# 2002/39 webredaktion https://jungle.world/artikel/2002/39/dont-fake- mit BOOSTY COLLINS im Interview

Don’t Fake the Funk

Von lars bulnheim Neben George Clinton gilt BOOSTY COLLINS als einer der wahrhaft begnadeten Irren des Funk. Sein Weg zur lebenden Legende ist lang, hier erzählt er ihn in Kürze

Als Bassist des P-Funk-Imperiums um Parliament und schuf eine comichaft übersteigerte Präsentationsform des Funk. Er fing als Bassist der James-Brown- Band, The J.B.'s, an, spielte beim Überhit »Sex Machine« den Bass und entwickelte zusammen mit George Clinton unter dem Namen Funkadelic einen bis heute stilprägenden Crossover aus Funk und Psychedelica. Seine eigene Formation, Bootsy's Rubberband, setzte dem Funk die Narrenkappe auf und schuf mit Titeln wie » - If You Fake The Funk, Your Nose Will Grow« stark codierte Funkmonster.

Ganz von der Bildfläche verschwunden ist er seitdem nicht mehr. In den Achtzigern arbeitete er mit dem Avantgardemusiker zusammen und schuf gemeinsam mit dem Bluegrassmusiker Doc Watson das Genre »Groovegrass«. In den Neunzigern war er dann an Dee Lite's Hit »Groove Is In The Heart« beteiligt, tourte schließlich mit Bootsy's New Rubber Band kräftig durch die Gegend und bewies noch einmal, dass P-Funk noch lange nicht ausgelutscht ist.

Nun erscheint ein neues Album des Meisters, »Play With Bootsy - A Tribute To The Funk«, auf dem sich Gäste aus der Liga der lebenden Legenden wie , George Clinton, Macy Gray, Snoop Doggy Dog u.v.m. die Klinke in die Hand drücken. Ist die Platte deswegen auch der große Wurf? Leider nein. Mousse T, der Hannoveraner Starproduzent, der es gerne glatt gebügelt liebt, hat als Produzent alles getan, um eine Platte für Proseccotrinker zu machen. Die Vielzahl der Gastauftritte soll wohl über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Bootsy eher als Namensgeber herhalten musste denn als kreativer Mentor. Hier mal eine Basslinie und da mal ein paar herrlich atonal genäselte Zeilen lassen erahnen, was möglich gewesen wäre, wenn nicht Mousse T an den Reglern gesessen hätte.

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Du hast bereits als 15jähriger als Sessionmusiker für King Records angefangen und bist dann als 17jähriger bei den J.B.'s, der Begleitband von James Brown, eingestiegen. Wie kam es dazu?

King war James Browns damalige Plattenfirma. Er kam regelmäßig vorbei, um Aufnahmen zu machen. James Brown hatte da schon eine Art musikalisches Kastensytem geschaffen. Bevor Brown mich angeheuert hat, war ich mit Marva Whitney auf Tour, und davor wiederum mit Hank Ballard & The Midnighters. Beide wiederum waren bei Browns Produktionsfirma unter Vertrag. James Brown hat mit seinen Vertragskünstlern neue Musiker getestet, und nur wer sich auf den langen Tourneen bewährt hatte, schaffte es bis zu den J.B.'s.

Du warst mit den J.B.'s in Nigeria.

Mann, du kannst dir nicht vorstellen, was das für einen 17jährigen Jungen von der Straße damals bedeutet hat, mit den J.B.'s nach Lagos/Nigeria zu fahren. Alles, was ich von Afrika kannte, waren Fernsehbilder von Wäldern und Tieren. Wir hatten keine Ahnung, dass es in Afrika so etwas wie Städte geben würde und eine Musikszene.

Du hast dort Fela Kuti, den legendären Afrobeatmusiker, getroffen. Wie ist es dazu gekommen?

Kuti hatte einen Club in Lagos, und er hat uns eingeladen, dort mit ihm abzuhängen. Seine Band hieß damals Nigeria 70. Fela und seine Jungs dachten, wir wären Könige, aber als wir Fela Kuti und Nigeria 70 gesehen hatten, wussten wir, das sind die wahren Könige.

Man nannte Fela damals den afrikanischen James Brown. Kannst du die Unterschiede zwischen dem Sound James Browns und dem von Fela beschreiben?

