Dokumentation der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 Oliver Reinhard Kira Barbara Johannes Martin Tobias Julian Fatih

Theresa Nesa Julia Katharina Ivo Alexandra Nadja Sonja Michael Karin Stefania Frauke Christian Mathias Roland Alice Peter Dieter Heike Lukas Herwig Jürgen Aurelia Laura Heinz Matthias Stefanie Richard Kirstin Ingo Paula Kathrin Sabine Monika Iskender Sara Markus Lara Elmar Petra Gerold Johny Lisa Jutta Ralf Winfried Murat Hans Peter Annette Marie- Isabella Margarethe Veronika Louise

Ulrike Nora

Doris Bettina Andreas Necla Christoph Verena

Pu Sabrina Nadine Thomas Ursula Hedi Yenar Raimund Meena Anna Miriam Niklas Zaker Guido Christa Zita Klaus Christiane Maria Katrin Alma Elisa Edgar Johann Brigitte Wolfgang Wilfried Sigi Dominik Sina Renate Charlotte Jakob Ines Guntram Hanno Jimmy Harald Werner Angelika Olivia Ruth Mirjam Eva Angela Marc Aaron Stefan Emanuel Christine Marie Oskar Beate Andrea Björn Fritz

#ihrseidgroßartig #gemeinsamaufdemweg Ou tb u r

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c o u r ag Dokumentation der Bewerbung e! als Kulturhauptstadt Europas 2024 Inhalt

Europa braucht mehr Mutausbrüche Martin Selmayr 6 Vom Anfangen, fast Gewinnen und Weitermachen Theresa Bubik 68 Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich Projektmanagerin Dornbirn plus

Vorwort Andrea Mayer 7 #mutigeschritte Lisa-Maria Alge 74 Kunst- und Kulturstaatssekretärin Österreich Projektmanagerin Dornbirn plus

Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Andrea Kaufmann Wolfgang Matt 9 Übersicht europäischer Kulturtipps und Blogbeiträge 78 ­Bregenzerwald: Eine Kooperation über Bürgermeisterin Stadt Dornbirn Bürgermeister Stadt Feldkirch ­Gemeindegrenzen hinweg Dieter Egger Guido Flatz Bürgermeister Stadt Hohenems Obmann Regio Bregenzerwald Outburst of Courage – Jürgen Weishäupl 84 Oder: Das Kulturprogramm Künstlerischer Leiter Dornbirn plus Vom Gewinnen einer Option Bettina Steindl 10 Leiterin Dornbirn plus Dornbirn plus als Motor Stefania Pitscheider Soraperra 94 für ­Geschlechtergerechtigkeit Direktorin Frauenmuseum Hittisau Eine verpasste Chance für den Bregenzerwald

Gemeinsam auf dem Weg 14 Juppe trifft Sari Nesa Gschwend 96 Expert*innen aus Kunst und Kultur zum Bewerbungsprozess Geschichten über Stoffe und Begegnungen Künstlerin

Rückblick nach vorne: Kulturämter der Städte Dornbirn, Feldkirch, 16 Europäische Ausflüge und internationale Alexandra Hefel 100 Ein Jahr nach dem ECoC-Entscheid Hohenems und Regio Bregenzerwald Juryvisits #gemeinsamaufdemweg Initiative Ausflugsbüro

The Winner Takes It All – Nadja Grizzo Hanns-Dietrich Schmidt 22 Kulturhauptstadt über den Tellerrand gedacht Emanuel Moosbrugger 104 Oder: Vom Gewinn des Scheiterns Kulturhauptstadt-Beraterin Kulturhauptstadt-Berater Hotelier

#Spannungen konstruktiv nutzen. Stefan Hagen 106 Zurück zu den Anfängen Christoph Thoma Andrea Fink 26 Gemeinsam voranschreiten. Systemischer Organisationsentwickler Wir fragen nach: Kulturmanager und -politiker Kuratorin und Kunsthistorikerin

Stadt Land Fluss Kultur Winfried Nußbaummüller Bettina Steindl 32 Interview von Peter Niedermair Leiter der Kulturabteilung Leiterin Donbirn plus Europa wir kommen trotzdem 108 des Landes Unser Netzwerk für die Zukunft Mut zum Ausbruch? Hanno Loewy 42 Direktor Jüdisches Museum Hohenems Das Entdecken von Möglichkeiten Bettina Steindl Jürgen Weishäupl 110 Europa zuhören. Erinnerungen an einen­ Mirjam Steinbock 45 Ein E-Mail-Ping-Pong Leiterin Dornbirn plus Künstlerischer Leiter Dornbirn plus ­intensiven Prozess, der weitergeht. Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg, Mitglied Netzwerkgruppe Kultur Vom mutigen Scheitern! Dominik Nostitz 120 Dornbirn und Umraum: Die visionäre Reinhard Kannonier 48 Dornbirn plus als Saatgut Künstler, Kulturmanager, Jurymitglied Kraft der ­Bewerbung weitertragen! Musikwissenschafter, ­Universitätsprofessor, ­ehemaliger Rektor Kunstuniversität Linz Stimmen unserer Unterstützer*innen 124 Der Tritt in den Allerwertesten – Ruth Swoboda 50 Was man so sagt über uns Oder: Die schönen neuen Andockstellen Direktorin Museum inatura

ECoC als Stadtentwicklungsinstrument? Jakob Redl 128 Ein Laborbericht aus St. Pölten Projektleiter Bewerbung St. Pölten 2024

Outburst of Courage 52 „Saltiness“ im Bewerbungsprozess Marie Gruber 132 Titel, Motto und Haltung der Bewerbung – warum es einen Mutausbruch braucht Gastbeitrag aus Bad Ischl, ECoC 2024 Kunst- und Theaterpädagogin, ­Schauspielerin

Kunst und Kultur als Mission und Haltung Bettina Steindl 54 Kultur als Motor der Zukunft Sonja Zobel 134 Leiterin Dornbirn plus Gastbeitrag aus Bad Ischl, ECoC 2024 Schauspielerin und Kulturmanagerin

Übersicht umgesetzter Projekte 56

Zukunft 138 Impressum 139 Europa braucht mehr Mutausbrüche Vorwort

Martin Selmayr Andrea Mayer Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich Kunst- und Kulturstaatssekretärin Österreich

„In Vielfalt geeint“ – so lautet seit dem Jahr 2000 das Motto der zu denken und zu gehen. Dass es gerade die Kultur ist, die mutige Die COVID-19-Krise führt uns schmerzlich vor Augen, wie verletz- Europäischen Union. Es bringt zum Ausdruck, dass unterschiedli- Schritte setzt, lehrt uns die Geschichte mit zahllosen Beispielen. lich unser System eigentlich ist. Für mich als Kunst- und Kultur- che Kulturen, Sprachen und Traditionen unseren Kontinent aus- Ein sehr prominentes ist Ludwig van Beethoven, der als Komponist staatssekretärin ist es daher oberstes Ziel, die Resilienz des Kunst- machen und gegenseitiger Respekt die Basis unseres gemeinsa- der Europahymne „Ode an die Freude“ ein europäisches Aushän- und Kultursektors zu stärken. Wir brauchen perspektivisch eine men Europas ist. geschild für mutiges Schaffen ist. neue Nachhaltigkeit, die auf wirtschaftliche und soziale Gerech- Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat uns auf drastische Dass nun ein Mutausbruch gerade aus Vorarlberg kommt, tigkeit genauso abstellt wie auf einen verantwortungsbewussten Weise daran erinnert, dass wir die Herausforderungen unserer überrascht nicht. Die einzigartige geografische Lage des Ländles Umgang mit unserer Umwelt. Initiativen wie die „Europäische Kul- Zeit nicht im Alleingang bewältigen können. Wir erreichen unsere im alpinen Herzen Europas erfordert seit jeher mutig denkende turhauptstadt“ bieten hier einzigartige Möglichkeiten für die ge-­ Ziele nur, wenn wir gemeinsam und solidarisch handeln. und handelnde Bewohnerinnen und Bewohner. Hier müssen seit meinsame Erarbeitung von tragfähigen Lösungen. Dass gemeinsames Engagement viel bewegen kann, zeigt auch Jahrhunderten Grenzen überwunden werden, sei es in Form von Auch Dornbirn plus hat sich auf die Suche nach den dring- die vorliegende Dokumentation der großartigen Gemeinschafts- natürlichen Barrieren wie Bergketten, sei es in Form von Staats- lichsten Fragen unserer Zeit begeben und wendet sich den The- bewerbung aus Vorarlberg um die Europäische Kulturhauptstadt grenzen im wirtschaftlichen Austausch mit den Nachbarländern. men Digitalisierung, Klimawandel, Stellung von Frauen und dem 2024: „Outburst of Courage“ oder auch „Mutausbruch“. Die unab- Eine der mutig Denkenden und Handelnden ist die Bürgermeiste- sozialen Zusammenleben zu. Die Kulturstrategie, die sich räumlich hängige Jury hat sich letztlich nach einem knappen Rennen für rin von Dornbirn, Frau Andrea Kaufmann. Sie hat als kreative Inspi- über Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und den Bregenzerwald, und Bad Ischl – Salzkammergut entschieden. Das sollte kein Grund für ratorin und unermüdliche Antreiberin wesentlich zum bemer- zeitlich bis ins Jahr 2030 erstreckt, beweist großen Willen und Lei- Entmutigung sein: Denn wie so oft ist auch bei der Bewerbung für kenswerten Mutausbruch beigetragen. denschaft für die langfristige Kulturentwicklung in der Region. Die die Europäische Kulturhauptstadt der Weg das Ziel, zumindest ein Ich hoffe, dass das Vorarlberger Beispiel über die Landes- und Jury durfte bei ihrem Besuch vor Ort begeisterte und engagierte gutes Stück weit. Und so hoffe ich, dass die erarbeiteten Inhalte Staatsgrenzen hinweg Furore macht. Denn Europa braucht Mut- Menschen kennenlernen, die den europäischen Gedanken auf und Projekte weiterhin verfolgt und auch realisiert werden. Es ausbrüche derzeit mehr denn je – und zwar auf allen Ebenen. Den vielfältige und berührende Art und Weise lebendig werden ließen. freut mich jedenfalls, dass die Ideen im „European Creative Insti- Mutigen gehört die Zukunft. Gemeinsam können wir Änderungen Zur Erinnerung: 2016 hat das Kunst- und Kulturressort den Bewer- tute“ weiterentwickelt werden und an einer Umsetzung gearbeitet anstoßen, neue Wege beschreiten und unser Europa jeden Tag ein bungsprozess um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2024 in wird. Das wäre ein Gewinn für die Region, für Österreich und für Stückchen besser machen. Österreich“ gestartet. Es folgte eine mehrteilige Veranstaltungs- ganz Europa. reihe, an der zu Beginn 17 interessierte Städte aus ganz Österreich Der Zusammenschluss von Dornbirn, Feldkirch, Hohenems Prof. Dr. Martin Selmayr teilgenommen und wesentlich zu einem positiven, freundschaft­ und dem Bregenzerwald zeigt auf regionaler Ebene vor, wie Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich lichen Wettbewerb beigetragen haben. Alle drei finalen Bewerber- Europa gelebt und gestärkt werden kann. In dem engagierten städte – Bad Ischl-Salzkammergut, Dornbirn plus und St. Pölten – Gemeinschaftsprojekt finden sich auch die Prioritäten der Euro- haben ihre Konzepte, Ideen und Visionen in den Bewerbungs­ päischen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen wie- büchern, bei den Jurybesuchen und Hearings eindrucksvoll der: das Überwinden von Trennendem und das Zusammenwach- ­präsentiert. Die Entscheidung oblag schließlich einer 12-köpfigen sen der Regionen, ein Miteinander in Vielfalt und über Generatio- europäischen Jury – und fiel, wie bekannt auf Bad Ischl-Salzkam- nen hinweg, das harmonische Zusammenspiel von Land, Natur mergut. und Mensch, neue Ideen in Sachen Mobilität und Architektur. Vier Vorarlberger Gemeinden bilden das Fundament des Pro- Ich bin vom Weg, den die Region mit dem Projekt Dornbirn plus in jekts „Outburst of Courage“, und auch für Europa ist das Mitein- den letzten Jahren eingeschlagen hat, sehr beeindruckt. Es wurde ander alternativlos. Nur mit gemeinsamen Antworten können wir viel Arbeit, Zeit und Leidenschaft investiert. Die vorliegende Publi- der Pandemie und ihren Folgen begegnen, denn das Coronavirus kation zeugt davon und ich möchte allen Menschen, die dazu bei- kennt weder Grenzen noch Nationalitäten. Ebenso können wir nur getragen haben und dahinterstehen, herzlich gratulieren und sie mit gemeinsamen Entschlüssen und Taten bis spätestens 2050 als ermutigen, weiter an diesen Ideen und Visionen zu arbeiten! Kontinent klimaneutral werden. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Das Gemeinsame braucht allerdings immer häufiger mutige Befürworter, das hat sich gerade im vergangenen Jahr gezeigt. Es braucht Unterstützung aus den verschiedensten Bereichen der Mag.ª Andrea Mayer Gesellschaft und es braucht Menschen, die bereit sind, neue Wege Kunst- und Kulturstaatssekretärin

6 Einleitung 7 Dornbirn plus Feldkirch Hohenems ­Bregenzerwald: Eine Kooperation über ­Gemeindegrenzen hinweg

Andrea Kaufmann Wolfgang Matt Bürgermeisterin Stadt Dornbirn Bürgermeister Stadt Feldkirch

Dieter Egger Guido Flatz Bürgermeister Stadt Hohenems Obmann Regio Bregenzerwald

Im Prinzip ist es noch zu früh, ein Fazit aus der gemeinsamen Be-­ In Feldkirch wird dies der Humanismus-Schwerpunkt und die Neu-­ werbung der Städte Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und der Regio positionierung des Palais Liechtenstein sein. Hohenems bereitet Bregenzerwald für die österreichische Kulturhauptstadt Europas in Partnerschaft mit Feldkirch, Lustenau, dem Land Vorarlberg 2024 zu ziehen. Doch eines steht fest: Mit der Entscheidung der und weiteren Einrichtungen unter dem Titel „Über die Grenze – EU-Jury Ende 2019 für Bad Ischl haben wir unsere Bücher sicher Fluchtstationen in Vorarlberg 1938 bis 1945“ einen Radweg entlang nicht einfach zugemacht und sind zum Alltag übergegangen. Im der Vorarlberg-Schweizer Grenze vor. Ein weiterer Schwerpunkt Gegenteil. Viel zu wertvoll sind die in rund vier Jahren gemeinsam ist die Etablierung des Vorarlberger Literaturhauses in der ehe- erarbeiten Überlegungen, die künstlerischen und kulturellen Pro- maligen Rosenthal-Villa, ebenso das Projekt „Europe in a Nutshell“ jekte und die neuen Ansätze zu übergreifenden Kooperationen sowie die Erstellung eines Kulturleitbildes. Der Bregenzerwald hat unserer Städte und Region, die durch diesen Prozess entstanden aus dem Bewerbungsprozess heraus eine Kulturkoordinations- sind. Wir haben den Austausch untereinander intensiviert und stelle geschaffen und macht sich an die Entwicklung einer Kul­ unsere Energie auf ein gemeinsames Ziel gelenkt. Das verbindet – turstrategie und an die wissenschaftliche Aufarbeitung und Doku- und darauf können wir mit einem guten Gefühl zurückschauen. Mit mentation des Erbes der Bregenzerwälder Barockbaumeister. wir meine ich in erster Linie meine ehemalige Bürgermeister-Kol- legin aus Lingenau, Annette Sohler, sowie meine Bürgermeister- In Dornbirn werden wir uns in den nächsten Jahren der Umset- Kollegen aus Feldkirch, Wilfried Berchtold und seinen Nachfolger zung des Industrie-Pfades „Stadtspuren – Industrie und Wandel“ Wolfgang Matt, Dieter Egger aus Hohenems und den Obmann der mit damit verbundenen Kunstprojekten im öffentlichen Raum wid- Regio Bregenzerwald, Guido Flatz aus Doren, die sich in den zahl- men. Ein großer Schritt ist auch die Entwicklung der „CampusVäre“ reichen gemeinsamen Sitzungen und Besprechungen immer kons- in einem ehemaligen Industrieareal zu einem überregionalen Zen- truktiv und kooperativ eingebracht haben. Ihnen möchte ich trum der Kreativwirtschaft in der Nähe zu Fachhochschule Vor- ebenso danken wie dem gesamten „Dornbirn plus“ – Bewerbungs- arlberg und Postgarage. Vorangetrieben wird dieses Projekt vom büro mit Bettina Steindl, Theresa Bubik und Lisa-Maria Alge und „European Creative Institute“, dem ehemaligen Bewerbungsbüro Andrea Fink (in der Anfangsphase), den Kulturbeauftragten der „Dornbirn plus“ in Partnerschaft mit dem Land Vorarlberg. Ein Städte bzw. der Regio, unseren Berater*innen, namentlich Nadja zentrales Kunstprojekt aus dem Bidbook wird über die kommen- Grizzo, Hanns-Dietrich Schmidt und Jürgen Weishäupl, weiters den Jahre vorbereitet: das „Opus Magnum Europaeum“, ein gro- allen, die Teil unseres Präsentationsteams waren, allen Künst- ßes analoges und digital-synchronisiertes Orgelkonzert mit meh- ler*innen, die sich mit kreativen Projekten eingebracht haben und reren Partnern und an mehreren Schauplätzen in ganz Europa.

natürlich all jenen, die uns interessiert begegnet sind, uns ange- Für die ganze Region von Bedeutung sind die „Spot on …!“-Pro- spornt, sich mit uns gefreut und mitgefiebert haben, aber auch jekte, wo sich zwei Gemeinden aus Vorarlberg mit einer weiteren jenen, die uns gelegentlich kritisch gegenüber standen. Gemeinde aus dem Bodenseeraum über ein gemeinsames Kultur- projekt vernetzen. Ein wichtiger Punkt im Vermittlungsbereich Grundlegend war im Zusammenhang mit der Bewerbung auch die wird auch die Etablierung von „Kulturlotsinnen und -lotsen“ sein. Erstellung des auf das Jahr 2030 erweiterte Kulturleitbild der Stadt Dornbirn, in dem erstmals in gemeinsamer Abstimmung mit Feld- Es gibt also genug zu tun! Der gesamte Bewerbungsprozess bildet kirch, Hohenems und der Regio Bregenzerwald unter dem Titel nun ein tragfähiges Fundament, worauf wir die Kulturarbeit der „Gemeinsam in die Zukunft“ Handlungsfelder einer Kulturstrategie kommenden Jahre aufbauen können. Und dies gilt unisono für alle formuliert wurden. beteiligten Städte und die gesamte Region.

Nun gilt es weiter nach vorne zu schauen. 2020 war das Jahr, um Dipl.-Vw. Andrea Kaufmann die Fäden weiterzuspinnen. Ein Jahr des Ordnens, des Sortierens Bürgermeisterin der Stadt Dornbirn und des Herausfilterns von Projekten und Vorhaben, die nun – verteilt auf unsere Städte und die Region – im Fokus der kommen- den Jahre stehen sollen.

