbefrie- sen der verschiedenen künstleri- lersozialversicherungsgesetz formu- Kommission, die über den Tag hin- eingeführt. digt sein, wenn er den Abschlussbe- schen Sparten und den unterschied- lierten offenen Künstlerbegriff festge- ausdenken soll und nicht nur für die Hervorzuheben ist in diesem Zu- richt liest. An die Mitglieder der En- lichen Bereichen des kulturellen Le- halten werden soll. Was im Bericht so aktuelle Gesetzgebung zuständig ist, sammenhang der Vorschlag, dass quete-Kommission wurden sehr vie- bens zu erzielen, war es mir ein be- selbstverständlich daher kommt, wäre ein geeignetes Gremium gewe- der Bundesrechnungshof künftig bei le Einzelforderungen gerichtet und sonderes Anliegen, auch in der En- war Gegenstand intensiver Debatten sen, sich mit dem Thema zu befas- seinen Prüfberichten zuerst die po- jede dieser Forderung ist aus der quete-Kommission zu helfen, nach und ich bin froh, dass diese grund- sen. sitiven Aspekte aus der Arbeit einer Sicht derjenigen, die sie erhoben solchen Kompromissen zu suchen. legenden Aussagen getroffen wur- Am Herzen lag mir auch deutlich Institution schildern soll, um vor die- haben, mehr als gerechtfertigt. Die Dabei war mir persönlich wich- den, die die Basis für mögliche wei- zu machen, welchen Beitrag die Bür- sem Hintergrund seine Monita zu Enquete-Kommission hatte aber nicht tig, dass die Künstler, ihre kreative tere Debatten zum Künstlersozial- gerinnen und Bürger für den Fortbe- äußern. die Aufgabe, alle Wünsche aus dem Arbeit, der Ausgangspunkt der Über- versicherungsgesetz sind. stand und die Weiterentwicklung des Der Abschlussbericht ist eine Kulturbereich zu erfüllen, sie hatte legungen sein müssen. Ohne Künst- Wichtig war mir weiter, dass in kulturellen Lebens in Deutschland Fundgrube für die Kulturpolitik. Es vielmehr den Auftrag eine Bestands- ler gibt es keine Aufführungen in den den Aussagen zum Urheberrecht der leisten. Kultur ist mehr als das, was gibt kein vergleichbares Werk, in aufnahme der Kultur in Deutschland Theatern, könnten die Galerien kei- Urheber im Mittelpunkt steht. Auch die Kultureinrichtungen bieten und dem so umfassend der gesamte Kul- zu leisten, Probleme zu beschreiben ne Arbeiten kaufen und müssten diese vermeintliche Selbstverständ- Kultur geht über den staatlich unter- turbereich in Deutschland ausge- und konkrete Handlungsempfehlun- sich die Verlage auf die bereits ge- lichkeit wird teilweise in Frage ge- stützten Kultursektor hinaus. Inso- leuchtet wurde, konkrete Probleme gen zu formulieren. Dabei galt es stets schriebenen Werke konzentrieren. stellt (siehe hierzu auch den Beitrag fern war ein Gutachten zum Stellen- benannt und schließlich Empfeh- unterschiedliche Interessen gegen- Ohne Künstler gäbe es keine neue von Ferdinand Melichar in dieser wert von Spenden und Mitgliedsbei- lungen zur Verbesserung abgegeben einander abzuwägen. Mag es aus Kunst. Ohne künstlerische Arbeiten Ausgabe). Ich bedauere, dass es in trägen zur Kulturfinanzierung sehr wurden. Jetzt wird es darauf ankom- Sicht eines Laienvereins vielleicht macht es keinen Sinn, von der den Debatten in der Enquete-Kom- aufschlussreich. Hier wird das Fazit men, den Enquete-Bericht umzuset- wünschenswert sein, möglichst ge- Boombranche Kulturwirtschaft zu mission nicht gelungen ist, die The- gezogen, dass die Bürger die größten zen. Dafür wird jeder seine eigenen ringe oder im günstigsten Fall keine sprechen. Ohne zeitgenössische men Ausstellungsvergütung für bil- Finanziers von Kunst und Kultur sind Prioritäten setzen und vor allem ei- Beiträge zur Künstlersozialversiche- Kunst wird die kulturelle Bildung dende Künstler sowie Künstlerge- und zwar zuerst als Marktteilnehmer, nen langen Atem haben müssen. Der rung oder zur GEMA zahlen müssen, rückwärtsgewandt. meinschaftsrecht so zu diskutieren, dann im Bereich des bürgerschaftli- Bericht ist es aber wert, diesen lan- so wäre dieses, nimmt man die Situ- Ich habe mich daher in meiner dass am Ende eine Handlungsemp- chen Engagements – sei es als Zeit- gen Atem zu investieren. ation der Künstler in den Blick, eine Arbeit besonders auf die Arbeits- fehlung steht. So werden sie lediglich oder als Geldspender – und zum Katastrophe. Mögen sich die einen gruppen konzentriert, in denen es angerissen, der Sachstand beschrie- Schluss erst als Steuerzahler. Diese Der Verfasser ist Geschäftsführer des von einer Privatisierung von Kultur- um die Rahmenbedingungen für ben und eine Entscheidung steht Aussage ist es wert, stärker bekannt Deutschen Kulturrates und war einrichtungen einen flexibleren Künstlerinnen und Künstler ging. In nach wie vor im Raum. Hier wäre gemacht zu werden, um der vorherr- Sachverständiges Mitglied der Umgang mit öffentlichen Mitteln er- den Kapiteln zur Künstlersozialver- besonders bei den Ausstellungsver- schenden Meinung, in Deutschland Enquete-Kommission „Kultur in warten, befürchten die anderen eine sicherung bekennt sich die Enquete- gütungen ein bisschen mehr Mut sei die Kultur vor allem öffentlich fi- Deutschland“ KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 19

Gelebte Vielfalt: Kultur in Deutschland Zu den Themen Interkultur und Migrantenkulturen • Von Dorothee Bär

Bei dem Stichwort Kultur denken unter anderem auch mit diesen beneinander, ohne dass die positi- den Rhythmus dieser Religion und Kultur kenne, sie schätze und fest in wohl die meisten zuerst an Theater, fremden Kulturen in Deutschland ven Aspekte und Bereicherungen damit zusammenhängend der ihr verankert bin, kann ich auch auf Oper, Museen – die typischen oder und der Reaktion der einheimischen wahrgenommen werden. Unsere abendländischen Kultur vermittelt andere Kulturen zugehen und ihnen klassischen Orte, an denen Kultur Kultur auf diese Impulse von außen. Aufgabe als Enquete-Kommission und mir so ein tragfähiges Funda- Wertschätzung entgegenbringen – geboten wird. Doch Kultur greift we- Als Berichterstatterin für die Berei- „Kultur in Deutschland“ bestand ge- ment mit auf den Weg gegeben. Aus- ohne Angst haben zu müssen, ver- sentlich weiter, bis in unser alltägli- che „Interkultur“ und „Migranten- nau darin, dies zu ändern. gehend von diesen Wurzeln haben oder überfremdet zu werden. ches Leben hinein. Nicht umsonst kultur“ durfte ich viele interkulturel- Die Berichterstattungen für die sie mich aber auch zu einem weltof- sprechen wir auch von Ess-, Sprach- le Projekte kennenlernen, die Her- Themen „Interkultur“ und „Migran- fenen Menschen gemacht, der neu- Die Verfasserin ist Bundestagsabge- oder Wohnkultur. Diese Aspekte von vorragendes für die Integration leis- tenkulturen“ haben mir sehr viel gierig auf Fremdes zugeht und gerne ordnete, Mitglied im Ausschuss für Kultur lernen auch unsere Kinder ten. Wenn Menschen zu uns kom- Freude bereitet, da sie mir einmali- Impulse aufgreift. Diese zwei Aspek- Kultur und Medien und Obfrau der zuerst kennen. In der Familie erler- men, um in Deutschland zu leben, ge Einblicke in die Vielfalt Deutsch- te – Verwurzelung in der Herkunfts- CDU/CSU-Fraktion im Unteraus- nen sie die Muttersprache, sie über- bringen sie neben ihren Kenntnis- lands beschert hat. Meine Eltern ha- kultur und Offenheit – sind für mich schuss Neue Medien. Sie war nehmen bei den gemeinsamen Mahl- sen, oft leidvolle Erfahrungen und ben mich im christlichen Glauben zentral für eine gelingende Integra- Mitglied der Enquete-Kommission zeiten Tischsitten und Ernährungs- der Hoffnung auf ein besseres Leben erzogen, haben mir die Bräuche und tion. Nur wenn ich meine eigene „Kultur in Deutschland“ gewohnheiten der Eltern, sie wach- auch ihre Geschichte und ihre Kul- sen mit jahreszeitlichen Bräuchen tur mit. Diese Kultur, mit der sie auf- auf. Das, was die Kinder von Zuhau- gewachsen sind, hat sie geprägt, se kennen, ist für sie zunächst „nor- auch in Bereichen, von denen sie es mal“. Kommen sie aber mit anderen gar nicht wissen. In allen Kulturen Kindern in Kontakt, zum Beispiel, gibt es zum Beispiel Regeln und Ri- wenn sie in den Kindergarten kom- tuale, andere Menschen zu begrü- men, sehen sie, dass andere Famili- ßen. Während die einen sehr offen- en anders leben, dass sie anders siv auf ihr Gegenüber zugehen und sprechen und dass die Kinder ande- sich mit Küsschen begrüßen, ist bei re Pausenbrote haben als sie selbst. anderen jeglicher Körperkontakt Erstmals erleben sie die Unter- tabu. Derartiges Wissen ist entschei- schiedlichkeit von Kultur. dend. In unsere Schulen gehen Kinder ndere Kulturen können anzie- unterschiedlichster geographischer A hend und faszinierend, aber Herkunft. Kinder mit Migrationshin- auch angsteinflößend und ehrfurcht- tergrund. Dieser kann bei der ange- gebietend sein. Kinder sind in der Re- strebten Integration nicht einfach gel neugierig und fühlen sich von dem, weggedacht werden. Ein Bild wird was sie nicht kennen, angezogen. Sie getragen von seinem Hintergrund. gehen auf Fremde zu, sprechen sie an, Man kann Szenen zwar von ihrem wollen sie anfassen und das Anders- Hintergrund lösen und in einen an- artige begreifen. Dies gilt jedoch nur, deren einfügen, aber das ist eine Ver- wenn sie sich in ihrer Umgebung si- fremdung des Bildes. Die Menschen, cher fühlen, wenn sie in der Mehrzahl die zu uns kommen, müssen wir als sind, wenn sie daheim sind. Kinder in Ganzes mit ihrem kulturellen Hinter- der Fremde dagegen, stehen dem grund betrachten und als Ganzes Neuen eher skeptisch und zurückhal- aufnehmen in unsere Gesellschaft. tend gegenüber. Teilweise sprechen Genauso müssen die Menschen aber sie die Sprache des Landes nicht oder natürlich auch das Recht, die Sitten nur unzureichend, sie sehen anders und die Gebräuche ihres neuen Hei- aus, sie essen andere Dinge, sie tragen matlandes anerkennen und dürfen andere Kleider, sie feiern andere Fes- nicht im selben Land in einem par- te. Sie erleben sich als anders und allelen Universum leben. Dies wird wenden sich dankbar denjenigen zu, um so wichtiger, da nicht nur die die einen vergleichbaren Hintergrund Zahl der Menschen mit Migrations- haben. hintergrund in Deutschland zu- In der 2005 ins Leben gerufenen En- nimmt, auch die Vielfalt der nach quete-Kommission „Kultur in Deutschland gebrachten Kulturen Monika Grütters, MdB zusammen mit Nike Wagner, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete (v.l.n.r.). Deutschland“ beschäftigen wir uns wird größer. Diese leben oftmals ne- Foto: Stefanie Ernst Kultur – Ausdruck nationaler Identität und Weltoffenheit Bewusstsein für den gesellschaftlichen Wert der Kultur schärfen • Von Monika Grütters Nationale Identität wächst vor al- die Mitglieder der Enquete-Kommis- des Grundgesetzes. Aber diese Frei- chen Kulturtradition sind dabei kei- gerade hier eine Budgetierung mit lem aus dem Kulturleben eines Lan- sion sprechen sich mit einer zentra- heit gäbe es angesichts sinkender öf- ne selbstverständlich nachwachsen- Ziel- und Leistungsvereinbarungen des. Dazu gehört nicht allein das len Empfehlung für die Aufnahme fentlicher Finanzmittel nicht, wenn de Ressource. Sie müssen durch kul- treten. Anreize zur Einwerbung pri- kulturelle Erbe vergangener Zeiten, dieses Satzes als Staatsziel im neben dem ermöglichenden Staat turelle Bildung immer wieder neu vater Mittel und Dienstleistungen so eindrucksvoll und schützenswert Grundgesetz aus. Vier Jahre intensi- nicht auch privates Engagement zu- angeregt und gepflegt werden. Einen können nur durch eine freie Verfü- unser Kulturerbe auch ist. Dazu ge- ve Befassung mit allen Bereichen nähme für die Kulturförderung. Den entscheidenden Zugang dazu bieten gung über dieses „Kapital“ zusätzlich hört vor auch das Neue, die künst- kultureller Arbeit haben nachdrück- Stellenwert des sogenannten Dritten z.B. die Museen als Orte der Über- zur vereinbarten finanziellen Aus- lerische Avantgarde. lich erwiesen: Kultur ist kein deko- Sektors betont ein ausführliches Ka- lieferung unseres kulturellen Erbes stattung geschaffen werden. rativer Luxus, den eine Gesellschaft pitel des Enqueteberichtes. Ein we- ebenso wie als Laboratorien für Zeit- m das Bewusstsein für diesen sich leistet, sondern Kultur ist eine sentlicher Anteil wird bereits heute geist und Zukunftsvisionen. Gemes- Künstlerförderung U gesellschaftlichen Wert der Kul- Vorleistung, die allen zugute kommt. durch privates Mäzenatentum und sen an Besucherzahlen sind sie heu- tur zu schärfen und seine weitere Ent- Sie ist ein Grundwert unseres Ge- die Tätigkeit von Stiftungen geleistet. te in Deutschland die meistgenutz- Das Herz einer Kulturnation bilden faltung zu fördern, setzte der Deut- meinwesens. Von unserem reichen Als Stiftungszweck rangieren Kunst ten Kultureinrichtungen überhaupt. jedoch nicht allein ihre kulturellen sche Bundestag die Enquete-Kom- kulturgeschichtlichen Erbe über und Kultur an zweiter Stelle bei Neu- Auch diese Museen finden daher Einrichtungen, sondern vor allem mission „Kultur in Deutschland“ ein. eine aktive Breitenkultur in allen errichtungen. Rund ein Fünftel der eine angemessen breite Würdigung die Kreativen, die Künstler selbst. Sie Ihr Arbeitsauftrag war eine Zustands- Sparten bis hin zu international her- bekannten Stiftungen sind sogar rei- im Enquete-Bericht. Denn auch in sind die kulturelle Avantgarde, die beschreibung zur Situation der Kul- ausragenden zeitgenössischen Posi- ne Kunst- und Kulturstiftungen. diesem Bereich muss angesichts der der gesellschaftlichen Wirklichkeit, tur und der Künstler in Deutschland. tionen prägt Kultur unser aller Selbst- Für die Lebensfähigkeit solcher angespannten Lage der öffentlichen auch der Wirtschaft, voraus gehen. Diese Bestandsaufnahme liegt nun verständnis. Stiftungen ist eine gewisse Kapital- Haushalte zukünftig privatwirt- Ihre Ausstrahlung über nationale vor und mit ihr mehr als 400 Hand- Kultur ist nicht nur in Deutsch- ausstattung unerlässlich. Den von der schaftliche Förderung in Form von Grenzen hinaus beeinflusst das Bild lungsempfehlungen an das Parla- land ein Grundbedürfnis der Men- Kommission formulierten Empfeh- Kultursponsoring und bürgerschaft- der Kulturnation Deutschland in der ment, wie die Rahmenbedingungen schen, sie ist vor allem auch Ausdruck lungen zu steuerlichen Anreizen wur- liches Engagement durch Spenden Welt. Vermittlung und Begegnung zur Pflege unserer Kulturlandschaft von Humanität. Nicht mehr und de mit der aktuellen Novelle des Ge- und Stiftungen stärker einbezogen auf künstlerischer Ebene überneh- und zur Förderung künstlerischen nicht weniger soll in einem Staatsziel meinnützigkeitsrechtes bereits Rech- werden. Insbesondere in den Kunst- men eine wichtige Botschafterrolle Schaffens verbessert werden können. Kultur zur Geltung gebracht werden. nung getragen. Umso wichtiger ist es, museen führt der Rückgang öffent- zwischen den Kulturen und Gesell- Sicher wird jeder Leser aus der eine stärkere Anerkennungskultur für licher Zuwendungen zu drastischen schaftssystemen. Durch Preise, Sti- Fülle der Einsichten und Empfeh- Stellenwert des Dritten gemeinnütziges Engagement und Einschnitten in den Ankaufs- und pendien sowie Ausstellungs- und lungen diejenigen Anregungen her- Sektors Stiftungen in unserer Gesellschaft zu Ausstellungsetats – das aber treibt Auftrittsmöglichkeiten unterstützt auslesen, die für ihn wichtige Berei- etablieren. Hierzu kann die Politik auf die Häuser in die Abhängigkeit von der Staat durch direkte Künstlerför- che berühren – eine echte „Auslese“ Das Bekenntnis zur Kultur ist immer allen Ebenen einen entscheidenden privaten Sammlern. derung die zeitgenössische künstle- eben, die sich auch für mich in eini- auch ein Bekenntnis zu den Wert- Beitrag leisten, um zu einer aktive Um diesen Museen wieder rische Auseinandersetzung, den gen wesentlichen Aussagen findet: grundlagen einer Gesellschaft. Leit- Bürgergesellschaft zu gelangen. Handlungsspielräume in ihrer ope- Austausch, die Nachwuchs- und bild ist dabei der ermöglichende rativen Arbeit zu verschaffen, benö- Spitzenbegabungen. Mit rund 9000 Staatsziel Kultur Staat, der die notwendigen Rahmen- Kulturelle Bildung tigen sie neben einer ausreichenden Einzelvergaben und in einer Ge- bedingungen schafft, ohne inhaltlich finanziellen Grundlage mehr Auto- samthöhe von gut 50 Millionen Euro „Der Staat schützt und fördert die einzugreifen. „Kunst und Wissen- Gesellschaftliches Engagement und nomie und längerfristige Planungs- Kultur“ – so der Formulierungsvor- schaft, Forschung und Lehre sind Wertempfinden für ein lebendiges sicherung. An die Stelle jährlicher Weiter auf Seite 20 schlag für ein Staatsziel Kultur. Auch frei“ garantiert Artikel 5, Absatz 3 Kulturleben und den Erhalt einer rei- Haushaltswirtschaft sollte auch und KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 20

Fortsetzung von Seite 19 Kultur als Lebens-Grundlage Kultur – Ausdruck Zur Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ • Von Johannes Krummacher nationaler Identität Nach vier Jahren Arbeit hat die En- jährlich hat sich in Deutschland eine quete-Kommission „Kultur in international beachtete Förderland- Deutschland“ am 12. November schaft entwickelt. 2007 ihren Schlussbericht verab- Die Enquete-Kommission wid- schiedet. Damit hat die Enquete- met diesen Mechanismen einen Kommission ihren Auftrag erfüllt, breiten Raum, um vor allzu leichtfer- dem Deutschen Bundestag eine um- tigen Kürzungen nicht institutionell fassende Bestandsaufnahme der ge- gebundener Mittel zu warnen. Als genwärtigen Situation von Kunst und wertvolles Instrument der Kunst- Kultur in Deutschland vorzulegen. und Kulturförderung erwies sich die Das Ergebnis ist ein einmaliges kul- Kulturstiftung des Bundes. Über turpolitisches Zeugnis von über 500 Fonds für unterschiedliche Kunst- Seiten, versehen mit annähernd 460 sparten unterstützt sie herausragen- Handlungsempfehlungen. Gerade de Projekte, die sich durch ihre au- die Handlungsempfehlungen sind als ßerordentliche Qualität auszeich- Auftrag an die Politik und als Anre- nen, von gesamtstaatlicher Bedeu- gung an die Kulturschaffenden zu tung sind und beispielhaft zur Wei- verstehen, um die Leistungsfähigkeit terentwicklung der jeweiligen Kunst- des „Kulturstandorts Deutschland“ sparte beitragen. Damit Fördermit- auszubauen. Alles in allem ist der tel ausschließlich nach dem Kriteri- Enquete-Bericht also ein Dokument, um der Qualität vergeben werden, in dem viel Arbeit und noch mehr empfiehlt die Kommission eine noch Potenzial steckt. stärkere Lockerung der jährlichen Haushaltswirtschaft, da die Zahl för- us Sicht aller Beteiligten war es derungswürdiger Projekte von Jahr A von Anfang an wichtig, auf eine zu Jahr unterschiedlich ausfällt und hinreichende Tiefenschärfe zu ach- gerade kulturelle Initiativen Frei- ten. Das bedeutet: Die Fokussierung raum und einen langen Atem brau- lag nicht primär auf staatlichen Leis- chen. tungen, weder alleine auf den Spit- Hervorzuheben ist auch der zen einer „Hochkultur“ noch im Ver- Hauptstadtkulturfonds. Er fördert weilen in den Niederungen der so bedeutsame Einzelmaßnahmen und genannten „Alltagskultur“, weder Veranstaltungen von nationaler und ausschließlich auf bildungsbürger- internationaler Ausstrahlung. Die lich-historischen Betrachtungen Enquete-Kommission hat nicht nur noch im Beschwören einer kulturel- dieses Instrument der Hauptstadtför- len Avantgarde und eines inflationä- derung herausgestellt, sondern mit ren Gebrauchs des Attributes „mo- einem eigenen Berlin-Kapitel die be- dern“. Denn eine solche „Aus- sondere Rolle der Hauptstadt für die schließlichkeit“ ist der Kultur noch Kultur in Deutschland gewürdigt. nie gerecht geworden. Stattdessen kommt im Bericht der Enquete- Kultur in der Kommission eine umfassende Wahr- Hauptstadt nehmung der Kultur in Deutschland v.l.n.r.: Hans Zehetmair, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete, Thomas Sternberg, Sachverständiges Mitglied zum Ausdruck. Es geht um Kultur als der Kultur-Enquete und Johannes Krummacher, MdB während der letzten Sitzung der Enquete-Kommission nach der Als Berliner Abgeordnete spricht mir ganzes, um die „kulturelle Infrastruk- Abstimmung des Abschlussberichtes. Foto: Annette Jäger dieses Kapitel zur Bedeutung der tur“ unseres Landes. Kultur für Berlin als Hauptstadt ganz Kultur ist immer auch Weg und sermaßen das staatsorganisatorisch- digen Debatte zur Kernzeit – auch tive Kraft der Darstellung und der besonders aus dem Herzen. Ausdruck der Kreativität. Denn ohne föderale Gerüst, dessen Ziel es un- das eine Premiere und ein gutes Zei- Schlussfolgerungen bin ich zuver- Damit Berlin seiner Hauptstadt- die Möglichkeit kultureller Aus- ter anderem ist, der Kulturpolitik chen für den gestiegenen Stellenwert sichtlich, dass der Bericht der En- funktion gerecht werden kann, bedarf drucksformen bleibt der Geist Stabilität zu geben und die Kultur- der Kulturpolitik. Natürlich impli- quete-Kommission im Parlament die Kultur der Unterstützung des zwangsläufig stumm. Dahinter steht schaffenden zu unterstützen. Ent- ziert Politik immer ein Stück auch wie in der Öffentlichkeit viele Folge- Bundes und der Länder, um den die Grundüberzeugung, dass Kultur sprechend wichtig war der Union Inszenierung. Das gehört gewisser- debatten nach sich ziehen wird. überregionalen und internationalen und Freiheit begrifflich wie inhalt- beispielsweise die enge Zusammen- maßen zur Kultur der Politik, und Auch dies dient letztlich der Kultur Dialog aufzunehmen und zu festi- lich untrennbar zusammen hängen. arbeit mit den Ländern und Gemein- insofern folgen zunächst wohl eher in Deutschland. gen. Neben dem wichtigen Finanzie- Insbesondere der Staat kann, darf den. Schließlich – so eine weitere feierliche Übergaben als vertiefende rungsinstrument des Hauptstadtkul- und will keine Eingrenzungen ma- Erkenntnis des Berichts – ist Kultur inhaltliche Diskussionen und Um- Der Verfasser ist Mitglied des turfonds zur Förderung des zeitge- chen oder gar vorgeben, wie sich eine Querschnittsaufgabe: nicht nur setzengen. Doch so oder so: der In- Deutschen Bundestags. Er war für nössischen künstlerischen Aus- Kunst und Kultur definieren. Aber horizontal, im Hinblick auf die ver- halt des Berichts zur Kultur in die CDU/CSU-Fraktion Mitglied der drucks unseres Landes, trägt der der Staat trägt Verantwortung, und schiedenen Ressorts und Einrich- Deutschland ist ein politisches Fak- Enquete-Kommission „Kultur in Bund auch Verantwortung für den darum muss die Politik Stellung be- tungen, sondern in einem Föderal- tum. Und im Hinblick auf die norma- Deutschland“ Erhalt einer Vielzahl historischer ziehen und Schwerpunkte setzen. staat nicht zuletzt auch vertikal. Die- Zeugnisse und Erinnerungsorte, die Genau darin unterscheidet sich Frei- se Dimension wird deutlich etwa bei sich aufgrund der Geschichte in Ber- heit von Beliebigkeit. der staatlichen Förderung von Kunst lin konzentrieren. Ihre Fülle, die Erst durch diese Schwerpunkt- und Kultur, dem Kulturauftrag des über den kulturellen Bedarf und die setzung ergibt sich die notwendige öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Aus föderaler Sicht finanziellen Möglichkeiten der Stadt Orientierung, mit deren Hilfe die In- bei der Frage nach den Auswirkun- Von Hans Zehetmair selbst weit hinausgeht, wird als Po- halte des Enquete-Berichts aufge- gen der europäischen Integration bis tential für ganz Deutschland begrif- griffen und gewissermaßen in den hin zu den Chancen und Herausfor- Als ich von der CDU/CSU- Bundes- ein Standardwerk vor, das als sehr fen. Nach außen wirkt die Kulturna- „öffentlichen Raum“ implementiert derungen für die Kultur im Zeichen tagsfraktion gebeten wurde, als wertvolles Kompendium und Vade- tion in erster Linie durch ihre Haupt- werden können. der Globalisierung. Sachverständiger an der Enquete- mecum für alle Kulturinteressierten stadt. Dabei ist Berlin kein konkur- Dies umfasst in erster Linie die Die Kirchen wiederum sind ein Kommission teilzunehmen, gab es zur Verfügung steht. Ich hoffe, dass es rierendes Bundesland, sondern allen gesellschaftliche Dimension von Kul- exzellentes Beispiel für die stabile für mich zwei zentrale Gründe für eine breite Streuung findet und in dienender Mittelpunkt. Im Bericht tur in Deutschland. Ein besonderer Verbindung zwischen der primär die Zusage: Einmal war es mir ein wichtigen Kulturthemen wertvolle der Enquete-Kommission wird ein- Schwerpunkt liegt dabei auf der kul- gesellschaftlichen und der primär inneres Bedürfnis, nach Kräften Orientierungshilfe leisten kann. Das mal mehr dargestellt, dass der Bund turellen Bildung und der Förderung staatlich-öffentlichen Dimension dazu beizutragen, dass die in die- gilt sowohl für den Bund, als es ins- außenpolitisch als erster von einer des allgemeinen Kultur- und Ge- der Kultur in Deutschland. Ihre weit ser Zeit zunehmend in materielle besondere für die Länder und deren Kulturblüte Berlins profitiert, nicht schichtsbewusstseins. Gerade hier ausgreifenden kulturellen Aktivitä- Probleme geratene Kulturpolitik in Kommunen von Bedeutung ist. zuletzt deshalb, weil sie Eliten an den spannt sich ein Bogen – vom Vereins- ten finden im Enquete-Bericht eine Deutschland insgesamt in ihrer Nach dem offiziellen Abschluss, Ort bindet und das Prestige des Lan- leben über Denkmale bis hin zur deut- respektable Würdigung. grundlegenden gemeinschaftsbil- der im Dezember durch den Deut- des hebt. schen Sprache. Im Vereinsleben, im Darüber hinaus liegt die Beto- denden und gemeinschaftsfördern- schen Bundestag statuiert wurde, Die Enquete-Kommission hat in Brauchtum und in der Laienkultur hat nung auch auf der – wenn man so den Funktion in der Öffentlichkeit kommt es nun darauf an, die erarbei- jahrelanger Arbeit Erkenntnisse ehrenamtliches, bürgerschaftliches will – „Wirkungsebene“ von Kunst und insbesondere in den zuständi- teten Vorstellungen und Handlungs- zutage gefördert und Handlungs- Kultur-Engagement seinen Ursprung. und Kultur. Dabei kommt die Bedeu- gen politischen Gremien verdeut- empfehlungen in den verschiedenen empfehlungen formuliert, die hof- Denkmale wiederum sind kulturelle tung von Kultur als Wirtschaftsfaktor licht wurde, zum anderen fühlte ich dafür zuständigen Gremien bewusst fentlich eines bewirken: dass das Be- „Visitenkarten“ und Anker des kollek- zur Darstellung, und folgerichtig legt mich besonders als langjähriger Mi- zu machen und umzusetzen. Aus wusstsein für den hohen Wert der tiven Gedächtnisses, während die der Enquete-Bericht nahe, Wirt- nister des Freistaates Bayern ver- meiner Sicht ist ein zentrales Thema Kultur in und für Deutschland ge- Sprache – einem treffenden Diktum schaftsförderung auch unter kultu- pflichtet, dafür aus föderaler Sicht für den Bildungs- und Kulturauftrag schärft wird. Sie ist unser Ausdruck von Johann Gottfried Herder zufolge rellen Aspekten zu sehen. Das be- meinen Beitrag zu leisten. insgesamt die kulturelle Bildung in nationaler Identität und Weltoffen- „ein Ausdruck und Organ des Verstan- deutet konkret etwa: Rechtssicher- unserem Lande. Sie wird auch in mei- heit. des“ – Kulturträger und kulturelles heit für Kunstschaffende (Urheber- ach einem nicht einfachen Start ner Arbeit bei der Hanns-Seidel-Stif- Werkzeug gleichermaßen ist. recht), ein kulturfreundliches Ar- N konnte ich feststellen, dass die tung eine wichtige Rolle spielen. Die Verfasserin ist Obfrau der CDU/ Insgesamt wurzelt im Kultur- und Ge- beits- und Steuerrecht oder Transpa- wesentlichen Vorstellungen zur Be- CSU-Bundestagsfraktion im schichtsbewusstsein also auch unse- renz in der Kulturförderung. deutung der Kultur in einem demo- Der Verfasser ist Staatsminister a.D., Ausschuss für Kultur und Medien re Identität. Am 12. Dezember 2007 wurde kratischen Staat und meine diesbe- Senator E.h. sowie Vorsitzender der sowie Vorstand der Stiftung Bran- Ebenso wird die staatliche Di- der Schlussbericht der Öffentlichkeit züglichen Erfahrungen zunehmend Hanns-Seidel-Stiftung. Er war denburger Tor. Sie war Mitglied der mension von Kultur in Deutschland vorgestellt. Die Debatte im Deut- diskutiert und – oft nach einem müh- Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur in im Abschlussbericht der Enquete- schen Bundestag erfolgte am 13. samen Prozess – konsensfähig gestal- Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ Kommission erfasst – also gewis- Dezember 2007 mit einer zweistün- tet werden konnten. Nunmehr liegt Deutschland“ KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 21

Europa macht Kultur. Kultur macht Europa Gemeinsame Kultur als europäisches Lebenselixier • Von Steffen Reiche Europa eine Seele geben heißt in der was schon geschieht, andere fordern Vielfalt der Kulturen auch die euro- Nötiges oder Visionäres. päische gemeinsame Kultur zu se- Gerade Deutschland muss sich als hen, sie als Lebenselexier für Euro- größtes Land in Europa wegen seiner pa im Werden zu begreifen. Den „Eu- föderalen Erfahrungen in die Gestal- ropäischen Traum“ (J. Rifkin) tung der europäischen Kulturagenda träumen,heißt eine Alternative zum einbringen. So wie die Länder american way of life zu wollen und Deutschlands die Bundesrepublik, so zu gestalten. Auch sich unseres viel- bilden die Nationen Europas unseren stimmigen Chores europäischer Kul- Staatenbund EU, der sich zur Europä- turen bewusst zu werden. Deshalb ischen Republik entwickeln muss und war es ein entscheidender Fort- wird. Wir sollten nicht im Bremser- schritt, dass in der 16. Legislatur- häuschen, sondern vorn beim Lokfüh- periode, der zweiten Halbzeit der En- rer sitzen. quete-Kommission, meiner Anre- Deshalb ist es überragend wichtig gung, der Kultur in Europa mehr Auf- und war sehr überraschend, dass zur merksamkeit zu schenken, gefolgt selben Zeit, als der Bundesrat die Me- wurde. Ich bin dankbar, dass wir uns thode der offenen Koordinierung ab- sogar in der Zeit der europäischen lehnte, die Vertreterinnen und Vertre- Verfassungsdiskussion und vor der ter aller fünf Fraktionen sich dafür aus- europäischen Ratspräsidentschaft sprachen, den Prozess der offenen darauf verständigen konnten, dass Koordinierung zu unterstützen und im Bericht der Enquete-Kommission aktiv mit zu gestalten. „Kultur in Deutschland“ dem Thema Die offene Koordinierung gibt es „Kultur in Europa“ ein eigenes Kapi- schon im Hochschulbereich und sie tel zu widmen. hat dort den eminent wichtigen Bolo- gnaprozess ermöglicht, der einen of- ährend die anderen Themen fenen gemeinsamen Hochschulraum W durch Gespräche, themati- schafft und somit eine zentrale Grund- sche Arbeit, Anhörungen und Gut- lage für das Gelingen des Lissabonpro- achten einen teils sehr großen Vor- zesses. Die Ablehnung der Kritiker er- Steffen Reiche, MdB und Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Foto: Stefanie Ernst lauf hatten, musste unsere kleine Ar- folgt eher reflexhaft und beruht, wie beitsgruppe sich erst ein eigenes man an den Begründungen sieht, auf gestellt werden. Die Enquete-Kom- Kultur gemeinsam, EU-finanziert zu Verfahrenslage, drängt sie auf eine Programm geben, ein Konzept für das Missverständnissen. Meist werden mission empfiehlt Kulturprojekte zu präsentieren. enge Abstimmung von Bund und Län- Kapitel erarbeiten und Gesprächs- Dinge abgelehnt, die die Europäische entwickeln, die eine Identifikation mit Die Handlungsempfehlungen zur dern. partner auswählen. Mit mir als Be- Kommission mit ihrem Vorschlag gar dem sich einigenden Europa unter- europäischen Normsetzung betonen Europäische Kulturpolitik ist im richterstatter widmeten sich Gitta nicht intendiert. Die Kritik von der stützen, die das soziale Europa und Selbstverständliches um nicht miss- Entstehen. Die Zeit der deutschen Connemann, später Jo Krummacher Kulturseite reibt sich an der kultur- europäische Werte befördern. Deut- verstanden zu werden. Die Autonomie Ratspräsidentschaft hat dafür wichti- für die CDU, Christoph Waitz für FDP, wirtschaftlichen Orientierung des sche Erfahrungen bei der Erinnerung der nationalen Kulturförderung soll ge Impulse gegeben. Gerade dieser der Sachverständige Dieter Kramer für Kommissionsvorschlages ohne zu se- und Aufarbeitung von Diktaturen sol- erhalten werden. EU-Vorgaben wird Bereich braucht intensive Kommuni- die Linke und Undine Kurth für die hen, dass die Kommission zu mehr len in Europa und global stärker prä- und kann es in diesem Bereich nicht kation. Die Enquete-Kommission for- Grünen dieser Aufgabe. Wir sind dabei derzeit keine Rechtsgrundlage hat und sentiert werden, um ähnliche Prozes- geben . Aber bei Privatisierungen kul- dert eine kohärente europäische Kul- intensiv durch die Referenten der Ab- die Ablehnung vermutlich so groß se in anderen postdiktatorischen Ge- tureller Einrichtungen müssen die eu- turpolitik, die sich von Ängstlichkeit geordneten bzw. Fraktionen unter- wäre, das gar keine Zustimmung für sellschaften zu unterstützen. roparechtlichen Implikationen vorab und Zufälligkeit bei dem Thema und stützt worden. die offene Koordinierung zu erreichen Außerhalb Europas regt die En- genauer bedacht werden als bisher. der Arbeitsweise emanzipiert. Durch die Verfassung bzw. den Re- wäre. quete in einer wegweisenden Hand- Geht man auf den freien Markt, gibt formvertrag wird die Kultur eine bes- Zu den Grundlagen europäischer lungsempfehlung an, nicht nur natio- die EU das Recht. Der Verfasser ist Mitglied des Deut- sere Grundlage im Europäischen Ver- Kulturpolitik gehört die Ausweitung nale Kulturtraditionen zu zeigen, son- Die Enquete hatte sich während schen Bundestags, er ist Mitglied des tragswerk erhalten. Frieden erhalten des Finanzrahmens. Wie im nationa- dern europäische Kulturinstitutionen der Föderalismusreform I strikt und Ausschusses für Kultur und Medien und Globalisierung gestalten sind die len oder regionalen Rahmen, wo es aufzubauen. So wie es eine gemeinsa- einstimmig gegen eine Ländervertre- sowie des Ausschusses für die Angele- beiden zentralen Aufgaben dieses auch 1 % - Ziele gibt, soll auch auf eu- me Außen- und Sicherheitspolitik mit tung auf EU-Ebene ausgesprochen genheiten der Europäischen Union. menschheitsgeschichtlich singulären ropäischer Ebene perspektivisch ein dem Reformvertrag geben wird, muss und gebeten, die Kultur bei der Neu- Er war für die SPD-Fraktion Mitglied Rechtsraumes EU. Deshalb haben wir angemessener Anteil von 1 % des EU- man außerhalb Europas beginnen, fassung des Art. 23 Abs. 6 GG nicht zu der Enquete-Kommission „Kultur in Kultur in Europa zusammen gedacht Haushalts der Kultur zur Verfügung Europas Kulturen und europäische nennen. Angesichts der nun gültigen Deutschland“ mit Kultur im Kontext der Globalisie- rung. Kurz vor Beginn unserer Arbeit im Sommer 2005, war das Wunder der 7. UNESCO-Konvention geschehen, die Demografischer Wandel ist kein Argument die Vielfalt der Kulturen global schüt- Der Rückbau kultureller Infrastrukturen • Von Simone Violka zen soll. Die EU trat erstmals als zen- traler Akteur auf, der wesentlich das Für die Enquete-Kommission stand müssen für die Menschen Infrastruk- zu wenige erreicht werden und es kein den lokalen Bevölkerungsverlust kom- Zustandekommen der Konvention er- nie zur Frage wie viel Kultur wir uns turen geschaffen werden, die es allen mediales überregionales Interesse pensieren. Auch der Zusammen- möglichte. Somit war allen klar: Es gibt in Zukunft noch leisten können, ermöglichen, die kulturellen Angebo- gibt. schluss von Institutionen und die eine erfolgreiche europäische Kultur- sondern welche Herausforderungen te zu nutzen. Ich selbst, als Schirmherrin des Mehrfachnutzung von spartenüber- politik, die eine zielführende globale unsere älter werdende Gesellschaft Eine Alternative ist es, auch in „Seefestival Wustrau“, ein Open Air- greifenden Kulturstätten kann eine Kulturpolitik wesentlich mitgestalten an den Einzelnen und an die Politik ländlichen Regionen ein kulturelles Sommertheater mit Seebühne, das im Möglichkeit zur Lösung der anstehen- kann. Insofern hat unser Kapitel die stellt, damit die Kulturlandschaft in Angebot zu erhalten bzw. zu schaffen. Ruppiner Land ein hochwertiges und den Probleme sein. Doch um dieses Aufgabe zu beschreiben, wie neben Deutschland sich weiterhin so man- Dank des ausgeprägten Engagements vielseitiges kulturelles Angebot für umzusetzen, müssen erst einige Pro- und über dem nationalen Kultur-Drei- nigfaltig entwickeln kann. Bei der Ar- von Künstlerinnen und Künstlern, Einheimische und Gäste gleicher- bleme gelöst werden. So zum Beispiel klang von Kommunen, Region / Land beit der Enquete-Kommission stellte aber auch von Kunst- und Kulturinte- maßen anbietet, mache diese Erfah- die Überwindung der vorhandenen und Nation auch europäisch und glo- sich heraus, dass die meisten Län- ressierten finden wir heute ein vielsei- rungen jedes Jahr aufs Neue. Trotz Zu- Konkurrenzsituation zwischen Städ- bal Akzente gesetzt werden. der das Thema des demografischen tiges Kulturangebot in ländlichen Re- schauerzahlen im fünfstelligen Be- ten und Regionen, ebenso wie die fest- Wir denken föderal und subsidiär. Wandels durchaus auf der Agenda gionen vor. Dieses Angebot zu erhal- reich und eines enormen bürger- zustellende Konkurrenz zwischen öf- Europa soll weder statt, erst recht haben. Dennoch fehlt es an konkre- ten, ist eine Herausforderung in Zei- schaftlichen Engagements beginnt der fentlich finanzierten Einrichtungen nicht gegen lokale, regionale oder na- ten Erkenntnissen, welche Auswirkun- ten, wo leider die Gelder für kulturelle Kampf um Gelder immer wieder von und Programmen. tionale Ebenen gedacht werden oder gen dieses Problem auf die Kultur- Angebote in den Landes- und Kom- vorn. Wir haben uns bewusst dafür Kulturentwicklungsplanung soll- agieren. Aber ebenso wie von man- landschaften und Kulturproduktionen munalhaushalten immer knapper entschieden, unsere Eintrittspreise te sich nicht nur an den Einrichtun- chen immer wieder gegen eine natio- haben wird und wie man darauf rea- werden bzw. immer mehr auf diese den finanziellen Möglichkeiten der gen ausrichten, sondern auch an den nale Kulturpolitik polemisiert und von gieren kann bzw. muss. Gelder angewiesen sind. Das größte Menschen vor Ort anzupassen, was Nutzern. Dabei unerlässlich ist die ihnen für unmöglich oder unnütz er- Problem ist hierbei für die meisten die Einnahmemöglichkeiten natürlich Förderung der kulturellen Bildung klärt wird, geschieht es immer wieder m Gegensatz zur Politik haben sich nicht mangelndes Geld, sondern eine begrenzt. Zusätzlich binden wir die ohne Verteilungskonflikte zwischen in Bezug auf eine Kulturpolitik in und I einzelne Kulturschaffende bereits unstete Finanzierung, die jedes Jahr Kinder und Jugendlichen vor Ort in die den Generationen zu schaffen. Das für Europa. auf diese Veränderungen eingestellt. aufs Neue offen lässt, ob es überhaupt Produktionen ein. Uns liegt viel daran ist eine Herausforderung, der sich Europäische Union und Europarat In den neuen Ländern lassen sich in eine weitere Förderung gibt. Das hin- auch für jüngere Generationen ein An- Gesellschaft und Politik stellen aber sind die großen Partner der Nati- einigen Regionen aufgrund eines zum dert viele daran, langfristig zu planen, gebot zu schaffen, was ihre Bedürfnis- muss. onen Europas um den Aufbau und die Teil dramatischen Bevölkerungsrück- was dazu führt, eigene Ressourcen se befriedigt und ihnen gleichzeitig Tut man das, bedeuten sinkende Gestaltung Europas bewusst zu ma- gangs die Auswirkungen des demo- nicht auszuschöpfen. Finanziellen Lust auf mehr Kunst und Kultur Bevölkerungszahlen nicht gleichzeitig chen. Sie sind die Partner um europä- grafischen Wandels in einer Art Zeit- Ausgleich über Sponsoring oder Mit- macht. auch die geringere Nutzung von kul- ische Werte, Aussichten und Interes- raffer bereits heute erkennen. gliedsbeiträge zu erreichen, ist in länd- Da das Geld perspektivisch leider turellen Angeboten. Deshalb ist de- sen global einzubringen und bei GATS Die enorme Bevölkerungsausdün- lichen Regionen kaum möglich. Viele wohl nicht mehr wird, ist ein effekti- mografischer Wandel kein Argument und WTO durchzusetzen. nung birgt die Gefahr, dass es kein flä- sind häufig bereits in mehreren Verei- verer Einsatz der Mittel unabdingbar. für den Rückbau kultureller Infra- Über 30 Handlungsempfehlungen chendeckendes kulturelles Angebot, nen engagiert und sind am Ende ihrer Eine Kulturentwicklungsplanung in strukturen! sind aus den mündlichen und schrift- sondern Kultur nur noch in einigen finanziellen Möglichkeiten. Gleiches den Regionen kann dabei helfen. Da- lichen Befragungen, der Anhörung Ballungsgebieten gibt. Das bedeutet gilt für das Engagement von ansässi- mit diese aber auch ein Erfolg wird, Die Verfasserin ist Mitglied des und der Teilnahme an Tagungen und für die Menschen in ländlichen Regi- gen Firmen und Gewerbetreibenden. müssen kulturelle Institutionen stär- Deutschen Bundestags und gehörte Konferenzen als besonders wichtig onen nicht nur lange Wege zur Kultur, Für überregional agierende Firmen ker kommunen- und gegebenenfalls für die SPD-Fraktion der Enquete- herausdestilliert worden. Manche ver- sondern macht die ländlichen Regio- und Konzerne ist der ländliche Raum länderübergreifend genutzt werden. Kommission „Kultur in Deutsch- stehen sich von selbst, bestärken das, nen auch unattraktiver. Zusätzlich für Sponsoring meist unattraktiv, weil Nur so kann man zumindest teilweise land“ an KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 22

Theater ist mehr als Unterhaltung Warum die Gesellschaft die Theaterlandschaft der öffentlichen Hand braucht • Von Lydia Westrich

Die Tätigkeit einer Finanzpolitikerin starken Vertretung der künstlerisch rung von leistungsorientierten Ver- führt nicht zwangsläufig zu Kunst und der nicht künstlerisch Beschäf- gütungselementen bieten Rege- und Kultur. Doch die Arbeit in der tigten sollte ein einheitlicher Tarif- lungselemente, die Anpassungen an Enquete-Kommission „Kultur in partner auf Arbeitgeberseite gegen- die Erfordernisse und Gepflogenhei- Deutschland“ zeigte mir, wie sehr über stehen ten einer modernen Theaterland- die Existenz künstlerischen Lebens Den Theatern, Opern und Or- schaft ermöglichen. mit seinen finanziellen Bedingungen chestern wird durch die Kommissi- Die Entlassung der Bühnen aus verbunden ist. Da ich mich schwer- on empfohlen, sich für rechtliche dem Recht des öffentlichen Dienstes punktmäßig mit der wirtschaftlichen Verselbständigung zu öffnen. Die kann also nicht mehr mit der festen, und sozialen Lage der Künstlerin- bereits praktizierten neuen Modelle unflexiblen Gestaltung der Tarifver- nen und Künstler sowie der tarif- der Trägerschaft, beispielhaft er- träge in den engen Grenzen des al- und arbeitsrechtlichen Situation der wähnt seien hier das Nationalthea- ten Bundes-Angestelltentarifver- hier abhängig Beschäftigten be- ter in Weimar und das Berliner En- trags begründet werden. Nunmehr fasst habe, stieß ich von Beginn an semble in Berlin, müssen beobach- könnte auch ein einheitliches und auf die Situation unserer Theater- tet und ob ihrer neuen Möglichkei- theaterspezifisch funktionsfähiges welt. ten weiter diskutiert werden. Tarifsystem unter dem Mantel des Doch ist die Bindung an die Kom- TVöD geschaffen werden. Teilweise ie im 19. Jahrhundert entstan- munen und damit an ihre Bürger- ist der TVöD flexibler als schon vor- D dene Vielfalt der deutschen innen und Bürger nicht per se ein handene Hausverträge. Bühnen ist kein Selbstzweck, son- Nachteil für die Theater. So stellt das Deshalb ist es meiner Ansicht dern Ausdruck eines traditionellen „Strukturgutachten“ der Kanzlei Ho- nach auch nicht nötig, im Arbeits- Föderalismus, der die Kultur in gan & Hartson Raue selbst fest, dass recht weitere Lockerungen für den Deutschland auch fernab der Lan- eine rechtliche Verselbständigung Bühnenbereich vorzusehen. Das deszentren fördert. Die hauptsäch- der Bühnen nicht primär entschei- habe ich in einem Sondervotum do- lich von der öffentlichen Hand getra- dend für den Erfolg eines Theaterbe- kumentiert. gene Theaterszene ist Ausdruck und triebes ist und die vorhandenen Insgesamt kann die Zukunft der „Bindemittel“ unseres Gemeinwe- haushaltsrechtlichen Spielräume deutschen Theater- und Orchester- sens wie auch Ort der Aufarbeitung nicht immer ausgeschöpft werden. landschaft nur mit allen Beteiligten von Vergangenheit und Zukunfts- Dem kann ich mich nur anschließen. gesichert werden. Dazu bedarf es der schmiede zugleich. An den deutschen Bühnen arbei- Entwicklung von gemeinsam getra- Das in Deutschland gewachsene tet eine Vielzahl hoch motivierter genen Modellen, die in der Lage System der Stadttheater ist weiterhin künstlerischer und nicht-künstleri- sind, Kosten zu senken, Mehrein- eine Chance, den Wandel einer Ge- scher Arbeitnehmer, die den Spiel- nahmen zu generieren und ein effek- sellschaft überall zu begleiten und betrieb gemeinsam gewährleisten. tives Haushalten der Bühnen und ihre Werte immer neu zu hinterfra- Ihre Arbeits- und Einkommensbe- Orchester zu gewährleisten. gen, zu festigen und nicht zuletzt dingungen dürfen allerdings nicht Bundespräsident Johannes Rau durch einen Diskurs zu legitimieren. als verfügbares Sparpaket miss- hat in der Arbeitsgruppe „Zukunft Schulen verstärkt ans Theaternetz braucht werden. Die Anwendung von Theater und Oper in Deutsch- heranzuführen, ist eine Zukunftsper- des neuen TVöD bietet neue Chan- land“ darauf hingewiesen, dass es Lydia Westrich, MdB. Foto: Stefanie Ernst spektive für das Theater und für die cen effektiven Zusammenwirkens. sich bei der Kultur nicht um ein lu- staatsbürgerliche Selbstverständ- Die nun vereinbarten Möglichkeiten xuriöses Sahnehäubchen handelt, Bedingungen der öffentlichen Kas- Die Verfasserin ist Mitglied des Deut- lichkeit unseres Gemeinwesens. der flexiblen Arbeitszeitgestaltung, sondern um ein Lebensmittel. Auch sen zu erhalten, war Ziel der En- schen Bundestages und gehörte für die Auch attraktive kommerzielle Kul- die Vereinfachung und Straffung der das notwendige Lebensmittel Thea- quete-Kommission und daran wird SPD-Fraktion der Enquete-Kommis- turangebote des Boulevards werden Vergütungsstruktur und die Einfüh- terlandschaft unter den erschwerten weitergearbeitet. sion „Kultur in Deutschland“ an nicht in der Lage sein, den gesell- schaftlich-seismografischen Blick des Theaters zu ersetzen. Die Kon- zentration auf wenige kulturelle Zen- Mitglieder der Enquete-Kommission „Kultur in Mitglieder der Enquete-Kommission „Kultur in tren der so genannten Hochkultur hingegen widerspricht unserem fö- Deutschland“ in der 15. Wahlperiode (2003 bis 2005) Deutschland“ in der 16. Wahlperiode (2006 bis 2007) deralen Selbstverständnis. Eine Kul- tur der kurzen Wege ist Grundlage Ordentliche Mitglieder · Prof. Dr. Wolfgang Schneider; Direk- Ordentliche Mitglieder der CDU/ rektor der Katholischen Akademie für die Arbeit mit Schulen und jun- SPD-Fraktion tor des Instituts für Kulturpolitik der CSU-Fraktion des Bistums Münster und Sprecher gen Erwachsenen und das Selbstver- · Siegmund Ehrmann, MdB Universität Hildesheim, · Gitta Connemann, MdB für kulturelle Grundfragen des Zen- ständnis der Bürger, dass es sich · Angelika Krüger-Leißner, MdB · Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg; Di- · Prof. Monika Grütters, MdB tralkomitees der deutschen Katho- nicht um ein, sondern um ihr Thea- · Horst Kubatschka, MdB rektor der Katholischen Akademie · Johann-Henrich Krummacher, MdB liken, Mitglied des Landtages von ter handelt. · Dr. , MdB des Bistums Münster und Sprecher · Dorothee Bär (geborene Mantel), MdB Nordrhein-Westfalen, Die Enquete Kommission „Kultur · Lydia Westrich,MdB für kulturelle Grundfragen des Zen- · Dr. Dieter Swatek (ab dem 12. No- in Deutschland“ im Deutschen Bun- tralkomitees der deutschen Katho- Ordentliche Mitglieder der SPD- vember 2004); Staatssekretär a. D., destag hatte sich die Aufgabe ge- Ordentliche Mitglieder liken; ab dem 22. Mai 2005 Mit- Fraktion · Dr. Nike Wagner; Intendantin der stellt, einen möglichst umfassenden CDU/CSU-Fraktion glied des Landtages von Nordrhein- · Siegmund Ehrmann, MdB „Kunstfest Weimar GmbH“, Einblick in die arbeitsorganisatori- · Gitta Connemann, MdB Westfalen, · Steffen Reiche, MdB · Dr. h. c. Johann (Hans) Zehetmair, sche und rechtliche Situation an den · Günter Nooke, MdB · Dr. Dieter Swatek (ab dem 12. No- · Simone Violka, MdB Staatsminister a. D., Senator E. h., deutschen Bühnen zu bekommen. · Matthias Sehling MdB vember 2004); Staatssekretär a. D., · Lydia Westrich, MdB Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stif- Mit dem „Strukturgutachten Theater · Christian Freiherr von Stetten, MdB · Dr. Nike Wagner; Intendantin der tung, Vorsitzender des Rats für deut- und Orchester“ der Anwaltskanzlei „Kunstfest Weimar GmbH“, Ordentliches Mitglied der FDP- sche Rechtschreibung, Hogan & Hartson Raue ist ein Beitrag Ordentliches Mitglied · Dr. h. c. Johann (Hans) Zehetmair; Fraktion · Olaf Zimmermann, Geschäftsführer zur Analyse der aktuellen Situation Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Staatsminister a. D.; Senator E. h.; ·Hans-Joachim Otto, MdB des Deutschen Kulturrats e. V. an den 150 Theatern, Opernhäusern · Ursula Sowa, MdB Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stif- und 48 Konzertorchestern in tung; Vorsitzender des Rats für deut- Ordentliches Mitglied Fraktion Die Stellvertretende Mitglieder der Deutschland mit Lösungsvorschlä- Ordentliches Mitglied der sche Rechtschreibung Linke CDU/CSU-Fraktion gen für deren Erhaltung geleistet FDP-Fraktion · Olaf Zimmermann; Geschäftsführer · Dr. Lukrezia Jochimsen, MdB · Wolfgang Börnsen, MdB worden. Die finanzielle Notlage vie- · Hans-Joachim Otto, MdB des Deutschen Kulturrats e. V. · Marie-Luise Dött, MdB ler Kommunen, der Länder und des Ordentliches Mitglied der Frakti- · Kristina Köhler, MdB bis 15.2.06 Bundes erzwingen sparsames und Sachverständige Mitglieder Stellvertretende Mitglieder on Bündnis 90/Die Grünen · , MdB bis 15.2.06 effektives Handeln auch im Kultur- · Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendör- der SPD-Fraktion · Undine Kurth, MdB · Monika Brüning, MdB ab 15.2.06 bereich. fer; Geschäftsführerin der Berliner · Eckhardt Barthel, MdB · Dr. Günther Krings, MdB ab Die Vielfältigkeit der deutschen KulturveranstaltungsGmbH bis Janu- · Dr. Michael Bürsch, MdB Sachverständige Mitglieder 15.2.06 Theaterlandschaft zu erhalten und ar 2005; ab März 2005 Lehrstuhl · Petra-Evelyn Merkel, MdB · Prof. Dr. Susanne Binas-Preisendör- Vorschläge zu erarbeiten, die es den für Musik und Medien an der Uni- · Ute Kumpf, MdB fer; Lehrstuhl für Musik und Medien Stellvertretende Mitglieder SPD- Bühnen ermöglichen, ein attraktives versität Oldenburg, · Petra Weis, MdB an der Universität Oldenburg, Fraktion Programm auch in Zukunft zu ge- · Helga Boldt; Kulturdezernentin a. D.; · Helga Boldt, Kulturdezernentin a. D.; · Dr. Michael Bürsch, MdB währleisten, ist ein ehrgeiziges Ziel, ab Mai 2005 Beraterin der Bertels- Stellvertretende Mitglieder Beraterin für Schule, Kultur und · Monika Griefahn, MdB das ohne einschneidende Reformen mann Stiftung, der CDU/CSU-Fraktion Kommunalreform, · Petra-Evelyn Merkel, MdB nicht durchgesetzt werden kann. · Dr. Bernhard Freiherr von Loeffelholz; · Dr. , MdB · Prof. Dr. Dieter Kramer; außeror- · Petra Weis, MdB Deshalb hat sich die Enquete-Kom- Präsident des Sächsischen Kultur- · Marie Luise Dött, MdB dentlicher Professor an der Univer- mission dafür ausgesprochen, den senats; Vorstandsmitglied des Kul- · Kristina Köhler, MdB sität Wien; Institut für europäische Stellvertretendes Mitglied der Theatern mehr Autonomie und Pla- turkreises der deutschen Wirtschaft · Dorothee Mantel, MdB Ethnologie, FDP-Fraktion nungssicherheit einzuräumen. Die im Bundesverband der Deutschen · Heinz Rudolf Kunze; Musiker und · Christoph Waitz, MdB Entlassung der Theater aus dem Industrie, Stellvertretendes Mitglied der Songschreiber, haushälterischen Jährlichkeitsprin- · Dr. Gerd Harms (bis zum 18. Okto- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen · Prof. Dr. Oliver Scheytt; Kulturdezer- Stellvertretendes Mitglied der zip hin zu mehrjähriger Planung ist ber 2004); Staatsminister a. D., · Dr. Antje Vollmer, MdB nent der Stadt Essen, Geschäftsfüh- Fraktion Die Linke dazu Bedingung. · Heinz Rudolf Kunze; Musiker und rer der RUHR.2010 GmbH; · Prof. Dr. Hakki Keskin, MdB Auch dass trotz der hohen Flexi- Songschreiber, Stellvertretendes Mitglied der · Prof. Dr. Wolfgang Schneider; Direk- bilität aller beteiligten Gruppen ein- · Dr. Oliver Scheytt; Beigeordneter der FDP-Fraktion tor des Instituts für Kulturpolitik der Stellvertretendes Mitglied der heitliche Tarifpartner auf allen Ver- Stadt Essen für Bildung, Jugend und · Helga Daub, MdB Universität Hildesheim, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen handlungsseiten gute und prakti- Kultur; · Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg; Di- · Katrin Göring-Eckardt, MdB kable Lösungen erleichtern werden, war Konsens der Beratungen. Einer KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 23

Ein Bericht von Gewicht Viele Positionen des Deutschen Kulturrates finden sich wieder • Von Max Fuchs Der Abschlussbericht der Enquete- im Bericht wieder finden – auch gements“ dringend angemahnten Kommission des Deutschen Bundes- wenn sie nicht ausdrücklich immer Veränderungen im Zuwendungs- tags „Kultur in Deutschland“ ist als solche bezeichnet werden. So ist recht und der Zuwendungspraxis. gleich in mehrfacher Hinsicht von es sehr positiv, dass sich die En- Hier macht die Enquete-Kommissi- Gewicht. Zuerst beeindruckt er durch quete-Kommission den Begriff der on sehr konkrete Vorschläge, um die seine Dicke. Mit immerhin über 500 kulturellen Infrastruktur zu eigen Arbeit von Kultureinrichtungen – Seiten hat er einen Umfang, der er- gemacht hat, der in der Stellungnah- auch ohne Rechtsformänderung – zu staunt. Danach besticht er dadurch, me des Deutschen Kulturrates zur entbürokratisieren und das bürger- dass er ein Kompendium der aktu- europäischen Debatte zur Daseins- schaftliche Engagement zu erleich- ellen Kulturpolitik in Deutschland – vorsorge rund um die EU-Dienstleis- tern. Weiter gehören in den Zusam- mit einem Schwerpunkt auf der Bun- tungsrichtlinie im Jahr 2004 in die menhang der Vorschläge diejenigen, desebene – ist. kulturpolitische Diskussion einge- die zu einer veränderten Besteue- führt wurde. Dieser Begriff macht u. rung ausländischer Künstler führen an hat Schwierigkeiten, ein Ar- a. deutlich, dass Kultur in Deutsch- sollen. Hierzu hat inzwischen der M beitsfeld oder eine Fragestel- land von vielen Akteuren getragen Deutsche Kulturrat die Initiative er- lung zu finden, die nicht zumindest wird: nicht nur von Bund, Ländern griffen und bei einem Treffen mit einmal betrachtet und zu der eine und Gemeinden, sondern auch von dem EU-Kulturkommissar Figel eine Aussage getroffen wurde. Von Ge- den Künstlern und ihren Organisa- europäische Lösung angemahnt. wicht ist der Bericht weiter deshalb, tionen, von den Kultureinrichtun- Auch in Hinblick auf die angespro- weil er zu einem überwiegenden Teil gen, den Kulturvereinen und -stif- chene Kulturverträglichkeitsrege- einvernehmlich beschlossen wurde tungen sowie von der Kulturwirt- lung sind wir inzwischen initiativ und es nur sehr wenige Sondervoten schaft. Die Verbände der unter- geworden. gibt. Das zeigt, dass die Enquete-Kom- schiedlichen Akteure finden sich im Diese zunächst einmal positive mission um gemeinsame Lösungen Mitgliederspektrum des Deutschen Würdigung der Tätigkeit der Enquê- gerungen hat und es ihr zu einem gro- Kulturrates wieder. Daher ist der te-Kommission bedeutet natürlich ßen Teil auch gelungen ist. Und dort, Deutsche Kulturrat stets darauf be- nicht, dass ich selber oder sogar der wo es Sondervoten gibt, sind diese im dacht, die unterschiedlichen Inter- Deutsche Kulturrat alle Handlungs- Hinblick auf eine differenzierte Be- essen der verschiedenen Akteure empfehlungen gleichermaßen un- trachtung, erhellend und lehrreich. sowie der unterschiedlichen künst- terstützt. Dies gilt insbesondere für Gitta Connemann, MdB überreicht dem Vorsitzenden des Deutschen Kultur- Damit erhöht sich auch das Gewicht lerischen Sparten im Blick zu halten solche Vorschläge, die relativ neu rates Max Fuchs ein Exemplar des Abschlussberichtes. Foto: Stefanie Ernst dieses einstimmig beschlossenen Be- und auf dieser Grundlage seine For- sind und eine eingehende Debatte richtes in der nun folgenden kulturpo- derungen zu erheben. Dass die En- verdienen. Hierzu gehört z.B. die dessen, was eine demokratische Kul- sich in seinen Fachausschüssen litischen Debatte und vor allem die quete-Kommission einen ähnlichen Forderung nach einer Bundeszentra- turpolitik leisten soll. gründlich mit dem Text befassen und Bedeutung der über 400 Handlungs- Ansatz gewählt hat, ist positiv. le für kulturelle Bildung. Bereits jetzt Die Enquete-Kommission hat in der ersten Jahreshälfte eine aus- empfehlungen. Diese richten sich Die Enquete-Kommission hat in kann ich zudem für mich selber fest- bereits während ihrer Arbeit Anstö- führliche Stellungnahme vorlegen. beileibe nicht nur an den Deutschen ihrem Bericht eine Reihe von Vor- stellen, dass mit dem Leitbegriff des ße zu Debatten im Kulturbereich ge- Jetzt werden es die Akteure des Kul- Bundestag als ersten Adressaten des schlägen unterbreitet, die bereits „aktivierenden Kulturstaats“ ein Fehl- geben. Dazu gehört zum Beispiel, die turbereiches sein, die die Vorschlä- Berichtes oder an die Bundesregie- seit langem in der kulturpolitischen griff getan wurde. Der „aktivierende Bedeutung der Kirchen für die Kul- ge bewerten, sie sich eventuell zu rung, sondern vielmehr an alle politi- Debatte sind. Dazu zählt die Diskus- Staat“ ist inzwischen selbst bei den tur stärker zu berücksichtigen. In eigen machen und daraus Forderun- schen Ebenen in Deutschland ange- sion um das Staatsziel Kultur – die politischen Urhebern (der rot-grü- dieser Zeitung wurde die Diskussion gen erheben oder aber sie ablehnen. fangen von den Kommunen, über die hoffentlich in dieser Legislaturperi- nen Regierungskoalition) in der Ver- aus der Enquete-Kommission aufge- Es wird eine sicherlich spannende, Länder und den Bund. Auch die zivil- ode zu einem positiven Ende geführt senkung verschwunden. Lieber nommen und es ist eine Reihe von manchmal sicherlich auch span- gesellschaftlichen Akteure werden werden kann. Dazu gehören die spricht man jetzt vom „vorsorgen- Beiträgen hierzu erschienen. nungsgeladene Diskussion werden. nicht ausgespart. bereits von der Enquete-Kommissi- den Staat“. In der stark zivilgesell- Die Arbeit mit dem Bericht der Erfreulich ist, dass sich viele Po- on des Deutschen Bundestags „Zu- schaftlich geprägten Kulturpolitik ist Enquete-Kommission wird nun be- Der Verfasser ist Vorsitzender des sitionen des Deutschen Kulturrates kunft des Bürgerschaftlichen Enga- dieser Begriff das genaue Gegenteil ginnen. Der Deutsche Kulturrat wird Deutschen Kulturrates KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 24

