GEHEIMDIENSTE | RECHERCHEPROTOKOLL Ein Vertrag mit dem Teufel Auch in Schweden gingen US-Agenten auf Menschenjagd. Ein Fernseh-Team deckte auf, wie zwei Asylbewerber vom Flughafen Stockholm in ein ägyptisches Foltergefängnis verbracht wurden.

VON FREDRIK LAURIN, SVEN BERGMAN UND JOACHIM DYFVERMARK

m 18. Dezember 2001 um 20.54 Uhr lan- in jener Nacht wirklich geschah. Wir konnten essage dokumentiert he- dete ein kleines, sehr spezielles Flugzeug beweisen, dass das Flugzeug und die Agenten, Mrausragende investigative Aauf dem Flughafen Stockholm-Bromma. die die Operation auf dem Flughafen Bromma Recherchen, die Missstände Früher am selben Tag, gegen Mittag, hatte durchführten, Teil eines viel größen Programms aufdecken und damit zu deren die schwedische Regierung entschieden, dass waren, nämlich der als »extraordinary renditi- Beseitigung beitragen. zwei Asyl suchende Ägypter, Ahmed Agiza und ons« bezeichneten Menschenjagd der Vereinigten Muhammed Al-Zery, ausgewiesen werden sollten. Staaten von Amerika – ein Programm, das man Die beiden wurden verdächtigt, Kontakte zu ter- auch weltweites, von den involvierten Staaten roristischen Organisationen zu unterhalten. toleriertes Kidnapping nennen könnte. Am Nachmittag, um 16:45 Uhr wurden Agiza Unsere Reportage »Das gebrochene Ver- und Al-Zery festgenommen und zum Flughafen sprechen« war das Ergebnis einer harten, lang- gebracht. wierigen Recherchearbeit zu der Frage, warum, wie und von wem die beiden ägyptischen Teil eines größeren Programms Asylbewerber in dieser Dezembernacht so plötz- Es sollte zweieinhalb Jahre dauern, bis in der lich festgesetzt und von Schweden nach Ägypten Sendung Kalla Fakta des schwedischen Senders ausgeflogen wurden. Wir kamen zu dem Ergebnis, TV4 die Wahrheit darüber enthüllt wurde, was dass die Grundlage für die Anschuldigungen gegen

Zeitungsmeldung vom 21. Dezember 2001 über die Abschiebung der Asyl- bewerber Ahmed Agiza (links) und Muhammed Al-Zery.