8 Einleitung 9 Vom Gewinnen einer Option

Bettina Steindl Leiterin Dornbirn plus

Ich freue mich, dass Sie heute diese Dokumentation eines den und zwei Bidbooks abgegeben, zwei Präsentationen vor der Zukunft ist. Ein Thema übrigens, das neben Digitalisierung ein langjährigen und einzigartigen Prozesses in Vorarlberg in internationalen Jury gehalten, einen Juryvisit organisiert, Forma- Hauptanliegen im Bewerbungsprozess war. Alexander Hefel vom Händen halten. lien, Absichtserklärungen, politische Stellungnahmen und Budgets Ausflugsbüro beschreibt die Organisation des Juryvisits und die vorgelegt und 172 Letters of Intent eingeholt. Dazwischen haben Zukunft der Kulturlandschaft und Emanuel Moosbrugger vom Sie dient dazu, einen Prozess zu erklären und dessen Umfang zu wir als Team einen breiten Bevölkerungsbeteiligungsprozess ange- Biohotel Schwanen blickt mit uns weit über den touristischen Tel- vermitteln, der in dieser Art wohl einzigartig bleiben wird. Dorn- stoßen, Netzwerkgruppen und Kooperationen gesponnen, START- lerrand Vorarlbergs hinaus. Stefan Hagen ermutigt zu strategi- birn, Feldkirch, Hohenems und der Bregenzerwald bewarben sich projekte umgesetzt und Inhalte, Projekte, Konzepte, Visionen und scher Zukunftsgestaltung und Dominik Nostitz als Jurymitglied um den gewichtigsten Titel im Kulturbereich, die Kulturhauptstadt ganz Konkretes für eine Kulturhauptstadt, die ihrem Motto Out- und Kulturmanager zum Ernten der gesäten Früchte. Europas. Mit Mut, Begeisterung und Können sind wir als Team burst of Courage gerecht wird, geschrieben. Dass wir das einzige Unsere Mitstreiter*innen aus Bad Ischl und St. Pölten erzäh- gemeinsam mit vielen engagierten und kritischen Menschen in Frauenteam in Europa waren, dazu eines der kleinsten, mit einem len uns in ihren Gastbeiträgen von deren Weg und Umgang mit diesem Land auf eine Reise mit ungewissem Ausgang gegangen. der geringsten Budgets, erwähne ich dabei gerne. Ich bin stolz auf dem Bewerbungsprozess. Dass wir den Titel schließlich nicht gewonnen haben, enttäuscht all das Erreichte, Gelernte und Verhandelte. Wir werden wahrge- Theresa Bubik und Lisa-Maria Alge #bestesteam beschrei- sehr, das möchten wir nicht verbergen. Outburst of Courage ist nommen in Europa und darauf bauen wir. ben auf sehr persönliche Weise ihre Erlebnisse und Erfahrungen allerdings Haltung und Motto. Wir haben Schmerz und Trauer über die letzten Jahre und formulieren klare Forderungen für die überwunden und begegnen der Enttäuschung inzwischen auf kulturelle Zukunft des Landes #outburstofcourage. Jürgen Weis­ Augenhöhe. Wir haben hart gearbeitet nach der Entscheidung „Mutig werden wir uns häupl als künstlerischer Leiter des Bewerbungsprozesses be-­ und politische Entscheidungsträger*innen und private Unterneh- schreibt sein mutiges, zeitgenössisches künstlerisches Programm. men von unseren Ideen für nachhaltige Schritte aus dem Bewer- ­weiterhin der besten Formuliert und erarbeitet mit über 100 Partner*innen in Vorarl- bungsprozess heraus überzeugen können. Am Ende steht also ­Zukunft von allen widmen – berg und Europa und fertig zur Umsetzung – jederzeit. nicht der Verlust einer Titelmöglichkeit, sondern der Gewinn einer Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 soll nicht Option. Die Gründung des European Creative Institutes (ECI) und mit und über die Mittel leise verblassen, weil wir einen Titel nicht gewonnen haben. Men- die Entwicklung eines pulsierenden Kreativwirtschaftszentrums in schen, ihre Themen und unsere Herausforderungen sind es immer Dornbirn im Herzen Europas sind das Ergebnis. von Kunst und Kultur.“ wert, mit gemeinsamer Stimme laut und deutlich einen Outburst of Courage zu fordern. Mutig werden wir uns weiterhin der besten Zukunft von allen widmen – mit und über die Mittel von Kunst und „Am Ende steht also nicht Für diese Dokumentation haben wir Wegbegleiter*innen um ihren Kultur. Blick und ihre Einschätzung gebeten. Zugewandt oder kritisch, frei der Verlust einer Titel­ in ihren Inhalten und Aussagen, keiner kuratorischen Vorgabe fol- Wir hoffen sehr, gemeinsam mit Ihnen allen. gend. Lediglich die Kapitel geben den Inhalt leicht vor, ansonsten Bettina Steindl möglichkeit, sondern der ist die Publikation was der gesamte Prozess war: Eine Absichtser- Gewinn einer Option.“ klärung Europa zu zeigen, welche Schätze Vorarlberg in Form von engagierten, mutigen, einzigartigen Menschen hat: Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museum Hohenems, Mit dieser Publikation möchten wir Sie mit ins Boot holen, um ein und Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarl- Stück in der Zeit zu reisen. Wir beginnen unsere Reise am Anfang – berg, sind Unterstützer*innen der ersten Stunde und reflektieren wo sonst – und blicken gemeinsam mit den Kulturamtsleiter*in- in ihren Beiträgen den gemeinsamen Weg. Ruth Swoboda, Direk- nen, mit Reinhard Kannonier, Christoph Thoma und Andrea torin der inatura Dornbirn, tritt uns allen kräftig in den Allerwer- Fink zurück auf die Anfänge. Wie kam es zu der Idee und warum testen und damit ein weites Stück die Zukunft. Die Textilkünstlerin überhaupt eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas in dieser und STARTprojekt-Teilnehmerin Nesa Gschwend nimmt uns mit Konstellation? Von den Gründen für die ablehnende Haltung der auf eine künstlerische Reise von Indien über Dornbirn nach Hitti- Kulturabteilung des Landes Vorarlberg gegenüber der Bewerbung sau und weiter nach Europa. Stefania Pitscheider Soraperra erzählt Winfried Nußbaummüller als Leiter der Abteilung im als Direktorin des einzigen Frauenmuseums Europas im ländli-­ Interview mit Peter Niedermair. Eitelkeiten hin, Befindlichkeiten chen Raum erinnert uns vehement und beständig daran, dass her, mit einem Outburst of Courage haben wir diese überwun- Ge­schlechter­gerechtigkeit die einzige Alternative für eine gute

10 Einleitung 11 12 Einleitung 13 Gemein sa m

au f dem Weg

Expert*innen aus Kunst und Kultur zum Bewerbungsprozess von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald 4. Jul

Rückblick nach vorne: 2. und 3. Mär Ein Jahr nach dem ECoC-Entscheid 2015 2016

Roland Jörg Martin Hölblinger und Elisa Rosegger Symposium Schwarzenberg Kulturamt Dornbirn Kulturamt Hohenems Historisch 1. gemeinsame Festspielhaus Harald Petermichl Veronika Sutterlüty Kulturamt Feldkirch Kulturbüro Bregenzerwald ­Stadtvertretungssitzung mehrerer

Städte und Gemeinden in Vorarlberg „Kultur vor Ort – Ideen für Europa“ Erste Ideen für eine gemeinsame Bewerbung

Normalerweise sind die Kulturabteilun- Vor fünf Jahren, als es aus unterschiedlichen Ecken erste Gedan- ken und Anregungen zu einer städteübergreifenden Bewerbung gen der Städte und Stadtmarketings der Rheintalstädte (das Rheintal als der viertgrößte Ballungsraum Österreichs) und des angrenzenden Bregenzerwaldes gab, waren vorwiegend mit der Durchführung des wir – ohne bereits das künftige Bewerbungsmotto „Mutausbruch“ vor Jahren Geplanten oder mit dem für zu reflektieren – manchmal überrascht, wenn nicht gar erschro- cken über den eigenen Mut, diesen Schritt vorzubereiten und die kommenden Jahre zu Planenden schließlich auch gemeinsam mit den politischen Kräften zu setzen. Es begann eine Zeit, die uns, neben allen herkömmlichen Aufga- beschäftigt. Wenn wir kurz innehalten, ben eines Kulturbüros, in einen stimulierenden und höchst moti- vierenden „Ausnahmezustand“ versetzte. Und das sollte über Jah­ um einen äußerst intensiven Prozess, re anhalten. Bis bekanntermaßen Bad Ischl im finalen Auswahlver- die gemeinsame Bewerbung der Städte fahren Mitte November 2019 die Nasenspitze vorne hatte. Dornbirn, Feldkirch und Hohenems (übrigens war anfänglich auch die Stadt „Es begann eine Zeit, Bregenz mit im Boot) sowie der Regio die uns, neben allen her­ Bregenzerwald zur Kulturhauptstadt kömmlichen Aufgaben Europas 2024 Revue passieren zu­­ ­eines Kulturbüros, ­lassen, dann deshalb, um klar Schiff zu in ­einen stimulierenden machen, die Segel neu zu setzen und und höchst ­motivier- enden Ausnahmezustand D+ wieder Fahrt aufzunehmen in Richtung ­versetzte.“ Roland Jörg, Harald Petermichl, Martin jener Ziele, die wir – auch ohne höhere Hölblinger, Annette Sohler. Hier gedruckt mögen es „nur“ Namen sein – für uns Kulturhauptstadtweihen – für die Als Initialzündungen für den Bewerbungsprozess sollen hier – ne-­ bung zu erörtern, insbesondere im Hinblick auf Themenkreise wie und den Bewerbungsprozess sind sie eine ben allen informellen und regelmäßigen Treffen auf politischer Kultur und Identität, Raum- und Siedlungsentwicklung und Krea- Schatzkiste voller Können, Offenheit, ­weitere Zukunft als sinnvoll erachten. und amtlicher Ebene vor allem die Klausuren der Arbeitsgruppe tivwirtschaft. Zum anderen das nur wenige­ Wochen danach vom Menschlichkeit und Mut. Als Kulturamts- der Städte etwa mit Oliver Scheytt (RUHR.2010) und Hanns-Diet- Bregenzer Stadtmarketing (damals noch in partnerschaftlicher leiter und Kultursprecherin der Regio rich Schmidt (Folkwang Universität Essen) gemeinsam mit Reprä- Verbundenheit unserer interkommunalen AG) organisierte Sym- Bregenzerwald trugen sie Dornbirn plus in sentant*innen der Vorarlberger Kulturszene im Herbst 2015 und posium „Kultur vor Ort – Ideen für Europa“ im Bregenzer Fest- ihre Städte und Gemeinden, vermittelten zwei Veranstaltungen Anfang 2016 hervorgehoben werden. Zum spiel- und Kongresshaus. Hier fanden sich im europaweiten­ Aus- und reicherten die Bewerbung mit um- einen war dies ein Workshop-Tag mit anschließender Podiumsdis- tausch führende Köpfe jener Städte (Pafos, Plovdiv, Kalamata, Graz, fassendem Wissen an. Gemeinsam haben kussion zum Thema „Kultur: Kunst, Lebensraum und Wirtschaft“ Liverpool, Linz, Essen) ein, die erfolgreich ihr Kulturhauptstadtjahr wir intensive und einzigartige Jahre mit über 100 Besucher*innen in der inatura. Am Podium tauschten durchgeführt hatten oder in Vorbereitung dazu standen, aber erlebt, unser Dank gebührt ihnen. Und das sich Verena Konrad (vai Vorarlberger Architektur Institut), Roland auch eine Stadt wie Sonderborg, die mit ihrer Bewerbung geschei- Beste daran: Elisa Rosegger und Veronika Gnaiger (Architekt), Thomas Macho (Int. Forschungszentrum Kul- tert war. Für rund 100 Teilnehmer*innen waren es zwei intensive Sutterlüty arbeiten in diesem Sinne in turwissenschaften Wien) und Reinhard Kannonier (Kunstuniversi- Tage mit unzähligen inspirierenden Vorträgen, Diskussionsrunden Hohenems und im Bregenzerwald weiter. tät Linz) aus, um Potenziale der Region für eine mögliche Bewer- und Gesprächen. Unserer Arbeitsgruppe wurde damit erst so

16 Gemeinsam auf dem Weg 17 Frühjahr Dez Frühjahr Aug

22. Feb Mär–Dez Feb Dez 2017 Aug 2018 Sep/Okt Nov Best Practice 5 Denkwerkstätten

Best Practice Start Europakalender Dornbirn wird Bannerstadt. Abgabe Bidbook I Jun–Dez

10 Dialogwerkstätten Bundesministerum für Kunst und Kultur „Kultur Perspektiven 2024“ Kampagne „Kultur säen – Europa ernten“ 10 STARTprojekte Call und Umsetzung Bidbook I Kulturhauptstadtreise Leeuwarden 2018 Creative Sprint. Geballte Kreativkraft Bregenz steigt aus Bewerbungsprozess aus. zur Abgabe von Bidbook I Kulturhauptstadtreise Aarhus 2017 Creative Europe Informationsveranstaltung von Kreativunternehmen aus Vorarlberg. Finales „go“ der Stadtvertretungen

Im Frühjahr 2017 ging es weiter mit fünf „Denkwerkstätten“, zu wenn, wie sich herausstellte, das Interesse von dieser Seite am denen Expertinnen und Experten eingeladen wurden, die fol- Bewerbungsprozess gelinde gesagt eher bescheiden war. Eben- gende Themenkreise vertieft beleuchten sollten: „Spiel- und Pro- so fanden im selben Takt regelmäßig Netzwerktreffen mit einer duktionsstätten“, „Kulturhauptstadt und regionale Kunst- und Kul- Netzwerkgruppe, die sich aus Mitgliedern verschiedener kulturel- turszene“, „Regionalität versus Internationalität“, „Integration, Mi­ ler Interessensverbände zusammensetzte, statt und es wurden, gration und Diversität“ sowie „Regional- und Stadtentwicklungen – um eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen, drei Projekte lan- Ballungsraum Rheintal Vorarlberg 2024“. Daran anknüpfend wurde ciert: die „Europaklasse“, „Grenzmomente“ und „Ich, Oma, Opa von den Kulturbeauftragten der Städte und der Regio ein „Mission und Europa“. Statement“ postuliert, das es auch heute noch wert ist, in Erinne- rung gerufen zu werden: Das Jahr 2017 endete, wenn auch nicht ganz überraschend, mit einem den ganzen Bewerbungsprozess stark verändernden Ein- schnitt: Mit dem Ausstieg der Stadt Bregenz und dem aus zeitli- • „In einer Welt, in der das ,Projekt Europa‘ zunehmend in chen Gründen erfolgten Rücktritt der bisherigen Projektleiterin. Frage gestellt wird, glauben wir, dass Kunst und Kultur dem Es grenzt beinahe an ein Wunder, unterstreicht aber gleich- entgegenwirken können und stellen uns eine Welt vor in zeitig auch die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, dass richtig bewusst, in welchen Dimensionen Bewerbung und Umset- der das Miteinander in der Vielfalt gelebt wird. der Prozess von allen verbliebenen Beteiligten höchst motiviert zung zu sehen sind und welch positive Effekte und Folgewirkungen • Die Bürger*innen aus dem Vorarlberger Rheintal und dem weitergeführt wurde und der Aufbau des Bewerbungsbüros mit durch den Prozess entstehen können. Wir waren daher durch und Bregenzerwald bilden einen polyzentrischen Ballungsraum neuer Leitung (Bettina Steindl) und zusätzlicher Praktikumstelle durch optimistisch gestimmt, auch wenn uns klar war, dass noch im Herzen Europas, umgeben von Grenzen – nationalen, (Lisa-Maria Alge) in Dornbirn als möglicher Bannerstadt der Be­- viele Hürden zu nehmen sein würden, um überhaupt bis zu einer geographischen, aber auch gedanklichen. werbung zu einer neuen Dynamik führte: Es galt nun, in einer Tour gemeinsamen politischen Entscheidung für eine Bewerbung zu • Auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 de Force die erste Fassung des Bidbooks, des umfangreichen kommen. Damit war auch der Startschuss gesetzt, um die Grund- bieten wir den Menschen hier und in Europa einen ex­peri- Bewerbungspapiers, bis Ende 2018 gemeinsam mit externen Ex- lagen – etwa in Form eines von der AG formulierten 22-seitigen mentellen Raum für neue Denkweisen, Perspektiven und pertinnen und Experten zu erarbeiten und gleichzeitig die not- Papiers mit dem Titel „Perspektiven, Chancen und Kriterien einer Lösungsansätze. wendigen Unterlagen zur politischen Beschlussfassung der Bewer- Bewerbung der Rheintalstädte Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, • Wir laden ein, individuell und in der Gemeinschaft, ein bung in den Stadtvertretungen im November vorzubereiten. Hohenems und der Regio Bregenzerwald zur Europäischen Kul- gutes (Zusammen-)Leben zu träumen und zu gestalten, Auf die Präsentation des Bidbooks Anfang 2019 in Wien folgten turhauptstadt 2024“ – zu erarbeiten. mit der Chance Identität in der Vielfalt zu finden. die Empfehlungen und Anregungen der internationalen Jury für • In dieser Region wurden nicht zuletzt wegen seiner den finalen Schritt in Form eines überarbeiteten Bidbooks. Diese Im Zeitraffer können hier nur wenige weitere Eckpunkte des Geschichte und seiner geographischen Lage, Fähigkeiten beinhalteten auch die Erweiterung des bestehenden Kulturleit- Bewerbungsprozesses angeführt werden: entwickelt und werden Werte gelebt, die es heute ermög- bildes 2015 bis 2025 der Stadt Dornbirn mit einer auf das das lichen, im Spannungsfeld zwischen Groß und Klein mutig, Zusätzlich war dieses „Mission Statement“ Ausgangspunkt für die Jahr 2030 ausgerichteten Kulturstrategie. Auch wenn die inhalt- Nach der in der Geschichte Vorarlbergs wohl einzigartigen ge­­ lebendig und innovativ zu agieren. Formulierung von acht Thesen zu den Bereichen „Stadt-Land-Le­ liche Abstimmung mit dem Bidbook-Team Hand in Hand ging, mein­samen Stadtvertretungssitzung der vier Rheintalstädte in • Die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 bensraum“, „Austausch mit Europa“, „Grenz-Region“, „Kulturelle konnten davon losgelöst, in Abstimmung mit den Städten Hohe- Schwar­­z­en­berg, bei der im Juli 2016 nahezu einstimmig der Be-­ ist die Chance, uns diese Werte wieder bewusst zu machen, Vielfalt“, „Kulturelle Bildung“, „Existenzgrundlage Kunst“ und „Sys- nems und Feldkirch sowie der Regio Bregenzerwald, Handlungs- schluss gefasst wurde, gemeinsam mit der Regio Bregenzerwald sie zu stärken und unsere Erfahrungen im Kleinen mit temrelevanz Kunst und Kultur“ inklusive der damit verbundenen felder formuliert werden, die für alle in diesem Bewerbungspro- eine Bewerbung vorzubereiten, wurde im Herbst in Bregenz ein Europa zu teilen. So setzen wir uns ein für ein grenzüber- Zielsetzungen. zess aktiven Partner*innen Gültigkeit haben und somit eine eigenes Bewerbungsbüro eingerichtet (Andrea Fink als Projektlei- greifendes Denken und Handeln, heute und für die Über das ganze Land Vorarlberg verteilt wurden zehn soge- gemeinsame Ausgangsbasis für künftige Kulturstrategien über die terin halbtags und Theresa Bubik als Mitarbeiterin ganztags), das kommenden Generationen!“ nannte Dialogwerkstätten durchgeführt, um mit interessierten kommunalen Grenzen hinweg bilden. Dies fand auch den kultur- als Basis für den Kommunikationsauftritt einen zweitägigen „Crea- Bürger*innen Inhalte und Sinnhaftigkeit einer Bewerbung zu dis- politischen Konsens. Der Titel ist nach wie vor Programm: „Ge- tive Sprint“ vorbereitete, der unter der Leitung von Stefan Hagen kutieren. meinsam in die Zukunft“. gemeinsam mit Fachleuten aus der Vorarlberger Kreativ- und Ge- Alle sechs bis acht Wochen fanden neben dem nahezu wöch­ staltungsszene (Grafik, Text, Film, Web …) und Mitdenkenden aus entlichen Jour fixe der AG auch Treffen der Bürgermeisterinnen Ohne hier alles im Detail ausführen zu können (dazu wurde ja eine städtischen Fachbereichen Anfang 2017 organsiert wurde. Damit und Bürgermeister zur politischen Abstimmung statt, zu denen eigene Publikation unter dem Titel „Perspektiven 2030“ heraus- war das Label „Kulturperspektiven 2024“ geschaffen. auch immer Vertreter*innen des Landes eingeladen wurden. Auch gegeben), erscheinen ein paar wesentliche Sequenzen aus dem