Bürgerschaftliches Engagement: Potenzial für die Kulturarbeit In idealer Weise gesellschaftliche und individuelle Wirkungen von Kunst und Kultur vereinen • Von Hildegard Bockhorst Über drei Millionen Menschen enga- Sinne individueller Selbstverwirkli- gieren sich deutschlandweit freiwil- chung, Erholung oder Kompensati- lig in der Kultur. Dieser großen Be- on berücksichtigen. deutung von Bürgerschaftlichem En- Freiwillige sind keine Hilfsarbei- gagement für die Kultur trägt die terinnen und Hilfsarbeiter. Die Leis- Kulturenquete auf insgesamt 35 Sei- tung von aktiven Helfern und Helfer- ten und in zahlreichen Empfehlungen innen erfolgt freiwillig und unent- ihres Abschlussberichts angemessen geltlich, sie ist aber nicht kostenlos Rechnung. zu haben. Dabei sind Verpflichtun- gen der Kultureinrichtungen (Mitbe- eben eigenen Anhörungen und stimmungsrechte, Kommunikati- N Recherchen im Lauf der Kul- onsstrukturen, gesetzliche Unfall- turenquetearbeit greift die Kommis- oder Haftpflichtversicherung, feste sion auf das einschlägige Material und stabile Strukturen etc.) selbst- rund um das Themenfeld Bürger- verständlich. Die Kulturenquete schaftliches Engagement zurück – konstatiert klar, dass Bürgerschaftli- beispielsweise auf den Abschlussbe- ches Engagement der kontinuierli- richt der Bundestags-Enquete-Kom- chen Unterstützung durch Qualifi- mission „Zukunft des Bürgerschaft- zierung, verlässliche Kooperations- lichen Engagements“ (2001), auf die beziehungen mit hauptamtlichen Veröffentlichungen des ersten und Kräften und klaren Aufgabenstruktu- zweiten Freiwilligensurveys von ren bedarf und sich öffentliche An- 1999 und 2004, auf Gutachten des erkennung sowie die Gewährleis- Maecenata Instituts oder auf das tung unterstützender Rahmenbe- „Gesetz zur weiteren Förderung des dingungen verbessern müssen. bürgerschaftlichen Engagements“ (Sommer 2007, bekannt geworden Vielfalt kulturellen als „Hilfen für Helfer“). Damit macht Engagement der Abschlussbericht deutlich, dass sich Bürgerschaftliches Engagement Die Kulturenquete benennt zahlrei- in der Kultur in einen Gesamtdiskurs che Systematiken und Ebenen für um die Perspektiven der Zivil- und Gemeinschaftsaktivität und Bürger- Bürgergesellschaft und in eine Viel- schaftliches Engagement in der Kul- Bernhard Freiherr von Loeffelholz, Sachverständiges Mitglied der Kultur-Enquete, Jan Gerd Becker-Schwering, Referent falt von strukturellen, rechtlichen tur: der FDP-Bundestagsfraktion und Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata-Instituts. Foto: Stefanie Ernst und inhaltlichen Anknüpfungspunk- 1. Kulturverbände, -vereine und ten einbettet. -einrichtungen sind zunächst zi- turförderung verdrängt, Jährlich- ment sinnfällig. Noch klafft eine nützigkeits- und Spendenrechts vilgesellschaftliche Akteure. Sie in keitsprinzip und Fehlbedarfsfi- große Schere zwischen Angebot steht noch aus. Bisher auf steuer- Koproduktion für Kultur genau dieser Rolle partizipatorisch nanzierung entgegen Festbe- und Nachfrage, die sich auch da- liche Aspekte konzentrierte Refor- und Teilhabe bei der Entwicklung von „Verant- tragsfinanzierung führen zu man- rin begründet, dass die Finanzie- men sollten durch eine andere wortungspartnerschaften“ für Kul- gelnder Flexibilität und zu Mittel- rung der kulturellen Freiwilligen- Form der Statusfeststellung er- Die Entwicklung und Förderung von tur einzubinden, ist Aufgabe einer kürzungen bzw. Rückzahlungsfor- dienste gerade für kleinere Ein- weitert werden. Die Empfehlun- Kultur ist, so die Kulturenquete, gesellschaftspolitisch orientierten derungen bei der erfolgreichen richtungen und Trägerorganisati- gen im Bereich der Stiftungen er- nicht nur eine staatliche Aufgabe: Kulturpolitik. Nur so werden Ab- Akquise von Eigen- und Drittmit- onen schwer realisierbar ist. gänzen die bereits veranlassten „Ohne das finanzielle und zeitliche sprachen und Prozesse für kultur- teln, ehrenamtliches Engagement Veränderungen um Verfahrensre- Engagement einer großen Zahl von politische Entscheidungen nach- wird zumeist nicht als Eigenmit- Handlungsleitende geln, die Forderung nach Trans- Menschen wären das kulturelle Le- vollziehbar und tragfähig. tel anerkannt. Diese Hürden des Empfehlungen parenz sowie die Schaffung eines ben und die kulturelle Vielfalt in 2. Der Engagementbegriff im En- öffentlichen Zuwendungsrechts Stiftungsregisters. Stiftungen soll- Deutschland nicht denkbar. Viele quetebericht ist dezidiert ein wei- sind Engagement unfreundlich. Konsequent setzen die Handlungs- ten nicht nur (öffentlichkeitswirk- Einrichtungen verdanken diesem ter. Er reicht vom Spenden von 5. Positiv bewertet die Kommission empfehlungen im Bericht – hier nur same) Projekte, sondern auch In- Engagement ihre Entstehung oder Geld bis zum Spenden von Zeit, die Entwicklungen für den Kultur- die wichtigsten genannt – an den stitutionen fördern und die Kon- ihren Erhalt.“ Um aber die Vielfalt erstreckt sich von der Ausübung bereich im Gemeinnützigkeits- identifizierten Problemlagen an. tinuität der Arbeit sichern. der Kultur zu erhalten und in ihrer eines Hobbys (künstlerische Akti- und Steuerrecht, u. a. durch das 1. Grundsätzlich fordert die Kultur- 5. Die Enquete-Kommission fordert, Breite zu gewährleisten, darf Bürger- vität) über Gestaltung kulturellen „Gesetz zur weiteren Förderung enquete verbesserte Rahmenbe- die Zahl der Plätze im FSJ Kultur schaftliches Engagement nicht als Lebens (Mitgliedschaft im Verein) des bürgerschaftlichen Engage- dingungen, so dass sich Bürger ist um ein Vielfaches zu erhöhen Ersatz staatlicher Förderung ver- bis hin zur Übernahme von Ver- ments“. unabhängig von sozialem Status und die Förderpauschale anzuhe- standen werden, sondern muss sie antwortung im Ehrenamt. Schon 6. Drei besondere Unterstützungs- engagieren können. Unumstöß- ben. Zudem strebt die Kommissi- ergänzen. in der exemplarischen Auffüh- systeme hebt die Kulturenquete lich ist die finanzielle Verantwor- on eine Institutionalisierung ei- Neben dieser grundsätzlichen rung von Handlungsfeldern – Li- hervor: Stiftungen wachsen in ih- tung der öffentlichen Hand in nes FSJ Kultur im Ausland an. Aussage hebt der Abschlussbericht teratur, Bildende Kunst, Museen, rer Bedeutung als Motor der Zivil- Höhe von 8 Milliarden Euro für die 6. Eine umfassende Datenerhebung hervor, dass Bürgerschaftliches En- Darstellende Kunst, Musik, Sozi- gesellschaft. Neben lokal orientier- Sicherung einer grundständigen im Bereich der Kulturförderung gagement entscheidend dazu bei- okultur, Baukultur und Denkmal- ten Bürgerstiftungen sind es zahl- kulturellen Infrastruktur. Zur Ge- würde dazu beitragen, das Wissen trägt, Kultur bürgernah zu gestalten. pflege, Stiftungen, Laienkultur reiche Stiftungsgründungen von winnung von mehr Engagierten um die Situation des Kulturbe- Mit der aktiven Beteiligung der Bür- und Brauchtum – wird die Vielfalt Unternehmen und Einzelperso- bzw. zur Verbesserung der Engage- reichs zu verbessern und – neben ger und Bürgerinnen steigt ihre kul- kulturellen Engagements deut- nen, die Kunst und Kultur mäze- mentmöglichkeiten empfiehlt der Good Practice – Strategien abzu- turelle, soziale und letztlich gesell- lich: Ehrenamt, Projektarbeit, En- natisch unterstützen. Bei Neuein- Abschlussbericht die stärkere Ko- leiten. schaftliche Identifikation und Inte- gagement für Kulturinitiativen richtungen, die durch die Stif- operation und Vernetzung des gration. Dort, wo freiwillige Mitar- und Baudenkmäler, Selbsthilfe tungsreform erleichtert wurden, Kulturbereichs mit engagement- Perspektiven erweitern beiterinnen und Mitarbeiter aktiv etc. rangieren Kunst und Kultur als Stif- politischen Strukturen. sind, werden Kultureinrichtungen 3. Kulturvereine sind ein wichtiges tungszweck mittlerweile an zwei- 2. Die Enquete-Kommission spricht Die Handlungsempfehlungen der und deren Angebote im öffentlichen Strukturmerkmal des kulturellen ter Stelle. Private finanzielle Spen- sich im Zusammenhang mit Zu- Kulturenquete sind in vollem Um- Bewusstsein zumeist viel besser Lebens und des Bürgerschaftli- den stagnieren. Die Summe der wendungs- und Finanzierungsfra- fang zu unterstützen. Es stellt sich wahr- und angenommen. chen Engagements. Ihre ehren- privaten Spenden übersteigt aber gen für deutliche Erleichterungen nunmehr die Frage nach ihrer Um- In idealer Weise – so lässt sich amtlichen Vorstände werden hin- noch immer die Summe der Kul- im Haushaltsrecht aus: Abschluss setzung in den verschiedenen Poli- ableiten – verbinden sich durch Bür- sichtlich der Steuerung ihrer Ver- turfinanzierung aus Steuermitteln. mehrjähriger Zuwendungsverträ- tikfeldern. Freiwilliges Engagement gerschaftliches Engagement gesell- eine mit Fragen des Gemeinnüt- „Der größte Kulturfinanzierer in ge, Aufhebung von Haushalts- in der Kultur ist eine Querschnitts- schaftliche und individuelle Wirkun- zigkeitsrechts, des Haftungs- Deutschland ist der Bürger in ers- grundsätzen wie der Jährlichkeit, aufgabe, welche die kommunale, die gen von Kunst und Kultur. Sie rei- rechts und der Haftungsrisiken, ter Linie als Marktteilnehmer (Kul- ausgewogenes Verhältnis von in- Länder-, Bundes- und EU-Ebene chen von der Förderung der Kreati- der Unfallversicherung, der turwirtschaft), in zweiter Linie als stitutioneller und Projektförde- einbezieht und der Kulturpolitik So- vität Einzelner über die zivilgesell- Künstlersozialversicherung, der Spender und erst in dritter Linie rung, Stärkung der Festbetragsför- zial-, Finanz-, Innen-, Bildungs- und schaftliche Prägung sozialer Grup- GEMA-Gebührenordnung, des als Steuerzahler.“ Erfreulich ist die derung, Bürokratie-Abbau, Aner- Jugendpolitik zur Seite stellt. Kultur- pen bis hin zur Attraktivitätssteige- bürokratischen Aufwands bei der Entwicklung des Fördervolumens kennung bürgerschaftlichen En- politik und Engagementpolitik in rung einer Kommune, eines Landes Vereinsführung etc. konfrontiert. von Unternehmen: Corporate Vo- gagements als geldwerte Leistung. diesem Sinne zu integrieren, ist letzt- und des Kulturstaates Deutschland Diese Komplexität einhergehend lunteering in Deutschland als Zur- Außerdem plädiert sie für eine ver- lich aktive Gesellschaftspolitik. insgesamt. mit einer großen Unwissenheit verfügungstellung von Arbeits- besserte öffentliche Förderung für Im Bericht behält die Enquete- und Unsicherheit führt zu man- kraft, Zeit, fachspezifischem Wis- ehrenamtliche Infrastrukturen Kommission logisch die Kultur-Per- Voraussetzungen und gelnder Bereitschaft, ehrenamtli- sen und Geld/Sponsoring steigt. (z.B. Laienorganisationen) – ggf. spektive bei. Sie legt kein Gesamt- Hintergründe che Verantwortung zu überneh- Diese wachsende unternehmeri- auch in Konkurrenz zu anderen konzept für die Stärkung Bürger- men bzw. zu einem Missverhält- sche kulturelle Verantwortung Kulturbereichen – vor allem in schaftlichen Engagements in der Die Freiwilligensurveys haben nach- nis zwischen inhaltlicher und ver- spiegelt sich noch nicht in einer ländlichen Regionen. Kultur vor – das war auch nicht ihr gewiesen, dass in unserer Gesell- waltungstechnischer Arbeit. allgemeinen Spendenkultur. 3. Für die verbesserte Absicherung Auftrag. In einem weiteren Schritt schaft eine hohe Bereitschaft be- 4. Die Kulturenquete zählt hinsicht- 7. Gesondert hebt der Abschlussbe- und Qualifizierung von ehren- indes ist wichtig zu beachten, dass steht, sich zu engagieren. Die Moti- lich der finanziellen Ausstattung richt die Bedeutung der kulturel- amtlichen Vereinsvorständen for- die finanziellen und rechtlichen vationen haben sich allerdings ver- von bürgerschaftlich geprägten len Freiwilligendienste hervor, die dert die Kulturenquete u.a. pra- Rahmenbedingungen nur eine Seite ändert. Bürgerschaftliche Teilnahme Kulturvereinen und -verbänden – als FSJ Kultur und als generati- xisorientierte Schulungen, Bera- der Medaille ist. Sie stellen längst erfolgt nunmehr seltener aus sozia- eine Großzahl an Hindernissen auf: onsoffener Freiwilligendienst in tung, Informationsmöglichkeiten nicht sicher, dass sich mehr Men- ler Verantwortung, Nächstenliebe Der Abrechnungsaufwand steht der Kultur „kek“ – im Kapitel Kul- und -austausch sowie Haftungs- schen freiwillig für die Belange der oder Solidarität, sondern muss im- häufig in keinem Verhältnis zur För- turelle Bildung Erwähnung fin- minderung. mer häufiger die Interessen und Be- derhöhe, Projektförderung hat den. Gerade hier wird die Verbin- 4. Eine Bewertung der tatsächlichen Weiter auf Seite 25 dürfnisse der freiwillig Tätigen im längst die verlässliche Infrastruk- dung von Bildung und Engage- Vorteile der Reform des Gemein- KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 25

amtlichen über Einrichtungen mit zung von Kultureinrichtungen im Noch ist die Abhängigkeit von frei- hend an unmittelbarer emotionaler Fortsetzung von Seite 24 ehren- und hauptamtlicher Struk- Sinne kooperativer Modelle, williger Mitarbeit und Spenden- Attraktivität, sie sei weit abstrakter als tur bis zu aktuell noch rein profes- - entsprechenden Qualifizierungs- möglichkeit zu stark abhängig vom das persönliche unmittelbare Leid, Kultur und der Gesellschaft einset- sionalisierten Organisationen – maßnahmen und Modellprojekten Bildungsstatus der Bürger/innen, das im Sozialbereich Hilfsimpulse zen. Zielebene müsste nicht nur die sich als bürgerschaftlich zu verste- zur Anregung von mehr Engage- - inhaltlicher Erweiterung des Enga- auslöst. So ist es Aufgabe aller Betei- Verbesserung und Optimierung des hen und Menschen für freiwilliges ment in der Kultur, gementthemas in der Kultur um ligten, die identitätsstiftenden, wer- bereits Existenten sein, sondern die Engagement in der Kultur zu ge- - der Umsetzung geeigneter Ideen und Fragen des lebenslangen Lernens, tevermittelnden und sozialen Poten- Anregung von Neuem und Nachhal- winnen, Programme für die Partizipation und der Interkulturalität, der Persön- ziale der Kultur für Bürgerschaftliches tigem. Rechts- und Finanzfragen ste- - der Notwendigkeit, dem Zeitspen- für das Engagement von jungen lichkeitsbildung, der Gewaltprä- Engagement zu aktivieren. hen in einem Wechselspiel zu Gelin- denangebot und -interesse von Bür- Menschen, um möglichst früh und vention … gensbedingungen für inhaltlich-in- gern ausreichend Nachfrage und damit nachhaltig zivilgesellschaftli- Die Kulturenquete stellt fest, dass Die Verfasserin ist Geschäftsführerin novative Konzepte und Strukturen. Angebote durch Kultureinrichtun- che Kompetenzen zu vermitteln, eigene Freude und der Wunsch, einen der Bundesvereinigung Kulturelle Daraus ergeben sich die Forderun- gen gegenüberzustellen, - der Zugangsoffenheit von Kultur- Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, Kinder- und Jugendbildung und gen nach: - dem Abbau von Berührungsängsten einrichtungen für benachteiligte Menschen motiviert, sich für die Kul- Vorsitzende des Fachausschusses - langfristigen Strategien von Kultur- zwischen Haupt- und Ehrenamtli- Zielgruppen und deren Integration tur zu engagieren. Zugleich wird be- „Bürgerschaftliches Engagement“ einrichtungen – von rein ehren- chen sowie der verstärkten Vernet- durch freiwilliges Engagement. hauptet, Kultur mangele es weitge- des Deutschen Kulturrats

Kulturelle Bildung als Weltaneignung Erste Ansichten aus dem Bericht der Enquetekommission Kultur in Deutschland • Von Christian Höppner „Kulturelle Bildung ist eine Form der leisten zu können. Eine weitere Weltaneignung.“ Dieser Satz, gefun- Empfehlung bezieht sich auf „den den in dem Bericht der Enquete- Neuaufbau von Schulchören und Kommission Kultur in Deutschland -orchestern zu fördern und das Sin- in dem Abschnitt „Kinder- und Ju- gen als täglichen Bestandteil des gendtheater“, ist symptomatisch für Schulunterrichts zu verankern sowie die herausragende Positionierung jedem Kind die Möglichkeit zu ge- dieses Themas. Die Kommission ben, ein ensemblefähiges Musikins- spricht nicht nur von kultureller Bil- trument zu erlernen“. Eine rundum dung als einer Querschnittsaufgabe, zu begrüßende Forderung, die vor sie behandelt dieses Thema auch in dem Hintergrund der Erfahrungen ihrem Bericht entsprechend. So gibt in Nordrhein-Westfalen sorgfältig es nahezu bei jedem Themenbereich und zügig in angepassten Varianten eine Querverbindung zu diesem The- umgesetzt werden sollte. Dabei wird ma. In dem Kapitel 6 wird die kultu- sicher zu prüfen sein, inwieweit der relle Bildung unter inhaltlichen, ge- Bund in der Partnerschaft zu den sellschaftspolitischen, strukturellen, Ländern seiner Impulsfunktion auch spartenbezogenen und spartenüber- in diesem Bereich nachkommen greifenden Gesichtspunkten behan- kann. Die Empfehlung, die „OECD delt. So werden für die kulturelle aufzufordern, für kulturelle Bildung Bildung unter anderem die Themen- Standards zu entwickeln und diese bereiche Lebenslanges Lernen, Be- analog des PISA-Prozesses regelmä- deutung und Wirkung, rechtliche ßig zu evaluieren“, ist sicherlich ein Rahmenbedingungen, Infrastruktur, überfälliger Schritt der mit dazu bei- Akteure und Angebote, Früherzie- tragen kann, die Fixierung auf die hung-Schule-Außerschulisch-Er- naturwissenschaftlichen Fächer auf- wachsenenbildung, Kooperationen zuweichen und den Blick auf eine von Bildungs- und Kultureinrichtun- ganzheitliche Bildung zu schärfen. gen, Aus- und Fortbildung, Kirchen, Eine der Handlungsempfehlun- Ganztagsschulen, Interkulturelle Bil- gen an den Bund, eine Bundeszen- dung, Medien und die Förderstruk- trale für Kulturelle Bildung einzu- turen angesprochen. Aus der Kom- richten, die „für die Entwicklung in- bination von Analyse und (Aus-)Wer- novativer Konzepte, zur Vernetzung Christian Höppner, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und Wolfgang Börnsen, MdB (v.r.n.l.) tung ist eine Fülle von Handlungs- der Akteure und zur Fortbildung von Foto: Stefanie Ernst empfehlungen entstanden, die mit Multiplikatoren“ zuständig sein soll, Sicherheit Bund, Länder und Kom- ist sicher ein interessanter Ansatz, den europäischen Nachbarn vermit- der kulturellen Baumkronen, son- Land. Dafür gilt es Bewusstsein zu munen sowie die zivilgesellschaftli- der aber vor der Verwirklichung nä- telt Anregungen, ohne den Eindruck dern wird überhaupt nur dann ent- schaffen, denn Bewusstsein schafft chen Akteure im Bereich der kultu- her konkretisiert werden müsste. zu erwecken, erfolgreiche Modelle stehen und sich entwickeln können, Ressourcen. rellen Bildung nicht nur eine ganze Hierbei sollte insbesondere in der kopieren zu müssen. Wie ein roter wenn unsere Gesellschaft in die Be- Weile beschäftigen werden, sondern Abwägung von Zielsetzung, Wirk- Faden zieht sich die Erkenntnis durch wässerung und Nährstoffzufuhr der Der Verfasser ist Stellvertretender hoffentlich auch Veränderungen samkeit und Umsetzungsvarianten den Bericht, dass kulturelle Bildung Baumwurzeln investiert. Die kulturel- Vorsitzender des Deutschen Kultur- bewirken werden. geprüft werden, inwieweit diese ge- ein lebensbegleitender Prozess ist, le Bildung ist der Schlüssel zu diesen rates und Vorsitzender des Fachaus- plante Einrichtung tatsächlich diese der qualitativ auf einem hohen Ni- Entwicklungsperspektiven für unser schusses Kulturelle Bildung eränderungen, die angesichts Aufgaben wahrnehmen kann, damit veau abgesichert sein muss – für je- V gesellschaftlicher Wandlungs- keine Kollateralschäden für bewähr- den erlebbar, gleich welcher sozialen prozesse dringend notwendig sind te und auszubauenden Infrastruktu- oder ethnischen Herkunft. So sehr die und sich nicht in der Diskrepanz von ren entstehen. Verwertungsaspekte der kulturellen „Sonntagsreden und Alltagshan- Der Bericht spricht von neueren Bildung als Fundament für ein huma- politik & kultur deln“ erschöpfen dürfen. Die Fokus- Erkenntnisse der Neurowissenschaf- nes Gesellschaftsbild stimmen, der sierung auf das lebenslange Lernen ten die nahe legen, „dass Emotiona- Aspekt, dass die Kunst um der Kunst gleich zum Einstieg macht deutlich, lität und nicht die Kognition das zen- willen zu fördern sei, hätte etwas DOSSIER wie zerklüftet die bildungskulturelle trale Steuerungsmedium des Men- mehr Gewicht erfahren können. Infrastruktur derzeit ist und wie schen zu sein scheint“. Diese Aussa- Der Bericht der Enquete-Kom- dringend notwendig eine enge, ko- ge macht deutlich, dass die Prioritä- mission Kultur in Deutschland eröff- härente Verzahnung ist. Der Verweis tenpyramide in unserer PISA-fixier- net auch für den Bereich der kultu- Verwertungsgesellschaften auf die Chance Ganztagsschule, die ten Gesellschaft auf dem Kopf steht. rellen Bildung für alle Akteure die im Idealfall die Verzahnung zwi- So wichtig und unverzichtbar die Chance und die Verantwortung, die- schen Schule und außerschulischen Vermittlung von Wissen und dem sen Bericht als Berufungs- und Hand- Bildungs- und Kulturträgern leben Handwerkzeug für Wissenserwerb lungsgrundlage für die fach- und ge- Auf 32 Zeitungsseiten wird im aktuellen puk-Dossier die Arbeit der muss, könnte zumindest für den ist – die Eingangsvoraussetzungen sellschaftspolitische Arbeit zu nut- Verwertungsgesellschaften GEMA, GVL, VG BILD-KUNST und VG letzten Teil der maßgeblichen Prä- dafür sind immer weniger gegeben. zen. Dabei sollte der Blick nicht nur WORT vorgestellt und beleuchtet. gung von Kindern und Jugendlichen Daraus ergeben sich massive Konse- auf die Handlungsempfehlungen ge- Außerdem werden die Perspektiven der künftigen Arbeit der hilfreich sein. quenzen für unser gesamtes (Aus) richtet sein. Der Bericht wird seine Verwertungsgesellschaft diskutiert. Hierbei kommen Abgeordnete Die meisten Handlungsempfeh- Bildungssystems, die sich mit den Wirksamkeit nur dann entfalten kön- lungen gehen an die Adresse der Trippelschritten heutiger Reformbe- nen, wenn er über den Tag der Prä- des Deutschen Bundestags und Wissenschaftler zu Wort. Themen Länder und Kommunen, was in un- mühungen nicht vergleichen lassen. sentation und Diskussion im Deut- sind hier unter anderem: die Aufsicht über die Verwertungs- serem föderalen System mit deren Der Bericht der Enquete-Kom- schen Bundestag hinaus als Arbeits- gesellschaften und die Frage wie mit DRM-Systemen umgegangen Verantwortung für Bildung und Kul- mission ist eine Fundgrube fachli- mittel von allen Verantwortungsträ- werden soll. tur auf der Hand liegt. Diese zentra- cher und politischer Anregungen und gern genutzt wird. Der von Bundes- le Botschaft lautet, dass die Kommu- vor allem im Hinblick auf seine gesell- kanzlerin beim vor- nen und Länder ihrer gewollten Ver- schaftspolitische Blickweite sehr hilf- letzten Weltwirtschaftsgipfel in Davos Das puk-Dossier Verwertungsgesellschaften kann unter antwortung in vielen Bereichen bes- reich. Die Verbindung ganzheitlicher proklamierte Weg in die Wissensge- http://www.kulturrat.de/dossiers/verwertungsgesell ser nachkommen müssen. Da die Betrachtungsweisen mit Detailfragen sellschaft ist die eine, wichtige Seite schaften.pdf kostenlos in Internet als pdf-Datei geladen werden. kulturelle Bildung ein öffentliches verleiht diesem Bericht ein besonders der Zukunftsmedaille Deutschland – Gut sei und somit auch eine öffent- hohes Maß an Glaubwürdigkeit. So die Kreativgesellschaft die andere, Als Printausgabe (32 Seiten, Zeitungsformat) ist das Dossier gegen liche Aufgabe, empfiehlt die Enquete werden zum Beispiel zum Thema unverzichtbare und derzeit noch un- Voreinsendung von 1,44 Euro Portokosten in Briefmarken beim die kulturelle Bildung als Pflichtauf- „Kanonbildung“ die beiden kontro- terbewertete Seite dieser Medaille. gabe zu definieren, um sie auch in versen Diskussionsverläufe benannt, Diese Kreativgesellschaft nährt sich Deutschen Kulturrat, Chausseestraße 103, 10115 Berlin schwierigen haushalts- und finanz- ohne dass sich die Kommission in nicht nur aus dem Hype um das The- beziehbar. politischen Konstellationen gewähr- diesem Punkt festlegt. Der Blick zu ma Kreativwirtschaft und dem Glanz KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 26

Erforderliche Tiefe und Präzision nicht in allen Teilen vorhanden Die Empfehlungen zum Kulturauftrag und zur kulturellen Tätigkeit des Rundfunks • Von Heinrich Bleicher-Nagelsmann Die nachfolgenden Ausführungen müssen.“ Dies findet sich allerdings sind eine erste Einschätzung und in den Handlungsempfehlungen so Bewertung der Passagen zum Kultur- nicht wieder. Erfreulich andererseits, auftrag und zur kulturellen Tätigkeit dass dort auf die Problematik von des Rundfunks im Schlussbericht der Festanstellung und freien Mitarbei- Enquete-Kommission. Sie haben zwar tern hingewiesen wird. Die Eindimen- Bezüge zu den im Fachausschuss sionalität der Handlungsempfehlung Medien des Deutschen Kulturrates verkennt allerdings die Tatsache, dass geführten Diskussionen, sind aber als ein qualifiziertes Programm auch allein vom Autor zu verantwortende durch freie Mitarbeiterinnen und Mit- Aussagen zu werten. Gleiches gilt in arbeiter sichergestellt werden kann. Bezug auf die in der Sektion Film und Ihnen müssen allerdings angemesse- Medien insbesondere zum Öffent- ne Arbeitsbedingungen und eine ent- lich-rechtlichen Rundfunk geführten sprechende Honorierung gewährleis- Diskussionen. tet werden. Eine Leerstelle in diesem Teil des Abschlussberichtes und seiner ie Bestandsaufnahme und Pro- Handlungsempfehlungen ist auch die D blembeschreibung in den ein- Bestands- und Entwicklungsgarantie schlägigen „Rundfunk-Passagen“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks des Schlussberichtes gibt, wie die in Bezug auf die sogenannte 3. Säule, Problembeschreibungen des Ge- das Internet bzw. online-Angebot. Wer samtberichtes generell, einen ver- einen zukunftsfähigen öffentlich- ständlichen und lesbaren Überblick rechtlichen Rundfunk will muss ihm zur angesprochenen Thematik. In ei- insbesondere mit seinem Kulturpro- nigen Passagen fehlt allerdings die an gramm auch hier Entwicklungs- und anderen Stellen bemerkenswerte Tie- Entfaltungsmöglichkeiten geben. Die fe und Präzision. Ob dies auf die in ih- berechtigte Kritik an der Unterbelich- rer Gesamtheit unzureichende tung von Kulturangeboten im Vollpro- schmale Quellenbasis (Wissenschaft- gramm geht ins Leere, wenn man die- licher Dienst des Deutschen Bundes- se Angebote nicht auch umfassend tages, sporadische Zitate aus BVerfG- online zur Verfügung stellt. Nutzungs- Urteilen und das begrenzte Spektrum gewohnheiten der jugendlichen Sur- der Expertenanhörung) oder eine ge- fer und Netcomunity berücksichti- wisse Aktualitätsfixierung zurückzu- gend. führen ist, kann bei dieser ersten Be- Richtig und wichtig ist auch, die wertung nicht abschließend beurteilt Privaten nicht aus ihrer Verantwor- werden. Die zumindest zu kurz grei- tung für Kultur im Rundfunk zu ent- fende Aussage, dass laut Amsterdamer lassen. Spezifische Möglichkeiten für Protokoll „die deutsche Gebührenfi- attraktive Angebote an ihre Zielgrup- nanzierung des öffentlich-rechtlichen pen hat der Deutsche Kulturrat als Ver- Rundfunks nur (Hervorhebung HBN) treter im Programmausschuss von zulässig ist, sofern der Kultur- und Bil- RTL wiederholt gemacht. Die Vor- dungsauftrag erfüllt wird“ (S.328), ist schläge und Angebote für Formate ein weiterer Beleg für die unzurei- wiederholen wir gern. Apropos For- chende Durchdringung der Thematik. mate: Das Stichwort Dokumentarfilm Im Amsterdamer Protokoll heißt es, findet sich zwar wiederholt im Ab- deutlich umfassender: „IN DER ER- schlussbericht. Seine kritische Präsen- WÄGUNG, daß der öffentlich-rechtli- tation allerdings nicht im Rundfunk- che Rundfunk in den Mitgliedstaaten teil. Kaum zu glauben, dass die AG Dok unmittelbar mit den demokratischen, bei der einschlägigen Anhörung hier sozialen und kulturellen Bedürfnissen nicht auch dem öffentlich-rechtlichen jeder Gesellschaft sowie mit dem Er- Rundfunk eine Standpauke gehalten fordernis verknüpft ist, den Pluralis- hat. mus in den Medien zu wahren (sind die hohen Vertragsparteien) über fol- Der Verfasser ist Vorsitzender des gende auslegende Bestimmung Fachausschusse Medien und Jan Gerd Becker-Schwering, Referent der FDP-Bundestagsfraktion, Ferdinand Melichar, Vorsitzender des Fachausschus- ÜBEREINGEKOMMEN...“. Sprecher der Sektion Film und ses Urheberrecht des Deutschen Kulturrates und Henning Krause, Präsident des Bund Deutscher Grafik-Designer. Fragwürdig wird es dann, wenn Medien im Deutschen Kulturrat Foto: Stefanie Ernst man aus dem jüngsten Urteil des Bun- desverfassungsgerichtes vom 11. Sep- tember 2007, das wie richtig ange- merkt, gerade auf die Staatsferne ab- hebt, das Gebot herauslesen will, „Auf- Absage an das wettbewerbsorientierte EU-Modell trag und Grenzen des öffentlich-recht- Urheberrecht und Verwertungsgesellschaften aus Sicht der Enquete-Kommission • Von Ferdinand Melichar lichen Rundfunks gesetzlich zu präzi- sieren.“ Über 500 Seiten hat der nun im Urhebervertragsrecht eher gut ge- scheidung vom 6. Dezember 2007 ren will. Das Fazit der Enquete-Kom- Zweckmäßiger und sachgerechter Parlament vorgestellte und disku- meint als gut gemacht war und emp- nicht berücksichtigt, als er – ent- mission ist eine deutliche Absage an wäre es in diesem Zusammenhang tierte Bericht der vom Bundestag fiehlt eine Prüfung, wie das Ziel ei- gegen den Vorinstanzen des Land- das „rein wettbewerbsorientierte gewesen, die Selbstverpflichtungser- eingesetzten Enquete-Kommission ner angemessenen Vergütung für alle und Oberlandesgerichts Stuttgart – Modell der EU-Kommission“. Viel- klärungen der Sender und die Kon- „Kultur in Deutschland“. Zwei Kapi- Urheber und ausübenden Künstler eine urheberrechtliche Vergütungs- mehr handele es sich „bei Verwer- trollaufgabe der Rundfunkgremien tel befassen sich mit den Urheber- besser erreicht werden kann. Mit der pflicht für Drucker verneint hat. tungsgesellschaften um staatsnahe als adäquates auszubauendes Instru- und Leistungsschutzrechten sowie Empfehlung, eine Vergütungspflicht Umso wichtiger ist, dass mit dem ab Einrichtungen, deren Aufgaben sich ment herauszuarbeiten. Die darin mit der Wahrnehmung von Urheber- für die Abbildung von Kunstwerken 1. Januar 2008 geltenden neuen § 54a auch unter kulturellen und sozialen steckenden Potentiale sind nur unzu- und verwandten Schutzrechten. Wie im öffentlichen Raum, insbesondere Abs. 2 Urheberrechtsgesetz klar ge- Aspekten definieren“. Dieses vom reichend dargestellt, auch wenn die alle Kapitel enden auch diese mit also urheberrechtlich (noch) ge- stellt ist, dass bei Gerätekombinati- kontinentaleuropäischen Verständ- Leitlinien und Selbstverpflichtungen „Handlungsempfehlungen“ der En- schützter Denkmäler, einzuführen, onen alle funktional zusammenwir- nis der Verwertungsgesellschaften sich richtigerweise in den Hand- quete-Kommission. Zu bewundern wenn diese z.B. auf Postkarten oder kenden Geräte- und Speichermedi- geprägte Leitbild kann nur unterstri- lungsempfehlungen wiederfinden. ist zunächst die Sorgfalt und Gründ- in Reiseführern verbreitet werden, en vergütungspflichtig sind. chen werden. Gewünscht hätte man sich als zwei- lichkeit, mit der die Enquete-Kom- folgt die Enquete-Kommission einer Bemängelt wird in Sondervoten, In diesem Zusammenhang ist es tes „Standbein“ die Forderung nach mission – zusammengesetzt aus Forderung auch des Deutschen Kul- dass die Enquete-Kommission zur dann konsequent, wenn die En- verbindlicher und abgesicherter Bundestagsabgeordneten und Sach- turrates. Ausstellungsvergütung für Bildende quete-Kommission auch das System Qualifizierung der Rundfunkgremi- verständigen – diese Thematik be- Besonders aktuell und wichtig Künstler und zum Künstlergemein- der Gegenseitigkeitsverträge zwi- en. handelt. aber ist die erste Handlungsempfeh- schaftsrecht (dem sog. Goethe-Gro- schen nationalen Verwertungsgesell- Obwohl im Einleitungskapitel des lung der Enquete-Kommission zum schen) keine Empfehlung, weder pro schaften verteidigt, also die faktische Abschlussberichtes die „Medialisie- o wird ausführlich dargestellt, Urheberrecht: noch contra, ausgesprochen hat. Monopolstellung der nationalen Ver- rung“ hervorgehoben wird, schlägt S wie sich die Verhandlungen zwi- „Die Enquete-Kommission Im ausführlichen Kapitel über wertungsgesellschaften. Zu Recht sich deren Bedeutung gerade im schen Autoren und Verwertern (Pro- empfiehlt dem Deutschen Bundestag, die Wahrnehmung von Urheber- lehnt sie den Vorschlag der europäi- Rundfunkkapitel nicht ausreichend duzenten und Verlagen) nach dem die Interessen der Rechteinhaber in rechten und verwandten Schutz- schen Kommission ab, dass Online- nieder. Herausforderungen und Chan- 2002 eingeführten Urhebervertrags- den Mittelpunkt von Gesetzesände- rechten wird zunächst auf 20 Seiten Rechte für Musik bei jeder beliebi- cen der Digitalisierung werden im recht gestalteten und bedauernd rungen im Urheberrecht zu stellen. gut verständlich die Tätigkeit von gen europäischen Verwertungsge- Rundfunkkapitel zwar beschrieben festgestellt, dass „noch keine allge- Das Urheberrecht soll ihnen die ver- Verwertungsgesellschaften aus prak- sellschaft für ganz Europa eingekauft bleiben aber von einer wichtigen Aus- mein verbindliche Vereinbarung fassungsmäßig garantierte angemes- tischer und rechtlicher Sicht darge- werden könnten. Mit den Worten der nahme abgesehen in den Handlungs- über eine angemessene Vergütung sene Vergütung ermöglichen. Dieses stellt, wobei sowohl das deutsche Enquete-Kommission: „Der Gesetz- empfehlungen unberücksichtigt. Im zwischen Branchenverbänden ge- Recht darf durch die Interessen von wie auch das europäische Recht be- geber hat die Aufgabe …. die Verwer- Zusammenhang mit der Forderung troffen“ sei. So kommt die Enquete- anderen Wirtschaftszweigen, wie der rücksichtigt werden. Diese Einfüh- tungsgesellschaften vor Wettbewerb nach dem digitalen Zugang zu kultu- Kommission zu dem Ergebnis, dass Geräteindustrie, nicht außer Kraft rung kann man nur jedem empfeh- zu schützen“. Allerdings mahnt die rellen Inhalten wird richtig festge- „die bisherigen Regelungen im Ur- gesetzt werden.“ len, der sich über Aufgaben und Tä- stellt, dass „die Rechteinhaber eine hebervertragsgesetz unzureichend Leider hat dies der Bundesge- tigkeiten der Verwertungsgesell- Weiter auf Seite 27 entsprechende Vergütung erhalten sind“. Sie räumt damit ein, dass das richtshof in seiner negativen Ent- schaften rasch und präzise informie- KULTUR-ENQUETE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 27

rungsbehörde des Bundes anzusie- Zusammenhang (am Beispiel der staunlich ist auch, dass die En- Kapitel des Berichts der Enquete- Fortsetzung von Seite 26 deln und diese mit den erforderli- von der GEMA gemeinsam mit der quete-Kommission meint, die Auf- Kommission viel lesenswertes ent- chen personellen Ressourcen auszu- britischen MCPS gegründeten CE- sicht über Verwertungsgesellschaf- halten. Viele der „Handlungsemp- Enquete-Kommission auch mehr statten“. So genannte Regulierungs- LAS) meint, Verwertungsgesellschaf- ten sei nach derzeitiger Rechtslage fehlungen“ sind zu unterstützen. Transparenz bei Gegenseitigkeits- behörden finden sich schon heute in ten könnten sich durch „partielle auf eine „Evidenzkontrolle“ be- Auch wenn diese sich eigentlich an verträgen an und empfiehlt, dass monopolgeneigten Märkten wie Post Ausgründung“ von Lizenzierungs- schränkt und deshalb empfiehlt, den Gesetzgeber richten – Verwer- Gegenseitigkeitsverträge öffentlich und Telekommunikation. Für Ver- und Inkasso-Unternehmen der Auf- zukünftig sollte die Einhaltung der tungsgesellschaften werden zu prü- zugänglich gemacht werden müss- wertungsgesellschaften würde ein sicht des Patentamtes und den gesetzlichen Verpflichtungen durch fen haben, ob einzelne davon nicht ten. solches Modell konsequenterweise Pflichten des Urheberrechtswahr- Verwertungsgesellschaften „auch schon jetzt freiwillig umgesetzt wer- Ausführlich befasst sich die En- zum Beispiel bedeuten, dass eine nehmungsgesetzes entziehen. Ent- im Einzelfall“ kontrolliert werden. den können (z.B. eine stärkere Re- quete-Kommission mit der durch Regulierungsbehörde dann auch ex scheidend ist wohl nur, ob solche Tatsächlich prüft das DPMA schon präsentanz der Wahrnehmungsbe- das Urheberwahrnehmungsgesetz ante Tarife von Verwertungsgesell- Tochterorganisationen die Tätigkeit jetzt auf Beschwerden hin Einzelfäl- rechtigten in den Entscheidungsgre- vorgesehenen Aufsicht durch das schaften genehmigen müsste (wie einer Verwertungsgesellschaft aus- le, wenn sie auch nach geltender mien). Deutsche Patent- und Markenamt dies etwa in der Schweiz durch die üben, wie sie in § 1 des Wahrneh- Rechtslage zu Recht davon ausgeht, über die deutschen Verwertungsge- eidgenössische Tarif-Schiedskom- mungsgesetzes definiert ist – ist dass ein subjektiv-öffentliches Der Verfasser ist Geschäftsführendes sellschaften. Sie stellt zu Recht fest, mission der Fall ist). Für Deutsch- dies zu bejahen, so greift auch für Recht eines Einzelnen auf Ein- Vorstandsmitglied der VG WORT dass die Aufsichtsbehörde personell land wäre dies ein echter Paradig- solche Organisationen das Urheber- schreiten nicht besteht. und Vorsitzender des Fachausschus- unterbesetzt ist und empfiehlt die menwechsel. Erstaunlich ist, dass rechtswahrnehmungsgesetz und Abschließend ist festzustellen, ses Urheberrecht des Deutschen Aufsicht künftig „bei einer Regulie- die Enquete-Kommission in diesem die Aufsicht des Patentamtes. Er- dass die beiden hier besprochenen Kulturrates Das Werk ist getan. Nun beginnt die Arbeit Zu den steuerlichen Handlungsempfehlungen im Schlussbericht der Enquete-Kommission • Von Peter Raue und Friedhelm Klinkertz Der am 11. Dezember 2007 veröf- leichtern, die Mitgliedstaaten über- fentlichte Schlussbericht der En- greifend fördern. quete-Kommission Kultur in Deutschland enthält auch für den Einkommensteuer Bereich des Steuerrechts zahlreiche Handlungsempfehlungen. Die mehr Im Bereich der Einkommensteuer als 20 steuerlichen Handlungsemp- enthält der Schlussbericht Hand- fehlungen unterstreichen die prak- lungsempfehlungen zur Besteue- tische Bedeutung, die das Steuer- rung von im Ausland ansässigen recht auch für den Kulturbereich Künstlern (so genannte Ausländer- hat. steuer). Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Gesetzgeber die Re- edauerlicherweise finden sich gelungen zur Ausländersteuer „zeit- Bdiese Handlungsempfehlungen nah“ und „unter Beachtung der nicht gebündelt in einem zentralen jüngsten Rechtsprechung des Europä- Abschnitt Steuerrecht, sondern über ischen Gerichtshofs neu zu fassen“. den gesamten, 500 Seiten umfassen- Der Schlussbericht zeigt sehr dezi- den Schlussbericht verteilt. Nachfol- diert die Unpraktikabilität und die gend soll eine kurze Übersicht über deshalb bestehende Reformbedürf- die wesentlichen steuerlichen Hand- tigkeit der derzeitigen Regelungen lungsempfehlungen der Enquete- zur Ausländersteuer auf. Kommission gegeben werden: Die Empfehlung der Enquete- Kommission die Regelungen zur Stiftungs- und Ausländersteuer generell zu refor- Gemeinnützigkeitsrecht mieren, ist sehr zu begrüßen. Diese Reform ist längst überfällig. Im Rah- Im Bereich des Stiftungs- und Ge- men der Überlegungen, wie die von meinnützigkeitsrecht wurden we- der Enquete-Kommission zu Recht sentliche Forderungen der Enquete- empfohlene Reform aussehen soll- Kommission durch das rückwirkend te, empfiehlt sich ein Blick über die zum 1. Januar 2007 in Kraft getrete- Grenzen: Die Niederlande haben ne „Gesetz zur weiteren Förderung mit Beginn des Jahres 2007 ihre Aus- des bürgerschaftlichen Engage- ländersteuer für ausländische ments“ mittlerweile in vorauseilen- Künstler, die in Staaten ansässig dem Gehorsam erfüllt. Hierzu zäh- sind, mit denen ein Abkommen zur len insbesondere die Vereinheitli- Vermeidung der Doppelbesteue- chung der Höchstgrenzen beim rung besteht, generell abgeschafft. Spendenabzug von – je nach ge- Nach dem neuen niederländischem meinnützigen Zweck – bisher fünf Steuerrecht sollen diese Künstler Peter Raue, Vorsitzender des Fachausschusses Steuern des Deutschen Kulturrates. Foto: Stefanie Ernst bzw. zehn Prozent auf nunmehr ein- ihre Einkommensteuer ausschließ- heitlich 20 Prozent des Gesamtbe- lich in ihrem Wohnsitzstaat zahlen. Umsatzsteuer mission im Bereich des Umsatzsteu- Der Schlussbericht der Enquete- trags der Einkünfte sowie die deutli- Hintergrund für die Abschaffung errechts den ermäßigten Steuersatz Kommission enthält erfreulicher- che Anhebung des Höchstbetrages der Ausländersteuer war folgende Besonders erfreulich ist, dass die En- für Kunstgegenstände auf Kunstfoto- weise sehr detaillierte und genaue für die Ausstattung von gemeinnüt- praktische Erfahrung des niederlän- quete-Kommission für den Bereich grafien zu erweitern. Dabei weist die steuerliche Handlungsempfehlun- zigen Stiftungen von bisher € 307.000 dischen Fiskus: Das Verwaltungs- der Umsatzsteuer eine Initiative auf Enquete-Kommission ausdrücklich gen. Die den Handlungsempfehlun- auf € 1 Million. verfahren zur Erhebung der Auslän- europäischer Ebene empfiehlt mit auf die nach der europäischen gen im Schlussbericht jeweils vorge- Dennoch schlägt die Enquete- dersteuer war in der Vergangenheit dem Ziel, Kulturbetrieben generell Mehrwertsteuerrichtlinie für den hende Bestandsaufnahme und Pro- Kommission in erfreulicher Deut- so aufwendig, dass sich die Erhe- eine Option einzuräumen, auf die deutschen Gesetzgeber bestehende blembeschreibung zeugen von einer lichkeit Änderungen vor, deren Um- bung der Ausländersteuer im Ergeb- Umsatzsteuerbefreiung zu verzichten. Möglichkeit hin, auch Kunstfotogra- profunden Kenntnis der im Bereich setzung für die tägliche Praxis der im nis für den niederländischen Fiskus Die Möglichkeit des Verzichts auf fien als Kunstgegenstände zu be- der Kultur relevanten steuerlichen Kulturbereich tätigen gemeinnützi- nicht ausgezahlt hat. Für Deutsch- die Umsatzsteuerbefreiung würde handeln. Auch dieser Empfehlung Probleme. gen Stiftungen und Körperschaften land gilt nichts anderes. Der Gesetz- für die Kulturbetriebe, insbesondere der Enquete-Kommission kann Angesichts der Fülle der Hand- enorm wichtig und hilfreich wären. geber müsste nur den Mut haben, für Theaterbetriebe, im Ergebnis man nur beipflichten. Es gibt kei- lungsempfehlungen und der Not- Die Enquete-Kommission empfiehlt aus den unbestreitbaren Fakten die eine deutliche umsatzsteuerliche nen vernünftigen Grund ein Ölbild wendigkeit ihrer Umsetzung für die insbesondere notwendigen Konsequenzen zu zie- Entlastung bedeuten. Der Schluss- von Gerhard Richter in Deutschland Kulturbetriebe kann man der Vorsit- · die Frist für die zeitnahe Mittelver- hen. bericht weist zutreffend auf den umsatzsteuerlich anders zu beurtei- zenden der Enquete-Kommission, wendung von einem auf fünf Jahre Nicht minder zu begrüßen ist Grund für diese umsatzsteuerliche len, als eine Fotographie desselben Gitta Connemann, MdB, auch mit zu verlängern, die Empfehlung der Enquete-Kom- Entlastung hin: Kulturbetriebe sind Künstlers. Hier wäre gesetzgeberi- Blick auf das Steuerrecht – Stichwor- · die steuerliche Abzugsfähigkeit von mission, gesetzlich festzuschreiben, im Falle einer Umsatzsteuerbefrei- sches Handeln dringend erforder- te „Ausländersteuer“, „Verzicht auf Mitgliedsbeiträgen auch auf kultu- dass die Feststellung einer Selbstän- ung ihrer Umsätze nicht zum so ge- lich Umsatzsteuerbefreiung für Kulturbe- relle Betätigungen auszudehnen, digkeit oder Nichtselbständigkeit ei- nannten Vorsteuerabzug berechtigt. triebe“ – nur beipflichten: „Das Werk die in der Freizeit stattfinden, was nes Künstlers durch die Künstlerso- D.h. sie sind letztlich mit den von Erbschaftsteuer ist getan. Nun beginnt die Arbeit.“ insbesondere den Laienchören zialversicherung bindende Wirkung anderen Unternehmern in Rech- Der Enquete-Kommission kann zugute käme, auch für die Finanzverwaltung hat. nung gestellten Umsatzsteuern wirt- Im Bereich der Erbschaftsteuer emp- man zum Ergebnis ihrer vierjährigen · die Rahmenbedingungen im Be- Aufgrund der sehr oft uneinheitli- schaftlich belastet. Und je höher die fiehlt die Enquete-Kommission die Arbeit gratulieren, dem Bundestag reich des Kultursponsorings zu ver- chen steuerlichen Beurteilung der den Kulturbetrieben in Rechnung Möglichkeiten zur Tilgung von Erb- kann man nur wünschen, dass er bessern, wie zum Beispiel die steu- verschiedenen Finanzämter im Bun- gestellten Kosten sind, die Umsatz- schaftsteuerschulden mit Kunstwer- Mut zu Entscheidungen hat. An- erliche Zuordnung von Kulturspon- desgebiet wäre eine solche Bin- steuern enthalten, desto größer wäre ken nach § 224a Abgabenordnung zu dernfalls wäre die Arbeit der En- soring zu erleichtern, dungswirkung sehr zu begrüßen. die wirtschaftliche Wirkung eines erleichtern. Daneben fordert die En- quete-Kommission l’art pour l’art · unabhängig von der steuerlichen Das gegenwärtig für Kulturbetriebe Verzichts auf die Umsatzsteuerbe- quete-Kommission die Museen und und das wäre jammervoll! Veranlagung für gemeinnützige bestehende Risiko, wegen der freiung. Die Einfügung eines Opti- Kulturbehörden auf, insbesondere Einrichtungen einen Statusbe- oftmals schwierigen Abgrenzung onsrechts in das Umsatzsteuerge- bei bedeutenden Künstlernachläs- Peter Raue ist Rechtsanwalt und No- scheid einzuführen, von selbständiger und nichtselb- setz, auf die Umsatzsteuerbefreiung sen stärker die Initiative zu ergreifen tar der Sozietät Hogan & Hartson · und sich auf europäischer Ebene ständiger Arbeit Jahre später hohe verzichten zu können, würde jedem und Erbschaftssteuerschuldner und Raue und Vorsitzender des Fachaus- für die Schaffung der Rechtsform Lohnsteuernachzahlungen und vor einzelnen Kulturbetrieb die Mög- Finanzbehörde auf die nach § 224a schusses Steuern des Deutschen einer Stiftung europäischen Rechts allem Sozialversicherungsbeiträgen lichkeit geben, das für ihn wirt- Abgabenordnung bestehende be- Kulturrates. Friedhelm Klinkertz ist einzusetzen, um die Gründung von zahlen zu müssen, könnte damit schaftlich Vorteilhaftere zu wählen. sondere Möglichkeit der Steuertil- Rechtsanwalt und Steuerberater und die Arbeit in Stiftungen zu er- deutlich entschärft werden. Zudem empfiehlt die Enquete-Kom- gung hinzuweisen. der Sozietät Hogan & Hartson Raue STAATSZIEL KULTUR politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 28

Kultur als Staatsziel Von Jan-Hendrik Olbertz

Deutschlands kultureller Reichtum auch im Grundgesetz verankern. Der Imagepflege einer Region oder eines ist historisch betrachtet der Reich- Formulierungsvorschlag des Staats- Standortes, die auch in wirtschaftli- tum einer verspäteten Nation. Die rechtlers Max-Emanuel Geis „Der cher Hinsicht nicht zu unterschätzen zahlreichen deutschen Fürstenhöfe Staat schützt und fördert die Kultur“ ist. Kultur trägt zur Steigerung der Staatsziel Kultur und Herzogtümer haben insbeson- als Zusatz im Artikel 20 des Grund- Lebensqualität und der Attraktivität Die Frage, ob das Staatsziel Kultur im ankert werden sollte und ob die dere im 17. und 18. Jahrhundert die gesetzes ist zwar nicht mehr als ein einer Region, etwa für den Touris- Grundgesetz verankert werden sollte, Durchsetzung beider Staatsziele ge- Kultur in den Residenzstädten und symbolischer Satz, aber auch nicht mus, bei. Ähnliches gilt für die crea- wurde schon öfter in dieser Zeitung meinsam befördert werden sollte. ihrem Umland maßgeblich geprägt. weniger, zumal symbolische Aus- tiv industries, jenen zeitgenössi- behandelt. In der Ausgabe 04/2005 In dieser Ausgabe nun bezieht der Kul- Die jeweiligen Landesherren bauten drucksformen gerade der Kultur schen Branchenmix aus Architektur, (Juli-August) haben sich Ministerprä- tusminister von Sachsen-Anhalt Jan- ihre Höfe aus, sammelten Kunstge- nicht fremd sind. Gewiss füllt das die Musik, Film, Theater, Literatur, De- sidenten der Länder, Mitglieder des Hendrik Olbertz zum Staatsziel Kul- genstände, unterhielten Hofkompo- Staatskassen nicht und garantiert sign, Kunst, Software/Games und Deutschen Bundestags sowie Verfas- tur Stellung und spricht sich für eine nisten, Maler, Bildhauer und förder- auch keine konstanten oder gar Werbung, der zunehmend auch ei- sungsrechtler zu dieser Frage positi- klare Verankerung dieses Staatsziels ten Theater. Es war auch eine Art wachsenden Budgets für die Kultur- nen eigenen Arbeitsmarkt generiert. oniert. Im Mittelpunkt der Ausgabe im Grundgesetz aus. Er betont dabei Repräsentationswettbewerb unter förderung. Aber es stärkt unsere Allerdings lassen sich gerade 04/2006 (Juli-August) standen die nochmals, dass das Staatsziel Kultur den Fürstentümern, der sie veran- Identität und schärft das Bewusst- Kunst und Kultur nicht immer nach Diskussionen einer Kooperationsta- föderalismusneutral ist, die so ge- lasste, sich mit berühmten Künst- sein in den Kommunen, Sparmaß- wirtschaftlich-ökonomischen Krite- gung des Deutschen Kulturrates und nannte Kulturhoheit der Länder also lern und Philosophen zu umgeben. nahmen auch in höchster Not nicht rien bewerten. Nach wie vor braucht der Bundesakademie für kulturelle durch dieses Staatsziel keinen Scha- Das hat das kulturelle Erbe, das wir dort anzusetzen. Ein durch das Grund- jede Gesellschaft die Künste als „Un- Bildung Wolfenbüttel zum Staatsziel den nimmt. So klar sich Olbertz für angetreten haben, so reich ge- gesetz veranlasster kritischer Diskurs ruhepotenzial“. Doch können sich Kultur. In der Ausgabe 6/2006 (No- das Staatsziel Kultur ausspricht, so macht. Deutschland wurde darüber über die „Freiwilligkeit“ der Kulturför- Kunst und Kultur ganz ohne Förde- vember-Dezember) fand schließlich eindeutig positioniert er sich gegen zum Land der Dichter und Denker. derung würde es gewiss erschweren, rung nicht tragen. Sie müssen sich eine Diskussion zu der Frage statt, ob das Staatsziel Sport. immer zuerst die Kultur zur Konso- ihre Partner suchen. Das ist zuweilen neben dem Staatsziel Kultur auch das ie vielfach als „Kleinstaaterei“ lidierung kommunaler Haushalte schwierig, da der Anspruch der Kunst Staatsziel Sport im Grundgesetz ver- Die Redaktion D gescholtene föderale Struktur heranzuziehen. Kulturpflege ist so oft nicht deckungsgleich ist mit dem hat also in ihrer Geschichte erst die etwas wie eine freiwillige Pflichtauf- des Konsumenten. Kunst braucht Vielfalt und den kulturellen Reich- gabe, indem man den freien Willen Vorlauf, und Investitionen in die Kul- zehnten alles andere als ein einge- gerade jungen Menschen an kulturel- tum bewirkt, auf den wir heute so darauf richtet, diese Verpflichtung tur wirken sich oft erst langfristig löster Anspruch. Heute reisen 16 ler Identität mangelt. Wer seine eige- gern und so stolz verweisen, auch einzugehen und hochzuhalten. An- aus. Kultusminister in Brüssel an, um auf nen kulturellen Wurzeln nicht mehr wenn uns die Last der Verantwortung, gemessen ist diese Argumentation Wenn das alles so ist und in der europäischer Bühne jeweils ein Sech- kennt (geschweige denn pflegt), wird die daraus erwächst, mitunter drückt. schon deshalb, weil Kultur – vor al- Nation darüber Konsens herrscht, zehntel dieser Vielfalt zu repräsen- alles Fremde als Bedrohung erleben, Vor allem die Kultur hat das Entste- lem Kunst – ohnehin auf Freiheit dann gibt es keinen Grund, sich tieren, ganz von den Erschwernis- jedenfalls nicht als willkommene hen einer nationalen Identität und angewiesen ist, das heißt nicht „ver- nicht auch entsprechend zu beken- sen der europäischen Kulturförde- Bereicherung des eigenen Horizonts. den inneren Zusammenhalt der Na- fügt“ werden kann, sondern Gele- nen und zu binden. Hierfür wäre das rung, die mit dieser Praxis verbun- Die vielbeschworene multikulturel- tion bewirkt. Deutschland als föde- genheit zum Entstehen und Wach- Grundgesetz der angemessene Ort. den sind. le Gesellschaft ist eben keine boden- rale Ländergemeinschaft muss auch sen braucht. Dafür ist die Gesell- Dies würde unserem Selbstverständ- Wichtig ist dabei, dass die Kultur lose Gesellschaft – Vielfalt und Tole- künftig diese kulturelle Klammer schaft, genauer gesagt, der demokra- nis als „Kulturnation“ gut tun, denn nicht gegen andere Staatsziele auf- ranz brauchen eine kulturelle Basis, pflegen und stärken. tische Staat, originär zuständig. Es ist wir brauchen bei allem Respekt vor gerechnet wird. Zum Beispiel kann die identitätsbestimmend ist und Aus dieser Verantwortung kann ohnehin eine merkwürdige Sprach- regionaler Identität auch ein natio- die Sportförderung bei aller Aner- auch öffentlich sichtbar gemacht man nicht entlassen werden – hier regelung, die „Freiwilligkeit“ der nales (nicht nur föderales) Bewusst- kennung ihrer Bedeutung nicht auf werden muss. stehen wir in der Pflicht. In erster Kommunen bezüglich der Förde- sein kultureller Verantwortung. Aus demselben nationalen Rang ange- Vor diesem Hintergrund ist es Linie ist das eine Verpflichtung ge- rung von Kunst und Kultur zu beto- demselben Grund plädiere ich auch siedelt sein wie die Kulturförderung. kaum nachzuvollziehen, dass im genüber unserer eigenen Kultur, eine nen, ebenso wie Bildungsausgaben für einen Bundeskulturminister, und Kultur hat ihren „Eigensinn“ in Grundgesetz des Landes der Dichter Verantwortung, die keinesfalls nur in eigentlich nicht konsumtiver Natur zwar nicht trotz der föderalen Struk- mehrfacher Auslegung des Wortes. und Denker die Aussage, dass der individuellem oder lokalem Ermes- sind, sondern erstrangige Zukunfts- turen in der deutschen Kulturpolitik, Sie schließt Wissenschaft, Bildung Staat die Kultur zu schützen und zu sen steht. Auch wenn die Kulturpfle- investitionen – und in öffentlichen sondern um ihretwillen. Es muss eine und Kunst ein, die alle drei wesent- fördern habe, nicht enthalten ist. Fast ge in den Kommunen als freiwillige Haushalten auch so bilanziert wer- Instanz geben, die unsere kulturelle liche Grundlagen der kulturellen Bil- müsste man diesen Satz klammheim- Aufgabe gilt, ist es ihnen keineswegs den sollten. Vielfalt kommuniziert und sie auch dung sind. lich hinzufügen, so peinlich berührt freigestellt, die Kultur zu vernachläs- Neben der Stärkung der kulturel- im Ausland als singuläres Merkmal Gerade die Verbindlichkeit kultu- es einen, sein Fehlen im deutschen sigen oder Denkmäler verwahrlosen len Identität der Deutschen geht es der deutschen Kulturlandschaft reller Bildung zu betonen, haben wir Grundgesetz festzustellen. zu lassen. im Kontext der Kulturförderung sichtbar macht. Diese internationa- Anlass genug. Tendenzen der Frem- Wenn es diese nationale Ver- immer auch um ganz praktische Ge- le Wahrnehmbarkeit der Kulturent- denfeindlichkeit in Deutschland hän- Der Verfasser ist Kultusminister des pflichtung gibt, dann sollte man sie sichtspunkte wie zum Beispiel der wicklung in Deutschland ist sei Jahr- gen auch damit zusammen, dass es Landes Sachsen-Anhalt Trend zur Drei-Fächer-Schule führt zur kognitiven Schlagseite Ein Wertevakuum droht • Von Ulrich Thöne

Sechs Jahre nach dem ersten PISA- tenzen – gemessen an Bildungsstan- Schock liegt Deutschland für wenige dards und begrenzt auf die drei so ge- Wochen wieder im Schultest-Fieber: nannten „Kernfächer“. Dieser Trend Pünktlich zur Adventszeit werden zur Drei-Fächer-Schule führt vieler- binnen einer Woche zwei große Un- orts zu einer fatalen kognitiven tersuchungen veröffentlicht. Zu- Schlagseite unserer Schulen: Produ- nächst die IGLU-Studie (Internationa- ziert wird vornehmlich abprüfbares le Grundschul-Lese-Untersuchung), Wissen. Erziehung und Persönlich- welche die Lesefähigkeit am Ende der keitsbildung treten in den Hinter- vierten Klasse misst, dann die neue grund. Es droht ein Wertevakuum. Es PISA-Runde. Bei aller Freude über fehlt eine ganzheitliche Betrachtung vermeintliche Fortschritte bei den na- von Bildung. Eine Entwicklung, die turwissenschaftlichen Fächern – un- der ehemalige Bundespräsident Jo- ter dem Strich bleibt ein trauriger hannes Rau schon im Jahr 2003 tref- Befund: In kaum einem anderen Land fend kritisierte: „Die PISA-Studie ist hängt der Bildungserfolg der Kinder missverstanden, wenn wir jetzt das dermaßen von dem Geldbeutel der Pauken anfangen und das Musizie- Eltern ab. Jeder fünfte (!) 15-jährige ren ausfallen lassen.“ Schüler in Deutschland zählt zur Ri- Veranschaulichen lässt sich die- sikogruppe. Er liest, schreibt und se Entwicklung am Stellenwert der rechnet allenfalls auf Grundschulni- kulturellen Bildung im Schullalltag. veau. Diese PISA-Ergebnisse sind Tanz, Musik, Theater, bildende Kunst wichtig für die deutsche Debatte, er- und Rhythmik fristen allzu oft ein öffnen sie doch einen unvoreinge- Schattendasein. Kulturelle Bildung nommenen Blick auf die soziale Spal- wird vielerorts als Luxus, als „Sahne- tung unseres Bildungswesens. häubchen“ eines ansonsten grauen Schulalltags gesehen und nicht als o nützlich die PISA-Studie für die unverzichtbarer Bestandteil der S Diskussion um die Qualität un- Schulkultur begriffen. Theaterstücke serer Schulen auch ist, sie birgt eini- werden allenfalls als Event wahrge- Arbeit von Schülern der Otto-Kühn-Schule. Foto: Michael Bause ge Risiken. Letztlich werden bei PISA nommen. Fällt Unterricht aus, wer- nur die Lesekompetenz, die mathe- den im Zweifelsfall die Stunden in vertieft die soziale Spaltung in unse- zent der Hauptschüler besuchen au- meter aus dem Jahr 2004. „Eine Schu- matische und die naturwissenschaft- Musik, Kunst und Darstellendem rem Land. Der Zugang zu kulturellen ßerhalb der Schule kulturelle Einrich- le, die ästhetische Bildung als eine liche Grundbildung gemessen. Folg- Spiel gestrichen. Dies gilt leider auch Angeboten hängt bei den Schüler- tungen. In der Schule kommt jenseits Angelegenheit randständiger Neben- lich stehen die drei Hauptfächer für den Sportunterricht. Ein Mangel innen und Schülern in Deutschland des Fachunterrichts nicht einmal je- fächer behandelt, wäre eine inhuma- Deutsch, Mathematik und Naturwis- an qualifizierten Fachlehrern in den stark vom familiären Hintergrund ab. der zweite Hauptschüler mit kreati- ne Schule“, sagte der Erziehungswis- senschaften im Mittelpunkt der nati- kulturellen Fächern ist in allen Bun- Hierzu einige Fakten: 72 Prozent der ver Arbeit in Berührung. Bei den senschaftler Wolfgang Klafki. onalen Bildungsdebatte. Die Kultus- desländern festzustellen. Jugendlichen an Musik- und Tanz- Gymnasiasten sind es immerhin 72 minister fokussieren sich in ihrer Re- Der geringe Stellenwert der kul- schulen haben Eltern, die selbst Prozent. Diese erschreckenden Be- Weiter auf Seite 29 aktion auf PISA auf kognitive Kompe- turellen Bildung an unseren Schulen künstlerisch aktiv waren. Nur 8 Pro- funde liefert das Jugend-KulturBaro- KULTURELLE BILDUNG politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 29

damals keine Schülerinnen und ten. Wir brauchen alle. Kein Kind wird Fortsetzung von Seite 28 Schüler mit deutscher Mutterspra- zurückgelassen, dieser wichtige Leit- che. Neben intensiven Gesprächen satz des erfolgreichen skandinavi- Dass es auch anders geht, bewei- mit den Eltern in benachbarten Kin- schen Bildungswesens ist unverzicht- Bildung oder Kompetenzen sen zahlreiche Schulen in Deutsch- dergärten half der Schule ihr Profil barer Bestandteil der kulturellen Bil- Was brauchen Kinder und Jugendliche land. Die Helene-Lange-Gesamt- als „Theaterbetonte Grundschule“ dung. schule in Wiesbaden schnitt bei- zu mehr Akzeptanz im Viertel. „Das Wie man es auch dreht und wen- Im Dezember 2007 erschienen mit den dung – einem sehr deutschen Wort spielsweise beim PISA-Test 2002 Theaterprofil macht uns attraktiv. det: Eine nachhaltig erfolgreiche Re- internationalen Ergebnissen der IGLU- – nicht mehr gemeint als der Erwerb überdurchschnittlich gut ab. In den Das Theaterspielen unterstützt den form unseres Bildungswesens wird und der PISA-Studie zwei Studien, die von Wissen und welchen Beitrag kön- Kompetenzbereichen Lesen und ganzheitlichen Spracherwerb: Kinder es nur geben, wenn die kulturelle Bil- den Kompetenzstand von Schülerinnen nen die künstlerischen Disziplinen Naturwissenschaften erreichten die lernen Mimik, Gestik und das gespro- dung nicht mehr nur als „Sahnehäub- und Schüler eines bestimmten Jahr- dabei leisten? Auskunft geben der Schülerinnen und Schüler internati- chene Wort als eine Einheit zu begrei- chen“ verstanden wird, sondern gangs messen. Die Ergebnisse aus dem Vorsitzende der Gewerkschaft Erzie- onale Spitzenwerte. Das Erfolgsre- fen. Die Sprachkompetenz setzt sich mehr in das Zentrum des Schullebens Dezember 2007 wurden in Deutsch- hung und Wissenschaft Ulrich Thö- zept: Die Schule hat konsequent kul- aus dieser Gesamtheit zusammen. rückt. Sie kann uns helfen, endlich die land mit einer gewissen Erleichterung ne, der Präsident des Verbands Bil- turelle Bildung in ihren „Unterrichts- Außerdem eignet sich Theater sehr dringend notwendige neue Schul- aufgenommen. Deutsche Schüler sind dung und Erziehung Ludwig Eckin- alltag“ integriert. „Ich finde, dass gut für interkulturelle Ansätze. Wir ar- kultur in Deutschland zu etablieren nicht mehr so abgeschlagen in der in- ger und der Vorsitzende des Deut- Theaterspielen das Wichtigste an ei- beiten an zweisprachigen Theater- und die Zerstückelung des Schulall- ternationalen Vergleichsskala wie vor schen Lehrerverbands Josef Kraus. ner Schule überhaupt ist, weil es stücken oder führen Stücke auf, die tags in 45 Minuten-Häppchen zu einigen Jahren. Die begonnenen Refor- Max Fuchs, Vorsitzender des Deut- ganz verschiedene Fähigkeiten von zum Beispiel in arabischen Ländern überwinden. Sie befördert fächerü- men im Schulwesen scheinen erste Er- schen Kulturrates, setzt sich mit der Kindern und Jugendlichen heraus- oder der Türkei spielen“, erklärte bergreifende Ansätze und die Öff- gebnisse zu zeigen. Frage auseinander, ob die musischen fordert, weil es eines der ernsthaftes- Schulleiter Erhard Laube im Rahmen nung der Schulen in ihr soziales Die Erleichterung schafft Luft, um Zeiten zurückkehren. Matthias Pannes ten Dinge ist, die man überhaupt des Berliner Ganztagsschulkongres- Umfeld. Sie kann politische Bildung sich intensiver mit der Entwicklung fragt nach der praktischen Umsetzung machen kann. Wenn am Schluss die ses 2005. Die Vorteile der kulturellen und Medienbildung unterstützen. des Bildungswesens zu befassen. des Projekte „Jedem Kind ein Instru- Aufführung kommt, und die Schüler Bildung liegen für ihn auf der Hand: Vor allem hilft sie, die traditionelle politik und kultur fragte Repräsentan- ment“. Stefanie Ernst stellt einige Er- vor den Vorhang treten müssen, dann „Das Theater hilft den Kindern, ihre Paukschule deutscher Prägung zu ten der Lehrergewerkschaften und gebnisse der IGLU-Studie vor. Und Her- haben manche das Gefühl, sie müss- Persönlichkeit frühzeitig zu entwi- überwinden. Hartmut von Hentig -verbände, was Kinder und Jugend- mann Wilske und Christian Höppner ten sterben. Das ist schwieriger, als ckeln. Sie werden selbstsicherer im schrieb einst: Seine Traumschule habe liche brauchen: Bildung oder Kom- streiten über das Ob eines Kanons im eine Klassenarbeit zu schreiben“, Auftreten. Sie lernen im Team, setzen keine Fächer, sondern nur zwei gro- petenzen? Reicht es sich in interna- Musikunterricht. sagte die ehemalige Schulleiterin der sich kreativ und konstruktiv mit der ße Bereiche: Science und Theater. Die- tionalen Studien auf den vorderen Helene-Lange Gesamtschule, Enja Wirklichkeit auseinander. Jedes Kind se Aussage mag überspitzt sein, sie hat Ränge zu bewegen oder wird mit Bil- Die Redaktion Riegel im Gespräch mit der Zeit- ist wichtig. Nur durch die hohe Leis- aber einen wahren Kern. schrift Spiel&Bühne. tung aller Kinder wird ein Stück gut!“ Fakt ist aber auch: Wenn die Kul- Dass kulturelle Bildung auch für In der Tat ist dies der bedeutendste tusminister wünschen, dass die kultu- Mangelfächer mehr sein. Wir brau- der UN-Kinderrechtskonvention. Dort die Integration von Migranten wich- Ansatz der kulturellen Bildung in der relle Bildung mehr ins Zentrum des chen mehr qualifizierte Fachkräfte an steht geschrieben: Kinder haben ein tig ist, beweist die Spreewald-Grund- Schule. Sie leitet einen Paradigmen- Schullalltags rückt, müssen die Länder unseren Schulen und mehr Ganztags- Recht auf Kunst und Spiel. schule in Berlin. Noch im Jahr 2000 wechsel in unserem Blick auf das ihre verhängnisvolle Sparpolitik been- schulen. Denn kulturelle Bildung be- galt die Schule im Norden des Stadt- Kind ein. Wir sehen die Kinder nicht den. Allzu oft ist die kulturelle Bildung nötigt Zeit und Raum. Unsere Kinder Der Verfasser ist Vorsitzender der teils Schöneberg als „Ausländerschu- mehr als defizitäre Menschen, son- das Opfer des Rotsitfts der Finanzmi- haben einen Anspruch auf kulturelle Gewerkschaft Erziehung und le“. In den drei ersten Klassen saßen dern bestärken sie in ihren Fähigkei- nister. Kulturelle Fächer dürfen keine Bildung. Er ist verankert in Artikel 31 Wissenschaft Schule und Weltklugheit Von Ludwig Eckinger Der November 2007 ging mit zwei chem Verhältnis die Mittel zur sozia- formulierte. Überdies haben wir auf für die deutsche Kultur sehr positi- len Herkunft der Nutzer stehen. der Leipziger Buchmesse 2007 unse- ven Meldungen zu Ende. Der Etat des Ich teile die Unbescheidenheit ren bundesweiten Grundschulförder- Kulturstaatsministers wurde auf- Kants. Sein Maximalanspruch an Er- preis „Hauptsache LESEN“ gestartet, gestockt. Durch den Hauptstadtver- ziehung muss auch heute ernst ge- deren erste Preisträger wir in diesem trag mit dem Bund ist die Zukunft nommen werden. Kant wollte die Kin- Jahr eben dort vorstellen wollen. Frei- der Staatsoper unter den Linden fi- der für das „Weltbeste“ begeistern und lich ist Leseförderung an Grundschu- nanziell abgesichert. Fast parallel sieht in der „Weltklugheit“ das Erzie- len für das deutsche Hochamt „Feuil- dazu wurden die Ergebnisse der In- hungsziel überhaupt. Erziehung setzt leton“ kein Thema, aber nur auf die- ternationalen Grundschuluntersu- sich für Kant aus Disziplinierung, Zi- sem Wege wird das Feuilleton auch chung (IGLU 2006) und von PISA vilisierung, Moralisierung und eben noch in Jahrzehnten seine Leserschar 2006 vorgestellt. Kultivierung zusammen. Die Aneig- haben. nung von „Weltklugheit“ taugt nur, Befähigung zu kultureller Teilhabe ie deutschen Grundschulkinder wenn sie sich im Handeln für das Wohl ist natürlich mehr als Lesen. Ich mei- D bestehen jetzt mit ihrer Lese- der Gesellschaft niederschlägt. Kultu- ne, dass die PISA-Debatten auch die kompetenz den internationalen Ver- relle Bildung ist kein Wert an sich, wie Entwicklung der Schule als Polis un- gleich sehr gut, sind in Europa in der Auschwitz zeigte. terstützen. Was die Reformpädagogik Spitzengruppe. Doch 13 Prozent der Ohne hier in einen philosophi- nur partiell geschafft hat, Schule als Zehnjährigen verfügen nur über ge- schen Diskurs zu verfallen, möchte ich Ort ganzheitlicher Bildung und Erzie- ringste Lesefähigkeiten, während doch betonen: Lesen ist die Basiskom- hung zu gestalten, setzt sich jetzt in zehn Prozent Spitzenkompetenzen petenz für den Einstieg in kulturelle einem beinahe atemberaubenden aufweisen können. Das Problem setzt Teilhabe im weitesten Sinne. Deren Tempo durch. Noch vor zehn Jahren sich in der Sekundarstufe fort. Jeder Vermittlung kann also gar nicht wich- war es kühn, verlässliche Halbtags- fünfte 15-Jährige ist von funktiona- tig genug genommen werden. Gerade grundschulen zu fordern. Jetzt besteht lem Analphabetismus bedroht, weil PISA war diesbezüglich ein heilsamer Konsens, dass Ganztagsschulen für sich aus den Buchstabenfolgen für Schock. Hätte der babylonische König alle Schularten ausgebaut werden, um ihn kein Sinn ergibt und folglich der Belsazar das Menetekel lesen können, auf diesem Wege die Bildungschancen Umgang mit Texten kein Lustgewinn wäre sein Reich nicht untergegangen. des Einzelnen von seiner sozialen Her- bedeutet. Das Problem, von dem wir Die Schulen haben PISA verstanden. kunft zu entkoppeln. Die Schulen, die seit PISA 2000 ziemlich genaue Das Lesen hat heute einen ungleich sich durch das Bund-Länder-Pro- Kenntnis haben, ist gesellschaftlich höheren Stellenwert. Deshalb ist auch gramm auf den Weg gemacht haben, gravierend. Wessen Eltern bildungs- die jüngste IGLU-Botschaft so wert- verbünden sich sehr oft gerade mit fern sind, von niedrigen Einkommen voll. kulturellen Einrichtungen und setzen leben müssen, gesellschaftlich be- In immer mehr Schulen gibt es auf ein Schulprofil „Kulturelle Bil- nachteiligt sind, der hat in Deutsch- Leseecken, kleine Bibliotheken in dung“. Zwar ist nicht überall, wo land geringere Chancen auf einen er- Klassen, es gibt Lesenächte oder Zei- Ganztagsschule drauf steht, auch Foto: Christoph Seelbach folgreichen Bildungsweg. Kinder aus tungsprojekte. Kinder und Lehrer prä- Ganztagsschule drin, aber der Weg ist sozial benachteiligten Familien sind sentieren regelmäßig ihre Lieblings- eingeschlagen. Wir kommen allmäh- tenzen unterlegt. Die Tests messen wenn sie denn gewollt ist, mit einer hoch gefährdet, auch als Erwachse- bücher. In allen Fächern wird mit lich davon weg, Kultur in der dritten Messbares, die „harten Fächer“. Mu- einseitigen Orientierung an ökonomi- ne sozial benachteiligt zu bleiben. Sachtexten gearbeitet. Für leseschwa- Stunde vermitteln zu wollen, sondern sik oder Kunsterziehung erscheinen in scher Verwertbarkeit nicht gedient ist. Solch’ eine Entwicklung ist für eine che Schüler gibt es spezielle Förder- gestalten Schule als Ort der Lebens- dieser Perspektive als etwas Zusätzli- Die wesentliche Aufgabe der Lehrerin- demokratisch verfasste Gesellschaft kurse. Und die Schulen legen Wert auf kultur, Schule als Polis. Von diesen ches, das nicht unbedingt notwendig nen und Lehrer ist auch heute, sich der ein sozialer Sprengstoff. enge Kontakte zu den Eltern. Ein gu- Ganztagsschulen geht insofern ein ist. Die Umstellung in unserem Bil- Kultivierung verpflichtet zu sehen, Insofern ist die Lesekompetenz ein ter Leseunterricht zeichnet sich da- großer Impuls aus, die überkommene dungssystem auf Bildungsstandards Schülerinnen und Schüler dazu zu Gradmesser für die Chance auf kultu- durch aus, dass die Kinder den Spaß Idee von der geschlossenen Bildungs- und Vergleichstests bewirkt eine Neu- befähigen, ein begründetes Urteil ab- relle Bildung, auf gesellschaftliche am Lesen nach Hause tragen und die anstalt endgültig zu begraben. gewichtung der Fächer, die nicht zugeben. Die Verantwortungsgesell- Teilhabe. Es reicht nicht aus, sich über Beschäftigung mit Texten zu ihrem Wenn die OECD internationale immer gesund ist, denn Schule kann schaft, von der so gern geredet wird, attraktive Kultureinrichtungen zu Alltag gehört. Der VBE übrigens hat Bildungsstudien – wie PISA – finan- ihrem ganzheitlichen Bildungs- und braucht den mündigen Bürger, der freuen. Wir müssen schon im Blick nach PISA 2000 eine Lesefitness-Initi- ziert, so stehen die Interessen der Wirt- Erziehungsauftrag nur nachkommen, ohne kulturelle Bildung nicht denkbar haben, wer in die Galerien, in die ative für Grundschulkinder gestartet, schaft nicht ganz hintan. Die weltwei- wenn alle Seiten miteinander verwo- ist. Die Grundlage dafür schafft auch Opernhäuser, in die Konzerte und die genau die oben angeführten As- ten Tests von Literacy, Kompetenzen ben werden. Musik, Kunsterziehung, im 21. Jahrhundert die Schule! Zu die- denkmalgeschützten Anlagen geht, pekte berücksichtigt. Inzwischen be- in Mathematik und Naturwissen- Religion oder auch Sport fallen wegen ser Priorität von Bildung muss sich die wer sich Bücher, Theaterinszenierun- teiligen sich daran bundesweit über schaften legen einen Bildungsbegriff Lehrermangels zu häufig aus. Mit Blick Gesellschaft aber auch klar bekennen, gen, Filmbesuche oder Ausstellungen eine Million Kinder der Klassen 1 bis zugrunde, der sich vom humanisti- auf die Messlatte PISA wird das Pro- klarer, als es jetzt der Fall ist. leisten kann und wer nicht, wer hung- 4. Die Grundidee lautet schlicht: „Le- schen Bildungsbegriff Humboldts blem von der politischen und bürokra- rig auf Kultur ist und diesen Hunger sen lernt man nur durch Lesen“, wie oder auch Kants wohl unterscheidet. tischen Bildungsebene gern herunter- Der Verfasser ist Bundesvorsitzender stillen kann. Es ist auch bei der Kul- das der österreichische Lesedidaktiker Immer wird die ökonomische Ver- gespielt. Ich bin davon überzeugt, dass des Verbands Bildung und Erzie- turförderung zu hinterfragen, in wel- Richard Bamberger knapp und präzis wertbarkeit von Wissen und Kompe- der Bildung, der kulturellen Teilhabe, hung (VBE) KULTURELLE BILDUNG politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 30