Felas Sound war mehr auf Schlagzeug orientiert. Er hatte diesen fantastischen Drummer, Tony Allen. Der Sound ging vom Schlagzeug und der Percussion aus, es war so gottverdammt deep, was diese Band gespielt hat. Fela hat mich komplett überwältigt. Der gesammte Rhythmus von Nigeria 70 war so auf den Punkt, sie waren wie eine Person! Die Band spielte einfache Sachen, aber produzierte einen Rhythmus, den ich so nie wieder gehört habe. Zurück zu James Brown. Wie hat er seine Musiker behandelt? Es heißt, er sei immer schon ein echter Kontrollfreak gewesen?

Ja, definitiv. Aber ich glaube im nachhinein, er musste so sein. Er hatte eine Vision davon, wie sein Sound klingen sollte, und er setzte diese Vision durch. Wir waren Kids von der Straße und nicht gerade pflegeleicht. Ist doch klar, dass er ein Problem mit uns hatte. Wir hatten damals nichts, wir waren an nichts gewöhnt. Wir kannten es nicht, als Musiker bezahlt zu werden; wir waren an zwei Dollar pro Abend, eine Flasche Wein und ein paar Mädchen nach der Show gewöhnt. Als wir für James gespielt haben, wurden wir richtig bezahlt. Wir fragten uns: Mann, dafür werden wir bezahlt?

Wir waren der Meinung, wir müssten James Brown bezahlen, damit man uns bei ihm spielen lässt. Ich meine, das war James Brown! Er war der Coolste damals, und wir durften für ihn spielen. Wir wussten gar nicht, wohin mit dem ganzen Geld! Wir haben uns Schnaps und Drogen gekauft.

Es gibt Gerüchte, dass du eine J.B.'s-Show auf Acid gespielt hast, obwohl James Brown Drogen bei seinen Musikern strikt verboten hat.

James Brown orderte mich nach jeder Show in seine Garderobe. Und er sagte (ahmt einen alten grantigen Mann nach): »Äh, äh, äh. Du warst nicht im Takt heute. Sag mal, nimmst du Drogen? Äh, äh, hör auf mit den verdammten Drogen, Sohn!« Mann, du kannst dir das nicht vorstellen, wir haben gerade große Hallen gerockt, das Publikum dachte, wir seien Götter. Wir haben jedesmal die Hütte abgebrannt und das Publikum gekillt! Und dann kommst du in die Garderobe und musst dir das Gemeckere anhören.

Am Anfang habe ich respektiert, was er mir gesagt hat, ich war nie high auf der Bühne, immer voll konzentriert und nüchtern, ich hatte jeden Tanzschritt drauf. Doch als er nicht aufhörte, mir nach jeder Show vorzuwerfen, ich würde Drogen nehmen, dachte ich mir, Scheiß drauf, jetzt nehme ich wirklich Drogen auf der Bühne. Er wirft es mir ja sowieso vor, egal ob ich nüchtern oder high bin.

Ja, und so habe ich regelmäßig Trips geschmissen auf seinem Set. Und das eine Mal, als ich drauf war, spielte ich meinen Bass und merkwürdige Dinge passierten. Die Farben veränderten sich, die Wände bewegten sich, und ich dachte: Scheiße, ich bin im Weltall! Dann habe ich auf meinen Bass geschaut, und da war kein Bass mehr, da war eine Schlange, und ich dachte: Uhhhh, Scheiße! Mann, ich spielte wie ein Wahnsinniger auf dieser Schlange, und die verdammten Saiten fingen an zu reißen.

Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass mich die Securitytypen in den Backstagebereich trugen. Nach der Show kam James zu mir, und ich war immer noch voll auf dem Trip. Dann hat er mich zusammengeschissen wie niemals zuvor. Auf einmal verfärbte sich sein Gesicht lila und seine Haut öffnete sich. Ich habe nur noch Krater auf der Haut von James gesehen. Mann, dann habe ich komplett die Kontrolle verloren, ich bin umgefallen vor Lachen. Ich dachte, ich muss sterben, so sehr habe ich gelacht. Das war das letzte Mal, dass er mich in seine Garderobe gerufen hat, allerdings auch das letzte Mal, dass ich mit den J.B.'s gespielt habe.

Im Nachhinein bin ich James Brown dankbar. Er hat mich in zwei Punkten geprägt. Ich habe damals von ihm gelernt, dass man so tight wie möglich spielen muss, aber er hat mich auch dazu gebracht, noch mehr auszuflippen.