18 Gemeinsam auf dem Weg 19 12. Feb 5. Mai Aug Okt 12. Nov 6. Mär Jun–Dez 2019 2020 2021 Jän

Best Practice Jun–Nov Nov Auch ohne Titel: Wien

Bundeskanzleramt Wien Verkündung Entscheidung Wien und Europe for Citizens und das BMKK treffen auf den Europa wir kommen trotzdem! #europawirkommentrotzdem We go green: Informations- und Kulturhauptstadtreise Plovdiv 2019 Dornbirn plus gratuliert Bad Ischl Juryentscheid:Feb Wir sind weiter!Feb–Okt #vollepower Präsentation I #bestesteam Let’s fund out: Informationsveranstaltung „Outburst of Courage“ live vor Ort Publikation „Outburst of Courage“ European Creative Institute Vorarlberg Juryvisit: Jurymitglieder, EU-Vertreter*innen ­NetzwerkveranstaltungGreen Locations und zu GreenGreen Events,Museums Konzeption und Gründung Verein CampusVäre. Präsentation II #bestesteam zu den EU-Förderprogrammen Creative Europe

Komm mit! Wir feiern Europa und machen einen Ausflug Juryreport Bidbook II Kampagne „Outburst of Courage“

Papier im Sinne einer Kooperation und Koordination der kulturel- gen aufgeworfen und (immer im Dialog mit der Bevölkerung) nach len Planung für die Zukunft wichtig: zukunftsfähigen Lösungen gesucht werden wird. Hohenems nimmt sich ein Beispiel am abgeschlossenen Kul- turleitbildprozess von Dornbirn und möchte ab 2021 aktive Schritte Kultur durchdringt nach Ansicht aller Beteiligten in den jeweiligen in diese Richtung setzen. Gemeinsam mit den ansässigen Kultur- Gemeindeverwaltungen viele Bereiche, wie Kunst und Alltagskul- schaffenden, Kulturinstitutionen und -vereinen sowie den Men- tur, Mobilität, Raumplanung, Architektur, sowie die Bereiche Kom- schen, die hier leben, werden thematische Schwerpunkte und munikation und digitale Transformationen, vor allem aber auch Ziele für die kulturelle Zukunft von Hohenems erarbeitet. Dabei das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen und kultu- soll der Austausch und die Reflexion mit den Partner*innen beste- reller Prägungen. Es ist ein Bekenntnis dazu, positive gesellschaft- hen bleiben. Parallel dazu werden Projekte aus dem Bidbook liche Potenziale zu stärken und damit wichtige Schritte zu einem gestartet. „Europe in a Nutshell“ ist ein Projekt der Grenzge- besseren Zusammenleben zu setzen. Abgrenzungsmechanismen, schichten: Durch unterschiedliche künstlerische Interventionen die altersbedingt, genderbedingt oder herkunftsbedingt zu iso- wird das höchst gesellschaftlich relevante Thema bearbeitet. Die- lierten Gruppenbildungen oder Meinungshaltungen führen, sollen ses Projekt soll Verbindungen und Brücken vom Hohenemser mit gezielten Programmen überwunden werden. So kann unsere Stadtzentrum zum Alten Rhein entlang des Emsbaches bis in die gesellschaftliche Vielfalt und Buntheit als positiver Lebens- und reiche Bewerbung vieles entstanden ist, das die Handschrift der Schweiz aufbauen. Kreativfaktor unterstrichen werden. wichtigen gemeinsamen Arbeit der letzten Jahre trägt. Cum grano Weiters soll ein Radwanderweg zum Thema „Grenze und „So bleibt am Ende die salis aber auch der Vorwurf, den wir uns alle zusammen gefallen Flucht“ entlang der Grenze vom Bodensee zum Piz Buin entste- lassen müssen, dass der vielbeschworene Plan B zu keinem Zeit- hen. Ausgehend vom Jüdischen Museum Hohenems wird dieser ­Erkenntnis, dass bei aller­ „Gemeinsam in die Zukunft“ hat sich auch der Bregenzerwald auf punkt sauber erarbeitet wor­den ist, wozu es gerade in der Zeit des als gemeindeübergreifendes Projekt umgesetzt werden. An zahl- die Fahnen geschrieben und so soll beispielgebend – neben zahl- ersten Lockdown viel Zeit und gute Gelegenheit gegeben hätte. reichen Stationen soll Geschichten aus der jüngeren Vergangen- Enttäuschung über die reichen kreativen wie innovativen Projekten, welche im Zuge des Die Entscheidung, das Projektbüro „Dornbirn plus“ zum Jahres- heit nachgespürt werden; auch dies ein Projekt, das ohne den schlussendlich nicht Bewerbungsverfahrens entstanden sind – das Kulturbüro Bre- ende 2020 aufzulösen und in den Städten und Gemeinden selbst großen Prozess „Kulturhauptstadt Europas 2024“ wohl nicht ent- genzerwald erwähnt werden. Mit der Bewerbung zur Kultur- die Verantwortung für relevante Projekte zu übernahmen, war standen wäre. ­erfolgreiche Bewerbung hauptstadt 2024 konnte der von Kreativschaffenden lange gehegte daher bei aller großen Wertschätzung der dort geleisteten her- Wunsch nach einer regionalen Kulturkoordinationsstelle realisiert vorragende Arbeit am Ende zumindest aus Feldkircher Sicht alter- Gerade in dieser herausfordernden Zeit müssen wir den gemein- ­vieles entstanden ist, werden. Das Kulturbüro Bregenzerwald, welchem im Rahmen der nativlos. Ein internationales Artist-in-Residence-Projekt konn- sam entwickelten Mut weiter unter Beweis stellen! Mut, über die Bewerbung Mittel aus der EU-Leaderprojektförderung zugespro- te entwickelt werden, bei dem im eigens dafür adaptierten mittel- Grenzen zu gehen, dabei alle Mitglieder der Gesellschaft einzubin- das die Handschrift chen wurde, kümmert sich um Kulturangelegenheiten im Bregen- alterlichen Pulverturm ein Atelier eingerichtet wurde, das von den, Missstände und Versäumnisse weiter aufzuzeigen und zu the- der wichtigen gemeinsa­ zerwald und vernetzt sich überregional. Künstlerinnen und Künstlern aus anderen europäischen Kultur- matisieren, die Mentalitäten zu hinterfragen und unser Zusam- Das Thema „Grenzen“ nahm im gemeinsamen Bewerbungspro- hauptstädten für einige Wochen genutzt werden kann. Auch wenn menleben jetzt aktiv zu gestalten. men Arbeit der letzten zess einen besonderen Stellenwert ein und regte an, mit Mut über die erste Durchführung im Frühjahr 2020 mit Künstler*innen aus „Das Ende von Etwas“ – um einen Titel von Hemingway anders diese zu blicken und neue Perspektiven zu entwickeln. Die Co- Matera (Kulturhauptstadt Europas 2019) wegen der Pandemie aus- zu interpretieren – ist der Anfang von allem. Auch wenn wir mit Jahre trägt.“ rona-Pandemie hat uns im Jahr 2020 jedoch an neue, kaum vor­ fallen und um ein Jahr verschoben werden musste, zeigt sich, dass unserer Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2024 knapp ge-­ stellbare Grenzen geführt. Durch den Kulturhauptstadtprozess, in Interesse und Nachfrage in anderen europäischen Städten sehr scheitert sind, haben wir dennoch genügend Grundlagen erarbei- welchem die Notwendigkeit eines kulturellen Wandels intensiv groß sind. tet, um die Zukunft unserer Städte und Regionen hier in Vorarl- herausgearbeitet wurde, können wir nun aber in dieser schwieri- berg, in Österreich und in Europa in eine Richtung zu lenken, die gen und herausfordernden Zeit auf gemeinsame Grundpfeiler Ebenfalls Corona-bedingte Verzögerungen gibt es derzeit noch unser Zusammenleben über Grenzen und Barrieren hinweg besser aufbauen. Ein großes Repertoire an Werkzeugen und neuen Zu­- beim großen Projekt, das Palais Liechtenstein – ein zentrales macht. Am besten machen wir in diesem Sinn weiter! Und wir sind gängen wurde erarbeitet, mancherorts bereits erfolgreich ange- und sehr geschichtsträchtiges Gebäude – zu einem Ort des öf­ent- gut beraten, optimistisch zu bleiben. wandt und umgesetzt. ­lichen Dialogs und Auseinandersetzung zu Themen, die die Stadt In Feldkirch hat die intensive Arbeit am Prozess einige wich- im europäischen/globalen Zusammenhang betreffen, zu machen. tige Schritte in Gang gebracht. So bleibt am Ende die Erkenntnis, Es soll eine Art Denkraum oder Zukunftslabor werden, in dem dass bei aller Enttäuschung über die schlussendlich nicht erfolg- nicht zuletzt mit Mitteln und Formaten aus Kunst und Kultur Fra-

20 Gemeinsam auf dem Weg 21 The Winner Takes It All – Oder: Vom Gewinn des Scheiterns

Nadja Grizzo Hanns-Dietrich Schmidt Kulturhauptstadt-Beraterin Kulturhauptstadt-Berater

Warum bloß? „Winning or losing is the Oder es kommt ein Virus und legt den Hypertourismus lahm, den de la Musique) ging es nicht anders. Am Londoner Flughafen war- man sich als Anker für das Konzept gewählt hat. Vor allem für die teten sie auf ihre glücklicherweise verspäteten Flüge, tranken viel same catastrophe.“ Mit diesem Satz Städte, die 2020 den Titel tragen sollten, Rijeka und Galway, hat Wein und kamen auf die Idee, ein neues europäisches Kulturpro- sich das Gewinnen am Ende als echte Katastrophe dargestellt. jekt zu initiieren: Die Kulturhauptstadt Europas. Das gemeinsame verstören wir alle Teams, mit denen wir Unser Mitgefühl ist ganz bei den Kolleg*innen dort. kulturelle Erbe als Vision für ein neues, anderes Europa sollte im arbeiten. Das war in Dornbirn nicht Verlieren dagegen fühlt sich natürlich zunächst „doof“ an und Mittelpunkt stehen. Als diese Idee beim nächsten Treffen den Mit- vielleicht auch wie eine Katastrophe. Scheitern passt eben nicht gliedsstaaten vorgestellt wurde, hatten die Politprofis kaum mehr anders. Und auch ganz ohne Beratung ins neoliberale Weltbild. Wer kann sich schon leisten zu scheitern? als ein mildes Lächeln übrig. Aber nach dem Motto: „Melina, mach Vor allem in einer so erfolgreichen Region wie Vorarlberg. ruhig mal …“ stimmten sie dem Plan schließlich zu. Melina machte – konnte das Team Dornbirn plus von und 1985 wurde Athen erste Kulturhauptstadt Europas. Anfang an voraussagen: eine dieser bei- Warum soll sich also eine Stadt für den Titel „Kulturhaupt- stadt Europas“ (überhaupt) bewerben? den Katastrophen würde ganz sicher „Scheitern passt eben Der Bewerbungsprozess dauert mehrere Jahre, Überzeugungsar- eintreten. Den Titel „Kulturhauptstadt beit ist zu leisten bei der Bevölkerung und bei Politiker*innen, nicht ins neoliberale D+ finanzielle und menschliche Ressourcen werden gebunden, flie- Europas“ zu gewinnen ist toll, bringt ßen in ein Projekt, dessen Ausgang man nicht wissen kann. Das ­Welt­bild. Wer kann „Gewinnen tut man gemeinsam, ver­lieren Rennen um den Titel ist und bleibt eben ein Wettbewerb, organi- sich schon leisten zu allein.“ Nadja Grizzo und Prof. Pu jedoch oft erst einmal „Erstverschlim- siert von der EU Kommission und – im Fall des österreichischen Schmidt haben uns auf vieles vorberei- merungen“ mit sich. Machtkämpfe Bewerbungsprozesses – in Zusammenarbeit mit dem Kulturminis- scheitern?“ tet. Auch auf das Verlieren. Beide, Nadja terium in Wien. Da ist ein langer Atem gefragt, über zwei Entschei- und Pu (Winnie Puuh war Prof. Hanns- sind an der Tagesordnung, die Perso- dungs-Runden, und die Chance zu gewinnen ist bei normaler- Dietrich Schmidts Lieblingsbuch in der weise drei bis vier Mitbewerbern in der Endauswahl entsprechend. Vom Prestige zum Antriebsmotor Kind­heit und als anerkannter Professor für nalpolitik schlägt oft hohe Wellen, Und ist es nicht gerade bei diesem Projekt so: The winner takes it Vieles war anders als heute, es gab keinen Wettbewerb, die Staa- Theaterwissenschaften an der Folkwang all? Unsere Erfahrungen mit über zwanzig Städten in 10 Jahren, mit ten nominierten die Städte selbst per Kabinettsbeschluss. Um den Universität Essen darf man sich solche die meisten Strukturen müssen zuerst Gewinnern und Verlierern zeigt glasklar: Die Städte können dabei Titel zu etablieren, waren es zu Beginn die großen Kulturmetropo- Eitelkeiten durchaus leisten) waren geschaffen werden und manchmal nur gewinnen! Auch wenn man den Titel nicht erhält. Warum? len wie Florenz, Amsterdam und Paris, die den Titel eher beiläufig Arbeitskolleg*innen von Bettina Steindl Dazu lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte der Kultur- führten. Der Wandel kam 1990 mit der Nominierung Glasgows. bei der deutschen Kulturhauptstadt stellen die Städte fest, dass ihr Hafen hauptstadt Europas. Damals war die Stadt am Ende, galt als ein korruptes Armenhaus RUHR.2010. Ein gutes Team ist zehn Jahre Europas. Mit dem Titel veränderte sich alles, neue Perspektiven später ein noch besseres Team und so für den Öltanker „Kulturhauptstadt Kurz zurückgespult entstanden, Glasgow ergatterte einen Platz auf der kulturellen haben uns Nadja und Pu auf Jurypräsenta- Es gibt einen Gründungsmythos … Um das Jahr 1985 war die Euro- Karte Europas. Bis heute gilt in der Stadt das Kulturhauptstadtjahr tionen und den Juryvisit vorbereitet, sie Europas“ viel zu klein ist. päische Gemeinschaft (so hieß sie damals) noch wesentlich klei- 1990 als historischer Wendepunkt. In der Folge bestätigen andere haben uns unterstützt in Inhalten, bei ner, aber die Probleme in den Debatten waren dieselben wie Städte mit ähnlichen Problemen, wie Liverpool, Essen für das Projektpartner*innen und Kooperationen. heute. Melina Mercouri, eine weltbekannte, für den Oscar nomi- Ruhrgebiet und Marseille – um nur einige zu nennen – die Idee, Vor allem haben sie uns intensiv mit dem nierte Schauspielerin war nach der Militärdiktatur nach Griechen- dass der Titel kein repräsentatives Aushängeschild ist, sondern ein Gewinnen und dem Verlieren konfron- land zurückgekehrt und wurde 1981 Kulturministerin. Als sie im Motor für Wandel und Veränderung. Es gab erstaunlich wenige tiert. Die Bewerbungsphase für den wich- Jahr 1984 an einer EG-Tagung in London (!) teilnahm, bei der es um Flops und Rückschläge. Auch durch eine starke Strukturierung seit tigsten Kulturtitel in Europa ist aufwän- die Zukunft der Gemeinschaft und Visionen für ein neues Europa 2009: Ein nationaler Wettbewerb um den Titel wurde eingeführt, dig, intensiv und langwierig. Und der ging, überkam sie der große Frust. Es wurde endlos geredet und und die Reihenfolge der Länder, dessen Städte sich bewerben Moment der Ent­scheidung ist einschnei- gestritten über Geld, Außen- und Wirtschaftspolitik; das Wort Kul- können, wurde bestimmt. Man entschloss sich auch, jährlich zwei dend für die Bewerberstädte, für die tur fiel kein einziges Mal. Ihrem französischen Amtskollegen Jack Städten den Titel zuzusprechen, alle drei Jahre sogar einer drit- Teams und die Menschen, die sich den Lang, einem charismatischen Politiker, der in der Ära Mitterand ten europäischen Stadt, die nicht Mitglied der EU ist. Weiter ent- Titel ge­wünscht hätten. bahnbrechende Projekte erstritt (European Heritage Days, Fête schloss man sich, den Wettbewerb zweistufig durchzuführen. In

22 Gemeinsam auf dem Weg Berater*innen 23 1985 1986 1987 1988 1989 1990 2003 2008 2009 2010 2013 2017 2018 2020 2021 2022 2023 2024

IT EL NL DE FR UK AT NO LT TR SK CY MT HR HR RS EL NO

Paris Graz Athen Florenz Glasgow / Vilnius / Rijeka / Rijeka / Bodø AT / Košice IE IE / EleusisEE / Istanbul FR / Paphos / Valletta RO DK NL / Novi Sad AmsterdamWest-Berlin / Stavanger HU LU UK Linz Galway Galway / Tartu / Pécs Marseille Aarhus AT DE Liverpool / Timișoara Leeurwarden HU Essen Bad Ischl