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die beiden Männer bestenfalls vage war; dass es wie Ägypten unterschieb, ließ uns vermuten, dass keinen in Schweden, Ägypten, den USA, Pakistan hinter der Ausweisung der beiden Männer starke oder wo auch immer vorgebrachten Beweis dafür Mächte standen. Doch wer? Und warum? gab, dass die beiden Männer Straftaten begangen hätten oder in Verbindung zu Terroristen stün- Gebrochene Vereinbarung den. Unter Berufung auf das Informationsfreiheits- Wir konnten belegen, dass die Operation bereits gesetz kontaktierten wir im August 2002 das zuvor auf ministerieller Ebene in Schweden schwedische Außenministerium. Nachdem wir bekannt war und gebilligt wurde. Schwedische viele hundert Seiten aus den Ministeriums-Akten Beamte ließen unter Missachtung der schwedi- zu diesem Fall gelesen hatten, begannen wir, schen Gesetze zu, dass ausländische Agenten auf erste Interviews zu führen. schwedischem Territorium Häftlinge abführten, Jeder, aber auch wirklich jeder unserer ihnen die Augen verbanden, sie unter Drogen Gesprächspartner aus dem Außenministerium oder setzten, sie erniedrigten und misshandelten. von der Sicherheitspolizei war darauf vorbereitet, uns zu antworten, es habe sich um eine Standard- Übliche Prozedur Operation gehan- Auf die Story aufmerksam wurden wir durch delt und Schweden eine Kurzmeldung in der Tageszeitung Da- sei zwei gefähr- Schwedische Beamte ließen zu, gens Nyheter: Schweden lehne den Antrag von liche Terroristen dass ausländische Agenten auf Asylsuchenden ab, verweigere eine Aufenthalts- losgeworden, die genehmigung und weise sie aus. auch zu einer Be- schwedischem Territorium Häftlinge Doch dieser Fall hatte eine Besonderheit: Es gab drohung für die abführten und misshandelten. eine Garantieerklärung, dass die Asylsuchenden in schwedische Öf- Ägypten, wohin sie abgeschoben wurden, nicht fentlichkeit hätten gefoltert würden. Wir stellten fest, dass bereits werden können. im Vorfeld ein stellvertretender Minister aus Wir mussten jede noch so kleine Information Schweden nach Ägypten gereist war und eine sol- aus den zuständigen Dienststellen mühsam he- che Vereinbarung ausgehandelt hatte. rausquetschen. Bei beinahe jedem Schritt in dieser Das hatte es bei all den Ausweisungen, die Jahr Recherche mussten wir den Gesprächspartnern für Jahr in Schweden vollzogen werden, noch Vertraulicheit zusichern und anonyme Quellen nie gegeben. Diese Vereinbarung erschien uns aufbauen: In der Schwedischen Luftfahrtbehörde, sofort merkwürdig. Wir wussten, dass die schwe- am Flughafen Bromma, im Außenministerium, in dische Regierung wusste, dass das Foltern von schwedischen Vertretungen im Ausland. Häftlingen in Ägypten eine übliche Prozedur ist. Unser erstes Ziel war es, die zentrale Frage Die Wahrscheinlichkeit, dass den beiden Männern zu klären: Kann man einem Vertrag vertrauen, dort eine faire Behandlung zuteil werden würde, den man mit dem Teufel abschließt? Bei einem war unendlich gering. Besuch in Ägypten erfuhren wir denn auch, dass Die schwedische Regierung hoffte wohl, durch die Anti-Folter-Garantie gebrochen worden war. diese auf ein Blatt passende Garantieerklärung von In das Skript unseres Fernsehbeitrages umgesetzt, ihren Verpflichtungen enthoben zu sein, die ihr liest sich unserere Recherche so: das schwedische oder internationale Recht und die in Schweden verbindliche Anti-Folter-Konvention Auszug aus Kalla Fakta, 17. Mai 2004 auferlegen. Dass die schwedische Regierung eine Sprecher: Die schwedische Botschaft solche Vereinbarung mit einer De-fakto-Diktatur besuchte die Gefangenen zwei Jahre lang ein-