Bildung ist weit mehr als PISA Verantwortungsgesellschaft und Kulturelle Bildung • Von Josef Kraus Die schulpolitische Debatte in schauen.“ Das heißt: Die Geschich- Deutschland ist unter dem Diktat te der Menschheit und ihr Wissen, von PISA-Tabellen und OECD-Statis- unsere Vorfahren und deren Kultu- tiken völlig außer Tritt geraten. Sie ren – das sind die Schultern von Rie- mag noch so auf Aktionismus ma- sen, auf denen wir Zwerge weit se- chen, eines kann sie nicht verheh- hen können. Oder in den Worten len: Diese Debatte ist inhaltsleer Schleiermachers: Unser Gedächtnis geworden. Schule ausschließlich ist ein Teil unserer Selbsterkenntnis. oder auch nur in erster Linie an Bildung darf deshalb nicht bloß PISA-Statistiken und OECD-Quoten für andere Zwecke instrumentali- zu orientieren, das ist kulturelle siert werden, sonst ist sie „nur“ Qua- Verarmung, das ist Reduktionismus. lifizierung. Das humanistische Auf- Denn die OECD erfasst mit PISA nur begehren gegen eine solche Einen- das wirtschaftlich – vermeintlich? – gung kennen wir schon seit Platon. Verwertbare. Dabei misst der von Sein Verdikt richtete sich damals ge- der OECD koordinierte Test nur ei- gen die Sophistik und deren Brot- nen minimalen Ausschnitt des Lern- kunst. Bildung aber hat einen über- und Bildungsgeschehens in unseren nützlichen Wert, wenngleich dies ei- Schulen. nem Paradoxon gleichkommt. Die- ses Paradoxon besteht darin, dass ir brauchen gegen dieses fla- das Übernützliche im Moment zwar W che Denken in Kategorien des potentielle Produktivität kostet, sein Nützlichen aber eine Re-Kultivie- Nutzen aber darin besteht, dass das rung unserer Gesellschaft und zumal Nachdenken, dass Muse (die Göttin) unseres Bildungswesens. Dazu wäre und Muße (der Müßiggang) im End- endlich eine verstärkte Bildungsde- effekt höchst produktiv für den Ein- batte in Fächern zu wünschen, in zelnen und das Gemeinwesen sind. denen es nicht nach reinen Messbar- Ebenfalls paradoxerweise sind es keits- und Effizienzkriterien gehen genau diese humanistischen Revol- Foto: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung kann: in den Sprachen sowie in Ge- ten gewesen, die auch im naturwis- schichte, Sozialkunde/Politik, Religi- senschaftlichen, technologischen vorgegebener Anlagen. Deshalb: Er- eines Bach und Beethoven, eines muss ... Übrigens auch deshalb ge- on/Ethik, Kunst, Musik, Sport. und wirtschaftlichen Bereich die halten wir uns doch bitte das, was Kant und Hegel, eines Goethe und ben sollte, weil kanonisches Wissen Es gibt gerade in diesen Fächern Grundlage für den Aufstieg Europas Schulbildung neben dem Funktiona- Schiller sollte man das nicht verges- eine unverzichtbare Kommunikati- viele nicht messbare, aber höchst waren. Thomas Nipperdey (in: Deut- len auch ausmacht und was PISA weit sen. onsgrundlage ist und weil ein zu wertvolle Mitnahmeeffekte für die sche Geschichte 1800 - 1866) war hier übersteigt: Literaturunterricht, freies Auch mit dem Kanon-Gedanken schmales Wissen (ein Wissen unter Gesamtpersönlichkeit und für den zu dem Ergebnis gekommen: Die Gestalten, Chor, Orchester, Bigband, sollten wir uns wieder anfreunden – aller „Kanone“) anspruchsvolle persönlichen kulturellen Horizont. großen deutschen Naturwissen- Theatergruppe, Kleinkunst, Schul- mit dem Gedanken also, dass es in Kommunikation erst gar nicht ent- Bedenken wir: Die heute als modern schaftler seien Zöglinge (und Vertei- sportmannschaft, Weihnachtsbasar, den kulturell besonders relevanten stehen lässt. ausgegebene Ideologie des „any- diger) dieses Gymnasiums gewesen Partnerschaften u.v.a.m. Es geht um Fächern wie Deutsch, Fremdspra- thing goes“, die Beliebigkeit und .... Man denke etwa an Werner Hei- kulturelle Bildung und um die Bil- chen, Musik und Kunst einen Grund- Der Verfasser ist Präsident des nicht zuletzt die öffentliche Entwer- senberg (1932 erhielt er den Physik- dung der Persönlichkeit. Im Lande bestand an Werkkenntnis geben Deutschen Lehrerverbandes (DL) tung traditioneller Sinnbezüge als Nobelpreis), der von sich und seinen „unmodern“ hinterlassen bei vielen Studenten sagte, die humanistische Menschen Orientierungslosigkeit. Bildung befähige in besonderem Man spürt: Orientierung lässt sich Maße zum logischen und zum nicht von irgendeiner Homepage schöpferischen Denken. Kommen die musischen Zeiten zurück? „downloaden“. Dem bildungspolitischen Papier Konzepte und Traditionen in der Debatte über kulturelle Bildung • Von Max Fuchs Identität kommt auch kaum aus der Deutschen Bischofskonferenz PISA-gemäßen „skills“, sondern vor (DBK) und der Evangelischen Kirche Ein Nebeneffekt der derzeit festzu- py End, indem sich alle Richtungen an, obwohl etliche der Exponenten der allem aus der „Er-Innerung“ des Kul- in Deutschland (EKD) vom 16. No- stellenden Konjunktur kultureller Bil- unter den Pluralitätsbegriff „kulturel- früheren musischen Bildung im Na- turellen und aus der Partizipation vember 2000 ist jedenfalls uneinge- dung besteht darin, dass neue Ak- le Bildung“ unterordnen. Man bleibt tionalsozialismus ihre Ideen von am Kulturellen. Das ist übrigens der schränkt zuzustimmen; dieses Pa- teure auftauchen. Diese bringen zum zwar bei seiner eigenen bevorzugten Deutschtum, Volk und politischer Grund, warum totalitäre Systeme zur pier trägt den Titel „Tempi – Bildung einen eigene Vorstellungen darüber Bezeichnung (musische, ästhetische Führung realisiert sahen und ent- Proklamation einer ewigen Gegen- im Zeitalter der Beschleunigung“. mit, was „kulturelle Bildung“ eigent- oder künstlerische Bildung), akzep- sprechend die Nähe zum Faschismus wart und zu einer gleichgeschalteten Darin wird eindeutig Kritik geübt an lich sei, was sie bewirken soll, war- tiert aber „kulturelle Bildung“ als Dach suchten. Dazu kam, dass sich mit er- Kulturpolitik neigen. Kulturelles Er- einem „Totalitarismus neuen Typs“, um sie notwendig ist, wie sie am bes- und hat auch seinen Frieden mit der heblicher Resonanz Adorno in die innern und kulturelle Partizipation nämlich dem „subjektlosen Funkti- ten entwickelt wird und ob überhaupt Bestimmung gemacht, sie sei Allge- Debatte eingemischt hat und ein don- sind damit Chance des Widerstands onalismus“, der auch die Bildung der Begriff „kulturelle Bildung“ der meinbildung, die (auch) durch die ei- nerndes Verdikt gegen das Musikan- und der befreienden Kraft gegen In- erobere. geeignetste ist. Damit vergrößert sich gene Arbeitsweise vermittelt wird. tentum, die niedrige Qualität und das doktrination. Eine Erziehung und Was wüsste der Altphilologe die Anzahl der verwendeten Begriffe, Doch zeigt sich, dass dieser Konsens Volkstümelnde ausgesprochen hat. Es Bildung ohne das Kulturelle wären Nietzsche, der Verkünder des Diony- wobei nicht notwendigerweise unter- zur Zeit brüchig wird und dass Legiti- folgten daher in den siebziger Jahren schließlich eine Verweigerung von sischen, zu dieser Debatte beizutra- schiedliche Begriffe immer Verschie- mationsmuster wieder relevant wer- zahlreiche Umbenennungen: sowohl Identität und damit alles andere als gen? Zu einer Schule der permanen- denes oder gleiche Begriffe eine ähn- den, die man aus früheren Zeiten ei- auf der Ebene von relevanten Haus- Persönlichkeitsbildung. ten Reform-Hektik würde er sagen: liche Praxis oder Intention beschrei- ner musischen Bildung noch gut haltstiteln (etwa im Jugendplan des Zeichen von Ungebildetsein da- „Wenn ihr mehr an das Leben glaub- ben. Einen ersten Ordnungsversuch kennt. Kehren also die Zeiten der mu- Bundes), als auch bei den Trägerstruk- gegen ist es, dies zu vergessen und tet, würdet ihr weniger euch dem in dieser etwas chaotischen Vielfalt sischen Bildung zurück – und was war turen. So hat sich etwa der Dachver- sich einem Absolutismus der Gegen- Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habe ich mit dem Beitrag „Was ist daran schlimm? band, die seinerzeitige Bundesverei- wart zu überlassen. Deshalb stellt habt zum Warten nicht Inhalt genug kulturelle Bildung“ in puk 6/07 vor- Sicherlich hat diese Entwicklung nigung Musische Jugendbildung, im Josef Pieper zu Recht fest: „Dem in euch.“ Und er würde sagen: Schu- gelegt. Es lohnt sich jedoch, die dort etwas damit zu tun, dass im Zuge ei- Jahre 1968 in die Bundesvereinigung Menschen ist es mehr vonnöten, er- le kann keine Schule sein „am Pflock nur beiläufig angesprochene Proble- ner verstärkten Zusammenarbeit rund Kulturelle Jugendbildung umbenannt. innert als belehrt zu werden. Er des Augenblicks.“ matik der verschiedenen Bezeichnun- um die Ganztagsschule eine Vergewis- Allerdings sprachen viele in der Folge- kommt nicht allein dadurch zu Scha- Wie Nietzsches Zeit scheint aber gen etwas genauer zu betrachten. serung der eigenen Identität dringli- zeit immer noch von „musischer Bil- den, dass er das Hinzu-Lernen ver- auch die unsere geprägt von einem Denn es gibt in diesem Arbeitsfeld cher wird. Und diese verläuft über be- dung“ und auch die Musische Bil- säumt, sondern auch dadurch, dass Primat des Materialismus, Empiris- recht unterschiedliche Konzeptionen, stimmte Begriffe und über Ideen, die dungsstätte, nunmehr „Akademie er etwas Unentbehrliches vergisst mus, Ökonomismus und Utilitaris- Traditionen und Trägergruppen mit man hinter den Begriffen vermutet. Remscheid“, behielt im Untertitel den und verliert.“ Mit Manfred Fuhr- mus. Dementsprechend rechnet er recht verschiedenen Vorstellungen Insbesondere wehren sich Künstler Begriff der Musischen Erziehung bei. mann könnte man auch sagen: Wer es 1872 im ersten seiner Vorträge von Kunst und Bildung und der Be- dagegen, bloße Handlanger der Päd- Quasi als Abgesang der Periode der die Antike, der 60 Prozent der Stoffe „Über die Zukunft der Bildungsan- ziehung zum Gemeinwesen und zur agogen und Pädagoginnen sein zu Bildungsplanung wurde sogar noch der Dramen und Opern entstam- stalten“ zu den beliebtesten natio- Politik. wollen. Es lohnt sich also ein Blick in 1977 ein „Ergänzungsplan musisch- men, nicht kennt, der steht vor Lite- nalökonomischen Dogmen, den die Wirkungsgeschichte nicht der kulturelle Bildung“ veröffentlicht. ratur und Musik vielfach wie einer, möglichst großen Geldgewinn als erbreitete Darstellungen der Kul- Künste, sondern ihrer Legitimations- Doch setzte sich im Laufe der Zeit der der sich jeden Witz erklären lassen Zweck der Bildung auszugeben. V turpädagogik – auch mein oben muster. Hierin steckt allerdings bereits Terminus „kulturelle Bildung“ durch. muss. (Das Gleiche gilt für den, der Wörtlich: „Dem Menschen wird nur genannter Artikel – suggerieren ge- eine erste Aussage: Es geht weniger Was war dies: Ein Verlegenheitsbegriff die Bibel nicht kennt.) soviel Kultur gestattet, als im Inter- legentlich einen etwas zu stark zielori- um reale Wirkungen, sondern viel- oder schlicht ein Verwaltungsakt, war Der unbehauste Mensch jeden- esse des Erwerbs ist.“ entierten Geschichtsverlauf. Man geht mehr um einen theoretischen und z. es eine unnötige Verdoppelung, da falls wird die Beliebigkeit und Ober- Eine Reduktion von Bildung aber zwar auf unterscheidbare Traditions- T. ideologischen Überbau, mit dem „Kultur“ über weite Strecken – gerade flächlichkeit des „global village“ nur auf das Marktgängige bedeutete ei- linien im 19. und 20. Jahrhundert ein man sich befassen muss. in der Sattelzeit zwischen 1770 und dann aushalten, wenn er Geborgen- nen Verlust an kulturellen Optionen, wie etwa die Jugendbewegung, ver- In der zweiten Hälfte der sechzi- 1830, als man begann, vermehrt in der heit in Kultur, Geschichte, Tradition, an konkreten Denk-Spielräumen und schiedene Lebensreformbewegun- ger Jahre des letzten Jahrhunderts ist deutschen Sprache „Kultur“ zu ver- Sprache und Nation findet. Und er an bereichernden Fremdheits-Erfah- gen, Pädagogikentwürfe wie die erste im Zuge der Ideologiekritik der Frank- wenden – oft genug bedeutungsgleich wird nur dann seine Trendanfällig- rungen (Aleida Assmann, 2003). Bil- Kulturpädagogik zu Beginn des 20. furter Schule die Bezeichnung „musi- mit „Bildung“ benutzt wurde? Immer- keit sowie seine Froschperspektive dung kann ansonsten nicht eigentlich Jahrhunderts, die Neue Kulturpolitik, sche Bildung“ obsolet geworden ist. hin steckt in beiden Begriffen der As- überwinden, wenn er beherzigt, was zweckgebunden sein. Denn – so Hans- die Entwicklung der künstlerischen Zum einen lag das daran, dass ihre pekt der Pflege, des gedeihlichen der Frühscholastiker Bernhard von Georg Gadamer – Bildung kennt, so Fächer etc. Entsprechend kann man Hauptvertreter in der Weimarer Repu- Wachstums und dessen Förderung. Chartres (um 1120) meinte, als er wenig wie die Natur, außerhalb ihrer konzeptionelle und terminologische blik zu stark das Gefühl gegen das Ra- Betrachten wir daher – allerdings äu- riet: „Mit unserem begrenzten Er- selbst gelegene Ziele (in: Wahrheit Unterscheidungen identifizieren (äs- tionale und die Gemeinschaft gegen ßerst knapp – einige aufschlussreiche kenntnisvermögen sind wir alle und Methode). Darin übersteigt – so thetische, künstlerische, musische, die Gesellschaft ausgespielt haben. An Zwerge, aber auf den Schultern von Gadamer weiter – der Begriff der Bil- soziokulturelle etc. Bildung und Erzie- solche Traditionen knüpfte man nach Weiter auf Seite 31 Riesen können auch Zwerge weit dung den der bloßen Kultivierung hung). Aber letztlich gibt es ein Hap- dem Krieg in Westdeutschland wieder KULTURELLE BILDUNG politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 31

Kant wird zum wichtigen Stichwortge- genannten Entgegensetzungen: Den derner politischer Verhältnisse. Hier gung gegen die westeuropäische Auf- Fortsetzung von Seite 30 ber einer neuen Ästhetik: Das freie Kampf gegen den Königsberger Ver- kommt Deutschland zu spät, so wie es klärung entwickelte. Die sozialen und Spiel der Kräfte, die subjektive Allge- nunftphilosophen, den Kampf gegen Helmut Plessner in seiner 1935 ge- pädagogischen Bewegungen rund um Etappen in der Begriffsgeschichte. meinheit, der ästhetische Gemein- die heraufkommende Moderne, die schriebenen und erst 1959 veröffent- 1900 erproben in diesem Geiste eine Die Musen waren bekanntlich die sinn, die Zweckmäßigkeit ohne Ästhetik als das „Andere der Vernunft“, lichten Studie geschrieben hat. Man politische und pädagogische Praxis, Töchter von Zeus, deren Anzahl Zweck. Ging es Kant noch um philo- das Volk, die Gemeinschaft (vgl. aktu- kann das Inhaltsverzeichnis dieses Bu- und er selber lieferte diesen Bewegun- allerdings in der Überlieferung sophische Grundlagenforschung, so ell: Safranski, Romantik, 2007). Die ches (Die verspätete Nation. Über die gen die geeignete Bildungstheorie, in schwankt. Immerhin ist unstrittig, verschob Schiller das Ganze ins Poli- Aristokratie der Kenner wehrt sich politische Verführbarkeit bürgerlichen der – natürlich – die musische Bildung dass das Fest, das Singen, das Tanzen tische. Und hier ist er nun: der neue dabei gegen eine aufkommende mo- Geistes) quasi als Checkliste für Mo- eine entscheidende Rolle spielt. Eine und Sprechen dazugehören. Später Begriff der „ästhetischen Erziehung“. derne Massengesellschaft, bevor sich dernisierungsfolgen und -defizite le- Geschichtskonstruktion wie aus ei- sprach man vom „musischen Quadri- Alle Größen dieser Zeit blicken – meist diese voll entwickelt hat. Die Poesie sen: u.a. die religiöse Funktion der nem Guss, die auch nach dem Zwei- vium“ Musik, Bewegung, Bildende bewundernd – auf das revolutionäre und die Phantasie sollen an die Macht, deutschen Kultur, die Traditionslosig- ten Weltkrieg ihren Reiz nicht verloren Kunst und Sprache, die in dieser Form Frankreich. Und viele sind erschüttert, sonst drohe Verarmung des Lebens, keit und das Bedürfnis nach ge- hat. auch Eingang in die Lehrpläne der als hochfliegende Pläne einer Demo- droht die Kälte des Verstandes, die Un- schichtlicher Rechtfertigung des Le- Es liegt auf der Hand, dass man es Schule gefunden haben. kratisierung durch den Terror zerstört terordnung unter den Pöbel, der Ver- bens, autoritäre Biologie. Die Durch- hier damit zu tun hat, dass die Moder- In diesen antiken Kontext gehört werden. Die Schiller-Kenner sind sich lust des Nationalen, die Verkümme- setzung des Kapitalismus hat wie ne nicht akzeptiert wird und daher die Auseinandersetzung mit den Wir- heute weitgehend einig: In den „Brie- rung der Sinne. überall natürlich ihren Preis. Aber nur auch kaum angemessen – gerade in kungen der Künste: Es ging um Bil- fen zur ästhetischen Erziehung (1795), Hat Schiller schon erhebliche „Ver- in Deutschland fanden Rassismus, ihren negativen Folgen – gestaltet wer- dung, immer auch um Tugendbil- ursprünglich ein Dankeschön an den sprechungen des Ästhetischen“ (Y. Antisemitismus, Irrationalismus, eine den kann (vgl. meinen Text „Kulturpä- dung, und dies stets in Hinblick auf spendablen Grafen von Augustusburg, Ehrenspeck) formuliert und weitge- Kunst- und Bildungsreligion diesen dagogik und Schule in gesellschaftli- das gute Funktionieren in der Polis. entwickelte Schiller ein politisches Re- hende Wirkungsbehauptungen über Zulauf, der erst das Zweite (Kaiser)- chem Wandel“ in Deutscher Kulturrat Wenn sich die Bundesvereinigung formprogramm, das die ursprüngli- Kunst und Ästhetik aufgestellt, so wird Reich, dann den Ersten Weltkrieg und (Hg.): Konzeption kulturelle Bildung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung chen heroischen Ziele der Französi- all dies nunmehr ins Maßlose über- schließlich die nationalsozialistische III, 2005). In diesem Denkkontext gibt 2500 Jahre später den Slogan zu Eigen schen Revolution auf nicht revolutio- steigert. Man findet hier fast alle For- Barbarei ermöglicht hat (Stern: Kultur- es eine starke Kapitalismuskritik von macht, dass kulturelle Bildung soziale nären Wegen erreichen helfen soll. Es meln, die bis heute gerne zur Legiti- pessimismus als politische Gefahr, rechts, die in späteren Jahren auch und politische Bildung sei, dann kann liegt zwar nahe, in der Rede von der mation von Kunst gebraucht werden. 1963). Das Zwischenspiel der demo- gewisse Formen des Antiamerikanis- sie sich also durchaus auf diese klas- „Erziehung“ im Titel dieses bis heute Der Mechanismus ist wie folgt: Das kratischen Weimarer Republik war bei mus gespeist hat. Es gibt Antisemitis- sische Tradition berufen. Auch gab es einflussreichen Textes Pädagogik zu Konstatieren unglaublicher Verfalls- dem größten Teil der geistigen Elite mus, es gibt die Idee des „Reiches“ keine Abgrenzung des Musischen vom vermuten: Es ging jedoch um eine ge- prozesse, ein Niedergang der Kultur, und speziell bei den Vertretern der (statt eines modernen Staates), es gibt Intellektuellen oder vom Handwerk- sellschaftliche und politische Verän- der Menschen, der Jugend, was alles musischen Bildung ungeliebt, sie wur- die Idee des Volkes als Abstammungs- lich-Technischen, wie es die spätere derung durch Reform. Menschen soll- durch ein Mehr an ästhetischer Praxis de wenig unterstützt, dagegen oft und Schicksalsgemeinschaft, also all Geschichte der musischen Bildung ten in freiem Spiel der Kräfte Freiheit behoben werden kann. „Kulturpessi- genug aktiv bekämpft. das, was bis in die heutigen Tage eine vorgenommen hat, (vgl. Kluge, Vom erleben, auf diese Weise zu solchen mismus“ nennt man dies, und dieser Immerhin gab es eine Vielzahl ge- zeitgemäße Zuwanderungs- und In- Geist musischer Bildung, 1973). Über Staatsbürgern gebildet werden, mit geht Hand in Hand mit einem über- sellschaftlicher Bewegungen: Die Ju- tegrationspolitik verhindert hat. Die 2000 Jahre später, nämlich in der zwei- denen sich dann eine humane Gesell- steigerten Kunstoptimismus. Das 19. gend-, die Arbeiter-, die Frauen-, die „Neue Kulturpädagogik“, die sich in ten Hälfte des 18. Jahrhunderts, schaft aufbauen ließe. Also auch hier: Jahrhundert bringt eine dynamische Freikörper-, die Kunsterzieherbewe- den siebziger Jahren entwickelte und spricht Moses Mendelsohn von „Kul- kein Rückzug ins nur Ästhetische, son- Entwicklung: Die Bevölkerung wächst gung. Der auch noch in der Bundes- die sich in Jugendkunstschulen, in so- tur“ als einem Neuankömmling in der dern das genussvolle Verspüren von sehr stark, die Industrialisierung setzt republik einflussreiche, politisch ziokulturellen Zentren, in spannenden deutschen Sprache. Natürlich gab es Selbstgesetzgebung („Autonomie“) sich durch, ein allgemeines Schulwe- höchst problematische Pädagoge Her- Aktionen einer offenen Kinderkultur- Cicero, der in seinen tusculanischen mit der deutlichen Hoffnung auf sen wird etabliert, die Kleinstaaterei man Nohl wurde in der Weimarer Re- arbeit und in der Stadtteilkulturarbeit Schriften die Parallelisierung von cul- Transfer in die Gesellschaft. Und da- wird beseitigt. Allerdings: Die „Ver- publik zu dem wichtigsten Theoreti- ihre neuen Orte schaffte, setzte sich zu tura agri und cultura amici vorgenom- mit ist auch hier wie in der Antike „äs- sprechungen der Moderne“ (Wahl) ker: In seinem Buch „Die deutsche dieser Verständnisweise ästhetischer men hat und damit den Kulturbegriff thetische Erziehung“ politische Bil- auf Wohlstand, Freiheit, Gleichheit Bewegung“ konstruierte er einen Bildung bewusst in Opposition. Wei- mit der Bedeutung von Wachstum, dung. Zu einem Pädagogikprogramm und Gerechtigkeit erfüllen sich nicht. deutschen Sonderweg zwischen 1770 Entwicklung und Pflege gefüllt hat. wurde dieser Ansatz bei den Nachfol- Und ein weiteres geschieht nicht in und 1830, bei dem sich die tiefgrün- Doch macht ein einzelnes Vorkom- gern von Kant und Schiller, etwa bei Deutschland: die Durchsetzung mo- dige deutsche Kultur als Gegenbewe- Weiter auf Seite 32 men ein Wort noch nicht zu einem tra- Herbart. Mit Schiller und Co. beginnt genden Begriff. Der Begriff spielte da- allerdings die nur in Deutschland her auch fast 1700 Jahre keine wesent- stattgefundene Überhöhung von liche Rolle, so dass es geradezu zu ei- Kunst, die spezifische Deutung von ner Neuerfindung kommen musste. Bildung, die dieses Wort bis heute fast Wir sind … lesefähig! Dies geschah mit Herder, Schiller und unübersetzbar in andere Sprachen Von Stefanie Ernst Humboldt, dann aber sofort mit einer macht, die Überhöhung des Kulturbe- enormen Dynamik. Dabei ist zu be- griffs. Es geht um das Geistige, es geht Nachdem wir 2005 Papst waren und im Sommer dieses Jahres Frauenfußballweltmeister wurden: Können wir uns nun auch achten, dass es immer wieder zu (neu- um ästhetische Kultur. Und es geht zu den Gewinnern der neuen Iglu-Studie zählen? Als der Gewinner vielleicht nicht, aber immerhin hat sich die Lesefähigkeit en) Akzentuierungen des Begriffs letztlich um eine Elite, auf der die und die Lesemotivation der Grundschüler merklich verbessert. Nach dem Desaster und dem lang anhaltenden Schock der kommt, ohne dass man darauf ver- Hoffnung auf eine humane Verbesse- PISA-Studie 2001 dürften Eltern, Lehrer, Schul- sowie Bildungspolitiker und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schülern, zichtete, ihn auch weiter in herkömm- rung der Verhältnisse liegt. Man denen der Makel des „Unterdurchschnittlichseins“ anhaftete, aufatmen. licher Bedeutung zu verwenden spricht von einer Kunst- und Bildungs- So hat die Ende November dieses Jahres veröffentlichte Internationale-Grundschul-Lese-Untersuchung, kurz IGLU, ergeben, (hierzu nach wie vor unverzichtbar: religion. dass die Lesekompetenz der Viertklässler in Deutschland ein hohes Niveau erreicht hat. Folglich ist eine deutliche Verbesserung Bollenbeck, Bildung und Kultur, 1994). Es lässt sich trotz dieser vorsichti- zu den Ergebnissen der IGLU-Studie aus dem Jahr 2001 zu konstatieren. Insgesamt 35 Staaten und 10 Regionen haben an der Herder machte einen geradezu mo- gen Vorbehalte die Schillersche „äs- Studie teilgenommen; Deutschland belegt insgesamt den elften Rang. Spitzenreiter sind die Russische Föderation und Hong- dernen ethnologischen Kulturbegriff thetische Erziehung“ als kulturelle Bil- kong, das Schlusslicht der Untersuchung ist Südafrika. Der Test wurde hierzulande an 405 deutschen Grundschulen mit insgesamt populär: Kultur ist Lebensweise und dung im heutigen Sinne betrachten. 7900 Schülerinnen und Schülern verteilt auf alle 16 Bundesländer durchgeführt. Aufgrund einer nationalen Erweiterung (IGLU- Lebensweisen gibt es viele. Die heuti- Wie das? E) lassen die Ergebnisse auch Rückschlüsse auf die Lesekompetenz der Schüler in den jeweiligen Bundesländern zu. Fünf Jahre ge Rede von einer „kulturellen Bil- Den Kulturbegriff verwendet man nach der ersten Studie konnte die Differenz zwischen lesestarken und leseschwachen Kindern weiter verringert werden und ist dung“ macht im Hinblick auf diese seit dieser Zeit zunehmend dann, nun relativ gering. Alles in allem nehmen deutsche Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit im Vergleich zu den Bedeutung durchaus Sinn: Erfasst sie wenn etwas gesellschaftliche Relevanz Viertklässlern der anderen EU-Mitgliedsstaaten sogar einen Spitzenplatz ein. Größter Wehmutstropfen bleibt die Tatsache, dass doch die zu erwerbende Kompetenz, hat. Hier hat der später noch zu er- Kinder mit Migrationshintergrund weiterhin durch das Bildungssystem benachteiligt werden. Und auch der Zusammenhang mit kultureller Vielfalt souverän um- wähnende Herman Nohl recht: Bil- zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung wurde noch nicht zufriedenstellend kompensiert. zugehen. Dies ist durchaus im Sinne dung wird zur subjektiven Seite von von Herder. Denn alle Autoren dieser Kultur, Kultur beschreibt die objekti- Die Verfasserin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Kulturrates Zeit haben ein starkes pädagogisches, ve Seite von Bildung, beides verstan- sogar ein emanzipatorisches und hu- den in einem emphatischen Sinn. manistisches Interesse. Man kann es kurz so formulieren: „Bildung“ war zu dieser Zeit schon Kunst ist nicht sofort „Kultur“, sie wird länger ein „einheimischer Begriff“ es erst durch den gesellschaftlichen (Herbart) in der Sprache der Philoso- Gebrauch. Und dass die generelle Ziel- phen und Theologen, allerdings sehr stellung von Kant, Schiller und Hum- stark mit einer christlichen Bedeu- boldt Freiheit ist, dass es niemals zu tung: das „Bild“, das in „Bildung“ einer Entgegensetzung von Gefühl steckt, ist das Bild Gottes (imago dei), und Verstand kommt, muss erwähnt an dem der Mensch sich zu orientie- werden. Halten wir also fest: Ästheti- ren hat. Diese Deutung wird nunmehr sche Erziehung im Sinne von Schiller von den Meisterdenkern revidiert. Es ist kulturelle Bildung im aktuellen Sin- geht jetzt um die „proportionierliche ne einer humanistisch verstanden Formung der Kräfte zu einem Gan- „Kultur“, die die individuelle mit der zen“, so Humboldt in seiner Jugend- gesellschaftlichen Entwicklung ver- schrift über die Grenzen des Staates. bindet. Am Begriff der Bildung diskutiert man Doch geschieht noch etwas ande- die Differenz zwischen Bürger und res: Es beginnt eine Auseinanderent- Mensch sowie den Unterschied zwi- wicklung der lange Zeit bedeutungs- schen Citoyen und Bourgeois. Bildung gleich verwendeten Begriffe „Kultur“ und Politik sind bei diesen Autoren – und „Zivilisation“: Während letzterer ganz wie in der Antike – zwei Seiten für die europäische Aufklärung und derselben Medaille. Und die Künste deren Errungenschaften steht, wird erfahren eine Adelung: Rehabilitiert „Kultur“ im Laufe des 19. Jahrhunderts sind sie als sinnliche Erkenntnis („ais- zu dem, was die einzigartige „Tiefe des thesis“) bereits durch Baumgarten. deutschen Geistes“ erfasst. Einen we- Angelsächsische Ästhetiken beeinflus- sentlichen Anteil an dieser Entwick- sen Kant, und dieser gewinnt endlich lung hat die Romantik. Die Romantik mit seiner dritten Kritik, der Kritik der greift die Zivilisationskritik von Urteilskraft (1790), Zugang auch zu Rousseau auf und radikalisiert sie. Die Bildungsunterschiede in Deutschland sind noch nicht „Aus“-gestanden. Zwar ist die migrationsbedingte Ungleichheit dem bislang abwehrenden Goethe. Hier finden wir dann auch die oben seit 2001 zurückgegangen, im internationalen Vergleich besteht hier allerdings noch Nachholbedarf. Foto: Stefanie Ernst KULTURELLE BILDUNG politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 32

Daher erneut die Frage: Was ist kul- ten, Gebräuche, aber auch Wissen- len zu entwickeln. „Kulturelle Bil- Alle drei Aspekte machen „kulturelle Fortsetzung von Seite 31 turelle Bildung? Vor dem Hintergrund schaften, Religion etc.), so wie sie im dung“ als souveräner Umgang mit Bildung“ zu einer anspruchsvollen, dieser historisch-systematischen Ver- Laufe des 19. Jahrhunderts diskutiert dieser kulturellen Dimension von geradezu überlebensnotwendigen Die musischen Zeiten gegenwärtigung lässt sich nun auch wurde, führte zur Formulierung der Gesellschaft macht daher Sinn, geht Disposition. Im Hinblick auf die äs- dieser Begriff inhaltlich weiter profi- Aufgabe der „Enkulturation“, einer allerdings weit über die traditionellen thetische oder künstlerische Bildung tere Traditionslinien sind bereits an- lieren. Denn als bloßer Sammelbe- Hineinentwicklung in die Gesell- Künste hinaus. Ein letzter Hinweis gilt wird deutlich, dass die Subsummie- gedeutet. So etwa die Thematisierung griff für die unterschiedlichsten For- schaft durch Aneignung derjenigen einer aktuellen Verwendungsweise rung unter das Label „kulturelle Bil- von Jugendkulturen in der Jugendbe- men eines Umgangs mit Kunst und Gegebenheiten, die die Gesellschaft von „kultureller Bildung“ im Kontext dung“ die Erfüllung einiger weiterer wegung – ebenfalls politisch schil- Ästhetik ist er unterbestimmt. Daher in ihrer Geschichte zusammen gehal- der Geistes- und Kulturwissenschaf- Kriterien voraussetzt, die nicht not- lernd zwischen rechts und links; re- hier drei weitere Präzisierungen. Eine ten haben. Dies war Kern der ersten ten. Volker Steenblock (Theorie der wendig bereits bei jedem gemeinsa- formpädagogische Ansätze unter- erste Präzisierung erfolgte durch den Kulturpädagogik am Anfang des 20. kulturellen Bildung, 1999) sieht in der men Singen, Plastizieren oder Tanzen schiedlicher Couleur, die alle gemein- Hinweis, dass mit „Kultur“ eine ge- Jahrhunderts. Zweifellos hat man sich Bildungsaufgabe die entscheidende erfüllt sind. Humanismus als Leitkul- sam hatten, von einem Kult des (un- sellschaftliche Relevanz gefordert damals einen Konsens über das „Kul- Legitimation für die Geistes- und Kul- tur, so nennt Julian Nida-Rümelin verdorbenen) Kindes auszugehen. wird. Dies bedeutet etwa nicht eine turelle“ zu einfach vorgestellt. Doch turwissenschaften heute, wobei Re- sein letztes Buch. Dies formuliert Weitere wichtige Traditionslinien wä- Funktionalisierung von Kunst, son- wird Enkulturation als eine der gesell- flexion, Orientierung, Sinnstiftung, durchaus eine Leitlinie für eine rich- ren zu betrachten. So hatten alle dern – durchaus im Sinne von Schil- schaftlichen Funktionen des Bil- Bewertung und Kritik deren Funkti- tig verstandene kulturelle Bildung mit künstlerischen Fächer das Problem, lers ästhetischer Erziehung als „kul- dungs- und Erziehungssystems (über onen sind. Kulturelle Bildung bezieht künstlerischen Mitteln, die jede sich von ihrer „musischen Tradition“ tureller Bildung avant le lettre“ – eine Qualifikation, Legitimation, Allokati- sich auf solche notwendigen Prozes- Mühe lohnt. zu emanzipieren. Musik spielte in die- Orientierung an dem Ziel der indivi- on und Sozialisation) bis heute aner- se in Hinblick auf das von den Patho- ser Tradition immer schon eine wich- duellen und gesellschaftlichen Frei- kannt. Aufgabe ist es daher, eine zeit- logien der Moderne (Honneth) er- Der Verfasser ist Vorsitzender des tige, vielleicht die wichtigste Rolle. heit. Die Rolle der „Kulturgüter“ (Sit- gemäße Vorstellung dieses Kulturel- heblich verunsicherte Individuum. Deutschen Kulturrates Aber auch die Kunsterzieher hatten das Problem, sich der ideologischen Vereinnahmung zu erwehren, wie die- se publizistisch äußerst erfolgreich mit dem eigenartigen Buch über Kinder brauchen die richtigen Instrumente... „Rembrandt als Erzieher“ (Langbehn) Von Matthias Pannes geschehen ist. Hier brodelt dumpf eine rassistische Volksseele. … so lautete ein Kino-Trailer von und Unterstützer des Projektes „Jedem „Kulturarbeit“ ist ein weiterer Sönke Wortmann vor etwa acht Jah- Kind ein Instrument“ und letztlich die Oberbegriff. Dieser hat sehr starke ren, den der Verband deutscher Mu- einzig sinnvollen Einrichtungen und sozialistische, zumindest sozialde- sikschulen in Auftrag gab, um die Po- Orte mit Erfahrung, um dem Projekt mokratische Züge. Brecht verwendet litik auf den Wert musikalischer Bil- zur Realisierung zu verhelfen. ihn schon in der Weimarer Zeit, die dung aufmerksam zu machen. Die Wenn man die 50 Millionen, mit Gewerkschaften nutzten ihn und Reaktion darauf war aus dem politi- denen die Landesregierung in diesem schließlich wird er zu einem Kernbe- schen Raum der Länder damals Frühjahr in die Öffentlichkeit gegan- griff der Neuen Kulturpolitik, die ganz ziemlich verhalten. Nun, Politik rea- gen ist (bei denen der größte Teil von klare gesellschaftspolitische Ziele hat- giert nun einmal auf grobe Reize und den Eltern aufgebracht werden soll), te. Man sieht: Begriffe haben ihre Ge- dann auch nicht immer planvoll, und differenziert und abschichtet, so kann schichte. Manchmal erhalten sich so ist in dem Land tief im Westen, des einen Löwengebrüll leicht des an- geistige Traditionen auch dann, wenn in dem die Region aus Kohle und deren Katzenjammer sein, hier insbe- inzwischen neue Generationen Ver- Stahl zur Kulturregion mutiert, ein sondere der von Etatzwängen gebeu- antwortung übernommen haben. merkwürdiges Nebeneinander von telten Ruhrgebietskommunen. Die Das Unbehagen an der Moderne, Abbau und vermeintlicher Neugrün- Staatskanzlei hat in ihrer Begeisterung Verweigerungshaltungen, der Rück- dung zu verzeichnen. notwendige und wichtige Planungs- zug in die Gemeinschaft, die Sehn- vorläufe ein wenig außer Acht gelas- sucht nach dem Eigenen und Vertrau- ährend in Nordrhein-Westfa- sen und muss jetzt nachsitzen, um die ten: Verständlich ist dies alles. Richard W len die Landesförderung für Rahmenbedingungen für dieses nach Sennett etwa beschreibt eindrucksvoll die Arbeit der Musikschulen in den wie vor begrüßenswerte und unter- die Folgen eines ungezügelten globa- vergangenen Jahren abgebaut wurde, stützungswürdige Projekt wetterfest lisierten Kapitalismus. Grund genug bis im Bundesvergleich die rote Later- zu gestalten. Vor allem ist eines zu re- also für jede noch so harte Kritik. Doch ne deutlich sichtbar war, wird ein geln: angesichts der Spar-, Not- und muss man aufpassen, welche Wege durchaus begrüßenswertes, aber auch nicht genehmigten Kommunalhaus- man beschreitet. Auch der Funda- zu hinterfragendes Vorhaben ange- halte gerade im Ruhrgebiet ist die ord- mentalismus, so Thomas Meyer in ei- gangen, dessen Propagandawirkung nungspolitische Aufgabe zu lösen, den Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Pressekonferenz zu „Jedem nem schon älteren Buch, ist ein „Auf- in Fachkreisen große Erwartungen kuratelgeplagten Städten Gestaltungs- Kind ein Instrument“ am 5.2.2007 in der Jahrhunderthalle in Bochum. stand gegen die Moderne“. In der zeit- geweckt hat. Die beeindruckenden Er- räume bei dieser freiwilligen Aufgabe Foto: Katrin Hötze gemäßen kulturellen Bildungsarbeit gebnisse des von einer Art interame- einzuräumen, ohne dass die Bezirks- spielen die Künste eine wichtige Rol- rikanischer Ausgleichsbank finanzier- regierungen durch ihren vorgegebe- in den gesetzlich kommerzfreien chen Musikschulen übrigens deutlich le. Man kann dabei ihre Notwendig- ten Musikerziehungssystems in Vene- nen Handlungsrahmen notwendiger- Raum Schule zu verschaffen. JEKI ist seine Bereitschaft zur Mitwirkung und keit begründen, ohne kulturpessimis- zuela sollen im Ruhrgebiet ein auf hie- weise einschreiten müssen und die wie Schule insgesamt eine öffentliche, Unterstützung bei diesem Projekt JEKI tische Legitimationsslogans zu ver- sige Verhältnisse transformiertes Pen- geforderten finanziellen Leistungen gemeinnützige Bildungsaufgabe im frühzeitig angeboten. Der VdM und wenden. Es gibt seriöse Wirkungsstu- dant erfahren. Jedem Kind ein Instru- der Städte in das Projekt und in ihre Sinne staatlicher wie kommunaler Da- sein Landesverband NRW wollen dien, die übersteigerte und ungeprüf- ment lautet die Parole für das ver- Musikschulen hinein untersagen zu seinsvorsorge, die frei von kommerzi- gerne zum Erfolg dieser für die einzel- te „Versprechungen des Ästheti- dienstvolle Unterfangen von Landes- müssen. Dazu ist aber das ganze Ka- ellen Interessen zu halten ist. nen Kinder wie für die Bildungsland- schen“ überflüssig machen. Der Kern regierung und Bundeskulturstiftung, binett gefordert, nicht nur der tüchti- Nun kann man dem Projektbüro schaft insgesamt bedeutenden und der „musischen Bildung“, ein kreati- bei dem weitere Akteure helfen, so die ge, ambitionierte und weitsichtige für all dieses Knirschen und den Sand wichtigen Initiative beitragen. Bisher ver Umgang mit den eigenen schöp- Zukunftsstiftung Bildung aus Bo- Kulturstaatssekretär, bei dem dessen im Getriebe kaum einen Vorwurf ma- sind die Reaktionen aus der Staats- ferischen Kräften – u.a. durch eine chum, die das Projekt auf Anregung Neigung lediglich etwas verwundert, chen, auch wenn man sich wünscht, kanzlei zu diesem Angebot noch etwas Begegnung mit Kunst und Künstlern des sehr wachen seinerzeitigen Kul- Parallelstrukturen neben den erfahre- dass trotz der vielfachen Belastung et- verhalten. Das Projekt verdient aber, –, die Ermutigung zur politischen Ein- turdezernenten Dr. Küppers dort nen kommunalen Fachverbänden auf was genauere und zeitnahe Informa- dass nicht mitten im Tigersprung mischung: All dies ist heute aufgeho- schon einige Jahre engagiert unter- Bundes- und Landesebene aufwändig tionen gegeben werden, etwa auf der schon am Boden Schattenkonturen ben in einem zeitgemäßen Konzept stützt und nicht zuletzt das Bundes- aufzubauen und mit diesen Struktu- Homepage. Aber man muss eines an- eines Bettvorlegers sichtbar werden. kultureller Bildung. „Aufgehoben“ ist ministerium für Bildung und For- ren eigene Primärerfahrungen zu ma- gesichts der immensen Aufgaben fai- Daher sei auch an dieser Stelle die dabei ganz so zu verstehen, wie es schung, das für eine millionenschwe- chen. rer Weise zugestehen: ein solches Pro- Bereitschaft der Musikschulverbände Hegel gelehrt hat: Beendet, auf eine re Evaluation des Projektes gewonnen Solche Erfahrungen sind auch von jekt im Kaltstart ins Leben zu rufen auf Bundes- und Landesebene zur neue Stufe gestellt, aber auch aufbe- werden konnte. Also Geld ist da – auch außen wahrnehmbar: die schon zu (auch wenn ein Modell in Bochum er- Unterstützung von „Jedem Kind ein wahrt. Dabei bleiben die unter- in finanziell engen Zeiten also wirklich Beginn des Jahres und seitdem mehr- probt werden konnte, allerdings nur Instrument“ noch einmal unterstri- schiedlichsten Möglichkeiten erhal- kein Problem für ein gutes Vorhaben. fach ausgerufene Stiftung Jedem Kind der ersten beiden Schuljahre), ist ein chen. ten: etwa die ästhetische oder die Nur: bei jeder Rechnung gibt es auch ein Instrument konnte eigentlich erst va-banque-Spiel, bei dem man in der Zum guten Schluss noch ein Blick künstlerische Bildung. Alle Arbeits- einen Wirt, der sie ausstellt – oder am Nikolaustag mit der ersten Stif- ersten Phase sicher an jedem Tag den auf ein Teilprojekt im Rahmen von formen und Zugänge haben ihren ohne den sie nicht gemacht wird. Die tungsratssitzung offiziell ihre Arbeit Aufgaben hinterher jagt, die vor- JEKI, ein Blick auf das Ruhr-Kinderor- spezifischen Wert. Insbesondere Not leidenden Kommunen im Ruhr- aufnehmen. Die Eingangsgröße der gestern oder letzte Woche schon hät- chester. Hier bleibt auch die Frage of- müssen sich die Künstler und Künst- gebiet müssen sich ebenfalls in die- Kinderzahl, die im ersten Anlauf er- ten erledigt werden müssen. Also fen, warum die Musikschulen in die lerinnen vor Begriffen wie „Bildung“ sem Projekt engagieren, einerseits reicht werden sollte, ist geringer aus- durchaus Chapeau für diese uner- Entwicklung und Gestaltung dieses und „Erziehung“ nicht scheuen. Sie durch ihre Musikschulen, denen das gefallen als geplant, Instrumentenbe- müdliche Aufbauarbeit. Worauf man Orchesters bisher nicht einbezogen werden nicht instrumentalisiert. Man Land in den vergangenen Jahren die schaffung und Konzeptentwicklung jetzt aus verschiedenen Blickwinkeln worden sind. Will man das Potenzial erinnere sich: Schiller sprach von äs- Förderung heruntergefahren hat, ob- sind noch große Baustellen, die Fort- gespannt ist, sind ein Zwischenbe- dieses Ruhr-Kinderorchesters wirklich thetischer Erziehung, und er hatte wohl Musikschulen doch Aufgaben bildungsausschreibung ist nicht in al- richt und die aktuelle Planungspers- entwickeln, will man also dieses bisher keine Pädagogen im Sinn. Erzie- zur Berufsvorbereitung wahrnehmen, len Teilen realitätsbezogen, wenn man pektive aus Regierungssicht. Dies als Abschöpf-Sammelbecken für inte- hungs- und Bildungsprozesse erga- die in die Kompetenzebene des Lan- sich die Weiterbildungslandschaft an- wird wohl erst im neuen Jahr zu er- ressierte Kinder, die an Musikschulen ben sich bei ihm vielmehr alleine des fallen. Aufgrund des Musikunter- sieht. Überhaupt: wenn das Projekt warten sein. So wird man in Geduld ihre Ausbildung erhalten, existieren- durch eine intensive Auseinanderset- richts an allgemein bildenden Schu- jedem Kind das Erlernen eines Instru- die Ausblicke aus Düsseldorf abwar- de Gebilde wirklich zu einem Vorzei- zung mit den Künsten. Das aktuelle len allein kann leider niemand ein Mu- mentes ermöglichen soll und die För- ten, auch wenn die Macher in den georchester aufbauen, so erfordert Konzept kultureller Bildung kann sich sikstudium beginnen – hierfür sind die derschulen bisher ausgenommen Musikschulen eigentlich etwas zeit- diese diffizile Arbeit eine Persönlich- zudem auf eine humanistische Tradi- Musikschulen entscheidende vorbe- sind, gerade die Schulform, an der mit nähere Orientierungen brauchen. keit mit großer pädagogischer und tionslinie stützen, bei der man viel- rufliche Bildungseinrichtungen, für Musik ungeahnte Potenziale bei Kin- Übrigens hat der JEKI-Hype längst künstlerischer Erfahrung. Mit den bis- leicht einen idealistischen Über- die auch ein ausreichendes Engage- dern geweckt werden können und die andere Bundesländer erreicht und herigen Akteuren sind ausreichende schwang (wie bei Schiller) findet, der ment des Landes Verpflichtung sein dort so segensreiche Wirkung entfal- teilweise enthusiasmiert, ohne dass Gelingensbedingungen hierfür noch aber aufgrund einer Orientierung an müsste. Aber die fast 40 Musikschu- ten kann, dann muss man schon ein im Ruhr-Labor valide Erfahrungen nicht erkennbar. einer wohlverstandenen aufgeklärten len des Ruhrgebiets sind auch ange- kleines Fragezeichen setzen. Auch über die Umsetzung gemacht, ausge- politischen Haltung nie in den Sumpf sichts der Tatsache, bisher am Katzen- wundern muss man sich über den wertet und bewertet werden konnten. Der Verfasser ist Bundesgeschäfts- antidemokratischer Entwicklungen tisch der Aufmerksamkeit des Landes immer wieder aufkeimenden Versuch, Der VdM hat als bundeszentraler kom- führer des Verbandes deutscher geführt hat. gesessen zu haben, engagierte Partner kommerziellen Unternehmen Zugang munaler Fachverband der öffentli- Musikschulen KANON: PRO & CONTRA politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 33

Pro: Kultur weitergeben Contra: Kanon ist didaktische Steinzeit Von Hermann Wilske Von Christian Höppner Wenn es um die Situation der Schul- musikalischen Bildung erneut zusam- Der Konrad-Adenauer-Stiftung ist zu Es ist schon erstaunlich, dass wir Kunstfreiheit, weil er von vornherein musik in Deutschland geht, dann ste- menknüpfen ließe, und zwar so, dass danken, dass sie mit ihrer Initiative einerseits so viel Expertenwissen über die nicht erwähnten Werke diskredi- hen zwei Zahlen unwidersprochen im Musizieren und Nachdenken über „Bildung der Persönlichkeit“ und den Musikvermittlung angesammelt ha- tiert. Damit wird der Anspruch auf Raum: 40 % aller Unterrichtsstunden Musik wieder auf produktive Weise daraus hervorgehenden Vorschlägen ben – der Kongress zur Musikvermitt- kulturelle Teilhabe eingeschränkt, an Gymnasium fallen aus oder aber ineinander greifen können. Oft ist in – u.a. für den Lehrplan des Musikun- lung in Wildbad Kreuth des Deutschen denn Schule ist der einzige Ort, an werden fachfremd unterrichtet, und diesem Zusammenhang von Projek- terrichtes – eine Debatte über die Ka- Musikrates hat die Ein- und Aussich- dem wir für alle Kinder und Jugendli- an den Grundschulen des Landes ten die Rede, und tatsächlich sind die- nonisierung angestoßen hat und da- ten eindrucksvoll belegt und weitere chen kulturelle Teilhabe ermöglichen liegt diese Quote gar bei 90 %. Selbst se nötig, um jene Welle, die es zuguns- mit einmal mehr die in weiten Teilen Impulse gesetzt – und andererseits mit können. Die Familie tritt als immer wenn diese Zahlen nur zur Hälfte zu- ten des schulischen Musikunterrichts desaströse Situation der musikali- dem Griff in die didaktische Motten- noch erster und wichtigster Ort kultu- träfen – kein anderes Schulfach, das zu initiieren gilt, immer größer werden schen Bildung in Deutschland in den kiste ohne Berücksichtigung dieses reller Prägung leider immer mehr in auch nur annähernd mit derart unzu- zu lassen. Erwähnt werden müssen an Blickpunkt rückt. Die 2006 vorgeleg- Wissens versucht werden soll, allseits den Hintergrund. Umso wichtiger ist länglichen Rahmenbedingungen zu dieser Stelle beispielhafte Bestrebun- ten Vorschläge für einen Bildungska- anerkannte Defizite zu beseitigen. Die es, dass Bewusstsein dafür zu stärken, kämpfen hätte! Schlimmer noch: Es gen: etwa jedes Kind ein Instrument non im Fach Musik haben über die Schule für das Leben, die sie im Ideal- dass die Musikalische Bildung neun gibt auch im Jahr 2007 Bundeslän- lernen zu lassen, allen Klassen Lieder- Fachkreise hinaus zu einer kontrover- fall sein muss, kann doch nur in einer Monate vor der Geburt beginnt – näm- der, die eine weitere Kürzung des Mu- kalender zugänglich zu machen oder sen Debatte und einer Buchveröffent- Balance zwischen Erziehungsauftrag lich bei den Eltern, die sehr oft selber sikunterrichts planen, und manchmal aber das Ausbildungsprogramm zum lichung geführt, in der sich Wissen- und dem zu prägenden Individuum über (k)eine poröse musikalische Bil- sucht man die Musik in Ländersta- Schülermentor Musik (in Baden- schaftler aus Schule und Hochschu- gelingen. Der Kanon schließt das In- dung verfügen. tistiken über Unterrichtsausfall gera- Württemberg und im Saarland), das le mit der Frage auseinandersetzen, dividuum aus – sowohl den Empfän- Die Sehnsucht nach Orientierung de dort vergeblich, wo man hinrei- nachgerade ein Muster zur Berufsori- welche didaktischen, ästhetischen ger (Schüler), wie den Sender (Lehrer). speist sich aus dem Dialog zwischen chend Schulen hat, an denen auch entierung und Förderung der musika- und politischen Aspekte einen Musik- Diese doppelte Entmündigung ist Lernenden und Lehrendem und der nicht ein einziger Musikpädagoge un- lischen Infrastruktur einer Schule dar- unterricht kennzeichnen, der sich in aber weder mit einem humanen Ge- daraus entstehenden Neugier. Dieser terrichtet. Offenbar ist man hier stellt. Es wäre indes ein Irrtum zu glau- erster Linie an einem Kanon von Wer- sellschaftsbild, das das Individuum in Dialog kann selbstbestimmtes Han- davon abgerückt, Musik überhaupt ben, die Restituierung des Schulfaches ken abendländischer Kunstmusik ori- den Mittelpunkt einer demokratisch deln anregen und damit in ganz an- noch als unverzichtbaren Bestandteil Musik allein mit Projekten befördern entieren soll. In der kritischen Ausei- verfassten Bürgergesellschaft stellt, derer Weise kulturelle Praxen vermit- schulischer Bildung anzusehen. zu können. Viel mehr bedarf es zur Be- nandersetzung mit dem von der Kon- noch mit der Alltagsrealität unserer teln, als das je über einen vorgegebe- hebung der Mangelsituation grund- rad-Adenauer-Stiftung vorgeschlage- pluralen Gesellschaft in Verbindung zu nen und angesichts der kulturellen ie Ursachen dieser misslichen sätzlicher struktureller Maßnahmen. nen Kanon ist dort eindeutig eine bringen. Vielfalt rudimentär verkümmerten D Situation sind vielfältig. Zu- Wessen es jenseits föderaler Prinzipi- ablehnende Haltung zu erkennen. Der Schüler aus Reit im Winkel Kanon möglich wäre. Formatisierung, nächst einmal ist festzuhalten, dass en vor allem bedarf, ist ein gemein- Dabei ist die Debatte um die zu ver- bringt eben andere kulturelle Prägun- außerhalb technischer Produktions- die desolate Situation der Schulmusik schaftlicher Wille aller Bundesländer mittelnden Inhalte kultureller Werte gen mit, als der Schüler aus Berlin- prozesse ist nicht erst seit dem Zeital- nun schon seit Jahrzehnten währt. und des Bundes, schließlich eines po- und damit kultureller Bildung keine Neukölln oder der Schüler aus in ter der Globalisierung eine Geißel der Viele Vertreter in Elternverbänden, litischen Repräsentanten, der sich die- auf die Musik bzw. auf unser Land Ostfriesland. Im Verbund mit dem Menschheit. Sie behindert die Motiva- Kultusbehörden und Politik haben ser großen Aufgabe als Koordinator beschränkte Diskussion. So hat zum steigenden Anteil von Schülerinnen tion, die Welt mit den eigenen Sinnen auch aus ihrer eigenen Schulerfah- annimmt. Beispiel Dänemark 2006 einen Kul- und Schülern mit Migrationshinter- zu entdecken. Bildung – schreibt rung kein Ideal mehr, an dem man Aber auch die Schulmusik selbst turkanon eingeführt. grund wird deutlich, wie heterogen die Hartmut von Hentig – verleiht der eine sinnvolle Existenz von Musikun- hat eine Bringschuld. Ihr obliegt es, et- Zielgruppe Jugend ist. Der Soziologe Neugier Sinn. Eine Neugier, die man terricht festmachen könnte. Ökono- was von jener Kraft und Faszination n der Analyse der Defizite des Mu- Erwin Scheuch formulierte bereits den Verfechtern des schulischen Ka- mische Krisen und schlechte Ergeb- der Musik, die im Orpheus-Mythos – I sikunterrichtes in Deutschland 1975 in einem Aufsatz „Die Jugend gibt nons wünschen würde, indem sie zum nisse bei Bildungsstudien haben dazu durch den Aufstieg vom Totenreich gibt es eine große Schnittmenge an es nicht“ und Waldemar Vogelgesang Beispiel bei ihrer Argumentation die geführt, Musik nicht länger als wesent- der seelenlosen Körper, hin zum Le- Gemeinsamkeiten, bei der Frage, wie wagt sogar die Aussage dass es „heute Aufsatzsammlung „Die Menschen lichen Teil der Persönlichkeitsbildung ben – beispielhaft symbolisch darge- diese Defizite zu überwinden seien, so viele Jugenden wie es Jugendliche“ stärken, die Sachen klären“ von Hen- anzusehen, sondern durch das Raster stellt worden ist, auch in der Schule gibt es diese Gemeinsamkeiten gebe. Die annährend 300 bekannten tig mit bedenken würden. eines blanken Utilitarismus fallen zu Wirklichkeit werden zu lassen. Umfra- nicht. Leider übersehen die Verfech- Ausprägungen von Jugendkulturen Der Kanon ist in der Musik eine lassen. In dessen Gefolge erscheint es gen zeigen, dass eine solche Aufgabe ter der Kanonisierung des Musikun- zeigen nur die sichtbare Spitze des Eis- sehr schöne Form der zeitlich versetz- für Schüler zwar nach wie vor unab- dort am Besten gelingt, wo man der terrichtes, dass der zu oft ausfallen- berges und sind Teil der kulturellen ten Einsätze gemeinsamen Musizie- dingbar, die einzelnen Glieder des rot- Schulmusik keine Patchwork-Existenz de bzw. fachfremd erteilte Musikun- Vielfalt in Deutschland. Dieser Kultu- rens. Kanon in der Schule zeigt Miss- bäuchigen Alpenmolches benennen in Nischen zubilligt, sondern die Ge- terricht die Grundlage für die Misere rellen Vielfalt, die auf unserem reichen trauen in die Kraft der Kunst, die Ye- zu können, die Kenntnis der Notenna- legenheit zu einem seriösen und kon- der musikalischen Bildung in kulturellen Erbe, den zeitgenössischen hudi Menuhin so trefflich beschrieben men hingegen scheint entbehrlich. tinuierlich aufbauendem Unterricht Deutschland ist. Da könnte selbst der Künsten und dem Reichtum anderer hat: „Die Musik spricht für sich allein, Welch Desiderat musikalische Bildung gibt, dessen Qualität sich zugleich der beste Kanon keine Wirkung entfalten. Kulturen in unserem Land aufbaut, gilt vorausgesetzt wir geben ihr eine in Deutschland mittlerweile darstellt, Evaluation öffnet. Es versteht sich von Die bundesweit rund 100.000 Schü- es Raum zu verschaffen, denn sie ist Chance.“ Das sollte der Maßstab für davon legen die Quizsendungen im selbst, dass in einem solchen Musik- lerinnen und Schüler auf den Warte- der wichtigste Nährstoff für unser unsere Diskussionen und unser Han- Fernsehen beredtes Zeugnis ab, in unterricht auch gelungene Beispiele listen der Musikschulen zeigen in Land auf dem Weg zu einer Wissens- deln sein, damit jedem Kind, gleich denen Kandidaten selbst noch von der Popmusik samt ihrer Geschichte skandalöser Weise, welche Prioritäten und Kreativgesellschaft. Kulturelle welcher sozialen oder ethnischen Her- einfachsten Fragen zur klassischen einen festen Platz haben. unsere Gesellschaft (nicht) setzt. Hier Vielfalt lebt vom Unterschied. Diesen kunft, der Zugang zur Welt der Musik Musik in die Bredouille gebracht wer- Seit Jahrzehnten kommen tausen- gilt es, sich in einer gemeinsamen Unterschied zu erkennen und wertzu- eröffnet werden kann – als einem le- den. de von Studierenden aus allen Län- fach- und gesellschaftspolitischen schätzen, ist auch eine Aufgabe des bensbegleitenden Prozess. Es ist un- Wie immer, wenn ein Schulfach dern der Welt nach Deutschland, um Arbeit zu engagieren, anstatt mit Po- Musikunterrichtes. Dazu bedarf es der sere Verantwortung, in welcher Breite aus dem Fokus des bildungspoliti- an den Musikhochschulen dessen ein- sitionen von vorgestern Sand in das Stärkung des je Eigenen, denn wer das und Qualität wir diesen Zugang er- schen und gesellschaftlichen Interes- zigartiges Weltkulturerbe der Musik zu langsam erwachende öffentliche Be- je Eigene nicht kennt, kann das Ande- möglichen. ses gerückt ist, ist auch die Gefahr von studieren. Es wäre auf Dauer eine schi- wusstsein über den Wert der Kreativi- re nicht erkennen, geschweige denn fachinternen Fehlentwicklungen er unerträgliche Diskrepanz, wenn tät zu streuen, wie zum Beispiel die In- schätzen lernen. Der Verfasser ist Generalsekretär groß. Zu nennen wäre eine Schülerori- dieses Erbe allein auf hohem Niveau itiative „Jedem Kind ein Instrument“ Zudem widerspricht gerade im des Deutschen Musikrates entierung, die sich zum ausführenden exportiert wird, an den Schulen des aus Nordrhein-Westfalen zeigt. Kanon Bereich der musisch-ästhetischen und Präsident des Organ von Schülerinteressen macht, eigenen Landes jedoch kaum mehr in der Schule ist didaktische Steinzeit. Fächer ein Kanon dem Prinzip der Landesmusikrates Berlin anstatt eine Orientierung im eigentli- eine Rolle spielt. Wir stehen vor der chen Sinne des Wortes zu leisten. Zu entscheidenden und unverzichtbaren nennen wären überdies eine Pädago- Aufgabe, das kulturelle Gedächtnis gik und Didaktik, welche die ureige- unserer Musiktradition auch im eige- nen Bildungsinhalte des Faches zu- nen Land an kommende Generatio- gunsten soziologischer, ethischer und nen weiterzugeben. politischer Derivate leichtfertig geop- fert hat. All dies jedoch ist immer auch Der Verfasser ist Autor und Mither- ein Stück weit den negativen Rahmen- ausgeber der „Bildungsoffensive bedingungen des Faches geschuldet. Musikunterricht“, die im Dezember Was bleibt, ist die grundsätzliche 2007 in der Konrad-Adenauer- Frage, wie sich das zerrissene Band der Stiftung erschienen ist.