/ Esch an der Alzette LT Veszprém

Kaunas einer Vorrunde werden aus den oft zahlreichen Bewerberstädten Hier brennen Leute für die Region und wollen sich mutig den und zeitgenössischen Ansätzen eingenommen. Gerade diejenigen ausgewählt, deren Potenzial am größten erscheint. ­Themen stellen, die anstehen. Ein vergleichsweise kleines, aber beim Digitalen konnten wir erleben, dass das Team Inzwischen ist eine Jury mit Mitgliedern aus unterschiedlichen äußerst aktives Team arbeitete sich durch Berge von Aufgaben Dornbirn plus gemeinsam mit Partner*innen weltweit ein europäischen Ländern für das Auswahlverfahren verantwortlich. und hielt uns auch noch auf allen Social-Media-Kanälen auf Trab. hervorragendes künstlerisches Programm mit zukunfts- Alles muss auf Englisch geschrieben und präsentiert werden. Wir waren begeistert, dass sich die beteiligten Städte von Dorn- orientierten digitalen Projekten auf die Beine gestellt hat. Die Jury entscheidet nach vorgegebenen Kriterien, die sich auf birn plus für das Konzept „Outburst of Courage!“ (Mutausbruch!) • Geradezu unter dem Schlachtruf „Outburst of Courage“ die Planungen für das Kulturhauptstadtjahr beziehen: Einbindung entschieden hat. Soviel Einigkeit für eine mutige Entscheidung fin- hat sich Dornbirn plus nicht gescheut, heiße Eisen anzufas- in die Langzeitstrategien, europäische Dimension, kulturelle und den wir nicht überall. Man fühlte die Aufbruchsstimmung. Wem sen. Egal ob es um Stadtentwicklung, Zersiedelung, Touris- küns­tlerische Inhalte, Umsetzungsfähigkeit, Einbindung der Gesell- auch immer wir begegneten – aus der freien Szene, von etablier- mus, hohe Mieten für Künstler*innenateliers oder Frauen schaft sowie Management. ten Kulturinstitutionen und vor allem jungen Leuten – von allen im Beruf und in Führungspositionen ging. Das Verfahren hat sich bewährt, auch in unseren Augen sind hör­ten wir ähnliche Forderungen und Wünsche. Mehr Mut zum • Dornbirn plus hat mit „Outburst of Courage“ ein sehr gutes die Wettbewerbe fair und neutral verlaufen. Was im Einzelnen zu Scheitern, mehr Platz für Unfertiges, Experimentelles, weniger Bü- Beispiel geliefert, wie man die Erkenntnisse aus dem den Entscheidungen für diese oder jene Stadt führt, wird zwar in rokratie für bessere Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden Prozess, der lange vor dem ersten Bewerbungsbuch öffentlichen Berichten der Jury dargelegt, ist aber, vor allem in über die Grenzen hinweg … begonnen hatte, in einem Konzept und Motto zusammen- Fällen wie Österreich, wo drei sehr starke Bewerberstädte über- Es ist wichtig, ehrlich und offen zu sein. Denn eine Maxime ist: Man fassen kann. zeugend aufgetreten sind, nicht immer leicht zu rechtfertigen. gewinnt den Titel nicht, weil man etwas hat, sondern weil man noch um, und die Stadt ist bei ihrem Versprechen geblieben und Schließlich und endlich kann eben nur eine Stadt in einem Land etwas braucht. Das ist nicht leicht zu vermitteln. Und für so man- hat das Geld, das für die Kulturhauptstadt eingeplant war, trotz- Kulturhauptstadt Europas sein und die zwölf Jury-Mitglieder stim- che*n mag sich ein Bewerbungsbuch anhören, als versuche je­- „Scheitern ist immer dem bereitgestellt. men darüber ab – nach zwei Bewerbungsbüchern, zwei Präsenta- mand, die eigene Stadt oder Region schlechter zu machen als sie Daran zeigt sich: Es kann nur eine Stadt gewinnen, aber alle tionen und einem Besuch in der Stadt/Region. ist. Das sind Vorwürfe, mit der jede Bewerberstadt zu kämpfen hat. ­erlaubt. Aber nicht das Bewerberstädte können Gewinner sein. Den einen Lorbeerkranz Eine wichtige Tendenz: Im Laufe der Jahre wurden die Bewer- Läuft die Bewerbungsphase so erfolgreich und dynamisch wie Liegenbleiben.“ vergibt die EU-Jury. Alle anderen haben die Städte ganz allein in berstädte kleiner, der regionale Aspekt spielt seitdem eine größ­ in Dornbirn, ergeben sich dennoch schon hier viele neue Pers- der Hand. Scheitern ist immer erlaubt. Aber nicht das Liegenblei- ere Rolle wie z. B. bei RUHR.2010, Aarhus 2017, Leeuwarden 2018 pektiven aus dem Druck, bestimmte Dinge aufgrund der Bewer- ben. Also: Den Staub von den Kleidern geklopft, das Gras aus der und eben auch Dornbirn plus. bung zu „forcieren“: In unseren Augen ist es wichtig, nicht verbissen zu sein, sondern Coiffure gezupft. „Outburst of Courage“ verpflichtet. Jetzt muss • Institutionen tauschten sich genreübergreifend aus; Dialog Kreativität, Spaß und einen Hauch Selbstironie einzubringen. Diese es heißen: Europa, wir kommen trotzdem! wurde auch jenseits der gewohnten Grenzen zwischen Qualitäten haben wir beim Team Dornbirn plus, aber auch bei den „Man gewinnt den Titel freier Szene und städtischen Playern, zwischen Schaffen- Teilnehmer*innen in den Präsentationsteams und bei den Bürger- den und Publikum, zwischen Wirtschaft und Kunst geführt. meister*innen und Kulturamtsleiter*innen der beteiligten Städte „Es kann nur eine Stadt nicht, weil man etwas hat, Ein Satz, den wir öfter hörten, war: „Wenn die Bewerbung sehr zu schätzen gelernt. sondern weil man etwas nicht wäre, hätten wir in dieser Konstellation heute nicht gewinnen, aber alle zusammengesessen.“ Gewinnen trotz Verlieren? braucht.“ • Dornbirn und die teilnehmenden Städte haben ihre Und wenn trotz aller Bemühungen der Titel nicht gewonnen wird? ­Bewerberstädte können Position nicht nur im regionalen oder nationalen Kontext Ist dann alles verloren? Nach unserer Erkenntnis ist es so, dass Gewinner sein.“ betrachtet, sondern auch im europäischen Rahmen. Sie Erfahrungen und Ergebnisse des Bewerbungsprozesses auch ohne Eine Bewerbung ist ein Mutausbruch stellten sich der Frage: Was können wir Europa erzählen, den Titel von zentraler Bedeutung für eine Stadt sind. Auch Dorn- Unserer Erfahrung nach verändert eine Bewerbung unabhängig was wollen wir von Europa lernen? birn plus hat das Potenzial zu den besten Beispielen zu gehören. vom Ausgang des Wettbewerbs eine Stadt oder Region. Eine sinn- • Das Team Dornbirn plus war sehr daran interessiert, die Wenn die Politik dem Projekt auch nach der negativen Entschei- volle Vorbereitung beginnt mit einer Bilanz des Ist-Zustandes. Wie Bevölkerung und vor allem diejenigen mit einzubeziehen, dung eine Chance gibt und weiter an den (jetzt nicht minder) rele- steht die Stadt national und auf europäischer Ebene da? Wie ist ihr die noch nicht Besucher*innen von Kulturinstitutionen und vanten Themen gearbeitet werden kann, können die geknüpften Image? Wie arbeiten die Kulturinstitutionen zusammen, wie nah Veranstaltungen sind. Sehr deutlich wurde nach Gründen Fäden weitergesponnen werden. Eins der besten Beispiele ist Cluj sind sie der Bevölkerung? Wie möchte die Stadt in 20 Jahren aus- und Wünschen und Wegen geforscht, um mehr Menschen in Rumänien, das den Titel knapp verpasste. Die Stadt und das sehen? Wie umgehen mit den brennenden Themen Migration, für Kultur in allen Formen zu begeistern. Bewerbungsteam beschlossen gemeinsam, dass die begonnene Identität und Selbstbewusstsein? • Dornbirn plus hat eine sehr fortschrittliche Haltung in der Arbeit gemacht werden muss, ob mit oder ohne Titel. Die Nach- Mit Dornbirn plus hatten wir gleich das Gefühl: Hier geht was. Reflektion von Verbindungen zwischen traditioneller Kultur folgeorganisation setzt jetzt fast alle Projekte der Bewerbung den-

24 Gemeinsam auf dem Weg Berater*innen 25 Zurück zu den Anfängen Wir fragen nach:

Christoph Thoma Initiator der Bewerbung Vorarlbergs als Österreichische Kulturhauptstadt Europas 2024, Kulturmanager und -politiker

Dornbirn plus Warum schien die Bewerbung als Kul- schen Erbe um, was lernen wir daraus für die Zukunft? Was eint Moment die Reißleine gezogen hat, denn ohne parteiübergreifen- CT Ich beschäftige mich bekanntlich beruflich mit Kulturhaupt- turhauptstadt Europas, immerhin der wichtigste uns im zeitgenössischen Kunstschaffen, wie vernetzen wir im Be- des Interesse macht eine Kulturhauptstadtbewerbung keinen Sinn. stadtbewerbungen, die Bewerbung von Chemnitz 2025 trägt auch Titel im Kulturbereich in Europa, das richtige reich der Standortentwicklung, wie im Bereich des Tourismus? Und das war schon in meiner Bregenzer Zeit bis Mitte 2016 viru- meine Handschrift. Dabei steht immer wieder der öffentliche Format für Vorarlberg zu sein? Dafür braucht es Umsetzungskonzepte, wie wir gemeinsam diesen lent; ein kulturpolitisches Interesse war insbesondere aus der Mit­ Raum im Vordergrund, denn dieser und andere Orte bespielt mit Christoph Thoma Kulturentwicklung braucht einen konsequenten kul- prosperierenden Lebensraum über die Staatsgrenzen hinaus in te der Bregenzer Stadtpolitik nicht zu vernehmen. Kunst und Kultur bieten die Chance, neue Zielgruppen zu errei- turpolitischen Dialog. Das war mein Antrieb im Jahr 2015, aller- die nächsten Jahre führen. Und Kunst kann dazu ein wegweisen- Ein Ziel der Kulturhauptstadtbewerbung war, chen und Räume anders erlebbar zu machen. Dazu hat übrigens dings als Querdenker in meiner Rolle als damaliger Geschäftsfüh- der Türöffner sein. Voralberg mit einem Outburst of Courage fit für auch die Corona-Pandemie im Sommer 2020 wesentlich beige- rer der Bregenz Tourismus & Stadtmarketing GmbH. Diesen Dialog Was ist aus Ihrer Sicht schief gelaufen auf landes- die Zukunft zu machen und sich den evidenten tragen. Im Fokus steht der Wunsch nach Experimentierflächen wollte ich forcieren, um die Landeshauptstadt Bregenz noch stär- politischer Ebene und mit der Kulturabteilung Fragen Europas mutig und aktiv zu stellen – und -orten, die es den Kulturakteur*innen ermöglichen, ergebnis- ker als kulturelles Zentrum des Landes Vorarlberg zu positionieren des Landes? Die Bewerbung von Dornbirn plus ist Stichwort Digitalisierung, Gleichstellung der offen zu produzieren und zu wirken. Und damit bin ich beim und rund um die Leuchttürme – sprich die Bregenzer Festspiele die einzige in Österreich und vermutlich die Ge­schlechter, Wie wollen wir in Zukunft zusam- eigentlichen Lernprozess: Wir brauchen eine Kultur des Schei- und das Kunsthaus Bregenz – einen breiten Kulturbegriff zu the- Einzige in Europa, die keine Unterstützung auf men leben? Wäre ein kulturelles Großformat terns. Dazu braucht es kulturpolitischen Spielraum. Wenn wir das matisieren. Es sollte ein Mehrwert für Bregenz als weltoffene Stadt landespolitischer Ebene fand. aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, Zukunft gemein- hinkriegen und auch aus der Bewerbung von Dornbirn plus die im Herzen Europas entstehen und für das Land Vorarlberg, für die CT Im Nachhinein ist man immer klüger. In Vorarlberg leben rund sam zu gestalten und mit künstlerischen Mit- richtigen Schlüsse ziehen, dann kann Vorarlberg definitiv ein Wirtschaft und den Tourismus. Und dafür erschien mir der Titel 400 000 Menschen, wir brauchen vom Norden in den Süden, von teln Antworten zu finden? chancenreicher Lebensraum mit einer noch lebendigeren Kultur- „Kulturhauptstadt Europas“ ideal. Hohenweiler über Bludenz nach Lech eine gute Autostunde. Wir CT Die Antwort auf das Format ergibt sich aus den Inhalten, aus szene werden. War der Einbezug der Bodenseeregion von Beginn hätten vermutlich von Anfang an Bregenz und das Land Vorarlberg einer möglichen Dramaturgie. Eine „Kulturhauptstadt Europas“ Und welche Schlüsse ziehen Sie aus der an Teil der Überlegungen und wenn ja, warum? als gemeinsame Treiber der Bewerbung anerkennen müssen. Da- hätte durchaus so ein Format sein können, welches gesellschafts- ­Bewerbung von Dornbirn plus? CT Bregenz sollte von Beginn an Impulsgeberin für ein vernetztes mit wäre mit Sicherheit auch Bludenz als die fehlende fünfte Stadt relevante Fragestellungen mit künstlerischen Mitteln diskutiert. CT Das sinnlose Kirchturmdenken zwischen Bregenz, Dornbirn Denken sein, im Land Vorarlberg und in der Vierländerregion des Landes Teil der Bewerbung geworden. Was ich persönlich, als Auch die leider immer noch negativ behaftete Landesausstellung und Feldkirch zu Beginn des Bewerbungsprozesses hat gezeigt, Bodensee. Es gibt eine Vielzahl an Netzwerken rund um den Impulsgeber, Begleiter und am Ende Beobachter des Prozesses wäre eine Option, wie wir uns kritischen Themen stellen könnten. wie hinderlich dieses Gegeneinander für eine gemeinsame Kultur- Bodensee, doch eines ist bis heute klar: Da gibt es Verbesserungs- mitnehme: Wir brauchen einen Dialog auf Augenhöhe, zwischen Und ich denke hier definitiv nicht an eine Landesausstellung aus bzw. Regionalentwicklung sein kann. Hier sind wir alle gefordert, bedarf, gerade in künstlerischer Hinsicht. Wo sind die Knoten- den Städten untereinander, unabhängig von deren Größe und den 1990er-Jahren. Es geht nicht um Infrastruktur, sondern um mich eingeschlossen, daraus zu lernen und schlichtweg auf inhalt- punkte, die uns historisch verbinden, wie beispielsweise die Ba- dezidiert mit dem Land Vorarlberg. Nur so können wir neue kultu- eine künstlerische Auseinandersetzung mit Vorarlberg, mit Heimat, liche und kuratorische Fragestellungen zu fokussieren. rockbaumeister. Wie gehen wir mit diesem gemeinsamen histori- relle Impulse ermöglichen und das kulturelle Engagement im mit „unserer“ Lebenswelt, sozusagen um „soft Skills“. Es braucht Es braucht, wie bereits angesprochen, einen stringenten und Zusammenspiel ergänzen und den größtmöglichen Mehrwert für ein Format der Vernetzung mit einer zeitgemäßen Sprache und nachhaltigen Dialog zwischen den fünf Städten, den großen Markt- die Kunst- und Kreativszene erreichen. einem Veranstaltungsdesign, das die Diversität der Gesellschaft gemeinden und den Regios mit dem Land Vorarlberg zu aktuellen Warum sollte Bludenz nicht Teil der Bewerbung reflektiert und folglich neue Zielgruppen zum Diskurs über das kulturpolitischen Entwicklungen. sein und warum ist Bregenz aus Ihrer Sicht wieder Land, seine Menschen und Visionen einlädt. Impulse von außen bringen Dynamik, folglich kann eine mit ausgestiegen? Könnte sich Vorarlberg Ihrer Meinung nach als Teil Europa vernetzte Kulturarbeit positive Effekte für das Vorarlberger CT Die Idee war eine Rheintalstadt, sprich eine Metaebene für das des Vierländerecks über ein kulturelles Format als Kulturleben mit sich bringen. Damit käme auch etwas mehr Geist stetig zusammenwachsende Rheintal rund um die Städte Bregenz, Pilot- und Modellregion in Europa positionieren? von Melina Mercouri und Jaques Lang ins Land, nämlich ein wech- Dornbirn, Hohenems und Feldkirch. Aber auch das war nicht kon- CT Zeitgemäße Kulturarbeit übersetzt, ermöglicht, moderiert und selseitiges Verständnis der vielfältigen Kulturen Europas. sequent genug von uns gedacht, denn der Bregenzerwald war ein vermittelt Werte ganzheitlich. Wenn wir diesem Anspruch gerecht Über die Kultur des Scheiterns und neue Experimentierräume Wunsch von Bregenz, da es hier historisch viele Anknüpfungs- werden, dann hätte gerade Vorarlberg im Herzen einer vernetzten habe ich schon gesprochen. punkte zur Landeshauptstadt gibt. Für Bludenz standen zu diesem Vierländerregion eine unglaubliche Kraft, ein positives Signal der Bleibt als letzter Punkt: Es braucht ein neues Bewusstsein über D+ Zeitpunkt die Kulturfabrik 2030 und eine gemeinsame Kulturstra- Zusammenarbeit nach Europa auszusenden. Konkret auf Ihre Fra- die Stärken des Landes, insbesondere als Wirtschaftsraum und die tegie für den Vorarlberger Süden (V-Süd) im Zentrum des kultur- ge: Wer, wenn nicht Vorarlberg? Bedeutung von Kreativität und künstlerischer Auseinandersetzung Christoph Thoma gilt als Initiator der politischen Handelns. Und ganz ehrlich: Die Frage hat sich gar nie Mit der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas für den Standort Vorarlberg. Nur so können Kunst und Kultur zu Bewerbung Vorarlbergs als Österreich­i- wirklich gestellt, zumindest stadtintern war das nie ein Diskussi- hat sich Vorarlberg erstmals über Stadt- und einem Treiber für einen chancenreichen Lebensraum für Kinder sche Kulturhauptstadt Europas 2024. onsthema. Zu dem Ausstieg von Bregenz kam es meiner Meinung Gemeindegrenzen hinweg vernetzt und zusam- und Jugendliche bis 2035 werden. Das wäre eine essentielle In seiner damaligen Funktion als Leiter des nach, weil die breite Diskussion und der politische Rückhalt gefehlt mengearbeitet. Was aus dem Bewerbungsprozess Grundlage für eine aktivierende „Marke Vorarlberg“. Stadtmarketings Bregenz hat er die An- haben, die so ein Projekt zwingend benötigt. Fakt ist, dass der sollte ein langfristiges Learning für Kultur und fänge der Bewerbung maßgeblich geprägt. damalige Bregenzer Bürgermeister Markus Linhart im richtigen Politik sein?

26 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 27 Andrea Fink Kuratorin und Kunsthistorikerin, Leiterin Bewerbungsbüro 2016–2017

Dornbirn plus Als du die Leitung des Bewerbungs- Du kennst die Vorarlberger und Tiroler Kultur- gedacht ist. Die den Fragen nachgeht: Wo können wir uns verbes- dass Projekte jetzt in größerer Selbstverständlichkeit europäisch büros, damals noch unter dem Namen Kultur Per- szene sehr genau, worin hast du die Potentiale sern? Was brauchen wir hier in Vorarlberg, um für die Zukunft gedacht werden. Hier wurde der Wunsch formuliert mehr Hilfe- spektiven 2024, übernommen hast, was hat dich einer Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas gerüstet zu sein? stellung zu erhalten v. a. in Bezug auf Förderungen, aber auch Un- an der Aufgabe gereizt? für Vorarlberg gesehen? Vor allem bietet die Kulturhauptstadt Europas das Potential terstützung bei der Suche nach Kooperationspartner*innen, um Andrea Fink Die Kulturhauptstadt Europas bot eine einmalige Chance AF Die Jury, die über eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt Euro- sich auf europäischer Ebene zu präsentieren, sich über die Gren- ein europäisches Netzwerk aufbauen zu können. Wünschen würde für die vier Städte und den Bregenzerwald sich auf europäischer pas entscheidet, definiert als ein Hauptaugenmerk der Bewerbung zen hinaus zu vernetzen. Nach innen gesehen (Vorarlberg), eröff- ich mir, dass sich die im Projekt entstandenen regionalen Netz- Ebene zu präsentieren. Die Bürgermeister*innen und die Kultur- den in den Diskussionen viel strapazierten „Need“. Ich denke, in net sich die Möglichkeit, ein anderes Selbstbewusstsein zu entwi- werke und Diskussionsplattformen stetig weiterentwickeln und amtsleiter*innen haben diese Chance erkannt und mit engagier- Vorarlberg war es sehr mutig sich gemeinsam auf den Weg zu ckeln und unterstreicht die Bedeutung von Kunst und Kultur in alle Kunst- und Kulturschaffenden den Mut nicht verlieren und die ten Personen aus verschiedenen Bereichen – vorerst in jeder machen. Vier Städte und eine Region bekennen sich zu einem unserer Gesellschaft. Bedeutung von Kunst in unserer Gesellschaft weiter hochhalten. Stadt für sich, dann in gemeinsamen Gesprächen und Workshops – gemeinsamen Ziel. Dieses Projekt voranzutreiben, einen Rahmen Was waren für dich die größten Herausforderun- Nicht ganz einfach in diesen Pandemie-Zeiten, in denen aus wel- einen Projektauftrag formuliert. Dieser ist dann am 4. Juli 2016 in aufzuspannen, in dem Gedanken über die gemeinsame Zukunft gen in der Zeit, als du das Büro geleitet hast? chen Gründen auch immer – mangelnde Solidarität, Ansteck­ungs­ der gemeinsamen Stadtvertretung von Bregenz, Dornbirn, Feld- ausgetauscht werden, in dem diskutiert wird, wie wir zusammen- AF Die Arbeit mit einem tollen Team an einem gemeinsam gesetz- potentiale, usw. – die gesamte Kulturbranche stillgelegt und dieser kirch und Hohenems in Schwarzenberg im Bregenzerwald be- leben und die Herausforderungen unserer Zeit meistern wollen. ten, ehrgeizigen Ziel hat sehr viel Spaß gemacht. Aber es war von somit ihre Existenzgrundlage entzogen wird. Unserer Ge­sell­schaft schlossen worden. Meiner Ansicht nach war das ein fast „histori- Der Wunsch bestand über die eigenen Stadtgrenzen hinaus zu vornherein klar, dass es auch kritische Stimmen und Skeptiker*in- kommt damit auch ein kritisches, reflektierendes Instrument, eine scher“ Moment, dieses Committment, gemeinsam an einem sol- agieren … ein Meilenstein wäre sicher das Kulturhauptstadtjahr nen geben wird. So eine Bewerbung ist immer eine Challenge, Reibungsfläche, ein Ort der Inspiration und des freien Denkens chen Projekt arbeiten zu wollen. Nach diesem wichtigen Meilen- 2024 gewesen. Meiner Ansicht nach lag wichtiges Potential immer aber deshalb arbeitet man ja mit! abhanden. Das ist nur eine, aber gesellschaftspolitisch sehr wich- stein bin ich als Projektleiterin zum Team dazugekommen. Für in dem Weg selber, dieses Format und die Möglichkeiten, die es Speziell für die Vorarlberger Bewerbung hatten wir die erfreu- tige Funktion von Kunst und Kultur, die mit dem Projekt Kultur- mich war es eine sehr spannende Ausgangssituation, um in diesen bietet, zu nutzen, um die eigene Ausgangslage zu analysieren, sich liche Situation, dass vier Städte gleichberechtigt mit einer Region hauptstadt 2024 größer, europäischer gedacht hätte werden kön- einmaligen Prozess einzusteigen und mit voranzutreiben. intensiv mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Beruhend auf einer zusammengearbeitet haben. Das war für alle neu und spannend. nen. Von den finanziellen Mitteln, die zusätzlich bis 2024 und darü- sehr breiten Basis aus Künstler*innen, Institutionen, Kulturschaf- Natürlich hat es diese Situation schon in früheren Bewerbungs- ber hinaus von Bund und Land Vorarlberg zusätzlich in die Kultur- fenden und unter umfassender, ernst gemeinter Einbeziehung der prozessen anderer Städte gegeben. Einzigartig und gut war, dass branche geflossen wären mal ganz abgesehen. Mein großer Bürger*innen. zu diesem Zeitpunkt in der Vorarlberger Bewerbung keine Stadt Wunsch wäre daher, dass der besondere Stellenwert von Kunst den Lead übernommen hat und so alle Beteiligten freier waren, und Kultur auch ohne Kulturhauptstadtlabel erkannt wird. Damit erst Ideen und Ziele herauszuarbeiten und dann den Status einer Kunst und Kultur, außer Quelle der Phantasie und der Begeiste- „Was brauchen wir hier in Bannerstadt anzustreben. Interessant war die Tatsache, dass ob- rung, auch diese für unsere Gesellschaft unerlässlichen Funktio- wohl geographisch kaum eine nennenswerte Distanz zwischen den nen wahrnehmen können. Vorarlberg, um für die Bewerberstädten besteht, existieren dennoch unterschiedliche Vorstellungen über das eigene Selbstverständnis, auch aufgrund Zukunft gerüstet zu sein?“ der jeweiligen historischen Stadtentwicklungen. So war viel Über-

