Marlen Eckl “De Karpfen a Carpeaux”1: Otto Maria Carpeaux’ Weg vom bekennenden Österreicher zum überzeugten Brasilianer

At the beginning of his exile in , Otto Maria Carpeaux, a very committed, cle- rically minded apologist of Austrofascism before 1938, wanted to return to Europe as soon as possible. However, in spite of this initially negative attitude towards his place of refuge, he soon became integrated into the intellectual circles of . By working as a journalist, essayist and literary critic, he contributed to familiarizing Brazilian society with Central European culture leading to a new comprehension of Brazil’s own cultural legacy. After the military putsch in 1964, Carpeaux committed himself to the opposition, in the process becoming a cult figure for the student move- ment and for workers. Shortly before his death in 1978, he distanced himself from his former European life and from Catholicism. The aim of this essay is to show Carpeaux’ development from a devoted Austrian to a convinced Brazilian.

Je n’ai pas l’intention d’y rester jusqu’à la fin de la guerre.

(Ich habe nicht die Absicht, bis zum Kriegsende zu bleiben.)

Un enchaînemente des hasards malheureux m’a conduit, hélas, à ce pays où je ne sais [pas] que faire. [...] Mais, il y a beaucoup d’Autrichiens, et une activité utile sera, peut-être, possible. Aussitôt que possible, je retournerai pour l’Europe; je ne voudrais pas être le dernier, quand il s’agit de ma patrie, à qui toute ma vie était dévouée.

(Eine Verkettung unglücklicher Umstände hat mich, leider, in dieses Land geführt, wo ich nicht weiß, was ich tun soll. [...] Aber hier gibt es viele Österreicher und eine nützliche Tätigkeit wäre vielleicht möglich. Sobald wie möglich, würde ich nach Europa zurückkehren; ich möchte nicht der Letzte sein, wenn es um mein Vaterland geht, dem mein ganzes Leben gewidmet war.)2

Dies schrieb Otto Maria Carpeaux dem sich im österreichisch-legitimistischen Widerstand engagierenden Martin Fuchs in zwei Briefen von 1939/1940, wenige Monate nach seiner Ankunft in Brasilien, nach . Er offenbarte darin, wie sehr er mit dem Schicksal haderte, das ihn fast 40-jährig in die- ses tropische Land verschlagen hatte. In der Tat musste der klerikal gesinnte

1 Vgl. Mauro Souza Ventura: De Karpfen a Carpeaux. Formação política e inter- pretação literária na obra do crítico austríaco-brasileiro. Rio de Janeiro: Topbooks 2002. 2 Briefe von Otto Maria Carpeaux an Martin Fuchs vom 29.11.1939 u. 21.01.1940. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Akte 22482. Soweit nicht anders angegeben, sind die Übersetzungen von der Verfasserin. 210

Apologet des Austrofaschismus den Verlust der europäischen Heimat in Süd- amerika als besonders schmerzlich empfunden haben. Als Otto Karpfen 1900 in eine jüdische Anwaltsfamilie hineingebo- ren, hatte er den Zusammenbruch der k.u.k.-Monarchie und die von Krisen gezeichneten Jahre der Ersten Österreichischen Republik bewusst miterlebt. Nach dem Studium der Chemie, Physik, Soziologie, Philosophie, Politik und Literatur, das ihn nach , Paris, Neapel und geführt hatte und das er 1925 mit dem Doktor in Chemie an der Universität Wien abgeschlos- sen hatte, begann er bald publizistisch tätig zu werden. U.a. schrieb er für die Wiener Neue Freie Presse, die Wiener Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte sowie die Berliner Neue Rundschau. 1930 heiratete er die aus Polen stam- mende Helene Silberherz. In jener Zeit setzte er sich intensiv mit der christli- chen Religion auseinander; als Frucht dieser Beschäftigung entstand nicht nur 1931 das Werk Die protestantische und katholische Konfession in Ursprung und Entwicklung der modernen deutschen Literatur. Die politischen Ereig- nisse in Österreich ließen Carpeaux ferner zur Überzeugung kommen, dass die katholische Kirche die “einzige Rettung vor den Greueln des Kapitalis- mus und der Revolution” war.3 Diese Schlussfolgerung erklärt seine Konver- sion zum Katholizismus im Jahre 1932. Dieser aus seiner Sicht konsequente Schritt brachte den Publizisten enger an den politischen Katholizismus und das herrschende austrofaschistische Regime unter Führung von Engelbert Dollfuß heran, für die er sich aktiv engagierte. In diesem Sinne übernahm Carpeaux die Leitung der Literaturredaktion der christlich-sozialen Reichspost und wurde außerdem Mitarbeiter der Zeitschrift Der christliche Ständestaat. Über diese journalistische Tätigkeit hinaus ver- fasste er zwei Abhandlungen. Im Buch Wege nach Rom. Abenteuer, Sturz und Sieg des Geistes von 1934, das er nach seiner Konversion unter dem Namen Otto Maria Karpfen veröffentlichte, sang er ein Loblied auf die Kirche und stellte die römisch-katholische Religion als den Mittelpunkt des Geisteslebens dar. Der ein Jahr später unter dem Pseudonym Otto Maria Fidelis erschienene Essay “Österreichs europäische Sendung. Ein außenpolitischer Überblick” ist Ausdruck der damals in Österreich vertretenen austrofaschistischen Ideologie, als deren glühender Verfechter sich Carpeaux damit erwies. Unter dem Eindruck des gescheiterten Putsches durch die österreichischen Nationalsozialisten 1934 galt es für ihn, die zunehmend bedrohte Unabhän- gigkeit des Landes mit aller Macht zu verteidigen. Um die Notwendigkeit der Eigenstaatlichkeit zu veranschaulichen, führte er in einer zum Teil durchaus nicht unproblematischen Argumentationsweise die historische, kulturelle und politische Entwicklung Österreichs unter Berücksichtigung der Beziehung zu

3 Otto Maria Karpfen: Wege nach Rom. Abenteuer, Sturz und Sieg des Geistes. Wien: Reinhold Verlag 1934. S. 175.