Sport

FUSSBALL Das schwäbische Experiment In Zeiten finanzieller Not ist der VfB Stuttgart auf Nachwuchskräfte aus der eigenen Talentschmiede angewiesen. Trainer formte aus dem Ensemble frecher Azubis ein schlagkräftiges -Team. Bald will er Deutscher Meister werden.

er Monolog des Trai- ners am Dienstagmor- Dgen vergangener Wo- che dauerte knapp zehn Mi- nuten. Dann war den Spielern des VfB Stuttgart klar, dass ihnen mal wieder ein ziemlich harter Arbeitstag bevorstehen würde. Der 1:0-Sieg zwei Tage zu- vor bei Arminia Bielefeld? Der dritte Tabellenplatz gleich hin- ter Meister Borussia Dort- mund? Die Lobeshymnen über die „jungen Wilden“ in den Zeitungen und im Fern- sehen? „Interessiert mich al- les nicht“, raunzte Felix Ma- gath, 49, vor versammelter Mannschaft. Dann befahl der Coach seine Kicker aufs Feld und triezte sie mit gleich zwei Kraft raubenden Übungsein- heiten. Was andernorts im Profi- fußball Straftraining heißt und eingesetzt wird, um fußlahme Angestellte anzutreiben, gilt in Stuttgart als wesentlicher Teil einer Erfolgsstrategie. Je häu- figer Magaths junge Truppe zuletzt die Bundesliga ver- zückte, desto feinnerviger or- tete der VfB-Coach „nach- lassende Aufmerksamkeit“ –

und heizte das Betriebsklima / REUTERS JEFF MITCHELL mit autoritärem Führungsstil Stuttgarter Profis Hleb, Kurányi*: Lobeshymnen auf die „jungen Wilden“ wieder an. Bislang funktioniert Magaths Methode dafür, dass sich langfristig angelegte Ju- Mittlerweile schafft sich der VfB mit sei- vorzüglich. Seit der 43-malige National- gendarbeit lohnt. nem Sturm-und-Drang-Stil republikweit spieler im Februar 2001 den Job vom ge- So standen in der Elf, die jüngst den Freunde – wie einst die legendäre „Foh- schassten Ralf Rangnick übernahm, form- Deutschen Meister len“-Elf von Borussia Mönchengladbach te er die ursprünglich als abstiegsgefährdet schlug, sieben Akteure, die einst in den Ju- in den frühen Siebzigern. Die „Bild“-Zei- eingestufte Equipe zu einer der attraktivs- gend- oder Amateurmannschaften des VfB tung etwa diagnostizierte hochachtungs- ten Mannschaften der Liga. spielten. Mindestens dreien von ihnen trau- voll einen „Talente-Wahnsinn“ bei den Mehr noch: Der Weg des VfB entpuppt en Fachleute große Karrieren zu: dem tor- Schwaben. sich als eines der interessantesten Fuß- gefährlichen Stürmer Kevin Kurányi, 21, Auch die Konkurrenz gibt sich beein- ballexperimente der letzten Jahre – ein dem divenhaften Mittelfeldspieler Aliak- druckt. Es sei „wunderbar“, befand Bay- Gegenmodell zu all jenen Clubs, die ihre sandr Hleb, 21, in seiner weißrussischen ern-Manager Uli Hoeneß, „wie man in Kader mit immer mehr Spielern aus Ost- Heimat bereits zum „Sportler des Jahres“ Stuttgart mit jungen Talenten arbeitet“. europa, Südamerika oder Afrika be- gekürt, und dem ballsichereren und dyna- Selbst Kanzler Gerhard Schröder, ein Fan stücken. mischen Verteidiger Andreas Hinkel, 20. von Borussia Dortmund, schwärmte von Denn wie kein anderer Verein setzen Trainer Magath und dessen Arbeit. die Stuttgarter auf Talente aus dem eigenen * Nach Kurányis Führungstor beim 1:3 im Uefa-Cup-Spiel In Zeiten schwindender Fernsehgelder Nachwuchs – ein ermutigendes Beispiel gegen Celtic Glasgow am 20. Februar im Celtic Park. sehen Branchenbeobachter in dem Stutt-