Andrea Fink zeugungsarbeit von den Bürgermeister*innen und den Kultur- amtsleiter*innen in den eigenen Städten und in der Talschaft des Bregenzerwaldes zu leisten. Es war wichtig das Vertrauen der Dies ist in den Denk- und Dialogwerkstätten passiert. Unter ande- freien Szene und der Kulturinstitutionen in den Prozess zu etablie- D+ rem lautete das Feedback aus der Denkwerkstatt zu Vorarlberger ren, Bürger*innen zur Beteiligung zu mobilisieren, die Vertreter* Spielstätten und der Denkwerkstatt zur Einbindung der regionalen innen des Landes Vorarlberg in die Bewerbung einzubinden und Andrea Fink hat die Leitung des damals Kunstszene, dass viel Angebot für Interessierte und Besucher*in- das alles in sehr kurzer Zeit. Herausfordernd war der Moment, in neu gegründeten Bewerbungsbüros nen in Vorarlberg vorhanden ist, vielleicht auch zu viel. Sowie der dem klar war, dass Bregenz aus dem Prozess aussteigt. im Jahr 2016 übernommen. Bevor sie 2017 Wunsch, dass Kooperationen mehr gepflegt werden sollen. Wei- Die Vergangenheit war, die Zukunft können wir an Bettina Steindl übergab, hat Andrea ters kam die Rückmeldung, dass es eine große Zufriedenheit mit gestalten: Was wünscht du dir, vor allem in Bezug Fink die ersten Wellen dieses Großpro- dem Status quo gibt, sich aber vielleicht auch eine gewisse Sätti- auf deine Erlebnisse und Erfahrungen über jektes gestemmt. Wie es ihr dabei ergan- gung bzw. Selbstzufriedenheit eingeschlichen hat. Gelobt wurde diesen Prozess, von Dornbirn plus in der Zukunft? gen ist und von Ihrer Expertise für die das hohe Niveau. Und es wurde angemerkt, dass viele Einzelkämp- AF Sehr bedauerlich ist, dass Dornbirn plus den Zuschlag für die kulturelle Zukunft Vorarlbergs erzählt sie fer*innen sich auf sich selbst gestellt fühlen. Ich denke, das war Bewerbung nicht erhalten hat und man daher nicht den ganzen uns hier. eine wichtige Analyse, die aus einem Entwicklungspotential heraus Weg gehen konnte. Erfreulich ist, dass Kulturschaffende sagen,

28 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 29 30 Gemeinsam auf dem Weg 31 Stadt Land Fluss Kultur

Bettina Steindl und Winfried Nußbaummüller Das Interview führte der Kulturjournalist und Kulturwissenschafter Peter Niedermair im November 2020 in der Villa Müller in Feldkirch

Die Bewerbung von Dornbirn plus Peter Niedermaier Ich begrüße Bettina Steindl und in den Städten und Gemeinden über ganz andere Themen an. Wir gungen spürbar, dass das Interesse an Kunst und Kultur und an Winfried Nußbaummüller sehr herzlich. Wir hatten Sorge, dass Kunst und Kultur schnell wieder aus dem Fokus der Diskussion darüber nicht mehr so stark ist. Es fehlt diese soge- Feldkirch Hohenems Bregenzerwald als haben in dieser Runde bereits mehrfach mitein- verschwinden. Corona bestätigt das ja aktuell leider. Also haben nannte Karotte vor der Nase, um mit mehr oder weniger Energie Kulturhauptstadt Europas hatte die ander gesprochen und das Thema Kulturhaupt- wir weitergearbeitet. Wie im Übrigen auch St. Pölten, die zweite gewisse Projekte zu verhandeln. Spannend ist da z. B. das Thema stadt erörtert – ich persönlich habe die Gesprä- Nicht-Gewinnerstadt. In Niederösterreich haben sich Stadt und Barockbaumeister, das es ja bereits vor der Kulturhauptstadtbe- europäische Besonderheit, dass che offen und gut in Erinnerung. Du, Bettina, Land auf ein Nachhaltigkeitskonzept in Millionenhöhe geeinigt, um werbung gegeben hat. Es ist als Projekt im Bewerbungsprozess hast dich natürlich für die Bewerbung als Kul­- Projekte aus der Kulturhauptstadtbewerbung bis 2024 umzusetzen ver­­ankert worden und damit ins breitere Bewusstsein getreten – die Kulturabteilung des Landes und die tur­hauptstadt Europas ausgesprochen, Winfried (vgl. Beitrag Jakob Redl). Auch Vorarlberg braucht politische Zuge- etwa bei der Regio Bregenzerwald. Dieses Miteinander finde ich hat für das Land Vorarlberg kulturpolitisch ständnisse, Strukturen und monetäre Zusagen, um einen derart eine hochinteressante Dynamik an dem Prozess; es ist inzwischen Landesregierung der Initiative skep- gegen die Bewerbung argumentiert. Jetzt, ein intensiven Prozess, also die Bewerbung um den wichtigsten Kul- auch ein Stück weit auf Bürgermeister*innenebene zu finden. Also tisch gegenüberstanden. Für die Ent- Jahr nach Bekanntgabe des Titelgewinns an Bad turtitel in Europa, nachhaltig in den Städten und Gemeinden ein Wir-Gefühl ist entstanden oder wurde lebendig. Jetzt könnte Ischl – wie fällt Euer Erfahrungsrückblick aus? implementieren zu können. man fragen, wäre es auch ohne Kulturhauptstadtbewerbung zu so scheidung um den Titel war das ein Bettina Steindl Gerade im Rückblick wird uns bewusst, wie viel wir mit Was macht Eure Kleingruppe, ein Team aus drei einer Dynamik gekommen, aktuell spürbar mit Bezau und Au und der Bewerbung angestoßen haben. Als ich die Leitung des Bewer- Frauen, zurzeit im Wesentlichen? Ihr seid ja nach der Regio Bregenzerwald, die gemeinsam das Thema Barockbau- Nachteil im Vergleich zu den Mitbewer- bungsbüros von meiner Vorgängerin Andrea Fink übernommen wie vor aktiv, ich bekomme jeden Monat Euren meister weiterspielen wollen. Mit der Intention, durchaus eine habe, waren die Städte Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und die Newsletter. grenzüberschreitende Dynamik zu schaffen und nicht nur im eige- berinnen Bad Ischl und St. Pölten. Regio Bregenzerwald schon mitten im Rennen. Mit dem Nachteil – BS Nach der Titelvergabe im November 2019 hat Lisa in das Kul- nen Saft zu garen mit dem Thema. Also das Thema Barockbau- den anderen Bewerberinnen in Österreich gegenüber – dass turamt Dornbirn gewechselt und ist seither die personifizierte meister auch im Bodenseeraum und weiter drüber hinaus aktivie- Von der Europäischen Kommision und unsere bisherige Bannerstadt Bregenz gerade ausgestiegen war. Verbindung zwischen uns und den Kulturagenden der Stadt. Wir ren zu können. Das ist nur ein Beispiel. In Feldkirch, habe ich das der Expert*innenjury wurde dieser Ich übernahm ein Büro mit einer Mitarbeiterin, mit neuer Banner- wurden von den Bürgermeister*innen und der Regio Bregenzer- Gefühl, rudert man momentan eher zurück, siehe die Personalro- stadt Dornbirn und einem fehlenden politischen Bekenntnis zur wald beauftragt, ein Konzept für eine Zukunftsvision zu erstellen: chade mit Edgar Eller, und die Ungewissheit, ob es Formate wie Umstand kritisch kommentiert. Leider Bewerbung von Seiten des Landes Vorarlberg. Im Nachhinein hat „Wie kann städte-, gemeinde- und länder­ ­über­greif­ende Kunst- die POTENTIALE auch weiterhin geben wird. Ebenso: Wie geht es sich folgendes Bild in mir manifestiert: Im Dezember 2017 bekam und Kulturarbeit im Bodenseeraum funktionieren?“ Wir hatten mit den Zwischentönen weiter und dem Prozess rund um das konnte in der gesamten Bewerbungs- ich die Staffel mitten im Rennen übergeben und bin gemeinsam Gespräche mit Bludenz und Bregenz und mit der Kulturabteilung Palais Liechtenstein, der eigentlich im Windschatten der Kultur- mit Theresa Bubik und den Kulturamtsleiter*innen von Dornbirn, des Landes Vorarlberg. Uns­ere Expertise ist, dass Kunst- und Kul- hauptstadt geschwommen ist. Das ist alles ein bisschen unsicherer phase keine Begeisterung oder Feldkirch, Hohenems und Bregenzerwald losgesprintet. Durchge- turarbeit vor allem grenz- und gemeindeübergreifend gut funktio- geworden, aus meiner Sicht, weil dieses gemeinsame Commit- Überzeugung auf landespolitsicher hend bis November 2019. Das Zurückblicken zeigt, dass wir für Dis- nieren wird in Zukunft. Und in Wirklichkeit immer so funktioniert ment fehlt. Gleichzeitig habe ich auf Bürgermeister*innenebene ruption gesorgt haben und dass Kunst und Kultur im Land offener hat. Dafür braucht es Strukturen und ein klares Bekenntnis der aus allen Städten gehört, dass das Miteinander der Städte und der Ebene für dieses kulturelle Groß­- diskutiert werden. Wir haben das Thema also virulenter gemacht. öffentlichen Hand. Leider kam nach dem ersten Lockdown im Juni Regio Bregenzerwald im Bewerbungsprozess sehr produktiv war. Mutig und laut genug so hoffe ich. 2020 die überraschende Mitteilung der Städte Feldkirch, Hohe- Das ist doch zumindest eine gute Erkenntnis auf dieser Ebene: projekt entfacht werden. Ist das ein intuitiv wahrgenommener Blick? nems und der Regio Bregenzerwald, dass sie mit Ende 2020 aus dass man nicht konkurriert, sondern sich gegenseitig und gemein- BS Die Bewerbung in Vorarlberg hat viel Aufmerksamkeit gene- der Kooperation aussteigen. Es wurde uns die Aufgabe erteilt, eine sam positionieren kann. In diesem Gespräch zwischen Bettina Steindl, Leiterin des Bewer­- riert und Diskussionen ausgelöst. Nach der Entscheidung für Bad Dokumentation zu erstellen und eine Zukunftsperspektive zu ent- Aus einer landeskulturpolitischen Perspektive: bungsbüros, und Winfried Nußbaummüller, Leiter der Kultur- Ischl haben wir uns aktiv darum bemüht, Kunst und Kultur auf der wickeln (vgl. Beitrag Bettina Steindl – Seite 138). Winfried, was ist aus deiner rückblickenden abteilung des Landes Vorarlberg, versucht der Moderator Peter Bühne der Aufmerksamkeiten bei Politik und Öffentlichkeit zu hal- An Winfried Nußbaummüller, ähnlich gerichtet Sicht heute das, was man im Rahmen der Kultur- Niedermair, den möglichen Gründen dafür nachzugehen. ten. Drängende Themen zu Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft die Frage, was ist denn nach einem Jahr dein Blick hauptstadt erarbeitet hat? Welche Strukturen sollten aktiv mit europäischen Partner*innen diskutiert werden. auf das Thema Kulturhauptstadtbewerbung sind geblieben? Du hast es Commitment genannt. Wir setzen uns dafür ein, dass Kunst und Kultur so verstanden und -absage? Verpflichten sich die Kommunen in Zukunft an werden, wie es zeitgenössisch üblich ist: als gemeinschaftlicher Winfried Nußbaummüller Momentan überlagert der Corona-Filter alles dem Thema weiterzuarbeiten und wenn ja, wie? Prozess. Nicht immer sind fertige Produktionen, Ausstellungen zu sehr, um überhaupt einen neutralen oder kritischen Blick auf WN Ich glaube es geht weniger darum, woran genau man das fest- oder ein Werk das Ergebnis, manchmal genügt der Weg dahin. das Thema Kulturhauptstadt, das mittlerweile eine historische machen kann. Es waren keine baulichen Vorhaben geplant, die im Kunst und Kultur muss für viele Menschen zugänglich gemacht Dimension hat, zu werfen. Ich kann bestätigen, dass dieses Be­- Zuge des Kulturhauptstadt Bewerbungsprozesses umgesetzt wer- werden. Rund um die Kulturhauptstadt-Entscheidung spürten wir, kenntnis zu Kultur etwas ist, dass man täglich neu erringen muss. den sollten. Die Bewerbung selbst hat einen sehr abstrakten, the- jetzt finden wir noch Gehör. Doch bald stehen neue Diskussionen Erst recht jetzt in der Coronazeit ist in unterschiedlichen Ausprä- oretischen Charakter gehabt in meiner Wahrnehmung. Begriffe

32 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 33 wie POLIS MIND, das muss erst mal jemand verstehen. Aber es von hier und anderswo, alle mit anderen Schwerpunkt-Interessen „Kunst und Kultur muss Gleichstellung der Geschlechter, Zusammenleben, Zukunft gestal- sind zumindest ein paar Themen ventiliert worden, die ich span- und einem breitgefächerten Können. Für uns, den Prozess und ten, etc. divers zu diskutieren. Die von uns gesetzten Schwer- nend finde, wie zum Beispiel „Sind wir kulturell gesättigt? Sind wir den Teamspirit war diese Konstellation wichtig. Diversität macht für viele Menschen zugäng­ punkte in der Bewerbung POLIS MIND (Die Verfasstheit von Stadt tatsächlich bereit über die Grenzen zu gehen, über die Grenzen jedes Projekt inhaltlich besser. Roland Jörg, Harald Petermichl, und Land und das Zusammenleben von Menschen), REALITY DIS- zu denken? Wie schaut es mit der Rolle der Kunst aus?“ Das sind Martin Hölbinger und Annette Sohler waren für uns und die Kultur lich gemacht werden. RUPTION (Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Leben, Arbeit alles Themen, die ich spannend finde, die auch Teil meiner tägli- des Landes da; sie waren zugänglich und haben sich auf das Expe- Im ganz alltäglichen Leben, und Sein) und NO FRONTIERS (grenzenlos denken, leben, handeln, chen Arbeit sind. Ich habe mal behauptet, wir als Land haben in riment Kulturhauptstadt eingelassen. vernetzten, kooperieren) seien zeitgenössisch und zukunftsfähig. vielen Fällen auch sehr gute Beziehungen zu den Städten. Wir sind Drei Städte und eine gesamte ländliche Region bewerben sich in der Haltung, im Sein, Wir haben einzelne Projekte, die im Rahmen der Bewerbung budgetär in vielen Fällen und manchmal sogar stärker in das Kul- um den größten Kulturtitel Europas. Aus eigener Kraft – inhaltlich gemeinsam mit Kunst- und Kulturschaffenden in Vorarlberg, turleben involviert als die Städte selbst. Daher habe ich die Be-­ und finanziell. Drei Jahre bis zur Entscheidung, zwei Bewerbungs- im Tun, im Wirtschaften, Österreich und Europa entstanden sind, und deren Fördermög- werbung nie als losgelöste Geschichte von uns gesehen. bücher in Englisch, zwei Präsentationen in Wien vor der internati- lichkeiten (auch ohne Kulturhauptstadttitel) über EU Förderpro- Um die Frage zu komprimieren: Gibt es durch die onalen Expert*innenjury, ein Juryvisit, ein Probe-Juryvisit, zahl- im Planen, Handeln und gram­me besprochen. Hier sehen wir eine große Hebelwirkung: Bewerbung einen kulturpolitischen Mehrwert? reiche Unterlagen, Formalien, Letters of Intent, Finanzierungs- ­Denken.“ über eine Basisfinanzierung von Städten und Gemeinden können WN Der Mehrwert war die Diskussion, die stattgefunden hat. Die pläne, Projektvorhaben, Versprechungen und Ideen. Für alle war Drittmittel von Bund und EU generiert werden. Die Jury hat sich zum Beispiel auf unserer Seite im Kulturbeirat, in den Kommissio- das einmalig und allen hat es sehr viel abverlangt. Und am Ende Bettina Steindl auf Bad Ischl als Österreichische Kulturhauptstadt Europas 2024 nen, im Projektteam und mit Bettina Steindl stattgefunden haben. wird die Titelgewinnerin verkündet und für Nicht-Gewinnerinnen geeinigt. Sie fanden das Thema „Hypertourismus“ in Europa evi- Wie weit diese Form der Diskussionen verwertbar und für die gibt es einen zweiseitigen schriftlichen Bericht der Jury, warum – Nehmen wir die Schubertiade her – ich weiß wie sehr sie auf Ö1 denter als Digitalisierung, die Gleichstellung der Frauen und die Zukunft anwendbar ist, da wäre ich eher besorgt. in unserem Fall – Bad Ischl gewonnen hat. Das kann hart sein. und damit international präsent ist. Es gibt so Phänomene in Vor- Zukunft des Zusammenlebens. Nimmst du den Ball gleich auf Bettina? Ich habe den Schlussbericht der Jury gelesen arlberg, die im Land in der Breite kaum oder nur bedingt gesehen Und ja, ich würde mir wünschen, die Jury würde sich mehr Zeit Stichwort Diskussion. und stellte fest, dass, neben dem, was als gut werden, die aber enorme Strahlkraft nach außen haben. Das gilt nehmen für den Abschlussbericht und genauer auf die jeweilige BS Letztlich geht es immer um die Menschen, die miteinander eingestuft wurde, auch Kritik artikuliert ist. Zum für das Kunsthaus, das Frauenmuseum, oder auch für das vorarl- Bewerbung eingehen. Konstruktive Kritik und politische Empfeh- arbeiten und die gemeinsamen Ziele und Visionen, die sie verfol- Beispiel der Aspekt der geographisch-kulturellen berg museum. Alle drei Einrichtungen sind aus unserer Sicht top – lungen wären hilfreich für die Nachhaltigkeit eines solches Bewer- gen. Das Bewerbungsteam brachte einen anderen Blick auf die Nähe zu Liechtenstein, Schweiz und Deutsch­- wahnsinnig gut vernetzt, inhaltlich bestens aufgestellt. Und genau bungsprozesses. Vorarlberger Kulturszene ein. Ich kam über meine Arbeit bei den land und dass hier viele Potentiale nicht genutzt das ist der Punkt. Dass man sich mit neuen Dingen und Formaten Bei uns kommt hinzu, dass die Haltung des Landes Vorarlberg Kulturhauptstädten Linz09 und RUHR.2010 und über internatio- worden sind. auseinandersetzt: da sind einige Aspekte angeklungen im Konzept nicht hilfreich war. Unsere Mitbewerberinnen hatten das Commit- nale Kulturfestivals wie die Ruhrtriennale, Urbane Künste Ruhr und WN Das Thema ist aufgelegt. Das ist ein „No Na Ned“-Thema für zur Bewerbung als Kulturhauptstadt, Dinge neu zu versuchen. ment der jeweiligen Landeshauptleute – das war für die Entschei- schließlich als Leiterin des designforums Wien im MuseumsQuar- mich. Vielleicht gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Ich Kunst im digitalen Raum zum Beispiel. Dann ist das natürlich auch dung natürlich mit-ausschlaggebend. Ich denke im Übrigen oft an tier nach Vorarlberg. Lisa hat in Innsbruck studiert und war frisch habe es zum Beispiel interessant gefunden, dass es, obwohl Bre- mit Irritation und einem Wagnis verbunden. Ich habe auch den die Situation, als du, Winfried, und ich uns das erste Mal getroffen zurück in der Vorarlberger Heimat. Theresa hat in Tirol Kulturma- genz irgendwann ausgestiegen ist aus dem Bewerbungsprozess, Titel kritisch gesehen, denn einen Mutausbruch (Anm. Outburst of und uns in deinem Büro besprochen haben. Zum Abschluss hast nagement studiert und war von Beginn an im Team der Kultur- dazu geführt hat, dass die Stadt eine eigene Kulturstrategie erar- Courage war der Titel der Bewerbung von Dornbirn plus) braucht du gesagt: „Die Türen stehen für dich immer offen, aber die Kul- hauptstadtbewerbung. Wie gesagt, wir hatten und haben einen beitet und sich damit selbst positioniert hat. Jetzt könnte man es nicht. Mutausbrüche brauchen nur die, die feige sind. Sind wir turhauptstadt sehe ich weiterhin kritisch und bin dagegen.“ Und anderen Blick auf die Dinge im Land. Manchmal hat das auch im sich fragen, ob das gut oder schlecht ist, aber es ist zumindest ein feige? Ich weiß es nicht. ich habe gesagt: „Vielen Dank für die offene Tür. Ich werde sie bei Projektteam zu Diskussionen geführt – meist im positiven Sinn. Ausdruck des miteinander Diskutierens. Ich finde es ja immer inte- Ich habe in einem Beitrag in der Kulturzeitschrift Bedarf gerne nutzen. Und was die Kulturhauptstadt betrifft, „Was verstehen wir unter Kunst und Kultur genau? Wie sehen wir ressant, dass Konflikte gerne als Probleme dargestellt werden. Da­- auch diesen Begriff aufgenommen „Outburst arbeite ich mit voller Kraft weiterhin dafür.“ Man muss andere das Managen von Kunst und Kultur, also das Kulturmanagement? bei ist man manchmal einfach nur unterschiedlicher Meinung. Das of Courage“, der mir nicht unbedingt geeignet Meinungen akzeptieren und auch aushalten. Dass uns die Skepsis Wie treffen wir Entscheidungen und wer trägt die Verantwortung war genau mein Anliegen, diese Thematik innerhalb des Prozesses erschien. Warum der Titel? des Landes in der Bewerbung geschwächt hat, das wissen wir dafür? Was bedeutet Beteiligung und Partizipation für uns und zu artikulieren. Nämlich, dass es diese uneingeschränkte Befür- BS Martin Selmayer, der Vertreter der Europäischen Kommission inzwischen. Wie gesagt, wir hatten als einzige Bewerberin in Öster- warum sind Marketing und Kommunikation wichtig?“ Ich könnte wortung für die Kulturhauptstadt aus meiner Sicht nicht gibt. Es in Österreich, bat die Bürgermeisterin von Dornbirn Andrea Kauf- reich, vermutlich in Europa, nicht das Bekenntnis des Landes- die Liste unendlich fortführen. gibt durchaus Aspekte, die für so ein Format sprechen, dann wür­ mann im Februar 2020 um einen Termin. Wir haben den Termin hauptmannes. Kultur sehe ich als Haltung – dazu gehört auch die In vielen Bereichen war unser Blick nicht nur jünger von Alters de ich aber gerne kritisch diskutieren, welche anderen Formate gemeinsam wahrgenommen. Herr Prof. Dr. Selmayer legte das Bid- Kultur der Begegnung und des Umgangs. wegen, sondern auch internationaler und spartenübergreifender. kommen theoretisch auch in Frage und wem dienen sie. Und wie book, das er offensichtlich im Detail gelesen hatte, auf den Tisch Wie war das auf thematischer Ebene? Welche Gleichzeitig war und ist das enorme Wissen z. B. der Kulturamts- kann man sich innerhalb der Geschichtsschreibung der Kultur- und erzählte, er hätte in seinem Büro das Motto „Outburst of Themen sind gut angekommen? Welche können leiter*innen immens wichtig für uns. Das sahen wir immer als hauptstadt neu positionieren, neu aufstellen. Das ist es, was ich Courage“ übernommen. Er sei der Meinung, dass Europa genau möglicherweise gut weiterverfolgt werden? große Schatzkiste, aus der wir schöpfen konnten. Älter und jünger, am meisten vermisse, das Bewusstsein für die Eigeneinrichtungen. das brauche, einen Mutausbruch. Mut, Themen wie Digitalisierung, BS Wir sehen uns in der vernetzenden und kooperativen Arbeit