Musikschule Nürnberg: Streicherklasse an einer Grundschule Integratives Musiktheater: Städtische Sing- und Musikschule München in Zusammenarbeit mit der Landesschule für Foto: Eberhard Appel Körperbehinderte in München Foto: Städt. Musikschule München STREITFALL COMPUTERSPIELE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 34

Computerspielförderung – was lange währt, wird gut Von Monika Griefahn

Was lange währt, wird gut. Schön, wirtschaftlich und technologisch, sind. Gewaltspiele kommen zualler- wenn dieses Sprichwort bei politi- sondern auch kulturell und gesell- erst aus anderen Ländern und des- schen Vorhaben doch öfter einmal schaftlich immer wichtiger. Wir kön- wegen ist es gut, wenn wir mit einem gelten würde. Auf das Engagement nen inzwischen von einer sehr vita- Preis die Produktion von kulturell Streitfall Computerspiele der Medien- und Kulturpolitiker der len SpieleKULTUR sprechen. Die und pädagogisch wertvollen Spielen Das Thema Computerspiele wurde in erstmals vergeben. Die Branche wird SPD für Computerspiele bezogen, Nutzer sind dabei längst nicht mehr fördern. Die Signalwirkung der Prei- dieser Zeitung bereits mehrfach auf- sich an dieser Vergabe beteiligen. Ziel freue ich mich, dass der Satz nun nur ein paar Sonderlinge, die allein se ist ein zentraler Gedanke unserer gegriffen. Der Anfang wurde in der ist es, künstlerisch sowie pädagogi- doch einmal zutrifft. Schon in der vor ihrem Computer hocken. Statt- Initiative. Das ist im Sinne der Stär- Beilage kultur · kompetenz · bildung sche wertvolle Spiele zu fördern und rot-grünen Koalition war das wirt- dessen gibt es inzwischen immer kung von Medienkompetenz, was der Zeitung politik und kultur zu Be- speziell die deutsche Computerspie- schaftliche und kulturelle Potential mehr Spielerinnen und Spieler aus für uns besonders im Vordergrund ginn des letzten Jahres gemacht. Im lebranche zu stärken. Damit soll auch von Computerspielen längst mehr allen Bevölkerungsgruppen und das steht. Mit Verboten macht man Din- Heft 9 dieser Beilage (März/April ein Beitrag zu mehr kultureller Viel- als augenfällig geworden. Doch mit unabhängig vom Alter. Mit Inhalten, ge besonders schnell besonders in- 2007) wurde die Frage nach Zensur falt geleistet werden. dem negativen Image, ein Medium die ganz oft an die aktuellen Themen teressant. Wenn wir wirklich etwas oder Förderung von Computerspielen zu sein, das nur männliche minder- unserer Kultur geknüpft sind, wer- für den besseren und verantwor- aufgeworfen. Weiter wurde das Feld Im Folgenden stellen Monika Grie- jährige Gewaltspiele zockende Stu- den Computerspiele damit zu einem tungsbewussteren Umgang mit Me- aus kulturpädagogischer und Jugend- fahn, MdB und Dorothee Bär, MdB, benhocker anspräche, hatten Sze- bedeutenden Bestandteil des kultu- dien tun wollen, dann müssen wir schutzsicht beleuchtet. Diese Ausga- die für die Koalitionsfraktionen das ne und Branche lange zu kämpfen. rellen Lebens unseres Landes. Als gerade bei der Medienkompetenz be führte zu einer so regen kulturpo- Anliegen Deutscher Computerspiele- Es wäre falsch zu behaupten, dass solchen müssen wir sie unterstüt- ansetzen. Dafür braucht es zwar oft litischen Debatte, dass in den Aus- preis vorangebracht haben, den Preis sich das Image und auch die tat- zen. einen längeren Atem, als ein weite- gaben Mai-Juni 2007 sowie Juli-Au- vor. Olaf Wolters, Geschäftsführer sächliche Nutzung völlig vom Nega- In einer aktuellen Studie der res Verbot aus der Taufe zu heben, gust 2007 erneut Beiträge zu dem des BIU und Malte Behrmann, Ge- tiven gewandelt hätten. Doch viele Münchner Medientage ist herausge- aber dafür wirken solche Maßnah- Thema veröffentlicht und damit die schäftsführer von G.A.M.E. erläutern Bürgerinnen und Bürger sehen Com- kommen, dass in diesem Jahr die men auch wirklich nachhaltig. Mit Diskussion vertieft wurde. die Position der Branche. Malte Spitz puterspiele heute weit differenzier- Ausgaben für Computerspiele erst- unserem Preis schaffen wir genau und Oliver Passek stellen die Positi- ter und es spricht nichts dagegen, mals die Ausgaben für Musik schla- das; positive Beispiele zu zeigen, die Dabei wurde besonders die Frage wei- on von Bündnis 90/Die Grünen vor, dass dies in Zukunft noch mehr gen. 1,7 Milliarden Euro geben Spie- nicht nur ungefährlich, sondern vor terverfolgt, ob wertvolle Computer- hier werden Computerspiele als Kul- werden könnten. lerinnen und Spieler in Deutschland allem gut gemacht und kulturell so- spiele gefördert sollten und dadurch turgut angesehen. Inka Brunn und dafür aus und damit 100 Millionen wie pädagogisch wertvoll sind und ein Wettbewerb um Qualität entfacht Stephan Dreyer geben einen Einblick m Gegenteil; mit dem nun von uns mehr als für Musik. Ähnlich sieht es geben damit positive Kaufempfeh- werden sollte oder ob das Verbot von in die Studie des Hans-Bredow-Insti- I initiierten Preis für qualitativ aus, wenn wir Computerspiele mit lungen. gewalthaltigen Computerspielen im tuts zum Jugendschutz im Bereich hochwertige sowie kulturell und pä- dem Filmmarkt vergleichen. Ich Worum wir uns gesellschaftlich Vordergrund stehen sollte. Computerspiele. Stefanie Ernst in- dagogisch wertvolle Computerspie- glaube, das macht die große wirt- außerdem wirklich Gedanken ma- terviewt Rainer Pöppinghege, der in le wollen wir auch erreichen, dass schaftliche, besser noch die kultur- chen sollten, ist die Problematik der Zwischenzeitlich wurden vom Deut- einem Seminar an der Universität der Blick auf die Branche wieder dif- wirtschaftliche Bedeutung sehr Spiel- und Onlinesüchtigen. Diese schen Bundestag die Mittel zur Etab- Paderborn Computerspiele aus histo- ferenzierter wird. Schon ab dem deutlich. Leider muss man aber auch Thematik ist in Deutschland gerade lierung eines Deutschen Computer- rischer Perspektive untersucht hat. nächsten Jahr kann eine unabhängi- feststellen, dass weniger als 10 Pro- aus wissenschaftlicher und medizi- spielepreises freigegeben. Im nächs- ge Jury in verschiedenen Kategorien zent aller in Deutschland gekauften nischer Sicht ein unterbelichtetes ten Jahr wird dieser Bundespreis Die Redaktion wie „Kinder- und Jugendspiel“, Spiele hier produziert sind. Das ist Betätigungsfeld. Während mit weit- „Nachwuchs“ oder „Innovation“ Prei- schade, denn so bleibt eine kulturel- entwickelten Behandlungsmetho- se für besonders positive Spiele ver- le und wirtschaftliche Chance unge- den Alkohol- oder Drogensüchtige mehr eine tägliche Spielzeitbegren- wichtiges Vertrauen erwerben, in- leihen. Dabei müssen die Preisgelder nutzt. Ein Förderpreis, der in der therapiert werden können, helfen zung vorsehen, ist ein guter Weg. dem sie selbst mehr solche Angebo- im Übrigen wieder für neue Spiele ge- Branche wichtige Anreize gibt, kann solche Methoden, die von Sucht Wenn Spieler länger als eine festge- te macht. nutzt werden. So erreichen wir, dass hier sehr positiv wirken, damit deut- immer nur im Zusammenhang mit legte Zeit am Tag spielen, können Sie Auch wenn das Thema Compu- mehr hochwertige und wertvolle sche Entwicklerstudios mehr gute Substanzen sprechen, bei der ge- nur noch weit weniger Spielpunkte terspiele in seinen unterschiedli- Computerspiele in Deutschland pro- Spiele produzieren und möglichst fährlichen Medienkonsumsucht erzielen, wodurch die Motivation chen Facetten weiter auf der Tages- duziert werden können. Und wir bald den Anschluss an den internati- nicht weiter. Hier müssen wir voran- gesenkt wird. ordnung bleiben wird, freue ich machen auch deren Wert für die Kul- onalen Markt finden können. Genau kommen, auch wenn Schwerpunkt So etwas gibt es in Einzelfällen mich zunächst an diesem Punkt, tur und die Kulturwirtschaft deut- wie das beim Film seit einigen Jahren der Arbeit nicht auf gesetzlicher Ebe- auch in Deutschland. So ist beispiels- dass wir mit dem beschlossenen lich. Die Branchenverbände BIU, wunderbar funktioniert, können wir ne liegen kann. weise das Onlinespiel Bibi Blocks- Preis ein wichtiges kulturpolitisches GAME und BITKOM haben uns für so erreichen, dass mehr Spiele mit In- In Asien sind schon Nutzer nach berg nicht nur moderiert, sondern Zeichen setzen konnten und bin ge- die Realisierung dieses Preises ihre halten unserer Kultur Verbreitung fin- mehreren Tagen vor dem Computer arbeitet ebenfalls mit Spielzeitbe- spannt auf die erste Preisvergabe im Mitwirkung zugesagt. Darüber freue den und gespielt werden. bewusstlos oder sogar tot zu Boden grenzung. Hier sollten weitere Bei- nächsten Jahr. ich mich, denn ihre Mitarbeit und Im Übrigen werden gerade in gesunken. Soweit ist es bei uns glück- spiele folgen. In erster Linie liegt in besonders auch ihre finanzielle Un- Deutschland in erster Linie Spiele licherweise noch nicht. Doch die Pra- der Begrenzung der Mediennutzung Die Verfasserin ist kulturpolitische terstützung sind wichtig, damit ein hergestellt, die Kategorien wie Stra- xis asiatischer Online-Spiele-Anbie- eine wichtige Aufgabe der Eltern. Sprecherin der SPD-Fraktion im nicht nur beim Publikum, sondern tegie, Sport oder Wissen zuzuordnen ter, von denen mittlerweile immer Doch kann sich die Branche hier Deutschen Bundestag auch in der Branche anerkannter und damit möglichst wirksamer Preis entsteht. Mit dem Computerspielepreis setzen wir ein Zeichen, das überfäl- Fördern statt verbieten lig war. In den vielen Debatten der Koalition strebt Vergabe eines Computerspiel-Preises an • Von Dorothee Bär letzten Monate, die leider auch durch populistische Verbotsvor- Angesichts der zunehmenden Ge- komplexe Probleme bewältigen, sich schläge wie von Günter Beckstein waltbereitschaft von Jugendlichen entscheiden, abwägen, Hypothesen angeheizt und in die falsche Rich- wurde viel über die Gefährlichkeit aufstellen, prüfen, verwerfen [kann, tung gedrängt wurden, ist mir Fol- gewaltverherrlichender Computer- ja, man muss], und das immer in gendes aufgefallen: Pro und Contra spiele diskutiert. Sicherlich müssen kürzester Zeit. Computerspielen be- standen oft nur scheinbar gegenü- wir dafür sorgen, dass Heranwach- deutet geistige Anstrengung, Her- ber. Auf der einen Seite ist der völlig sende nicht mit solchen Medien in ausforderung, Konkurrenz, Leis- berechtigte Einsatz für den mög- Kontakt kommen. Doch ein Verbot tungshandeln“. Der Mit-Herausge- lichst guten Schutz von Kindern und stärkt unsere Kinder nicht. Alles, ber der Zeitschriften „Media Psycho- Jugendlichen. Auf der anderen Seite was verboten ist, übt eine ganz be- logy“ und „Zeitschrift für Medien- haben auch diejenigen Recht, die auf sondere Faszination aus. Indem ich psychologie“ sowie des Buches die vielfältigen Chancen und das Kinder von etwas fernhalte, vermitt- „Playing Video Games: Motives, Re- große Potential von Computerspie- le ich ihnen nicht den verantwor- sponses, and Consequences“ folgert len abstellen und deren Anerkennung tungsvollen Umgang mit Spielen weiter: „Von daher können Compu- fordern. Ich glaube, ohne unsachli- oder Videos. Ohne Zweifel müssen terspiele bestimmte kognitive und chen Populismus lassen sich beide Erwachsene eine Vorauswahl tref- auch emotionale Kompetenzen för- Seiten ohne Probleme miteinander in fen und Altersempfehlungen für Fil- dern und trainieren.“ Einklang bringen. me und Computerspiele angeben. Da Computerspiele inzwischen Als SPD stehen wir für eine Poli- Doch insbesondere müssen wir Kin- auch ein nicht zu vernachlässigen- tik, in der wir einen effektiven und dern und Jugendlichen Kompeten- der Wirtschaftsfaktor in Deutschland sicheren Kinder- und Jugendschutz zen vermitteln, zwischen „guten“ sind, sollten wir uns auch aus diesem sicherstellen und gleichzeitig Com- und „schlechten“ Spielen zu unter- Grund nicht mit einem Verbot der puterspiele als kulturell und wirt- scheiden. Killerspiele begnügen. Die Herstel- schaftlich wichtige Zukunftstechno- lung und Entwicklung von Compu- logie nach vorne bringen wollen. Das omputerspiele an sich sind nicht terspielen nimmt inzwischen einen ist kein Widerspruch! C schlecht, sie trainieren viele nicht unerheblichen Platz im deut- Der erste Punkt, der Jugend- Fertigkeiten, die man im schulischen schen Markt ein. Der Umsatz liegt schutz, wird bereits seit Monaten in- und beruflichen Alltag braucht. So auf ähnlich hohem Niveau wie der tensiv diskutiert. Nach dem Bericht stellte Peter Vorderer, Professor für der Musik- oder Filmindustrie. Mo- des Hans-Bredow Instituts ist klar, Kommunikationswissenschaft und mentan werden jedoch von den in dass wir ganz besonders beim Voll- Psychologie an der University of Deutschland gekauften PC-Spielen zug der bestehenden Gesetze voran- Southern California in Los Angeles, nur zehn Prozent auch tatsächlich in kommen müssen. Was aber in diesen in einem Interview mit der Bundes- Deutschland entwickelt. Es besteht Monaten zu kurz gekommen ist, ist zentrale für politische Bildung 2005 also eine erhebliche Diskrepanz zwi- der zweite Punkt. Computerspiele fest, dass „man … beim Computer- und andere interaktive Unterhal- spielen sehr aufmerksam sein, stän- Weiter auf Seite 35 tungsmedien werden eben nicht nur dig neu Informationen verarbeiten, „Hello Kitty“ der Games Convention 2007. Foto: Kristin Bäßler STREITFALL COMPUTERSPIELE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 35

Fortsetzung von Seite 34 Kulturgut und Spitzentechnologie schen Umsatz und Herstellung. Das Von Olaf Wolters ist nicht nur wirtschaftlich ein gro- ßer Nachteil. Auch aus kultureller Die politische Anerkennung von Sicht kann das nicht in unserem In- Computer- und Videospielen als kul- teresse sein. So geben wir Einfluss- turelles Gut und der geplante Bun- möglichkeiten aus der Hand, aber despreis sind überfällig. Der Antrag auch einen Teil kultureller Entwick- der Großen Koalition, der in weiten lung. Teilen, wenn auch nicht im Detail, Um dem entgegenzuwirken, von der parlamentarischen Opposi- strebt die Koalition die Vergabe eines tion mitgetragen wird, zeugt von ei- Preises an, mit dem wertvolle Com- nem Paradigmenwechsel bei der puterspiele dotiert und bewertet politischen Betrachtung von Com- werden. Dies steht nicht im Wider- puter- und Videospielen. spruch zu einem Verbot jugendge- fährdender Medien, sondern ergänzt ie bisherige Diskussion, die sich dieses im Gegenteil sinnvoll. Positi- D maßgeblich um die jugend- ve Anreize sind eine viel größere Mo- schutzrechtlichen Aspekte interakti- tivation als Strafen. Um das Image der ver Unterhaltungssoftware drehte, PC-Spiele aufzuwerten und ihnen ei- erreicht nun eine gesellschafts- und nen gebührenden Platz innerhalb der wirtschaftspolitische Ebene. Dieser Spielekultur einzuräumen, ist es not- Paradigmenwechsel kommt für uns wendig, qualitativ hochwertige Spie- jedoch nicht überraschend, sondern le zu entwickeln, diese zu bewerten ist das Ergebnis eines langen und und zu bewerben. Durch die Debat- intensiven Dialogs von Politik, Wis- ten der letzten Monate entsteht fast senschaft und Gamesbranche. der Eindruck, dass es keine guten Damit ist das Medium auch in oder sinnvollen Computerspiele gibt. der politischen Betrachtung im Kreis Doch das Gegenteil ist der Fall. Es gibt der Kultur- und Unterhaltungsmedi- einen breiten Sektor an Spiel- und en angekommen. Allerdings gibt es Lernsoftware, das sogenannte Edu- zwischen unserem Medium und Li- tainment, mit pädagogisch hochwer- teratur, Musik oder Film signifikan- tigen Inhalten und ausgezeichnetem te Unterschiede. Computer- und Vi- Unterhaltungsfaktor. Doch diese wer- deospiele sind nicht nur ein interak- den in der Öffentlichkeit kaum wahr- tives audio-visuelles Unterhaltungs- genommen, da die „schwarzen Scha- medium, sondern Spitzentechnolo- fe“ den Stallgeruch der PC-Spiele in gie. Kein anderes Massenmedium der Öffentlichkeit bestimmen. Hier hat so großen Einfluss auf die Ent- muss sich etwas ändern. wicklung von Computerhardware Vor Weihnachten waren viele El- und -technologie. Nolan Bushnell, tern und Großeltern auf der Suche als Gründer von Atari und Pionier nach Geschenken, die ihren Kindern der Gamesbranche hat bereits in den bzw. Enkeln Freude bereiten und 90er Jahren festgestellt, dass „Com- zugleich pädagogisch sinnvoll sind. puterspiele mehr für die Verbreitung Analog zu dem Siegel „Spiel gut“ von Computern getan haben, als jede könnte ein speziell für Computer- andere Anwendung.“ spiele entwickeltes Kennzeichen Ursächlich hierfür ist der sehr Auskunft geben über die Qualität ei- schnelle Rhythmus der Unterhal- nes Spiels. So könnten Unterhal- tungssoftwareindustrie. Die Compu- tungsfaktor, Lerninhalte, Software, ter- und Videospielebranche stand Alter und Anzahl der möglichen schon seit ihren Anfängen in den Spieler angegeben und von einer un- 70er Jahren im Gegensatz zu ande- abhängigen Jury bewertet werden ren Unterhaltungssparten vor der und Orientierung bieten beim Kauf. großen Herausforderung, interes- Bei Brettspielen wird jährlich das sante und innovative Darstellungs- „Spiel des Jahres“ gekürt. Etwas Ver- möglichkeiten auf eingeschränkten gleichbares wäre auch im Bereich technischen Plattformen zu realisie- der PC-Spiele denkbar. ren. Dieses Spannungsfeld von un- Intention des Antrags der Regie- begrenzter Kreativität und begrenz- rungskoalition ist es, öffentlich noch ten technischen Ressourcen hat besser deutlich zu machen, welche schon die erste Generation der Spiel- Computerspiele nicht nur qualitativ entwickler gezwungen, die vorhan- hochwertig, sondern gerade auch dene Technik nicht nur auszureizen, kulturell pädagogisch wertvoll sind. sondern sich auch für die Entwick- Dabei sollen die Preisgelder nur für lung neuer, leistungsfähigerer Spie- neue Spielkonzepte ausgezahlt wer- leplattformen einzusetzen. Der Un- den. Dies wird zusätzlich einen po- terhaltungswert unserer Medien er- sitiven Einfluss auf das zukünftige gibt sich aus Innovation, Vielfalt und Angebot von Computerspielen in Interaktion. Dabei schafft es die Deutschland haben. Branche, sich alle fünf bis sechs Jah- Ergänzend zur Auslobung eines re neu zu erfinden. Neben den im- „Verworrene “ Verdrahtungen in einem der ersten Computer: ohne die Entwicklung durch Konrad Zuse wären Compu- Computerspielpreises kommt hinzu, mer wieder Bahn brechenden tech- terspiele heute sicherlich nicht Teil der (Jugend-)Kultur. Foto: Stefanie Ernst dass die Medienkompetenz von He- nischen Innovationen gelingt es der ranwachsenden deutlich gefördert Gamesindustrie wie keiner anderen, ware-Seller. Gerade auf dem Perso- nannt sei hier auch die Verwendung von interaktiver Unterhaltungssoft- werden muss. Nur mit dem richtigen den Kunden an das Medium zu bin- nal-Computer Markt tragen sie ei- von Spieletechnologien für Lehre ware wird im Antragstext der Großen Handwerkszeug können Jugendliche den und an der Fortentwicklung zu nen wesentlichen Anteil am Verkauf und Ausbildung in so genannten Se- Koalition angemessen gewürdigt, in verantwortungsvoll mit den vorhan- beteiligen. Durch den besonderen von hochwertigen Komponenten rious Games. dem die Vergabe von Mitteln aus ver- denen Medien umgehen. So wie Le- Anspruch der Nutzer entwickelten wie zum Beispiel Sound- oder Gra- Kehrseiten dieser inhärenten schiedenen Technologie-Förderpro- sen und Schreiben unabdingbare sich schon früh mehrere Charakte- fikkarten der neuen Generation bei. Dynamik sind die hohen Kosten der grammen des Bundes in Aussicht Voraussetzungen für ein erfülltes ristika, die für das Medium mittler- Daraus ergibt sich eine fruchtbare Spieleentwicklung und der ver- gestellt wird. Hierbei wurden unter und gelingendes Leben sind, muss weile typisch sind: Nach dem Kooperation zwischen der Hard- gleichsweise kurze Produktlebenszy- anderem das Multimedia-Technolo- auch der Umgang mit Medien er- Moor’schen Gesetz verdoppelt sich wareindustrie und der Gamesbran- klus. Zwei Jahre Entwicklungszeit gieförderprogramm des Bundesmi- lernt und geschult werden. Sicher die Komplexität integrierter Schalt- che. und Budgets im zweistelligen Milli- nisteriums für Wirtschaft und Tech- stehen hier an erster Stelle die El- kreise etwa alle zwei Jahre, dement- Die Innovationskraft von interak- onenbereich sind keine Seltenheit, nologie oder die „KMU-Innovations- tern, die den Kindern einen verant- sprechend rasant sind die Entwick- tiver Unterhaltungssoftware wirkt um ein marktreifes Spiel zu produ- offensive Informations- und Kom- wortungsvollen Umgang mit Fernse- lungen auch im Sektor der Konsu- sich nicht nur auf den Hardwaresek- zieren. Dem gegenüber steht, durch munikationstechnologie (IKT)“ des hen, Internet und Computer vorle- menten-Hardware. tor aus. Softwaretechnologien, die die rasante technische Entwicklung Bundesministeriums für Bildung ben. Große Teile der Computer- und der Schaffung eines intensiveren bedingt, der schnelle Wertverlust und Forschung (BMBF) genannt. Doch auch die Schulen sind in Videospielebranche hatten sich Spielerlebnisses dienten, wurden von Spielen: Nichts ist älter, als das Ein wichtiger Schritt wurde also der Pflicht, mit entsprechend ausge- schon in den 80er Jahren zum Ziel später in ernste Anwendungen imp- Spiel von gestern. Mag eine Grafik- getan, um Deutschland im interna- bildeten Lehrkräften Kinder alters- gesetzt, die exponentiell wachsen- lementiert: Schon in den frühen 80er technologie im Jahr 2006 das Non tionalen Vergleich als attraktiven angemessen an diese Medien heran- den Rechenkapazitäten für die Ent- Jahren wurden für Actionspiele phy- plus ultra gewesen sein, ist sie zwei Entwicklungs- und Produktions- zuführen und ihnen schrittweise die wicklung von Spielen auszureizen. sikalische Modelle ausgearbeitet, die bis drei Jahre später schon hoff- standort zu positionieren und seine nötigen Kompetenzen und Fertig- Dies mündete in der regelmäßigen beispielsweise in Flugsimulationen nungslos veraltet. Rolle als technologischer Vorreiter keiten an die Hand zu geben. Entwicklung von so genannten der zivilen Luftfahrt Anwendung Wer also Deutschland als Pro- auszubauen. Das von der Großen „Benchmark-Applikationen“, die fanden. Durch künstliche Intelligenz duktionsstandort von Spielen stär- Koalition angeregte Public-Private- Die Verfasserin ist Bundestags- jeweils den Stand des technisch gesteuerte Figuren, die Spiele inter- ken will, muss nicht nur die kultu- Partnership wird diesem gemeinsa- abgeordnete und Mitglied im Machbaren auf den aktuellsten Spie- essanter und herausfordernder ge- relle Dimension berücksichtigen, men Ziel mit Sicherheit gerecht. Ausschuss für Kultur und Medien leplattformen ausloten. Diese High- stalten sollten, werden mittlerweile sondern auch Spiele als eine Speer- sowie Obfrau der CDU/CSU- End-Spiele sind nicht nur die tech- in Filmen bei computergenerierten spitze der Entwicklung neuer Tech- Der Verfasser ist Geschäftsführer des Fraktion im Unterausschuss nologische Avantgarde des Unterhal- Massenszenen, wie z.B. in der „Herr nologien begreifen und dementspre- Bundesverband Interaktive Unter- Neue Medien tungssektors, sondern auch Hard- der Ringe“ Trilogie, verwendet. Ge- chend fördern. Diese Besonderheit haltungssoftware e.V. STREITFALL COMPUTERSPIELE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 36

Pragmatisch und wegweisend zugleich Der Deutsche Computerspielepreis ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung • Von Malte Behrmann Seit einigen Jahren bemüht sich die ideologischen Zweifel prinzipiel- Maße unterstützt. Vereinzelt unter- G.A.M.E, der Bundesverband der ler Beihilfegegener auszuräumen, stützen auch die Filmförderungen Entwickler von Computerspielen e.V. die der besonderen Situation der der Bundesländer, z.B. Nordmedia, um die Anerkennung des Computer- Kreativen im kulturwirtschaftlichen MDM, Medienboard u.a. vorwie- spiels als Kulturgut. Dabei geht es Kontext häufig noch zu wenig Ver- gend aus kulturwirtschaftlichen Mo- zunächst um grundsätzliche kultur- ständnis entgegenbringen. tiven die Entwicklung von Compu- politische Fragen, die mit der Ent- Für uns kommt es jetzt darauf an, terspielen – allerdings in bescheide- wicklung dieses neuen Mediums, dass ein deutscher Computerspiele- nem Umfang. In diesem Zusammen- seiner Rezeption und der dynami- preis entsteht, der tatsächlich die hang versucht G.A.M.E. zusammen schen Ausgestaltung des Kulturbe- gesamte Bandbreite der Branche re- mit den anderen beteiligten Verbän- griffs zusammenhängen. Ein erster präsentiert und vor allem den bes- den unter Federführung des BKM Baustein kann nun darin gefunden ten deutschen Spielentwicklern zu eine Bundesstiftung auf die Beine zu werden, dass auf Initiative der SPD Gute kommt. Ein Preis, der im We- stellen, die unter Rückgriff auf unter- Abgeordneten Monika Griefahn und sentlichen im Zusammenhang mit schiedliche Finanzierungsquellen Jörg Tauss nunmehr in einem Antrag den Hauptsponsoren stehen würde, und in öffentlich-privater Partner- des Bundestags im Hinblick auf den würde der Spieleentwicklercommu- schaft hier unterstützend tätig wer- Haushalt des Bundes 2008 erst- nity wenig nützen. Es ist denkbar, den kann. Mittelfristig könnte diese mals ein neuer, kultureller Blickwin- dass ein Preis, wie er seit mehreren Stiftung auch Träger des deutschen kel auf das Thema sichtbar wurde. Jahren mit dem Deutschen Entwick- Computerspielepreises werden. Das ist sehr zu begrüßen. lerpreis in Essen vollzogen wird, ein Die Computerspieleentwickler gutes Modell sein könnte (www. deut- selbst werden nur in geringem Maße ie Debatte, die im Jahr 2007 in scher-entwicklerpreis.de). Attraktiv zu der Industriebeteiligung dieses D diesem Zusammenhang im daran ist vor allem, dass der Preis Preises beitragen können. Zwar hat Deutschen Kulturrat geführt wurde, durch eine relativ große Akademie der Bundestag die Mittelfreigabe mit war außerordentlich wichtig, denn vergeben wird, die – ähnlich dem einer qualifizierten Sperrung verse- Computerspiele sind Kulturgut. deutschen Filmpreis – einen großen hen, um zu erreichen, dass etwa die Spiele an sich sind wohl eine der äl- Querschnitt durch die gesamte gleichen Mittel aus der Industrie für testen Kulturtraditionen überhaupt. Computerspielebranche darstellt. den Preis zur Verfügung gestellt wer- Der Kulturbegriff ist dynamisch und Besonders gut ist, dass diese Preise den können. Ob die Entwickler von kann nicht im Elfenbeinturm entwi- nicht nur Symbolcharakter haben Computerspielen – um deren Förde- ckelt werden. Die kulturpolitische sollen, sondern tatsächlich den Ein- rung es ja auch eigentlich geht – Legitimität von Computerspielen stieg in die Förderung konkreter Ent- allerdings die Mittel aufbringen kön- ergibt sich auch daraus, dass sich das wicklungsvorhaben abbildet – und nen, ist fraglich. Jedenfalls ist dies so, Nutzerverhalten von Medienkonsu- zwar in dem besonders sensiblen soweit es um die Spieleentwickler menten rasant verändert. Damit ein- Bereich der Projektentwicklung am selbst geht, die – ähnlich wie Filmpro- hergehend verändern sich auch die Beginn der Wertschöpfungskette: duzenten – kreative KMU’s mit mini- Inhalte und ihre Wahrnehmung. Ei- Die Preise können so dotiert werden, maler eigener Kapitalausstattung und nige Bevölkerungsteile verhalten dass mit ihnen von den Preisträgern sehr hohem Risiko darstellen. Präsentation der Computergeschichte auf der Games Convention 2007 in sich gegenüber dieser tatsächlich neue Projekte angestoßen werden Die internationalen Publisher, Leipzig. Foto: Kristin Bäßler stattfindenden kulturellen Entwick- können. Damit lehnt sich dieses die im BIU e.V. organisiert sind, ha- lung zurückhaltend. Das hat seinen Modell an den deutschen Filmpreis ben bereits angekündigt 150.000 Euro möglicherweise an der Seite von sind, konkretere Vorschläge machen Ursprung möglicherweise nicht nur an, was wir ausdrücklich begrüßen. ihrerseits die Hälfte dieses Betrages G.A.M.E. einen Beitrag zum deut- zu können. Grundsätzlich ist die Idee in den Inhalten selbst, sondern ori- Natürlich kann sich das Engage- zur Verfügung stellen werden. Das ist schen Computerspielepreis leisten. diesen Preis auszuloben eine hervor- entiert sich oft an einer – die huma- ment des Bundes mittelfristig nicht sehr erfreulich. Seit einigen Jahren Auch die betroffenen Gemeinden und ragende Möglichkeit, hochwertige nistische Ideale falsch verstehenden in dieser Aktivität erschöpfen, aber haben die deutschen Spieleentwick- Bundesländer können auf der Seite Computerspiele aus Deutschland ei- – Technikfeindlichkeit. Computer- es ist ein sehr guter Anfang. In zahl- ler in ihrem Verband G.A.M.E. e.V. der Entwickler möglicherweise Fi- ner breiteren Öffentlichkeit anzubie- spiele verändern unsere Sprache, reichen anderen Industriestaaten, auch Fördermitglieder, die die Anlie- nanzmittel zur Verfügung stellen. Die ten und die Entwicklung von zielgrup- unsere Denkweise, unser Bewusst- wie z.B. Kanada, Finnland, Frank- gen des Entwicklerverbandes, also Gespräche dazu sind allerdings noch pengerechten und qualitativ hoch- sein. Sie sind geeignet, kulturelle reich, Singapur, Korea und China mittelfristig den Anteil deutscher Pro- nicht weit gediehen, da die Entschei- wertigen Spielen zu fördern. Prägungen, Lebenseinstellungen wird die Entwicklung von Computer- duktionen vor allem am Heimat- dung des Parlaments erst wenige Wo- und Grundhaltungen zu transportie- spielen gerade auch aus kulturwirt- markt anzuheben teilen und unter- chen zurückliegt. Wir vermuten, dass Der Verfasser ist Geschäftsführer ren. Millionen Nutzer verbringen ei- schaftlichen Motiven in erheblichem stützen. Diese Unternehmen können wir erst im ersten Quartal 2008 soweit von G.A.M.E. nen Teil ihrer Freizeit mit Computer- spielen und ihren Inhalten. Kultur bedeutet daher auch Verantwortung. Ein wichtiges Ergebnis dieser Diskussion ist die Eingliederung die- Computerspiele: Kulturgut des digitalen Zeitalters ses Kulturmediums in die Regulie- Von Malte Spitz und Oliver Passek rungs- und Unterstützungssysteme der Informationsgesellschaft, wie sie Computerspiele umfassen heute ten Kulturmedien des 21. Jahrhun- le der „Anno“-Reihe als durch den an Geld und Zweifeln an der Markt- im Bereich fast aller Kulturwirt- schon ein immens breites Angebot derts sein. Dieser Trend zeichnet Schulunterricht oder sie erfahren gängigkeit hochwertiger Spiele. Wir schaftsgüter bestehen – wenn auch an Genres: Lernspiele, Fantasyge- sich schon heute ab, die Spielekon- schon früh in Strategiespielen in ver- wollen diese „Humusschicht“ der mit unterschiedlichem Antlitz. Eine schichten, historische Szenarien – sole Wii von Nintendo wird z.B. einfachter Form, was Steuern sind Branche vor dem Austrocknen be- lebendige Demokratie braucht Viel- online, im Netzwerk oder stationär inzwischen genauso von Achtjähri- und wie gesellschaftliche Aushand- wahren. Daher bedarf es ihrer För- falt. Im Bereich von Kulturwirt- spielbar – sind nur einige Möglich- gen wie von 75-jährigen gespielt. lungsprozesse funktionieren. derung, besonders aus kreativer schaftsgütern lassen sich die ökono- keiten. Gleichzeitig steigt die Zahl Damit geht auch eine völlig neue so- künstlerischer Sicht und dann erst mischen Fragen nur schwerlich von der Menschen, die auf die eine oder ziale Bedeutung für Computerspie- Kreativität anerkennen aus wirtschaftlichen Erweggründen. den kulturellen Fragen trennen. Sie andere Weise dieses Medium nut- le mit einher. und fördern beeinflussen sich gegenseitig (wie zen, ständig. Dennoch werden Com- Bei der Entwicklung von Compu- Mehr Bildung für die letztlich auch der technologische puterspiele im gesellschaftliche terspielen kommt künsterlischem Spieleentwicklerinnen und -ent- Branche Bereich starke Wechselwirkungen Diskurs vor allem im Zusammen- Schaffen eine immer größere Bedeu- wickler müssen als gleichberechtig- hat). Der kulturelle Sondersektor hang mit Gewaltexzessen genannt tung zu. Die Oberflächen werden te Akteure in der Kreativwirtschaft Dem eklatanten Fachkräftemangel wird mit großem Aufwand in einem – ein vermeintlicher Zusammenhang immer aufwendiger gestaltet, teil- anerkannt werden. Eine sachgerech- in der Branche muss begegnet wer- „Vielfaltsumfeld“ gehalten (Buch- zwischen Amok-Läufen und soge- weise entwickelt sich eine eigene te Computerspielunterstützung den: Bestehende Aus- und Fortbil- preisbindung, öffentlich-rechtliches nannten ”Baller-Spielen” verstellt Bildsprache, teilweise wird die Visu- braucht eigene Strukturen, die Viel- dungsgänge müssen so weiterentwi- Fernsehen, Film- und Theaterförde- dabei den Blick auf die Vielfalt und alität des „Real Life“ immer naturge- falt und Qualität von Spielen fördert ckelt werden, dass dort auch die Fä- rung). die Chancen des Mediums unter treuer in die virtuelle Realität über- und hilft, positive Potentiale stärker higkeiten zur Computerspielent- Zum ersten Mal werden mit der kulturellen und wirtschaftlichen Ge- tragen. auszuschöpfen. Dies kann u.a. über wicklung erlernt werden und eine Auslobung des Computerspielprei- sichtspunkten. Im Folgenden wollen ein einheitliches Qualitätssiegel für solche Ausbildung auch staatlich ses des Bundes 2008 Computerspie- wir diese aufzeigen. Lermedium und nicht hochwertige Computerspiele er- anerkannt wird. Außerdem bedarf es le nicht nur negativ mit Verbotsdis- nur ein Spiel reicht werden. Erstes Kriterium neuer Studiengänge für den Bereich kussionen und Ähnlichem assoziiert, ass Computerspiele mit ihren muss natürlich der Spaß am Spiel Computerspiele an Fachhochschu- sondern auch positiv mit dem kul- D virtuellen Welten, teilweise In Computerspielen werden traditi- bleiben, sonst wird ein solches Sie- len und Hochschulen. turellen, wirtschaftlichen und tech- wahnwitzigen und ab und zu auch onelle kulturelle Ausdrucksformen gel bald zum negativen Kaufkriteri- nologischen Potenzial des neuen brutalen Inhalten ein Kulturgut sein wie Musik, Storyline und Ästhetik zu um. Ein Zuhause für die Mediums in Verbindung gebracht. sollen, ist weiterhin für viele Men- einer eigenen Form zusammenge- Der kreative Aspekt und die po- Zukunft Das bedeutet auch ein Anerkenntnis schen diskussionswürdig. Wir Grüne führt. Sie sind somit eine Fortent- sitiven Effekte des Spielens werden für die kulturelle Leistung der an der bekennen uns aber dazu, dass Com- wicklung bestehender Kulturgüter bislang aber noch unterschätzt – mit Als Spiegel unserer Zeit sind Compu- Erstellung von Computerspielen be- puterspiele ein Kulturgut sind und wie beispielsweise des Films. Es be- Folgen für die Computerspielbran- terspiele ein Medium, das systema- teiligten Kreativen: Er stärkt ihr nicht nur ein vorübergehendes kul- darf einer wesentlich stärkeren Ver- che. Die Entwicklung eines Compu- tisch archiviert werden muss. Eine Selbstbewusstsein als Kulturschaf- turelles Phänomen oder eine unbe- ankerung und Nutzung von Compu- terspiels bedeutet enorme Kosten solch umfangreiche Archivierung, fende und regt zur Vielfalt an. Die- ständige Entwicklung der Alltagskul- terspielen im Bereich des Erlernens und nimmt viel Zeit in Anspruch – die auch die technische Möglichkeit ser Preis ist nicht nur auch das Er- tur. Heutzutage sind Computerspie- von Medienkompetenz. In den das gilt besonders für künstlerisch der Spielbarkeit sicherstellt, ist drin- gebnis unserer jahrelangen Bemü- le in ihrer breiten Vielfalt wesentlich Schulen müssen sie Teil des Unter- und graphisch aufwendige Spiele, gend notwendig. Wir konnten in der hungen um die Förderung der Ent- mehr, als ein Teil der Jugendkultur richts werden und hochwertige bzw. Spiele mit einer komplexen z.B. Vergangenheit sehen, welche Verlus- wicklung von Computerspielen, er oder Spaßobjekt der vereinsamten Lernspiele neue Wege der Wissens- auf historischen Gesellschaften fus- te entstehen, wenn neuartige Kultur- geht auch prinzipiell in die richtige Single-Gesellschaft. Computerspie- vermittlung aufzeigen. Schon heut- senden Storyline. Das ist für kleine Richtung, denn mit diesem pragma- le werden durch ihre stetige Weiter- zutage lernen einige Kinder mehr Firmen oft ein zu großes Risiko. Ihre Weiter auf Seite 37 tischen Ansatz ist es gelungen, auch entwicklung eines der bedeutends- über das Mittelalter durch die Spie- innovativen Ideen scheitern damit STREITFALL COMPUTERSPIELE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 37

standteil der Medienförderungsin- (FFA) muss nachgedacht werden. Fortsetzung von Seite 36 strumente. Sollten allerdings Computerspiele Aber auch in Deutschland zeich- von den FFA-Mitteln profitieren Streitfall güter, wie einst der Film, nicht nen sich Veränderungen ab: Einige können, bedeutet dies gleichzeitig, schnell offiziell und umfangreich regionale Filmförderer – zu nennen dass die Branche als neuer Einzah- gesammelt werden. Hier bedarf es ist hier insbesondere die Mitteldeut- ler hinzukommt. Genauso wie auf Computerspiele einer umfangreichen Sicherung, am sche Medienförderung (MDM) – för- Kinoeintrittskarten oder verkaufte besten durch die Deutsche National- dern bereits die Entwicklung von DVDs muss es dann auch zu einer bibliothek. In diesem Zusammen- Computerspielen. Die Richtlinien Abgabepflicht auf verkaufte oder Von der Provokation hang muss gerade auch aus Perspek- der MDM sind bereits jetzt so aus- verliehene Computerspiele kom- tive der Medienpädagogik weiterge- gestaltet, dass Multimediaprojekte men. dacht werden, ob ein Computerspie- und damit auch Computerspiele in Generell gilt, die Diskussion um zur Debatte lemuseum nicht ein geeigneter Ort derselben Art und Weise gefördert Computerspiele als Kulturgut und zum Erlernen und Erforschen des werden können, wie Filmprojekte. besonders auch der Umgang mit den STREITFALL COMPUTERSPIELE: Mediums ist. Dafür werden wir uns Im Unterschied zu anderen Media- diesem Medium stehen noch am COMPUTERSPIELE ZWISCHEN förderungen gibt es beim MDM auch Anfang. Daher kommt es für uns dar- stark machen. KULTURELLER BILDUNG, keine Limitierung des Budgetum- auf an, Computerspiele zu fördern, KUNSTFREIHEIT UND Neue Wege der Förderung fangs für den Bereich Multimedia. statt den Weg dieses noch jungen Computerspiele sind hier also dem Mediums von vornherein mit Hür- JUGENDSCHUTZ. Auch bei der Förderung von Compu- Medium Film zumindest theoretisch den zu bepflastern. Deutschland terspielen wollen wir völlig neue (natürlich noch längst nicht in der muss besonders auch im internati- 2. überarbeitete und Wege gehen: Wir wollen prüfen, in- Förderpraxis) gleichgestellt. Uns onalen Vergleich aufschließen und erweiterte Auflage wieweit Computerspiele nicht auch geht es dabei besonders um eine es wäre fatal, wenn die kreativen wie ERSCHEINT JANUAR 2008 selbstverständlicher Teil der Filmför- Anschubfinanzierung für die Ent- wirtschaftlichen Chancen nicht ge- Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo derung sein können. wicklung von neuen Spieletypen nutzt werden würden. Geißler. ca. 120 Seiten. ISBN 978- Aufwendige Computerpiele äh- oder der Erstellung von Prototypen. 3-934868-13-7, ISSN: 1865-2689. neln bereits jetzt dem Medium Film: Dabei geht es meistens um sehr Malte Spitz ist Mitglied des Bundes- Preis: 9,00 Euro (+ 2,50 Euro für Sie weisen starke narrative Elemen- niedrige sechsstellige Summen. vorstandes von Bündnis 90/Die Porto und Verpackung) te auf und können sogar als konse- Ähnlich wie beim Film geht es hier Grünen und dort für die Themen quente Weiterentwiklung des Medi- nicht um eine einfache Zuschussfi- Medien und Kultur zuständig. MIT BEITRÄGEN VON: ums Film verstanden werden. Staa- nanzierung, sondern um ein erfolgs- Oliver Passek ist Sprecher der ten wie Frankreich, Kanada oder bedingtes Darlehen. Bundesarbeitsgemeinschaft Medien · Günther Beckstein Finnland haben längst die kulturel- Auch über eine Integration von bei Bündnis 90/Die Grünen und · Max Fuchs le Bedeutung von Computerspielen Computerpielen in die Branchenför- Dozent für Medienwirtschaft an der · Hans-Joachim Otto erkannt. Dort sind sie fester Be- derung der Filmförderungsanstalt FHTW Berlin · Christian Pfeiffer · Olaf Zimmermann und anderen. Die Beiträge zeigen zuallererst, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema Computerspiele auf einer sachlichen Ebene möglich und Jugendschutz für Spiele – notwendig ist. Und sie zeigen die Komplexität des Themas auf. Im Buch werden beiträge aus politik und kultur nachgedruckt, in denen ein Spiel für den Jugendschutz? der Streit um Computerspiele geführt wird. THEMEN SIND: Was die Novellierung des Jugendmedienschutzes dem Bereich der Video- und Com- · Computerspiele: Zensur oder öffentliche Förderung puterspiele gebracht hat • Von Inka Brunn und Stephan Dreyer · Computerspiele: Blicke in die Forschung · Computerspiele: Herausforderung für die Bildung Ein Jahr lang analysierte das Hans- krafttreten der Novelle ist ein System reicht haben. Entscheidet sich ein · Computerspiele: Nicht nur Teil der Jugendkultur Bredow-Institut aus Hamburg im etabliert worden, dass auf stärkeren Spiele-Hersteller bzw. ein Publisher · Computerspiele: Marktsegment der Kulturwirtschaft Auftrag von Bund und Ländern das staatlichen Einflussnahmemöglich- gegen die (wohlgemerkt freiwillige) deutsche Jugendmedienschutzsys- keiten in Bezug auf die Freigabeent- Einreichung seines Spiels bei der tem. Die rechtlichen Regelungen in scheidung bei der USK fußt. Im Ge- USK, so gelangt das Spiel ohne Kenn- diesem Bereich waren zuvor, im Jahr genzug sind die USK-Kennzeichen zeichen in den Handel und wird wie 2003, großflächig reformiert wor- seit der Reform verbindliche Ent- ein Spiel mit dem Kennzeichen „Kei- den. Die wissenschaftliche Evalua- scheidungen aller Bundesländer, die ne Jugendfreigabe“ behandelt. Die Kirchen tion sollte zeigen: Hat sich der Ju- unmittelbar für Publisher, Vertrieb Nicht von der USK gekennzeich- gendschutz durch die Novelle ver- und Händler bindend sind. So dürfen net werden jugendgefährdende Vi- bessert? Gibt es neue oder alte De- gekennzeichnete Spiele (Freigegeben deo- und Computerspiele, die etwa fizite? Haben Bundes- und Länder- ohne Altersbeschränkung, freigege- besonders gewalthaltig, menschen- Die unbekannte parlamente mit der Reform einen ben ab 6 Jahren, freigegeben ab 12 verachtend oder pornografisch sind. Schritt in die richtige Richtung ge- Jahren, freigegeben ab 16 Jahren, kei- In Bezug auf derartige Spielprogram- macht? Die Ergebnisse der Unter- ne Jugendfreigabe) nur an Kinder und kulturpolitische Macht suchung in Bezug auf den Bereich Jugendliche abgegeben werden, die Weiter auf Seite 38 der Video- und Computerspiele sol- das entsprechende Mindestalter er- Die Kirchen sind eine weitgehend unbekannte kulturpolitische Macht in len hier kurz dargestellt, mögliche Deutschland. Dabei wenden sie immerhin rund 20 Prozent ihrer Umgehungen oder gar Durchbre- Kirchensteuereinnahmen und Vermögenserlöse, insgesamt 4,4 Milliarden chungen des Jugendmedienschut- Euro im Jahr, für die Kulturförderung ein. Im Buch werden Beiträge aus zes aufgezeigt werden – und es soll politik und kultur nachgedruckt, in denen die Kirchen und ihr Verhältnis zu erklärt werden, warum der Staat Kunst und Kultur ausführlicher vorgestellt und diskutiert werden. Ziel des trotzdem nicht einfach auf Gesetze Buches ist es, dass in der Zukunft die Kirchen bei kulturpolitischen Fragen verzichten kann. öfter mitgedacht werden.

2003: Erstmalig verbindliche Alters- THEMEN SIND: freigaben für Games Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) · Kirche und Kultur des Bundes galt bereits vor der No- · Kirche und kulturelles Leben velle für Kinovorführungen und Fil- · Kirche und Kunst me auf Videokassetten, CDs oder · Daten und Fakten zum Kulturengagement der Kirchen DVDs. Für entwicklungsbeeinträch- tigende Video- und Computerspiele MIT BEITRÄGEN VON gab es dagegen keine Vorschriften. Mit der 2003 erfolgten Reform des · Max Fuchs Jugendmedienschutzes ist der An- · Katrin Göring-Eckardt wendungsbereich des JuSchG auch · Wolfgang Huber auf so genannte „Spielprogramme“ · Karl Kardinal Lehmann erweitert worden. Seitdem werden · Markus Lüpertz auch Video- und Computerspiele, · Ingo Metzmacher sofern sie auf Trägermedien (CDs, · Olaf Zimmermann und anderen DVDs, UMDs, Cartridges etc.) abge- geben werden, von dem gesetzlichen Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht. Hg. von Olaf Jugendschutz umfasst. Die Unter- Zimmermann und Theo Geißler. Aus politik und kultur 2. Berlin 2007. 108 haltungssoftware Selbstkontrolle Seiten. ISBN: 978-3-934868-14-4, ISSN:1865-2689. Preis: 9,00 (+ 2,50 (USK) prüft zwar bereits seit April 1994 in ihren unabhängigen Exper- Porto und Verpackung). tengremien Spiele auf ihre Tauglich- keit für Kinder und Jugendliche und Die Bücher könnnen unter http://www.kulturrat.de/shop.php hat bis Ende 2001 insgesamt 6.610 bestellt werden. Die Titel sind auch über jede Spielprogramme mit Altersempfeh- Buchhandlung beziehbar. lungen versehen. Diese „früheren“ Kennzeichnungen waren jedoch vor Inkrafttreten des novellierten Ju- Deutscher Kulturrat e.V. Chausseestraße 103, 10115 Berlin, gendschutzgesetzes lediglich unver- Telefon: 030/24728014, Fax: 030/24721245, E-Mail: bindliche Alterseinstufungen mit Innenleben des Transistorrechners Z 23 aus dem Jahre 1961. Kein Vergleich zu [email protected] Orientierungscharakter. Mit dem In- heutigen zum Teil sehr portablen Spielekonsolen. Foto: Stefanie Ernst STREITFALL COMPUTERSPIELE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 38

dizierungs- und Kennzeichnungs- die über Online-Funktionalitäten ne reine Randerscheinung ist. So eine Entwicklung ihrer Persönlich- Fortsetzung von Seite 37 verfahren. Um zu gewährleisten, verfügen, sollten schon bei der Be- passiert es, dass Eltern, Geschwister keit möglichst frei von schädlichen dass Spiele, die Indizierungskriteri- urteilung der Offline-Version die oder ältere Freude altersunangemes- (Medien-)Einflüssen zu ermöglichen en aufweisen, entsprechend von der Möglichkeiten beachtet werden, die sene Spiele zugänglich machen, und Eltern solche Rahmenbedin- USK behandelt werden, muss sicher- die Software für Online-Veränderun- etwa durch Kauf, Schenken oder gungen an die Hand zu geben, die me konnte und kann die Bundes- gestellt sein, dass die angelegten Kri- gen bietet und welche Risiken sich Weitergabe im Familien- und Freun- die optimale Ausübung ihres verfas- prüfstelle für jugendgefährdende terien bei USK und BPjM möglichst daraus ergeben. deskreis oder in der Schule. Auch sungsrechtlich verbürgten Erzie- Medien (BPjM) eine Indizierungs- deckungsgleich sind. Vieles spricht zeigen Testkäufe und Kontrollen hungsrechts gewährleisten. entscheidung treffen und das ent- bereits für eine Konsistenz in der Schwacher Vollzug führt zu geringem immer wieder, dass einzelne Händ- Jugendschutz ist zudem eine sprechende Programm in die Liste Kriterienanwendung, dennoch weist Verfolgungsdruck bei „schwarzen ler sich nicht an die gesetzlichen Vor- Form von Risikomanagement: Dort, für jugendgefährdende Medien auf- die Evaluation auf noch zu wenig Schafen“ gaben halten und Produkte an zu wo mit Vorschriften tatsächliche Wir- nehmen. Indizierte Produkte wan- genutzte systematische Formen des Ein für das Jugendschutzkonzept junge Käufer abgeben. Ferner er- kungen erzielt werden können, müs- dern aus dem Regal unter den La- Austausches von BPjM und USK wichtiger Punkt ist die Frage, inwie- scheinen ausländische Online-Ver- sen Rechtsvorschriften ansetzen. dentisch: Das Spiel ist weiterhin für über Kriterien und Kriterieninter- weit sich der Handel an die gesetzli- sandhändler, für die das deutsche Dies gilt insofern vor allem in Hin- Erwachsene erhältlich, darf aber pretationen hin. chen Vorgaben – sprich: die aus- Jugendschutzrecht nicht gilt, als Ein- blick auf das ungewollte Inkontakt- weder öffentlich beworben noch of- schließlich altersgerechte Abgabe – falltor für das Umgehen hier gelten- kommen mit entwicklungsbeein- fen im Handel ausgestellt werden. Online-Spiele als Herausforderung hält. Die zuständigen kommunalen der Abgabebeschränkungen. Letzt- trächtigenden Spielen und die Abga- Insgesamt hat Deutschland mit die- für den Jugendschutz Ordnungs- und Gewerbeaufsichts- lich führt auch der technisch versier- be von Spielen im deutschen Einzel- sem zweistufigen System der Alters- Die zunehmende Bedeutung von ämter überprüfen die Einhaltung der te Umgang von Kindern und Jugend- und Versandhandel. Für ausländi- freigabe und Indizierung eines der Spielen, die mit anderen Personen Abgabebeschränkungen regional lichen mit dem Internet dazu, dass sche Angebote und das Internet strengsten Jugendschutzsysteme in über das Internet gespielt werden ganz unterschiedlich intensiv und Teile der Minderjährigen Spiele über stößt nationales Recht schnell an sei- der westlichen Welt etabliert. oder ausschließlich über das Inter- eher punktuell als systematisch. Auch Online-Tauschbörsen, Warez-Foren ne Grenzen – genauso wie in Bezug net vertrieben und verkauft werden, wenn mangels zentraler Statistiken und andere Wege aus dem Internet auf den Jugendlichen, der partout an Ergebnisse der Jugendschutz-Eva- führt zu dem Problem, dass solche die tatsächliche Zahl von Abgabever- herunterladen, die nicht für ihr Al- „sein“ Spiel kommen will. Hier brin- luation im Bereich Spiele reinen Online- und Download-Spie- stößen nicht geschätzt werden kann, ter freigegeben sind. gen auch Rufe nach allgemeinen Ver- Die am Hans-Bredow-Institut le nicht gekennzeichnet werden kön- ist es auf Grundlage der vorhandenen boten nichts, denen in Hinblick auf durchgeführte Untersuchung, ob und nen. Das JuSchG gilt nur für Spiele, Informationen anzunehmen, dass Jugendschutz als ernstes „Spiel“ im Grundgesetz garantierte Mei- inwieweit der Jugendmedienschutz die (auch) auf Trägermedien vorlie- hier keine hinreichende Sanktions- Jugendmedienschutz im Bereich Vi- nungs-, Informations- und Kunst- effektiv funktioniert, muss im Hin- gen, also etwa auf CD oder DVD. Für wahrscheinlichkeit besteht. Möglich- deo- und Computerspiele ist selbst freiheit ohnehin enge verfassungs- blick auf einen Vorher-/Nachher-Ver- reine den Telemedien zugehörige keiten der Verbesserung des Vollzugs ein „Spiel“ mit großer Dynamik und rechtliche Grenzen gesetzt sind. gleich zunächst zu dem Ergebnis Games – etwa Browser-Spiele – gilt werden insofern bereits im politi- mit sich schnell bewegenden Objek- kommen: Der Jugendschutz im Be- vielmehr der Jugendmedienschutz- schen Raum diskutiert. ten. Die Spieleangebote selbst ver- Die Verfasser sind wissenschaftliche reich der Video- und Computerspie- Staatsvertrag (JMStV) der Länder, ändern sich rasch und Kinder und Mitarbeiter im Bereich Recht am le hat sich durch die Novellierung ver- der ein Kennzeichnungsverfahren Die Realität als Konterkarierung des Jugendliche sind findig im Umgehen Hans-Bredow-Institut für Medienfor- bessert; schließlich gab es vorher kei- gerade nicht kennt. Hier fallen also Jugendschutzes? von Zugangs- und Vertriebsbe- schung und Mitautoren der „Analyse ne verbindlichen Vorschriften für ent- unterschiedliche Spiele unter- Auf dem Papier erscheinen die Kon- schränkungen. Dies kann aber nicht des Jugendmedienschutzsystems - wicklungsbeeinträchtigende Spiele, schiedlichen Gesetzen und Jugend- zepte von Kennzeichnung oder Indi- als Konsequenz nach sich ziehen, Jugendschutzgesetz und Jugendmedi- altersgestaffelte Abgabebeschrän- schutzkonzeptionen. Mittelfristig zierung sachgerecht. Im Alltag kön- dass sich der Staat aus dem Jugend- enschutz-Staatsvertrag“ kungen waren nicht existent. Den- müssen hier gangbare Lösungen ge- nen diese allerdings unterlaufen schutz resigniert zurückzieht und noch identifiziert die Studie Optimie- funden werden, zumindest können werden. So zeigen etwa die JIM-Stu- die Eltern und Jugendlichen sich Die Studie ist abrufbar unter: http:// rungsmöglichkeiten, etwa in Bezug schon jetzt im Ansatz Maßnahmen dien des MPFS, dass die Möglichkeit, selbst überlässt – im Gegenteil: Den www.hans-bredow-Institut.de/for- auf die Verfahren, gesetzliche Anwen- zur Optimierung getroffen werden: ein nicht dem Alter angemessenes Gesetzgeber trifft die verfassungs- schung/recht/071030Jugendschutz- dungsbereiche und den Vollzug. Bei der Alterseinstufung von Spielen, Spiel zu erwerben oder nutzen, kei- rechtliche Pflicht, Minderjährigen Endbericht.pdf

Defizite im Bereich des Verfahrens In Bezug auf die Verfahren der Frei- gabeentscheidungen bei der USK hat die Evaluation einige Defizite Ist Geschichte in Spielen nur ein Verkaufsargument? von unterschiedlichem Gewicht und Ein Interview mit Rainer Pöppinghege, Daniel Pickert und Alexander Schmeding Tragweite aufgefunden. So werden der USK produktionsbedingt oft un- puk: Herr Pöppinghege, muss denn fertige Versionen vorgelegt, z.B. ohne die Geschichte in Spielen immer re- deutsche Sprachausgabe. Einerseits alitätsnah abgebildet werden? Oder kann dies Arbeits- und Prüfungszeit reicht es nicht bereits aus, dass Kin- bei der USK unnötig binden, ohne der und Jugendliche durch Spiele dass letztendlich eine abschließen- wie die Anno Reihe zur Beschäfti- de Altersfreigabe erfolgen kann. gung mit vergangenen Epochen ani- Andererseits muss in den Fällen, in miert werden? denen eine Altersklassifizierung für Rainer Pöppinghege: Das ist richtig. ein noch nicht gänzlich fertiges Pro- Spiele sind zunächst einmal nicht dukt vorgenommen wird, eine syste- dazu da, Geschichte abzubilden. matische Kontrolle stattfinden, ob Wenn man sich die Motivation der die Altersfreigabe auch noch für das Spieleentwickler anschaut, stellt dann am Markt angebotene Spiel le- man fest, dass Geschichte als Auf- gitim erscheint. hänger und als Verkaufsargument In der Öffentlichkeit heftig disku- genutzt wird. Es ist natürlich immer tiert wurde der Testbereich der USK. sinnvoll, sich mit Geschichte zu be- Spiele werden bei der USK – genauso fassen. Ob das allerdings im Rahmen wie bei der BPjM– durch Tester ge- dieser Computerspiele geschieht, da sichtet und dann dem Entschei- habe ich so meine Zweifel. dungsgremium präsentiert. Die Ein- puk: Sie sind Historiker und lehren flussnahmemöglichkeit der Tester als Privatdozent an der Universität auf die Präsentation war dabei meist Paderborn. In einem Ihrer letzen Se- Ursache für Kritik, eine andere prak- minare, aus dem zwei Studierende tikable Lösung ist allerdings schwer heute auch anwesend sind, haben vorstellbar: Viele Spiele sind in ihrer Sie zusammen mit den Teilnehmern Mechanik so ausgefeilt und differen- Computerspiele auf ihren histori- ziert, dass es kaum denkbar er- schen Gehalt hin untersucht. Sind scheint, dass Personen, die die nöti- Sie selber Spieler? ge Kompetenz zur jugendschutz- Pöppinghege: Nein, ich bin kein rechtlichen Beurteilung mitbringen, Spieler. Ich bin über meinen zwölf- zugleich in der Lage sind, alle in Fra- jährigen Sohn mit Computerspielen ge kommenden Spiele durchzuspie- in Kontakt gekommen. Ein paar sei- len. Wird insofern an dem bisher ner Spiele weisen einen historischen praktizierten Konzept festgehalten, Hintergrund auf. Ich habe ihm das sollten aber Möglichkeiten der Qua- ein oder andere Mal beim Spielen litätssicherung in Bezug auf den über die Schulter geschaut. Die Testbereich genutzt werden, etwa in Spielkompetenz haben allerdings Computerspiele sind in der Universität angekommen. Dr. Pöppinghege (Mitte) mit zwei der Projektteilnehmer Alexan- Form von Doppelsichtungen durch meine Studenten eingebracht. Ich der Schmeding (links) und Daniel Pickert (rechts). Foto: Stefanie Ernst zwei Tester oder Parallelpräsentati- habe mich dem Thema eher von der onen zum Erkennen von Inkonsis- historisch-wissenschaftlichen Seite Daniel Pickert: Bei mir verhält es sich gespiegelt? Waren es mehr Studen- Geschichte in Computerspielen? tenzen. genähert. ähnlich. An einige Spiele bin ich al- ten als Studentinnen? Pöppinghege: Das Seminar war sehr Die Evaluation hat ferner erge- puk: Herr Schmeding und Herr Pi- lerdings erst durch das Seminar her- Pöppinghege: Das würde ich nicht populär. Es hat zudem eine gewisse ben, dass die im Reihum-Verfahren ckert, das bedeutet, dass Sie von angekommen. Man hat sich dann unbedingt sagen. Möglicherweise Außenwirkung entfaltet und so könn- von unterschiedlichen Gutachtern Haus Spieler sind? Was spielen Sie mit den Spielen näher auseinander- waren es unter den Referenten, die te ich mir durchaus vorstellen, ein erstellten Prüfprotokolle von unter- privat? gesetzt. Da waren durchaus einige sich aktiv irgendwo wieder gefunden weiteres anzubieten. Wenn man schiedlicher Differenziertheit und Alexander Schmeding: Es gibt eine interessante Titel dabei. haben, mehr männliche Studenten. allerdings die Forschungslandschaft Struktur sind. Diese Kritik wird auf Vielzahl von Spielen mit histori- puk: Wie viele Teilnehmer haben das Insgesamt war es schon gemischt. betrachtet und genauer hinsieht, was Seiten der USK bereits adressiert. schem Background, die ich auch pri- Seminar besucht? puk: Vor einigen Jahren gab es an der die Geschichtsdidaktik bislang dazu Wird ein Spiel durch die USK ge- vat gespielt habe. Beispiele wären Pickert: Ungefähr 120. Universität zahlreiche Seminare gemacht hat, dann wird man bis auf kennzeichnet, kann es nicht mehr Rome Total War, Medieval 1 und 2, puk: Im Verhältnis ist es so, dass zum Thema „Geschichte in Doku- ein Fachbuch und ein oder zwei Auf- von der BPjM indiziert werden. Im Spiele der Anno Reihe, aber auch die mehr Jungen als Mädchen spielen. mentationen“ oder „Geschichte im Bereich dieser „Sperrwirkung“ der Stronghold Serie war mir bereits Hat sich das in der Zusammenset- (Kino-) Film“. Gibt es einen neuen Weiter auf Seite 39 USK-Kennzeichen berühren sich In- zuvor bekannt. zung der Seminarteilnehmer wider- Trend hin zur Untersuchung von STREITFALL COMPUTERSPIELE/EUROPA politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 39

als Studierende am Computer und terspielepreis vorschlagen würden? geht und nicht nur bei Wikipedia Fortsetzung von Seite 38 haben erst einmal gespielt, um sich Pickert: Nein, zuerst einmal nicht. oder in einem anderen Lexikon Fak- Dr. Rainer Pöppinghege einzufinden? Oder haben Sie direkt Die normalen Computerspiele sind ten nachschlägt. Vielleicht werden sätze wenig finden. Zumindest was Themen für Hausarbeiten oder Re- dafür konzipiert, dass man mit ihnen auch zukünftig häufiger wissen- Dr. Rainer Pöppinghege ist Histori- die „historischen Spiele“ anbelangt ferate angenommen und sich die Gewinn erwirtschaften kann, verfol- schaftlich ausgebildete Personen mit ker und lehrt als Privatdozent an der besteht hier noch sehr viel For- Spiele auf diese Weise erschlossen? gen also kommerzielle Interessen. der Recherche betraut. Allerdings Universität Paderborn. schungsbedarf. Von einem Trend Pickert: Mit insgesamt 120 Teilneh- Natürlich gibt es auch den Bereich sollte man an die Spiele nicht mit der In einem Seminar untersuchte er ge- würde ich somit noch nicht sprechen. mern an PCs zu arbeiten, wäre ge- der „educational Spiele“. Diese wei- Erwartung herangehen, dass in ih- meinsam mit Studenten eine Viel- puk: Welche Spiele haben Sie und nerell nicht möglich gewesen. Wir sen aber oftmals einen geringeren nen die Historie eins zu eins abge- zahl von Computerspielen auf deren Ihre Studenten im Laufe des Semi- haben uns die Spiele über Referate Spielspaß auf. Wenn man es schaf- bildet wird. historischen Wahrheitsgehalt. Nach nars untersucht? angeeignet. Die Themen wurden fen würde, Spielspaß mit Wissen und puk: Abschließend an alle die Frage: der Auslobung des Deutschen Com- Pöppinghege: Das waren im Wesent- chronologisch gegliedert. So unter- Aneignung von Wissen zu kombinie- Hat sich durch die Seminar- und Pro- puterspielepreises durch Kultur- lichen Stronghold, die Serie Civiliza- suchten die einzelnen Studenten ren, dann wäre es bestimmt möglich, jektarbeit Ihre Einstellung zum Spie- staatsminister Bernd Neumann ist tion, Age of Empires, Hearts of Iron, erst Spiele zur Antike, dann des Mit- dass man ein solches Spiel als päda- len und zu den Spielen generell ge- es an der Zeit zu fragen, wie es um die drei verschiedenen Anno Spiele, telalters bis zum Zweiten Weltkrieg. gogisch wertvoll ansehen könnte. ändert? den Mehrwert von Computerspielen Blitzkrieg, sowie Napoleon, Rome Das jeweilige Spiel und die Ergebnis- Bei Spielen, wie bei dem bereits er- Pöppinghege: Ich hab festgestellt, bestellt ist. Ihr Spielspaß ist häufig Total War und Hammer und Sichel, se wurden danach im Plenum prä- wähnten Historion, erscheinen Text- dass, je tiefer ich in das Thema und unumstritten, aber passen die Hin- ein Spiel zum Kalten Krieg. sentiert und zur Diskussion gestellt. meldungen mit bestimmten histori- die Spiele eindringe, desto weniger tergründe? Können Sie in Schulen puk: Gibt es besonders beliebte Epo- Zum Teil wurden auch Spielszenen schen Informationen, die allerdings Geschichte finde ich in diesen Spie- eingesetzt werden und inwieweit chen, die durch Computerspiele ab- mittels Beamer vorgeführt und be- für den Spielverlauf nicht relevant len. Natürlich würde ich ein solches befasst sich die Forschung, in die- gedeckt werden oder besonders be- sprochen. sind. Da erscheint es doch fraglich, Seminar noch einmal machen und sem Fall die Geschichtswissen- liebte „historische Ereignisse“? puk: Aus dem Seminar ist eine Pro- ob ein 10-jähriger Junge tatsächlich demnächst wird bestimmt wieder schaft, mit dem „neuen“ Medium? Pöppinghege: Ja, das würde ich jektgruppe zum Thema entstanden. jede Meldung bis zum Ende durch- Bedarf bestehen. Diesen und weiteren Fragen stan- schon so sehen. Die Antike ist ganz Wie arbeitet die Projektgruppe? Ich liest. Wenn man ein solches Fakten- Schmeding: Ich habe jetzt noch den Dr. Pöppinghege und zwei sei- gut vertreten, so sind zum Beispiel habe gelesen, dass Sie in Schulen wissen, das bislang nur als Lexikon- einmal einen ganz anderen Blick auf ner Seminarteilnehmer, Alexander von dem Spiel Caesar insgesamt vier gehen und beraten. Wie muss man wissen präsentiert wird, in ein Spiel die Spiele erhalten. Nach der Erfah- Schmeding und Daniel Pickert, Rede Folgen herausgekommen. Ein weite- sich das vorstellen? besser integrieren könnte, dann rung aus dem Seminar und der wis- und Antwort. rer Schwerpunkt liegt im Mittelalter. Schmeding: Ja, wir haben damit an- wäre das sicherlich ein Anwärter für senschaftlichen Beschäftigung mit Hier sind Spiele wie Patrizier, Die gefangen, dass wir uns erst mal einen solchen Preis. den Spielen habe ich festgestellt, Gilde oder Stronghold angesiedelt. durch die Lektüre der wissenschaft- puk: In den Booklets zu den Spielen dass man sich zuvor beim privaten Dann beginnt es erst wieder mit lichen Literatur eine Grundlage ge- taucht immer häufiger das Wort „his- Spielen relativ unkritisch mit der Sa- nicht viel geändert. Aber ich gehe Spielen zum Zweiten Weltkrieg. Zwar schaffen haben. Leider ist in diesem torical research“ auf. Glauben Sie, che auseinandergesetzt hat. Zumal nun tatsächlich sehr viel kritischer gibt es auch Material zum Amerika- Bereich wenig Forschung betrieben dass die Computerbranche ein Ar- man erst einmal davon ausgeht, dass an die Spiele heran. Nun hinterfrage nischen Bürgerkrieg, aber wenn man worden, wie Herr Pöppinghege ge- beitsfeld für Historiker sein könnte, sich die Menschen, die die Spiele ich viel häufiger, was vermittelt wird die Quantitäten sieht, dann ist der rade schon ausführte. Dann haben das Zukunft hat? Könnten Sie sich entwickelt haben, schon etwas dabei und was man an Wissen für sich sel- Zweite Weltkrieg in der Neuzeit wir ein bisschen Empirie betrieben. vorstellen, dass Historiker verstärkt gedacht haben und dass die Fakten, ber mitnehmen kann. Und wenn wir besonders stark vertreten. Unter anderem haben wir eine Um- bei der Spieleindustrie tätig werden die präsentiert werden auch korrekt dieses reflektierte Herangehen an puk: Die Macher von Anno 1701 wer- frage an Schulen gemacht und nach- und diese bei Konzepten und der sind An einigen der untersuchten Computerspiele in der Vortragsreihe ben mit dem atemberaubenden Re- dem die ganzen Ergebnisse dann Ausgestaltung von Spielen wissen- Beispiele musste ich dann jedoch an den Schulen vermitteln können alismus bei Flora und Fauna. Und im zurückgelaufen sind, haben wir die schaftlich berät? feststellen, dass dem nicht so ist. Es und die Schüler zum kritischen Booklet von Die Gilde 2 ist zu lesen, erste Lehrerfortbildung zu dem The- Pöppinghege: Diese Arbeit ist ja bei finden sich durchaus auch negative Nachdenken anregen können, dann dass ein vielfältiges und plastisches ma angeboten. Momentan präsen- Spielfilmen bereits Gang und Gebe. Beispiele, wo nicht einmal Lexikon- haben wir schon ein wichtiges Ziel Bild vom Leben im Spätmittelalter tieren wir also die Ergebnisse der Zumindest bei solchen, die ein biss- wissen abgebildet wird. erreicht. vermittelt werden soll. Eine hohe Studie an den Schulen in Westfalen. chen was auf sich halten. Ich könnte puk: Herr Pickert: Eher Spieler ge- Erwartungshaltung wird hier gene- puk: Und gibt es Computerspiele, die mir schon vorstellen, dass man da blieben? Mehr Spieler geworden? Das Interview führte Stefanie riert. Was waren denn die größten Sie für den Geschichtsunterricht noch ein bisschen mehr in die Tiefe Pickert: An der Spielfreude hat sich Ernst Fehler und Irrtümer, die Sie aufge- empfehlen würden? Kann man die- deckt haben? ses Medium überhaupt im Unter- Pöppinghege: In den meisten Spie- richt einsetzen? len wird schon ein solides Lexikon- Pöppinghege: Theoretisch kann man wissen mitgeteilt und das ist wohl im Unterricht natürlich jedes Spiel Europa und die Kultur auch die Basis der Entwickler. Es sind daraufhin untersuchen, ob es ir- Europäische Kulturmitteilung auf dem Gleis • Von Barbara Gessler vor allem strukturelle Gründe oder gendwelche Defizite aufweist. Das strukturelle Defizite, die ins Auge fal- ist didaktisch allerdings ein bisschen Ein großer Schritt ist getan auf dem Kultur- und Kreativwirtschaft, insbe- ausgewählten Projekten werden, wie len. In Caesar 4, einem Aufbauspiel, schwierig, weil die Schüler bereits im Weg zu einer wahrhaftigen europä- sondere der KMU“ betrachtet. Im auch in den anderen Mitgliedstaa- kommt die Sklavenhaltung zum Bei- Vorfeld über ein großes Wissen ver- ischen Kulturagenda: Auf ihrer offi- Rahmen der auch von der Portugie- ten, eine Menge von Veranstaltungen spiel gar nicht vor. Gezeigt wird eine fügen müssten. Es gibt einige Spie- ziellen Sitzung im November haben sischen Ratspräsidentschaft ange- verschiedenster Natur stattfinden, rein marktwirtschaftlich-kapitalisti- le, die auf den Schuleinsatz hin kon- die Kulturminister der Mitgliedstaa- strebten besseren Verankerung der die insbesondere auch die Zivilge- sche agierende Gesellschaft, mit der zipiert wurden. Die Stadt im Mittel- ten die Mitteilung der Kommission Kreativwirtschaft (im weitesten Sin- sellschaft mit einbeziehen und mög- der Spieler konfrontiert wird. Ähnli- alter aus dem Jahr 1995 ist so ein angenommen und somit eine ge- ne) als einem elementaren Bestand- lichst viele Menschen erreichen sol- ches ist auch für die ganzen Spiele, Klassiker. Das ist aber kein richtiges meinsame Kulturstrategie für die teil der Lissabon Strategie für Wachs- len. Auf der europäischen Ebene die im Mittelalter angesiedelt sind, Spiel. Oder Historion, welches ich kommenden Jahre vorgelegt, die tum und Beschäftigung wird das Jahr wurden renommierte Künstler als anzumerken. In diesen ist so etwas meinem Sohn gekauft habe. In dem diesen Namen verdient. Bis 2010 2009 in dieser Hinsicht bedeutsam Botschafter für das Jahr ernannt. wie ein Lehnssystem gar nicht vor- Spiel spaziert ein Astronaut durch sollen Maßnahmen getroffen wer- sein. Da Kunst und Kultur also we- Eine kürzlich vorgelegte Eurobaro- handen. Was mich persönlich als das antike Griechenland und stellt den, die in vielen Punkten den For- sentlich zum Reichtum Europas und meter-Erhebung belegt, dass fast Neuzeithistoriker besonders geär- sich verschiedenen Aufgaben. derungen aus dem Sektor und dem zur immer wichtiger werdenden Fin- drei Viertel aller EU-Bürgerinnen gert hat, ist, dass es Spiele zum Zwei- puk: Nach den hitzigen Debatten in Europäischen Parlament entspre- dung und Formulierung seiner Wer- und Bürger der Meinung sind, dass ten Weltkrieg gibt, in denen der der Vergangenheit zu den so genann- chen. te beitragen, wäre, so die Meinung Menschen mit einem anderen eth- Zweite Weltkrieg als ein Krieg wie je- ten Killerspielen – Stichwort: Ego der Autorin, der Kultursektor hier nischen, religiösen oder nationalen der andere daherkommt. Also ein Shooter – mündet die Diskussion in o soll eine Verbesserung der Be- also besonders zu fördern. Hintergrund das kulturelle Leben in sauberer, steriler Krieg, ohne Tötung der Öffentlichkeit und der Politik S dingungen für die Mobilität von Wie die Kulturagenda konkret ihrem Land bereichern. Gleichzeitig von Zivilisten in den Ostgebieten, nun in seichteres Fahrwasser ein. Künstlern und anderen Kulturschaf- umgesetzt werden wird, soll in der zeigt sie auch, dass die meisten Men- ohne Ermordung von Juden und Par- Hier ist eine gewisse Trendwende zu fenden erreicht werden, wobei man von der Kommission vorgeschlage- schen sich sowohl für die kulturelle tisanen. Vollkommen reduziert auf beobachten. Kulturstaatsminister natürlich davon ausgehen muss, nen und von den Ministern akzep- Vielfalt als auch für die Pflege ihrer strategische Fragen. Neumann hat gerade 300.000 Euro dass die Kulturminister diesbezüg- tierten Offenen Methode der Koor- eigenen kulturellen Wurzeln aus- puk: Haben Sie bei Ihren Untersu- jährlich für einen Computerspiele- lich mit ihren nationalen Counter- dinierung geprüft werden. Alle drei sprechen. chungen mehr nach dem großen preis ausgelobt und die große Koali- parts in den anderen Ministerien, die Jahre soll ein Bericht Aufschluss In der digitalen Welt sind in den Ganzen geschaut, wie dem Lehns- tion hat den Antrag in den Bundes- die Hoheit über Sozialversicherung, darüber geben, wie weit man auf vergangenen Monaten insbesondere wesen oder der Religion, oder haben tag eingebracht, dass pädagogisch Steuern und andere Themen haben, dem Weg zur Erreichung dieser Zie- zwei konkrete Schritte getan wor- Sie auch ins Detail geguckt und ge- wertvolle Computerspiele gefördert in engem Kontakt stehen und darauf le gekommen ist. Dem besonderen den. So geht der Aufbau der Europä- prüft: Stimmt die Kleidung im Spät- werden sollen. Gibt es Spiele, die Sie drängen werden, dass auch wirklich Charakter des kulturellen Sektors ischen Digitalen Bibliothek stetig mittelalter, stimmen die verwende- für diesen Preis vorschlagen wür- Fortschritte erzielt werden können. angemessen ist die Freiwilligkeit die- voran, die noch vor Ende 2008 als ten Münzen und wie verhält es sich den? Dies gilt auch für andere Schwer- ses Prozesses, dem sich die Mitglied- Prototyp vorgestellt werden soll. Sie mit der historischen Verbürgtheit Pöppinghege: Wie ich bereits sagte, punkte der Ratsentschließung, die staaten dort anschließen können, wo soll den direkten Zugriff auf des dargestellten Schifftypus? ist Geschichte in den Spielen immer etwa die Förderung des Kulturtouris- sie es für sinnvoll erachten. Hier soll- mindestens 2 Millionen Bücher, Kar- Pöppinghege: Mir scheint es gene- ein Aufhänger. So werden die Spiele mus, der Vielsprachigkeit und der te natürlich, meines Erachtens, ten und Fotos sowie Archivbestände rell nicht besonders sinnvoll zu prü- interessant gemacht, man sollte Digitalisierung fordert. Eine beson- Transparenz herrschen und es wäre und Filmmaterial ermöglichen. Un- fen, ob nun eine authentische Waffe allerdings nicht davon ausgehen, dere Herausforderung in dieser Hin- sicher wünschenswert, wenn die ter dem Vorsitz der Deutschen Nati- gebraucht wurde oder nicht. Bei ei- dass da historisches Wissen vermit- sicht wird die geforderte „Verzah- Staaten, die gemeinsame Bemühun- onalbibliothek hat sich eine Stiftung nigen Spielen haben sich Studenten telt wird. Im besten Fall wird zeitlo- nung mit der Bildung (insbesondere gen aus nationalen Erwägungen gegründet, die diese Initiative voran- des Seminars aber tatsächlich auch ses Wissen vermittelt. Zum Beispiel der Kunsterziehung)“ sein, da be- nicht mittragen wollen, ihre Grün- treibt. diese Feinheiten angesehen. Sie wie Marktwirtschaft funktioniert kanntermaßen nicht nur in Deutsch- de dafür so deutlich und nachvoll- Im November 2007 haben die stellten fest, dass es diesbezüglich und unter welchen Gesichtspunkten land vermutlich sofort die Frage ziehbar wie möglich machten. Mitgliedstaaten außerdem grünes durchaus noch Verbesserungspoten- eine Insel besiedelt werden kann. nach der zuständigen Ebene gestellt Am 4. Dezember ist der offizielle Licht für eine gemeinsame pro-akti- zial gibt. Falsche Waffen und falsche Bestimmte Produktionsketten müs- werden und die Forderung der Um- Startschuss für das Jahr des Interkul- ve Herangehensweise an das mobi- Kleidung findet man häufig. sen aufgebaut werden, die dortigen setzung von Subsidiarität laut wer- turellen Dialogs (http://www.inter- le Fernsehen in Europa gegeben, aus Besonders fällt auf, dass in früheren Arbeiter müssen zufrieden gestellt den wird. Der lange im Raum ste- culturaldialogue2008.eu/340.html? der sich nicht nur für Konsumenten, Zeiten die Menschen in den Spielen und ernährt werden, Rohstoffe gilt es hende Wunsch nach vergleichbarem L=1) gefallen , das in Deutschland fe- sondern auch für Kreative und Rund- alle völlig uniformiert daherkom- zu erlangen. Dieses „Wissen“ ist Daten- und statistischem Material derführend vom Ministerium für Fa- funkanstalten neue Möglichkeiten in men. Man sollte allerdings nicht nicht an eine bestimmte Epoche ge- wird von den Kulturministern aufge- milie, Senioren, Frauen und Jugend einem sehr dynamischen Markt er- denken, dass im Mittelalter alle bunden. Hier sind viele Spiele in ih- nommen. Das wird besonders wich- getragen und im Februar mit einer geben sollen. Menschen Uniform getragen haben. rem Setting austauschbar. tig sein, wenn man die ebenfalls er- großen Auftaktveranstaltung eröff- puk: Wie muss man sich die Arbeit puk: Würden Ihnen Computerspiele hobene Forderung nach „bestmög- net wird. Neben den acht als natio- Die Verfasserin ist Leiterin der EU- im Seminar vorzustellen? Saßen Sie einfallen, die Sie für einen Compu- licher Nutzung des Potenzials der nalem Projekt für die EU-Förderung Vertretung in Bonn EUROPA politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 40

Europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung Bewahrung kultureller Vielfalt ist vornehmste Aufgabe • Von Gerd Harms Der Rat der Europäischen Union für Erfolg einer Region. Dennoch darf Bildung, Kultur und Jugend hat am die Bedeutung der Kulturwirtschaft 16.11.2007 die Entschließung zur nicht überbetont werden. Kultur europäischen Kulturagenda verab- existiert ohne Kulturwirtschaft, Kul- schiedet. Grundlage ist der Vor- turwirtschaft aber nicht ohne Kultur. schlag der Europäischen Kommis- Es ist die Aufgabe der Kulturpolitik, sion vom 10. Mai d.J. (KOM (2007) die Bewahrung und Fortentwicklung 242 endg.). Die europäische Kultur- des kulturellen Erbes auf regionaler, agenda setzt sich vor allem die För- nationaler und m.E. auch auf euro- derung der kulturellen Vielfalt und päischer Ebene zu sichern und zu des interkulturellen Dialogs, die unterstützen. Förderung der Kultur als Katalysa- Art. 151 des EG-Vertrages weist tor für Kreativität im Rahmen der der europäischen Ebene im Bereich Lissabon-Strategie und als Be- der Kulturpolitik zurecht nur eine standteil der internationalen Bezie- eingeschränkte Rolle zu. Die Europä- hungen der EU zum Ziel. Kernaus- ische Kommission erkennt dies aus- sage ist die Hervorhebung, dass drücklich an. Der Ausschuss der Re- Europas Stärke die Einheit in der gionen hat in seiner Stellungnahme Vielfalt ist: „Aufgrund dieser Einheit (CdR 172/2007) auf der Basis meiner in der Vielfalt sind der Respekt der Berichterstattung ausdrücklich dar- kulturellen und sprachlichen Vielfalt auf hingewiesen. Während im Hin- und die Förderung des gemeinsa- blick auf die grundlegenden Ziele men kulturellen Erbes zentrale An- der Mitteilung und die Steigerung liegen des europäischen Projekts. der Bedeutung der Kulturpolitik gro- Im Angesicht der Globalisierung ßes Einvernehmen besteht, hegen kann darauf weniger denn je ver- einige Mitgliedstaaten und Regionen zichtet werden.“ Besorgnisse gegenüber der von der Europäischen Kommission in der ultur bestimmt maßgeblich die Mitteilung vorgeschlagenen Metho- KIdentität nicht nur der Völker, de der offenen Koordinierung. Der sondern eines jedes einzelnen Men- Ratsbeschluss zur Kulturagenda hat schen. Kultur ist lokal und regional nach intensiver Diskussion zwischen verwurzelt. Lebendige Kultur bedarf den Mitgliedstaaten (insbesondere Treffen der Mitglieder des Sprecherrates des Deutschen Kulturrates mit EU-Kultur-Kommissar Jan Figel. aber stets, um nicht zu erstarren auch Deutschland) und der Kom- Foto: Stefanie Ernst oder gar in Heimattümelei zu verfal- mission zur Einführung der Metho- len, der Auseinandersetzung und des de der offenen Koordinierung im ße etablierte Kulturorganisationen, tung, nicht zuletzt, weil innerhalb des wichtigsten Förderer und Organisa- Austausches mit anderen Kulturen. Kulturbereich einen Konsens gefun- sondern müssen auch für kleinere Kulturhauptstadtprozesses der Jahre toren kulturellen Lebens. Die kultu- Diesen Austausch hat es innerhalb den, der den Prinzipien der Subsidi- Einrichtungen vor Ort ohne einen 2007 bis 2011 Kultur als Motor und relle Vielfalt Europas, unser globales Europas stets gegeben: Gotik oder arität und der Freiwilligkeit Rech- großen Mitarbeiterstab und mit erst Ressource gesellschaftlicher Entwick- Alleinstellungsmerkmal, um in der Barock z.B. sind letztlich europäi- nung tragen soll. wenigen Erfahrungen im kulturellen lung verstanden und behandelt wird. Sprache der Ökonomen eine Anlei- sche Kunstphänomene, auch wenn Ich bin nicht davon überzeugt, Austausch zugänglich sein. Dafür ist Im Übrigen hat der Kultur-Minister- he zu nehmen, hat ihre Basis in den sie regional sehr unterschiedliche dass die Kulturpolitiken der Mit- es erforderlich, dass die Verfahren rat am 16.11. auch die Ernennung der Regionen unseres Kontinents. Die Ausprägungen erfahren haben. gliedstaaten und der Regionen der einfach und leicht zugänglich wer- Städte Turku (Finnland) und Tallinn Bewahrung dieser Vielfalt ist die vor- Kultur nimmt in dem europäi- Europäischen Union der Koordinie- den. Gerade im Kontakt mit der lo- (Estland) als Kulturhauptstädte für nehmste Aufgabe der Städte, Ge- schen Integrationsprozess eine zen- rung bedürfen. Was wir stattdessen kalen und regionalen Ebene, ist es 2011 beschlossen. meinden und Regionen. Die Kultur trale Rolle ein, gerade weil durch den brauchen, sind Scharniere und notwendig, unnötige administrative Kultur ist seit Menschengeden- Europas ist wie ein großes Mosaik, kulturellen Austausch zwischen den Drehscheiben, Kooperationsmecha- Belastungen und Berichtspflichten ken immer schon Motor für die Ent- dessen Teile unverzichtbar sind, die verschiedenen Teilen Europas ge- nismen zwischen unseren Kulturin- zu vermeiden. wicklung von Städten und Regionen. aber gemeinsam ein neues, vielfäl- meinsame Wurzeln, Werte und Über- stitutionen und Künstlern sowie un- Darüber hinaus sollte die Euro- Denn Kultur schließt nicht nur die tiges und atemberaubend attraktives zeugungen entstanden sind. Der Re- seren Öffentlichkeiten, und natür- päische Kommission einem der at- gemeinsame Verantwortung für das Bild ergeben. spekt für kulturelle, sprachliche, eth- lich mit jenen Teilen der Welt, die traktivsten europäischen Kulturpro- Kulturelle Erbe und die Bewahrung nische und religiöse Unterschiede ist nicht zur EU gehören. Dies ist es, was jekte, den Kulturhauptstädten Euro- guter Traditionen mit ein, sondern Der Verfasser ist Bevollmächtigter daher eines der Grundprinzipien, Artikel 151 des EG-Vertrages in pas, die strategische Bedeutung zu- bestimmt auch die Qualität der Betei- des Landes Brandenburg beim welches dem europäischen Integra- Übereinstimmung mit dem Subsidi- messen, die es verdient. Dieses Pro- ligungsprozesse selbst, sprich Verhal- Bund für Europaangelegenheiten tionsprozess zugrunde liegt. Europä- aritätsprinzip verlangt. Europäische gramm ist populär und gewinnt mit tens-, Kommunikations- und Denk- und Mitglied des Ausschusses ische Integration bedeutet daher Programme für kulturelle Zusam- den zunehmend national ausgetrage- weisen, und damit zukünftige Ergeb- der Regionen der Europäischen nicht die Beseitigung dieser Unter- menarbeit dürfen nicht nur für gro- nen Wettbewerben rasch an Bedeu- nisse. Städte und Regionen sind die Union schiede, sondern im Gegenteil die Stärkung dieser unterschiedlichen Identitäten durch Intensivierung der Zusammenarbeit und des gegensei- tigen Verständnisses zwischen den Auswärtige Kulturpolitik in der Diskussion Völkern Europas. Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Neujustierung der Auswärtigen Kulturpolitik • Von Kristin Bäßler In Zeiten der Globalisierung ge- winnt diese Form der Kulturpolitik, „Die Auswärtige Kultur- und Bil- Fakten und Daten auf den Tisch ge- Kulturpolitik abgefragt. Kritik an der Die lange Antwort der die auf die Stärkung der eigenen dungspolitik ist die dritte Säule der bracht werden müssen, um die AKP Bundesregierung äußert die Frakti- Bundesregierung Identität durch Kooperation und deutschen Außenpolitik. Wir wollen auf den Weg der Zukunft zu bringen? on Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Austausch setzt, zusätzliche Bedeu- den Dialog der Kulturen stärken und Da fragt man sich, warum denn nicht Anfrage an der Inkohärenz der kon- Im Januar 2007 legte die Bundesre- tung. Gerade im Austausch mit an- besonders durch Zusammenarbeit schon zwischen 1998-2005 konkrete zeptionellen Ausrichtung der Aus- gierung ihre 99-seitige Antwort vor. deren Kulturen der Welt erfahren wir im Bereich Forschung und Hoch- Schritte unternommen wurden, wärtigen Kulturarbeit. Dabei müsse Die Antwort der Bundesregierung unsere regionalen, nationalen und schule dauerhaftes Interesse an schließlich waren die Grünen Regie- gerade mit Blick auf Europa, so die macht deutlich, dass eine Vielzahl an unsere gemeinsamen europäischen Deutschland und Europa wecken. rungspartner und stellten sogar den Grünen, die Auswärtige Kulturpoli- Projekten, Initiativen und Einrich- Wurzeln immer stärker. Im Zeitalter Um die Effizienz unserer Auswärti- Außenminister? tik zum einen die kulturelle Vielfalt tungen mit der Weiterentwicklung globalisierter Wirtschaft und Medi- gen Kulturpolitik zu erhöhen, wol- Angesichts der Globalisierung und Europas stärken, zum anderen kul- der Auswärtigen Kulturpolitik be- en ist es umso wichtiger, unsere ei- len wir die Instrumente straffen, den zunehmenden Konfliktherden, turelle Gemeinsamkeiten herausstel- schäftigt sind und einen großen Teil gene Identität in all ihrer Vielfalt stärker vernetzen und ihre Qualität insbesondere im Nahen Osten, wur- len und befördern. Kritisiert wird zur Kulturvermittlung und zum Kul- wirksam zu vertreten. verbessern.“ So lauten die Verein- den ja bereits im Jahr 2000 die Ziele auch die fehlende Evaluation der turverständnis im Ausland bei- Viele Regionen in Europa haben barungen der CDU/CSU und SPD aus und Aufgaben der Auswärtigen Kul- bisher geleisteten Arbeit, die im Rah- tragen. Neben den großen Mittleror- angesichts struktureller Wandlungs- dem Koalitionsvertrag 2005. turpolitik überarbeitet und neu aus- men der „Konzeption 2000“ geplant ganisationen wie dem Goethe-Insti- prozesse die Kulturwirtschaft und gerichtet. Die in der „Konzeption war. Evaluiert werden sollten die tut, der Alexander von Humboldt- den Kulturtourismus als Wirtschafts- Was ist seitdem 2000“ vereinbarten Ziele scheinen Qualität, die Relevanz und die Nach- Stiftung und dem Institut für Aus- faktor entdeckt. Die Kulturwirtschaft geschehen? den Grünen nicht mehr zu reichen: haltigkeit der Programme der Aus- landsbeziehungen, sind vor allem ist einer der Wachstumsbereiche der Sie wollen eine Neujustierung der wärtigen Kulturpolitik. die Auslandschulen und der DAAD europäischen Wirtschaft. Deshalb ist ie Fraktion Bündnis 90/Die Auswärtigen Kulturpolitik. Als letzten Punkt kritisiert die Frak- zu nennen. Auch Kooperationen auf es richtig und wichtig, dass die Kom- D Grünen hat diese Bestrebun- tion in ihrer Anfrage die finanziel- europäischer Ebene oder Fachveran- missionsmitteilung auch den Bereich gen die letzten zwei Jahre intensiv Große Anfrage zur Auswär- len Unwägbarkeiten der Akteure der staltungen, wie die Konferenz „Men- der Kulturwirtschaft als Schwerpunkt verfolgt und kommt nun zu dem tigen Kulturpolitik Auswärtigen Kulturpolitik. Trotz der schen bewegen – Kultur und Bildung zur Erreichung der Lissabonziele Schluss: Der Bundestag braucht eine Bedeutung, die der Auswärtigen in der deutschen Außenpolitik“ im nennt. Aber über die Kulturwirtschaft Enquete-Kommission „Auswärtige Dieser Forderung vorausgegangen Kulturpolitik- und Bildungspolitik Oktober 2006, zeugen von dem akti- im engeren Sinne hinaus sind kultu- Kulturpolitik“, die eine Bestandsauf- ist eine Große Anfrage der Fraktion zugesprochen wird, ist die Mittel- ven Bemühen, der Auswärtigen Kul- relle Vielfalt und Attraktivität Voraus- nahme der gegenwärtigen Situation Bündnis 90/Die Grünen im Juli 2006 ausstattung in den letzten Jahren turpolitik ein schärferes Profil zu ver- setzung für Kreativität und Innovati- der Auswärtigen Kultur- und Bil- an die Bundesregierung zur Auswär- zurückgegangen und die Mittleror- leihen. In Hinblick auf den Vorwurf onsfähigkeit einer Region, wie Ri- dungspolitik erarbeitet, um daraus tigen Kulturpolitik. In 165 Fragen ganisationen, die einen Schwer- der Fraktion Bündnis 90/ Die Grü- chard Florida feststellt: Es sind Handlungsempfehlungen für eine wurden Themen wie konzeptionelle punkt der auswärtigen Kulturarbeit nen, dass bisher noch keine Evalu- Technologie, Talente und Toleranz, an die Herausforderungen der Zu- Grundlagen, institutionelle und or- vor Ort leisten, werden dazu ange- ierungen vorgelegt wurden, erklärt die erfolgreiche Regionen auszeich- kunft angepasste Auswärtige Kultur- ganisatorische Rahmenbedingun- halten, verstärkt Eigen- und Dritt- die Bundesregierung, dass in diesem nen. Kulturelle Vielfalt und Qualität politik abzuleiten. Ist die Auswärtige gen, Expertisen und Fachveranstal- mittel zu akquirieren, um ihre Ar- stärken diese Elemente und schaffen Kulturpolitik (AKP) in einem so desas- tungen, zukünftige Vorhaben und beit angemessen ausführen zu kön- Weiter auf Seite 41 wichtige Voraussetzungen für den trösen Zustand, dass erst einmal alle die Finanzierung der Auswärtigen nen. KULTURREGION politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 41

Bundestag debattiert. Wirklich etwas Fortsetzung von Seite 40 Neues herausgekommen ist dabei nicht. Während Uschi Eid dem Ple- Bereich ein langer Atem von Nöten, num noch einmal die wichtigsten „die Evaluierung des Mitteleinsatzes Punkte des Antrages zusammenfass- besonders schwierig und Erfolg te und die Notwendigkeit für eine allenfalls langfristig messbar sei.“ Enquete-Kommission des Deut- schen Bundestages für dieses Poli- Der Antrag zur tikfeld unterstrich, hob Peter Gau- weiler die bisherigen Erfolge der gro- Neujustierung ßen Koalition und deren Auswärti- Auf Grundlage des Berichtes der gen Kulturpolitik hervor. Lukrezia Bundesregierung hat die Fraktion Jochimsen versuchte in ihrem Rede- Bündnis 90/Die Grünen im Oktober beitrag konkret die Ziele der Auswär- 2007 einen Antrag zur Neujustierung tigen Kulturpolitik nach interkultu- der Auswärtigen Kulturpolitik vorge- reller Verständigung am Beispiel Af- legt. Die wichtigsten Punkte seien ghanistan deutlich zu machen und hier zusammengefasst: Harald Leibrecht von der FDP, der · Auswärtige Kultur und Bildungspo- seine Rede zu Protokoll gegeben hat- litik soll als Querschnittsaufgabe te, erklärte, dass es für die FDP von verstanden werden. Das gilt nicht Bedeutung sei, dass die Auslandskul- nur für die Ministerien, sondern turarbeit insbesondere in den Regi- auch die Vernetzung aller kulturpo- onen frühzeitig agiere, in denen sich litischen Akteure im Inland. Krisen abzeichnen, wie beispiels- · Die Arbeit der Auswärtigen Kultur- weise in Zentralasien. und Bildungspolitik soll auf ihre Einzig Monika Griefahn äußerte Qualität, Relevanz und Nachhaltig- sich kritisch gegenüber der Großen keit hin überprüft und transparent Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die gemacht werden. Grünen. Grund dafür sind die bereits · Die Stärkung der europäischen erhobenen Daten und Informatio- Identität und Integration soll „vor- nen zur Auswärtigen Kulturpolitik, dringliches Anliegen der deutschen die durch den Unterausschuss Aus- Auswärtigen Kulturpolitik“ sein. wärtige Kultur- und Bildungspolitik Bei der Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung diskutierten Ende März 2007 Dr. Uschi Eid (MdB, Bündnis 90/Die Dafür sei es notwendig, gemeinsa- bereits zur Verfügung gestellt wur- Grünen), Dr. Kurt-Jürgen Maaß (Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa)) und Prof. Volker Rittber- me Strukturen und Programme mit den. „Manchmal hat es ein bisschen ger (Lehrstuhl für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübringen) (v.l.n.r. ) europäischen Partnern ins Leben an Beschäftigungstherapie für unse- Foto: Stefanie Ernst zu rufen. Ziel ist die Entwicklung ei- re Mittlerorganisationen erinnert, ner europäischen Auswärtigen Kul- die in der Zeit Unterlagen zusam- 42,5 Millionen Euro, die Erhöhung politischen und globalen Verände- Prozent, die in die Reform des Goe- turpolitik, unter Wahrung des Sub- mentragen mussten, in der sie ei- der Partnerschulen auf 1000 in den rungen anpassen. Dabei müssen bei the-Instituts, in das Netz der deut- sidaritätsprinzips (Artikel 151 gentlich hätten arbeiten müssen, um kommenden Jahren, insbesondere der Auslandskulturarbeit innerhalb schen Schulen im Ausland und in EGV). die Konzepte umzusetzen, die wir in Asien und dem Nahen und Mitt- Europas andere Schwerpunkte ge- ein eigenes Programm zugunsten · Neben der Fortführung der Kultur- schon beschlossen haben, und zwar leren Osten. Grundsätzlich solle setzt werden als im Nahen Osten der Kultur- und Bildungsarbeit mit arbeit innerhalb Europas soll sich einvernehmlich“. Darüber hinaus man, so Griefahn, die konkreten Ak- oder aber in den USA. Es wird dar- Afrika investiert werden sollen. Nun diese zum einen verstärkt auf den kritisierte sie die Forderung nach ei- tivitäten des Auswärtigen Amtes un- auf ankommen für diese komplexen gilt es, konkret an die Arbeit zu ge- afrikanischen Kontinent beziehen, ner weiteren Evaluation der Auswär- terstützen und die kommende Arbeit Vorgänge ein scharfes Profil der hen. zum anderen sollen dem Dialog tigen Kulturarbeit aus zwei Gründen: weniger auf Berichte und Evaluatio- Auswärtigen Kulturpolitik heraus- Ob dafür eine Enquete-Kommissi- mit den USA neue Impulse verlie- Zum einen gebe es bereits Evaluati- nen beschränken. zuarbeiten. Ein Schritt in die richti- on „Auswärtige Kulturpolitik“ von hen werden. onen in dem Bereich der Mittleror- ge Richtung ist gemacht: Für 2008 Nöten ist, wird der Bundestag ent- ganisationen, zum anderen solle Die Zukunft: Reden kann das Auswärtige Amt eine Etat- scheiden müssen. Die Debatte Die Bundestagsdebatte zur man nicht einem „Evaluationswahn“ oder machen? erhöhung von insgesamt fast einer darüber ist noch nicht zu Ende. Neujustierung verfallen – dieser sei zu teuer. Ab- Millionen Euro verzeichnen. Damit schließend skizzierte sie die bereits Und wie ist das Ende vom Lied? Aus- erhöhen sich die Mittel für die Aus- Die Verfasserin ist wissenschaftliche Zwei Tage später, also am 12. Okto- festgesteckten Projekte, wie die Ver- wärtige Kulturpolitik muss sich, wie wärtige Kultur- und Bildungspolitik Mitarbeiterin des Deutschen ber 2007, wurde dieser Antrag im stärkung der Auslandschulen mit andere Politikfelder auch, stetig den im kommenden Jahr um rund 15 Kulturrates Hightech trifft Lebensart Regionale Kulturarbeit in der TechnologieRegion Karlsruhe GbR • von Gerd Hager und Volkmar Baumgärtner „Wir möchten Ihnen zeigen, warum dert: Das Ganze wird ohne eigenes die Region so erfolgreich ist“, Personal und mit einem vergleichs- schreibt Chefredakteur Andreas weise kleinen Jahresbudget reali- Hallaschka in seinem Editorial im siert. Inzwischen zählt das freiwilli- MERIAN extra über die Technologie- ge Aktionsbündnis 14 Gesellschafter: Region Karlsruhe. Und dass es sich drei Landkreise, zehn Städte und der in „unserer Region sehr gut leben Regionalverband Mittlerer Ober- lässt“ haben rund 83 Prozent der rhein. „Schon bei der Gründung vor Befragten bei der bundesweiten On- zwanzig Jahren war klar, dass wir uns line-Umfrage „Perspektive–Deutsch- nicht nur auf die harten Standortfak- land“ bestätigt. Mit diesem Ergebnis toren konzentrieren können. Denn hat die Region Mittlerer Oberrhein Wirtschaft und Kultur, das sind für sogar Platz eins unter den so genann- uns zwei Seiten einer Medaille“, be- ten Agglomerationsräumen belegt. tonte Josef Offele, Mitbegründer und Außenstehende mag das überra- Vorsitzender der Kulturkonferenz schen, zumal der Markenname „Tech- der TechnologieRegion Karlsruhe bei nologieRegion Karlsruhe“ nicht gera- den Feierlichkeiten zur 25. Kultur- de Urlaubsgefühle vermittelt oder konferenz. In diesem Gremium ver- Kulturgenuss vermuten lässt. Aber sammeln sich Führungspersönlich- das war von den Gründungsvätern keiten der regionalen Kultur- und und Namensgebern, den Oberbürger- Medienszene halbjährlich zum meistern und Landräten, im Jahr Ideen- und Erfahrungsaustausch. 1987 auch nicht beabsichtigt. Viel- Ihre rund 30 Mitglieder verstehen mehr sollte der Name das Wirt- sich als politisch-strategisches Bera- schafts- und Forschungsprofil der tungsgremium der Gesellschafter Region abbilden, in der die Menschen bei Kulturangelegenheiten. Und aus Tradition dem Fortschritt zuge- wenn es um die kulturpolitische In- wandt sind. Carl Benz, Ferdinand teressenvertretung geht, erhebt die Braun, Heinrich Hertz und August Kulturkonferenz auch selbst die Thyssen gehören zu den Technikpio- Stimme für die KulturRegion Karls- nieren aus der Region. Mit ihrer frisch ruhe. gekürten Exzellenzuniversität und der Apropos KulturRegion: In ihrer Gründung des Karlsruhe Institute of laufenden Dachmarkenkampagne Technology (KIT) schreibt die Wis- präsentiert sich die TechnologieRe- Ronald Genswaider, „evolvr“, 2007, Interaktive Installation © Screenshot Ronald Genswaider sens- und Forschungsregion gerade gion Karlsruhe mit drei Basisprofi- ihre Erfolgsgeschichte fort. len: Als „WirtschaftsRegion“, „For- unser Hauptaugenmerk jedoch auf Leiterinnen und Leiter der Kultur- in ihren jeweiligen Städten und schungsRegion“ und als „KulturRe- konkrete, regionale Projekte. Erst ämter und Kulturabteilungen der 13 Landkreisen. Ein wichtiges Auswahl- ie Gesellschaft TechnologieRe- gion“. Auch damit wird deutlich, durch die interkommunale Zusam- beteiligten Gebietskörperschaften. kriterium war übrigens die umwelt- D gion Karlsruhe flankiert diese dass der Kultursektor eine der tra- menarbeit wird der Begriff KulturRe- An ein paar Beispielen möchten wir freundliche Erreichbarkeit der „Kul- Entwicklung unter anderem mit genden Säulen der Region ist und gion mit Leben erfüllt. Die tragende die Art der Kooperation aufzeigen. turstätten“ mit der Stadtbahn oder Standortmarketing, Öffentlichkeits- wesentlich zur Lebensqualität bei- Rolle spielt dabei der Arbeitskreis Mit ihrem Taschenbuch „Ausflüge in arbeit, Netzwerkbildung und Pro- trägt. Getreu dem Motto „Taten spre- Kultur der TechnologieRegion Karls- die Kulturregion“ beschreiben sie Weiter auf Seite 42 jektmanagement. Was viele verwun- chen lauter als Worte“, richtet sich ruhe. In ihm versammeln sich die die kulturellen Sehenswürdigkeiten KULTURREGION politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 42

Auch ohne eigenes Personal und mit Fortsetzung von Seite 41 einem kleinen Kulturbudget lässt sich in der Region für die Region etwas Hightech trifft Lebensart bewegen und gestalten. Die Stich- worte heißen Projektarbeit, Koopera- zu Fuß. Der Ausflugsführer bietet tion und Motivation. Regionale Kul- auch den kleineren Orten die Chan- turprojekte haben den Vorteil, dass ce, überörtlich wahrgenommen zu sie zeitlich und finanziell überschau- werden. In vielen Fällen fehlen die- bar sind und konkrete, vorzeigbare sen Gemeinden die kritische Masse Ergebnisse liefern. Das motiviert an kulturellen Sehenswürdigkeiten nicht nur die Projektpartner, sondern und die Mittel für eine solche Publi- ebenso die Gesellschafter und Geld- kation. Darin kann der größte Mehr- geber. Organisations- und Arbeits- wert für die KulturRegion gesehen strukturen werden je nach Bedarf fle- werden. Unter diesem Vorzeichen xibel den Aufgaben angepasst. Ohne steht auch die „Regionalisierung“ die Mitwirkung der kommunalen von guten Ideen und Projekten. Zum Kulturabteilungen und -institutionen Beispiel hat das Kulturamt der Stadt ginge es jedoch nicht. Die Mitglieder Karlsruhe ein Jahresprogramm zum des Arbeitskreises Kultur und der Kul- 250. Geburtstag von W.A. Mozart zu- turkonferenz steuern ihre Arbeitszeit sammengestellt. Spontan sind wei- und ihr Wissen bei, und das, obwohl tere Partner aus der Region mit Ver- der öffentlich finanzierte Kulturbe- anstaltungen „aufgesprungen“. reich nicht selten durch Ressourcen- Dafür hat sich TechnologieRegion knappheit gekennzeichnet ist. Die Karlsruhe an den erhöhten Druck- Koordination und Vernetzung der kosten des Programmheftes und der Akteure und der Aktivitäten leistet die Werbung beteiligt. Geschäftsführung der Technologie- Ein Dauerthema im Arbeitskreis Region Karlsruhe ehrenamtlich. Bei Kultur ist die Nachwuchsarbeit im umfangreicheren Projekten verstärkt Kulturbereich. Dazu gehört die Ver- sich die Geschäftsleitung durch exter- bindung von kommunaler Kulturar- ne Dienstleistungsunternehmen. beit und Schulbildung. Eine weitere Nach diesem Rezept funktioniert Publikation widmet sich deshalb den zum Beispiel der alljährliche Regio- Kultur- und Freizeitangeboten für naltag der TechnologieRegion Karls- ZKM_YOUniverse in Second Life. Der Karlsruher Kreis: SL_Avatare, BorisGroys_Oh, PeterWeibel_Oh, BeatWyss_Boa, Kleinkinder und Kinder. Im Taschen- ruhe, der seit dem Jahr 2003 mit wech- Peter Sloterdijk_Voom, WolfgangRihm_Voom (v.l.n.r). © Screenshot The Slatelliterates buch „Abenteuerspielplatz Kultur“ selnden Schwerpunktthemen stattfin- werden über 90 Institutionen und In- det. Unter dem Motto „KulturReich: itiativen vorgestellt, vom Auenklas- entdecken – erleben – mitmachen“ senzimmer am Rhein über die Gum- wurden am 26. September 2004 über mibärchenkonzerte der Philharmo- 200 Veranstaltungen an 30 Orten in der nie und der Kinderkunstwerkstatt im Region angeboten. Nach vorsichtigen neuen Museum Frieder Burda in Ba- Schätzungen waren etwa 30.000 Besu- den-Baden, bis hin zum Zirkusunter- cher unterwegs. Die Kosten für eine richt beim Circus Odini im Kraichgau. Eventagentur, die überörtlichen Wer- Ein schönes Beispiel für die bemaßnahmen und die Öffentlich- grenzüberschreitende, interdiszipli- keitsarbeit haben etwa zur Hälfte näre Zusammenarbeit bietet das Sponsoren aus der Region übernom- jüngste Druckerzeugnis aus der Kul- men. Der Regionaltag wird von Veran- turRegion Karlsruhe. Das Heft wid- staltern und Projektpartnern immer met sich den Literaturschauplätzen wieder als „best practice“ genannt, in der TechnologieRegion Karlsruhe wenn es um die Themen Binnenmar- und ihren linksrheinischen Nach- keting oder die Stärkung der regiona- barregionen Südpfalz und Nordel- len Identität geht. In der Bevölkerung sass, die gemeinsam auch als grenz- gewinnt die Region damit im wahrs- übergreifende Regio PAMINA agie- ten Sinn des Wortes an Boden. Die ren. Neben einem Druckkostenzu- KulturRegion bekommt Gehalt und schuss und organisatorischer Unter- Gestalt. Die Marke TechnologieRegi- stützung hat die regionale ADAC- on Karlsruhe erscheint dabei am Bild- Geschäftsstelle ihre Werbe- und Ver- rand und signalisiert das laufende Pro- triebsmöglichkeiten in den „Projekt- gramm: „Hightech trifft Lebensart“. topf“ eingebracht. Die literaturge- schichtlichen Zutaten stammen von Die Verfasser sind innerhalb der der Literarischen Gesellschaft in Geschäftsführung der Technologie- Karlsruhe, einem Mitglied der bereits Region Karlsruhe für die Bereiche erwähnten Kulturkonferenz. Mit ei- Kultur, Tourismus, Umwelt, Raum- nem Zuschuss aus dem Kulturbudget ordnung, Planung und Infrastruk- der TechnologieRegion Karlsruhe tur zuständig. (Weitere Informatio- wurde das Werk schließlich „servier- nen unter www.technologieregion- fertig“. karlsruhe.de) David Link, »CHORUS 1.0«, 2005. © Foto: David Link

Besteuerung ausländischer Künstler unkompliziert regeln! Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur beschränkten Steuerpflicht ausländischer Künstlerinnen und Künstler

Berlin, den 05.12.2007. Im Jahr Diese Reform hat sich in der Praxis päischen Gerichtshof entschiedenen · in Anlehnung an das niederländische · die Bundesregierung möge sich auf 2001 wurde die Besteuerung von bewährt. Verfahren, das bestehende System der Modell der Besteuerung ausländi- der europäischen Ebene einsetzen, Künstlern, die ihren Wohnsitz im Aus- Besteuerung ausländischer Künstler, scher Künstler, sollen Künstler aus dass in den Mitgliedsstaaten einfa- land haben und in Deutschland auf- Nach wie vor bestehen aber Probleme die in Deutschland auftreten, zu refor- Staaten, mit denen ein Doppelbesteu- che und durchschaubare Systeme treten, reformiert. Es war das vordring- in der Besteuerung ausländischer mieren. erungsabkommen besteht, künftig die der Besteuerung ausländischer liche Ziel dieser Reform, den so ge- Künstlerinnen und Künstler. Dabei han- Einkommenssteuer in ihrem Wohn- Künstler eingeführt werden, um so nannten kleinen Kulturaustausch zu delt es sich vor allem um das Problem, Ziel der Reform muss ein verständli- sitzland zahlen. Die Besteuerung im die Mobilität von Künstlern zu för- fördern. Konkret sollten Künstler, die ob Betriebs- und Werbekosten der ches und praktikables System sein. Wohnsitzland kann durch ein Kontroll- dern. kleinere Gagen erhalten, entlastet Künstler an der Quelle berücksichtigt Das neue System muss mit dem eu- meldeverfahren sichergestellt werden. werden. Ausländische Künstler, die in werden können. Der deutsche Gesetz- ropäischen Recht vereinbar sein. Ein Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens · so lange noch keine grundlegende Deutschland auftreten und bis zu geber hat zwar auf dem Erlassweg eine weiterer Schwerpunkt muss auch hier wäre eine erhebliche Verwaltungsver- gesetzliche Änderung der Besteuerung 250,– Euro pro Veranstaltungstag Ver- Reihe von Ausnahmen vorgesehen, die- der Abbau von Bürokratie sein. Es einfachung. künstlerischer Künstlerinnen und gütung erhalten, müssen seither kei- se sind aber für den Steuerpflichtigen geht nicht um Steuerersparnis, son- Künstler realisiert werden kann, auf ne Einkommenssteuer zahlen. Künst- schwer durchschaubar und ohne Hilfe dern um eine geeignete Form der · Künstler aus Staaten, mit denen kein dem Verordnungsweg in Deutschland ler mit einer Vergütung zwischen von Beratern nicht anwendbar. Auch für Besteuerung und nicht zuletzt um die Doppelbesteuerungsabkommen be- Zwischenlösungen gefunden werden, 250,– bis 500,– Euro pro Veranstal- die Steuerbehörden führt dies zu einem Erleichterung des Kulturaustauschs. steht – dieses trifft nur auf wenige Fälle die sicherstellen, dass ausländische tungstag 10 Prozent Steuern, zwi- unverhältnismäßigen Aufwand. Die verstärkte Mobilität von Künstle- zu –, sollen die Kosten für ihren Auf- Künstler, die in einem Land mit dem schen 500,– bis 1.000 Euro 15 Pro- rinnen und Künstlern dient der kultu- tritt in Deutschland vollständig abzie- ein Doppelbesteuerungsabkommen zent Steuern und über 1.000 Euro 20 Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenver- rellen Vielfalt. hen können. Damit können langwieri- besteht, Pauschalsteuer zahlen, die- Prozent Steuern auf die gesamten band der Bundeskulturverbände, for- ge Erstattungsverfahren und zusätzli- se von der Steuerschuld in ihrem Einnahmen. dert auch mit Blick auf die vom Euro- Der Deutsche Kulturrat fordert daher: che Bürokratie vermieden werden. Wohnsitzland abziehen können. DAS INTERVIEW politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 43

Evolution in Aktion zeigen: Das Naturkundemuseum Berlin Olaf Zimmermann im Gespräch mit dem Direktor des Naturkundemuseums Berlin Reinhold Leinfelder puk: Herr Professor Leinfelder, Ihr Museum ist vor kurzem, nach einer Teilschließung wegen eines umfang- reichen Umbaues, wieder eröffnet worden. Es ist ein ungewöhnliches Museum. Eines, das stets die Ent- wicklung des Lebens in all seinen Fassetten aufgezeigt hat. Aber jetzt, finde ich, haben sie die Evolutions- biologie noch mehr in den Mittel- punkt bei der Präsentation gerückt. So klar, so deutlich, so unmittelbar – auch pädagogisch – ist es vorher ei- gentlich nicht zu sehen gewesen. Warum? Reinhold Leinfelder: Das Museum hatte sich immer schon zur Aufgabe gemacht, Natur darzustellen und näher zu bringen und dazu die ent- sprechenden Objekte zu präsentie- ren. Allerdings hat man sich häufig gescheut, vielleicht weil man wis- senschaftlich noch nicht so weit war, die größeren Zusammenhänge zu schildern. Das Thema Evolution zieht sich durch viele Naturkunde- museen hindurch, häufig allerdings bleibt es bei einer deskriptiven Dar- stellung. Unser Museum zeichnet aus, dass wir uns nun auch an die Prozesse der Evolution herangewagt haben und diese so darstellen, dass man sie verstehen kann. Auf den Punkt gebracht lautet unser neues Konzept: Evolution in Aktion zeigen. Biodiversitätswand-Vögel: Die Vielfalt des Lebens – Dermoplastiken von Vögeln im Ausstellungssaal. Foto: Carola Radke Zudem haben wir vom didaktischen Konzept her die Ausstellung so ge- ist, die über eine der größten wissen- virtuelle Welt eintauchen. Danach lungsgeschwindigkeiten und auch Rätseln der Naturwissenschaften ge- staltet, wie Forschung im besten Fall schaftlichen Sammlungen in diesem kehrt er wieder zurück in den – blei- komplexe Organe wie das Auge las- hört. Und dort sehen viele natürlich funktionieren sollte. Der Besucher Bereich verfügen. Mit unseren drei- ben wir bei den Dinosauriern – wis- sen sich auf viele Zwischenschritte auch mystische oder unlösbare be- geht nicht von Vitrine eins zu Vitri- ßig Millionen Objekten gehören wir senschaftlichen Jurassic Park. Beun- zurückführen. Der Denkfehler ist ziehungsweise mit wissenschaftli- ne zwei und so weiter; vielmehr soll zu den fünf Größten der Welt. Zum ruhigend ist natürlich, dass der so häufig der, dass man fragt: Wie kann chen Methoden unlösbare Proble- er neugierig gemacht werden. Wir anderen beobachten wir, dass die genannte Kreationismus in Deutsch- denn ein so komplexes Organ aus so me. Ich warne genauso davor, mit zwingen ihn nicht auf einen Rund- Wissenschaftsfeindlichkeit wieder land und auch in Europa nicht nur vielen Einzelteilen zusammenge- Naturwissenschaften alles erklären gang, sondern er soll selbst auf Ent- zunimmt. Dafür gibt es sicherlich latent vorhanden ist, sondern durch- setzt sein und erst hinterher Sinn zu wollen. deckungsreise gehen. Die Neugier verschiedenste Ursachen. Eine we- aus eine ernst zu nehmende Bewe- machen? Die Wahrscheinlichkeiten puk: Was ich spannend finde, ist, versuchen wir über die Authentizi- sentliche Ursache ist, dass man der gung darstellt. Zwar ist meines Er- sind doch so gering, dass so was pas- dass Sie nicht zu den fundamenta- tät unserer Objekte zu wecken, aber Wissenschaft so viel glauben muss, achtens dieser keine tatsächliche sieren könnte. Aber darin ist ein listischen Wissenschaftlern zählen, auch über viele kleine Dinge, die da die Fakten nicht immer entspre- Bedrohung für die Fortschritte der Denkfehler enthalten. Denn alle die Religion grundsätzlich in Abre- man entdecken kann. Und wenn der chend gezeigt werden. Bei Interpre- Wissenschaften, aber die Akzeptanz Zwischenschritte waren ebenfalls de stellen, sondern dass Sie sagen: Besucher dann fasziniert und neu- tationen wird häufig nicht differen- der Wissenschaft gerät dadurch funktionell. Sonst wären sie sofort Das sind zwei verschiedene Welten, gierig ist, stellt sich automatisch die ziert, ob sie zu einer fundierten The- doch deutlich unter Druck. Wir ha- wieder ausselektiert worden. Es gibt in denen man sich bewegt und die Frage: Wie kann es denn zu so einem orie gehören oder eher im hypothe- ben keine Ausstellung gegen Krea- also laufend einen Funktionswech- ganz unterschiedliche Gedankenge- Saurier gekommen sein? Warum tischen Sinn zu verstehen sind. Ein tionismus gemacht, vielmehr lassen sel bei diesen zunehmend komple- bäude aufweisen. Dann wäre es sind denn die Vögel so vielfältig etc.? Museum kann doch wunderbar zei- wir die Fakten sprechen. Und das ist xeren Strukturen. Außerdem verste- doch eigentlich umso richtiger die- Und dann kann er selbst versuchen gen, welche wissenschaftlichen Indi- die beste Art und Weise, sich gegen hen wir heute durch die Molekular- se beiden Welten enger zusammen- einzutauchen und er wird sich zien vorhanden sind. Denn das sind Pseudowissenschaften zu positio- biologie sehr viel besser, wie modu- arbeiten müsste. Ist Ihr Haus so ein immer kleine Ergebnisse erarbeiten nun mal eben jene Originale, die wir nieren. lar auch die Evolutionsprozesse auf- richtiger Ort einer engen Zusam- können, die dann wieder ins große in Form der Originaldinosaurier puk: Der Darwinismus zum Beispiel gebaut sind, dass es Steuerungsge- menarbeit? Ganze passen: Das bedeutet Evolu- oder in Form der 3000 Objekte aus ist eine Theorie, die sich natürlich ne gibt und andere, früher unbe- Leinfelder: Ich denke ja und damit tion in Aktion erleben. unseren Sammlungen in der „Wand auch immer wieder neu beweisen kannte Mechanismen. Es gibt natür- haben selbstverständlich auch schon puk: Gibt es denn dafür eine beson- der Artenvielfalt“ zeigen. Das war muss. Anhand der Fakten sagen die lich viele offene Fragen der Evoluti- begonnen. Selbst in den Ausstellun- dere Notwendigkeit? Bedeutet dass, uns sehr wichtig. Hier ganz klar zu Kritiker der Evolutionsbiologie, des onstheorie oder Abläufe, über die gen stellen wir ja der Wand der bio- dass Sie die Evolutionsbiologie als sagen: Das sind die Fakten. Wir ge- Darwinismus, es gäbe zu große Lü- wir noch nicht genügend Bescheid logischen Vielfalt eine Wand der Wissenschaft in Gefahr sehen? Wird hen aber auch in den Ausstellungen cken. Es gibt vieles, was man noch wissen. So ist es in jeder Wissen- geistigen Vielfalt gegenüber, was zu sie in Frage gestellt? teilweise darüber hinaus, machen nicht abschließend erklären kann, schaft. Es wäre keine Wissenschaft, sehr guten Diskussionen führen Leinfelder: Durchaus. Für dieses auch komplette, teils hypothetische wie bestimmte Sprünge in der Evo- wenn wir alle Fragen beantworten neue Konzept gab es verschiedene Rekonstruktionen, etwa der Dino- lution. Ein prägnantes Beispiele: Wie könnten. Aus jeder Antwort ergeben Gründe. Zum einen wollten wir ver- saurier. Da muss sich aber der Besu- soll das Auge entstanden sein? Das sich zwangsläufig neue Fragen. Die Weiter auf Seite 44 deutlichen, dass dieses Haus vor al- cher förmlich aus der Ausstellung könnte man evolutionsbiologisch müssen wir aber mit wissenschaftli- lem auch eine Forschungsinstitution wieder herausnehmen und in eine gar nicht erklären. Da muss es einen chen Methoden untersuchen. Schöpfungsakt gegeben haben. puk: Gehen wir mal ganz an den An- Naturkundemuseum Berlin Schließen Sie das aus? fang der Entwicklung zurück. Irgend- Zwischen dem Zeitpunkt des Inter- Prof. Dr. Reinhold Leinfelder Leinfelder: In dieser Weise schließe wann hat alles begonnen. Bei der views und Drucklegung erfolgten noch ich das selbstverständlich aus. Der Evolutionstheorie ist es aber irgend- zwei wesentliche Entscheidungen, die · geboren 1957 in Augsburg Begriff der Theorie ist im deutschen wann einfach da gewesen. Wie geht die nationale Bedeutung des Muse- · 1980: Diplomabschluss in Geologie und Paläontologie an der Ludwig-Maxi- Sprachgebrauch auch etwas schwer die Wissenschaft damit um, dass es ums weiter unterstreichen. Die Bund- milians-Universität München vermittelbar. Wir interpretieren ja ja irgendwann begonnen haben Länderkommission beschloss in ihrer · 1981 bis 1989: Doktorand und Assistenz-Professor am Institut für Geowis- nicht Dinge, wie sie theoretisch sein muss? Mit irgendetwas muss es be- Sitzung vom 19.11.2007 die Aufnah- senschaften (Paläontologie) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz könnten. Sondern Theorie bedeutet, gonnen haben. Kann man all das wis- me des Berliner Naturkundemuse- · 1989: Habilitation in den Fächern Geologie und Paläontologie an der Univer- dass wir Fakten haben, ähnlich wie senschaftlich überhaupt abschlie- ums in die Leibniz-Gemeinschaft sität Mainz bei einem Kriminalfall, die so hinrei- ßend erklären? Oder gibt es diesen (WGL) ab Januar 2009. Bereits ab · 1989 bis 1998 Universitätsprofessor für Geologie und Paläontologie am chend beweisfähig sind, dass sie die mystischen Rest, der auch von der Januar 2008 wird das Museum as- Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Stuttgart bestmögliche Erklärung um diese Wissenschaft akzeptiert würde? soziiertes Mitglied der WGL sein. Leib- · Oktober 1998 bis Dezember 2005: Professor am Lehrstuhl für Paläontolo- Fakten in einem kohärenten Bild zu- Leinfelder: Es gab immer wieder niz-Institute bearbeiten gesamtgesell- gie und historische Geologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sammenbringt. Keiner hat je Elektro- eine Tendenz, Gott als Behelf für of- schaftlich relevante Fragestellungen · Direktor des Instituts für Paläontologie und historische Geologie an der Lud- nen gesehen oder die Schwerkraft di- fene Fragen zu nehmen. Das ist mei- strategisch und themenorientiert. Sie wig-Maximilians-Universität München rekt anfassen können. Auch das sind nes Erachtens, und so sehen es auch legen neben der Forschung großen · August 2003 bis Dezember 2005:Generaldirektor der Staatlichen Natur- alles Theorien, die wir aber täglich am Theologen, ein falsches Verständnis Wert auf wissenschaftliche Dienstleis- wissenschaftlichen Sammlungen Bayerns eigenen Leib fühlen können und so von Religion. Es würde die Religion tungen sowie Wissenstransfer in Rich- · Seit Januar 2006: Generaldirektor und Professor des Naturkundemuseums ist es eben auch mit der Evolutions- beschädigen, Gott als Lückenbüßer tung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft an der Humboldt Universität zu Berlin theorie. Es gibt verschiedene Strö- für offene Fragen zu nehmen. Reli- und Öffentlichkeit. Leibniz-Institute · Seit Juli 2006: Mitglied des Vorstandes des „Interdisziplinären Zentrums mungen innerhalb der Kreationisten gion bewegt sich auf einer vollkom- werden gemeinsam von Bund und für Genetische Variabilität und Anpassungsfähigkeit“ an der Humboldt-Uni- und es gibt eine größere Gruppe, die men anderen Ebene, sie ist nicht mit Ländern finanziert. Am 28. Novem- versität. sich auch gelegentlich Intelligent- naturwissenschaftlichen Methoden ber überbrachte die Bundeskanzlerin · Seit Januar 2007: Vorstandsmitglied des Landesmuseumsverband Berlin Design-Theoretiker nennt, die dann zu greifen. Aber, ich kann durchaus dem Museum persönlich Glückwün- gewisse Evolutionsprozesse zulassen. nachvollziehen, dass das, was man sche zur Aufnahme und übernahm die Prof. Leinfelder ist u.a. Mitglied bei der Geologischen Vereinigung, der Interna- Man fragt sich dann natürlich auch: als Urknall so gerne zusammenfasst Ehrenpatenschaft für ein Steinadler- tional Association of Sedimentologists und der Paläontologischen Gesellschaft. Warum gerade die und andere nicht? – aus dem Nichts ist plötzlich etwas Exemplar aus der Uckermark. Es gibt unterschiedliche Entwick- da –, dass das zu den ganz großen DAS INTERVIEW politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 44

mehr nur unterstreichen. Diese Er- leitung von Wissenschaftlern an Mi- handen sein. Aber auch in den Aus- ses. Wir sind hier auf gutem Wege. Fortsetzung von Seite 43 kenntnis darf keinesfalls weiter zu- kroskopen und erhalten die Mög- stellungen, so hoffe ich, kommt Der zerbombte Ostflügel, einer der rückgefahren werden. lichkeit, mit diesen zu diskutieren rüber, dass die Faszination für die letzten großen Kriegsruinen in Ber- Interview mit Leinfelder Um noch mal auf die scheinbare und nachzufragen. Auch das Ange- Naturwissenschaften auch mittels lin, wird derzeit für 30 Millionen mit Konfrontation zwischen Religion bot Kindergeburtstage hier zu veran- ästhetischer Mittel zu erreichen ver- einer gemischten Finanzierung kann und soll. Über den Besuch von und Naturwissenschaften zurückzu- stalten, ist ein Jahr im voraus ausge- sucht wird. So setzen wir zum Bei- durch Bund und Land aufgebaut. Bischof Huber hier in den Ausstel- kommen: Es gab ja in den Medien bucht. Dabei geht es immer darum, spiel auch hier auf akustische Ele- Dann wird eine der weltgrößten so lungen haben wir uns sehr gefreut. eine Diskussion, ob die Schöpfungs- einen Bezug zu Wissenschaften zu mente, wenn etwa die Darwinbüste genannten Nasssammlungen, das Ebenso über seine Äußerung, dass geschichte Teil des Biologieunter- bekommen. Die Teilnehmer sollen zu den Besuchern spricht. Und dies sind Sammlungen, in denen Tiere in eben dieser Dialog wichtig ist. Er teilt richts sein soll oder nicht. Ich wün- begreifen, dass es nicht ausschließ- auf biologischem Wege, bei dem die Alkohol konserviert werden, nun die Auffassung, dass die Naturwis- sche mir durchaus fachübergreifen- lich darum geht, komplizierte Pro- Akustikübermittlung über die Ober- sehr zukunftssicher aufbewahrt wer- senschaften über Prozesse berichten de Projekte, die auch diese Proble- zesse in Gänze zu verstehen, son- armknochen des Besuchers funktio- den. Und so hoffe ich, dass wir können, aber keinen Sinn des Le- matik oder besser gesagt die unter- dern dass man sieht, Wissenschaft, niert. Ein anderes Beispiel wären die schrittweise auch den Rest des Ge- bens zwingend daraus destillieren schiedliche Positionierung und die Naturwissenschaften, biologische Höhlenzikaden, die wir zirpen las- bäudes nun noch weiter restaurieren können. Der Dialog ist uns wichtig. unterschiedlichen Ebenen, die un- Naturwissenschaften, auch Geowis- sen. Sie sehen, auch da sind nicht können. Vom Inhaltlichen her ist die Auch die Diskussion über die Selbst- terschiedlichen Ansätze dieser bei- senschaften sind nicht nur span- nur ästhetische, sondern sogar akus- Notwendigkeit und auch die Vision beschränkung der Religion wie der den Fächer dahingehend stärker be- nend, sondern sind auch notwendig, tische Elemente dabei. natürlich, auch die anderen Ausstel- Naturwissenschaften ist wichtig. leuchten. Um es an einem Beispiel um Zukunftsfragen zu lösen. In die- puk: Ich gehöre zu denen, die glau- lungen dem Stile der neuen Ausstel- puk: Kulturelle Bildung ist ja so ein zu konkretisieren: Bei der Frage „Ist sem Bereich haben wir sehr gute Er- ben, dass es eine ganz enge Ver- lungen anzupassen. Das Gesamtpa- wichtiges Schlagwort. Für mich ge- der Mensch ein Tier?“ ist meiner fahrungen gesammelt. Den Kindern wandtschaft zwischen diesen beiden ket bestehend aus Forschung, hören zur kulturellen Bildung auch Meinung nach eine differenzierte macht dieses Konzept Spaß und ich Sphären gibt und dass man sich da Sammlungspflege, Aufschließen der Fragen wie: Woher kommt man? Wo Antwort notwendig, biologisch be- sehe viele strahlende Augen. Ich be- auch manchmal ein bisschen näher Sammlungen für alle Wissenschaft- geht man hin? Wie sieht das mit der trachtet selbstverständlich. Aber das obachte ganz unterschiedliche auf den Leib rücken sollte, weil es für ler dieser Welt und eben auch Ver- Entwicklung unserer Umwelt aus? Menschsein hat sicherlich noch wei- Gruppen hier im Hause und oft stel- beide Seiten hilfreich wäre, in be- mittlung der Wissenschaft ist ein in- Warum muss ich die Umwelt schüt- tere Aspekte und ich würde sagen, le ich mich unauffällig irgendwo stimmten Bereichen voneinander zu tegraler Ansatz, der helfen wird die zen oder Ähnliches? Würden Sie es die kulturelle Evolution, die uns ja dazu und freue mich einfach. lernen. Erlauben Sie mir eine ab- Bedeutung der Lebenswissenschaf- sich wünschen, dass das Thema Evo- alle auszeichnet, ist nun sicherlich puk: Ich habe in Ihrem Lebenslauf schließende Frage: Retrospektiv be- ten für die Zukunft weiter zu unter- lutionsbiologie, stärker in den Unter- zum einen auch ein verlängerter gelesen, dass Sie mal mit dem Ge- trachtet ist ja ein Haus mit einer sehr streichen. richt eingebracht wird oder glauben Arm der biologischen Evolution. danken gespielt haben, Musik zu langen, auch sehr wechselvollen Ge- puk: Wenn man als Besucher dieses Sie, dass die Art und Weise, wie heu- Durch sie sind wir fähig, uns noch studieren. Wie verhält es sich mit schichte mit politischen Einflüssen, Museum betritt, ist man beeindruckt, te in den Schulen unterrichtet wird, schneller anzupassen und noch künstlerischer Betätigung und na- die ja bis hin zu politische Katastro- begeistert, erstaunt auch durch die ausreicht? schneller in der Umwelt einzurich- turwissenschaftlichem Arbeiten und phen geführt haben. Einer Ihrer Vor- Unterschiedlichkeiten der Präsenta- Leinfelder: Ich habe selbst drei Kin- ten. Aber sie ist gleichzeitig auch ein Denken? Gibt es dort Gemeinsam- gänger wurde ja von den National- tionen, hat einen spannenden, inte- der, die in verschiedenen Bundes- Mechanismus, der unser biologi- keiten oder muss man sich da ir- sozialisten umgebracht. Nun, wo Sie ressanten Tag verlebt, verlässt das ländern in Schulen waren und noch sches Erbe jederzeit, dort wo es sinn- gendwann entscheiden? in ruhigeres Fahrwasser geraten Museum wieder und ist der festen sind und meine einigermaßen gut voll ist, in gewissen Teilen außer Leinfelder: Ich glaube, die Tätigkeit, sind: Was wünschen Sie sich für Ihr Überzeugung: Das ist es letztendlich beurteilen zu können, wie die Antei- Kraft setzen kann. Also: wir können die ich hier habe, erfordert eine hohe Haus und für Ihre zukünftigen Auf- gewesen. Das ist also das gesamte le im Unterricht sind. Wir arbeiten selbstständig denken. Flexibilität und damit auch, dass gaben? Museum. Das Museum besteht ja auch mit Lehrern eng zusammen. puk: Wir sind nicht getrieben und wir man aus verschiedensten Aspekten Leinfelder: Ich habe Träume, ich auch aus noch viel mehr als nur der Natürlich würde sich ein Naturwis- müssen nicht in einer bestimmten an die Gesamtaufgabe herangeht. habe Visionen und ich habe ebenso Schausammlung. Müsste das nicht senschaftler wünschen, dass auch Art und Weise handeln. Das ist ja Ich bin leider nur noch Hausmusi- realistische Vorstellungen. Dieses doch noch deutlicher auch in der mehr Evolutionsbiologie und zumindest beruhigend für uns alle, ker und nicht mehr aktiv in irgend- Haus, wenn ich ein ganz kleines bis- Öffentlichkeit präsentiert werden, überhaupt mehr Biologie, Paläonto- besonders, wenn das ein Wissen- einer Band, was mir früher viel Spaß schen ausholen darf, dokumentiert dass es hier auch um Forschung logie im Schulunterricht vorkommt. schaftler bestätigt. Sie haben in Ih- gemacht hat. Aber ich habe nie den wahrscheinlich wie kein anderes in geht? Aber mir ist klar, es geht nicht um rem Museum eine neue Abteilung Bezug zur Musik verloren. Wenn ich Deutschland auch die Geschichte Leinfelder: Es gehört zu unserem Wissensvermittlung in dem Sinne, oder eine zumindest eine stark um- mich entspannen muss oder wenn der Naturwissenschaften. Es war de Gesamtkonzept, dass wir das zuneh- dass man möglichst viele Fakten gearbeitete Abteilung, nämlich die es mal besonders viel war – das Ers- facto das nationale Museum für Na- mend besser vermitteln wollen. Ich kennt, sondern ich glaube, was not- Museumspädagogik, eingerichtet. te, was ich mache, ist, dass ich mir turkunde. Wir beginnen bei kurfürst- glaube, wir präsentieren unsere For- wendig ist, und da bietet sich dieses Welche Erfahrungen haben Sie da- ein schönes Musikstück auflege. Also lichen Zeiten, königlichen, kaiserli- schung momentan auch sehr gut in Fach natürlich schon an, es geht um mit gemacht? Wird das Konzept an- da habe ich noch einen sehr großen chen Zeiten, imperialen Zeiten, Wei- der Öffentlichkeit. Forschung ist bei Vermittlung von Wissenschaftsver- genommen? Bezug. Ich glaube aber, es geht sogar marer-, DDR-Zeiten, wiederverei- uns in die Ausstellung stark einge- ständnis auch an den Schulen. Da Leinfelder: Ja. Wir haben sehr, sehr noch ein bisschen weiter. Ich meine, nigte Zeiten: Also wir haben auch flossen. Der Besucher wird bei dem gibt es durchaus gute Ansätze. Die gute Erfahrungen gemacht. Der Be- dass ich sowohl als Paläontologe und wirklich Wissenschaftsgeschichte Rundgang feststellen, dass die Bei- Lebenswissenschaften sind heutzu- darf an Museumspädagogik ist so Geologe, der ich von der Ausbildung hier gesammelt. Auch das gilt es zu spiele, die aus der Forschung ge- tage sicherlich eine der großen Leit- groß, dass wir ihn überhaupt nicht her auch bin, als auch als Musikfan, bewahren. Für mich sind Wissen- bracht werden, alle aus diesem Haus wissenschaften, zu denen auch die befriedigen können. Das betrifft der vor allem auch rhythmische Mu- schaft und Kultur keine Gegensätze, stammen. Darauf wird dezent hinge- Evolutionsbiologie zu zählen ist. In besonders Führungen für Schulklas- sik mag, ein gutes Zeitgefühl benö- sondern Wissenschaft ist ein Teil der wiesen. Zudem haben wir ebenso diesem Zusammenhang hat der gro- sen. Ebenso betrifft es Langzeitpro- tige. Das brauche ich, um Evolution Kultur, und um das alles zu bewah- kulturelle Bezüge aus der For- ße Genetiker Theodosius Dobzhans- jekte mit bestimmten Schulen, die zu verstehen. Das brauche ich, um ren, auch für die Nachwelt zu be- schungsgeschichte in die Ausstel- ky gesagt: „Nichts in der Biologie etwa Teile ihres Unterrichts hier in Musik zu verstehen. Das brauche ich wahren und auch für die Zukunfts- lung eingebaut. Ergänzt wird die macht Sinn, außer im Lichte der Evo- das Museum verlagern, zum Beispiel auch, um das Haus zu managen. Da fragen wissenschaftlich nutzen zu Ausstellung durch ein wissenschaft- lution.“ Das kann bei der Medizin, in unserem Zeiss-Exploratorium. müssen Takt und Dynamik stimmen können, benötigen wir vor allem liches Begleitbuch, was bewusst von bei der Soziobiologie und bei vielem Hier arbeiten die Kinder unter An- und das richtige Timing muss vor- eine weitere Restaurierung des Hau- unseren eigenen Wissenschaftler er- stellt wurde. Interessierten ist es so möglich, das Gesehene vertiefend zu studieren. Wir geben in den neuen Ausstellungen nun auch Einblicke in unsere Forschungssammlungen. Beim Hochgang in unserem Trep- penhaus kann der Besucher durch eine Glastür in die Käfersammlung, in der 9 Millionen Käfer schlum- mern, oder etwa in den sehr bekann- ten und wissenschaftlich wertvollen Vogelsaal blicken. Von 9.600 bekann- ten Vogelarten haben wir 9.000 hier im Hause repräsentiert. Wir wollen aber eigentlich mehr. Wir wollen unseren Besuchern die Möglichkeit bieten, nicht nur in diese Räume he- reinzuschauen, sondern auch sie zu betreten und die Sammlungen aus der Nähe zu betrachten. Beim Auf- bau des Ostflügels ist dazu ein ers- ter Schritt vorgesehen. Dort wird erstmals eine Forschungssammlung in den Besucherrundgang integriert. puk: Ist es nicht wunderbar? Da schließt sich quasi am Schluss der Kreis zwischen Naturwissenschaft, Kultur und Kunst. Sie haben die Kon- vention zur biologischen Vielfalt. Wir haben die neue Konvention zur kul- turellen Vielfalt. Vielleicht wäre das eben auch eine Frage, wo man ein bisschen enger zusammenarbeiten könnte, weil ich nämlich glaube, dass diese beiden Punkte sich auch grundsätzlich nicht unterscheiden. Herzlichen Dank für dieses Ge- spräch.