210 der spiegel 11/2003 garter Modell einen Ausweg aus der Krise. Seite des VfB Stuttgart standen zwar die Sein Vorgänger Rangnick hatte den Feh- Dass Deutschlands Fangemeinde durchaus besseren Fußballer. Auf der Seite von Cel- ler begangen, alle gleich zu behandeln. Der empfänglich ist für neue Jungstars, zeigte tic indes standen abgezockte Profis. Sie heutige Coach von schrieb bereits der Beifall für die Auftritte des nutzten jede Schwäche der Schwaben aus. Spielern vor, welche Autos sie zu fahren Dortmunders Christoph Metzelder oder „Ich kann niemandem einen Vorwurf hatten, strich den Stars die Einzelzimmer des Kaiserslauterers bei der machen“, sagt Magath anscheinend ohne und plante, einen wöchentlich wechseln- Weltmeisterschaft. Verdruss. den Putzdienst in der Kabine einzuführen. Beim VfB Stuttgart indes dauerte es ei- Bislang hat der Coach, gleichermaßen „Am Ende“, sagt ein Mitglied des damali- nige Monate, bis sich die Zuschauer zu den von Kalkül wie von Instinkt geleitet, in gen VfB-Führungszirkels, „hatte Rangnick Darbietungen der überwiegend Namen- Stuttgart alles richtig gemacht. Seine klügs- den Großteil der Mannschaft gegen sich losen locken ließen – die Fans im Gottlieb- ten Entschlüsse waren zweifellos, den von aufgebracht.“ Daimler-Stadion, als „Champagner-Publi- seinem Vorgänger Rangnick demontierten Magath hat schnell aus eigenen Ver- kum“ verspottet, waren jahrelang mit zug- bulgarischen Spielmacher Krassimir Bala- säumnissen gelernt. Er kommentiert Schwä- IMAGO PETER SCHATZ / PS PRESS PETER SCHATZ VfB-Trainer Magath, Spielmacher Balakow (l.): Balance zwischen Überblick und Ungestüm kräftiger Fußballprominenz aus aller Welt kow, 36, zu rehabilitieren und weiter auf chen von Spielern nicht mehr so schroff verwöhnt worden. Für die Jungprofis in- den Kroaten Zvonimir Soldo, 34, als Ka- wie zu seinen Zeiten beim SV Werder Bre- teressierten sie sich zunächst nicht. pitän zu setzen, so dass im Zentrum des men oder bei , als ihn Dass der Club vor Saisonbeginn auf Spielfelds die Balance zwischen Überblick Beobachter – wenig schmeichelhaft – „Sad- preiswertes Personal zurückgriff, geschah und Ungestüm wiederhergestellt war. dam“ oder „Quälix“ tauften. aus purer Not. Den VfB Stuttgart, der mo- Magaths Hackordnung ist klar: Alt sticht Verlieren freilich fällt dem Mann, der in natelang nicht einmal Siegprämien zahlen jung. So war es auch zu seiner Profizeit, als Aschaffenburg in bescheidenen Verhältnis- konnte, drücken noch heute rund 17 Mil- Branco Zebec und , seine sen von seiner Mutter allein erzogen wur- lionen Euro Schulden. Lehrmeister, die Richtung beim Hambur- de, noch immer „unfassbar schwer“. Doch Zum einen sind die Verbindlichkeiten ger SV angaben. Als Magath sich, noch am während der Ehrgeizling früher unmittelbar ein Erbe jener Ära, in der Gerhard Mayer- Anfang seiner Karriere, schon reif für die nach einer Niederlage zumeist seinem Frust Vorfelder, heute DFB-Präsident, den Ver- Chefrolle im Mittelfeld fühlte, bekam er freien Lauf ließ, schluckt er heute seine ein nach Gutsherrenart regierte und sei- den englischen Klassemann Kevin Keagan Emotionen – und joggt später, um Dampf nen Lieblingsspielern horrende Gehälter abzulassen, erst einmal einige Kilometer zuschanzte. Zum anderen erwischte den Bislang hat Magath, von Kalkül durch die Weinberge. Club die Kirch-Krise mit voller Wucht – wie von Instinkt geleitet, in Dennoch: Nicht immer kann Magath der eh schon klamme VfB Stuttgart konn- sich beherrschen, wenn er irgendwo Un- te auf dem Transfermarkt nicht mehr mit- Stuttgart alles richtig gemacht. fähigkeit wittert. Den mittlerweile entlas- mischen. senen VfB-Manager Rolf Rüssmann etwa Der Mann, der den unverhofften Boom vor die Nase gesetzt. Magath ordnete sich warf er eines Nachts kurzerhand aus seiner auslöste, sitzt in einem Hinterzimmer des unter und rückte auf die linke Außenposi- Skatrunde – Rüssmann, polterte Magath, Clubrestaurants und hat sich gerade eine tion. Er musste warten, bis auch er zu de- spiele ihm einfach zu schlecht. Portion Nürnberger Rostbratwürstchen be- nen gehörte, die austeilen durften. Einen mürrischen Eindruck vermittelt stellt. Der Aufschwung des VfB, diesen Wenn Magath nun in Stuttgart bei ei- Magath freilich noch häufig – ganz so, als Eindruck will Magath vermitteln, sei von nem Trainingskick an der Linie steht und gehe ihm alles viel zu langsam bei seinem Dauer – „auch wenn wir“, wie der Fuß- sieht, dass ein Youngster wie der 21-jähri- Vorhaben, „in den nächsten Jahren um die ball-Lehrer mit seinem leicht abgeschliffe- ge Christian Tiffert gefoult wird, lässt der Deutsche Meisterschaft zu spielen“. Zu- nen unterfränkischen Tonfall warnt, „im- Trainer ohne Rührung weiterspielen. Ge- letzt wuchs rund um die VfB-Geschäfts- mer wieder auch mit Rückschlägen leben hen jedoch die Routiniers Balakow oder stelle gar die Angst, der Erfolgscoach kön- müssen“. Soldo bei einem Zweikampf zu Boden, er- ne in Stuttgart die Lust verlieren, weil er Der jüngste war das Ausscheiden vor- halten sie in der Regel einen Freistoß. Stillstand fürchte. vergangene Woche im Achtelfinale des Sternchen haben es schwer bei Magath. Noch wird, anders als an den bisherigen Uefa-Pokals gegen Celtic Glasgow. Auf der Stars genießen Privilegien. Stationen seiner Trainerlaufbahn, seine di-