34 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 35 der letzten Jahre bestätigt. Und in den erarbeiteten und formu- erungsformat, es hatte keinen Zuschnitt, der eine Form erkennen onen, in Summe 50 Leute – versucht, die Vor- und Nachteile zu Intent klare Absichtsicherklärungen­ sind, sich nach Titelgewinn lierten Schwerpunkten. Die Aufgabe für die Bewerbung als Kultur- ließ. Es war mehr eine Absichtserklärung. Und da ist, so glaube ich, ven­tilieren. Wie könnte die Bewerbung zum Beispiel bei manchen inhaltlich und finanziell zu beteiligen. Außerdem ist meine Meinung hauptstadt Europas war und ist, das bestehende Potential einer der eigentliche Systemfehler passiert. Wir haben es nicht geschafft, Themen helfen, die wir in unserer Landeskulturstrategie identifi- und Haltung, dass Kunst- und Kulturschaffende zu viel non-mone- Region zu erkennen. Gemeinsam mit Künstler*innen, Institutionen die Stadt Bludenz dazu zu holen. Also es ist ja absurd in einem so ziert haben? Dieses nach außen gehen zum Beispiel – ja, das wäre täre Arbeit leisten. Konzep­te werden verlangt, Vorleistungen und und der Bevölkerung werden daraus Ideen für Metathemen ent- einen kleinen Kulturraum wie Vorarlberg eine von fünf Städten im durch die Kulturhauptstadt möglich gewesen. Oder, und das war Ideen werden abgefragt, Zusagen müssen gemacht werden und wickelt, die europäisch relevant sind. Dann werden Beispielpro- Land nicht dabei zu haben, die zumindest assoziierter Partner eine Befürchtung, besteht ein Konkurrenzprogramm und in wel- Projekte ersonnen. Es war also meine Entscheidung, dass wir nicht jekte formuliert und internationale Partner*innen werden dazu hätte sein müssen. chem Verhältnis steht das zur bestehenden Fülle von Angeboten? das ganze Land plus die Bodenseeregion mit Arbeitsaufträgen geholt. Es geht also darum, den vorhandenen Schatz zu heben Hast du die Kulturhauptstadt als Konfrontation überschütten werden, ohne Geld dafür zu bezahlen. Dornbirn plus und mit europäischen Partner*innen zu vernetzen. Damit setzt oder als Konkurrenz wahrgenommen? Feldkirch Hohenems Bregenzerwald war nicht nur das personell man idealerweise ein Rad in Schwung, das virulente Themen regi- „­Die Aufgabe für die WN Im Hinblick auf eine Regionalentwicklung Walgau sehr wohl – kleinste Team, wir hatten auch das schmalste Budget von allen onaler Kulturarbeit europäisch denkt und bestenfalls löst. Wie also als Konkurrenz zur kulturellen Entwicklung von Vorarlberg- drei Bewerberinnen. Wir konnten einfach nicht dafür bezahlen. gesagt, unsere Schwerpunkte Digitalisierung, Zusammenleben und ­Bewerbung als Kultur­ Süd. Das ist für mich ein Raum, der hochinteressant ist. Er hat zum Die Letters of Intent waren der für uns alle beste Weg. Wir, die die Gleichstellung der Geschlechter sind die Themen, die wir in Beispiel dieses kulturelle Bewusstsein weniger ausgeprägt und Kulturamtsleiter*innen und die Bürgermeister*in haben mit allen zahlreichen Beteiligungsformaten im ganzen Land Vorarlberg und hauptstadt Europas war auch nicht diese geographische Umrandung. Wo fängt der Walgau Unterzeichner*innen persönlich gesprochen oder uns getroffen. im Bodenseeraum gemeinsam erarbeitet haben. und ist, das beste­­hende an und wo hört er auf? Als wir noch im Prozess Vorarlberg-Süd Hier ging es uns im ersten Schritt um eine strategische, sprich um Was war der Grund für dich Winfried, als Vertreter waren und die Bürgermeister*innen dort unterstützt haben, beka- eine strukturelle Ebene. des Landes, skeptisch und kritisch gegenüber dem Potential einer Region men wir die Rückmeldung: „Jetzt lasst ihr uns im Stich und das Wie siehst du den kritischen Aspekt im Jurybe- Projekt Kulturhauptstadt zu sein? Geld wird dorthin fließen, wo es sowieso schon ist.“ Das heißt: ein richt, dass Flüchtlinge zu wenig miteingebunden WN Die erste Auseinandersetzung mit der Kulturhauptstadt haben zu erkennen.“ kulturelles Gefälle bestätigen mit einem Format. Wir haben die gewesen seien? wir als Land Vorarlberg initiiert. Wir haben damals Ulrich Fuchs Verantwortung für ganz Vorarlberg und daher freut es mich, dass BS Hier wurde eher die Einbindung von Minderheiten kritisiert. Bettina Steindl (Anm. Jurymitglied und ehemaliger Intendant der Kulturhaupt- zum Beispiel im Kleinwalsertal ein Museum entsteht mit sehr pro- Eine Kritik aus dem ersten Jurybericht auf die wir umgehend re- städte Linz09 und Marseille 2013) im Rahmen einer Kultur-Enquete fessioneller Begleitung. Mich freut auch die Geschichte in Au im agiert haben. Winfried hat es bereits angesprochen, in der Pro- eingeladen und ein Vorgespräch mit ihm geführt. Wir wollten son- Wollte Bludenz denn nicht Teil des Bewerbungs- Bregenzerwald und dass sich dort ein Museum entwickelt. Ge- grammlinie POLIS MIND haben wir uns mit der Verfasstheit von dieren, was aus der Einschätzung eines Experten das Format Kul- prozesses sein? nauso spannend würde ich es finden, übers Laiblachtal nachzu- Stadt beschäftigt. In einer ländlichen Gegend wie Vorarlberg ist turhauptstadt Europas für diese Region bringen könnte. Wir haben WN Das ist auch eine Geschichte der Irritation, die ich nicht kom- denken oder übers Montafon und andere Regionen, in denen damit nicht nur eine Stadt, sondern eine Region gemeint. Konkret: dabei auch über Skalierungen gesprochen. Wie zum Beispiel ist mentieren will. Denn zum Teil waren die handelnden Personen in schon noch eine Differenz besteht zu den Kulturzentren im Land. Wie funktioniert Zusammenleben, wie integriert man Men­schen Vorarlberg als Ganzes zu bewerten. Ich vergleiche das gerne mit Bregenz und Bludenz dieselben. Auf alle Fälle war irgendwann Es war dann irgendwann der Zeitpunkt, an dem klar war, dass die unterschiedlicher Herkunft, Religionen und Ethnien? Wie stellt Linz und dem Einzugsgebiet rund um die Stadt. Unsere 400 000 erkennbar, es machen nicht alle fünf Städte in Vorarlberg mit. „kulturstärkste“ Stadt (Anm. Bregenz) nicht dabei ist im Bewer- man die Gleichstellung von Mann und Frau sicher? Wie gestaltet Einwohner*innen in Vorarlberg wären an sich eine Stadt. Vorarl- Bregenz ist dann ausgestiegen und mit dem Ausstieg von Bregenz bungsprozess. Und die „kulturschwächste“ (Anm. Bludenz) auch man also gelingendes Zusammenleben? Und wie können sich hier berg als Stadtraum zu begreifen, das fände ich zum Beispiel ein haben wir uns auch aus dieser Steuerungsrolle rausgenommen. nicht. Kulturell ist Bregenz sicherlich die Spitze und betitelt sich ja Städte gemeinsam mit Gemeinden organisieren und funktionie- super spannendes Thema – POLIS MIND oder die damit verbun- Vielleicht ist interessant zu wissen, dass ich parallel dazu ungefähr selbst auf der Autobahn als Kulturhauptstadt. Es hätte schon eine rende Strukturen schaffen? Die Städte in Vorarlberg können in denen Themen finde ich also hochinteressant. In Vorarlberg ist die 100 Kommentare bekommen habe, wie die Leute im Land das gewisse Absurdität gehabt – dieser Hybrid aus Landessicht. manchen Bereichen von der ländlichen Region viel lernen. Ein Bereitschaft nicht gegeben, eine Stunde irgendwohin zu fahren. In sehen – sie waren dafür und dagegen. Die meisten, die ich gefragt Die Region rund um Vorarlberg, eine imaginierte umgekehrter Wissenstransfer sozusagen. Annette Sohler (Anm. jeder großen Stadt fährst du eine Stunde, um was auch immer zu habe, waren gegen die Bewerbung. Da sahen von Thomas D. Trum- Stadt im Bodenseeraum? Also auch Städte und ehemalige Bürgermeisterin von Lingenau und Kultursprecherin tun. Das heißt, wir haben zuerst einmal mit einem Experten venti- mer (Anm. Direktor KUB Bregenz) über Bernhard Tschofen (Anm. Regionen rund um den Bodensee – die Jury der Regio Bregenzerwald) hat uns dazu etwas ganz Wichtiges mit- liert und haben das Gespräch in die Enquete einfließen lassen. Vorarlberger Kulturwissenschaftler) bis hin zu Gottfried Bechtold merkte in ihrem Bericht an, die seien nach ihrem gegeben: „Im Bregenzerwald funktioniert Integration über das Und dann haben wir auf die Rückmeldungen reagiert. Das Thema (Anm. Vorarlberger Künstler) alle durchwegs das Format Kultur- Einschätzen nicht ausreichend mitberücksich-­ Vereinswesen sehr gut. Wenn Menschen Mitglied eines Vereins Kulturhauptstadt war nicht dabei. Also sahen wir, dafür ist kein hauptstadt skeptisch. Das mag ja nichts heißen. Wenn das Format tigt und involviert worden. Was hat es damit auf werden, sind sie gleich wie alle anderen. Dann ist es nicht mehr Need vorhanden, obwohl wir es inhaltlich auf der Enquete gespielt überzeugend wirkt auf die Kulturentwicklung einer Region, dann sich? Ist das berechtigt? wichtig, woher man kommt.“ Das ist in Städten mitunter schwieri- haben. Das war Thema eins. Das zweite war, dass wir dann schnell wäre es ja trotzdem spannend gewesen. Für mich war dann die BS Nein. Wir hatten fast 200 Letters of Intent von Bürgermeis- ger. Als der gebürtige Türke Murat Üstün eine Dornbirner Musik- gemerkt haben: Hoppla, wenn Bregenz anfängt sich für die Kultur- Diskussion des Kulturbeirates von Vorarlberg ganz entscheidend. ter*innen und von Kunst und Kulturinstitutionen aus dem gesam- kapelle als Kapellmeister übernahm, haben wohl meh­rere Musi- hauptstadt zu interessieren, ent­steht eine gewisse Eigendynamik. Er hat sich eigentlich sehr früh klar gegen die Bewerbung ausge- ten Bodenseeraum. Also aus ins­gesamt vier Ländern in Europa. kant*innen ihre Instrumente niedergelegt. Sie wollten nicht von Da möchten wir als Land doch in einer starken Rolle sein, also war sprochen. Auf Basis eines sicherlich noch schwindeligen Konzepts, Andrea Kaufmann (Anm. Bürgermeisterin der Bannerstadt Dorn- ihm dirigiert werden. Wir hatten zu dieser Thematik also einiges zu ich aktiv in einer Steuerungsgruppe. Das war ein eher träges Steu- aber wir haben dann in allen Kommissionen – es sind 7 Kommissi- birn) hat vor der Jury sehr deut­lich gemacht, dass diese Letters of erzählen. Den Titel Kulturhauptstadt Europas bekommen Städte