Das Interview führte Olaf Die gesamte Biodiversitätswand im Überblick. Foto: Carola Radke Zimmermann KULTURELLES LEBEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 45

Deutschland im Jahr 2010 Ein Blick in die Zukunft von gestern • Von Georg Ruppelt Wann wohl ist folgende Beschrei- man von Louis Sébastien Mercier bung der Anfangsphase des Zwei- „Das Jahr 2440“, der anonym erst- ten Weltkrieges entstanden? – In malig 1770/71 erschien und ein den 30er Jahren des 20. Jahrhun- „Bestseller“ wurde. Das ganz von der dert unterzeichneten das Deutsche Aufklärung geprägte Werk schildert Reich und Österreich einen An- einen vernünftigen Zukunftsstaat, in schlussvertrag. Es kam in der Folge dem alles besser und sauberer ist als zu einem Krieg zwischen Deutsch- in früheren Jahrhunderten. An die land, Polen und Frankreich. Deutsch- Stelle der Religion ist die Verehrung land griff im Spätsommer Polen an der Wissenschaften getreten. Die und siegte in wenigen Wochen. An- kirchlichen Feiertage sind in Freizeit schließend erfolgte der Angriff auf umgewandelt worden, in der sich die Frankreich, im Oktober wurde Paris Bürger, die alle einen Arbeitsplatz von deutschen Truppen besetzt. haben, erholen und weiterbilden Nach Beendigung des Krieges setz- können. Der Krieg ist durch die Er- te sich Deutschland mit Russland findung eines Apparates abgeschafft über die neue Grenze zwischen den worden. Dieser Apparat kann die beiden Staaten auseinander. Beide menschliche Stimme imitieren und Staaten einigten sich darauf, dass die Schreie von Verwundeten vor- Polen wieder aufhören sollte, als spielen, was kriegslüsterne Fürsten selbständiger Staat zu existieren … von ihren martialischen Vorhaben abbringt. In diesem Zukunftsstaat iese Schilderung stammt nicht sind nur noch wenige Bücher erhält- D aus einem Schüleraufsatz aus lich, denn alles, was diese Gesell- unserer Zeit, der die Anfangsge- schaft für unnütz hält, wurde ver- schichte des Zweiten Weltkriegs im brannt, so z. B. Millionen und Aber- Wesentlichen richtig wiedergibt und millionen Bücher der Königlichen sie nur in einigen Details mit fal- Bibliothek in Paris. schem Zungenschlag durcheinan- Im 19. Jahrhundert, dem Jahrhun- derbringt. Sie ist aus einem Buch zu- dert der industriellen Revolution, der 1980: Krieg zwischen Japan und den USA. (Aus: Das neue Universum. 1909) © Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek sammengefasst worden, das W. Technisierung, der Erfindungen ent- Grassegger geschrieben hat und den stand dann eine Fülle von zeitver- Die politische Entwicklung in Euro- sellschaftlich und sittlich den Men- widerte Grunthe. ‘Aber warum neh- Titel „Der Zweite Weltkrieg“ trägt. schobenen Utopien, meist auf tech- pa sieht der ehemalige preußische schen weit überlegen. men sie die Energie nicht direkt von Das Buch erschien ... 1922. nischer Grundlage. Bekanntestes Bei- Offizier Julius von Voß auf der Grund- Der Roman „Auf zwei Planeten“ Sonnenstrahlung? Sie leben ja vom Ein weiteres Szenario: Anfang spiel ist der auch heute noch gelese- lage der Französischen Revolution wurde nach seinem Erscheinen Kapital, statt von den Zinsen.’“ April 1986 führte die Sowjetunion ne Jules Verne. Utopisch-technische gegründet – eine erstaunliche Aussa- sofort in mehrere Sprachen über- Neben einer Fülle utopisch-tech- einen vernichtenden Atomschlag Literatur wurde diese Gattung in ge im Jahre 1810. Im 19. Jahrhundert setzt und war wahrscheinlich die nischer Romane, die sich meist in gegen die Volksrepublik China. In Deutschland genannt. Aus Amerika sei nach einer Reihe blutiger Kriege bekannteste europäische Weltraum- der trivialen Heftchen-Literatur an- ganz Afrika war ein mörderischer prägte sich dann seit den 20er Jahren Europa unter einem zentralen Kai- utopie der Zeit. Er wurde immer siedelten und in der sich auch um Krieg zwischen verschiedenen Mili- der Name Science Fiction ein. sertum geeinigt worden, das neben wieder neu aufgelegt, bis ihn die die Wende zum 20. Jahrhundert tärblöcken im Gange. „Südamerika Die allererste deutschsprachige dem neupersischen Reich „eine lan- Nationalsozialisten als zu demokra- schon Weltraumhelden tummelten, befand sich mitten in einer großen zeitverschobene Utopie, der erste ge glückselige Ruhe“ genießen konn- tisch verboten. Viele deutsche Welt- gab es auch eine Reihe gesellschaft- Hungerrevolution, und in den USA deutsche Zukunftsroman erschien te. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts raumpioniere aus der ersten Hälfte licher Utopien bzw. Anti-Utopien. tobte der zweite Nord-Süd-Krieg 1810, also zur Zeit der Eroberungs- habe sich auf Veranlassung Kaiser unseres Jahrhunderts scheinen den Sie entstanden zu einem großen Teil zwischen weißen und schwarzen züge Napoleons. Sein Autor, Julius Marcus Aurelius II. die Republik Eu- Roman gekannt zu haben. in der Nachfolge der naiv-sozialisti- Fanatikern und den Mafiaorganisa- von Voß, gab ihm den Titel „Ini. Ein ropa gegründet, deren Verfassung Laßwitz’ Roman hat eine deut- schen Utopie von Edward Bellamy tionen dazwischen. Europa war Roman aus dem Ein und zwanzigs- auf Gleichheit beruhte. Der Volkswil- lich philosophische und ethische „Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 demgegenüber eine Insel friedlicher ten Jahrhundert.“ len und eine Art aristokratisches Rä- Note und ist zur Hoch-Zeit des Im- auf das Jahr 1887“. Die Angst vor ei- Stagnation – das aber nicht aus gu- Vossens Roman spielt im letzten tesystem garantierten den Erfolg perialismus für das Jahr 1897 ausge- ner Übernahme der Macht in tem Willen oder eigenem Antrieb, Viertel des 21. Jahrhunderts. Er wäre dieser Republik Europa. Auch vor al- sprochen stark kolonialismus-kri- Deutschland durch die Sozialdemo- sondern weil sich hier vor allem das wohl am besten als Bildungsroman lem deswegen, weil die Fürstenkin- tisch. Einer der Martier äußert sich kratie hat nach 1890 die Feder zahl- bereits 1983/84 erfolgte totale biolo- zu bezeichnen, in den eine Liebes- der nun eine vorzügliche volks- z.B. wie folgt über die Zustände auf reicher deutscher Zukunftsautoren gische Absterben des Mittelmeers geschichte eingewoben ist, die sich bezogene Ausbildung und Erziehung der Erde: geführt. Die Wahlerfolge der Sozial- und der Ostsee mit einer enormen um die schöne Ini rankt. Interessant erhielten. „Wir haben genaue Informatio- demokratie nach der Aufhebung des Verschlechterung der Luftqualität ist der globale Aspekt. Der Jüngling, In Deutschland herrscht Bevöl- nen über die Verhältnisse auf der Sozialistengesetzes ließen viele bemerkbar gemacht hatte. Im Ruhr- der sich um Ini bemüht, muss viel kerungsüberfluss, da Krankheiten Erde eingezogen. Sie sind geradezu schwarz bzw. in diesem Fall besser gebiet hatte man viele Industrien reisen, wir würden ihn heute als Jet- und Kriege abgeschafft sind. So wur- haarsträubend. Von Gerechtigkeit, rot für die Zukunft sehen. stillegen und ganze Städte wie Gel- setter bezeichnen. Die Kontinente de es notwendig, die landwirtschaft- Ehrlichkeit, Freiheit haben diese Auch die Angst vor einer „Mulie- senkirchen und Bochum räumen können im 21. Jahrhundert nach Ju- lichen Erträge zu steigern. „Das in Menschen keine Ahnung. Sie zerfal- rokratie“, einer Weiberherrschaft, in müssen.“– Dies ist ein Zitat aus dem lius von Voß leicht durch die Ent- dem vortrefflich zubereiteten Boden len in eine Menge von Einzelstaaten, der Zukunft treibt viele Utopisten Roman von Gerhard Steinhäuser wicklung der zivilen Luftfahrt über- durch Maschinen gepflanzte Winter- die untereinander mit allen Mitteln um, gewiss eine Folge der weltweit „Unternehmen Stunde Null 1986“, sprungen werden. Dieser Luftver- getreide gelangt um die Mitte des um die Macht kämpfen. Darunter ins Licht der Öffentlichkeit treten- der 1973 erschien. kehr wird nach dem Prinzip „leich- Juni schon zur Reife [...]. Man mäht leidet die wirtschaftliche Kraft der- den Emanzipationsbewegung. Das Und noch ein Zukunftsentwurf: ter als Luft“ mittels lenkbarer Flug- es durch kunstreiche Sichelwagen, maßen, daß viele Millionen im be- führte etwa zu solch kuriosen Zei- Im Jahr 1999 war der Automobilver- ballons ermöglicht: „Es war dies ein die zugleich abschneiden, aufladen drückendsten Elend leben müs- tungsmeldungen wie der folgenden. kehr in jeder Hinsicht vervollkomm- Häuschen von dünnem Schilfrohr und hinterwärts den Boden wieder sen und die Ruhe nur durch rohe Dr. Friedrich Knauer prophezeite net worden und die Straßenver- geflochten und mit Fenstern aus ei- pflügen, wodurch die Arbeit gar sehr Gewalt aufrecht erhalten werden 1900 in der Zeitschrift „Das neue kehrssicherheit eine totale. Unfälle nem ganz durchsichtig gemachten vereinfacht wird.“ kann. Nichts desto weniger überbie- Jahrhundert“: „je mehr die Frau auf kamen nicht mehr vor. Die Pädago- leichten Horne versehen.[...] Das Berlin, der Sitz des europäischen ten sich die Menschen in Schmeiche- das Tätigkeitsgebiet des Mannes gik hatte bestimmenden Einfluss in Dach war platt mit einem Geländer Bundesgerichtes, ist eine große Bin- lei und Unterwürfigkeit gegen die übergreift, je vielseitiger sie sich im Deutschland gewonnen, und so und Sitzen umgeben, sich dort bei nenhafenstadt. Ihre anmutige Um- Machthaber. Jede Bevölkerungsklas- öffentlichen Leben bestätigt (...), standen dementsprechend an ober- angenehmer Witterung aufzuhalten. gebung zieren Weingärten, Lustge- se hetzt gegen die andere und sucht desto rascher wird die Frau dem ster Stelle in der gesellschaftlichen An dies Dach waren die seidenen hölze und heitere Sommerwohnun- sie zu übervorteilen. [...] Heuchelei ist Manne nachkommen und aus glei- Rangordnung die Lehrer. – So der Stränge befestigt, welche von der gen reicher Bürger. Berlin ist zu- überall selbstverständlich. Die Stra- chen Gründen auch stärkeren Bart- Zukunftsentwurf des Romans von oben schwebenden Azotkugel nie- gleich eine Wissenschaftsstadt, und fen sind barbarisch, Freiheitsberau- wuchs teilhaft werden. Heute sollen Hansel Truth „Am Ende des Jahrtau- derhingen. Man wußte jetzt das Azot ihre Universität gilt als die gelehrtes- bung gilt noch als mild. Morde kom- schon 10 Prozent der Frauen stärke- sends“, der 1891 erschienen ist. [das ist Stickstoff] viel leichter und te der Welt. Europa hat sich zu einem men alle Tage vor, Diebstähle alle ren Bartwuchs zeigen; dieser Pro- Die drei Texte sind von Inhalt und einfacher zu bereiten, als im Anfang Sozialstaat entwickelt, in dem zwar Stunden. Gegen die sogenannten un- zentsatz wird sich konsequent stei- Intention her gesehen völlig ver- der Luftschifferei. Auch hatte lange Arbeit Pflicht ist, aber durch eine Art zivilisierten Völker scheut man sich gern und in freilich noch sehr ferner schieden, und sie haben sehr unter- schon die Versuche, Adler zu zähmen Sozialversicherung sind Ältere und nicht, nach Belieben Massengemet- Zukunft wird der Bart nicht mehr das schiedliche Autoren, nämlich einmal und an die Fahrzeuge zu spannen, Kranke vorzüglich versorgt. zel in Szene zu setzen.“ Attribut des Mannes sein.“ einen rechtslastigen Trivialschrift- Erfolg gekrönt.“ Als der wirkliche Vater einer ei- Neben dieser deutlichen Kritik Auch zukünftige Verteilungs- steller aus den 20er Jahren des 20. Die Gondel selbst wird „von genständigen deutschen Science gelingen Laßwitz erstaunliche tech- kämpfe um die Ressourcen der Erde Jahrhunderts, einen linksliberalen zwanzig rüstigen Tieren“ gezogen. Fiction-Literatur gilt Kurd Lasswitz, nische Voraussagen. Die Martier ha- wurden literarisch behandelt. Hier Romanautor aus den Siebzigern und Die Passagiere tragen Kopfbede- dem wir uns später noch ausführli- ben über dem Nordpol eine Welt- der Beginn einer Kurzgeschichte mit einen pädagogisch orientierten libe- ckungen, die sich bei einem Unfall cher widmen wollen. Mit dem 1897 raumstation errichtet, die bereits, dem grammatikalisch falschen Titel ralen Fortschrittsgläubigen vom En- durch die natürliche Wirkung der erschienenen Roman „Auf zwei Pla- wie später von Wernher von Braun „Als der Welt Kohle und Eisen aus- de des vorletzten Jahrhunderts. Den- Luft breit entfalten – Fallschirmhel- neten“ gelang ihm ein Meisterwerk geplant, die Form eines Speichenra- ging“ aus dem Jahre 1913: „Es war im noch weisen diese Texte, die hier me quasi. Auch die Kommunikation der Gattung. Der Gothaer Mathema- des besitzt. Er berichtet von rollen- Jahr 1995. In Hamburg herrschte fie- stellvertretend für viele hundert an- zwischen den Erdteilen ist weit ent- tiker, Physiker und Philosoph gehör- den Straßen, Wolkenkratzern, syn- berhafte Aufregung. Die Zeitungs- dere stehen, eine Gemeinsamkeit wickelt. Telegraphen gibt es in ganz te schon zu Lebzeiten zu einem der thetischen Stoffen, Fotozellen, Licht- jungen schrien die Unglücksbot- auf. Ihr Inhalt ist vom Erscheinungs- Europa, aber auch „Sprachtrompe- am meisten gelesenen Science Fic- telegraphen, Solarzellen und Kabi- schaft aus; an allen Straßenecken datum der Bücher her gesehen in der ten, welche bei Tag und Nacht und tion-Autoren. Das Buch, das im sel- nenbahnen. Die Umweltverschmut- klebten Plakate mit den neuesten Zukunft angesiedelt. Dies ist eine fast bei jeder Witterung auf eine Mei- ben Jahr wie Herbert George Wells zung auf der Erde ist den Martiern Telegrammen: China hat die Erz- seit langem bekannte literarische le deutlich hörbar tönten und durch „Krieg der Welten“ erschien, schil- unbegreiflich: und Kohlenausfuhr gesperrt! Nach- Technik, die auch als zeitverschobe- welche man von Station zu Station dert die zunächst friedliche Invasi- „‘Woher kommen diese Nebel dem bereits vor 10 Jahren die Verei- ne Utopie bezeichnet wird. melden ließ, was man wollte. Über on von Marsianern auf der Erde. Die über ihren großen Städten?’ fragte Als erste zeitverschobene Utopie Meere leisteten die allgemein gewor- Marsianer, oder die Martier, wie Laß- einer der Martier. ‘Hauptsächlich Weiter auf Seite 46 gilt der berühmte französische Ro- denen Taubensendungen Hilfe.“ witz sie nennt, sind technisch, ge- von der Verbrennung der Kohle’, er- KULTURELLES LEBEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 46

Zukunftsromanen selten vor. Hier in Hamburg, aber auch in Stuttgart, Fortsetzung von Seite 45 einige Beispiele aus den Neuerschei- Düsseldorf und Hannover, wohin die nungen: 1960 beschreibt Richard Ausstellung später wanderte, eine Deutschland im Jahr 2010 Koch, wie im Jahr 1995 mit Benzin Vielzahl von Besuchern nach. Der angetriebene Autos unmodern zu nach heutigem Wiederlesen verblüf- nigten Staaten von Amerika das Glei- werden beginnen. Eine Entmotori- fendste Text stammt von einem nach che getan hatten, war somit das letz- sierungsgesellschaft kauft sie auf, eigenen Angaben damals 44-jähri- te Kohle und Erz fördernde Land für versenkt sie in der Nordsee und baut gen Ingenieur: den Freiverkehr geschlossen. Euro- damit einen Damm von Holland „Deutschland im Jahre 2084? pa, dessen Lager längst erschöpft nach England. Wiedervereinigt mit Berlin als blü- waren, war ohne Erz ohne Kohle.“ Die atomare Hochrüstung der hendem Zentrum Europas! In den Die Krise spitzt sich im Laufe der Er- beiden Supermächte im Kalten Krieg Hochschulen dieser Stadt versam- zählung zu, und die Armeen machen lässt eine Reihe von Katastrophen- meln sich wetteifernd Gastprofesso- mobil. Ein unausweichlich schei- und Nachkatastrophenromanen ent- ren aus der ganzen Welt, um über den nender Weltkrieg kann jedoch da- stehen. In gewisser Hinsicht gehört Sinn des menschlichen Lebens im durch vermieden werden, dass man dazu auch der 1957 erschienene Ro- vernetzten System desselben (der beginnt, Hochöfen mit Elektrizität man von Arno Schmidt „Die Gelehr- Erde) zu spekulieren. Geisteswissen- zu heizen und Eisen aus der flüssi- tenrepublik“, der im Jahr 2008 spielt. schaft und Naturwissenschaft stehen gen Glut des Erdkerns zu gewinnen. Ein Atomkrieg hat Europa ausradiert, sich geistig befruchtend im Dialog Nach dem Ersten Weltkrieg ent- Deutsch ist eine tote Sprache gewor- mit dem Blick nach vorn zur Seite. [...] standen einige Zukunftsromane, die den. Auf einer künstlichen Stahlinsel Die Großtechnologie ist – als Relikt bereits sehr deutliche Anklänge an im Pazifik haben 5000 Menschen al- vergangenen Unwissens belächelt – den Nationalsozialismus erkennen ler Nationen eine Gelehrtenrepublik zugunsten innovationsfreudiger und lassen. Diese Romane und Erzählun- errichtet, die allerdings auch bereits mit der Umwelt vernetzter kleinerer gen sind voll von Kriegen der Zu- wieder in eine westlich-amerikani- Betriebe zurückgegangen. [...] kunft, in denen sich Deutschland für sche und eine östlich-sowjetische Die Bevölkerung steht in intensi- die erlittene Schmach von 1918/19 Hälfte geteilt ist. vem persönlichen Meinungsaus- revanchiert. Die eingangs zitierte Der amerikanische Atomwissen- tausch über die Nutzung aller im Pro- „Prophezeiung“ von Grassegger aus schaftler Leo Szilard sagt in einer sei- zeß anfallenden Stoffe. Es gibt keiner- dem Jahre 1922, „Der Zweite Welt- ner Kurzgeschichten 1961 die Wie- lei Müll mehr, der nicht entweder krieg“, gehört zu ihnen. Darin be- dervereinigung Deutschlands für wieder in den Produktionsprozeß zu- siegt Deutschland seine Gegner. das Jahr 1980 voraus. Darin wird das rückgeführt wird oder auf natürliche Nach dem Krieg werden die USA, wiedervereinigte Deutschland von Weise in den Kreislauf der Natur. Je- China und Deutschland die führen- der SPD regiert, die die größte Par- der, der anderes, schädliches Mate- den Weltmächte, die den Weltfrieden tei geworden ist. Sie ist sich mit der rial herstellt, wird streng bestraft. garantieren. Grasseggers Text endet CDU darin einig, dass man die nach Dadurch wurde der Kommunika- mit dem bezeichnenden Satz „Das dem Zweiten Weltkrieg an Polen ver- tionsbedarf erhöht und ebenso (ge- tausendjährige Reich hatte, wie es lorenen deutschen Ostgebiete durch genläufig) die Entfremdung der schien, seinen Anfang genommen.“ Verhandlungen zurückgewinnen Menschen voneinander reduziert. Das Trauma des verlorenen Welt- müsse, während die schnell wach- Die Atombombendrohung – d.h. die krieges saß tief in Deutschland, und sende rechtsradikale „Volkspartei“ – Gefahr der totalen Vernichtung –, die die utopischen Romane der zwanzi- eine der vier im Parlament vertrete- Verödung der Natur und die entsetz- ger und dreißiger Jahre spiegeln dies nen Parteien – auch für eine Rück- liche Langeweile am Fernseher hat- wider. Von einem zukünftigen Krieg, gewinnung mit Gewalt eintritt. ten nämlich zu einer konsequenten der im Roman dann aber siegreich für Zum Schluss sei noch auf zwei Protestbewegung geführt, die nach Deutschland ausgeht, ist oft die Rede. Zukunftstexte hingewiesen, die vor dem Erbe der Vorväter, d.h. nach in- So etwa auch in Karl Bartz’ 1931 er- der Wiedervereinigung Deutsch- tensiver Nachforschung griff und schienenem Roman „Krieg 1960“. Er lands entstanden. In dem 1986 er- daran im Zusammenhang mit der beschreibt für die 50er und 60er Jah- schienenen Band „Deutschland Uto- Kybernetik begriff, worauf es an- re folgendes Szenario: Nach einer Zeit pia. Geschichten und Berichte über kommt. Die Menschen fragten nicht des Kalten Krieges zwischen den kon- die Zukunft dieses unseres Landes“ mehr nach dem Sinn des Lebens, kurrierenden Wirtschaftsmächten sind fiktionale Texte und Verlautba- Erster bemannter Marsflug. (Aus: Das neue Universum. 1908) sondern hatten ihren Lebenssinn England und Russland brach ein hei- rungen von bekannten Politikern © Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek begriffen.“ ßer Krieg aus. Deutschland paktierte und weniger bekannten Schriftstel- zunächst mit Frankreich und Eng- lern über Deutschlands Zukunft zu- mächten zu erreichen und ein Maxi- aussagen über Deutschlands Zu- Der Verfasser ist Stellvertretender land, um die Auflagen des Versailler sammengefasst worden. Eine da- mum an gegenseitigen Beziehungen kunft niedergeschrieben. Damals Vorsitzender des Deutschen Kultur- Vertrages abzuschütteln. Als ein Dik- mals bekannte Persönlichkeit des zu schaffen. Allerdings müssen die wurde in der Staats- und Universi- rates und Direktor der Gottfried tator an die Macht kommt, kämpft es öffentlichen Lebens äußerte sich zur Grenzen akzeptiert werden. Wer die- tätsbibliothek Hamburg eine Aus- Wilhelm Leibniz Bibliothek – schließlich auf Seiten Russlands ge- Zukunft der beiden deutschen Staa- se Grenzen überspringen will, begeht stellung gezeigt, die den Titel trug: Niedersächsische Landesbibliothek gen die Allianz von Frankreich, Eng- ten darin wie folgt: Hoch- und Landesverrat, weil er un- „Zukunft von Gestern.“. Dazu er- Hannover land und Italien. – Amerika verhält „Wir alle [...] müssen lernen, uns ter Verkennung der tatsächlichen au- schien ein gleichnamiges Begleit- sich in diesem Krieg neutral, wehrt mit der Zweiteilung abzufinden, zwei ßenpolitischen Abhängigkeiten so- buch. In der Mitte des Ausstellungs- (Gekürztes Kapitel aus dem Buch Georg aber einen Überraschungsangriff der Staaten als Voraussetzung für den wohl die beiden deutschen Staaten raumes lag ein leeres Buch aus, mit Ruppelt: Nachdem Martin Luther Papst japanischen Flotte auf Guam im De- Frieden in Europa zu betrachten. [...] wie die Kulturnation Deutschland in der Aufforderung an die Besucher, geworden war und die Alliierten den Zwei- zember 1961 erfolgreich ab. Ziel deutscher Politik muß es sein, in den Abgrund stürzen will.“ sich selbst als Science Fiction-Auto- ten Weltkrieg gewonnen hatten. Literari- Als die Sehnsucht gewisser Krei- diesem gegebenen Rahmen ein Ma- Das abschließende Zitat gebührt ren in die Ausstellung einzubringen. sche Alternativen zur besten der Welten. se 1933 ihre Erfüllung gefunden hat- ximum an außenpolitischer Freiheit einem unbekannt gebliebenen Sci- Thema sollte sein: Deutschland im Hannover: Wehrhahn, 2007. € 19, 80 te, steigerten sich die Zukunftsträu- und Unabhängigkeit von den Super- ence Fiction-Autor. Er hat 1984 Vor- Jahre 2084. Dieser Aufforderung kam ISBN 978-3-86525-096-4) me einiger Romanautoren zu uner- messlichen Höhen. Hier nur ein Bei- spiel aus dem Jahre 1933. Nach Ernst Bergmann gibt es im Jahr 1964 kei- ne Parteien und Konfessionen in NS-Raubgut in Bibliotheken Deutschland mehr, sondern nur Zu einer Tagung in Hannover • Von Rainer Strzolka noch den untrennbar mit dem Staat verwobenen Nationalsozialismus, Während Raubgut aus Museen we- daran gearbeitet, die gesellschaftli- Erschreckend ist die Totalität, mit tauschstelle über Finanzbehörden der eine Kirche als neue Staatsreli- gen seines spektakulären Charak- che Rolle von Bibliotheken auch in der das NS-Regime bei der Verwer- veranlasst wurden, deren Rolle noch gion etabliert hat. Mit Hilfe von ters seit langem Interesse bei der dunklen Seiten der deutschen Ge- tung des Eigentums entrechteter erheblich unrühmlicher war, als 100.000 Arbeitslosen errichtete die- breiten Öffentlichkeit findet, ist je- schichte aufzuarbeiten. Versuche Menschen vor sich ging. Die Preußi- bislang angenommen. Das Ausrau- se Staatskirche im Jahre 1960 die so- nes aus Bibliotheken ein Thema von des Direktors Georg Ruppelt, vor sche Staatsbibliothek beispielsweise ben Deportierter und die Versteige- genannte „Deutschkirche“ in der Fachleuten. Hier stehen weniger rund zehn Jahren eine solche Ver- erhielt nicht nur beschlagnahmte Li- rung von deren Hab und Gut wurde ebenfalls neu erbauten Stadt Hel- einzigartige Kunstwerke im Vorder- gangenheitsbewältigung anzuschie- teratur aus Privatbesitz, sondern auch mit dem harmlosen Namen „Aktion denaue. Diese Kathedrale war so grund, sondern die ethische Kom- ben, waren damals wenig erfolg- verfemte Titel aus Gemeindebiblio- 3“ bezeichnet. Viele der geraubten groß, dass der Petersdom in Rom ponente von Restitution an die reich, da bei Entscheidungsträgern theken. Forschungen zur Reichs- Bücher wurden den Dienstbibliothe- bequem in ihr Platz gefunden hätte. Rechtsnachfolger der ehemaligen wenig Bereitschaft zur Förderung schrifttumskammer haben gezeigt, ken der Finanzämter einverleibt, In den ersten zwei Jahrzehnten Besitzer, die verschleppt und ermor- solcher Projekte bestand. Ganz of- dass die NS-Bürokraten oft zu unge- wobei zahlreiche Konflikte zwischen nach dem Krieg erschienen in der det wurden. fenbar gab es noch persönliche Ver- bildet waren, um einen jüdischen Behörden verschiedener Hierarchi- Bundesrepublik einige der politisch strickungen in die Zeitläufte, die hier Autor als solchen zu kennen. Die Rol- en hierzu überliefert sind, da alle am bräunlich gefärbten utopisch-tech- ittlerweile gibt es Bibliothe- hinderlich waren. Ruppelt hat die le der Bibliothekare als Zuarbeiter zu Raubgut profitieren wollten. nischen Romane als gereinigte Tex- M ken, die sich um Fragen von GWLB zu einer kommunikativen Zensur und Vernichtung muss noch Bestürzend ist die Totalität des te neu, zum Teil mit anglisierenden Restitution besonders verdient ge- Drehscheibe für Forschungen zum untersucht werden. Es ist aber offen- Zugriffs durch die Finanzbehörden Pseudonymen, und wurden vor al- macht haben, so die Universitätsbi- Thema NS-Raubgut in Bibliotheken sichtlich, dass es beim Umgang mit in der NS-Vernichtungspolitik. Ih- lem im Leihbuchgeschäft angebo- bliotheken Bremen und Marburg, gemacht. Die Tagungsbände gehö- beschlagnahmter Literatur wenig nen ist es zu verdanken, dass alle Bli- ten. Das Thema Science Fiction in und die Gottfried-Wilhelm-Leibniz ren inzwischen zur Standardliteratur Unrechtsbewusstsein bei diesen cke auf die Deportierten in der his- der DDR bedarf einer eigenen Dar- Bibliothek Hannover. Dort fand am zu diesem Komplex. gab; sie bekannten sich offen in ih- torischen Distanz unmöglich ge- stellung. Eine einfache Internet-re- 8. und 9. November 2007 das 3. Han- In diesem Jahr trafen sich 16 His- ren Jahresberichten zu den entspre- macht wurden. Die mit der „Aktion cherche dazu führte im November noversche Symposium NS-Raubgut toriker, Bibliothekare, Verleger und chenden Bestandszugängen. Be- 3“ geraubten Bücher standen am 2007 zu rund 118.000 Treffern. in Bibliotheken statt. Die Tagungen der Hauptrabbiner von Pinsk-Bela- stände aus Verlagsbeschlagnahmun- Ende einer langen Kette von ernied- In den ersten 15 Jahren nach dem sind interdisziplinär, Historiker und rus, um ihre Forschungsergebnisse gen wurden an andere Bibliotheken rigenden Maßnahmen und führten Krieg kann im Hinblick auf Quanti- Bibliothekare, Praktiker und Wissen- zu diskutieren und öffentlich vorzu- verteilt. Es gibt Belege dafür, dass in der Regel zur Einverleibung von tät und Qualität von einer eigenstän- schaftler arbeiten hier zusammen stellen. Flankiert wurde die Tagung manche Sammlungen systematisch Büchern von geringem materiellem, digen deutschen Science Fiction-Li- wie kaum anderswo in Deutschland. von einer Ausstellung, „Displaced in die Bestände überführt wurden. teratur kaum die Rede sein, und Es werden keine abgehobenen The- books – NS-Raubgut in der Univer- Aus Aktenfunden geht hervor, dass auch Deutschland kommt in den orien formuliert, sondern es wird sitätsbibliothek Marburg.“ viele der Zugänge auch der Reichs- Weiter auf Seite 47 KULTURELLES LEBEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 47

ihre Haltbarkeit zu vergrößern. Ein Die Tora sieht Raub nicht als Straftat gensatz zu den Gestapo-Stempeln, sollte dies nicht nur in Gründlichkeit Fortsetzung von Seite 46 wichtiger philosophischer Aspekt ist im westlichen Sinne an, der einzig die viele der geraubten Bücher auf- erfolgen, sondern auch inhaltlich. In das Prinzip der Responsa, nach dem strafwürdige Raub ist der Menschen- weisen. Nach den Grundsätzen des diesem Zusammenhang berührt es, aber ideellem Wert für die Verfolgten. jede Geschichte eines Menschen raub. Für die westliche Perspektive Talmud ist der Finder eines Buches wenn man erfährt, dass manche Ju- Die teuren Bibliotheksbestände, vor oder eines Gegenstandes als einzig- ergibt sich damit im Fall von Buch- der neue Eigentümer, allerdings nur, den entwendete Bücher auch seiten- allem aus Gelehrtenbesitz oder aber artig angesehen und behandelt wird. raub eine komplizierte Interpretati- wenn der ursprüngliche Besitzer die weise zurückgekauft haben, um sie denen von erfolgreichen Geschäfts- So hat auch ein jedes verschwunde- onslage. Nach den Grundsätzen des Hoffnung auf Wiederkehr des Bu- auf jüdischen Friedhöfen zu begra- leuten, waren in der Regel schon vor ne Buch seine eigene Geschichte. Talmud wird zudem Diebstahl stär- ches in seinen Besitz aufgegeben ben. Diese Bücher gelten anstelle der der „Aktion 3“ enteignet worden. Fi- Aus dieser individuellen Geschichte ker bestraft als Raub, weil der Dieb hat. ermordeten KZ-Opfer als befreit; nanzbehörden waren immer Teil wird ein Zwang zur Restitution ab- heimlich agiert und damit Vertrau- Auch wenn der Vortrag von der Bücher werden als Raubopfer in ei- staatlicher Zwangsmaßnahmen; im geleitet. Der Finder eines Buches hat en erschüttert, während der Raub Praxis der Restitution entfernt ange- ner Geiselsituation begriffen; ein Dritten Reich standen sie in einer eine ethische Verantwortung, auch öffentlich, vor den Augen der Gesell- siedelt war, so zeichnet er doch nä- Gedanke, der von Walter Benjamin Vermittlerposition, die ihnen viel dann, wenn er für das Verschwinden schaft stattfindet und damit als we- herungsweise die Komplexität jüdi- ausgeführt worden ist, der Bücher Macht zukommen ließ. des Buches gar keine Verantwortung niger verwerflich gilt. Nach dieser schen Denkens auf, die für Nichtju- als erlösbar begriff. Die Belege und Akten für die Ent- trägt. Wer Büchern begegnet, begeg- Betrachtungsweise ist eine Biblio- den fast unmöglich zu erfassen ist. Insgesamt eine Tagung, die Ho- eignung der jüdischen Bevölkerung net Geschichte. Die jüdische Philo- thek, die geraubte Bücher unsicht- In der Praxis werden Restitutionsfäl- rizonte erweitert wie wenige biblio- durch die Finanzbehörden wurden sophie unterscheidet nach Findern bar im Magazin versteckt, in einer le auch kaum auf der Basis jüdischer thekarische Veranstaltungen sonst. zunächst für 30 Jahre gesperrt, und ohne Kontakt zu den Tätern und Fin- aus jüdischer Perspektive schwieri- Gesetzgebung erfolgen. Allerdings 1988 mit dem Hinweis auf Steuerge- dern mit Kontakt zu den Tätern. In gen moralischen Situation, weil die- ermuntert die Darstellung, sich in- Der Verfasser ist Literaturwissen- heimnisse auf 80 Jahre für die Öffent- der Tora sind die Gedanken „Du ses Verstecken das öffentliche Ver- tensiv mit jüdischer Denkweise zu schaftler und Bibliothekar lichkeit unzugänglich gemacht. Als sollst nicht stehlen“ und „Du sollst trauen schädige. Ex Libris geben Bü- beschäftigen. Wenn man sich mit jü- an der Universitätsbibliothek der Autor Wolfgang Dressen 1998 In- zurück geben“ zusammengedacht. chern eine persönliche Note, im Ge- dischem Kulturgut befasst, dann Hannover teresse an den „Arisierungsakten“ anmeldete, wies die Oberfinanzdirek- tion Düsseldorf alle nachgeordneten Ämter an, von einer Beantwortung des Schreibens vorerst Abstand zu Die erste Hürde ist genommen nehmen. Die von Dressen initiierte Das Thüringer Bibliotheksgesetz • Von Frank Simon-Ritz Ausstellung „Aktion 3“ wurde bereits vielfach in Deutschland gezeigt; Die Weimarer Bibliotheksrede des allerdings lehnte es die Humboldt- Bundespräsidenten am 24. Oktober Universität Berlin ab, die Ausstellung 2007 hat zumindest in Thüringen als zu zeigen, da sie einen zu einseitigen „Ruck-Rede“ gewirkt. Insbesondere Charakter habe (Wolfgang Dressen: der eindringliche Appell Köhlers, Aktion 3. Deutsche verwerten jüdi- dass Bibliotheken „auf die politische sche Nachbarn. Berlin 1998). Tagesordnung“ gehören, ist in Thü- Beschlagnahmen von Bibliothe- ringen (aber nicht nur in Thüringen) ken von Klerikern wurden häufig mit als deutlicher Fingerzeig aufgefasst dem Vorwurf von Fiskal- oder Sitt- worden, die Frage der gesetzlichen lichkeitsdelikten gerechtfertigt. Absicherung von Bibliotheken auf die Ein Problem bei der Forschungs- Agenda der Landespolitik zu setzen. arbeit zu Raubgut in Bibliotheken ist, In seiner Rede hat Köhler klare Wor- dass die Erschließung von Biblio- te für die Bedeutung der Bibliothe- theksbeständen in der Regel keinen ken gefunden: „Die deutschen Bibli- Hinweis auf die zugehörigen Proveni- otheken – und zwar alle, von der enzen zulässt, wie sie in Archiven hochspezialisierten Forschungsbibli- beispielsweise üblich ist. Hierzu wäre othek bis zur kleinen Stadtteilbibli- die Schaffung von Kontextfeldern not- othek – sind ein unverzichtbares wendig. Die diesbezüglichen Forde- Fundament in unserer Wissens- und rungen von Historikern laufen aber ins Informationsgesellschaft. Die öffent- Leere, da ein bibliothekarischer Ideo- lichen Bibliotheken sind weder ein logiewechsel stattgefunden hat und Luxus, auf den wir verzichten könn- sie sich eher als Informationsvermitt- ten, noch eine Last, die wir aus der ler denn als Sammlungsbetreuer ver- Vergangenheit mitschleppen: Sie stehen; eine Wandlung, die den Bibli- sind ein Pfund, mit dem wir wuchern otheken viel von ihrer einzigartigen müssen.“ In Thüringen konnte man gesellschaftlichen Stellung nimmt. bei diesem Thema eine Brücke von Neben Berichten über die For- der Rede des Bundespräsidenten zu schungsarbeit ist ein philosophi- der Forderung nach einem Biblio- scher Ausflug in die Welt jüdischen theksgesetz schlagen, die der Thü- Denkens besonders eindrucksvoll. ringer Bibliotheksverband – unter- Er zeigt, welche Bedeutung Restitu- stützt von den bibliothekarischen Be- tion für Juden hat; sie geht erheblich rufsverbänden – seit der Vorstellung Pforte der Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Foto: Stefanie Ernst über materielle Aspekte hinaus. Die eines konkreten Gesetzentwurfs am Halacha, ein Gesetzessystem, wurde 14. März 2006 in der Öffentlichkeit auf Tauchstation gegangen; Linke nen im Thüringer Landtag über den sieht sie die Tatsache, dass der Bun- über mehr als tausend Jahre entwi- vertritt. und SPD haben das Thema engagiert Entwurf des Bibliotheksverbands hi- despräsident seine Bibliotheksrede ckelt und enthält eine eigene Recht- weiter verfolgt. Diesem Engagement naus. Zum Thema der „Finanzierung in Weimar gehalten hat, als beson- sprechung zu Raub und Restitution och am Nachmittag des 24.10. ist es zu danken, dass der Entwurf für von Bibliotheken“ (§ 9) enthält der deren Ansporn, in Thüringen auf gestohlener Güter. Die Referent- N verkündete der kulturpoliti- ein Thüringer Bibliotheksgesetz am Verbandsentwurf lediglich die knap- diesem Politikfeld aktiv zu werden. innen wiesen auf die Bedeutung die- sche Sprecher der CDU-Fraktion im 15. November 2007 – also nur drei pe Aussage, dass die Träger der Bi- Durch den kulturpolitischen ses Rechtswerkes für die Bewertung Thüringer Landtag, Jörg Schwäblein, Wochen nach der Köhler-Rede – auf bliotheken für diese „zuständig“ Sprecher der SPD, Hans-Jürgen Dö- von Bücherrestitutionen aus jüdi- seine Fraktion werde nun ein Bibli- der Tagesordnung der Plenarsitzung sind. Dies wird im Oppositionsent- ring, wurden die allgemeinen Über- scher Perspektive hin, auch wenn die otheksgesetz „auf den Weg bringen“. des Thüringer Landtags stand (vgl. wurf deutlich erweitert, wenn er legungen mit konkreten Fakten un- Grauen der Shoah darin nicht vorge- Am Tag danach sicherte der kultur- Landtagsdrucksache 4/3503). festschreibt: „Die Öffentlichen Bibli- tersetzt. So sprach Döring davon, dacht worden waren. Restitution ist politische Sprecher der SPD-Fraktion, Im Gesetzentwurf, den der Vor- otheken erhalten einen jährlichen dass in Thüringen die Zahl der Öf- aus dieser Perspektive eine gerech- Hans-Jürgen Döring, seine Unterstüt- stand des Thüringer Bibliotheksver- Landeszuschuss.“ Hier soll offen- fentlichen Bibliotheken von über te Handlung – Gerechtigkeit ist eine zung für dieses Vorhaben der CDU zu. bands gemeinsam mit dem Vorsit- sichtlich der Freistaat Thüringen, 1200 im Jahr 1990 auf nur noch 280 der tragenden Säulen der Halacha. Er erwarte allerdings, dass die CDU zenden des Regionalverbands Sach- der sich im Rahmen der Debatte im Jahr 2006 zurückgegangen sei. Bei Die älteste Quelle, die die Referent- nun auch wirklich „schnellstmöglich“ sen/Sachsen-Anhalt/Thüringen des über den Kommunalen Finanzaus- der finanziellen Unterstützung für innen darstellten, ist das Traktat Ne- einen entsprechenden Gesetzentwurf Vereins Deutscher Bibliothekare er- gleich eher aus der Frage der Finan- diesen Bereich durch das Land kon- zikon, deutsch: „Von den Schädigun- vorlege. Und die kulturpolitische Spre- arbeitet hat, geht es darum, die Trä- zierung der Öffentlichen Bibliothe- statiert Döring eine Halbierung der gen“. In dieser Quelle wird unter an- cherin der Linken, Birgit Klaubert, ger der Bibliotheken – also insbe- ken zurückziehen will, in die Pflicht Mittel von 728.000 Euro im Jahr 2002 derem die Lage einer Person geschil- hatte bereits am Vorabend des 24.10. sondere den Freistaat Thüringen so- genommen werden. auf 350.000 Euro, die 2007 noch im dert, die ein Objekt findet, welches erklärt, es sei „höchste Zeit, den Ge- wie die Kommunen und Landkreise Von allen Rednern in der Plenar- Landeshaushalt eingestellt waren. ihr nicht gehört. Mit diesem Finde- setzentwurf des Thüringer Biblio- – in die Pflicht zu nehmen. Eine debatte am 15.11. wurde die Berech- Hierin sieht er den eigentlichen Be- vorgang sind ethische Prozesse ver- theksverbands parlamentarisch wichtige Intention dieses Entwurfs tigung des Anliegens einer gesetzli- weggrund für die Finanzierungszu- knüpft, denen es zu entsprechen gilt. ernsthaft zu prüfen.“ Zumindest un- besteht darin, dass eine gemeinsa- chen Absicherung von Bibliotheken sage, die in dem erweiterten § 9 des Zu den ethisch notwenigen Hand- ter den kulturpolitischen Sprechern me gesetzliche Klammer für Wissen- grundsätzlich anerkannt. In ihrer Oppositionsentwurfs enthalten ist. lungen gehört unter anderem, den der drei im Landtag vertretenen Par- schaftliche und Öffentliche Biblio- Begründung für den Gesetzentwurf Der erste Redner der Mehrheits- Fund öffentlich bekanntzugeben, teien wurde also im Umfeld der Köh- theken geschaffen werden soll. Die der Opposition führte die kulturpo- fraktion, Jörg Schwäblein, verwies und zwar in einer möglichst ange- ler-Rede große Übereinstimmung einzelnen Paragraphen des Gesetz- litische Sprecherin der Linken, Bir- darauf, dass in seiner Fraktion ein messenen Öffentlichkeit, idealiter in im Hinblick auf das politische Ziel entwurfs enthalten eine Beschrei- git Klaubert, drei Argumente an, die „Erkenntnisprozess“ in Sachen Bibli- einer Synagoge oder Schule. Weiter- eines Bibliotheksgesetzes sichtbar. bung der Leistungen, die von Bibli- für die Verabschiedung eines Biblio- otheksgesetz stattgefunden habe, hin müssen die Zeichen der Fund- Der Thüringer Bibliotheksverband otheken erbracht werden sollen und theksgesetzes sprechen. Zum einen und bekräftigte seine Ankündigung sache, die auf seine Herkunft deuten, hat diese Einmütigkeit sehr begrüßt an denen sich Bibliotheken demzu- sei es die mangelhafte finanzielle vom 24.10., dass die CDU-Fraktion gedeutet werden. Zu den Anweisun- und allen Parteien – und auch dem folge auch messen lassen müssen. Ausstattung, aus der ein Regelungs- einen eigenen Gesetzentwurf ein- gen, wie mit gedruckten Objekten Thüringer Kultusministerium – er- Neben eher allgemeinen Aussagen bedarf hervorgehe. Hier könne das bringen werde. Konkrete Kritik am umzugehen ist, gehört unter ande- neut seine Mitwirkung an diesem enthält der Entwurf auch konkrete Gesetz als „Schutzgesetz“ wirken. vorliegenden Entwurf übte er allen- rem, sie binnen dreißig Tagen einmal politischen Meinungsbildungspro- Festlegungen, so z.B. dass die (Prä- Zum anderen sieht sie Thüringen als falls insoweit, als dass er auf bislang zu lesen, oder sie einzurollen, wenn zess angeboten. senz-)Nutzung der Bibliotheksbe- „Land der Dichter und Denker“ in fehlende Absprachen mit den kom- man des Lesens nicht kundig sei. Der Die CDU in Thüringen ist nach stände vor Ort kostenfrei sein und einer besonderen Verantwortung, munalen Spitzenverbänden einging. Ursprung dieser Anweisungen ist der Erklärung ihres kulturpolitischen bleiben soll. hier möglicherweise als erstes Bun- profan – es gilt vor allem, die Druck- Sprechers am 24.10. in dieser Frage In einem wichtigen Punkt geht desland „Politik für ganz Deutsch- Weiter auf Seite 48 werke zu Bewegung zu belüften, um – man kann es nicht anders sagen – der Entwurf der Oppositionsfraktio- land zu gestalten“. Und schließlich KULTURELLES LEBEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 48

wurf zumindest in die Ausschüsse zu stände“ aus der Perspektive des Lan- der Gesetzesvorlage befassen. Die entscheiden, ob die Öffentlichen Bi- Fortsetzung von Seite 47 überweisen. des notwendig, möglich und sinnvoll Frage nach dem Bibliotheksgesetz ist bliotheken (noch bevor ernsthaft Nach einigem parlamentari- sind. Diese Fragen sollten aus seiner derzeit zumindest in Thüringen – über ihre gesetzliche Absicherung Die erste Hürde ist schem Geplänkel erhielt zum Sicht „in Ruhe“ geklärt werden. Das darauf hat der Thüringer Biblio- debattiert wird) auch finanziell von genommen Schluss der Debatte der Thüringer Ergebnis nach der etwa einstündi- theksverband wiederholt hingewie- Landesseite weiterhin unterstützt Kultusminister, Jens Goebel, der sich gen Debatte war für den Thüringer sen – untrennbar mit der Frage nach werden. Und er verwies darauf, dass man in in der Vergangenheit eher zurück- Bibliotheksverband sehr befriedi- der Beteiligung des Landes an der Fi- der Thüringer CDU die Ergebnisse haltend zur Notwendigkeit eines Bi- gend: Der Landtag hat einstimmig (!) nanzierung der Öffentlichen Biblio- Der Verfasser ist Direktor der Enquete-Kommission „Kultur in bliotheksgesetzes geäußert hatte, die Überweisung des Gesetzent- theken, die sich in Thüringen so gut der Universitätsbibliothek Deutschland“ des Bundestags ab- das Wort. Aus seiner Sicht besteht wurfs in die Ausschüsse beschlos- wie ausschließlich in Trägerschaft der Bauhaus-Universität Weimar warten wolle, die für den 13.12. an- das Grundanliegen des Gesetzent- sen. In den nächsten Monaten wer- der Kommunen befinden, verbun- und Vorsitzender des Thüringer gekündigt waren. Grundsätzlich ließ wurfs darin, „einen Beitrag zur wirt- den sich jetzt der Wissenschaftsaus- den. Bei der Landtagsdebatte in vier Bibliotheksverbands. Schwäblein deutlich erkennen, dass schaftlichen Absicherung der Bibli- schuss, der Bildungsausschuss, der Wochen (13./14. Dezember) steht Als „sachkundiger Bürger“ sitzt er sich auch seine Fraktion dazu durch- otheken zu leisten.“ Die Grundsatz- Innenausschuss und der Justizaus- jetzt der Doppelhaushalt 2008/09 im Bildungs- und Sportausschuss gerungen hat, den vorliegenden Ent- frage sei, welche „Regelungstatbe- schuss des Thüringer Landtags mit auf der Tagesordnung. Hier wird sich des Weimarer Stadtrats Was ist Kunstwert Erste öffentliche Tagung des Kunstrates • Von Börries von Notz

Mit der Fragestellung „Was ist Kunst- ten, Galeristen, Künstlern, Wissen- WERT“ veranstaltete der Kunstrat am schaftlern und Museumsleuten be- 1. November 2007 seine erste öffent- setzt waren. Zwischen den beiden liche Tagung anlässlich der Fachmes- Gesprächsrunden beeindruckte Ar- se für Museumstechnik EXPONATEC, min Chodzinski mit seiner Perfor- die parallel zur Kunstmesse COLOG- mance „Rebellion inkl. 7 % MwSt. NE FINE in Köln stattfand. Auf zwei II: Eine kurze Geschichte über Kunst Podien - moderiert von Cathrin Lorch und Wert“. Der Künstler ergriff mit (FAZ) und Claudia Dichter (WDR) – dem in seiner Rigorosität verstören- warfen Kunstexperten, Marktakteu- den Vortrag die Gelegenheit, als re, Künstler und Museumsleute aus „Künstler selbst etwas zum Thema ihren jeweiligen Blickwinkeln Schlag- Kunst“ zu sagen. lichter auf die Kategorien und Maß- Dabei flatterten die Manuskript- stäbe, die für die Prozesse der Be- seiten scheinbar achtlos in Richtung wertung von Kunst entscheidend Publikum, dem Gesagten also gleich sind. Der folgende Beitrag gibt einen hinterher, als wenn dieses Gesagte Überblick über die Veranstaltung. nicht wert wäre, aufgehoben zu wer- den und von vorne herein da- n ihrer Begrüßung wies die Spre- zu bestimmt sei, zwischen den I cherin des Kunstrates und Orga- Stuhlreihen liegen zu bleiben. Die nisatorin der Veranstaltung, Birgit Schwierigkeiten des Wertschöp- Maria Sturm, darauf hin, dass der fungsprozesses ließe sich z.B. gut Messe-Kontext den optimalen Rah- daran zeigen, dass sich aus dem men für das Symposium abgibt. Und Handel mit Baumaterialien, die in zwar nicht nur wegen der ausgestell- einem künstlerischen Akt zu einer ten Exponate und weil Kunstmessen Skulptur oder Installation trans- den Kunstbetrieb konzentriert dar- formiert werden, gut leben ließe, stellen, sondern auch, weil viele weil die Differenz zwischen dem Mitgliedsverbände des Kunstrates normalen Mehrwertsteuersatz von langjährige Kontakte zur Messege- 19 % zu dem vergünstigten Steuer- sellschaft in der Domstadt pflegen: satz von 7 % für Kunstwerke in die- als ideelle Träger, als Aussteller oder sem Fall dem Künstler zugute käme. als Veranstaltungspartner. Ihr gro- In nüchtern-analytischer Vortragsre- ßer Dank ging an das Unternehmen, thorik und mit professioneller Bea- Die erste Podiumsrunde lauscht der Eröffnungsrede von Olaf Zimmermann: v.l.n.r.: Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet das die Kunstrat-Tagung in jeder merpräsentation wurde den Besu- (Verband Deutscher Kunsthistoriker), Iris Schaefer (Verband der Restauratoren), Claudia Dichter (Moderatorin, WDR), nur erdenklichen Weise unterstützt chern und Referenten ebenso ein- Bernd Röter (Bundesverband Kunsthandwerk), Dr. York Langenstein (Internationaler Museumsbund ICOM) hat. dringlich wie emotionslos die per- Foto: Kunstrat Olaf Zimmermann – der Ge- sönliche Not des Künstlers vor Au- schäftsführer des Deutschen Kultur- gen geführt, wenn er sich im Prozess bzw. irrelevant sei, und dass die Prei- te, bei der es ausschließlich um die Star handle, böten Kunstvereine vor rates – outete sich gleich zu Beginn den Wertgenerierung seiner Werke – se, die für dessen Werke – zumal die Bedeutung der fraglichen Werke in allem dem talentierten Nach- als ehemaliger Galerist, woduch sei- oder inmitten von deren Scheitern – Aufsehen erregenden Spitzenpreise einem nationalen Kontext gehe. Lan- wuchs bereits im frühen Stadium nen Ausführungen vor den versam- befindet. – bezahlt werden, jedenfalls kein sol- genstein wies auch auf den Umstand eine Öffentlichkeit und vermittelten melten Kunstfachleuten besonderes Bemerkenswert war, dass die Po- ches Kriterium darstellen. Mit dem hin, dass der Handel der Wegberei- ihren Besuchern innovative, noch Gewicht zukam – berichtete in sei- diumsteilnehmer kaum oder nur Preis würden viele Aussagen einher- ter für die Aufnahme von Kunstwer- nicht „durchrezipierte“ Kunst. ner Eröffnungsrede von dem großen ansatzweise über den kommerziel- gehen, aber es sei nichts über die ken in museale Sammlungen sei. Die- Volker Rodekamp vom Deutschen gemeinsamen Nenner, der die Ver- len Wert der Kunst diskutiert haben Qualität gesagt – die für den Kunst- ser würde nämlich die zeitgenössi- Museumsbund machte deutlich, dass bände der Künstler, der Vermarkter und sich auch nicht in den entspre- historiker entscheidend ist. Ein Dis- sche Entwicklung in der Kunst Museen, selbst wenn es ihnen noch so und der institutionellen Vermittler chenden Ressentiments und Ti- kurs über Qualität und Inhalte der schneller wahrnehmen und eine sehr widerstrebe, lernen müssten, an einen runden Tisch zwang und raden gegen den Kunstmarkt verlo- Kunst finde aber kaum mehr statt. Trennung der Spreu von Weizen vor- den Wert ihrer Bestände einzuschät- schließlich zur Gründung des Kunst- ren haben. Gleichwohl lag diese Selbst in den einschlägigen Medien, nehmen, was die Museen allein nicht zen. Dies seien Zwänge, die die neuen rates führte: Es war die Mehrwert- monetäre Ebene in der Luft und so so Bonnet, sei die Kunstkritik weit- leisten könnten. Langenstein kann Haushaltsregeln in vielen öffentli- steuer, die man sich in ihrer redu- wurde immer wieder einmal Bezug gehend ausgeklammert. Man be- sich deswegen auch eine inten- chen Verwaltungen mit sich brächten. zierten Variante erhalten wollte und zum Preis der Kunst genommen – schränke sich dort zunehmend auf sivere Zusammenarbeit von Museen Da könne das der Kunst innewohnen- um die seit Beginn der 80er Jahre in der aber den „eigentlichen“ Wert der die Vermittlung von Gesellschafts- und Kunsthandel gut vorstellen und de Ideelle, noch so sehr bemüht wer- unterschiedlichen Intervallen im- Kunst dann doch nicht definieren nachrichten und auf Portraits gla- würde eine solche begrüßen. den – lediglich einen symbolischen mer wieder gemeinsam gekämpft sollte. Vielmehr sind die Mechanis- mouröser VIPs aus der Szene. Der das Internationale Künstler- Euro anzugeben, würde von den Mit- werden musste. men, die Ansätze und die Akteure, Für Iris Schäfer vom Verband der gremium repräsentierende Norbert telgebern heutzutage nun mal nicht Ein paar Schritte von der sehr gut die bei der „Bewertung“ von Kunst Restauratoren gelingt ein Zugang Rademacher eröffnete die von Cath- mehr akzeptiert. besuchten Veranstaltung entfernt – eine Rolle spielen, in ihren Ansich- zur Kunst und damit zu ihrem Wert rin Lorch ebenfalls eloquent geleite- Gerade das zweite Podium zeig- auf der Kunstmesse Cologne Fine Art ten so vielfältig wie die Kunst selbst, berufsbedingt über die Ästhetik ei- te zweite Runde mit dem gar nicht te die Dialektik von materiellem und – wurde die dem Symposion namens- wie die lebhaften Diskussionen zeig- nes Werkes. Diese schwindet, wenn defätistisch gemeinten Hinweis, ideellem Wert der Kunst auf. Harte, gebende Frage durch viele Abschlüs- ten. der Zahn der Zeit am materialen Er- Kunst sei ja gerade eine Eroberung jeweils abzuhakende Kriterien wur- se von Kunstverkäufen praktisch be- Bei der von Claudia Dichter char- haltungszustand nagt. In der Hand- des Nutzlosen und deswegen sei ihr den auch hier nicht geboten – falls antwortet. Durch die Verortung der mant moderierten Podiumsrunde habung der Restaurierung – die in Wert in den unterschiedlichen Zu- sich solche denn überhaupt finden Podiumsteilnehmer war hingegen kam Bernd Röter vom Bundesver- den Zeitläufen ganz unterschiedli- sammenhängen immer schwer zu lassen. Die gesamte Veranstaltung schnell klar, dass es auf der Tagung band Kunsthandwerk nicht umhin, che Ansätze und Formen des Re- bestimmen. Julia Garnatz vom Bun- zeigte, dass mit der Frage nach dem nicht primär um den pekuniären eindringlich zu bedauern, dass spekts im Bezug auf das Werkorigi- desverband Deutscher Galerien Wert der Kunst eine gewisse Sehn- Wert der Kunst oder gar um die Aus- selbst avancierteste Objekte aus dem nal aufweise – zeige sich, dass der konstatierte, dass in der Gesellschaft sucht einhergeht, einen Diskurs zu sagekraft der Höhe von Kunstpreisen Bereich des zeitgenössischen Kunst- Wertbegriff immer auch ein histori- und in der Öffentlichkeit der mate- führen, der sich auf breiter Front mit gehen würde. Über deren Angemes- handwerks notorisch unterbewertet scher ist. rielle Wert auf der Kriterienskala der Kunst beschäftigt. senheit lässt sich ja gewiss streiten seien – nicht nur, was ihre Verkaufs- Aus dem Blickwinkel von York ganz oben steht – was sie jedoch Beispielsweise mit der Frage nach und die manchmal irrwitzigen Kap- preise, sondern vor allem, was ihre Langenstein von ICOM-Deutsch- nicht daran hindere, sich auch für den Differenzen und Kriterien von riolen geben auch keinen letzten Ein- Anerkennung in der Kunstwelt be- land bestimmt sich der Kunstwert schwer verkäufliche Kunst zu enga- guter Kunst und schlechter Kunst. blick in das spezifische System von trifft. In den skandinavischen Län- für Museen nach dem ideellen Wert gieren und ihr Galeriepublikum für Das könnte vielleicht das Thema knappem Angebot und teils irrationa- dern etwa sähe das ganz anders aus, der Artefakte. Der materielle Wert diese zu begeistern. Genau dies for- einer nächsten Tagung des Kunstrats ler Nachfrage auf dem Kunstmarkt. dort genieße hochwertiges Kunst- spiele eigentlich gar keine Rolle. Die derte auch Leonie Baumann, Vertre- sein, der in seiner Gesamtheit einen Vielmehr ging es den Diskutanten um handwerk traditionell Kultstatus. Aura, die Geschichte, die Bekannt- terin der Neuen Gesellschaft für Bil- Pool breiten Wissens um die Kunst die Kategorien und Maßstäbe, die für Anne-Marie Bonnet vom Verband heit und das allgemeine Interesse dende Kunst in Berlin, die die Rolle und ihren Betrieb in allen Facetten die Prozesse der Bewertung von der Kunsthistoriker stellte in ihrem bestimmten den musealen Wert von der Kunstvereine als Entdecker her- repräsentiert. Kunst notwendig sind. Statement darauf ab, dass es darum Kunstwerken. Dies zeige auch die vorhob. Losgelöst von materiel- Die Veranstaltung teilte sich in gehen müsse, Kriterien zu entwi- Rückgabediskussion über kriegsbe- len Aspekten oder der Frage, ob es Der Verfasser ist Rechtsanwalt in zwei Podien auf, die mit Kunstexper- ckeln, warum ein Künstler relevant dingt abhanden gekommene Objek- sich schon um einen arrivierten Berlin KULTURELLES LEBEN/PORTRAIT politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 49

Ohne Freundschaft geht’s nicht Ein Essay von Karlheinz Schmid Alles in allem kann man eigentlich nur Wenn Sie sich aber von dem zunächst der Schröder, die sich zudem im part- vor einiger Zeit seinen üblichen Öff- abraten, eine Galerie zu eröffnen. Es meist ausbleibenden Erfolg nicht ab- nerschaftlich geführten Unternehmen nungszeiten-Betrieb nach Jahrzehn- gibt schon zu viele, und die Widerstän- schrecken lassen mögen und dennoch äußern. Manche Galeristen rücken ten eingestellt hat, nämlich Erhard de, auf die Sie stoßen werden, sind nach Räumen Ausschau halten, um auch nur für eine gemeinsame Messe- Klein, zweifelsfrei zu den beliebtes- immens – zumal der Betrieb in den eine Galerie zu gründen, dann sollten teilnahme oder ein amüsantes kollek- ten Insidern gehört. Von Beuys und vergangenen Jahren noch härter ge- Sie nicht nur zuvor gegebene Hinweise tives Schau-Kochen zusammen, bei- Palermo bis zu Polke, Knoebel und worden ist. Investieren Sie lieber in beachten (von der Namensgebung bis spielsweise Rosemarie Schwarzwälder Klauke: Erhard Klein war oder ist für gute Kunstwerke, etablieren Sie sich zur Öffentlichkeitsarbeit), sondern auch (Nächst St. Stephan), Victor Gisler (Mai diese Künstler ein Freund, für den sie als kompetenter Sammler, formen Sie Freundschaften pflegen. Denn ohne die 36) und Bob van Orsouw oder Fried- jederzeit durchs Feuer gehen oder gin- eine Kollektion, die international für geht’s beim besten Willen nicht. Viele rich Loock (Wohnmaschine) und Gerd gen, weil’s umgekehrt nicht anders Aufsehen sorgt. Mit Geld allein ist’s Galeristen beginnen damit, ihren Kunst- Harry Lybke (Eigen + Art). wäre. nicht zu machen; letztlich wird Ihre handel nicht im Alleingang zu betrei- Sammlung nach der Qualität der Ar- ben, sondern im Duo alle Hürden zu Andere Freundschaften, die das stra- Derart gepolstert, mit Rückendeckung beiten bewertet, auch nach der Inten- meistern. Manche Paare sind verhei- paziöse Galerie-Geschäft erleichtern, und Flankenschutz versehen, kann sität, die Ihre Werke im Dialog mitein- ratet, wie Petra und Ralph Schilcher in sind innige Beziehungen zwischen Ga- der Galerist auch schwierigste Krisen- ander erreichen. Das kann zwar Graz (Galerie & Edition Atelier) oder die leristen und Künstlern oder zwischen Zeiten überstehen, egal ob wegen an- durchaus Jahre dauern, doch das Bei- Henzes in der Schweiz; andere bevor- Galeristen und Sammlern. Wer Vera geschlagener Gesundheit oder fehlen- spiel der Düsseldorfer Sammlerin Ju- zugen die Vater-Tochter-Variante wie Munro und ihren Künstler Günther Förg der Umssätze. lia Stoschek (siehe Band 1 dieser Rat- Silke und Raimund Thomas sowie Ju- zusammen sieht, der spürt die Vertraut- geber-Reihe) zeigt jedermann, dass lia und Bernd Klüser, allesamt in Mün- heit, das gegenseitige Wohlwollen. Wer zwei oder drei genügen können. Da- chen zu Hause. Mehdi Chouakri und den Sammler Paul Karlheinz Schmid. Foto: Moosburger Auszug aus dem Buch: Karlheinz gegen räumen nahezu sämtliche äl- Maenz beobachtet, der weiß, dass sich Schmid: Unternehmen Galerie. teren Galeristen ein, dass sie allemal Und dann gibt es bewährte Freund- hier zwei Freunde, Lebenspartner, hun- seligen Kunstbetrieb, und sie sind Kunsthandel, professionell. ein Jahrzehnt gebraucht haben, bis sie schaften, etwa Monika Sprüth und Phi- dertprozentig aufeinander verlassen vonnöten, will man als Galerist nicht ratgeber Kunst Bd. 3, hg. von schwarze Zahlen schreiben konnten lomene Magers, Six Friedrich und Lisa können. Ja, es gibt sie, die wunderba- untergehen. Es kann kein Zufall sein, Gabriele Lindinger und Karlheinz und sich einigermaßen sicher fühlten. Ungar oder Thilo Wermke und Alexan- ren Verbindungen im sonst oft feind- dass einer der älteren Galeristen, der Schmid. Regensburg 2007

Zur Stellung des Architekten in der Gesellschaft Ein Porträt des Architekten und Kulturpolitikers Wolfgang Esser • Von Andreas Kolb „Um Überleben zu können, habe ich wollte er nicht mehr zur Schule, son- delegierten gegangen war, „katapul- auch Architektur gemacht.“ Wolf- dern verdiente sein erstes Geld als tierte“ ihn praktisch ins Präsidium, gang Esser hat ganz bewusst auf Praktikant auf dem Bau. Nur der obwohl er noch gar nicht lange Mit- eine so genannte Architektenkarri- massiven Intervention seines Ordi- glied der VFA war. ere verzichtet. Der heute neunund- narius vom Essener Burg-Gymnasi- Die zahlreichen Ehrenämtern siebzigjährige Essener Architekt um, der die Mutter überzeugte, dass Essers lassen sich am besten in ei- hätte dann nämlich nicht das ma- ihr Kind eine höhere Bildung genie- ner Liste darstellen, die aber hier chen können, was heute für sein ßen müsse, war es zu verdanken, mangels Platz nicht vollständig sein Lebenswerk gilt: Die Stellung des dass diese ihren Sohn wieder auf die kann: Architekten in der Gesellschaft mit- Schule schickte. „Der junge – im Pul- · zirka 15 Jahre 2. Vorsitzender der zugestalten. Im Jahr 1967 trat Es- verdampf ergraute Krieger“, so der VFA Bezirksgruppe Essen; 1. Vorsit- ser dem Verein Freischaffender Ar- alte Esser sarkastisch über den jun- zender 1995 bis 2003. chitekten Deutschlands (VFA) bei gen, „war zunächst erbost, was man · Mitarbeit als einer der 3er-Führung und bekleidete dort hohe und höchs- da über seinen Kopf hinweg ausge- der Bürgerinitiative „Integrierte te Ämter. Bis heute ist er kulturpoli- handelt hatte. Doch er schloss die Gesamthochschule Essen“ – in Zu- tisch aktiv, zum Beispiel als stellver- Schule mit Abitur ab. Und war später sammenarbeit mit Prof. Dr. Ernst tretender Sprecher der Sektion Bau- dankbar für die Hochschulreife.“ von Weizsäcker 1972-1973 – anläss- kultur im Deutschen Kulturrat, als Doch der Weg ging noch immer nicht lich der Gründung der Universität Mitglied in den Kulturratsfachaus- geradlinig weiter: Nach dem Abitur Essen, mit dem Ziel des interdiszi- schüssen Bildung, Bürgerschaftli- folgte die Gesellenprüfung als Mau- plinären Studiums. ches Engagement und Medien, oder rer. Es ging darum, in den Semester- · VFA-Präsidium: Pressereferent und als Juror zur Verleihung des Kultur- ferien für einen vernünftigen Lohn Redaktion der Verbandszeitschrift groschens. auf dem Bau arbeiten zu können. In „der freiberufliche architekt“ 1968 seiner Bewerbung für die Akademie bis 1972. Beisitzer Präsidium 1990 ie enge und lebenslange Ver- schrieb er, er wolle ein künstleri- bis 1992; Vizepräsident 1993 bis D zahnung zwischen Beruf und scher Architekt werden. „Das habe 1994, Rücktritt aus Protest gegen bürgerschaftlichem Engagement er- ich mir inzwischen abgeschminkt. die Unterschrift der VA unter die klärt sich schlüssig aus Essers Vita. Der Architekt ist kein Künstler, war „Erklärung von 18 Professoren an Der Vater, Friedrich Esser, war Kunst- kein Künstler, und wird auch keiner deutschen Hochschulen zur Novel- maler und überzeugter Antifaschist. sein.“ lierung der Wärmeschutzverord- Sehr früh kam der Sohn mit Kunst, Was aber haben Architektur und nung 1995“. Literatur und Musik, aber auch mit Kultur miteinander zu tun? „Der Be- · Seit 2003 im Vorstand der Stiftung Politik in Berührung. zug zur Kultur ist für den Architek- Deutscher Architekten (der Das Vorbild des Vaters, der 1943 ten sehr viel wichtiger als der zur AKNW), Sprecher des Arbeitskrei- in Stalingrad fiel, war ein zentraler Kunst“, sagt Esser. ses „Berufsbild“ der AKNW. Impuls gewesen, sich früh auseinan- Architektur als ästhetische Orga- · Seit 1984 Sprecher und ehrenamt- derzusetzen mit der Situation in nisation praktischer Wirklichkeit - liche Geschäftsführung (bis 2003) Wirtschaft, Kultur und Bildung. „De- Esser bezieht sich auf den schwedi- der Sektion Baukultur im Deut- mokratie – wenn sie überleben will schen Bauhaus-Architekten Sten Sa- schen Kulturrat. – beruht darauf“, so Wolfgang Esser muelson, mit dem er in den Siebzi- · Mitarbeit in Fachausschüssen „Me- gegenüber politik und kultur, „dass ger Jahren in Kontakt stand. Ästheti- dien“ und „Kulturelle Bildung“. Wolfgang Esser. Foto: privat Menschen aus eigenem Antrieb Din- sches Bewusstsein und eine ästheti- ge und Regeln einhalten, die zum sche Verantwortung setzt Esser bei Scherbenhaufen Von vertanen Chancen spricht Esser als den kulturellen Entwicklungsstan- Überleben einer Gesellschaft not- Architekten als selbstverständlich aufarbeiten im Zusammenhang mit der Frage des einer jeweiligen Zeit. wendig sind. In einer Zeit weitge- voraus. der Verantwortung der Architekten Doch es fehlt die Voraussetzung hender kultureller Unsicherheit und Neben all diesen Ämtern soll Essers für die Nachkriegsarchitektur. des aktiven Auslebens der bewuss- Orientierungslosigkeit hat es eine Bürgerschaftliches Architektur nicht vergessen werden. „Wenn nach dem ‚vertikalen Ein- ten oder gewussten Kultur. Oder sol- Berufsgruppe wie die der Architek- Engagement Davon hat er schließlich – wie ein- bruch der Barbarei’ (Ortege y Gasset: len angesichts der großen Herausfor- ten schwer. Ein produktiver Dialog gangs zitiert – gelebt. ‚Aufstand der Massen’) in unsere derungen unserer Zeit – Ökologie, zwischen Bauherrschaft und Archi- Nach dem Studium der Architektur Esser baute Mehrfamilienhäuser, deutsche Kultur, die einmal Weltgel- Soziologie, Ökonomie, Energie – die tekt wird vom Diktat der Ökonomie an der Ingenieurschule, Abteilung Wohn- und Geschäftshäuser. Für ein tung hatte, ein Scherbenhaufen üb- bereits modischen Glastürme oder – des Geldes und der Zeit verdrängt.“ Hochbau, in Essen, arbeitete zwi- Sozialgebäude der Städtischen Wer- rig geblieben ist, müssen wir die Bauten mit dem drei- bis vierfachen Ein Credo Essers, das als immer wie- schen 1953 und 1967 im Angestell- ke Essen erhielten die Bauherren die Menschen provozieren, über sich Energieverbrauch eines ‚normalen’ derkehrendes Leitmotiv sein Leben tenverhältnis. Bronze-Medaille im bundesweiten und ‚ihre Kultur’, ‚ihr Wohnen’ nach- Gebäudes gleichen Inhalts die ‚high– durchzieht. Dann machte er sich selbststän- Wettbewerb: „Industriebauten in der zudenken und die ‚Scherbenhaufen’ lights’ unserer zeitgenössischen Ar- dig, um seine Überzeugungen zu Landschaft“. Weitere Projekte waren aufzuarbeiten. chitektur sein? Architektur und Kultur entwickeln. In dieser Zeit entstand Gewerbebauten, Bürobauten für die Man soll uns nicht zu Prügelkna- Ich betrachte es als einen unzu- auch die Denkschrift: „Versuch einer Ruhrgas Essen, Atlas-Copco Essen ben für mangelnde ‚Baukultur’ ma- lässigen Rückzugsversuch vor diesen Der Weg zum anerkannten Architek- Bestandsaufnahme“ für die VFA. Aus sowie sozialer Wohnungsbau für die chen dürfen infolge des Versagens Herausforderungen, wenn einige ten und Kulturpolitiker war kein di- dieser Situationsbeschreibung leite- GAGFAH Essen (24 WE). Selbst in der Gesellschaft selbst.“ von uns die Architekten zu Künstlern rekter. Als Kind im Landverschi- te er die Folgerungen für die Exis- diesem mikroskopischen Ausschnitt Und noch ein Blick auf die Gegen- hochstilisieren wollen.“ ckungslager bereits weg von zu Hau- tenzchancen eines freischaffenden aus seinen Arbeiten wird deutlich, wart: „Wir sprechen von Baukultur. se, wurde Esser mit 15 Jahren Soldat Architekten ab. Das große Echo auf wie vielseitig Esser auch hier tätig Was ist das? Aus meinem kulturellen Der Verfasser ist Redakteur von der Deutschen Wehrmacht. Nach 45 diese Schrift, die an alle die Bundes- war. Verständnis würde ich es bezeichnen politik und kultur REZENSION politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 50

Kultur und Schule? Kultur macht Schule! Von Kristin Bäßler Mit ihrer Publikation „Kultur macht Thema Kulturelle Bildung zusam- nisierungstendenzen der Bildungs- wirksam die Persönlichkeitsentwick- Schule. Innovative Bildungsallian- mengefasst sind. strukturen. lung unterstützen, indem sie Wissen, zen – Neue Lernqualitäten“ zeigt die Das Hauptaugenmerk des Buches Fähigkeiten und Erfahrungen vermit- Bundesvereinigung Kulturelle Kin- richtet sich auf die Zusammenarbeit Hausaufgaben der telt, Motivation und Einstellungen der- und Jugendbildung Möglichkei- zwischen Schule und außerschuli- Bildungseinrichtungen befördert.“ ten zur Kooperation im Feld der kul- schen Partnern der kulturellen Bil- Ina Bielenberg fasst in ihrem Bei- turellen Bildung dung, die sich seit Einführung der Heinz-Jürgen Scholz erklärt in vier trag „Kinder- und Jugendkulturar- Ganztagsschule als sehr innovativ Thesen, welche möglichen Bedin- beit: Bildungsanliegen“ noch einmal ass kulturelle Bildung notwenig und größtenteils auch positiv gestal- gungen Schulen und außerschuli- zusammen, welchen Wert und wel- D ist und besonderer infrastruk- tet hat. Denn letztlich haben alle Ak- sche Träger der kulturellen Bildung che Aufgaben die kulturelle Kinder- tureller Förderung bedarf, scheint teure das gleiche Ziel: „Chancenge- leisten müssen, damit das Gesamt- und Jugendbildung, begründet im insbesondere bei den Entschei- rechtigkeit und kultureller Teilhabe konzept der Ganztagschule gelingt. Kinder- und Jugendplan des Bundes, dungsträgern angekommen zu sein. zu fördern und allen Schülerinnen So schreibt er, dass die Ganztagschu- hat. Die Grundsätze der kulturellen Das zeigen nicht zuletzt die jüngst und Schülern ein vielfältiges und le grundsätzlich ein erhebliches Po- Bildung, seien sie auch schon oft zi- stattgefundenen Veranstaltungen ganzheitliches Bildungsangebot so- tential besitzt, herkunftsbedingte Bil- tiert, können nicht oft genug wieder- des Bundesministeriums für Bil- wie individuelle Förderung im Ganz- dungsbenachteiligung abzubauen, holt werden: Ganzheitlichkeit, Selbst- dung und Forschung „Interkulturel- tag zu ermöglichen“, wie es im Vor- wenn – zumindest ansatzweise – eine wirksamkeit, Stärkenorientierung, le Bildung – Ein Weg zur Integrati- wort des Buches heißt. Doch gibt es Leistungshomogenisierung ange- Freiwilligkeit und Partizipation. Dar- on?“ in Bonn oder die Arbeitstagung Unterschiede, diese Ziele zu errei- strebt wird. Das Stichwort lautet über hinaus belegt Bielenberg die At- zur kulturellen Bildung des Bundes- chen. hier„individuelle Förderung für alle!“. traktivität der kulturellen Bildung, beauftragten für Kultur und Medi- In seinem Einführungsbeitrag Dabei muss aufgrund der individua- die sich an dem großen Interesse en in Berlin. Aber welche Felder be- beschreibt Max Fuchs die strukturel- lisierten Freizeittendenzen insbeson- Jugend(kultur)arbeit oder „Mozart beispielsweise am Freiwilligen Sozi- dient die kulturelle Bildung? Wie se- len Unterschiede zwischen der dere bei den 14- bis 15-Jährigen dar- ohne Effekt“ den Aspekt der Bil- alen Jahr Kultur oder den Wartelis- hen die bildungspolitischen Rah- Schule und den außerschulischen auf geachtet werden, dass für diese dungswirkung, der in der Diskussion ten der Musikschulen belegen las- menbedingen aus und wie kann kul- Partnern. Diese liegen grundsätzlich und die folgenden Altersgruppen An- um die kulturelle Bildung immer po- sen. Warum das große Interesse an turelle Bildung in den Bildungsorten in der Ausbildung des Fachperso- gebote unterbreitet werden, die nicht pulärer wird. Dieses Thema hat sich der Kultur? Bielenbergs These: „Das so verankert werden, dass man dem nals/Lehrer und in den pädagogi- mehr nur auf die Ganztagsschule be- bisher primär auf den Bereich der liegt am spielerischen, experimen- Anspruch auf Allgemeinbildung ge- schen Prinzipien. Während in den schränkt sind. Schulz unterstreicht Schule konzentriert. Die Fragen, die tellen, prinzipiell offenen Charakter recht wird? Schulen Schul- und Leistungspflicht besonders die Qualitätsentwicklung Liebe in ihrem Beitrag sehr ausführ- von Kunst.“ Die Bundesvereinigung Kulturel- vorherrscht, geht es bei den außer- der Ganztagsschulen: Bildungskon- lich und schlüssig ausführt, sind: Plat- Der zweite Teil des Buches le Kinder- und Jugendbildung trägt schulischen Partnern um Freiwillig- zepte sollten weniger additiv, son- ziert sich die Jugendarbeit, und damit durchleuchtet das Modellprojekt mit ihrer Publikationsreihe „Kultu- keit und Subjektorientierung. So dern verstärkt integrativ ausgestaltet die Jugendkulturarbeit in einem Bil- „Kultur macht Schule“ und bilan- relle Bildung“ ein Stück dazu bei, schreibt Fuchs: „Wenn zwei Systeme werden sollten, so dass Vormittags- dungsdiskurs, der nach Bildungswir- ziert die dort gemachten Ergebnis- diese Fragen zu klären und Theorie zusammenarbeiten, dann entsteht unterricht und Nachmittagsangebot kung (Steigerung der kognitiven Fä- se, wie sie in den Beiträgen von Vio- und Praxis in diesem Feld darzustel- nicht nur ein neues, sondern auch besser miteinander verzahnt wer- higkeiten beziehungsweise Steige- la Kelb und Helle Becker zu finden len. starke Veränderungen bei Strukturen den. Als letzte These regt Schulz an, rung des Intelligenzquotienten) fragt sind. Wolfgang Zacharias zeigt die Der nun erschienene dritte Band und Personal. Fragen nach Profes- die inhaltliche Ausgestaltung der beziehungsweise „in welcher Weise in Notwendigkeit sowie den Mehrwert umfasst die Bereiche „Neue Lern- sionalisierungsanforderungen an die Ganztagsbildung nicht auf Good diesem Handlungsfeld angemessen von kulturellen Bildungsnetzwerken, und Lebenswelten“, Ergebnisse des Fachkräfte der außerschulischen Bil- Practice-Beispielen aufzubauen, über Wirkungen gesprochen werden wie sie in dem Modellprojekt „Kul- Modellprojektes „Kultur macht dung sowie Fragen der pädagogi- sondern eher auf die infrastrukturel- kann“? Sie kommt zu dem Schluss, tur macht Schule“ erfolgreich er- Schule“, die Darstellung von Best schen Positionen sind da nur ein Teil len Begebenheiten, insbesondere gestützt auf die Ergebnisse des probt wurden, und Max Fuchs stellt Practice Beispielen im Bereich von der Reformarbeit“. Fuchs unter- auf lokaler Ebene zu schauen, um „Zwölften Kinder- und Jugendberich- Überlegungen an, wie das kulturelle kulturellen Bildungspartnerschaften streicht, dass es wünschenswerte daraus Handlungsrichtungen abzu- tes der Bundesregierung“, dass auf in- Profil der Schule in Zukunft ausse- und innovativen Netzwerken sowie wäre, wenn die Umstellung der leiten und Strukturen aufzubauen. dividueller Ebene der Erwerb von hen könnte. Grundprinzipien einer einen allgemeinen Teil, in dem Po- Ganztagschule auch einhergehen Martina Liebe beleuchtet in ih- Kompetenzen durch die Jugendkul- solchen Schule könnten laut Fuchs sitionen und Stellungnahmen zum würde mit grundsätzlichen Moder- rem Beitrag „Bildungswirkungen der turarbeit nachweisbar ist. „Sie kann unter anderem sein: Bildung ist mehr als Schule und Schule mehr als Pisa, Bildung als Lebenskompetenz begründet auf Ganzheitlichkeit, und als letztes: Lernen als Welteroberung Der Kultur-Kompass für Deutschland und darin impliziert die Erweiterung der Handlungsfähigkeit. demnächst bei ConBrio Im dritten und vierten Teil der Publikation werden innovative Netz- werke und beispielhafte Arbeitsfel- der der kulturellen Bildung vorge- stellt. Darunter der Wettbewerb „Mixed up“, der Bundeswettbewerb Kultur in Deutschland der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, der er- folgreiche kulturelle Kooperationen Abschlussbericht der Enquete-Kommission zwischen Schule und außerschuli- des Deutschen Bundestages schen Institutionen auszeichnet, oder das KS:MUC München. Einen besonderen Mehrwert er- Ein Kultur-Kompass hält das Buch durch die aufgeführten Stellungnahmen der Kultusminister- konferenz, des Deutschen Städteta- Nach vierjähriger Tätigkeit hat die En- ges und des BundesElternRates zur kulturellen Bildung. Darüber hinaus quete-Kommission „Kultur in Deutsch- durch einen Mustervertrag zwischen land“ ihren Abschlussbericht dem Bun- Schule und außerschulischen Part- destag übergeben. nern der kulturellen Kinder- und Ju- Der Bericht enthält die umfangreichs- gendbildung, der auf Grundlage einer te Bestandsaufnahme zur Kultur in der Rahmenvereinbarung zwischen der Bundesrepublik, die bislang je erschie- LKJ Berlin und der Senatsverwaltung nen ist - und eine überparteilich abge- für Bildung, Jugend und Sport Berlin stimmte Liste von 465 Handlungsemp- gemacht wurde. fehlungen an die Politik. Das Buch spannt einen sehr sinn- vollen Bogen zwischen Theorie und Als Buch mit DVD – sie enthält unter Praxis und bietet Akteuren der kultu- anderem auch alle Einzel-Gutachten rellen Bildung, sei es für die Schule – erscheint dieser Abschluss-Bericht oder für den außerschulischen Be- am 1. März 2008. reich, die Möglichkeit, sich zum ei- nen theoretisch zu informieren, zum anderen ganz praktisch an die Arbeit zu gehen. Hilfreich dafür ist auch die beiliegende CD-ROM, auf der ein „Qualitätsmanagementinstrument für Kooperationen“ enthalten ist, das durch gezielte Fragen die Selbsteva- luation der Partnerschaften zwi- ConBrio Verlagsgesellschaft schen Schule und außerschulischen Brunnstr. 23 Ca. 780 Seiten, mit DVD Preis: 35,- Euro. Trägern befördert und zu optimieren 93053 Regensburg ISBN: 978-3-932581-93-9 Subskription bis zum 29. Februar hilft. [email protected] CB 1193 28,- Euro. Tel.: 0941-945930 Die Verfasserin ist FAX: 0941-9459-350 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Kulturrates BUNDESTAGSDRUCKSACHEN politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 51