der spiegel 11/2003 211 stanzierte Art als Charakterstärke gedeu- tet. Denn Magath verbreitet nicht mehr nur ein Gefühl von Schrecken um sich – er hat sich Respekt verschafft. „Der Trainer hatte den Mut, sich durchzusetzen, als wir in Abstiegsnot waren“, sagt Präsident Man- fred Haas. Widerstände, die der Coach aus- räumte, hatten sich vor allem gegen die Rückkehr Balakows gerichtet. Magaths uneingeschränkte Autorität hat ihren Ursprung auch darin, dass Vereins- boss Haas dem Trainer in sportlichen Fra- gen alle Freiheiten lässt. Der Vorstands- vorsitzende der Sparkassen-Versicherung Baden-Württemberg bezeichnet es als „Ehre, dem Verein zu dienen“ – und fühlt sich schon geschmeichelt, wenn er mit Balakow im „Golf Club Hetzenhof“ bei Schwäbisch Gmünd ein paar Löcher spie- len kann. Haas’ Vorgänger Mayer-Vorfelder hin- gegen war erst zufrieden, wenn sich alles um ihn drehte. Der Polit-Profi, der in sei- ner Amtszeit als Vereinsboss 18 Trainer verschliss, duldete auf lange Sicht keine starke Figur an seiner Seite. Dass Magath mächtiger ist als jeder Trai- ner der Ära Mayer-Vorfelder, zeigt er sei- nen Spielern täglich mit vielen kleinen Kniffen – schließlich kann keiner mehr, wie das üblich war beim VfB, zum Präsi- denten ins Neue Schloss fahren und sich bei Kaffee und Kuchen über vermeintlich schlechte Behandlung ausweinen. Wer es, wie kürzlich etwa die hoch ge- priesenen Jungstars Hleb und Kurányi, beim Training zu locker angehen lässt, dem droht eine halbe Stunde Seilhüpfen: Ex- traschichten, wenn die Kollegen bereits in die Kabine dürfen – „die Höchststrafe“, wie ein junger VfB-Kicker weiß. Ob und wann Training ist, erfahren die Spieler immer erst am Tag zuvor. Gäbe er Wochenpläne aus, erläutert Magath, „wür- den sich einige mehr um ihre Freizeitge- staltung kümmern und sich nicht mehr voll auf ihren Job konzentrieren“. Der Coach, der regelmäßig registriert, wer vor dem Training als Letzter die Ka- bine betritt und wer sie nach der Arbeit als Erster verlässt, überrascht seine Spieler schon mal mit Fangfragen als Bestandteil der Fortbildung. So erkundigt er sich etwa nach Details eines Länderspiels vom Vor- abend. Wer dann nicht die richtige Antwort weiß, muss ätzenden Spott ertragen – Ma- gaths Sarkasmus ist kaum einer gewachsen. Nur die wenigsten melden sich bei ihm überhaupt zu Wort. Als Magath die VfB- Crew mehrere Tage lang mal wieder mit miserabler Laune malträtiert hatte, kam der Mittelfeldspieler Jens Todt zur Sache: „Trainer, Sie ziehen hier alle runter.“ Das war offenbar der Moment, auf den Magath gewartet hatte. „Mich fragt ja kei- ner, wie es mir geht“, antwortete er nach- gerade erleichtert, „ich habe seit Tagen höllische Knieschmerzen.“ Michael Wulzinger

212 der spiegel 11/2003