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mal pro Monat. Aber aus den Berichten der Ab geht so lange, bis sie den Strom wieder Botschaft geht hervor, dass diese Besuche in abschalten. dem Büro des Gefängnisdirektors stattfanden, Frage: Wie oft haben sie ihn mit solchen oft in Gegenwart von Beamten des ägypti- Stromschlägen gefoltert? schen Sicherheitsdienstes, die sich Notizen Hamida Shalaby: Vier Mal. Vier Mal mit zu dem machten, was die Gefangenen sich zu der Matratze, aber auf dem Stuhl; jeden Tag. Ja, sagen trauten. Und die Männer sind nicht ein vom 19. Dezember bis zum 20. Februar. einziges Mal von einem unabhängigen Arzt untersucht worden. (...) Sprecher: Diese Berichte über Folter ver- anlassten auch Muhammed Al Zerys Anwalt Sven Linder, ehemaliger schwedi- Kjell Jönsson dazu, vor Ort in Kairo nach mehr scher Botschafter in Kairo: Ich kann mich Informationen zu suchen. zu diesem Punkt ganz klar äußern. Meine Einschätzung ist, dass sie ihre Verpflichtungen Kjell Jönsson: Die Behauptung, dass sie eingehalten haben, so wie es gemäß dem Ab- gefoltert wurden, ist jetzt bestätigt. Es geht kommen von ihnen erwartet wurde. hier um sehr schmerzhafte Foltermethoden. Sie befestigen Elektroden an den sensibels- Sprecher: Wir haben uns mit Ahmed ten Teilen des Körpers, das heißt an den Agizas Mutter Hamida Shalaby getroffen, die Genitalien, den Brustwarzen, der Zunge, den ihren Sohn jede zweite Woche im Gefängnis Ohrläppchen, den Unterarmen. Es sind Ärzte sieht – und dabei weniger streng überwacht anwesend, die beurteilen sollen, wie viel wird. Sie weiß, was vor den Besuchen des Folter, wie viel Strom der Gefangene aushält. Botschafters passierte. Danach werden die betroffenen Körperstellen eingecremt, so dass keine Abdrücke oder Hamida Shalaby: Einen Tag vorher sagen Narben bleiben, und Blutungen werden mit sie ihm: »Morgen wird der Botschafter kom- kaltem Wasser gestoppt. men. Rede nicht! Wenn Du redest, landest Du auf der elektrischen Matratze.« Sven Linder: Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob er versuchte, mir etwas Sprecher: Ungeachtet der Drohungen mitzuteilen. Und dann verlangte ich einfach, ergriffen die Gefangenen die Chance bereits dass er seine Kleider ausziehen sollte. Und beim ersten Besuch des Botschafters im Januar er begann sich auszuziehen. Es waren nur 2002. Schon aus dem ersten Bericht an das Männer anwesend. Ich wollte einfach nur, schwedische Außenministerium geht hervor, dass er seinen Körper zeigt. Und als er halb dass die Garantie gebrochen worden war. fertig war, sagte er: Es gibt keine Spuren an Die Männer berichten, dass sie gezwungen meinem Körper. Daraufhin beendete ich die worden seien, ständig eine Augenbinde zu Prozedur. tragen, dass sie nicht schlafen dürften, dass Frage: Könnte es sein, dass er elektrische sie geschlagen und misshandelt und dass ihre Folter meinte, die keine Spuren hinterlässt? Familien bedroht würden. Auf all dies setz- Sven Linder: Nun, das ist wieder so eine te die schwedische Regierung sofort einen theoretische Frage ... Ich glaube es nicht, aber »Vertraulich«-Stempel. (...) natürlich könnte es so sein.

Hamida Shalaby: Die Matratze steht unter Hamida Shalaby: Sie wurden zu mehreren Strom. Die Matratze. Er musste sich darauf gleichzeitig mit Stromschlägen gefoltert. Jeder legen, die Arme auf beiden Seiten angeket- schrie »Ahh Ahha«, wegen der Stromschläge. tet, und die Beine auch. Wenn sie den Strom So konnten sie sich gegenseitig hören. Der anschließen, bäumt sich sein Körper auf, dann eine schrie und der andere hörte ihn, dann fällt er wieder runter. Und dieses Auf und schrie der andere und der eine hörte ihn. So

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waren sie mit den Nerven am Ende, wenn hilfsbereit. Sie vertraten die Ansicht, dass alle sie an der Reihe waren. So ist das mit den Informationen über »extraordinary renditions« Stromschlägen. Diese elektrische Folter gab an die Öffentlichkeit gebracht werden müssten. es jeden Tag. Danach haben sie ihn bedroht ... Als nächsten Schritt recherchierten wir die Namen aller Personen, die in der fraglichen Sprecher: Kalla Fakta verfügt über Origi- Nacht auf dem Flughafen Stockholm-Bromma naldokumente, die die Zeugenaussagen bestä- Dienst hatten. Wir sprachen mit jedem einzel- tigen, und die beweisen, dass die beiden nen. Was schließlich den Durchbruch brachte, Männer systematisch gefoltert wurden, mit war die Tatsache, dass auch CIA-Agenten pin- Strom, Schlägen und Tritten. Zu mindestens keln müssen. Und weil sie das tun, füllt sich der vier Gelegenheiten haben die schwedischen Schmutzwassertank ihrer Flugzeuge und muss Behörden über verschiedene Kanäle von irgendwann geleert werden. Dafür muss jemand den beiden Männern Informationen darüber eine Quittung unterschreiben und Gebühren bekommen, was ihnen angetan wurde. zahlen. Das hinterlässt Spuren.