Wie ging es weiter? Du hast dann deine eigene Band gegründet?

Im Frühjar 1971 habe ich die J.B.'s verlassen und ein eigenen Projekt aufgezogen. Mein Bruder Phelps, Frankie »Kash« Waddy, Phillipe Wynn, der später Sänger der Spinners wurde, und ich. Wir haben uns damals The Houseguests formerly of the J.B.'s genannt. Wir hatten ein wenig Geld gespart und haben uns selbst promoted. Wir haben Poster drucken lassen und sind auf Tour gegangen. Es funktionierte ganz gut, jedenfalls für ein paar Monate. Dann wurde das Geld knapp. Mann, wir waren es eben einfach gewöhnt, nach jeder Show Party zu machen, wir waren Freaks!

Na ja, wir haben wohl über unsere Verhältnisse gelebt. Dann kamen die Spinners und meinten, sie bräuchten eine Backing-band. Wir waren es jedoch leid, das zu tun, was wir mit James Brown gemacht haben. Wir wollten endlich unser eigenes Ding durchziehen, ohne einen Star in der Mitte. Aber was soll's. Wir brauchten Geld, und so haben wir für die Spinners gearbeitet. Dadurch sind wir nach Detroit gekommen, und dort hat mich ein Mädchen mit zu George Clintons Haus genommen. Dort saß George in einer Ecke, wie ein Buddha. Er trug ein Bettlaken, war barfuß und hatte einen total durchgeknallten Haarschnitt. Wir kamen ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er seine Band neu besetzen wollte. Und so sind wir dann schließlich bei Funkadelic eingestiegen.

Ich möchte gerne etwas mehr über Detroit in den frühen Siebzigern erfahren. Damals gab es dort eine pulsierende Musikszene. Würdest du mir ein paar kurze Kommentare geben zu den Namen und Begriffen, die ich dir jetzt nenne? Ich fange mal mit Motown an, okay? Das ist zwar eher ein Sixties-Ding, aber trotzdem.

Mann, da gab es diesen Bassisten der Motown-Sessionband, der Funk Brothers, James Jamerson. Als ich anfing, Bass zu spielen, dachte ich immer, wenn ich mal so gut spielen kann wie er, das wär's. Er war der Herzschlag des Motown-Sounds und ist immer noch völlig unterbewertet.

Der nächste Name: MC 5

Oh Jesus, sie haben den Rock'n'Roll an sein Limit getrieben. Detroit hatte einfach diesen heißen Sound, und es kamen nicht nur Motown und der ganze Soul aus der Stadt.

Sly Stone. Ich weiß, er kam von der Westküste. Ich glaube, die Leute werden nie verstehen, wie großartig Sly wirklich war, nein, ist. Ich kenne ihn persönlich, wir sind zusammen aufgetreten und waren zusammen im Studio. Ich weiß es genau, Sly ist der Größte

Hast du jemals Sun Ra live gesehen? Nein, habe ich nicht. Jeder fragt mich das. Die Leute meinen, wir seien irgendwie spirituell miteinander verbunden.

Ich frage nach Sun Ra, weil es diese Theorie über eine verborgene politische Dimension in der afroamerikanischen Musik gibt. Die Mothership-Connection und Sun Ras Space Jazz beziehen sich auf den Weltraum als den Platz, an dem es keinen Rassismus gibt. Der Weltraum als gelobtes Land der Afroamerikaner. Was hältst du von der Theorie?

George Clinton kannte Sun Ra, glaube ich. George hatte die Konzepte, er war bei Motown angestellt, er hatte von uns das Wissen. Er hat überall etwas aufgeschnappt, er kannte jeden Musiker in Detroit, und er hat uns immer wieder mit seinen Ideen überrascht. Ich dagegen habe nur das getan, was ich gefühlt habe, ich hatte keinen politischen Hintergrund. George Clinton hat mich schließlich auch dazu verleitet zu lesen und hat mir beigebracht, wie man konzeptuell denkt.

Damals gab es ein ganze Menge Rock-Acts, die die dunkle psychedelische Horrorseite der Musik ausgelotet haben. So wie Alice Cooper zum Beispiel. Warum ist auch Funkadelic immer bis ans Extrem gegangen?