Bundestagsdrucksachen Im Folgenden wird auf Bundestags- breit angelegter Beteiligung der Öf- drucksachen mit kulturpolitischer fentlichkeit initiieren Relevanz hingewiesen. Berücksich- tigt werden Kleine und Große Anfra- Drucksache 16/6827 (25.10.2007) gen, Anträge, Entschließungsanträ- Beschlussempfehlung und Bericht ge, Beschlussvorlagen sowie Bun- des Ausschusses für Kultur und Medi- destagsprotokolle. Alle Drucksachen en (22. Ausschuss) können unter folgender Adresse aus zu dem Antrag der Fraktion der FDP dem Internet heruntergeladen wer- – Drucksache 16/3667 – den: http://www.dip/bundestag.de/ Hauptstadtkulturfinanzierung parfors/parfors.htm. des Bundes in einem Staatsvertrag regeln Kulturpolitik allgemein Drucksache 16/6976 (07.11.2007) Drucksache 16/6547 (01.10.2007) Entschließungsantrag Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu der Beratung der Unterrichtung NEN durch die Bundesregierung Zukünftige Förderpolitik des – Drucksache 16/6281 – Bundes für das sorbisch-wendische Der Nationale Integrationsplan Volk Neue Wege – Neue Chancen

Drucksache 16/6758 (19.10.2007) Auswärtige Kulturpolitik Antwort der Bundesregierung Drucksache 16/6604 (10.10.2007) Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude Fotonachweis: Deutscher Bundestag auf die Kleine Anfrage der Fraktion Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Drucksache 16/6547 – NEN Zukünftige Förderpolitik des Bundes Neujustierung der Auswärtigen Kul- Aus den Gremien für das sorbisch-wendische Volk turpolitik Georg Ruppelt als Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates gewählt Drucksache 16/6704 (12.10.2007) Drucksache 16/7086 (08.11.2007) Der Sprecherrat des Deutschen Kultur- Ausbildung zum Bibliothekar und Tätig- der Bundesregierung und dem Land Antwort Unterrichtung rates, des Spitzenverbands der Bundes- keit an der Staats- und Universitätsbi- Niedersachsen, drei internationale Kon- der Bundesregierung durch die Bundesregierung kulturverbände, hat am 05.12.2007 den bliothek Hamburg war er Stellvertreter gresse zum Thema „NS-Raubgut“. auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bericht der Bundesregierung zur Aus- Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bi- Paul Raabes an der Herzog August Bi- Besonders intensiv engagiert sich Dr. DIE LINKE. wärtigen Kulturpolitik 2006/2007 bliothek – Niedersächsische Landesbibli- bliothek in Wolfenbüttel, seit 2002 ist Ruppelt in der Leseförderung. Von – Drucksache 16/6502 Drucksache 16/7253 (16.11.2007) othek Hannover Dr. Georg Ruppelt zum er Direktor der Niedersächsischen Lan- 1996 bis 2005 gehörte er dem Vor- Ausleihe der Büste der Nofretete nach Zugeleitet mit Schreiben der Deut- Stellvertretenden Vorsitzenden des Deut- desbibliothek in Hannover, die seit stand der Stiftung Lesen an, dessen Ägypten schen Welle vom 9. November 2007 schen Kulturrates gewählt. Die Nachwahl 2005 auf seine Veranlassung hin den Vorsitzender er von 2001 bis 2005 war. gemäß § 4a Abs. 1 i. V. m. § 4b des Deut- war erforderlich, weil Dr. Claudia Schwal- Namen Gottfried Wilhelm Leibniz Bibli- 2004 gründete er an der Gottfried Wil- Drucksache 16/6709 (12.10.2007) sche-Welle-Gesetzes. fenberg,, die bisherige Stellvertretende othek trägt. Seit 1979 engagiert sich helm Leibniz Bibliothek die Akademie Kleine Anfrage Unterrichtung durch die Deutsche Vorsitzende, aus dem Sprecherrat aus- Dr. Ruppelt in nationalen und interna- für Leseförderung, die von der Stiftung der Fraktion DIE LINKE. Welle geschieden ist. Sie ist aus beruflichen tionalen kulturpolitischen Gremien. Zwi- Lesen und dem Land Niedersachsen Musikveranstaltungen der extremen Erste Fortschreibung der Aufgaben- Gründen ins Ausland gezogen. schen 2000 und 2006 war Ruppelt u. getragen wird. Bis 2007 hat er ca. 39 Rechten im dritten Quartal 2007 planung der Deutschen Welle 2007 bis Dr. Georg Ruppelt, geb. 1947 in Nie- a. Stellvertretender Vorsitzender des Monographien und 350 Aufsätze zu 2010 dersachsen, studierte Geschichte, Ger- Deutschen Kulturrates; Beirat des Goe- Themen des Buch- und Bibliothekswe- Drucksache 16/6890 (31.10.2007) manistik, Pädagogik und Philosophie in the-Instituts, Mitglied der Deutschen sens, der Kulturgeschichte und -politik Antwort Kulturwirtschaft Göttingen und Braunschweig. Er pro- UNESCO-Kommission; seit 2001 ist er sowie der Literatur- und niedersächsi- der Bundesregierung movierte mit einer interdisziplinären Zweiter Sprecher der Deutschen Lite- schen Regionalgeschichte publiziert; auf die Kleine Anfrage der Fraktion Drucksache 16/6731 (17.10.2007) Arbeit über „Schiller im nationalsozia- raturkonferenz. 2002, 2005 und 2007 hinzukommen journalistische und bel- DIE LINKE. – Drucksache 16/6709 – Beschlussempfehlung und Bericht listischen Deutschland“. Nach einer initiierte er in Hannover, unterstützt von letristische Arbeiten. Musikveranstaltungen der extremen des Ausschusses für Kultur und Medi- Rechten im dritten Quartal 2007 en (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion der SPD EU-Kulturkommissar Jan Figel und Deutscher Kulturrat Drucksache 16/6588 (09.10.2007) – Drucksache 16/5111 – Antwort Populäre Musik als wichtigen Be- vereinbaren intensive Zusammenarbeit der Bundesregierung standteil des kulturellen Lebens stär- Ein neues Kapitel der Zusammenarbeit Ebene vorgetragen. Ein Thema war un- ches stand die Offene Methode der Ko- auf die Kleine Anfrage der Fraktion ken zwischen der Europäischen Kommission ter anderem die Besteuerung ausländi- ordinierung. Mit der Verabschiedung der DIE LINKE. und dem Deutschen Kulturrat wurde scher Künstler. Sie stellt sich nach wie EU-Mitteilung „Eine Europäische Kultur- – Drucksache 16/6494 – Drucksache 16/6852 (24.10.2007) beim Treffen in Berlin aufgeschlagen. EU- vor als ein Hindernis für die von der EU agenda im Zeichen der Globalisierung“ Erfassung von Musikveranstaltungen Kleine Anfrage Kulturkommissar Jan Figel und der Deut- angestrebten Mobilität für Künstler dar. wird ein neues Kapitel der europäischen der extremen Rechten der Fraktion der FDP sche Kulturrat, der Spitzenverband der In diesen Zusammenhang gehören auch Kulturpolitik aufgeschlagen. Die Offene Musikförderung in Deutschland – In- Bundeskulturverbände, trafen sich am Fragen nach der Erteilung von Visa für Methode der Koordinierung wird zu ei- Drucksache 16/6415 (02. 11. 2007) itiative Musik 5.12.2007 in Berlin, um einen struktu- europäische Künstler, die in das außer- ner verstärkten und vertieften Zusam- Kleine Anfrage rierten Dialog zum Umsetzung der EU- europäische Ausland reisen. Ein weite- menarbeit in der Kulturpolitik der euro- der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 16/7081 (24.10.2007) Mitteilung „Eine Europäische Kulturagen- res Thema war die Kulturverträglichkeits- päischen Mitgliedsstaaten führen. Daher Rechtsextremismus und neue Unterrichtung da im Zeichen der Globalisierung“ zu be- prüfung. Der Deutsche Kulturrat sprach ist es aus Sicht des Deutschen Kulturra- Medien durch den Beauftragten der Bundes- ginnen. Im November dieses Jahres hat an, dass vielfach in anderen Generaldi- tes notwendig, dass der Dialog mit der regierung für Kultur und Medien der Europäische Kulturministerrat die Eu- rektionen der Europäischen Kommissi- organisierten Zivilgesellschaft verbessert Drucksache 16/6925 (06.11.2007) Bericht über das Prüfergebnis zur Si- ropäische Kulturagenda verabschiedet on wie z.B. Wettbewerb, Informationsge- wird. Der Deutsche Kulturrat repräsen- Antrag cherung eines zielgruppengerechten und damit in Kraft gesetzt. Der Deutsche sellschaft oder auch Medien Entschei- tiert als Spitzenverband der deutschen der Fraktion der CDU/CSU, der Frak- und qualitativ hochwertigen Ange- Kulturrat hat mit seiner Stellungnahme dungen getroffen werden, die sich auf Bundeskulturverbände alle künstleri- tion der SPD und der Fraktion der FDP bots an interaktiven Unterhaltungs- zur Mitteilung der EU-Kommission „Eine den Kulturbereich auswirken. Figel sicher- schen Sparten und Bereiche des kultu- Errichtung eines Freiheits- und Ein- medien Europäische Kulturagenda im Zeichen te zu, dass er in die verschiedenen Gre- rellen Lebens von den Künstlern, über heits-Denkmals der Globalisierung“ Position bezogen. mien, die sich mit diesen Fragen befas- die Kultureinrichtungen und Kulturverei- Drucksache 16/7116 (14.11.2007) Diese Positionierung des Deutschen Kul- sen, die besonderen Belange der Kultur ne bis hin zu Kultureinrichtungen. Er ist Drucksache 16/6927 (07.11.2007) Antrag turrates war die Grundlage des Gesprä- einbringt. Auf diese Weise kann er zur der deutsche Ansprechpartner für die Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der ches mit EU-Kulturkommissar Figel. Kulturverträglichkeit anderer Politiken bei- Politik und Verwaltung des Bundes, der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion der SPD Der Deutsche Kulturrat hat in dem Ge- tragen. Der Austausch zwischen dem Länder, der Kommunen sowie der Euro- NEN Wertvolle Computerspiele fördern, spräch konkrete Vorschläge zur Verbes- Deutschen Kulturrat und EU-Kulturkom- päischen Union. EU-Kulturkommissar Fi- Diskussionsprozess über ein Frei- Medienkompetenz stärken serung der Rahmenbedingungen für missar Figel soll auf diesem Gebiet ver- gel regte regelmäßige Treffen mit dem heits- und Einheitsdenkmal unter Kunst und Kultur auf der europäischen tieft werden. Im Mittelpunkt des Gesprä- Deutschen Kulturrat an. Aus den Gremien des Deutschen Kulturrates Der Fachausschuss Bildung des Deut- Mittelpunkt der Debatte stand die ent- des Deutschen Kulturrates vorbereitet. Künstler verabschiedet.Am 27.09. pflicht ausländischer Künstler und schen Kulturrates traf sich am stehende Konkurrenz zwischen Rund- Der Sprecherrat des Deutschen Kul- 2007 fand die jährliche Mitgliederver- bereitete hierfür eine Stellungnahme 05.09.2007, 24.10.2007 und am funk- und Telekommunikationsunter- turrates tagte am 19.09.2007 und am sammlung des Deutschen Kulturrates vor. Weiter beriet der Ausschuss unter 04.12.2007 unter der Leitung seines nehmen in diesem Bereich. Der Fach- 05.12.2007 jeweils unter der Leitung unter der Leitung des Vorsitzenden der Leitung seines Vorsitzenden Prof. Vorsitzenden Christian Höppner, um ausschuss bereitet eine Stellungnah- des Vorsitzenden Prof. Dr. Max Fuchs. Prof. Dr. Max Fuchs statt. Neben der Dr. Peter Raue das Problem, dass in über eine Stellungnahme zu neuen Me- me zu dem Thema vor. In der Sitzung am 19.09.2007 wurde Entlastung für den Haushalt 2006, der zunehmendem Maße Finanzbehörden dien und kultureller Bildung zu beraten. unter anderem die Stellungnahme zur Verabschiedung des Haushalts 2008 für Unternehmen der Kulturwirtschaft, Im Zentrum der Sitzung des Fachaus- EU-Kulturagenda verabschiedet (siehe wurden auch die Mitgliedsbeiträge er- die ähnliche Aufgaben wie öffentliche Der Fachausschuss Medien des Deut- schusses Europa/Internationales, der hierzu politik und kultur 6/2007). In höht. Kultureinrichtungen wahrnehmen, die schen Kulturrates beriet am 11.09. von Prof. Dr. Max Fuchs geleitet wird, der Sitzung am 05.12.2007 wurde als Umsatzsteuerbefreiung beantragen. 2007 unter der Leitung seines Vorsit- stand die Mitteilung der EU-Kommission neuer Stellvertretender Vorsitzender Der Fachausschuss Steuern des Hiervon sind vor allem Unternehmen zenden Heinrich Bleicher-Nagels- „Eine Europäische Kulturagenda im Zei- Dr. Georg Ruppelt gewählt. Weiter Deutschen Kulturrates befasste sich der Veranstaltungsbranche betroffen. mann, welche Auswirkungen die Digi- chen der Globalisierung“. Der Fachaus- wurde eine Stellungnahme zur be- in seiner Sitzung am 31.10.2007 in- talisierung auf den Rundfunk hat. Im schuss hat hierzu eine Stellungnahme schränkten Steuerpflicht ausländischer tensiv mit der beschränkten Steuer- Gabriele Schulz DAS LETZTE politik und kultur • Jan. – Feb. 2008 • Seite 52

Zeichnung: Dieko Müller Kurz-Schluss Wie die Kultur einmal den Kopf aus einem Rattenloch im Bundestag streckte… Impressum ind sie schon einmal – gefesselt les aus. Einziger anwesender Minis- fektion“ der Künste durch die Bedie- S von der Lektüre eines Buches – ter: Bernd Neumann – wahrschein- nung touristischer Bedürfnisse. Sieg- erst durch den morgendlichen We- lich im Rahmen einer chronischen mund Ehrmann (SPD) empfiehlt nur cker wieder auf die Suche nach der „deformation professionelle“. Keine leicht verschleiert eine Verlagerung verlorenen Zeit geschickt worden? , höchstens ein der Kulturförderung weg vom „Elitä- Zeitung des Deutschen Kulturrats Blieb Ihnen – beim Galerie-Besuch – flüchtiger Rockzipfel Annette Scha- ren“ hin ins – letztlich industriege- angesichts eines Ihnen unbekannten vans: Deren Ressorts berührt die Be- steuerte – Populär-Genre. Dorothee Deutscher Kulturrat e.V. Bildes schon mal kurz die Luft weg? findlichkeit der Künste augenschein- Bär (CDU/CSU) erfüllt brav den Auf- Bundesgeschäftsstelle Haben Sie in der Oper, im Konzert, im lich nicht. Die Bundesländer ließen trag, „wenigstens einmal das Wort Chausseestraße 103 Theater oder im Kino je verschämt mit sich im Rahmen ihrer kulturhoheitli- Blasmusik zu erwähnen“ und ihr Par- 10115 Berlin Tel: 030/24 72 80 14, Fax: 030/24 72 12 45 den Tränen gekämpft? Dann sind Sie chen Fürsten-Funktion durch zwei teikollege Johann-Heinrich Krumma- Internet: www.kulturrat.de, E-Mail: [email protected] dringend therapiebedürftig. Sie lassen Mitarbeiter im Referenten-Rang ver- cher entlarvt die Künste als „elemen- sich vom Kunstwerk ja noch richtig treten – nicht ein Ministerpräsident, tare Kohäsionskräfte, die gesell- Herausgeber Olaf Zimmermann und Theo Geißler einnehmen, beeinflussen, überwälti- nicht ein Kultusminister empfanden schaftliches Leben und ein Dasein im gen. Präsenz als angemessen. Da weiß Miteinander überhaupt erst ermög- Redaktion Glauben Sie mir: Das ist die völ- man wenigstens, in welcher gesamt- lichen“ – eine Art Alleskleber augen- Olaf Zimmermann (verantwortlich), Gabriele Schulz, Andreas Kolb lig falsche Herangehensweise. Sen- gesellschaftlichen Bedeutungs-Kühl- scheinlich. Einer der wenigen Licht- Redaktionsassistenz timental. Altmodisch. Höchstwahr- truhe man als Kulturmensch tiefge- blicke in dieser mentalen Dunkel- Stefanie Ernst scheinlich verlogen. Denn erst froren ist. kammer: die Finanzfachfrau und Anzeigenredaktion kommt das Fressen – und dann die Dem Permafrost zu entgehen er- Steuerexpertin der SPD Lydia We- Martina Wagner, Tel: 0941/945 93 35, Fax: 0941/945 93 50 Moral: Maßstab für den Kunst-Wert fanden die Enquete-Präsentatoren strich: Sie wandelte sich nach eige- E-Mail: [email protected] ist schließlich der Markt-Wert. Die folglich die schönsten Luftbrücken, nem Bekunden im Rahmen der En- Verlag Bedeutung von Kultur als weicher Klebe-Fäden und Transport-Zeppeli- quete-Arbeit von einer rein zahlen- ConBrio Verlagsgesellschaft mbH Standort-Faktor, als Tourismus-Mo- ne, um das Karst-Feld Kultur an ge- und paragraphengesteuerten Excel- Brunnstraße 23, 93053 Regensburg, E-Mail: [email protected] tor, als Vokabel-Schmuck für die sellschaftliche Bereiche anzudocken, Operatorin in eine befreite Persön- Herstellung sinnliche Ausgestaltung von Börsen- die wirklich wichtig sind: Da entdeck- lichkeit, die „loslassen, sich hingeben Petra Pfaffenheuser, ConBrio Verlagsgesellschaft Kursberichten, Schmiermittel bei te der FDP-Abgeordnete Christoph und sich auf Unbekanntes einzulas- Druck ökonomieschädigenden sozialen Waitz eine höchst konstruktive „In- sen“ gelernt hat. Gießener Anzeiger Verlags GmbH und Co KG, Gießen Konflikten, Synapsen-Vitamin zur Dazu mag man ihr nur heimlich Vorbereitung unserer Kinder auf ein Erscheinungsweise gratulieren. Denn für ihre politische 6 Ausgaben im Jahr effektives Berufsleben. Karriere sind – bei der opportunis- Woher ich diese Wahrheiten be- tisch-materialistischen Grundaus- Preis/Abonnement 3,00 Euro, im Abonnement 18,00 Euro, inkl. Porto im Jahr ziehe? Aus der Bundestags-Debatte richtung unseres Parlamentes solche anlässlich der Präsentation von 465 Fähigkeiten und Fertigkeiten über- Aboverwaltung/Bestellmöglichkeit: Handlungsempfehlungen an die Po- flüssig und eher hinderlich. PressUP GmbH, Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg litik durch die Kultur-Enquete-Kom- Dass ausgerechnet die CDU/ Tel. 040/414 48-466, [email protected] mission. Nichts gegen die Arbeit die- CSU-Fraktion eine Verankerung des puk ist im Abonnement, in Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken sowie an Flughäfen erhältlich. ser Experten-Gruppe. Sie hat das Um- „Staatszieles Kultur“ im Grundgesetz feld für alle Künste gründlichst aus- verhindern wird, kann angesichts des Alle Ausgaben von politik und kultur können von der Homepage des Deut- geleuchtet und schlüssige Konse- verballerten Verbal-Schrotes nur be- schen Kulturrates (http://www.kulturrat.de) heruntergeladen werden. Ebenso kann der kostenlose Newsletter des Deutschen Kulturrates quenzen formuliert. Das Ergebnis: ruhigen: So laufen die Künste wenig- (2-3mal die Woche) unter http://www.kulturrat.de abonniert werden. eine gültige Road-Map für die Positi- stens nicht Gefahr, von weiteren Pa- onierung von Kultur und Bildung im pier- und Worthülsen-Massen vor- Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos übernehmen wir keine Haftung. Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich ge- nächsten Jahrzehnt. Bis sie erstmals sorglich erstickt zu werden. Die ei- schützt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die unter die Exegeten fiel – die angeb- gentliche Arbeit beginnt – versteht Meinung des Deutschen Kulturrates e.V. wieder. lich kunstaffinen Bundestagsabge- man die Ergebnisse der Kultur-En- Gefördert aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur ordneten. quete richtig – frei von pseudolegis- und Medien Dass den meisten unserer ge- lativen Wattebäuschen und Parfüm- wählten Volksvertreter Kultur grund- schwaden dort, wo die Kultur zu Trotz intensiver Nachforschungen ist es uns im Schwerpunkt „Kulturpolitik sätzlich am verlängerten Steißbein der Grünen“ nicht gelungen, alle Urheber der Bilder zu ermitteln. Sollten Hause ist: ganz am Anfang, und ganz Sie hiervon betroffen sein, melden Sie sich bitte bei uns. vorbeistreicht, wies schon die mehr Theo Geißler, Herausgeber von politik unten. als magere Besetzung des Plenarsaa- und kultur Theo Geißler kultur kompetenz bildung KONZEPTION KULTURELLE BILDUNG

Januar – Februar 2008 Regelmäßige Beilage zu politik & kultur Ausgabe 14

Der hat gut tanzen, dem das Glück aufspielt Norbert Lammert Tanzplan als Glücksfall für den Tanz in Deutschland

„Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass ihr Ende heran kam, da rief sie ihr einziges Töchter- lein zu sich ans Bett und sprach: Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird Dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Him- mel auf Dich herabblicken und will um Dich sein“.

Mit dieser melancholischen Einleitung und dem dazugehörigen liebenswürdigen Appell lassen die Gebrüder Grimm ihr berühmtes Märchen „Aschen- puttel“ beginnen, dessen Verlauf bemerkenswerte Parallelen zur Lage des Tanzes in der jüngeren Kul- turgeschichte deutscher Dreispartentheater auf- weist. Inzwischen ist nicht mehr zu übersehen, dass längst „Blut im Schuh“ ist: Zu knappe Schuhe für zu hohe Ansprüche. Und die rabiate Empfehlung, gegebenenfalls Zehen abzuhacken oder ein Stück der Ferse, funktioniert schon im Märchen nicht, zum Tanzen oder zur Förderung des Balletts ist sie erkennbar ungeeignet. Wie schreibt man über den Tanz in Deutschland? Als Erfolgsgeschichte? Als Katastrophenbericht? Als Satire oder Glosse? Oder vielleicht doch am besten als Märchen? Unter allen Künsten ist der Tanz wahrscheinlich die älteste, vielleicht auch die vollständigste und deshalb auch schwierigs- te. Die Verbindung von Körper und Geist, Ge- fühl und Verstand, Musik und Bewegung, Mimik und Gestik, schließlich von Phantasie und Diszi- plin: Dies alles ist eine einzigartige Herausfor- derung für die Tänzer und gerade deshalb ein besonderes Erlebnis für die Zuschauer. Die Bedeutung des Tanzes ist hoch, sein Stellen- „Human Writes“, Choreografie William Forsythe. Fotos: © Dominik Mentzos wert in der operativen Kulturpolitik aber eher niedrig. Unter allen darstellenden Künsten ist der in Deutschland in den Bereichen Ausbildung, Prä- Der Tanzplan bringt hochwillkommene „Sternta- tatsächlich gebraucht wird. Der Tanzplan bietet Tanz – jedenfalls in Deutschland – die am meis- sentation, Produktion und Wissenschaft bis ins ler“ für ein allzu lange vernachlässigtes „Aschen- begründeten Anlass zur Hoffnung, dass Tanzkunst ten gefährdete Sparte, das unscheinbare Aschen- Jahr 2010 nachhaltig verbessern soll. Der „Tanz- puttel“. Fast wie im Märchen. In für die Kultur zu einem anerkannten Bestandteil der Kultur puttel neben den stolzen Schwestern Oper und plan Deutschland“ ist mit immerhin 12,5 Mio. schwierigen Zeiten der Globalisierung und Libe- unseres Landes werden kann, so wie es für die Theater. Soweit die unvermeidliche Konsolidie- Euro ausgestattet und damit das bisher ambitio- ralisierung, manchmal verzweifelter Haushalts- Musik, die Bildende Kunst, die Literatur ganz rung öffentlicher Haushalte bestehende En- nierteste Projekt der Kulturstiftung des Bundes. verhandlungen, gekürzter Budgets und aufgelös- selbstverständlich ist. sembles trifft, sind Tanz- und Ballettkompanien Damit wird in einem Zeitraum von fünf Jahren ter Ensembles ist das mehr als ein Silberstreif am am meisten betroffen, weit mehr als Orchester, ein breites Spektrum von Aktivitäten ermöglicht, Horizont – und für die Kulturstiftung des Bundes DER VERFASSER IST PRÄSIDENT DES DEUTSCHEN Theater und Opern. Umso wichtiger sind alle In- vom Deutschen Tanzkongress 2006 über ein- bis ein mehr als respektabler Beleg dafür, dass sie BUNDESTAGES stitutionen und Initiativen, die sich dieser zer- zweijährige Anschubfinanzierungen bis hin zu brechlichen Kunst annehmen, von der Genos- Modellvorhaben, die über die gesamte Laufzeit senschaft Deutscher Bühnenangehöriger über des Tanzplanes an unterschiedlichen Orten rea- den Berufsverband für Tanzpädagogik bis zu pri- lisiert werden sollen. Bundesweit waren mit dem Olaf Zimmermann vaten Stiftungen wie der Tanzstiftung Birgit Keil. „Tanzplan vor Ort“ Städte eingeladen, Konzepte Experimentierraum Glücklicherweise zählt dazu jetzt auch die Kul- zur Profilierung des Tanzes auszuarbeiten, von Tanzplan Deutschland turstiftung des Bundes, seit diese 2005 einen auf denen neun ausgewählt wurden: Berlin, Bremen, fünf Jahre angelegten Strukturplan beschlossen Dresden, Düsseldorf, Essen, Frankfurt/Main, In der kulturellen Bildung ist das Gleichgewicht gen Verbindung von künstlerischem Ausdruck hat, der die Situation des internationalen Tanzes Hamburg, München und . der künstlerischen Disziplinen untereinander in und Bewegung aufzuwerten. den letzten Jahren deutlich gestört. Weg von der Der „Tanzplan Deutschland“ wird über die Dauer Bildenden Kunst, der Literatur und der Darstel- von fünf Jahren von der Kulturstiftung des Bundes Tanzplan Deutschland lenden Kunst hin zur Musik scheint die Devise zu mit einem Gesamtvolumen von 12,5 Mio. Euro sein. Wenn über Defizite in der kulturellen Bildung gefördert. Das ist viel Geld und sicher mehr als der Im Jahr 2005 startete die Kulturstiftung des Bun- Arbeitstreffen und Weiterbildungen im Bereich in der Schule, den Kindertagesstätten und in der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber was des die mit 12,5 Mio. Euro ausgestattete Initiati- Tanzvermittlung und Tänzerausbildung an den Freizeit der Kinder und Jugendlichen gesprochen wird ab dem Jahr 2010 passieren, wenn das Bun- ve Tanzplan Deutschland. Mit dem Tanzplan staatlichen Ausbildungsinstitutionen statt. Tanz- wird, steht in der Regel die Musik im Zentrum der desprogramm ausläuft? Gerade Maßnahmen der Deutschland sollen bis zum Jahr 2010 nachhalti- plan fördert die Entwicklung und Einführung neuer Debatte. In den Diskussionen zur kulturellen Bil- kulturellen Bildung benötigen Kontinuität. So schön ge Maßnahmen für den Tanz entwickelt werden. Arbeitstools z.B. William Forsythe‘s „One Flat dung wird ein deutlicher Schwerpunkt auf die einzelne Projekte auch immer sein mögen, erst in In neun Städten gibt es „Tanzpläne vor Ort“: in Thing – reproduced – Online Interactive Score musikalische Bildung gelegt. Und es ist natürlich der Dauerhaftigkeit und in der allgemeinen Zu- Düsseldorf und München die engagierte Arbeit Project“ oder das Salzburger E-Learning-Pro- auch dringend notwendig, auf die Mängel in der gänglichkeit für alle Kinder, Jugendlichen und auch mit Kindern und Jugendlichen; in Berlin eine neue gramm zur Tanzwissenschaft. Auf Initiative des musikalischen Bildung hinzuweisen, es ist aber Erwachsenen können sie ihren Nutzen für die Ge- Hochschule für Tanz; in Hamburg und Potsdam Tanzplans haben sich alle 11 staatlichen Tanz- und genauso notwendig darauf zu achten, dass die sellschaft wirklich erweisen. In diesem Sinne ist der Residenzprogramme, die Künstlern die Möglich- Fachhochschulen zur „Ausbildungskonferenz anderen künstlerischen Disziplinen dabei nicht aus „Tanzplan Deutschland“ ein Experimentierraum an keit bieten, im geschützten Raum neue Ideen zu Tanz“ zusammengeschlossen und gemeinsam mit dem Blick geraten. In allen künstlerischen Spar- dessen Förderungsende der Beginn von bundes- erarbeiten; in Frankfurt/Main und Dresden neue ihnen wird vom 26.2.–4.3.2008 die erste Bien- ten eröffnet kulturelle Bildung Teilhabe an Kunst weit flächendeckenden Landesprogrammen für Ausbildungsangebote, bei denen junge Tänzer nale der Tanzausbildung im Berliner Theater Heb- und Kultur. Durch kulturelle Bildung werden Men- Tanz in Schulen und Kindergärten stehen muss. erste Stücke mit Hilfe von erfahrenen Choreo- bel am Ufer ausgerichtet. Alle Projekte werden schen an Kunst und Kultur herangeführt. Sie wer- Die Schulen und Kindertagesstätten sollten ihre grafen entwickeln und präsentieren können; in vom gemeinnützigen „Tanzplan Deutschland e.V.“ den so zu aktiv Kulturausübenden oder auch zu Türen für den Tanz als Teil ihres kulturellen Bil- Bremen ein tourendes norddeutsches Gastspiel- koordiniert und begleitet; der Verein selbst initi- kompetenten Rezipienten. Kulturelle Bildung hilft, dungsangebotes weit öffnen und die Länder müs- programm für freie und städtische Tanzkompani- iert darüber hinaus Symposien, legt neue Förder- Kreativität zu entwickeln und sich in unterschied- sen das Notwendige tun, damit die Voraussetzun- en und in Essen die Erprobung experimenteller programme auf (z.B. für Tanzpublikationen) und lichen Sprachen und Formen auszudrücken. Und gen dafür geschaffen werden, dass die Bildungs- Lern- und Lehrmodelle mit Künstlern, Wissen- versucht, wie z.B. durch die Zusammenarbeit mit dies gilt selbstverständlich auch für den Tanz! einrichtungen die Türen dauerhaft aufmachen schaftlern und Studenten internationaler Tanz- allen Tanzarchiven, ein starkes Netzwerk für den Die Initiative „Tanzplan Deutschland“, die wir in können. Die Kulturstiftung des Bundes hat mit der und Kunsthochschulen. Tanz aufzubauen. dieser Ausgabe von „kultur · kompetenz · bil- Initiative „Tanzplan Deutschland“ den ersten Schritt Im Bereich „Tanzplan Ausbildungsprojekte“ wer- Für die Unterstützung in der Erstellung der Bei- dung“ vorstellen, will den Tanz als eigenständi- dafür getan, dafür ist ihr ausdrücklich zu danken. den Mittel und Wege zur Verbesserung sowie in- lage danken wir herzlich Madeleine Ritter, Ingo ge Kunstform in der öffentlichen Wahrnehmung ternationalen Profilierung der Tanzausbildung in Diehl und Barbara Schindler. stärken. Durch die Initiative „Tanzplan Deutsch- DER VERFASSER IST HERAUSGEBER VON POLI- Deutschland entwickelt: Es finden regelmäßige DIE REDAKTION land“ besteht zudem die Chance, gerade in der TIK UND KULTUR UND GESCHÄFTSFÜHRER DES kulturellen Bildung den Tanz in seiner einmali- DEUTSCHEN KULTURRATES

kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 2

Man muss die Progressivsten den Raum bauen lassen Arnd Wesemann im Gespräch mit Madeline Ritter und Hortensia Völckers

Arnd Wesemann: Was ist der Tanzplan? ten Mal auch genervt hat, indem sie die Gret- Hortensia Völckers: Eine Gratwanderung. chenfrage stellte: Wie hält die Kulturpolitik es mit Madeline Ritter: Eine Gratwanderung, die not- dem Tanz? Das war ein Klärungsprozess für die wendig ist, weil der Tanz in Deutschland einfach ganze Sparte und wohl das Wichtigste, was der nicht die nötige und verdiente Anerkennung hat. Tanzplan bis jetzt bewirkt hat. Es musste erst Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern ein Tanzprojekt mit Jugendli- Wesemann: Das klingt mir zu harmonisch. Es chen machen, damit die Kulturpolitiker aufhorch- muss doch auch einen Wettbewerb innerhalb der ten und sich für die Potenziale im Tanz interes- Szene ausgelöst haben? sierten. In diese Situation hinein kam der Tanz- Ritter: Das war unterschiedlich. Es stellte sich plan Deutschland. jedenfalls heraus, dass da mehr Baustellen wa- ren, als den Kulturpolitikern lieb sein konnte. In Wesemann: Als Initiative der Kulturstiftung des manchen Städten schienen sich alle einig, doch Bundes? im Nachhinein kamen unterschiedlichste Inter- Völckers: Die seit ihrer Gründung so genannte essen hervor. Es gab aber auch Städte, wo die Leuchttürme fördert, herausragende Veranstal- Tanzszene zum ersten Mal zusammen saß, wie tungen mit internationaler Ausstrahlung in den in Hamburg, wo die Kulturbehörde vorbildlich die Sparten Kunst, Musik, Theater… nur der Tanz kam Moderation übernommen hat. Oder einen Fo- nicht vor. Ich weiß nicht genau, ob ich den Tanz kus setzte wie in Berlin, wo klar gesagt wurde: einfach verdrängt hatte, obwohl ich ihn sehr gut ein Ausbildungszentrum und nichts anderes. Die kenne, oder ob vielleicht das meine unbewusste Kulturverwaltung hat hier Position bezogen und Strategie war, um dafür dann was ganz besonders Verantwortung übernommen, was ich richtig fin- machen zu können. Jedenfalls gab uns der spä- de. te Einstieg die Möglichkeit, mit dem Tanz einen Völckers: Natürlich gab´s auch Ärger. Ausein- anderen Weg zu gehen. Nicht einfach eine Ver- andersetzungen vor Ort haben immer auch da- anstaltung zu fördern, sondern zu fragen: Was mit zu tun, wer die größere Lobby hat, wer sich ist im Tanz vergleichbar mit der Bedeutung des besser durchsetzt. Aber dieser Prozess ist auch Theatertreffens? Was ist im Tanz das Wichtigste konstruktiv. In Berlin beispielsweise arbeitet die in Deutschland? Freie Szene jetzt am Curriculum einer Behörde mit. Ja, wo gibt’s denn sowas? Oder in Ham- Wesemann: Ist also seine Zukunft das Wichtigs- burg, auch ein wunderbarer Effekt, da wurde die te? Förderung für die freie Szene verdoppelt. Und Völckers: Ja. Also wollten wir was für den Tanz wo sich die Kulturverwaltung nicht gemeinsam an sich tun. Es gab viele Ideen: Zum Beispiel ein mit der Szene für die Tanzplan-Bewerbung stark tourendes Festival, das sich in jeder Stadt anders gemacht hat, wie in Leipzig oder Köln, funktio- definiert. Es haben sich diverse Kuratoren mit ver- nierte es eben auch nicht. schiedenen Konzepten vorgestellt. Auch Madeli- ne Ritter, die aber kein reisendes Festival moch- Wesemann: Das heißt, wo die Szene schon vor- te und auch keine Kuratorin sein wollte – also strukturiert war, konnte man sich schnell einigen gar nicht dem entsprach, woran wir gedacht hat- und anderswo wurde auf Ausbildung gesetzt? ten. Glücklicherweise, wie sich herausstellte. Ma- Ritter: So einfach ist das nicht. Man kann sich deline und ich gingen dann selbst auf Tour. Wir überall streiten, auch in der Ausbildung. In besuchten die 14, 15 Städte mit einer Tanzsze- Deutschland gibt es elf staatliche Ausbildungs- ne, denn wir wollten nicht bei Null anfangen. stätten, die bisher kaum miteinander zu tun hat- Dann machten wir etwas relativ Wagemutiges: ten. Aber jetzt arbeiten sie durch die engagierte Wir setzten uns in fremden Städten mit den Kul- Moderation von Ingo Diehl, der die Tanzplan- turschaffenden und der Politik an einen großen Ausbildungsprojekte koordiniert, als ihre eige- Tisch. Einem Vertreter vom Land, meist dem Kul- nen Interessensvertreter in der neu gebildeten tusminister, dem Kulturdezernenten der Stadt und Ausbildungskonferenz Tanz zusammen. Und pla- zehn, 20, 30 Vertretern der Tanzszene. nen mit uns eine Tanzbiennale, auf der alle Schu- len sich mit ihren Studenten präsentieren und Wesemann: Warum war dies wagemutig? Kann- austauschen. ten die sich untereinander nicht? Völckers: Der Konflikt war ja, dass es im Tanz- Völckers: Wir wollten ja niemanden aussparen, plan nicht um Einzelförderung gehen sollte, son- also saß da die junge Choreografin neben dem dern um die Bündelung von Ressourcen, um neue Intendanten des großen Theaters. Wir sagten Querverbindungen. Dieses Sich-einigen-müssen dann allen: „Wir würden gern hören, was Ihre ist ein, wie soll ich sagen, atypischer Vorgang in Stadt braucht. Wie könnte Ihre Stadt – sagen wir: der Szene und erfordert eigentlich übermensch- modellhaft – mit Tanz umgehen?“ Die meisten liche Qualitäten. waren von diesem Ansatz, diesem Interesse an Ritter: Das war jedenfalls kein Selbstorganisati- ihren Belangen überrascht. Dann aber wurden onsmodell, da fiel nichts von Himmel. Aber wir die Wünsche der Reihe nach auf den Tisch ge- kamen mit dem Tanzplan zur richtigen Zeit. Es packt. Einer wollte neue Schläppchen für die war gerade die Ständige Vertretung Tanz entstan- Kompanie – mh, das ist nicht gerade eine Bun- den, um übergeordnete Interessen auf Bundes- desaufgabe –, dann war die nächste dran, die ebene zu formulieren. Es gab die Ballettdirekto- gemerkt hat, man müsse größer denken. Also renkonferenz, und es hat sich der Bundesverband wurde ein ganzes Tanzhaus gewünscht, mehr für Tanz in Schulen gegründet. Was großartig ist, weil die Ausbildung, ein Übungsraum für die, die mit Tanz eine starke Lobby braucht. der Ausbildung fertig sind usw. Völckers: Man muss natürlich eine Ahnung davon haben, was in der Politik für eine Sprache Wesemann: War die Ausbildung wirklich schon gesprochen wird. Und es ist wichtig zu wissen, Thema bei diesen runden Tischen? wer in der Szene hinter einem steht. Man muss Ritter: In Berlin war das Fehlen einer zeitgenös- die Progressivsten mitnehmen und diese den sischen Tanzausbildung auf internationalem Ni- Raum bauen lassen. Das ist kulturpolitisch klu- veau absolut ein Thema. In Frankfurt auch, da ges Handeln: nichts aufdrücken, sondern Raum ging es um die Stärkung der Verbindung von schaffen, damit andere sich artikulieren können, Theorie und künstlerischer Praxis. Wir haben uns und diese dann, wenn man Glück hat, auch den dann gefragt, wie wir neue Ausbildungsmodelle richtigen Moment erwischen, etwas durchzuset- in der Tanzausbildung etablieren können und das zen. mit den Tanzplan-Ausbildungsprojekten auch zu Ritter: Diese Vorgehensweise bestimmt auch einem Schwerpunkt unserer Arbeit gemacht. Es unsere weiteren Aktionen, denn der Tanzplan geht ja nicht nur darum, Tänzer zu qualifizie- Deutschland ist ja mit der Auswahl der geförder- ren, es geht um das ganze Feld der kulturellen ten Projekte nicht abgeschlossen. Wir begleiten Bildung. Das zeigen die Projekte in Düsseldorf die Entwicklung und organisieren zur besseren und München, die den Tanz in die Schulen brin- Vernetzung Treffen der Tanzplan-Projekte. Im gen. Februar haben wir in der Akademie Schloss Soli- tude in Stuttgart ein Symposium zum Thema Wesemann: Nochmal zu den runden Tischen in Künstler-Residenzen veranstaltet. Dabei ist der Foofie Harlan, Mitglied der Senioren-Cheerleader-Gruppe „The Poms“ aus Sun City/USA im Alter von 77 den Städten. Wie einig wurde man sich? Tanzplan kein closed shop: Man muss auch au- Jahren, 1991. © Alon Reininger, Contact/Agentur Focus Völckers: Alle haben ihre speziellen Wünsche ßerhalb Mitstreiter und Unterstützer für die wich- artikuliert. Aber wie daraus etwas Gemeinsames tigsten Themen gewinnen. Was passiert zum Bei- als lebendige Forschungs- und Dokumentations- HORTENSIA VÖLCKERS IST KÜNSTLERISCHE DI- entwickeln? Das war Aufgabe der Leute vor Ort, spiel mit Tänzern, wenn sie altersbedingt ihren orte einen breiteren Zugang zum Wissen in Be- REKTORIN DER KULTURSTIFTUNG DES BUNDES. und natürlich war da auf einmal der Teufel los. Beruf nicht mehr ausüben können? Andere Län- wegung zu schaffen. Es gibt noch viele Bereiche, MADELINE RITTER IST PROJEKTLEITERIN DES Die Szene rückte nun dem Kultursenator auf die der wie Kanada oder die Niederlande haben in denen eine Menge getan werden muss. Des- TANZPLAN DEUTSCHLAND. Pelle: „Wenn Sie uns Geld geben, kriegen wir vorbildliche Transitions-Programme entwickelt. halb gibt’s den Tanzplan ja auch bis 2010. auch Geld vom Bund.“ Das war ja der Deal. Das Da hinken wir hinterher. Oder die zum Teil ge- Das Interview erschien erstmals im „Tanzplan Interessante für mich ist, dass die Szene dadurch fährdete Situation der Tanzarchive in Deutsch- ARND WESEMANN IST REDAKTEUR DER TANZ- Deutschland – Jahresheft 2006/07“ (Erschei- sehr selbstbewusst wurde, und vielleicht zum ers- land, die in die Lage versetzt werden müssten, ZEITSCHRIFT BALLET-TANZ IN BERLIN. nungstermin Mai 2007). kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 3

© Dominik Mentzos

Jeder Mensch ist ein Tänzer Gitta Connemann Ein Plädoyer für den Tanz

„Jeder Mensch ist ein Tänzer“, diese Fest- Wahrnehmung durch eine ausschließliche Fokus- desweite Profilierung des Tanzes und die Anerken- Eine Vermittlung setzt eine entsprechende Qua- stellung des ungarischen Tänzers, Choreo- sierung auf kognitive Kernfächer verengte. Die- nung seines künstlerischen Potentials geschaffen lifikation der Tanzpädagogen voraus. Daran kann graphen und Tanztheoretikers Rudolph von se Phase scheint jedoch nun überstanden zu sein worden. Die Chance, die gleichzeitig Herausfor- es aber kranken. Denn zurzeit kann sich jeder Laban scheint eine Selbstverständlichkeit zu – glücklicherweise. Denn unser Land darf sich derung ist, ist von den Tanzschaffenden erkannt tanzpädagogisch Tätige als Tanzpädagoge be- sein, wenn man Kinder und Jugendliche be- nicht nur der Kreativität als seines einzigen Roh- und angenommen worden. So hat der „Tanzplan zeichnen, unabhängig davon, ob er eine staat- obachtet. Der Drang, sich zu Musik rhyth- stoffes und damit seiner Zukunftsfähigkeit be- Deutschland“ auch eine Zusammenarbeit der Aus- lich anerkannte tanzmethodische oder tanzpäd- misch zu bewegen, ist ihnen eigen. Spiel und geben. Vielmehr darf Bildung nicht auf ein trost- bildungsinstitute für Tanz in Deutschland etabliert. agogische Qualifizierung erworben hat oder Tanz werden miteinander verbunden – schon loses Lernen reduziert werden. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bil- nicht. Nicht zuletzt birgt diese Arbeit mit Kindern im Kinderzimmer, später auf dem Schulhof. In einer Welt, die immer schneller wird, mit ei- dung und Forschung engagiert sich zudem der neu und Jugendlichen das Risiko physischer Verlet- Berührungsängste zwischen Ernstem und nem Überfluss an Angeboten, ist es für Kinder gegründete „Bundesverband Tanz in den Schulen zungen. Es bedarf klarer Regelungen für die Aus- Unterhaltendem kennen sie nicht. Kinder und Heranwachsende nicht leicht, eine Orien- e.V.“ in den Schulen. Durch Projekte wie „TanzZeit bildung in privaten und staatlichen Instituten. Die und Jugendliche haben Lust an der Bewe- tierung zu finden. Kunst und Kultur können eine – Zeit für Tanz in den Schulen“ wird zeitgenössi- Enquete-Kommission empfiehlt deshalb Bund gung, sie wollen tanzen. Die Nachfrage ist solche geben. Bei der kulturellen Bildung geht sche Tanzkunst und Tanzkultur für Schüler aller und Ländern, Tanz als nachweisbaren Ausbil- groß, das Spektrum breit. Die Angebote der es um den ganzen Menschen, um die Bildung Schichten und Kulturen etabliert. Die Konzentra- dungsberuf anzuerkennen und das Berufsbild Tanzpädagogik reichen von Streetdance bis seiner Persönlichkeit, um Emotionen und Kreati- tionsfähigkeit der Kinder steigert sich innerhalb „Tanz- und Ballettpädagoge“ durch Regelungen Folklore, von elementarem Kindertanz über vität. Ohne kulturelle Bildung fehlt ein Schlüssel weniger Wochen, gegenseitige Rücksichtnahme zur Ausbildung und Zertifizierung zu definieren. Ballett bis hin zum Hip-Hop. zu wahrer Teilhabe. Deshalb ist aus meiner Sicht und Wahrnehmung erhöhen die soziale Kompe- Das geforderte gesetzgeberische Tätigwerden auf keinem Feld die Verantwortung des Staates, tenz der Klasse. Entscheidungsfähigkeit und ver- dient dabei nicht nur dem Schutz der Heranwach- Also jeder Mensch ist ein Tänzer! Oder? Denn es aber auch der Zivilgesellschaft und der Kultur- antwortliches Handeln werden ebenso gefördert senden, sondern auch einer besseren sozialen gibt auch das andere Bild. Es zeigt Kinder und einrichtungen größer. Kulturelle Bildung macht wie die Kreativität. Absicherung von Tanzschaffenden. Denn der Tän- Jugendliche, die mehr sitzen denn laufen ge- nicht nur stark, sondern auch klug. Denn sie hat Diese Erfolge sprechen für sich. Wegen der zerberuf ist kein anerkannter Ausbildungsberuf. schweige tanzen. Die Gründe sind vielfältig. Städ- gleichermaßen Auswirkungen auf Persönlich- überragenden Bedeutung kultureller Bildung hat Tanzschaffende gelten für andere Berufe als un- tische Umgebungen bieten wenig Platz für die keitsentwicklung und Lernfähigkeit. die Enquete-Kommission des Deutschen Bundes- gelernt und damit bei den Arbeitsagenturen als Erfahrung des Körpers. Selbst wo Raum wäre, Und für die kulturelle Bildung ist der Tanz unab- tags „Kultur in Deutschland“ deren Sicherung und schwer vermittelbar. Weiterbildungsmaßnahmen wird in so manchem Haushalt kein Anreiz für dingbar. Für die Mitglieder der Enquete-Kommis- Ausbau als ein Schwerpunktthema erkannt und sind nur schwer zu erlangen. Erschwerend tritt hin- Bewegung gesetzt. Von einer Generation der sion „Kultur in Deutschland“ war diese Erkennt- behandelt. Sie hat deshalb den Ländern empfoh- zu, dass die örtlichen Arbeitsagenturen wenig oder Computer- und Fernsehkinder zu sprechen, wäre nis eine Selbstverständlichkeit. Aber zu häufig len, die Fächer der kulturellen Bildung zu stärken keine Informationen zur speziellen Situation die- klischeehaft. Aber ein Kern ist wahr. Die Folgen wird allein von Kunst und Musik gesprochen, fin- und qualitativ auszuweiten. Dafür ist zunächst si- ser Berufsgruppe haben. Das eröffnet nur gerin- sind unübersehbar. Zivilisationskrankheiten in- det der Tanz keine Erwähnung. Dabei war und cherzustellen, dass der vorgesehene Unterricht ge Perspektiven für die Aus- und Weiterbildung folge Bewegungsmangels und motorische Stö- ist der Tanz unverzichtbarer Bestandteil unseres durch qualifizierte Lehrkräfte tatsächlich erteilt auf dem Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund rungen nehmen dramatisch zu. kulturellen Lebens, eine eigene Kunstform ohne wird. Denn die beste Stundentafel hilft nicht, wenn empfiehlt die Enquete-Kommission auch der Bun- Der Tanz kann hier heilend und vorbeugend wir- sprachliche oder nationale Barrieren. Kinder und es an der faktischen Umsetzung fehlt. desagentur für Arbeit, neben einer zentralen An- ken. Mit dem Tanz kann ein Gewicht gegen die Jugendliche können im Tanz einen Zuwachs an Besonderes Gewicht hat die Kommission darauf laufstelle für Tänzer spezielle Beratungsangebote Eintönigkeit der Bewegung gesetzt werden. Aber Ausdruckssicherheit erfahren. Der Tanz ermög- gelegt, dass zukünftig alle Formen kultureller Bil- zu erarbeiten, die zu einer weiteren beruflichen es wäre fatal, die Bedeutung des Tanzes auf sein licht über generationsübergreifend positive Be- dung in der Schule vermittelt werden und explizit Qualifizierung führen. Tänzer sollten zudem nach somatisch-physisches Potenzial zu reduzieren. gegnungen ohne Grenzen. Menschen, die tan- den Tanz als eigenständige Kunstform benannt. dem Wunsch der Kommission während und nach Tanz ist Kunst – und unverzichtbarer Teil der kul- zen, haben ein herausgehobenes Wahrneh- Tanz ist zwar in den Rahmenrichtlinien nahezu der Tanzkarriere durch die Einrichtung einer Stif- turellen Bildung. mungsvermögen oder wie es William Forsythe aller Schulstufen und Schulformen zu finden und tung bei der beruflichen Neuorientierung, der so Der Wert dieser kulturellen Bildung scheint sagt: „Sie wissen immer, wo sie stehen oder nicht wird als eigenes Lernfeld mit verschiedenen In- genannten Transition, unterstützt werden, die inzwischen in der Öffentlichkeit weitgehend er- stehen.“ Der Tanz hat es also verdient, auch als halten und Stilen in den Fächern Musik, Sport und zwingender Bestandteil ihres Berufslebens sind. kannt zu sein. Auch wenn Schiller bereits im 18. unverzichtbarer Teil kultureller Bildung in das Darstellendes Spiel erwähnt. Aber auch dort gilt: Denn was wäre der Tanz ohne sie? Jahrhundert in seinen Briefen „Über die ästheti- Licht der Öffentlichkeit gerückt zu werden. er muss tatsächlich vermittelt werden. Tanz muss Jeder Mensch ist ein Tänzer – wenn man ihn denn sche Erziehung des Menschen“ die Notwendig- Der Anfang ist politisch gemacht. Die Kulturstiftung in allen Bereichen der Bildung, der Breitenarbeit lässt. Also lassen Sie uns gemeinsam die Vor- keit kultureller Bildung für die Persönlichkeits- des Bundes hat 12,5 Millionen Euro für einen Zeit- und im soziokulturellen Bereich langfristig gleich- aussetzungen dafür schaffen. entwicklung beschrieb und die Neurobiologie raum von 5 Jahren bereitgestellt. Mit dem „Tanz- berechtigt mit anderen Kunstfächern in Bildungs- diesen Wert für den naturwissenschaftlich durch- plan Deutschland“ werden unterschiedliche Model- und Entwicklungspläne integriert werden. Die bis- DIE VERFASSERIN IST MITGLIED DES DEUTSCHEN leuchteten Menschen des 21. Jahrhunderts ein- le von Tanzförderung unterstützt, zur Hälfte vor Ort. herigen Schultanzprojekte sollten evaluiert wer- BUNDESTAGES UND WAR VORSITZENDE DER drücklich unterstreicht, brauchte die Erkenntnis Mit diesem ehrgeizigen und verdienstvollen Pro- den, um für zukünftige Maßnahmen messbare ENQUETE-KOMMISSION „KULTUR IN DEUTSCH- Zeit. Nicht zuletzt infolge der Pisa-Studie, die die jekt ist politisch eine Voraussetzung für die bun- Handlungsgrundlagen zu schaffen. LAND“ kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 4

You can change your life in a dance class Karin von Welck Die Bedeutung von Tanz für die kulturelle Bildung

„Dance has enormous potential as an agent Austausch zwischen renommierten Künstlern, Tanz- for personal transformation and community Nachwuchs und Publikum baut. development“, lautet ein grundlegender Ge- Die integrative Wirkung von Tanz durch eine Zu- danke des britischen Choreographen Royston sammenarbeit, unabhängig von Alter und Ge- Maldoom, doch bedauerlicherweise wird das schlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Potential vor allem des zeitgenössischen Tan- Herkunft, haben auch in Hamburg so genannte zes als eigenständige Kunstform und seine Community Dance Projekte wie „Rhythm Is It“ und Bedeutung für die kulturelle Bildung in der „Can Do Can Dance“ von Royston Maldoom einer Öffentlichkeit noch immer nicht ausreichend breiten Öffentlichkeit vorgeführt. Auf diesem Weg anerkannt. erkannten viele Pädagogen, dass Tanz – ob klas- sisch oder zeitgenössisch – einen wesentlichen Bei- Daher ist die bundesweite Exzellenz-Initiative „Tanz- trag zur Bildung der künstlerischen, sozialen und plan Deutschland“ der Kulturstiftung des Bundes, emotionalen Kompetenz von Kindern und Jugend- die sich der Stärkung des zeitgenössischen Tanzes lichen leisten kann. Integriert in den schulischen widmet, gar nicht genug zu loben. Bewerbungen Alltag wirkt Tanz als ein innovativer Gesamtbil- aus neun deutschen Städten erhielten den Förder- dungsprozess: Durch Tanz erleben Schüler Kultur, zuschlag. Die Freie und Hansestadt Hamburg kann gestalten sie aktiv und erleben dabei die Freude sich freuen, da ihr Antrag mit der Höchstförder- der Arbeit an einem gemeinsamen Projekt. summe von 1,2 Millionen Euro belohnt wurde. Die Konkrete Projekte wie „Focus on Youth“ mit Eleven Stadt selbst gibt noch einmal die gleiche Summe des „Hamburg Ballett – John Neumeier“ und 70 hinzu. Hamburger Schulen belegen dies. Die abschließen- Schon im Laufe des Bewerbungsprozesses war der de Aufführung des erarbeiteten Tanzstücks „Romeo Motivationsschub innerhalb der Hamburger Tanz- und Julia – Ballettcollage für Kinder“ in der ausver- und Performanceszene zu spüren. Die „Player“ setz- kauften Staatsoper galt als Riesenerfolg und wur- ten sich zusammen und begriffen sich dabei nicht de bei dem bundesweiten Wettbewerb „KINDER weiter als Konkurrenten, sondern vielmehr als eine ZUM OLYMP! – Schulen kooperieren mit Kultur“ Art Ensemble, das nur gemeinsam in der Lage sein der Kulturstiftung der Länder ausgezeichnet. würde, nachhaltige Strukturen zu entwickeln. Er- „Step by Step“, heißt nun das Folgeprojekt von „Fo- staunlich schnell schlug sich das neue Selbstbe- cus on Youth“, dass den Ansatz des Vorgängermo- wusstsein auf die Projektanträge nieder: Ihre Zahl dells in mehreren Schulen in Stadtteilen mit Ent- verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahr und – wicklungsbedarf vertiefen soll. Das Kooperations- genauso erfreulich – die Qualität der Bewerbun- programm „TuSch – Theater und Schule“ legt einen gen hat ein beeindruckendes Niveau erreicht. Zehn weiteren Beteiligungs-Ring vor allem in benach- Projekte sind nun für die Förderung ausgewählt und teiligten Stadtteilen an Haupt-, Real- und Gesamt- stammen sowohl von etablierten Künstlern der schulen. Hamburger Szene als auch von echten Newcomern. So lässt sich festhalten, dass mit der als ganzheit- Dies sind zwei Beispiele dafür, was für ein wichti- lich verstandenen Initiative „Tanzplan“ eine Kultur- ger Impulsgeber der Tanzplan in Hamburg gewor- sparte reaktiviert und gestärkt wurde. Die sponta- den ist. Und: Die Öffentlichkeit ist neugierig, zeigt nen, befürwortenden, unterstützenden Impulse aus Interesse an den Entwicklungen dieser neuen Spar- der Tanzszene wirkten wie seismographische Mus- te. Von maßgeblicher Bedeutung dafür ist, dass wir ter: Das Interesse, der Wille, die Motivation – alles die Theaterfabrik Kampnagel hierfür als attrakti- war vorhanden. Das überzeugende, auf unter- ves Zentrum gewählt haben, das einen klaren An- schiedlichsten Ebenen funktionierende Konzept des laufpunkt bietet. Hinzu kommt: Zwar stellt Kamp- Tanzplans Hamburg wurde sofort angenommen. nagel für den Tanzplan Personal in Verwaltung und Und damit die Weichen dafür gestellt, dass sich der Technik bereit. Doch die Leitung arbeitet unabhän- Tanz zu einer eigenständigen Sparte der Kunst eta- gig von der eigentlichen Intendanz. blieren kann und als unverzichtbarer Teil der kul- Drei Bausteine prägen das Konzept des „Zentrums turellen Bildung verankert. In diesem Sinne blicke für Choreographie“: Das Residenzprogramm zur ich sehr zuversichtlich in die Zukunft des Tanzes in gezielten Qualifizierung ausgewählter Tanzschaf- Hamburg. fender und Choreographen, das Kursprogramm für Tanzschaffende und die Vermittlung des zeitgenös- DIE VERFASSERIN IST SEIT MÄRZ 2004 KULTUR- sischen Tanzes als innovative künstlerische Praxis SENATORIN DER FREIEN UND HANSESTADT sowie als gesellschaftlich relevante Wissenskultur. HAMBURG UND PRÄSIDENTIN DES DEUTSCHEN Im November dieses Jahres waren bereits die Pro- EVANGELISCHEN KIRCHENTAGS. VON 1998 BIS duktionen der ersten Residenz-Choreographinnen 2004 WAR SIE ALS GENERALSEKRETÄRIN DER Monica Antezana, Jenny Beyer und Lina Lindhei- KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER TÄTIG © Dominik Mentzos mer zu erleben. Der Auftakt gelang vielverspre- chend und wurde von den Medien aufmerksam begleitet. An dem jährlichen neunmonatigen Residenzpro- gramm nehmen jeweils drei ausgewählte Choreo- Netz an Kraftzentren für Tanz Oliver Scheytt graphen teil. Zielgruppe sind Jungchoreographen, die am Beginn ihrer Laufbahn stehen, aber schon Tanz in und für die Kulturhauptstadt RUHR.2010 erste Projekte realisiert haben. In Kooperation mit dem Master-Studiengang „Performance Studies“ an Wer in einer zunehmend theatralisierten Welt der geistige Rohstoff, auf dem ihre Spielpläne, Auf der Grundlage von radikalen Veränderun- der Universität Hamburg verbindet das Programm lebt, den mag der Gedanke erschreckend er- auf dem ihr Business und ihre Obsessionen ba- gen der letzten zwanzig Jahre in der künstleri- die praktische Arbeit an einer eigenen Produktion scheinen: Neben dem Schrillen und Lauten, sieren, nachwachsen können. Ein Gegenmodell schen Praxis und wichtigen Erkenntnissen in der mit der Vermittlung von theoretischem und pro- neben dem Exponieren und Übertreiben zu dieser Eventisierung innerhalb des Betriebs Wissenschaft wird „Tanzplan Essen 2010“ die Be- duktionspraktischem Wissen. Die Choreographen könnte auch das konzentrierte Lernen und sind Formate und Modelle, die sich der Aus- und dingungen des Transfers von Wissen, Informati- nehmen an Veranstaltungen des Master-Studien- leise Forschen eine prinzipielle Antwort auf Weiterbildung des künstlerischen Nachwuchs on und Erfahrung, die Methodik, die Lernumge- gangs sowie dem gesamten übrigen Programm des die uns umgebene Flut an Impulsen und An- widmen. bung sowie ihre Inhalte und mögliche Lernziele Zentrums für Choreographie teil. forderungen sein. Die Spielpläne der Bühnen- befragen. Dabei geht es nicht um die Suche nach Mit täglichen Trainings, Workshops mit internatio- häuser lassen häufig an die impulsiven Zy- Tanzplan Essen 2010 Handlungsanweisungen oder die Steigerung von nalen Künstlern sowie Kursen in Kulturmanage- klen von Moden und Trends in Shopping-Malls Effizienz. Vielmehr wird versucht, die Prozesse des ment, Tanz- und Performancetheorie richtet sich das denken und erinnern daran, dass sich beide Essen und das Ruhrgebiet zeichnen sich durch Lernens selbst besser zu verstehen, um sie flexi- Kursprogramm an alle Hamburger Tanzschaffen- um den gleichen Daseinszweck drehen sol- ein dichtes, historisch gewachsenes Netz unter- bel gestalten und ganz unterschiedlichen Bedürf- den. Über die Übungsräume hinaus steht der Ham- len: Veredelung des Images, um eine lahme schiedlicher Kraftpole für Tanz und Tanzausbil- nissen anpassen zu können. Denn für ein Agie- burger Tanzszene mit der Bühne des „Zentrums für Wirtschaft wieder flott zu machen. Kurzum: dung aus. Für den „Tanzplan Essen 2010“ haben ren in den komplexen und instabilen Systemen Choreographie“ eine neue Spielstätte zur Verfü- Standortpolitik. Für die Darstellenden Künste sich folgende Partner zusammengeschlossen: einer globalisierten Welt kann es in der Lehre gung. Auch so wirkt „Tanzplan“ flächendeckend in stellen sich viele Fragen: Welchen Einfluss hat aalto ballett theater, Deutscher Berufsverband für nicht mehr um ein bloßes Weitergeben von Wis- die Stadt hinein. die Globalisierung auf die deutsche Szene. Tanzpädgogik, Folkwang Hochschule, Folkwang sen, Fähigkeiten und Techniken gehen. Dies gilt Für die kulturelle Bildung ist Tanz als eine eigen- Wie agieren Festivals zwischen globalisierter Tanzstudio (FTS), Folkwang Musikschule, Gym- ebenso für die künstlerische Ausbildung wie auch ständige Kunstform von großer Bedeutung und das Produktion und Vermarktung und ihrem ein- nasium Essen-Werden, PACT Zollverein. Die Bün- für andere ausdifferenzierte Bereiche der Infor- sollte auch in der Öffentlichkeit so wahrgenom- heimischen Publikum, zwischen internationa- delung von Tradition, Kompetenzen, Ressourcen mations- und Wissensgesellschaft. men werden. Auf unterschiedlichsten Ebenen sol- len Standards und lokalen Gegebenheiten? und Zukunftsperspektiven spiegelt sich in dem „Tanzplan Essen 2010“ schafft in seinen Modu- len Kinder und Jugendliche für den Tanz erreicht Festivals und Kunst-Märkte können viel: Öf- Programm wider, das die Partner gemeinsam bis len außerinstitutionelle Austauschforen, in de- werden. Im Rahmen des „Tanzplan Jugendclubs K3“ fentlichkeit schaffen, Distributionswege öffnen, zum Jahr 2010 entwickeln und das sich auf ganz nen wichtige Kenntnisse aus den verschiedenen erarbeiten Jugendliche ab 15 Jahren mit der Ham- Subventionen beanspruchen, Arbeitsplätze unterschiedliche Weise mit dem Phänomen des akademischen und wissenschaftlichen Diszipli- burger Choreographin, Tanzpädagogin und Tanz- schaffen und Publikum für sich gewinnen. Nur Lernens beschäftigt. Mit den drei sich bedingen- nen mit künstlerischen Arbeitsweisen verknüpft wissenschaftlerin Friederike Lampert Tanzstücke, die eines können sie nicht: Sinn erzeugen. Ohne den und wechselseitig ergänzenden Modulen und reflektiert werden. Künstlern und anderen auf der Bühne des „Zentrums für Choreographie“ Künstler, die dasjenige öffentlich machen, was „Werkwoche“, „Symposium“ und „Transdiziplinä- Interessierten werden so transdisziplinäre Fort- auf Kampnagel auch aufgeführt werden. Einen sie für bedenkenswert halten und individuell rer Austausch“ entsteht im Zusammenspiel von bildungsmöglichkeiten geboten, die auch Grund- wichtigen Beitrag zur Vermittlungsarbeit für den erarbeitet haben, haben Festivals, Märkte und Institutionen und Akteuren ein Kompetenzlabor lage für eine zeitgemäße Ausbildung an Hoch- zeitgenössischen Tanz in der Öffentlichkeit liefert Städte auf die Dauer nichts zu vermarkten. für Lernen und Lehre im und durch den Tanz. schulen und Akademien, für Faszination, Enthu- seit zwei Jahren das von der Kulturbehörde geför- „Tanzplan Essen 2010“ richtet sich mit seinen siasmus und Neugier sein könnten und! sollten. derte Festival für die freie zeitgenössische Tanzsze- Es gibt nicht viele Festivalleiter und Kulturpoli- Modulen an Künstler, Pädagogen, Vermittler und Seite 5 ne, „DanceKiosk Hamburg“, das erfolgreich auf den tiker, die sich langfristig dafür engagieren, dass Interessierte. kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 5

Glaube an die Zukunftstauglichkeit der Performing ! Fortsetzung von Seite 4 Arts werden den Mittelpunkt von „Theater der Welt“ bilden, das mit einem Künstler-Kurator eine eige- Biennale Tanzausbildung ne, neue Existenz gewinnen wird. Ohne dem krea- tiven Elan des Kurators vorgreifen zu wollen, kann Ende Februar 2008 findet erstmals die Biennale man davon ausgehen, dass die Programm-Auswahl Tanzausbildung statt. Sie wird vom Tanzplan Bezug nehmen wird auf die Kulturlandschaft der Deutschland finanziert und gemeinsam mit dem Region, insbesondere der gastgebenden Städte Es- Theater Hebbel am Ufer, Berlin durchgeführt. Sie sen und Mülheim an der Ruhr. Historische und zeit- ist – vergleichbar dem Theatertreffen der Schau- genössische Ausdrucksformen des Tanzes werden spielschulen – als Plattform gedacht, um für die sicherlich eine prägnante Plattform finden. Unver- Arbeiten von und mit Studierenden der staatlichen einbares soll präsentiert, Überraschendes auf den Ausbildungsinstitutionen neue Öffentlichkeiten zu Weg gebracht, getrennte Kulturen und Kunstfor- schaffen und international zu profilieren. Neben men souverän zusammengeführt werden. In der den Präsentationen werden ein Workshop-Pro- Auswahl sollte sich modellhaft ein kosmopolitisches, gramm sowie eine Fachtagung für Studierende und interkulturelles Europa der Künste und Künstler Pädagogen angeboten. Auf der ersten Biennale spiegeln. Ein Europa, das das Fremde und die Dif- wird William Forsythe das Multi-Media Projekt „One ferenzen respektvoll respektiert. In diesem Sinne Flat Thing – reproduced – Online Interactice Score wird Theater der Welt nicht Europa mit der Welt Project“ als neues Ausbildungstool für Tänzer und verwechseln, sondern die Welt ins Ruhrgebiet ho- Choreografen präsentieren. Neben intensivem Aus- len. Dabei wird gerade auch der Tanz eine Rolle tausch schafft das Treffen die Gelegenheit zur Dis- spielen. kussion über aktuelle Entwicklungen und notwen- dige Impulse für den Tanz und die Ausbildung. Nach Theaterzwang diesem Pilotprojekt in Berlin soll das Projekt zukünf- tig an wechselnden Orten in Deutschland stattfin- Im Jahr der Kulturhauptstadt wird das biennale den. Die Ausrichtung der zweiten Biennale Tanz- Dortmunder Festival „Theaterzwang“ zum zweiten ausbildung im Kulturhauptstadtjahr 2010 wäre ein Mal sein Programm unter neuer künstlerischer Lei- wichtiger Schritt zur Stärkung und Reflexion der tung präsentieren. Bettina Milz, die bereits die Tanz- nationalen Tanzausbildung. Ein profiliertes künst- plattform Stuttgart 2006 mit großem überregiona- lerisches Begleitprogramm, das sowohl den von lem Erfolg kuratiert hat, wird unter dem Label „The- Essen ausgegangenen Folkwang Tanz als auch die aterquartier“ erstmalig eine temporäre, europäi- aktuelle künstlerische Tanz-Praxis in den Blick sche Produktionsstätte der Künste etablieren, wo nimmt, sowie der Austausch mit internationalen ausgewählte Künstler und Gruppen aus NRW und Hoch- und Fachschulen können auch für eine Bi- Europa auch aus dem Tanzgenre eine Arbeitsbasis ennale im Rahmen von 2010 ein zentraler Bestand- finden. Damit entsteht eine interdisziplinäre Platt- teil sein. form für Forschung, kulturelle Bildung und Produk- tion. Ihre Programmauswahl wird das „Theaterquar- Theater der Welt tier“ als ein Haus für die Kunst mit avantgarde- ästhetischer Programmatik inszenieren, das eine Gemeinsam mit den Städten Mülheim an der Ruhr sensible Balance zwischen Reflexion, Raumexperi- und Essen hat sich die RUHR.2010 GmbH für die ment und Präsentation erkennen lassen wird. Ausrichtung von „Theater Welt“ im Programm der Kulturhauptstadt 2010 beworben. Das Spiel mit den DER VERFASSER IST KULTURDEZERNENT DER Formen von Theater, Tanz und Performance, die STADT ESSEN UND GESCHÄFTSFÜHRER DER Erfindung neuer Produktionsweisen und der feste RUHR.2010 GMBH © Dominik Mentzos

Ästhetische Bildung ist selbstverständlich Rolf Bolwin Kulturelle Bildung in Stadt- und Staatstheatern