Nach unserem Besuch in Kairo wurden drei Erfolgreiche Operation Journalisten unserer Redaktion abgestellt, die nur Ein anderer wichtiger Aspekt war unsere noch für dieses Projekt recherchierten. Bei der Entscheidung, undercover Kontakt zu den offi- Lektüre von US-Zeitungsartikeln beschlich uns ziellen Eignern der Verdacht, die Amerikaner könnten irgendwie des Flugzeugs auf- in diesen Fall verwickelt sein. Aber wir fanden zunehmen. Wir Wir sprachen mit jedem, der zunächst keine Bestätigung dafür. riefen sie einfach damals Dienst hatte. Den Durch- Deshalb konzentrierten wir uns auf jenes an, stellten uns als Ereignis, das direkt vor unserer Haustür auf Mr. Sven Nyström bruch brachte die Tatsache, dass dem Flughafen stattgefunden hatte. Wir muss- »aus « vor, auch CIA-Agenten pinkeln müssen. ten das Flugzeug identifizieren, das die beiden und sagten, dass Asylbewerber an Bord genommen hatte. Und das wir von ihrer ers- sollte eine lange und schwierige Aufgabe werden. ten Operation in Schweden 2001 wüssten. Dass wir gehört hätten, es sei hoch professionell zuge- Notizen im Internet gangen, sehr erfolgreich, und dass wir uns nach Wir begannen bei einer Gruppe, um die man den Möglichkeiten erkundigen wollten, so eine bei einer solchen Recherche nicht herum- Operation noch einmal durchzuführen. kommt: Plane-Spotter – hunderte oder tausen- Dieser Anfang und die folgenden Dutzende de Menschen, deren Hobby nicht darin besteht, von Telefongesprächen in die USA brachten uns Schmetterlinge oder Briefmarken zu sammeln, weiter und weiter hinein in das Labyrinth der fal- sondern Flugzeuge. Sie sitzen am Ende der Start- schen Namen und Tarngesellschaften rund um und Landebahnen, machen sich Notizen über das Programm der »extraordinary renditions« die ankommenden oder abfliegenden Maschinen – und lieferten uns schließlich die Bestätigung, und veröffentlichen sie dann im Internet. In dass die US-Regierung in die Bromma-Operation diesen »open sources« gibt es Erstaunliches zu im Jahr 2001 verwickelt war. entdecken. Diese Telefonate, bei denen wir nach der ame- Aber nicht alle Plane-Spotter waren damit rikanischen Gulfstream 5 mit der Registrierung einverstanden, wie wir ihre Informationen nut- N379P fragten, wurden allesamt mitgeschnitten. zen wollten. Mehrere Male wurden wir aus Teile davon wurden gesendet. Plane-Spotter-Foren im Internet hinausgeworfen, nachdem wir allzu eindeutige Fragen gestellt Auszug aus Kalla Fakta, 17. Mai 2004 und offenbart hatten, dass wir ein Flugzeug Mary Ellen McGuiness: Das ist unser suchten, das am amerikanischen »war on terror« Flugzeug. Sie sind hier bei der richtigen beteiligt ist. Andere Plane-Spotter waren sehr Stelle.