36 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 37 nicht für das Darstellen des perfekten Jetzt, sondern für das The- grenzübertretend zu sprechen. Dann Oskar Müller, Dozent und burst of Courage“ besprechen, wie wir in Zukunft zusam­men Co­rona immer noch Publikum finden. Das ist eine Frage, die ich matisieren der Zukunft. interimistischer Leiter der Fachhochschule Vorarlberg, der erzählt leben wollen. Mit Vorarlberg als Teil des Vier-Länder-Ecks bei- auch gerne beantwortet hätte. Ein anderer Punkt, den ich interessant fand hat, dass Vorarlberg zwei Mal eine Universität angeboten wurde. spielhaft für ganz Europa. Wir als Modell- und Pilotregion. Die Jury Die Frage der Vielfalt und Fülle? im Jurybericht, bezieht sich auf die Zusammen­ Beide Male wurde dieses Angebot von landespolitscher Ebene befand, Hypertourismus sei in Europa relevanter. Und mit dieser WN Ja. Die ist nicht beantwortet, aber es wäre spannend zu fragen, setzung Eures Teams, drei Frauen. Was ist denn abgelehnt. Bis heute ist Vorarlberg das einzige Bundesland Öster- Kritik kann ich sehr gut leben. was brauchen wir eigentlich. das für ein Kritikpunkt? Zuerst wird die Women- reichs ohne Universität. Schön langsam sollten wir zum Ende kommen. BS Dieser Frage sind wir intensiv in unseren Denk- und Dialog- power lobend erwähnt aber dann kritisiert. WN Ganz kurz noch zu dem Thema Bodenseeraum: Das Thema ist werkstätten und in Resonanzgruppen mit Expert*innen und der BS Das war wohl eine Kritik an der Schlusspräsentation. Bei der natürlich aufs Erste hin aufgelegt und interessant, zugleich aber Bevölkerung nachgegangen. Insgesamt den gesamten Bewer- Schlusspräsentation dürfen bis zu zehn Leute präsentieren. Dabei „­Wie funktioniert Zusam­ ein speziell forderndes Thema. Die kulturellen Realitäten dieser bungsprozess lang. Der Wunsch nach internationaler Vernetzung sein müssen die Projektleiterin, der künstlerische Leiter und die Länder sind sehr unterschiedlich – der kulturelle Entwicklungssta- und Kooperation wurde dabei deutlich geäußert. Das Potential Bürgermeisterin der Bannerstadt. Andrea Kaufmann, Jürgen Weis- menleben, wie integriert tus im süddeutschen Raum zum Beispiel. Das sind auch Inhalte der des Vierländerecks und der grenz­übergreifenden Zusammenar- häupl und ich waren also gesetzt. Dann haben wir verschiedenste Internationalen Bodensee-Konferenz, eines kooperativen Zusam- beit könnte besser genutzt werden. Dabei geht es nicht um den Menschen zu verschiedensten Themen, die wir schwerpunktmäßig man Men­schen unter­ menschlusses der Länder und Gemeinden, die an den Bodensee Einkauf von Formaten. Es besteht Bedarf nach leistbaren Räumen im Bewerbungsprozess erarbeitet und im Bidbook be­handelt schiedlicher Herkunft, anschließen. Das sind spürbare Welten, doch letztendlich scheint für Kunst und Kultur. Es geht darum, das in Vorarlberg vorhandene haben, zu einem Gespräch eingeladen. Wir haben sie gefragt, ob es immer so, als stünden sie mit dem Rücken zueinander. Also die Potential vermehrt international zu vernetzen – und international sie sich vorstellen können, in Wien vor einer internationalen Jury Religionen und Ethnien? Ostschweiz steht mit dem Rücken zu uns. Das zu bedenken ist bekannt zu machen. Dafür braucht es Netzwerke, Zeit und Res- die Kulturhauptstadtbewerbung zu präsentieren und welches wichtig in Bezug auf eine kulturelle Orientierung. Ich könnte auch sourcen. Wir sollten Künstler*innen mehr Raum und Platz geben Thema sie dabei interessieren würde. Ich beschreibe den Vorgang Wie stellt man die Gleich­ gut sagen Zürich ist nicht weit weg und wäre inhaltlich wichtig für und mehr Freiheit für Experimente. Raum und Platz in Form von am Beispiel von Christine, eine Vertreterin der älteren Bevölke- uns. Aber das Interesse, tatsächlich über die Grenzen zu gehen leistbaren Räumen für Kunst und Kultur, Atelierräume, Probe- rungsgruppe, ursprünglich aus England, seit 40 Jahren in Vorarl- stellung von Mann und Richtung z. B. Schweiz, ist sehr schnell begrenzt. Das merkt man räume, Ausstellungsmöglichkeiten, etc. Experimentierraum, indem berg lebend. Wir fragten sie: „Wenn du vor der Jury stehst, was Frau sicher? Wie ­gestaltet auch bei Besucherstromanalysen. wir uns fördertechnisch den Erfordernissen des Jetzt und der würdest du ihr sagen wollen?“ Wir haben gedacht sie nennt den Ein weiterer spannender Aspekt bzw. eine Frage, die aufge- Zukunft viel schneller anpassen. Gemeinsam mit Europa eine Brexit. Aber Christine sagt: „Als ich nach Vorarlberg gekommen man also gelingendes worfen worden ist und von dir, Bettina immer als Argument für die lebendige, junge, kreative Kulturszene in Vorarlberg zu unterstüt- bin, musste ich meinen Mann um Erlaubnis bitten, arbeiten gehen Kulturhauptstadt genannt wurde: Es brauche Frischluft von außen zen war und ist das Ziel. zu dürfen. Dann habe ich drei Kinder bekommen. Jetzt bin ich in ­Zusammenleben? Und wie in der Kulturszene. Das heißt Kunst von außen oder Kulturproduk- Wir müssen die DNA einer Region erforschen – und dann mit Pension und könnte tun was ich will und was mache ich stattdes- tionen, die zugekauft werden. Das ist für mich nach wie vor eine Europa in Verbindung bringen. Es geht darum, Bestehendes mit sen? Ich übernehme die Betreuung meiner Enkelkinder, weil es können sich hier Städte Frage, die ich noch immer nicht beantworten könnte. Ich bin der der Zukunft zu verweben. Manchmal mutig disruptiv, manchmal keine entsprechenden Einrichtungen gibt, die das im benötigten gemeinsam mit Gemeinden Meinung, dass wir eine gewisse Durchmischung von innen und leiser und behutsamer. Das Stehenbleiben und das genügsam Sein Ausmaß übernehmen. Ich bin nach drei eigenen Kindern und außen haben. Also was fehlt uns eigentlich im Portfolio? Ich finde ist, zumindest für mich persönlich, nie eine Option. Beruf also wieder eingespannt.“ Ein offensichtlich brisantes The­ organisieren und funk­ das aktuell spannend, weil wir gerade eine IBK Förder-Preise- Was wir also in unserer Kulturarbeit in partizipativen Prozessen ma und ein ganz anderes, als wir erwartet hatten. Die Thematik Geschichte gemacht haben. Wir haben das Kuratieren beleuchtet ab­gefragt haben, ist in ein Konzept mit konkreten Handlungsan- hat unter uns und im Präsentationsteam zu Diskussionen geführt.­ tionierende Strukturen und es sind zwei Vorarlberger ausgezeichnet worden: Dietmar weisungen und in Projekte geflossen. Ein Beispiel von außen: In Dornbirn ist in Sachen Kinderbetreuung sehr gut organisiert – Nigsch für den Walser Herbst und der Verein literatur:vorarlberg Graz haben die Stadt und das Land Steiermark für 2020 ein Kultur- eine Errungenschaft der Bürgermeisterin Andrea Kaufmann. schaffen?“ Netzwerk. Aber auch andere, die in der Schweiz durchaus wun- jahr ausgerufen und dafür über € 5 Millionen zur Verfügung ge- Dann kam Stefania Pitscheider Soraperra – wir dachten sie derbare Formate entwickelt haben. Also ich behaupte, die Kunst stellt. Nach der Kulturhauptstadt Graz 2003 sollte es in der Stadt Bettina Steindl spricht aus der Sicht der Museumsdirektorin des einzigen Frauen- von außen funktioniert, auch über den Spielboden, den Kamm- wieder ein Jahr lang um Kunst und Kultur gehen. Ich bin Teil des museums im länd­lichen Raum in Europa. Sie sagte zum Beispiel: garn und andere Institutionen, die Formate einkaufen und sie Kulturbeirates. Über einen öffentlichen Call sind über 900 Pro- „Ich möchte Europa erzählen, dass der Gender Pay Gap in Vorarl- Worauf ich hinaus will: Unser Präsentationsteam hat sich mit vie- international präsentieren, siehe Kulturzeitschrift. Was darin jekteinreichungen erfolgt – fast 100 davon haben wir zur Umset- berg bei 25 % liegt. Er ist damit der höchste in Europa und teilt len Themen kritisch auseinandergesetzt und da­von der Jury abgebildet ist, ist ja auch international. Also das hätte mich schon zung juriert. In Graz wird gefördert, was wir fordern: Raus auf die sich diese Spitzenreiterposition lediglich mit einem weiteren Land erzählt. Die Themen Gleichberechtigung und Gleich­stellung von interessiert, was ist dieser spezifische Mangel, denn du da veror- Straße und zu den Menschen! Runter vom Elfenbeinturm, weg aus in Europa, Estland. Dazu kommt, dass die Scheidungsrate in Vor- Frauen, Digitalisierung und die kritische Auseinandersetzung mit ten wolltest mit so einem Kulturhauptstadtformat. Ich habe dann dem elitären Kreis, hin zu allen und allem. arlberg die dritthöchste in Österreich ist.“ Diese Zahlen sind doch dem Umgang von „Ung’hörigkeit“ – ganz zentral für junge kreative­ eher so das drohende Konkurrenzfeld gesehen und ein Überange- So wirken Kunst und Kultur disruptiv auf Saturiertheit und ein völliger Bruch mit der Darstellung der guten und „g’hörigen“ Menschen zum Beispiel – waren dabei sehr wichtig. Zusammen- bot, das keine*r mehr konsumieren kann. Das ist ja eigentlich Genügsamkeit. So werden Kunst und Kultur erfolgreich als Stand- Welt in Vorarlberg. Und damit enorm wichtig, darüber breit und gefasst könnte man sagen, wir wollten mit Europa in einem „Out- er­staunlich, dass wir trotz des vielen Angebotes außerhalb von ortfaktoren eingesetzt und wirken als Wettbewerbsfaktoren auf

38 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 39 Regionen in der internationalen Vergleichbarkeit. So werden Ge­­ Winfried, ohne jetzt eine Honigspur zu ziehen, genden interessant für Künstler*innen, für junge, innovative Men- wie profitiert das Land von dieser Initiative? schen und für Fachkräfte – die Vorarlberg braucht! Kreative sind Gibt es Impulse, die in deine landeskulturpoliti- der Rohstoff der Zukunft. Mit den Werkzeugen der Vergangenheit sche Welt eingedrungen sind? kann man die Zukunft nicht gestalten. Wir brauchen Re­bell*innen WN Ich glaube, dass die Potentiale für Kooperationsgeschichten im im Land und wir müssen uns aktiv um sie bemühen. Denn ganz kulturellen Bereich gewachsen sind und das Bewusstsein für das Europa will sie haben. Wir müssen den Nährboden dafür schaffen. Gegenüber. Ich glaube, dass man auch Lehren ziehen kann, wie Ändern wir die Sichtweise: Nicht nur die Produktion auf der Bühne, man so ein Verfahren gestaltet. Es mag jetzt irrelevant klingen, das Werk an der Wand – und das Publikum gegenüber. Sondern wenn ich sage, es hat ein paar Systemfehler gegeben. Und das alle gemeinsam formen das Werk und der Prozess ist das Projekt. dritte ist für mich vielleicht die persönliche Ebene, das würde ich ähnlich halten wie du, Bettina. Spannend war es, diese unter- schiedlichen Ebenen zwischen Politik, Verwaltung und Kulturpro- „­Kreative sind der duktion zu erleben in ihrer Wechselbeziehung. Und spannend war es auch für mich in zwei unterschiedlichen Rollen zu sein. Schein- Roh­stoff der Zukunft. bar in einer politischen, in der ich aber nicht bin. Hier verschwim- men dann relativ leicht Bilder und Positionen und das ist auch Mit den Werkzeugen der hochinteressant. Das Verständnis darüber, was jetzt Stadtebene, Vergangenheit kann Landesebene, Politik und Verwaltung ist, das wird in einem breite- ren Kulturkreis nicht differenziert. man die ­Zukunft nicht Vielen Dank für das Gespräch. ­gestalten.“

Bettina Steindl

Was sind die persönlichen Aspekte, die du für dich mitgenommen hast aus dieser Erfahrung? Nach Vorarlberg zu kommen, dich hier ein- zu­lassen? BS Das ist mein ganz persönlicher Outburst of Courage (lacht): Mich nicht nur hier einzulassen, sondern auch hier zu leben und zu arbeiten. Aber im Ernst: Man sollte die Dynamiken und Struktu- ren in einem verhältnismäßig kleinen Land wie Vorarlberg nicht unterschätzen. Die politischen Strukturen und wie unmöglich es manchmal scheint, sie zu durchbrechen haben mich überrascht. Die Expertise kann noch so richtig und wichtig sein, die Ermögli- chung erfolgt hierarchisch. Manchmal ist es mir gelungen, Men- schen zu überzeugen und Ziele zu erreichen. Meine Arbeit ist zugleich intrinsisches Müssen – ich will nichts anderes machen. Ich bin überzeugt davon, dass Zukunft nur mit und über die Mittel von Kunst und Kultur geformt und gestaltet werden kann und es ist unsere Aufgabe, möglichst viele Menschen – auch die Politik – davon zu überzeugen und miteinzubeziehen.

40 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 41 Mut zum Ausbruch?

Hanno Loewy Direktor Jüdisches Museum Hohenems

Wenn ich aus dem Lockdown, die­ser Und plötzlich war es möglich über Dinge zu reden, die vorher ent- weder allzu selbstverständlich schienen oder so visionär, dass manchmal lähmenden Monate der man dazu sowieso nie kam: Man begann darüber zu sprechen, was und wie man eigentlich gemeinsam sein wollte, in diesem kleinen Ungewissheit, an die letzten Jahre Land, das gerade gemerkt hatte, dass es vielleicht auch eine Stadt zurückdenke, dann gab es eine Zeit, in ist. So etwas wie ein Mittelpunkt, eine Kreuzung zwischen West und Ost, Nord und Süd. Man begann wieder darüber zu sprechen, der etwas sehr Kostbares möglich dass „Intellektuelle*r“ kein Schimpfwort sein muss. Dass man viel- leicht nicht nur auf jene Vorarlberger*innen­ stolz zu sein braucht, schien. Die Vorarlberger Kulturszene die es anderswo „geschafft“ haben, sondern auch auf Menschen stolz sein kann, die es – von woanders kommend – produktiv hier- begann, recht zaghaft, aus sich her verschlagen hat. Dass Vorarlberg nicht nur eine großartige ­her­auszugehen. Statt fast ein wenig Bühne (der See, die Berge, das KUB …) zu bieten hat, sondern viel- leicht auch ein Ort kultureller Produktion sein kann, der in die furchtsam um die kleinen Töpfe zu Welt hinausstrahlt. Über all das hatte man ja schon mal geredet, manche hatten daran noch eine dumpfe Erinnerung. Wann war bissel mehr Aufmerksamkeit für das zu „generieren“, worauf man bangen, um die man sonst herumstand das eigentlich gewesen? Bevor man es sich im Ländle in den Ni­­ eh schon stolz ist. Vor allem dann, wenn man es selbst nicht schen, die man zugestanden bekam, irgendwie eingerichtet hat. bezahlen muss. Und irgendwann gab es vor allem Bedenken und und schaute, nicht zu kurz zu kommen, Ratlosigkeit. Dann hätte das Ganze schon zu Ende sein können. D+ ließen sich manche dazu verleiten, Doch das war es nicht. Es gab eine zweite Runde; genauer, dann „Und plötzlich war es ging es eigentlich erst wirklich los und das hat plötzlich richtig Hanno Loewy war während des gesam- große Fragen zu stellen. Statt davon zu Spaß gemacht.­ Jetzt ging es nicht mehr so sehr ums gemeinsame ten Bewerbungsprozesses Ideengeber, ­möglich über Dinge zu Herantasten an abstrakt-Grundsätzliches, sondern um konkrete träumen, wie gut es einem ginge, Projektpartner, „Mutivator“ (mutiger Moti- reden, die vorher ent­- Ide­en, die etwas von dem verkörpern könnten, was uns wirklich vator) und wichtiger Freund für uns. wenn die kleinen Töpfe ein bissel grö- wich­tig ist. Und ich habe mich gerne davon überzeugen lassen, Aus­dauernd hat er die Bewerbung von ­weder allzu selbst­ diesem Prozess Zeit und Gedankenenergie zu widmen. Dornbirn plus Feldkirch Hohenems ßer wären, ließen sich manche dazu Bregenzerwald maßgeblich mitgestaltet. verständlich schienen All die diffusen Diskussionen über Vorarlbergs Selbstverständ- verleiten, utopisch zu werden. nis und über die Rolle, die Kultur, Kunst und Kulturschaffende in Als Mitglied des Präsentationsteams zeig- oder so visionär, dass diesem sich entwickelnden Selbstverständnis spielen könnten, te Hanno Loewy der Jury seinen weltof-­ mus­sten nun einen Härtetest bestehen. Sie mussten sich in ein fenen, integrativen und immer wach- man dazu sowieso Programm übersetzen lassen, das ein Versprechen darauf ent­hielt, samen Blick auf die jüdische Geschichte nie kam.“ Alltagskultur, soziale Kommunikation und künstlerische Produktion Vor­arlbergs und Europas sowie sein zeit- in diesem Land tatsächlich zu verändern, dieser Gesell­schaft Im-­ genössisches Wissen über die Kulturszene. pulse zu geben. Davon mag leicht zu reden sein. Aber ins Tun zu Gemeinsam entwickelten wir Projekte, Zugleich hatten viele mit einer ganz anderen Unsicherheit zu kommen? er schrieb launige Artikel, führte uns beim kämpfen, nämlich der Frage, ob es bei alldem wirklich um sie und Vor allem aber mussten wir uns darauf befragen lassen, welche Juryvisit an den alten Rhein und durch ihre Träume und Fragen ging. Um eine kurze Ahnung einer ande- Relevanz wir und unser Tun für Europa haben und welche Rele- das Jüdische Viertel in Hohenems, sprach, ren Gesellschaft, in der kultureller Ausdruck tatsächlich ernst ge­­ vanz Europa für unser Alltagshandeln besitzt. „Europa“ ist ein dozierte und repräsentierte die Kultur- nommen wird und gesellschaftlich etwas durcheinanderbringen schillernder Begriff. Für viele ist er inzwischen zu einem diffusen hauptstadt bei allen Gelegenheiten. Sollte kann? Oder ging es nicht doch gerade um das Gegenteil? Um Tou- Bild von „abendländischer Kultur“ geronnen, mit dem vor allem es je Zweifel geben, dass es in Vorarlberg rismuswerbung und Standortvorteile und Nächtigungszahlen und eins betrieben wird: Missbrauch. Immer häufiger wird die Fiktion­ Repräsentant*innen des Outburst of „positive Nebeneffekte“. Oder vielleicht um persönliche Eitel­kei­ eines „christlich-jüdischen Abendlandes“ als Kampfbegriff be- Courage gibt – treffen Sie Hanno Loewy! t­en? Irgendwann war nicht mehr klar, ob es nur darum geht, ein nutzt, um Ausgrenzung zu betreiben: gegen Migrant*innen, Flüch-

42 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 43 Europa zuhören. Erinnerungen an einen intensiven Prozess, der ­weitergeht.

Mirjam Steinbock Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg, Mitglied Netzwerkgruppe Kultur

tende und Muslim*innen. Auch die Rede von den „europäischen Kleingeistigkeit und visionären Ideen, in einem ganz eigenen Limbo Was wollen wir Europa erzählen? Werten“ droht immer wieder in diesen kulturalistischen Sumpf ab­­ gelandet ist. Die Vorarlberger geben diesem Limbo, diesem „zwi- zugleiten. Auch ein Projekt Kulturhauptstadt ist diesen Gefahren schen Baum und Borke“ gerne den Namen „Pragmatismus“. Und Diese Frage war für uns, die IG- und ausgesetzt. Umso wichtiger war es, von einem inklusiven Europa so zweideutig wie das ganze Land ist auch dieser Begriff, der mal auszugehen, dessen Herz nicht „kulturelle Werte“, sondern Kom- als Entschuldigung dafür dient, einfach so weiter zu machen wie Netzwerkgruppe Vorarlberg mit Vertre- munikation, Regeln, Gesetze und zivile Umgangsformen sind. Was bisher, und mal ein durchaus gesundes Misstrauen gegen Ideolo- ter*innen der freien Szene aus den Europa als politische Union möglich gemacht hat – nach der Kata- gien meint. Der mal mit einer lähmenden Intellektuellenfeindlich- strophe von zwei Weltkriegen, Holocaust und Völkermorden – war keit einhergeht und manchmal eine überraschend originelle, ja Sparten Musik, Literatur, Tanz, Theater, nicht die Verständigung über Musik, Malerei oder Essensgewohn- bezaubernde Ästhetik der Alltagswelt produziert, nicht zuletzt heiten, sondern die Verständigung über Spielregeln, Gerichtshöfe immer wieder (wenn auch leider keineswegs immer) in der Vorarl- Bildende Kunst und Kulturinitiativen, und legale Verfahren. berger Baukultur. zentral. Auf sie griffen wir auch immer Für eine Kulturhauptstadtbewerbung in diesem Sinne bot Vorarl- wieder zurück, wenn wir als Prozess­ berg spannende Voraussetzungen: An der Peripherie Österreichs „Ich bin ja eigentlich und zugleich in der Mitte Europas gelegen, wo sich seit jeher beteiligte den roten Faden zwischen Sprachen, Menschen, Migrationsströme und politische Mäch­te kein Freund des Haderns, treffen, ohne jemals dem Land einen „endgültigen“ Stempel auf- aber dieses Hadern mit ­T­heorie und Praxis, Ehrenamt und Fair ­drücken zu können. Eine, zumindest als Mythos gepflegte Eig­ Pay, Top-down und Bottom-up oder enbrötelei, die eine gewisse Widerständigkeit ermöglichen kann. uns selbst fand ich damals Eine geographisch-politische Lage zwischen vier Staaten, geprägt Partizipation und Wettbewerb zu ver­ von Grenzen und fortlaufender Grenzüberschreitung, die sich in und finde es noch immer: unterschiedlichen Topographien symbolisieren: einem See, in lieren drohten. Sie gab uns Halt dem eine Utopie von Grenzenlosigkeit internationales Recht ge­- kostbar, produktiv und D+ worden ist (der ohne internationale festgeschriebene Grenze den utopisch.“ und Motivation. Wir haben uns in den Anrainerstaaten Deutschland, Österreich und Schweiz gemein­ ­- Im Rahmen der Bewerbung als Kultur- sam „gehört“). Einer Grenze am Rhein, deren Geschichte von hauptstadt Europas 2024 hat sich die Netz­- Prozess um die Kulturhauptstadtbe- Schmug­gel und nicht zuletzt von Flucht und Terror, Flüchtlingen Das alles gesagt, brachte das Verfahren noch etwas ganz anderes werkgruppe Kultur gegründet. Sparten- werbung „hineinreklamiert“. Wir und „Schleppern“ geprägt wurde, die zuweilen politische Sensibi- mit sich. Es entwickelte sich ein sportlicher Spirit und ein bislang und genreübergreifend dachte sie den lität erzeugt, die anderswo in Österreich fehlt. Und eine Grenze in im Land eher unbekannter Teamgeist. Auch das ist eine Erfahrung, Bewerbungsprozess mit, gab Inputs, stellte ­wollten beteiligt und informiert sein den Bergen, die immer wieder Menschen herausgefordert hat, die bleibt. Was freilich auch blieb, war die bange Frage, ob das Forderungen, erdachte Projekte und ihre eigenen, individuellen Grenzen auszuloten. Land Vorarlberg das alles wirklich tragen will. Oder nicht doch beteiligte sich nachhaltig. Die eingebrach- über die Pläne und Vorhaben der in der Komfortzone bleiben, „pragmatisch“ klein-klein weiterma- ten Themen wurden gemeinsam auf euro­- Und dazwischen? Eine ganz eigensinnige Struktur von Ländlichkeit chen. Die Frage ist offengeblieben, sie musste nie beantwortet päische Relevanz, Umsetzbarkeit und Rheintalstädte und der Regio Bregen- und Urbanität, einer polyzentrischen „Landstadt“ mit einer Bevöl- werden. Denn kurz vor dem Ziel wurden wir überholt von der mun­- vorhandene Netzwerke und Kooperations- zerwald. Mit reflektierenden Augen, kerung, die nicht mehr provinziell, aber noch nicht städtisch-­ teren Konkurrenz, deren Unbefangenheit offenbar überzeugender partner*innen geprüft. Viele gute Ideen blasiert daherkommt, noch Offenheit bewahrt für ganz unter­ war, als das Vorarlberger Hadern mit sich selbst und den großen sind entstanden, einige wurden verwor- langjähriger Erfahrung und dem Kon- schiedliche Entwicklungsmöglichkeiten. Eine Bevölkerung, deren Fragen der Zeit, die wir im kleinen Ländle wie in einem globalen fen und manche Projekte laufen bis Zusammensetzung von migrantischer Vielfalt geprägt ist wie in Ex­perimentier­labor bearbeiten wollten. Ich bin ja eigentlich kein heute: So verdanken wir Mirjam Steinbock takt zu einem diversen Publikum einer Metropole und in der diese Diversität erst zu wirken beginnt. Freund des Haderns, aber dieses Hadern mit uns selbst fand ich unsere großartigen Kulturtipps. Es war ihre Eine traditionell männlich-machistisch dominierte Elitenkultur, damals und finde es noch immer: kostbar, produktiv und utopisch. Idee, jeden Monat Menschen aus Kunst, ­sprachen wir unser verantwortungs­ die sich innerhalb der letzten zwanzig Jahre plötzlich mit weib­ Aus dieser Quelle könnten wir noch eine Weile schöpfen. Wir müs- Kultur, Design, Architektur und Kreativ- volles Mittun aus. lichen Aufbrüchen auf allen Ebenen auseinandersetzen muss. sen nur wollen. Wenn dieser „aparte Virus“, wie meine Schwie­ger­ wirtschaft zu fragen, uns ihre ganz per­­sön­- Kurz und gut: eine politisch-kulturelle Landschaft, die in vieler Hin- mama Covid-19 mit ihrer eigenen Ironie nennt, uns irgendwann lichen Kulturtipps über die Grenzen Vor- sicht zwischen traditioneller Lähmung und vielfältigen Aufbrüchen, wieder aus seinem Klammergriff entlässt. arlbergs hinaus zu spendieren.