„Erst durch Kultur wird Wissen zur Bildung.“ Wer dächte in diesem Zusammenhang nicht an das spielern und zu texten. „Let’s talk about love, gen können, wie ich zu manchen Dingen stehe.“ So überschrieb der Deutsche Bühnenverein im seit Jahrzehnten erfolgreiche Grips-Theater in Ber- baby!“ ist das Motto des Projekts für das Jahr 2008. Auch Fritz, 15 Jahre alt, identifiziert sich mit dem Frühjahr 2006 seine Resolution zur ästheti- lin. Aber nicht nur solche aus der Menge herausra- Es geht um Leidenschaft und jugendliche Liebe. Theaterstück und sagt: „Ich habe immer gedacht, schen Erziehung. Zwei Jahre zuvor hatte er gende Bühnen sind zu erwähnen. Kinder- und Ju- Oder das Theater Magdeburg: In deren „Mozart- Theater ist totale Scheiße, und jetzt sehe ich, was bereits einen Kongress veranstaltet mit dem gendtheater gibt es an vielen Standorten. Tagtäg- projekt“ spielt die Magdeburgsche Philharmonie man hier eigentlich macht.“ Titel „Zukunft durch ästhetische Bildung“. Dort lich bieten sie ein abwechslungsreiches Programm, gemeinsam mit Kindern Musikstücke aus der Zau- So könnte man sich auf eine Reise durch die Re- hatte der damalige Präsident des Kulturwis- vom Kindertheater über das Jugendstück bis hin berflöte. Mit „Spuk in der Oper“ gehen Kinder auf publik machen, und Projekte aller Art aufspüren. senschaftlichen Instituts Essen, Professor Dr. zu einer für Jugendliche gestalteten Inszenierung eine Musiktheater-Entdeckungsreise. Bei dem Pro- Eines fällt dabei auf. Schon lange geht es nicht Jörn Rüsen, unmissverständlich formuliert: eines Stücks der Weltliteratur. Wer „Grimms & jekt „Unerhört“ haben Schüler oder ganze Klassen mehr nur darum, Jugendlichen für sie gemachte „Ohne Kunst fehlt der Bildung der geistige Grips“, das Jahrbuch für Kinder- und Jugendthea- die Möglichkeit, an Workshops teilzunehmen, die Aufführungen zu präsentieren. Erst recht geht es Atem, den sie zur Bewältigung unserer Zu- ter nimmt, hat einen Katalog von fast 500 Seiten sich etwa befassen mit Computer-Kompositionen, nicht darum, sie mit nicht jugendgerechtem An- kunftsaufgaben braucht.“ Spätestens seit dem in der Hand, der einen beispiellosen Überblick über dem Musizieren mit professionellen Musikern, der gebot zu überfordern und abzuschrecken. Viel- engagierten Projekt der Berliner Philharmo- die Aktivitäten der Kinder- und Jugendtheater gibt. Erarbeitung von kurzen Choreographien, aber auch mehr zieht sich durch viele Aktivitäten das Mit- niker „Rhythm is it“, ein Tanzprojekt mit Ju- Der Katalog der Spielpläne umfasst über 1200 mit Hip-Hop und Breakdance. Das alles sind Ver- machen und Mitgestalten. Das gilt für alle Spar- gendlichen auf Grundlage von Strawinskys aufgeführte Stücke. Seit 1987 hat sich dieses An- anstaltungen, die auch von Schülern ohne jegliche ten, Musiktheater, Sprechtheater oder Tanz. Und Werk „Le sacre du printemps“, ist die ästheti- gebot nahezu vervierfacht. Tanzerfahrung besucht werden können. immer geht es darum, Jugendlichen über die äs- sche Bildung in aller Munde. So ist es auch „Junges Theater – Junge Musik“, unter diesem „OPFERPOPP“ ist ein Projekt des Thalia-Theaters thetische Bildung andere Fähigkeiten zu vermit- nicht verwunderlich, dass die Projekte des Motto stellte der Bühnenverein bei der letzten Ta- Halle, ein Kinder- und Jugendtheater. Das von Mir- teln als reines Wissen. Dazu gehören die Erfah- Tanzplans Deutschland, den die Bundeskul- gung der Kulturstiftung der Länder „Kinder zum ko Borscht geschriebene Stück spielt im Problem- rung von gemeinsamem Arbeiten, gemeinsamem turstiftung aufgelegt hat, einen sehr starken Olymp“ ausgewählte Projekte der ihm angeschlos- viertel Halle-Silberhöhe – ein Plattenbaugebiet, Erfolg ebenso wie die Erfahrung des eigenen Kör- bildungspolitischen Aspekt haben. senen Theater vor. Als wir die Absicht, dies zu tun, das zu den sozialen Brennpunkten der Stadt ge- pers wie auch die Erkenntnis, dass Erfolge nicht den Mitgliedstheatern- und -orchestern mit der Bitte hört. Dort nagelt ein Kind seinen Vater ans Kreuz, möglich sind ohne Disziplin in der Sache. Schon Doch für die Theater und Orchester in Deutsch- um Übersendung von Unterlagen mitgeteilt hat- ein Vorgang, der von allen Bewohnern des Vier- die Stichworte vieler Projekte belegen dies, sei es land ist die ästhetische Bildung keineswegs Neu- ten, ging in wenigen Tagen eine Flut von Unterla- tels verlangt, dazu eine Haltung einzunehmen. Die nun der „Spaziergang der Sinne“ des Staatsthea- land. Eigentlich ist es für sie seit Jahren selbstver- gen ein, deren Sichtung die Theater und Orchester Mitwirkenden sind vor allem jugendliche Laien- ters Cottbus, die „Philharmonic Pop Experience“ ständlich, sich in diesem Bereich zu engagieren. des Landes als Hochburgen der ästhetischen Bil- darsteller aus sozial schwierigen Verhältnissen. des anhaltinischen Theaters Dessau, das „Tinten- So stellte die oben genannte Resolution am An- dung auswiesen. Sie aufzuzählen, sprengte diesen Ihre persönlichen Geschichten, Alltagserfahrun- herz“ des Schauspiels Stuttgart – ein Projekt in fang von sieben Thesen fest: „Die Theater und Or- Artikel. So mögen nur einige Beispiele den Eindruck gen und subjektive Wahrnehmungen fließen in Brennpunktschulen mit Migrationshintergrund – chester in Deutschland haben bei der Vermittlung wiedergeben, der auch uns überwältigte. die Erarbeitung des Projektes ein. Die im Pro- oder die Schreibwerkstatt „Scriptfabrik“ des Staats- von ästhetischer Bildung in den vergangenen Jah- Etwa das Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsen- grammheft abgedruckten Biographien der Ju- theaters Hannover. Und darüber hinaus gibt es ren eine Vorreiterrolle gespielt.“ Schließlich mün- kirchen: Von „Heavy Music – Cool Love“, eine Ju- gendlichen sind bestimmt von völliger Isolation, noch zahlreiche Aktivitäten freier Gruppen, die det diese Resolution in der Erkenntnis: „Ästhetische gendarbeit des Balletts Schindowski, über „Expe- Selbstmordversuchen von Eltern, deren Alkohol- sich in vielen Städten oft mit einem besonderen Bildung darf nicht vorrangig aus dem Blickwinkel dition Oper“ bis hin zum Kinderprojekt „Hör MiR abhängigkeit, von Trennung, Scheidung und De- Engagement der Kinder- und Jugendarbeit wid- einer kurzfristigen wirtschaftlichen Verwertbarkeit zu“ reicht das Programm eines der wichtigsten Mu- pression. Die Theaterarbeit gibt den jungen Men- men. betrachtet werden. Sie ist für unsere Gesellschaft siktheater Nordrhein-Westfalens. Im Projekt „Hör schen die Möglichkeit, sich mir ihren Problemen Die ästhetische Bildung also ist aus den Theatern eine Überlebensfrage.“ Und vieles von dieser Bil- MiR zu“ erfahren Kinder von Grund- und Sonder- auseinanderzusetzen. Oft fühlen sie sich zum ers- und Orchestern nicht mehr wegzudenken. Dabei dungsarbeit wird von den Mitarbeitern der Theater schulen sowie die ersten Jahrgänge der Haupt- ten Mal mit dem, was ihr Leben erschwert, ernst darf eines nicht vergessen werden, dass nämlich und Orchester neben der täglichen künstlerischen schulen das konzentrierte Zuhören im Sinn eines genommen. Theaterarbeit wird so zu einem neu- diese Bildungsarbeit in diesem Umfang und in die- Arbeit geleistet. Kaum jemand schaut dabei auf „Sich-Einlassens“ auf das Gegenüber, auf das ge- en Stück Stabilität und positiver Selbsterfahrung. ser Breite nur möglich ist mit dem klassischen En- Arbeitszeit oder Verdienst. Dies gilt auch für die sprochene Wort und den Klang. Bei „Expedition Stellungnahmen der mitwirkenden Jugendlichen semble- und Repertoirebetrieb des deutschen Musiker der rund 90 dem Bühnenverein angehö- Oper“ lernen Schüler etwas über den Teil der Oper, zu dem Projekt sprechen eine eindeutige Spra- Stadttheaters. Erst durch ihn sind Schauspieler, renden Großorchester. Die Musikergewerkschaft der weniger mit Kunst zu tun hat. Im Wirtschafts- che. So sagt Anne, 16 Jahre alt: „Ich finde, das ist Sänger, Tänzer, Techniker und Dramaturgen vor (Deutsche Orchestervereinigung) hat das dennoch unterricht setzt man sich dem Etat des Theaters eine sehr tolle Freizeitbeschäftigung, ich könnte Ort, um auch für Kinder und Jugendliche Kon- nicht davon abgehalten, in den zurzeit geführten auseinander. Die Mathematik befasst sich mit der ansonsten ja auch in der Gosse liegen und sau- taktpersonen zu sein. So entsteht auch bei jun- Tarifverhandlungen vom Bühnenverein zu fordern, Frage, wie viel Stoff man für einen Bühnenvor- fen; ich … spiele total gern Theater. Im Stück geht gen Menschen das Vertrauen, das für eine erfolg- Bildungsarbeit in die Diensteregelung, also in die hang braucht und welche Kraft erforderlich ist, ihn es um alltägliche Probleme zwischen Jugendlichen reiche Erziehungsarbeit unverzichtbar ist. wöchentliche Arbeitzeit aufzunehmen. über den Schnürboden zu ziehen. Mit „Heavy und Erwachsenen, ich finde mich da teilweise Schauen wir uns die Aktivitäten der Theater und Music – Cool Love“ werden Jugendliche eingela- wieder.“ Oder Janine, ebenfalls 16 Jahre alt: „Ich DER VERFASSER IST VORSTAND DES DEUTSCHEN Orchester in den letzten 50 Jahren an, findet man den, selbst zu tanzen, zu choreographieren, zu will was Neues erleben und endlich mal jedem BÜHNENVEREINS UND SPRECHER DES RATES zahlreiche Programme für Kinder und Jugendliche. singen, zu musizieren, zu komponieren, zu schau- zeigen, wie ich wirklich bin. Ich will endlich zei- FÜR DARSTELLENDE KUNST UND TANZ kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 6

Ästhetische Bildung fördern – aber wie? Karin Heyl Plädoyer für eine Gratwanderung

Ob die Welt an der ästhetischen Bildung ge- gänzend werden die Studenten über Lehrange- nesen kann? Manches leidenschaftliche Plä- bote für diese Tätigkeiten ausgebildet und wäh- doyer für Musikunterricht, für den Einsatz rend der Projekte gecoacht. von Künstlern in der Schule und für außer- Neben der Förderung der Studierenden, deren schulische Angebote durch Kulturinstitutio- Semesterproduktionen wir finanziell unterstüt- nen scheint von dieser Überzeugung getra- zen, verfolgen wir drei zentrale Ziele: gen. In Großbritannien war es die Erfahrung · dass die Absolventen des Masterstudienganges einer auseinanderdriftenden Gesellschaft, Bildungs- und Sozialaufgaben als eine sinnvolle die in der Folge der Unruhen der 80er Jah- Ergänzung ihrer künstlerischen Arbeit verste- re Künstler und Kulturinstitutionen die Fel- hen der „education work“ und „community · dass sie Kompetenzen erworben haben, Bil- work“ abstecken, entdecken und entwickeln dungs- und Sozialprojekte zu entwickeln und ließ. Die öffentliche Förderung übernahm professionell umzusetzen dabei eine steuernde Funktion, indem die · dass dieser Ausbildungsaspekt mittelfristig im Förderung von Kulturinstitutionen an Edu- Curriculum der Hochschule verankert wird. cation-Programme gebunden wurde und Der Aspekt der Gemeinschaftsbildung („commu- Künstler als artists in residence Gelegenheit nity work“) spielt in diesem Projekt vorerst eine erhielten, die gemeinschaftsbildende Wir- untergeordnete Rolle. Wir beabsichtigen jedoch, kung von Kunst und Kultur auszuloten. langfristige Kooperationen zwischen dem Studi- engang und Schulen, sozialen Einrichtungen und Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass mit Sir Vereinen zu entwickeln. Simon Rattle und Royston Maldoom zwei Eng- Mit „Community Work“ des Tanzquartiers Wien länder dem Thema ästhetische Bildung eine neue unterstützt die Stiftung ein anderes Projekt, dass Dynamik verliehen und vor allem das Potenzial das Thema vom Künstler aus denkt. Das Projekt des Tanzes für die Persönlichkeitsentwicklung begann in diesem Jahr mit einem Workshop un- aufgezeigt haben. Der Tanz, der in Deutschland ter der Leitung von Amina Handke und Faustin nicht zum bürgerlichen Bildungskanon gehört, Linyekula. In einem zweiten Schritt sind Choreo- war nie ein Feld, auf dem sich private Förderer grafen und Performer aufgerufen, sich mit einem tummelten, aber den Film „Rythm is it“ haben Projekt zu bewerben, das Menschen oder Grup- die Verantwortlichen in der Kulturförderung ge- pen einbezieht, die in der Regel von der kultu- sehen. War es in den 90er Jahren Günter Basti- rellen Teilhabe ausgeschlossen sind. Eine Jury an, der mit seiner griffig-vereinfachten Formu- wird ein Projekt auswählen, das im Mai 2008 zur lierung „Musizieren macht intelligent“ Impulse Aufführung kommt. Das Projekt versteht sich als setzte, so tat das Royston Maldoom in diesem „work in progress“, das in einem ersten Schritt Jahrzehnt mit dem Satz „You can change your Möglichkeiten von „community work“ für die In- life in a dance class“. Und es war eine glückliche stitution wie für die einzelnen Künstler auslotet. Fügung, dass die Kulturstiftung des Bundes zeit- Später muss es darum gehen, das Projekt auch gleich mit dem Tanzplan in eine Struktur inves- mit Blick auf die Teilnehmenden aus dem außer- tiert, die es den privaten Förderern leichter macht, künstlerischen Kontext zu evaluieren. sich für den Tanz zu engagieren. Die beiden vorgestellten Projekte im Tanzbereich Die Crespo Foundation hat ihre Arbeit vor an- wagen eine Gratwanderung zwischen Autono- derthalb Jahren aufgenommen, geleitet von dem mie und Funktionalisierung für den „guten Anliegen der Stifterin Ulrike Crespo, Menschen Zweck“. Aber diese Gratwanderung vermag, so in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer sind wir überzeugt – nicht nur trotz, sondern auch Kreativität zu unterstützen. Bei den Überlegun- wegen der Absturzgefahr – der künstlerischen gen, wie sich Bildung und Kunst sinnvoll in der Arbeit durchaus Impulse zu geben. Wir wollen Förderung miteinander verbinden lassen, haben die Künstler, Choreografen und Performer, die wir von Anfang an den Tanz mit einbezogen. Als wir in ihrer künstlerischen Arbeit unterstützen, junge Stiftung sind wir dabei, Tätigkeitsfelder neu nicht verpflichten, sich in Sozial- und Bildungs- zu erkunden – der Austausch mit Tänzern und projekten zu engagieren, sondern wir wollen sie Choreografen, die sich in einer vergleichbaren überzeugen und dafür begeistern. Situation befinden, im Rahmen des Tanzplans ihrerseits neues Terrain betreten und ihre Mög- DIE VERFASSERIN IST GESCHÄFTSFÜHRERIN lichkeiten austesten, ist dabei für uns besonde- DER CRESPO FOUNDATION, FRANKFURT res anregend. AM MAIN © Dominik Mentzos Wo liegen die spezifischen Möglichkeiten der ästhetischen Bildung, wo die spezifischen Mög- lichkeiten des Tanzes im Vergleich zu anderen künstlerischen Ausdrucksformen? Ziele wie För- derung des Selbstbewusstseins, des Sozialverhal- Auf dem Weg zu einem europäischen tens, der Konzentrationsfähigkeit, der intellek- tuellen Leistungsfähigkeit, des Erlebens, dass kulturelle Unterschiede im gemeinsamen Tun aufgehoben werden, und das Selbstvertrauen in Masterplan für Tanz? Helmut Ploebst die eigenen Möglichkeiten können auch z.B. über Sport oder andere Schwerpunkte erreicht wer- Der Einfluss von Tanzplan Deutschland auf andere europäische Länder den. Wenn das spezifische der ästhetischen Er- fahrung darin liegt, etwas zu tun, das für sich Keine Frage, eine koordinierte und über- sei ein Fakt, dem pragmatisch nicht anders zu können keine neuen Companies mehr gegrün- und nicht in einem unmittelbaren Zweckkontext greifende Initiative wie die des Tanzplans begegnen sei als über partikularistische Verwal- det werden, und die bestehenden größeren Struk- steht, wird die Einbindung dieser Erfahrung in Deutschland wird auch außerhalb der Gren- tungshandlungen. turen wie Rosas, Ultima Vez oder Les Ballets C. de pädagogische Konzepte mit Zieldefinition, Um- zen des Landes diskutiert. Da der Tanz in Der Tanzplan Deutschland ist eine Initiative „von la B. erhielten zwar ein wenig mehr Geld, das aber setzungsschritten und Evaluation problematisch. allen europäischen Staaten nur eine kleine oben“ seitens der Kulturstiftung des Bundes, de- mit einer festgeschriebenen Deckelung. „Das er- Man läuft Gefahr, der Kunst genau jenen Boden Lobby hat, ist jede auf geschaffenen Tatsa- ren Gesprächsbasis innerhalb des Systems der zeugte Unzufriedenheit, und es hat sich bereits unter den Füßen wegzuziehen, auf dem sie ihre chen beruhende Argumentationshilfe in nationalen und lokalen Kulturpolitiken wesent- 2005, als Informationen über dieses neue Kunst- spezifischen Möglichkeiten nur entwickeln kann. Richtung der Kultur- und Bildungspolitik, lich nachhaltiger ist als jene von Einzelinitiati- gesetz bekannt wurden, eine Gruppe gebildet, die Die ästhetische Bildung braucht daher – in Er- aber auch jener Institutionen, die Partiku- ven. Diese Basis in anderen Ländern zu schaf- an dem Masterplan zu arbeiten begann.“ gänzung zur Vermittlung ästhetischer Kompeten- larkräfte in der Präsentation und Distribu- fen, wird nicht einfach sein, eine „Europäische Dieser ist an die Regierung und an die Künstler zen durch Pädagogen – vor allem Freiräume, tion von Tanz darstellen, außerordentlich Konferenz Tanzpolitik“ einzuberufen, wäre also gleichermaßen gerichtet und repräsentiert eine ganz konkrete und solche, die Künstler schaffen. wertvoll. Es gibt innereuropäisch eine lan- ausgesprochen sinnvoll. Vor allem, weil sich ge- integrative Sicht auf den Tanz. Er umfasst die Be- Als Stiftung haben wir es uns neben anderen ge Geschichte diverser Einzelinitiativen auf rade in jüngster Zeit in verschiedenen Ländern reiche Produktion, Distribution, Ausbildung und Förderschwerpunkten in der Bildung zur Aufga- lokaler und nationaler Ebene, die aber, wie Europas Initiativen regen, die nach oder ähnlich Rezeption und appelliert an eine wechselseitige be gemacht, an der Schnittstelle zwischen Kunst auch in Deutschland vor dem Tanzplan, mit dem Tanzplan entwickelt wurden und die sich Verantwortlichkeit aller in das Kunstsystem Tanz und Bildung die Möglichkeiten auszuloten. Wenn Verweisen etwa auf die vergleichsweise ge- intensiv mit den jeweiligen strukturellen Erfor- involvierten Parteien. Auf Basis einer Definition wir überlegen, in einer Frankfurter Kindertage- ringe Breitenwirkung von Tanz und auf be- dernis für den Tanz auseinandersetzen, unter spezifischer Charakteristika des Tanzes wurde ein stätte einen Schwerpunkt Tanz zu etablieren, stehende Strukturen klein gehalten oder ab- anderem in Belgien, den Niederlanden, der Initiativkatalog entwickelt, der auf den realen Be- gehen wir von der Zielgruppe aus und definie- gewiesen werden. Schweiz, Österreich und Dänemark. dingungen des gesamten Feldes beruht. ren pädagogische Ziele. Neben einem solchen Belgien – und dort vor allem Flandern – genießt „Dabei ist erstens die Infrastruktur sehr wichtig“, Projekt ästhetischer Bildung denken wir die Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungen in der den Ruf, eine besonders ausgereifte Struktur für erläutert Olaerts. Der Tanz brauche die Schaf- Schnittstelle aber auch vom Künstler aus: Wir Tanzpolitik „von unten“ meist in den Apparatu- den Tanz zu besitzen. Und doch zeigt gerade die- fung von Räumen. Hinter diesem Anspruch habe möchten Künstler – konkret Tänzer und Choreo- ren der Politik so herunter gebrochen werden, ses Modell, dass einmal Erreichtes, wenn es nicht es bisher keinerlei Vision gegeben. Bestehende grafen – an Aufgaben im Bildungs- und Sozial- dass sie entweder im Stadium des Pilotprojekts aktiv weiterentwickelt wird, seitens der Kultur- Strukturen sollten demnach mehrfach genutzt bereich heranführen. Mit der Tanzabteilung der stecken bleiben oder nur ein kurzes Leben ha- politik unter Druck geraten kann. So ist der bel- werden. Außerdem werden die Bedingungen von Hochschule für Musik und Darstellende Künste ben. Da auch die „Autopoiesis“ der bestehen- gische „Masterplan for Dance“, der am 7. und 8. Pre- und Postproduction kaum beachtet und be- in Frankfurt entwickeln wir derzeit ein Projekt, den Strukturen eher zur Singularisierung als zur Dezember in Bruges der Öffentlichkeit vorgestellt dürften einer neuen Entwicklung. Weiter sollen mit dem wir einerseits die künstlerische Ausbil- Kooperation tendiert, was bedeutet, dass Insti- worden ist, eine Reaktion auf ein 2006 in Kraft Einrichtungen geschaffen oder bereits bestehen- dung und Arbeit der Studierenden fördern und tutionen genauso wie Künstler isoliert vor sich getretenes Gesetz, das in seiner Auswirkung auf de Expertise gefördert werden, die den! Künst- ihnen andererseits Erfahrungsräume in außer- hin arbeiten, gewinnen die Administrationen den Tanz, so die Leiterin des Vlaams Theater In- Seite 7 künstlerischen Kontexten eröffnen möchten. Er- üblicherweise den Eindruck, der Partikularismus stituut Ann Olaerts, „sehr restriktiv ist“. De facto kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 7

Weiter beschäftigt sich das Papier mit den The- de Schwerpunkte behandelt: Gastspiele, Kopro- ein Plan, der vom Council for Contemporary ! Fortsetzung von Seite 6 men Ausbildung, Diskursförderung, künstleri- duktionen, Residenzen bei verschiedenen Veran- Dance in Denmark entwickelt wurde und eine schen Langzeitperspektiven und Publikumsent- staltern und Institutionen, Weiterbildung, Theo- Zeitspanne bis 2012 einschließt. lern individuell in juristischen und administrati- wicklung. rieproduktion und -vermittlung, Nachwuchsför- Die einzelnen nationalen Bestrebungen und ven Fragen zur Seite stehen. „Und das ist ein Die Schweiz legte ein umfangreiches Papier zu derung und die Bildung von Infrastrukturen und Schwerpunktsetzungen enthalten also starke gesamteuropäisches Problem“, betont Olaerts. „einer umfassenden Tanzförderung“ vor, für de- einem nationalen Tournetzwerk. parallele Ansätze und werfen brisante gemein- Denn Tänzer reisten heute viel herum, und müss- ren Kommunikation an die Behörden jüngst das Im niederländischen „Dansplan 20/20“ wird bis same Fragen auf: Warum können ihre übergrei- ten nicht selten in illegaler Position im Ausland „Réseau Danse Suisse“ gegründet wurde. Es geht zum Jahr 2020 die Schaffung einer „gesunden fenden Perspektiven ausgerechnet in der verhält- leben: „Hier müsste man Druck auf die Regie- hier vor allem und sehr detailliert um die Berei- Tanzökologie“ angestrebt. Zwar, heißt es in ei- nismäßig kleinen Sparte Tanz entstehen? Ist eine rungen machen!“ che Ausbildung, Umschulung bzw. Weiterbildung, ner Stellungnahme, haben die Niederlande eine Kommunikation der verschiedenen Tanzpläne Ein weiterer Punkt des belgischen Masterplans Produktion und Diffusion von Tanz (wo auch für ausgefeilte Infrastruktur für Tanz entwickelt, un- über eine „Europäische Konferenz Tanzpolitik“ ist sein Augenmerk auf die Karriereentwicklung eine verstärkte Förderung der Veranstalter argu- ter den Künstlern herrsche aber das Gefühl vor, realisierbar? Wie wären die Folgen für den äs- für Tänzer. Durch die vorherrschende Diplomver- mentiert wird), weiter konkret um Infrastrukturen dass es zu viel Regulierung und zu wenig Platz thetischen Diskurs, die Produktionsbedingungen, pflichtung in der Lehre besonders in öffentlichen (Aus- und Neubau, mehr Mittel für Koproduktio- für das künstlerische Forschen gebe. Im April die Pädagogik, die Kulturpolitiken und für die Einrichtungen gingen wertvolle Kräfte verloren. nen und Gastspiele) und Vermittlung. Der letzte- 2007 legte die Branchenorganisation für Tanz Position der Kunstform Tanz in den europäischen Hier bedürfte es einer Neuregelung. Weitere re Punkt enthält auch den Vorschlag, Tanz bereits DOD einen Plan zur besseren Sichtbarmachung Gesellschaften? Und wie könnte in der Folge ein Punkte: Organisatoren sollen als Botschafter für in die Primärschulen zu integrieren. Schließlich von Tanz vor. Hier wird unter anderem an die „Europäischer Masterplan“ für den Tanz als Pra- die junge, unbekanntere belgische Tanzszene spricht das Papier auch die Notwendigkeit einer Verantwortlichkeit des gesamten Sektors für sein xis aussehen? fungieren, und eine internationale Tanzplattform langfristigen Sicherung des Lausanner Tanzarchivs Fortkommen appelliert, Marketing in größerem soll nun auch in Flandern geschaffen werden. und der Zürcher Tanzmediathek an. Maßstab gefordert und zur Aufmerksamkeit ge- DER VERFASSER ARBEITET ALS FREIER JOURNA- Projektsubventionen sollten auch für die Distri- In Österreich wurde die Initiative „Tanz in ganz genüber dem Historischen gemahnt. Auch hier LIST UND IST AUTOR ÜBER BILDENDE KUNST, bution oder Wiederaufnahmen von Arbeiten ver- Austria“ (TIGA) ins Leben gerufen, die sich vor geht es um bessere Kunstvermittlung, Bildungs- LITERATUR, FOTOGRAFIE UND FILM FÜR BALLET- wendet werden. Außerdem brauche Belgien ein allem mit der innerösterreichischen Distribution politik und Medienarbeit im Zusammenhang mit TANZ, DU UND DIVERSE ÖSTERREICHISCHE Internationales Tanzfestival und ein Tanzhaus. von Tanz auseinandersetzt. Dabei werden folgen- dem Tanz. In eine ähnliche Richtung zielt auch UND DEUTSCHE ZEITUNGEN

Investition in die Zukunft Edith Boxberger Die Ausbildungssituation für den Tanz in Deutschland

Ausbildung ist innerhalb des Tanzes zu ei- schiedene Mischformen geschaffen. Die klarer Stil-Einteilung entwickelt. Die öffentliche schiedene Modelle an der Schnittstelle von Aus- nem Schlüsselthema geworden. Sie wird in Tanzwissenschaft hat sich als eigene Diszi- Bildungsdiskussion hat diesen Prozess beschleu- bildung und Beruf, Projekte kultureller Bildung Gremien, auf Symposien und in den Institu- plin neu etabliert, der Bereich der Vermitt- nigt. Die Bemühungen um einen einheitlichen und vier neu konzipierte Studiengänge; der an- tionen diskutiert. Ausbildung muss neuen lung vergrößert sich. Als Konsequenz die- europäischen Hochschulraum (Bologna-Abkom- dere weitet die Entwicklung der professionellen Anforderungen aus der Gesellschaft und ser Entwicklungen erweitern sich die Berufs- men) haben die Umstrukturierung der professi- Ausbildung gezielt auf alle Institutionen aus und neuen Bedürfnissen aus der künstlerischen felder. onellen Ausbildung verstärkt. Die Pisa-Studie, die fördert gleichermaßen die Vermittlungsarbeit. In Praxis Rechnung tragen. Dabei reagiert sie auf Defizite im Bildungssystem hinwies, rückte der Diskussion mit den Akteuren vor Ort werden nicht nur auf Entwicklungen, sondern gestal- Der Anstoß ging von den Akteuren selbst aus. die kulturelle Bildung in den Blickpunkt und da- Kooperationen gestiftet und Initiativen ergriffen, tet sie aktiv mit. Inhalte der Ausbildung Entwicklung im Tanz war nicht ohne weitere In- mit auch den Tanz, der, bislang darin nicht ver- um die Institutionen und Projekte in ihren Zielen werden neu bestimmt, Raum für künstleri- vestition in die Ausbildung möglich. Tänzer be- treten, bereits Modellversuche gestartet hatte. zu stärken und Nachhaltigkeit zu erreichen. sche Praxis und für die Vermittlung von Wis- nötigen heute eine mehrgleisige tanztechnische Die Initiative des Tanzplans Deutschland verlieh Tänzer brauchen heute in allen Stilen eine viel- sen geschaffen. Bestehende Studiengänge Ausbildung auf hohem Niveau; die Arbeitspro- diesen Entwicklungen neuen Nachdruck. Beide seitige tanztechnische Ausbildung. Sie müssen

wurden umgeformt und neue eingerichtet, zesse in der choreografischen Praxis sind stärker Bereiche – „Tanzplan vor Ort“ und „Tanzplan Aus- Individualität und kreatives Potenzial entwickeln, stärker wissenschaftlich, pädagogisch und auf Zusammenarbeit ausgerichtet; der Tanz hat bildungsprojekte“ – ermöglichen Maßnahmen zur ! künstlerisch ausgerichtet, aber auch ver- sich in ein vielfältiges ästhetisches Feld jenseits Aus- und Weiterbildung: Der eine fördert ver- Seite 8

© Dominik Mentzos © Dominik Mentzos kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 8

© Dominik Mentzos

versitäten und Kunst- und Sporthochschulen, die Fortsetzung von Seite 7 – erprobt. Das Treffen soll alle zwei Jahre in an- reich werden durch die neuen Ausbildungs- ! deren Städten fortgeführt werden. auf großes Interesse stoßen. Tanzplan führte schwerpunkte Kompetenzen vermittelt, die für ein Investition in die Zukunft Wissen, in der globalisierten Welt ein Schlüssel erstmals die Akteure dieses Bereiches, der für die breiteres Feld qualifizieren, etwa als Trainings- zur Teilhabe, erhält auch im Tanz neues Gewicht Qualität der Lehre im professionellen Bereich wie leiter, Dramaturg und choreografischer Assistent möglichst frühzeitig praktische Erfahrungen er- – als praktisches Körper- und Bewegungswissen in der Breitenarbeit ausschlaggebend ist, für im zeitgenössischen Tanz und Performance. Im werben und, besonders im zeitgenössischen Tanz, wie auch als diskursives Wissen, das choreogra- weitere gemeinsame Arbeit zusammen. Rahmen der kulturellen Bildung wird es darauf choreografisch mitarbeiten. Ausbildung muss fische Praxis in ästhetische und kulturelle Zusam- Die stärkste Entwicklung findet im Kontext der ankommen, die Arbeit weiter auszubauen und das daher nahe an der Praxis erfolgen, Zusammen- menhänge stellt. In der Ausbildung findet dieses schulischen Bildung statt, wobei verschiedene Gewicht des Tanzes im Kanon der Fächer zu si- arbeit mit Choreografen oder eigenständige zunehmend Berücksichtigung. Um eine breitere Modelle der Integration von Tanz in den Schulen chern. Die Breitenarbeit ist ein neuer, großer und künstlerische Projekte ermöglichen, zugleich Verankerung zu erreichen, wurde eine Arbeits- erprobt werden. Tanz als Teil umfassender Bil- noch offener Bereich, der Gestaltungsmöglich- muss sie Artikulations- und Analysefähigkeiten gruppe Theorie/Geschichte gegründet sowie eine dung und Persönlichkeitsentwicklung findet in keiten im freizeitkulturellen Kontext enthält. schulen, die Aneignung und Reflexion von Wis- Zusammenarbeit mit den deutschen Tanzarchi- dem Fächerkanon kultureller Bildung zunehmend Künstlerische Arbeit kann mit verschiedenen so- sen vermitteln – Aspekte, die Tanzplan Deutsch- ven begonnen, die die Erschließung audiovisu- Anerkennung. Die Arbeit konzentriert sich, mit zialen Gruppen entwickelt werden, zum Beispiel land unterstützt. ellen Materials für die Tanzausbildung klären sehr unterschiedlicher Verbreitung in den einzel- in Jugendkulturen oder im interkulturellen Be- In den acht Tanzhochschulen Folkwang Hoch- helfen soll. Im nächsten Jahr werden, ebenfalls nen Bundesländern, überwiegend auf die Grund- reich. schule in Essen, Tanzabteilung der Hochschule auf die Initiative des Tanzplans hin, die Dozen- schulen. Entscheidend ist die Frage der Ausbil- Im Hinblick auf die Zukunft sollten die Anstren- für Musik Köln, Palucca Schule Dresden – Hoch- ten des Faches Tanztheorie/Geschichte gemein- dung mit möglichst umfassender praktischer Er- gungen darauf gerichtet sein, ein unterschiedli- schule für Tanz, Hochschule für Musik und Dar- sam mit Tanzwissenschaftlern über die Erarbei- fahrung, regelmäßiger Weiterbildung, Coaching ches Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten zu stellende Kunst Frankfurt/M., Akademie des Tan- tung von Wissens-Modulen für die Ausbildung und Supervision in der Arbeit selbst. Im Februar erhalten, die sich klar in ihren Profilen vonein- zes der Staatlichen Hochschule für Musik und diskutieren. 2007 wurde der Bundesverband „Tanz in Schu- ander unterscheiden und neben erforderlicher Darstellende Künste Mannheim, Heinz-Bosl-Stif- Auch der Bereich der Vermittlung strukturiert sich len“ gegründet, ein bundesweiter Zusammen- Akademisierung der künstlerischen Praxis genü- tung-Ballett-Akademie München, Tanzabteilung um. Das klassische Feld der Ausbildung von Tanz- schluss von Projekten und Institutionen, der sich gend Raum gewähren. der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch pädagogen erweitert sich in den Bereich des zeit- unter anderem um Qualitätssicherung bemüht. Berlin sowie Hochschulübergreifende Zentrum genössischen Tanzes hinein. In den letzten Jah- Neue Berufsfelder zeichnen sich in allen hier DIE VERFASSERIN IST JOURNALISTIN UND Tanz Berlin – Pilotprojekt Tanzplan Berlin und den ren entstanden teils sehr praktisch ausgerichte- genannten Bereichen ab. Neben der „klassi- SOZIOLOGIN. SIE SCHREIBT ÜBER TANZ staatlichen Berufsfachschulen: die Staatliche Bal- te, teils Theorie und Praxis verbindende neue Stu- schen“ Ausbildung von Tänzern, Choreografen U.A. IN DER WELT AM SONNTAG UND IN lettschule Berlin/Schule für Artistik, die John diengänge und Weiterbildungsmodelle an Uni- und Tanzpädagogen für den professionellen Be- BALLET-TANZ Cranko Schule – Ballettschule des Württember- gischen Staatstheaters und die Ballettschule Hamburg/Ballett John Neumeier hat eine inten- sive Kommunikation eingesetzt: Im Zentrum von bislang vier, von Tanzplan Deutschland initiier- „..., was kommt von draußen rein“ Antje Klinge ten Treffen, steht die gemeinsame Diskussion über Schlüsselqualifikationen und die Profile der Tanz in der Schule Institutionen, zu der auch internationale Exper- ten gehört wurden. Einigkeit besteht darüber, die Mit der Erweiterung von Grundschulen zu anderen fehlt den Lehrern der Mut, sich an künst- auch durch einen gewissen Produktionsdruck, Profile der Schultraditionen zu schärfen und die Ganztagsschulen im Jahr 2005 war die Su- lerisch-kreative Prozesse heranzutrauen. So über- dem Tanzpädagogen und Schüler gleichermaßen Vielfalt der Ausbildungslandschaft zu bewahren. che nach Nachmittagsangeboten vor allem lassen sie den Künstlern und Tänzern, die von ausgesetzt sind, wenn es darum geht, zum Ende Bei einem Treffen im Februar 2007 wurde die aus den Bereichen Sport und der kulturel- draußen kommen, gerne die Initiative, die Schü- des Schuljahres der interessierten Öffentlichkeit „Ausbildungskonferenz Tanz“ gegründet, eine len Bildung verbunden. Für den Tanz und ler mit der „hohen Kunst“ des Tanzens vertraut das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit zu zeigen. Interessenvertretung zur Optimierung der Tanz- mit ihm die Tänzer, Tanzpädagogen und zu machen. In beeindruckenden Vorführungen Dabei passiert es schnell, dass die bevorstehen- ausbildung in Deutschland. Regelmäßige Weiter- Choreografen eröffnete sich damit eine gro- gelingt es ihnen, die Schule, die Lehrerkollegi- de Aufführung zur Einzelleistung des Tanzkünst- bildungen für Dozenten und Professoren in der ße Chance, die Kinder an die Tanzkunst her- en, die Schüler- und auch die Elternschaft für den lers und die Schüler zu seinen „Instrumenten“ Arbeit mit verschiedenen Techniken tragen der anzuführen und als zukünftige Zuschauer Tanz zu gewinnen. Die Initiative Tanz in die Schu- werden. Tatsache Rechnung, dass sich Wissen heute dieser eher marginalisierten Kunstgattung len hat sich als ein durchaus erfolgreiches Un- Die jeweils verschiedenen Probleme vor Ort kon- besonders stark umstrukturiert und daher immer zu gewinnen. ternehmen entpuppt. turieren den Brennpunkt von Tanz und Schule: wieder neu und auch in anderen Formen gelernt Das ist die eine Seite! Denn die Zusammenkunft Während die Schule ihrem Erziehungs- und Bil- werden muss. Aus diesem Grund unterstützt Das Landesbüro Tanz in Nordrhein-Westfalen von Tanzkunst und Schule wirkt sich nicht immer dungsauftrag nachkommen muss, orientieren Tanzplan die Entwicklung und den Einsatz neuer ergriff die Gelegenheit und baute innerhalb kur- positiv und konstruktiv aus. Nach der ersten Eu- sich die Tänzer, Choreografen und Tanzpädago- Lern- und Lehrmaterialien, fördert die Anwen- zer Zeit ein recht dichtes Netz an Tanzangebo- phorie werden auch Probleme sichtbar, die sich gen an der (Tanz-)Kunst, die, systemtheoretisch dung von E-Learning Programmen oder ko-pro- ten für Schulen auf. Mittlerweile haben sich die als charakteristische Brennpunkte zwischen den betrachtet, einer anderen Logik folgt. Im Vorder- duziert das neue Multimedia-Tool „Motion Bank“ Angebote nicht nur auf weiterführende Schulen Partnern Tanz und Schule ausmachen lassen. Pro- grund stehen der kreative Prozess, die Förderung von William Forsythe, das u. a. die Analyse cho- in NRW, sondern – den Aufwind des Tanzplans bleme entstehen zum Beispiel, wenn die Tanz- individuellen Ausdrucksvermögens sowie die reografischer Strukturen ermöglicht. Deutschland nutzend – auch in der gesamten pädagogen mit einer unfreiwillig zusammen ge- Entfaltung produktiver Potenziale. Tanz und Schu- Im Februar 2008 veranstaltet der Tanzplan mit Bundesrepublik ausgeweitet. würfelten Schar von Schülerinnen und Schülern le folgen je eigenen Logiken, die in der Person dem Theater Hebbel am Ufer in Berlin die erste Obwohl der Tanz und das Tanzen in der schuli- konfrontiert werden, die in die meist kalte und des Tanzvermittlers vor Ort zusammenlaufen und „Biennale Tanzausbildung/Tanzplan Deutsch- schen Bildung schon seit Anfang der 1980er Jahre nach Schweiß riechende Sporthalle mit der Er- zwangsläufig für Reibung sorgen – ein Thema, land“: eine einwöchige Plattform ähnlich dem curricular (vornehmlich im Fach Sport) verankert wartung kommen, Sport zu treiben. Probleme das den Tanz in der Schule immer wieder beglei- Treffen deutscher Schauspielschulen, das Projekte sind, stellen die Angebote außerschulischer Part- entstehen auch, wenn die Tanzpädagogen mit in- ten wird. und Arbeiten von Studenten einem breiten Pu- ner eine wichtige Erweiterung in quantitativer wie nerschulischen Konflikten belagert werden, von blikum bekannt macht und in internen Work- qualitativer Hinsicht dar. Zum einen ist der Tanz denen sie als Zaungäste gar nichts wissen kön- DIE VERFASSERIN IST SPORTPÄDAGOGIN AN shops die Arbeit mit neuen Lehrmaterialien – meist nur ein von Sportlehrkräften wie Schülern nen, die ihre Arbeit mit den Schülern aber stark DER UNIVERSITÄT GIEßEN UND MITARBEITERIN erstmals auch mit Forsythe‘s Multimediaprojekt geduldetes Anhängsel des Schulsports und zum beeinträchtigen. Probleme gibt es schließlich DER ZEITSCHRIFT FÜR SPORTPÄDAGOGIK kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 9

Die Arbeit des Kinder- und Jugendprojekts des Bayerischen Staatsballetts Eva-Elisabeth Fischer im Gespräch mit Bettina Wagner-Bergelt

Bettina Wagner-Bergelt ist stellvertreten- Rande leben und die sich verbal nicht mitteilen hen, wie sie mit Musik umgehen. Zunächst ler- weit und so groß machen, wie sie wollen. An der de Ballettdirektorin und Leiterin des Kinder- können. Sie können den Tanz als etwas nutzen, nen die Kinder, sich selbst wahrzunehmen. Wenn Stange sollen sie dann überprüfen, wie sie und Jugendprojekts des Bayerischen Staats- wozu sie keine Sprache brauchen. Es muss ih- man ihnen sagt, sie sollen die Arme ausbreiten, überhaupt stehen und eine Balance finden. Plötz- balletts im Rahmen der Münchner Initiative nen allerdings klargemacht werden, dass der Tanz dann breiten sie sie aus bis zu den Oberschen- lich werden sie dann ruhiger und kommen zu „Access to Dance“, die von Tanzplan Deutsch- keinen Hauptschulabschluss, kein Abitur oder das keln. Das Bewusstsein, dass sie Raum einneh- sich selber, gehen mehr nach innen, und das ist land gefördert wird. In der Folge des Films Erlernen der Landessprache ersetzt. men dürfen, dass sie Platz haben dürfen in die- ein guter Ausgleich. Klassisches Ballett zu ver- „Ryhthm is it!“ mit dem Choreografen Roys- ser Welt, existiert gar nicht. mitteln habe ich mir viel schwerer vorgestellt. Wir ton Maldoom als Galionsfigur geplant und Fischer: Sie arbeiten aber doch an einem Gym- Fischer: Das verlangt aber doch auch von den sind mit dieser Klasse in die „Bayadère“ gegan- ins Leben gerufen, wirkt das Projekt auf nasium in Münchens Stadtmitte, dem Anna-Gym- offiziellen Stellen, einen anderen Begriff von In- gen. Sie fanden das phantastisch, wollten eine dreierlei Ebenen: Von der Intention her mit nasium, und nicht mit einer Realschule am Stadt- telligenz jenseits des Messbaren zu akzeptieren. Woche später gleich wieder rein. Sie hatten gro- künstlerischem Anspruch als wichtiger Bei- rand. Wagner-Bergelt: Was ich schade finde, ist, dass ßen Respekt vor der Leistung der Tänzer, und trag zur ästhetischen Bildung, fungiert es als Wagner-Bergelt: Nein, das stimmt nicht. Ich ar- es wahnsinnig viele Projekte und Pilotprojekte entdeckten dabei, dass sie ganz viel davon selbst mögliches sozial-pädagogisches Integrati- beite zwar an einem Projekt mit einem Gymna- gibt, die gut funktionieren, dass davon aber ganz können. Wenn man mit ihnen Improvisationen onsmodell für Kinder und Jugendliche am sium mit Namen „Anna tanzt“. Das hat aber den wenig und nur sehr langsam in die tägliche Pra- zu Kyliáns „Bella Figura“ macht, dann stellen sie Rande unserer Gesellschaft, vornehmlich mit schlichten Grund, dass die Initiative von der Di- xis einsickert. Man begnügt sich damit zu wis- plötzlich fest, dass vieles davon Alltagsbewegung Migrationshintergrund. Damit definiert es rektorin ausging. Da haben wir es mit Eltern aus sen, dass es anders aussehen könnte – aber die ist. Und man selbst stellt fest, dass ein modernes sich als eine Art von Wissensvermittlung, die dem bürgerlichen Mittelstand zu tun und mit Kin- Schule ist wie sie ist, und alles umzustellen wäre Ballett auch für einen Siebenjährigen ganz leicht einen Weg aufzeigt aus dem aktuellen Di- dern, wo der Tanz nur eine Beschäftigung unter zu schwierig und zu kompliziert. Deswegen lässt begreifbar ist. lemma schulischer Bildung in unserem Land. vielen ist. Diesem Dilemma sind wir aus dem Weg man es beim Bewährten, auch wenn einige dabei gegangen, indem wir daraus ein integratives Mo- rausfliegen. Und es werden immer mehr, die da Fischer: Insgesamt hört sich das an wie die Qua- Eva-Elisabeth Fischer: Royston Maldoom macht dell gemacht haben. Das heißt: Zu diesen „Anna rausfliegen, das ist auch klar. Wir sind inzwischen dratur des Kreises. Denn einerseits werden Mu- seit Jahren die so genannten communitiy dances tanzt“-Kindern kommt immer eine zweite Grup- ein Einwanderungsland. sik- und Kunstunterricht verringert zugunsten der für Kinder und Alte gleichermaßen. Er würde es pe, zum Beispiel eine Förderklasse von Sieben- so genannten Kernfächer. Andererseits soll der aber weit von sich weisen, als Sozialarbeiter be- bis Zehnjährigen. Kürzlich hatten wir eine große Fischer: Kulturelle Unterschiede sollten ja nicht Tanz dazukommen. trachtet zu werden. Er ist Choreograf und sieht Gruppe von Jugendlichen, die gerade an einer nivelliert werden, sondern im besten Falle amal- Wagner-Bergelt: Das ist richtig. Das ist aber sich als Künstler. Wie ordnen Sie Ihre Arbeit ein? Schule ein berufsvorbereitendes Übergangsjahr gamiert zu etwas Drittem, Neuem. Welche Äs- ein generelles Problem. Der Bildung wird im Wagner-Bergelt: Wir sind alles keine Pädago- machen. Das Tolle war, dass diese von Anfang thetik vermittelt man da im Tanz? Was wird ge- Staatshaushalt nicht die notwendige Bedeutung gen und vor allem, keine Sonderpädagogen. In an viel stärker motiviert war als die Gymnasias- tanzt? Modern? Ballett? beigemessen. Bildung wird ähnlich den Leistun- allen unseren Projekten ist der Ausgangspunkt, ten. Für sie hieß das, zum ersten Mal ernst ge- Wagner-Bergelt: Das ist alles so neu für sie, gen im Gesundheitswesen auf ein Minimum ge- dass wir mithilfe von Künstlern die Kinder hin- nommen zu werden und plötzlich festzustellen, dass sie alles fressen, was sie geboten bekom- schrumpft. Wichtig wäre, wenn gerade die staat- bringen wollen zum Tanz, ihnen vermitteln, dass was sie alles können. men. Die Ästhetik ergibt sich daraus, wer da lichen Institutionen einsehen, dass ästhetisch Tanz ein ganz originärer menschlicher Ausdruck vorne steht. Wenn es eine Pädagogin ist wie Ana gebildete Leute, egal ob sie Hauptschul-, Real- ist und viel mit Denken und mit analytischem Fischer: Worin liegt das Ziel des Projekts? Tanz- Catalina Roman, dann ist es eben Forsythe-Im- schulabschluss oder Abitur haben, breiter ein- Verstand zu tun hat. Und dass er ihnen unglaub- plan ist auf fünf Jahre begrenzt. Was ist dann? provisation; wenn es Martin Schläpfer ist, dann gesetzt werden können. Denn ästhetische Bildung liche Möglichkeiten eröffnet, auf andere Weise Wagner-Bergelt: Wichtig ist, dass man sich ist es eher Neoklassik. Wir haben bei unserem befördert die Wahrnehmung und Intelligenz und zu lernen. Kinder sollten schon ganz früh, mit überlegt – und diese Überlegungen laufen bereits ersten Kurs mit den kleinen Kindern gemerkt, beflügelt die Phantasie. fünf oder sechs Jahren, lernen, dass Kunst, dass – wie man Tanz in den Unterricht integriert. Die dass gerade die Mischung aus Modern und Klas- Arbeit an Kunst ein ganz ernsthafter Prozess ist. Kinder sollen eines Tages genauso selbstver- sisch ganz toll für sie ist. Bei Modern können sie EVA-ELISABETH FISCHER IST REDAKTEURIN BEI Dabei sind besonders die anzusprechen, die am ständlich mit Tanz als Teil unserer Kultur umge- sich austoben und können die Bewegungen so DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG

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Kann man „Ozon“ tanzen? Nadine Querfurth im Gespräch mit Claudia Hanfgarn und Gert König-Langlo

Nadine Querfurth: Sich dem wissenschaftlichen nate vom Rest der Welt verabschieden, um dort ei- den Naturwissenschaften in der Schule auf die merke gar nicht, dass da etwas gefehlt hat, aber Thema Ozon auf tänzerische Weise zu näheren, ist nen guten Job zu machen. Da melden sich wirklich Sprünge zu helfen! Tanz allein hilft nicht. Da muss ich merke, dass durch dieses Tanzprojekt mit Frau eher unkonventionell. Haben Tanz und Wissen- nur diejenigen, die voll dahinter stehen. Da gehö- das gesamte Konzept der Kooperation stimmen. Hanfgarn Potentiale frei geworden sind, an die ich schaft doch mehr gemeinsam als es scheint? ren nicht nur Eigenschaften wie Expertise und Wis- vorher gar nicht gedacht hatte. Mir fehlt die Fanta- Gert König-Langlo: Für mich waren da erst sen dazu, sondern Softskills und sehr viel Persön- Querfurth: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Ide- sie, andere Möglichkeiten zu sehen, um mehr Zu- einmal keine Gemeinsamkeiten erkennbar, inso- lichkeit – alles Eigenschaften, die in unserem Schul- ale Lösung aus, Kunst und Wissenschaft zusam- gang oder mehr Transfer aus der Wissenschaft in fern war es sehr spannend, wissenschaftlicher Be- system kaum Bewertung finden, aber in einem Pro- menzubringen? die Bevölkerung hinzubekommen. Ich würde mich rater des Projektes zu sein. Die Unterschiede zwi- jekt wie „Ozontanz“ sehr gefordert und gefördert Hanfgarn: Die ideale Lösung gibt es nicht. Gene- freuen, wenn es mehr Projekte gäbe, bei denen schen Tanz und Wissenschaft sind doch sehr deut- werden. rell ist es immer gut von einander zu lernen, Vorur- man voneinander lernen kann. Wenn Kunst dazu lich: sie sind ja fast Antagonismen. Mich hat an teile abzubauen, den eigenen Horizont zu erwei- beitragen kann, dann ist mir das allemal recht. dem Projekt fasziniert, dass man daraus eine Ein- Querfurth: Kann Bewegung dazu beitragen, Tanz tern. Mein Traum ist, mit fünf Tänzern eine Vielzahl heit bilden kann. Wissenschaft ist doch etwas Ver- und Wissenschaft zusammenzuführen? solcher Projekte durchzuführen. Die meisten Tanz- NADINE QUERFURTH (BERLIN) ARBEITET ALS FREIE kopftes, Tanz hingegen etwas sehr Körperliches, König-Langlo: Ich denke, Körper und Bewegung pädagogen und Tänzer beschränken sich auf ein- JOURNALISTIN U. A. FÜR DEUTSCHLANDRADIO und dass man das Eine für das Andere verwenden sind ein Türöffner, gerade für Jugendliche, die nicht zelne, für sich stehende Projekte an Schulen, ohne KULTUR, DEUTSCHLANDFUNK, WDR, RBB UND kann, finde ich einen interessanten Ansatz. einen abstrakten Zugang zu Dingen haben. zu einer wirklichen Kooperation mit Fachlehrern DIE DEUTSCHE WELLE. CLAUDIA HANFGARN IST Claudia Hanfgarn: Bestimmte Prinzipien ähneln Hanfgarn: Für mich und die 76, an „Ozontanz“ und anderen „Dritten“ zu kommen. Tanzpädago- INITIATORIN UND LEITERIN VON „TAPST“ - EIN sich: Am Beginn eines neuen Tanzprojektes wie beteiligten Schüler verschiedener Altersstufen, hat gen und Tänzer darin anzuleiten und auszubilden TANZPÄDAGOGISCHES PROJEKT. DR. GERT KÖ- „Ozontanz“ steht immer Unsicherheit und „Nicht- das in diesem Projekt funktioniert. Der Tanz sollte ist langfristig mein Ziel. NIG-LANGLO IST METEOROLOGE AM ALFRED- Wissen“. In der Wissenschaft wird grundsätzlich je- sich aber nicht vereinnahmen lassen und neben König-Langlo: Ich selber sehe mich als einen, der WEGENER-INSTITUT FÜR POLAR- UND MEERES- der Vorgang penibel dokumentiert, in beiden Dis- der Verbesserung des sozialen Klimas auch noch immer denkt, Kunst spielt für mich keine Rolle. Ich FORSCHUNG IN BREMERHAVEN ziplinen führen manchmal gerade „die Fehler“ zum Erfolg. In der Wissenschaft und in der Kunst muss man Offenheit für spontane Wendungen, für Un- vorhersehbares und für Überraschungen bewah- ren. Man darf trotzdem das Ziel nicht aus den Au- gen verlieren, man muss das Erreichte kritisch, aber auch wohlwollend betrachten. Sich ins Ungewisse begeben und einen wochenlangen Entstehungs- prozess aushalten, das ist für Künstler nicht nur sehr nachvollziehbar, sondern täglich Brot. In dieser Hin- sicht hat Kunst allgemein und Tanz im Besonderen ganz viel mit forschender Wissenschaft zu tun. König-Langlo: Wissenschaft wird nicht subjektiv empfunden, Tanz schon. Dass man Tanz trotzdem als Mittel nehmen kann, um Wissenschaft zu trans- portieren, und dass diese Offenheit, die man bei Forschung benötigt, letzten Endes auch in der Kunst eine Motorik ist, leuchtet ein.

Querfurth: Was kann ein solches Projekt wie Ozon- tanz leisten, wo versagt die Schule? Hanfgarn: Mit der Beteiligung der Schüler an der Choreografie und Planung der Vorstellung von „Ozontanz“ entwickeln die Schüler eigene ästheti- sche Qualitätsmerkmale. Ihre Kreativität ist gefragt. Das ist einfach komplett anders als Schule norma- lerweise funktioniert. Der experimentelle Hinter- grund der Projekte verlangt Teamarbeit, Phanta- sie, Intuition und Spontaneität. Auch das Zusam- menspiel von verschiedenen Fachlehrern, Wissen- schaftlern, mir und einer anderen Klasse erfordert gegenseitigen Respekt und Wertschätzung. Das ist für die Schüler völlig neu. Sie sind nicht die fünfte Klasse, die dem Inhalt eines Schulbuchs folgt, son- dern gestalten etwas, das es vorher noch nie ge- geben hat! Das führt zu Motivation und Selbstbe- wusstsein. Die fachlichen Zusammenhänge zum Thema Ozon sind durch die Choreografie in den Köpfen der Schüler jetzt quasi bebildert und mit dem Körper begriffen. König-Langlo: Für mich persönlich war einer der Hauptaspekte, dass Jugendliche, die sich sonst sicherlich nicht für solche Themen wie Ozon inter- essiert hätten, auf eine ganz besondere Art an die- se Thematik herangeführt worden sind. Und das geschah nicht nur mit dem Kopf, sondern auch durch andere Formen der Vermittlung.

Querfurth: Inwiefern fördert ein solches Projekt wie Ozontanz die so genannten Softskills wie Kre- ativität, Selbständigkeit und Persönlichkeit bei Kin- dern und Jugendlichen? Hanfgarn: Das sind Schlüsselkompetenzen, die ich für sehr wichtig halte und in der Schule nicht aus- reichend gefördert sehe. Mir geht es darum, den Schülern etwas vom Tanz zu vermitteln und sie an kreative Gestaltungsprozesse heranzuführen: Raum zu geben für ungewöhnliche, neue Denkansätze, für kreativen Umgang mit eigenen Ideen. Ganz wichtig ist dabei fach- und stufenübergreifendes Lernen zu ermöglichen und jeden Schüler in sei- nem ganzen Sein, mit Körper, Seele, Geist und Emotionen zu beteiligen. Und dann lernen sie wie „Kultur machen“ funktioniert: Das ist etwas, das kann ich nicht nur konsumieren wie eine Fernseh- sendung, sondern das kann ich selber gestalten.

Querfurth: Wie leidenschaftlich ist Wissenschaft, Herr König-Langlo? König-Langlo: Ich bin Meteorologe geworden, weil ich das Ganzheitliche des Wetters mag. Dann mag ich noch die ganz extremen Wetterregionen, weil es etwas ganz deutlich Körperliches ist, wenn man bei Schneesturm einen Wetterballon startet. So was macht man nur, wenn man mit vollem Herz- blut dabei ist. Insofern hat auch Wissenschaft viel mit Leidenschaft zu tun. Ich bilde immer die Über- winterer für die Antarktis aus, die sich für 15 Mo- © Dominik Mentzos kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 11

Gute Beispiele kultureller Bildung im Tanz Melanie Suchy Das tanzhaus nrw in Düsseldorf

„Jeder geht seinen eigenen Weg! Immer da, heißt jetzt tanzhaus nrw, und Bertram Müller ist Mehr als 100 Leute leben von der Arbeit im tanz- tanzhaus nrw nicht über Produktionsmittel ver- wo im Moment keiner ist. Rücken gerade, das wichtig. Denn in Zeiten, wo die Sparten zu- haus nrw, das auch ein Bistro beherbergt. 80 fügt, stellt es im Jahr etwa 26 Förderanträge. Zum Arme locker, Augen auf!“ Zwölf Mädels und sammenrücken, müsse der Tanz gegenüber der Dozenten sind für die Kurse von Anfänger-Basic Modell ist es längst geworden. Andere Städte ein Junge kommen jetzt in Schwung. „Noch Öffentlichkeit besonders betont werden, da ihm Dance über Percussion bis „Zeitgenössischer Kre- träumen von Tanzhäusern, einige realisieren sie. schneller!“ Nora Pfahl klatscht einmal, alle immer noch die Anerkennung fehle. ativer Kindertanz als Fortbildung“ unter Vertrag. Bertram Müller, der für solche Vorhaben konsul- frieren auf der Stelle ein. Gehen wieder los. Mit Tango- oder Hip-Hop-Kursen allein ließen Der Gefahr der Beliebigkeit ist man sich bewusst, tiert wird, berichtet, dass es nun in Sheffield, Faro „Ich kann nicht mehr“ kontert sie energisch sich schon drei Tanzhäuser füllen, erfährt man. aber das tanzhaus hat einen sehr kritischen Sinn und Seoul welche gebe und kürzlich in Oslo im mit „Doch, Du kannst noch!“ Die jungen Leu- Der Zuspruch ist enorm. Auch jene jährlichen Fes- für Qualität, für Geduld und die Balance, die es Beisein der Königin ein Tanzhaus eröffnet wur- te machen das freiwillig mit. Aufwärmen im tivals populärer Tanzformen, Flamenco, „Orien- in einem solchen Haus braucht, um für die Kunst de. Früher waren Paläste die ersten Tanzhäuser Gehen, stärkendes Knie-Beugen im Takt der tale“, Stepptanz sind Publikumsrenner. Doch setzt zu sorgen, fürs Publikum und nicht zuletzt fürs im Staat. Heute kann sich jeder den Reichtum Musik, eine Choreografie aus Hip-Hop-Ele- das tanzhaus nrw bewusst beim Bühnenpro- Geld. des Tanzes erobern. menten und Modern Dance, Bewegungser- gramm und bei den Kurs- und Workshopange- Der tanzhaus nrw e.V., ein ausbildender Betrieb, finden zum Thema Camping. Die Doppel- boten auch auf modernen und zeitgenössischen wird institutionell gefördert von der Stadt Düs- DIE VERFASSERIN IST JOURNALISTIN UND stunde Tanz am Freitagmorgen ist eines der Tanz. Eine Art Mischkalkulation, die auch dem seldorf und vom Land NRW. Ein Zuschauerplatz SCHREIBT UNTER ANDEREM ÜBER TANZ FÜR Angebote im Fach Darstellen und Gestalten. Experiment oder vermeintlich Schwierigen Platz wird subventioniert mit 22,50 Euro. Zu den för- DIE RHEINISCHE POST, K.WEST, GOETHE- Im betongewandeten Souterrain der Hein- einräumt. Die Künstler kommen von nah und dernden Partnern für Projekte zählen die Kultur- INSTITUT, DIE ZEIT, TANZJOURNAL UND rich-Heine-Gesamtschule hält die in den fern, die lokalen und internationalen Kooperati- stiftung des Bundes, die Kunststiftung NRW, die BALLET-TANZ Niederlanden ausgebildete Tanzpädagogin onen und Netzwerke sind zahlreich und wach- Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Nora Pfahl die Jugendlichen auf Trab, eine sen. Düsseldorf und EU-Kulturprogramme. Da das www.tanzhaus-nrw.de Lehrerin sitzt dabei, später werden beide die Quartalsnoten besprechen. Manchmal müs- sen die Schüler auch Tests über den theore- tischen Anteil des Gelernten schreiben. Tanz ganz ernst. Ein selbstverständlicher Teil der Bildung soll er sein. Wie der Unterricht in Kunst, Musik, Literatur.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte man das für ei- nen versponnenen Wunsch gehalten, aber in Düsseldorf – und nicht nur da – wird an der Rea- lisierung dieses Planes gearbeitet. Im Rahmen von Tanzplan Deutschland richtet sich das dorti- ge Projekt „Take off: Junger Tanz. Tanzplan Düs- seldorf“ schwerpunktartig an Kinder und Jugend- liche. Unter der Federführung des tanzhaus nrw begannen vor zwei Jahren einige Institutionen ein Netzwerk dafür zu knüpfen, darunter das Junge Schauspielhaus (die Jugendsparte des städtischen Theaters), das Forum Freies Theater, das Konzerthaus Tonhalle, einige Jugendzentren, acht Schulen und Kindergärten. Tanzen lernen unter Anleitung von Profis ist der eine Teil, der stets auch in Aufführungen mündet. Einige Ju- gendliche trauen sich, die Erfahrung des künst- lerischen Prozesses im Rahmen der Zugehörig- keit zu einem Ensemble und die Erarbeitung ei- nes Tanzstücks für die Bühne zu machen. Wich- tig ist auch die Erfahrung als Zuschauer: Klas- senweise gehen bereits Grundschüler in Auffüh- rungen im tanzhaus nrw. Manche begleiten die Profiproduktionen für Kinder wochenlang als „Probepublikum“. Natürlich läuft das nicht von selbst und entstand auch nicht aus dem Nichts, denn das tanzhaus nrw begann im Jahr 2001 Kinder und Jugendliche stärker in seine Ange- bote einzubeziehen. Dies erfordert ein großes Engagement auf allen Seiten, aber die Ergebnis- se beglücken: „Das Echo der Kinder kommt so direkt; bei Jugendlichen verhaltener, aber be- merkbar. Ja, auch der nicht so populäre moder- ne und afrikanische Tanz hat neben Hip-Hop sei- ne Erfolge“, erzählt Martina Kessel, die Koordi- natorin von „Take-off“. Als beim Herbstferien- workshop alle beliebten Kurse belegt waren und einige Jugendliche zögernd das Restangebot wahrnahmen, sprang auch dort plötzlich der Fun- ke über. Ob das nun das gern beschworene Publikum von morgen ist oder tanzende Kids gesündere, intel- ligentere Arbeitnehmer werden, steht für Marti- na Kessel nicht im Vordergrund. Für die studier- te Tänzerin und Ethnologin gibt es ein Menschen- recht auf Tanz. Im Sinne von: „Teil zu haben an Tanz, so wie an jeder anderen Kunstsparte auch“. Die Überzeugung „Jeder Mensch ist ein Künst- ler“ formuliert es noch dringlicher, der Beuys- Satz, den Bertram Müller (Direktor des tanzhaus nrw) zitiert, wenn man ihn zur Geschichte des tanzhaus nrw befragt. Der studierte Theologe und Psychotherapeut hob in jener bewegten Zeit An- fang der Siebzigerjahre mit anderen die „Werk- statt“ aus der Taufe. Das Wasser war wohl Schweiß: Wer tanzen will, kann das hier lernen. Kursangebote für Amateure jenseits von Ballett und Standardtanz waren neu. Das Ziel: Tanz, Theater und Musik verschiedener Kulturen parti- zipativ kennen zu lernen. Eine wechselvolle Ge- schichte, ständig auf der Suche nach Erweiterung, ließ den Verein Die Werkstatt, der ab 1982 acht Studios und auch eine kleine Bühne für Auffüh- rungen hatte, nie ruhen: Festivals für Flamenco und orientalischen Tanz werden initiiert; sogar eine Profitanzausbildung ist einige Jahre lang, in Kooperation mit der Hochschule in Arnheim, dort angesiedelt. Ein großer Moment ist im April 1998 der Umzug in das speziell für die diversen Tanzbedürfnisse umgebaute alte Düsseldorfer Straßenbahndepot in der Erkrather Straße. Es © Dominik Mentzos kultur kompetenz bildung politik und kultur • JAN. – FEB. 2008 • SEITE 12

© Dominik Mentzos Verantwortliche Institutionen in Schwingung versetzen Tanz und kulturelle Bildung: Der Blick von außen – Ein Kommentar von Ulrich Schötker

Durch Deutschland geht derzeit kein Ruck. Im dem Fernseher teilte, bekam einen neuen Sinn. zustellen. Da muss man nichts erfinden. Es han- Gegenteil, die Bewegung scheint viel geschmei- Und auch der Sportunterricht, in dem ich nicht delt sich darum, die vorhandenen, sozialen und diger. In Deutschland wird getanzt. Die körperli- mehr schnell laufen, weit oder hoch springen kulturellen Ressourcen, die bestehenden Netz- chen Anstrengungen haben ihren Beginn durch musste. Rhythmus und Spiel waren erlaubt! Und werke zur gemeinsamen Arbeit einzuladen. Es den sagenhaften Erfolg des Filmes „Rhythm is it!“ schon diese Feststellung – dass in unserer Ge- handelt sich zugleich darum, die Organisation Impressum genommen. Eines der prominentesten, deutschen sellschaft dafür ein Platz vorgesehen und durch- als solche einem Bildungsprozess zu unterziehen, Musikhäuser, die Berliner Philharmonie, hat un- aus legitimiert ist – berührte mich ausreichend, Gegebenes nicht als selbstverständlich zu begrei- kultur · kompetenz · bildung ter der Leitung von Sir Simon Rattle und in Zu- um meinen Kräften neue Zeit und neuen Raum fen, sondern Neues zu begründen, zu re-aktua- sammenarbeit mit dem englischen Choreogra- zu geben. Denn der nächste Schritt, Rhythmus lisieren. Die Kunstausstellung als öffentliche In- phen Royston Maldoom das Feld der Bildung und Spiel auch auf Kandinsky oder Pollock zu stitution musste für uns in dieser Hinsicht kreativ kultur · kompetenz · bildung erscheint als beschritten. So gesagt, bleibt das sehr abstrakt. beziehen, zwei Künstler, die ich aus meinem Lieb- sein und neue Organisationsformen ausprobie- regelmäßige Beilage zur Zeitung politik & Es handelte sich aber nicht darum, das Haus, lingsfach Kunst kannte und schätzte, war tänze- ren. kultur, herausgegeben von Olaf Zimmer- dessen Geschichte, die Musiker und ihre Stücke risch leicht. Und auch die geschätzte Mathema- Überhaupt Versuche, überhaupt Probieren: In der mann und Theo Geißler repräsentativ zu vermitteln. Das kennt man schon tik: Mit einer Rechnung die Zahlen zum Tanzen derzeitigen Bildungslandschaft und seinen har- aus der Unterrichts- und Vermittlungspraxis. Es zu bringen, um den Grenzwert einer Fläche zu schen, programmierten Veränderungsprozessen Deutscher Kulturrat e.V. ging um Poietisches, um das Herstellen von Bil- erhalten, hat nicht nur mit Regeln zu tun, son- fehlt es daran. Viel zu sehr setzt man auf Garan- Chausseestraße 103 dung. Es war der Versuch mit Schülerinnen und dern auch mit Körper und Vorstellung. tien, auf Standart und Vorhersehbarkeiten. Da 10115 Berlin Schülern ein Musikstück tänzerisch zur Auffüh- Was hier tanzt, ist Bildung. Gute Pädagogen wis- wird nicht experimentiert, da sind Prozesse ge- Tel: 030/24 72 80 14 rung zu bringen. Fast wie Profis. Und mit diesem sen längst um diese Zusammenhänge, die Inter- schlossen. Dann gibt es Aufgaben, aber keine Fax: 030/24 72 12 45 „fast“ möchte ich gar nicht in die Bewertung ge- dependenzen und Vernetzungen von Wissen. Übungen. Da setzt man auf Qualität, ohne zu Internet: www.kulturrat.de raten, ob die Schülerinnen und Schüler professi- Was aber für die Entwicklung der Bildungsinsti- erkennen, dass die Maßstäbe aus unterschiedli- E-Mail: [email protected] onell waren oder Dilettanten. Oder ob das Pro- tutionen notwendig wird, ist die offiziell legiti- chen Perspektiven verschiedene Werte benennen, jekt in der Zusammenarbeit mit Hauptschüler- mierte (und budgetierte!) Übertragung dieser dass zu jedem Gelingen auch die Möglichkeit des innen und -schülern sozial engagierter sei. Das Erkenntnisse auf die strukturelle und damit sozia- Scheiterns gehört. Redaktion ist nicht interessant und lässt sich nicht wirklich le Zusammenarbeit von Bildungs-, Kultur- und Wir sind noch weit davon entfernt, von einer Bil- Olaf Zimmermann (verantwortlich), entscheiden. Interessant hingegen ist die Tatsa- Kunstinstitutionen. Dass nun viele Schulleitungen, dungsreform sprechen zu dürfen. Derzeit wird viel Gabriele Schulz, Andreas Kolb, che, dass ein so renommiertes Haus den Schritt Kulturpolitiker und andere Multiplikatoren bei alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Diffe- Kristin Bäßler gewagt hat, einen guten Teil ihrer professionel- Royston Maldoom Schlange stehen, kann also nur renzierte, diversifizierte Ansätze müssen erlaubt len Arbeit der Bildung zu widmen und sich auf ein Missverständnis sein. sein. Dass Kunst- und Kulturinstitutionen es ge- dem Glatteis der pädagogischen Praxis zu be- Zum einen ist Schlange stehen kein Tanzen und wohnt sind, Heterogenitäten nicht nur auszuhal- Verlag wegen. Fast wie Dilettanten. Von sich aus. So als zum anderen wäre es auch nicht gesund für den ten, sondern gerade darin ihre Qualitäten zu ConBrio Verlagsgesellschaft mbH ob genau dieses Luxus wäre. Choreografen, alleine das hiesige Bildungssystem sehen, ist ein Sachverhalt, den auch Bildungsin- Brunnstraße 23 Als ausgebildeter Kunstpädagoge und Kunstver- zu bedienen. Die beispielhafte Arbeit der Berli- stitutionen für sich erkennen müssen. Dabei ar- 93053 Regensburg mittler habe ich auf diese Bewegungen lange ner Philharmoniker darf also nicht repräsentativ beiten diese etablierten und für Bildung verant- Internet: www.conbrio.de gewartet. Dabei sind meine längst nicht so ge- verstanden werden. Es geht darum, die verant- wortlichen Orte letztendlich mit den gleichen E-Mail: [email protected] schmeidig. Auch wenn ich nur rudimentär mit wortlichen Institutionen in Schwingung zu ver- Mitteln: symbolisch und kommunikativ. Da die modernen Tanzformen vertraut bin, war der Tanz setzen. Auch die eigene. an Bildungsprozessen Beteiligten voraussichtlich Herstellung, Layout: zu meiner Schulzeit ein Rettungsanker. Nach fünf Die Versuche in diese Richtungen reichen schon nicht in ihren Institutionen sterben werden und ConBrio Verlagsgesellschaft Jahren Sportunterricht mit einem kräftigen, heute und auch in anderen Sparten weiter. In dort auch keine Kriege planen, dürfte man sich Petra Pfaffenheuser leichtathletischen Einschlag (ich habe nie (!) eine meiner Funktion als Leiter der Abteilung Vermitt- schon mal weiter aus dem Fenster hängen. Da Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen lung der letztjährigen documenta 12 war Wis- unten werden bald Tänzer stehen, die einen bekommen) hatte ich in der Oberstufe die Wahl. senstransfer und Vernetzung ebenso ein Thema, gerne auffangen. Gefördert vom Bundesministerium für Und ich wählte mich als einziger Junge in die wie Bildung als Anwendungsbegriff auf die Insti- Bildung und Forschung Unterrichtsgruppe für Jazz-Tanz, Badminton, Vol- tution zu verstehen. Auch diese will gebildet sein. DER VERFASSER IST KUNSTPÄDAGOGE UND leyball und – ich mag es kaum sagen: Wasser- Ein Publikum zu bilden, – so unser Motto – be- KUNSTVERMITTLER UND ÜBERNAHM DIE LEI- ballett. (Ist der Ruf erst ruiniert…) Die Sonntägli- deutete uns, nicht allein Lernprozesse anzusto- TUNG DER KUNSTVERMITTLUNG BEI DER DO- che Langeweile, die ich mit Esther Williams vor ßen, sondern ein Publikum zunächst einmal her- CUMENTA 12 IM LETZTEN JAHR