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»Sven Nystöm«: Wir rufen an, weil wir worden. Masood Anwar, ein Reporter von The das Flugzeug gerne mieten möchten, beka- News in Karachi, recherchierte diesen Fall. men aber die Antwort, dass es nur für die US- Regierung fliegt. Masood Anwar: Meine Quellen sind Mary Ellen McGuiness: Das ist korrekt. Augenzeugen. Sie gehören zur Feuerwehr Wir vermieten nur über die US-Regierung, wir und haben das ganze Drama gesehen. Sie haben einen langfristigen Vertrag mit ihnen. sagten mir, alle Personen hätten Masken getragen. Die gesamte Aktion wurde von Schließlich bekam »Mr. Nyström« einen Anruf Ausländern ausgeführt, von Amerikanern. von einem verwirrten Beamten der schwedischen Die Augenzeugen haben gesehen, dass die Sicherheitspolizei, der dachte, er spräche mit Hecknummer des Flugzeugs N379P lautete. jemandem vom militärischen Geheimdienst. Sprecher: N379P. Dasselbe Flugzeug, mit Auszug aus Kalla Fakta, 17. Mai 2004 dem Ahmed Agiza und Muhammed Al Zery Mikael Lundström: Hallo, ich heiße von Bromma nach Kairo gebracht wurden. Mikael Lundström, ich arbeite bei der Sicherheitspolizei. Wie im Fall dieses pakistanischen Kol- Ich rufe an, weil legen, so hatte das Prinzip, nach der ersten Schließlich telefonierten wir mit Sie bezüglich Veröffentlichung die Rechercheergebnisse mit einem verwirrten Sicherheits- einer gewissen anderen Rechercheuren im Ausland zu teilen, Person in Kontakt großen Anteil an unserem Erfolg. polizisten, der dachte, er spräche mit US-Behörden Ohne hilfsbereite Mitglieder des US- mit jemandem vom Geheimdienst. standen. (...) Ich Berufsverbandes »Investigative Reporters and sage das so, weil Editors« (IRE) – deren online veröffentlich- wir in dieser An- te Mitglieder-Datenbank haben wir exzessiv gelegenheit von unseren amerikanischen genutzt –, ohne Freunde und Kollegen in Irland, Kooperationspartnern kontaktiert wurden. Indonesien, Ägypten, Kanada und Deutschland, »Sven Nystöm«: Wir hatten Kontakt zu um nur einige zu nennen, hätten wir das nicht den Eigentümern des Flugzeugs. Und ein geschafft. Kollege von Ihnen hat angerufen und gesagt: »US-Behörden«. Informationen über Luftfahrt Arne Andersson: Ich kann diese Infor- IRE-Leute wie Jeff Porter halfen uns gegen ein gerin- mationen weder bestätigen noch dementie- ges Honorar, einen Anfang bei der Recherche in ren, aber ich kann so viel sagen: Es handelte den US-Wirtschafts- und Regierungsdatenbanken sich um eine internationale Zusammenarbeit. zu finden. Das war es in der Tat. (...) Unter Berufung auf den Freedom of Information Act kontaktierten wir die amerika- Sprecher: Die Sicherheitspolizei bestätigt, nische Luftfahrtbehörde FAA, konsultierten die dass eine ausländische Sicherheitsbehörde Firmenregister von Massachusetts, Tennessee in Bromma war, will aber nicht mehr sagen. und North Carolina und durchsuchten zahlreiche Aber Kalla Fakta weiß, dass es sechs bis acht kommerzielle Datenbanken und amerikanische Amerikaner waren, die die Gefangenen in Bundesdatenbanken nach Informationen über Bromma abführten, und dass das Flugzeug Luftfahrt und Fluggesellschaften. ein Instrument für die internationale Men- Auch in Schweden sichteten wir zwi- schenjagd der USA war. schen August 2002 und November 2004 unter Zwei Monate zuvor war der jemenitische Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz Student Jamil Gasim auf die gleiche Weise in immer wieder Dokumente und Unterlagen aus Karachi in Pakistan gefangen genommen und dem Außenministerium, dem Justizministerium, gefesselt nach Amman in Jordanien geflogen der schwedische Luftfahrtbehörde, der schwedi-