Ich weiß nicht genau. Vielleicht, um das Limit zu erreichen und um zu sehen, wie weit man damit kommen kann. Es war mir egal, ob das Erfolg hatte oder nicht. Das ist so, als ob man sich fragt, mmmhhh, wie nah kann ich wohl an dieses Mädchen herankommen. Ich will ihr eben mehr als nur ein bisschen nahe kommen, wie weit komme ich letztlich wirklich?

War Kiss eine Band, die ihr damals wahrgenommen habt?

Oh ja, wir waren auf demselben Label, Casablanca Records. Casablanca war die beste Plattenfirma, um Verrückte wie Kiss oder Parliament zu promoten. Kiss und Parliament waren Freaks. Wir haben leider nie zusammen auf einer Bühne gespielt, aber wir waren Brüder im Geiste. Larry Gasby, der Typ, der für Kiss das Outfit entworfen hat, diese Drachenstiefel und den ganzen Kram, der hat auch mein Outfit damals entworfen.

Kannst du mir deine Definition eines Freaks geben?

Es gibt »Natural Freaks« und Leute, die versuchen, Freaks zu sein. P-Funk war naturally freaky. Man kann niemandem beibringen, ein Freak zu sein, entweder man ist es oder nicht. Wir haben nicht versucht, irgendwie zu sein, uns verrückt anzuziehen, wir waren so. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen damals und heute. Damals waren wir Freaks, heute ist man nur noch das Abziehbild eines Freaks. Freaks sitzen heute im Parlament.

Würdest du zustimmen, wenn ich behaupte, die Pinocchio Theory hat sich bewahrheitet? Ich meine, jeder kann heute mit einem Sampler und einem PC einen Funk-Track zusammenbasteln.

Ja, es war im Nachhinein nicht nur ein Gag, es war eine Prophezeiung. Aber damals haben wir nicht in die Zukunft geschaut und gedacht, irgendjemand wird irgendwann einmal den Funk verunstalten. Aber eine Sache entwickelt sich aus der anderen; und je mehr sich die Musik verwässert hat ... Ich meine, als Disco anfing groß zu werden, fing es an ...

Meinst du damit, dass Disco verwässerter Funk war? Du hast mit der Rubberband 1975 angefangen. Das war der Moment, als Disco groß wurde.

In Europa, ja, da war Disco heiß wie die Hölle. Aber in den Staaten hat man zu dem Zeitpunkt gerade angefangen, davon zu sprechen. Wir hatten damals Live-Bands in den Clubs. Aber in Europa waren Discotheken das heiße Ding. Das war schon so, als ich mit James Brown 1970 in Europa war.

Wirklich, da gab es schon Discos?

Ja, wir sind nach den Shows in Clubs gegangen und dachten: Scheiße, was ist das? Die hatten alles, was eine Disco ausmacht, DJs, einen Dancefloor und die typische Beleuchtung. Wir kannten das nicht und in Europa nannte man Clubs »Discotheques«.

Noch zu etwas anderem. Ihr hattet Comiczeichner wie Pedro Bell und Overton Lloyd, die euer Artwork gestaltet haben. Wie seid ihr an diese Leute gekommen?

Es ist eine Eigenschaft des Funks, bestimmte Leute zusammenzubringen. Wir haben diese Leute nicht gesucht, sie waren auf einmal da. Wie dieser Typ, Tom Wickers. Er hatte für den Rolling Stone gearbeitet, das war ein stinknormaler Mittelklasseweißer. Er war für eine Reportage mit uns auf Tour. Das nächste, was er tat, war, seinen Job zu kündigen, um ausschließlich über P-Funk zu schreiben. Das war nicht so, dass wir gesagt haben: »Los Tom, mach dich frei!« Ich meine, bestimmte Typen kamen einfach dazu und hauten nicht wieder ab.

Funk als ein Lifestyle, im Sinne von »Funkin' with you«, das ist Uuhhhhhh! Es ist ganz einfach, der Funk saugt dich an, wenn du ihn einmal gekostet hast. Du vergisst alles, das Geld, deine Familie, deine Kinder. Alles nur, weil es sich so gut anfühlt. Die Leute können damit nicht umgehen, weil man daraufhin sein Leben danach ausrichtet, dieses funky Gefühl wieder zu bekommen. Geh auf ein P-Funk-Konzert. Wenn du da bist, verlässt du es nicht, bevor der letzte Ton verklungen ist, und du wirst denken: Hey Kid, die könnten ewig weiterspielen.

Bootsy Collins: »Play with Bootsy - A tribute to the funk« (Eastwest)

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