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schen Sicherheitspolizei (SÄPO), dem Büro des und es gab drei Follow-ups. Am 24. Mai sen- Premierministers und aus zahlreichen anderen deten wir ein Interview mit dem einzigen zur Behörden. fraglichen Zeit auf dem Flughafen Bromma anwe- senden uniformierten Polizisten. Nach unserer Plackerei und Drecksarbeit ersten Sendung hatte er sich bei uns gemeldet Wir haben alle Unterlagen gescannt und mit und bestätigte, dass es amerikanische Agenten Texterkennungsprogrammen bearbeitet. Wir waren, die die Operation ausführten. haben alle Interviews abgetippt, ob sie mit Die schwedische Regierung machte eine Kamera geführt wurden oder nicht. Wir haben komplette Kehrtwendung. Sie gab zu, dass vie- uns gegenseitig alles Material per E-Mail zur les auf eine mögliche Folterung der beiden Kenntnisnahme geschickt. Männer hindeute und schickte eine Delegation Die Transkripte und alle anderen Dateien mit der ehemaligen Vize-Premierministerin Lena sammelten wir in einem von uns selbst unter Hjelm-Wallén nach Kairo. Die Abordnung sollte Verwendung von Word, adobe acrobat und eine unabhängige Untersuchung über die Folter- Hyperlinks erarbeiteten, verlinkten Dokumenten- Vorwürfe aushandeln. Nutzungs-System. Um die tausende Seiten, die Der Verfassungsausschuss des schwedischen wir bei unseren Recherchen angehäuft hatten, Parlaments untersuchte die Verantwortlichkeit Fredrik Laurin, indexieren und durchsuchen zu können, benutz- der Minister, die in den Entscheidungsprozess der Sven Bergman und ten wir die Suchmaschine X1. Operation verwickelt waren. Wichtige NGOs wie Joachim Dyfvermark Außerdem ordneten wir alle verfügbaren Human Rights Watch und Amnesty International sind Redakteure Daten in einer chronologischen und genau übten angesichts dessen, was unsere Recherchen des schwedischen bezeichneten Excel-Tabelle. Jeder Themenbereich ergeben hatten, scharfe Kritik am Vorgehen der TV-Magazins Kalla – »Flugzeugdaten«, »rendition«, »schwedisches schwedischen Regierung. Sie fordern eine breite, Fakta auf TV4. Regierungshandeln« – bekam sein eigenes Label internationale, unabhängige Untersuchung unter Übersetzung: und eine eigene Farbe. Beim Auf- und Abscrollen Leitung der UN. Eine Forderung, die im Übrigen Charlotte der Tabellen konnten wir einzelne Puzzleteile auch von dem UNO-Sonderberichterstatter für Voermanek zusammensetzen. Folter, Theo van Boven, unterstützt wird. Es war von großem Wert, als Team zu arbeiten. Wir drei kannten uns lange und hatten bereits Unter starkem Druck zusammengearbeitet; dieses Rechercheprojekt Inzwischen wurde einer der beiden von den war nur das jüngste von vielen, die wir gemein- Amerikanern entführten Männer, Ahmed Agiza, sam durchgeführt haben. Die Methode, die wir in einem verkürzten Verfahren von einem ägypti- für uns gefunden haben, ist weit davon entfernt schen Militärgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt. perfekt zu sein, und es gibt sicher noch vieles zu Im Gefängnis hat er endlich eine ordnungsgemä- verbessern. ße medizinische Versorgung erhalten. Im Juni Aber das Wichtigste ist: Es macht mehr Spaß, 2004 wurde eine Entscheidung, auch seine Frau gemeinsam zu arbeiten. Bei einer derart langwie- Hannan Attia und ihre fünf Kinder aus Schweden rigen, mühsamen Arbeit ist der gemeinsame Weg auszuweisen, revidiert. Sie bekamen eine ständi- zum Ziel wichtig. Nicht der einsame Wolf zu sein, ge Aufenthaltsgenehmigung. zu dem viele investigativ arbeitende Reporter nei- Der andere Ägypter, Mohammed Al Zery, war gen, obwohl sie eigentlich ein gutes redaktionelles schon im November 2003 aus dem Gefängnis ent- Team hinter sich haben, sondern Misserfolge und lassen worden. Er lebte unter dem starkem Druck Erfolge ebenso zu teilen wie die ganze Plackerei eines informellen Hausarrests mit der expliziten und Drecksarbeit – das ist das Beste daran, im Anweisung, nicht mit seinen Anwälten oder mit Team zu arbeiten. Journalisten zu sprechen. Diese Auflagen wurde erst aufgehoben, als die ägyptische Regierung im Komplette Kehrtwendung November 2004 der schwedischen Regierung Der erste Beitrag über die beiden entführten mitteilte, dass sämtliche Vorwürfe gegen Al Zery Ägypter wurde am 17. Ma1 2004 ausgestrahlt, offiziell fallen gelassen worden seien. ■

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