44 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 45 Dieses Vorhaben erfolgte übrigens undotiert. Nun, wir waren ja bungsbüro mitgetragen wurden. Das lief nicht immer konfliktfrei gestehe, erleichtert gewesen zu sein. Denn das, von dem ich ursprünglich nicht eingeladen, es war uns eben ein großes Anlie- ab, Unstimmigkeiten und Missverständnisse konnten wir jedoch dachte, dass es auf die freie Szene zukommt, hat mich etwas be-­ gen. Inmitten der Coronakrise zeigen sich solche Arbeitsbedin- offen diskutieren und überwiegend rasch beigelegen. Als ich einer sorgt. Soweit zum Vertrauen. Das Credo des Bewerbungsbüros gungen übrigens in ihrer folgenschweren Vielfalt. Das vor allem geschätzten Kollegin aus der Mitbewerberstadt St. Pölten erzählte, „Wir schaffen das, wir glauben daran!“ bahnt sich aktuell allerdings politische Versäumnis, den Kultursektor mit den ihm gebührenden dass wir in Vorarlberg ab und zu kulturpolitisch streiten, attes- den Weg zurück in meine Erinnerung und wenn beispielsweise der Ressourcen auszustatten und seine Protagonist*innen nicht am tierte sie mir dies als großes Potential einer Region. Mein Blick auf Kontakt zu Kulturamtsleiter*innen heute schwellenfrei erfolgen Rande der Existenz darben zu lassen, sondern die Ausstatter*in- die Möglichkeit offener Diskurse in Vorarlberg hat sich seitdem kann, ist das vermutlich auch diesem Prozess und dem Einsatz nen des Kulturlands Österreich ins Zentrum zu holen, ist leider verändert. derer, die daran glaubten, zu verdanken. Er hat den Blick geöffnet, immer noch omnipräsent. lässt größer denken und mutig sein. Wachsende Kluft Je näher es im Bewerbungsprozess zum Bidbook I und II ging und „Offen, kritisch und­ je dichter die Wettbewerbsatmosphäre wurde, desto angespann- „Vielleicht müssen wir ter war das Verhältnis zwischen uns und den Verantwortlichen, die kon­struktiv wollten wir über die nächsten Schritte Bescheid wussten. Wir bewegten uns ­gerade jetzt, wo es Not tut, das Bewerbungsprozedere gemäß unseres ungleichen Wissenstands voneinander weg, das war frustrierend. Gleichzeitig wurde vom Bewerbungsbüro und sehr viel und mit Bedacht­ ­begleiten.“ den Kulturämtern Vertrauen erbeten. Ein für uns schwer verdauli- über uns, Europa, cher Aspekt war das fehlende transparente Vorgehen. Wir fragten uns in der letzten Sitzung vor Abgabe des Bidbooks II, wie denn sprechen. Und uns Fragen Von Anfang an die mittlerweile zweispurige Straße in der Kommunikation mit Das Bewerbungsprozedere startete in Vorarlberg 2015 und nahm unterschiedlichen Tempolimits bei Erlangen des Titels wieder zu ­stellen und gleichzeitig mit Infoveranstaltungen und Workshops rasch an Fahrt auf. Inter- einer einspurigen Fahrbahn gemacht werden könne. Dass kein kla- essiert verfolgte dies auch die freie Szene und formierte sich zu res Bild zum Bewerbungsprozess in der Bevölkerung geschaffen Erzählende wie auch Zu­ einer Interessensgruppe, was sich auch für die Verfolgung weiterer werden konnte, war ebenfalls unbefriedigend. Im Rahmen der hörende sein.“ Projekte als Glücksfall erwies. In einem 2016 erstellten Arbeitsdos- Pandemie ist uns von der IG Kultur Vorarlberg einmal mehr be- sier postulierten die Kulturämter, dass die Einbindung der Bevöl- wusst geworden, dass Informationen nur so gut sind, wie sie auf kerung und der regionalen Kunst- und Kulturszene zu den zentra- verständliche Weise einem breiten Adressatenkreis zur Verfügung Besonders jetzt in der Krise ergänze ich unsere Lieblingsfrage, was len Voraussetzungen und Zielen für diesen Prozess gehöre. Wir gestellt werden. Dass dies in einem Wettbewerb schwer möglich wir Europa erzählen wollen mit einem „Wie wollen wir Europa erachteten diese Aussage als Aufforderung, uns als Interessens- ist, ist nachvollziehbar. Es muss sehr herausfordernd für das Be- erzählen?“. Es scheint in Politik und Gesellschaft derzeit keine vertretung in den Austausch einzubringen: „Wir geben Input und werbungsbüro mit seinen drei engagierten Mitarbeiterinnen ge- nachhaltigen Antworten zu geben, um gesamtgesellschaftlich auf- hinterfragen den Prozess und die Projektideen der Kulturhaupt- wesen sein, zwischen den beteiligten Städten und Regionen, zufangen und vorausschauend mit einer wertschätzenden Kultur stadt-Arbeitsgruppe. Wir informieren und sehen uns als Vermit- zwischen Kulturakteur*innen, Institutionen, Politik, Wirtschaft, des Miteinanders zu agieren. Vielleicht müssen wir gerade jetzt, telnde zwischen der Arbeitsgruppe, unseren Mitgliedern und der Tourismus, Bevölkerung und Jury zu jonglieren und dabei noch wo es Not tut, sehr viel und mit Bedacht über uns, Europa, spre- Öffentlichkeit.“ So hatten wir es formuliert und schickten es im Motivation und Zuversicht zu versprühen, das ist mir heute chen. Und uns Fragen stellen und gleichzeitig Erzählende wie auch Oktober 2016 an die Kulturamtsleiter*innen mit der Bitte um eine bewusst. Respekt dafür! Und Achtung und Dank gebührt auch der Zuhörende sein. Wenn wir das mit Verstand, Herz, Humor, Mut und Einladung zu Gesprächen. Offen, kritisch und konstruktiv wollten Übereinkunft der Städte, sich in einem intensiven Prozess langfris- sehr liebevoll tun, dann glaube ich, haben wir den Titel doch noch wir das Bewerbungsprozedere begleiten. Wir wurden eingebun- tig dem Fokus auf Kultur zu widmen – wohl wissend, dass nicht nur eingeheimst. den. Uns fiel auf, dass wir, wenn wir lediglich Infos vom Projekt- Einigkeit wegbegleitend sein würde. Ich hoffe sehr, dass alle Betei- team abholten und uns darauf beschränkten, Meinung und Kritik ligten nun felsenfest davon überzeugt sind, dass dieser Fokus für abzugeben, eine sehr inaktive Rolle einnehmen würden. Also nah- unsere Gesellschaft überlebensnotwendig ist! men wir uns vor, engagierter mit der Thematik Europa umzugehen, was über den Zeitraum des Bewerbungsprozesses hinausdauern „Wir schaffen das. Wir glauben daran.“ sollte. Daraus entstand ein lebendiger Prozess. Der rege Ideenaus- Der Titel 2024 wird also nicht nach Vorarlberg gehen und ich fasse tausch führte zur Umsetzung von Projekten, die auch vom Bewer- mir an dieser Stelle gemäß des Bewerbungsthemas ein Herz und

46 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 47 Dornbirn und Umraum: Die visionäre Kraft der Bewerbung weitertragen!

Reinhard Kannonier Musikwissenschafter, ­Universitätsprofessor, ­ehemaliger Rektor Kunstuniversität Linz

Am Beginn meiner Beschäftigung mit Die großen Pluspunkte, die für Dornbirn sprachen, waren für mich: Dornbirn stand der Anruf des Leiters #1 der Kulturabteilung, Roland Jörg, Die Situation in Dornbirn selbst. Die Stadt durchlief ab den 90er vor gut eineinhalb Jahrzehnten, der Jahren eine Phase der „kulturellen Urbanisierung“ auf der Basis einer starken Ökonomie. Sie entwickelte ambitionierte Pro- mich fragte, ob ich mir eine externe gramme und Aktivitäten in Mobilitäts- und Gestaltungsfragen (Bei- spiel Stadt- und Landbus) über einen naheliegenden Schwer- Begleitung bei der Erstellung eines punkt Architektur, die neue Inatura, den Spielboden, die Bücherei, Bildungseinrichtungen, den Kunstraum usw. bis hin zu kultureller Kulturleitbildes für die Stadt Dornbirn Vielfalt. vorstellen könnte. Das Ja erfolgte,

weil das Interesse schon vorher da war. #2 D+ Ein einzigartiges, ergänzendes und zugleich forderndes Umfeld Wie zuvor Linz, hatte nämlich auch mit starken kulturellen Partner*innen im unteren Rheintal und im Dr. Reinhard Kannonier hat von 1996 Bregenzerwald (mit seiner einmaligen Verbindung von Tradition bis 2000 gemeinsam mit dem Kulturdirek- Dornbirn eine erhebliche ökonomische und Innovation), darüber hinaus mit dem Ostschweizer Raum tor der Stadt Linz, Dr. Sigi Janko, das Krise ziemlich gut bewältigt und das (St. Gallen, die Textilindustrie und die Tatsache, dass die Schweiz Projekt „Kulturentwicklungsplan Linz“ kein EU-Mitglied ist, was ein reizvoller Aspekt hätte sein können) geleitet. Schon in den 1990er Jahren hat nicht zuletzt durch Forcierung der sowie der Region um Friedrichshafen (steht u. a. für technolo­ sich Dr. Kannonier intensiv mit der kul- gische Innovationskraft). turellen Identität von Städten in Zentral- Interaktionspotenziale zwischen Kultur/ europa beschäftigt und Publikationen Kunst und Wirtschaft. dazu verfasst. #3 Ein starkes politisches Bekenntnis der Stadt Dornbirn zu Kunst Ende 2002 wurde Dr. Kannonier als exter- und Kultur als wesentliche gesellschaftliche Gestaltungsfaktoren, ner Experte eingeladen, eine Grund­- aber auch – was für den Bewerbungsprozess selbst sehr bedeut- lagenstudie für ein Kulturleitbild für die sam war – zu partizipativen, auch kontrovers geführten Prozessen. Stadt Dornbirn auszuarbeiten und darauf Damit ist schon ein wichtiger inhaltlicher Aspekt angesprochen, Dies haben die ausgezeichnet organisierten und durchgeführten aufbauend den Prozess der Erstellung des­sen Entfaltung in der angesprochenen Region auch für die EU Veranstaltungen und Diskussionen zu den Kulturleitbildern und des ersten Kulturleitbildes der Stadt zu ex­emplarisch hätte sein können (z. B. in der Überwindung der dann während des Bewerbungsprozesses bewiesen. begleiten. Auf Grund seiner Expertise und strikten Trennung zwischen sogenannten „harten“ und „weichen“ seiner umfassenden Auseinandersetzung Standortfragen). Die folgenden Analysen und Prozesse zur Erstel- mit der kulturellen Entwicklung in Dorn- lung des Kulturleitbildes 2005 und seine Überarbeitung 10 Jahre birn folgte die Stadt seiner Anregung, sich später machten mir klar, dass sehr vieles für eine Bewerbung zur Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ungeachtet des Ausgangs mit dem regionalen Umfeld als Kultur- europäischen Kulturhauptstadt sprach. Vor allem weil es möglich des Bewerbungsverfahrens (das letztlich keinem konkurrierenden, hauptstadt Europas 2024 zu bewerben. Als schien, eine inhaltliche Vision jenseits jener der meisten vorheri- sondern einem gänzlich anders positionierten Projekt den Vorzug 2019 im Zuge des Bewerbungsprozesses gen Träger*innen dieses Titels (deren Programme vorwiegend ver- gab), inhaltliche Achsen entwickelt wurden, die weiterhin verfolgt eine Erweiterung des bestehenden Kultur- anstaltungsorientiert waren) zu entwickeln und Kernthemen von werden sollten. Die umfasst die Kulturleitbilder, den sehr ambitio- leitbildes mit dem Titel „Perspektiven eben durchaus europäischen Dimensionen (später zusammenge- nierten Bewerbungsprozess sowie die partizipative Offenheit der 2030“ erstellt wurde, stand er eben­falls fasst unter „Outburst of Courage“, Grenzen überschreiten usw.) Stadt Dornbirn und der Region. beratend zur Seite. anzusprechen.

48 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 49 Der Tritt in den Allerwertesten – Oder: Da sind sie, all die schönen, neuen Andockstellen

Ruth Swoboda Direktorin Museum inatura

Als inatura Erlebnis Naturschau hatten Wenn wir den Meinungen vieler Zukunftsforscher*innen glauben dürfen, wird die Welt mehr und mehr von Regionen und nicht von wir das Vergnügen, ganz weit vorne Staaten regiert werden. Was bedeutet das für uns als Kulturein- richtungen? Wo stecken die Chancen für uns als Naturkundemu- auf Bettina Steindls „Kennenlern-Tour“ seum? Genau solche Fragen waren plötzlich sehr präsent. Auch als durch Vorarlbergs Kulturszene zu sein. inatura leiden wir immer wieder an chronischer Zerrissenheit zwi- schen gesellschaftlichen Entwicklungen, Aufträgen und unseren Und es war ein gutes Zeichen, dass Personalressourcen. Das hat natürlich zur Folge, dass man erfolg- reiche Pfade kultiviert, und die Arbeit an und mit neuen Part- nach gefühlten zehn Minuten bereits ner*innen oder neuen ressortübergreifenden Ebenen oft unter- geht. Mit Bettina Steindl kam der Tritt in den Allerwertesten – Pri- einige Seiten des Schreibblocks von oritätenlisten und Jahrespläne wurden ordentlich durcheinander Bettina gefüllt waren. Es war sofort gewirbelt und das nicht nur bei uns in der inatura. Plötzlich kamen Partner*innen auf einander zu, Netzwerke erwachten. „Mutaus- klar, dass das Projekt Kulturhauptstadt brüche“ hingen in der Luft und zwei Bidbooks konnten gefüllt werden. „Europa wir kommen trotzdem!“ rief Bürgermeisterin Andrea Kauf- nicht von einem Jahr voller künstlich mann am Abend der Niederlage. Genau das ist die Antwort, die wir Es wäre natürlich keine gute Geschichte von Held*innen, neuen als Gesellschaft in Zukunft brauchen. Wir als Kultureinrichtungen initiierter Megaevents geprägt sein Wegen und Abenteuern ohne Hindernisse. Und so kam es auch in werden die Fragen nach dem Was und dem Wie sicher nicht ver- sollte. Hier ging es um Regionen, um diesem Prozess zu Dämpfern bis hin zum Schlag in die Magengrube stummen lassen. Aber wir alle brauchen Menschen, die uns immer als klar wurde, dass „Dornbirn plus“ nicht das Rennen für 2024 wieder anstoßen, die uns neue Wege und Andockstellen aufzeigen, einen Kulturbegriff, der Naturräume machen würde. Auch wenn es seltsam klingen mag, aber für uns die kritisch unsere Reichweite und Wirkung hinterfragen, die zwi- als Kultureinrichtungen war das nicht so dramatisch. Zu schwer schen Welten vermitteln und übersetzen, die Boden bereiten und genauso mitdenkt wie den öffentlichen wiegen all die positiven Entwicklungen und Ergebnisse. die Gabe besitzen, konkret zu werden. „Hätten wir doch weiterhin ein geprüftes, hoch professionelles, mutiges und vor Energie und Verkehr oder Kunst im öffentlichen Freude strotzendes Team im Lande!!!“ Raum. Bettina Steindl steckte uns mit Ich persönlich freue mich sehr auf den ersten Mutausbruch im • Wann hat es je zuvor einen so breit angelegten Prozess neuen Jahr. Gemunkelt wird schon von einigen tollen Projekten in ihrer Energie sofort an und stieß die im Kulturbereich gegeben? den Startlöchern. Wer es genauer wissen will: „Ask the Mayor“! • Eine mutige Bürgermeisterin, die gemeinsam mit ihren Tore nach Europa ganz weit auf. Kolleg*innen an einem so BREITEN KULTURBEGRIFF FÜR D+ EINE REGION gearbeitet hat, gab es bis dahin noch nie. • All die Projekte, die nun fertig ausgearbeitet vorliegen. Ruth Swoboda ist Direktorin von einem der • Gelder, die von Seiten der EU trotzdem fließen. Denn meistbesuchten Ausstellungshäuser in Dornbirn plus hat Eindruck hinterlassen. Vorarlberg und außerdem eine mutige und • Netzwerke, die entdeckt und in der Kulturlandschaft kluge Wegbegleiterin. Klar und deutlich Vorarlbergs verzeichnet wurden, stehen nun zur Nutzung sagt sie ihre Meinung, denkt und handelt zur Verfügung. beeindruckend schnell und überzeugt • … Kritiker*innen nachhaltig. Ihre Power und Visionskraft sind überwältigend und Vor- bild. Dieser Beitrag bestätigt, dass wir vieles richtig gemacht haben und dass wir weiterhin gemeinsam auf dem Weg sind.

50 Gemeinsam auf dem Weg Wegbegleiter*innen 51 Ou tb u r

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c o u r ag Titel, Motto und Haltung der Bewerbung – e warum es einen Mutausbruch braucht Kunst und Kultur als Mission und Haltung

Bettina Steindl Leiterin Dornbirn plus

Outburst of Courage! Eine Ansage, eine Bei der Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas geht es einen Kulturhauptstadtbewerbungsprozess alle Probleme und unseren Vorhaben und Erfolgen auch ohne Kulturhauptstadttitel. nicht um das Beschönigen des Jetzt, sondern um das Wissen der Herausforderungen eines Landes lösen zu können. Den hier ge- Sie lesen sich so: (Heraus-)forderung, ein Aufruf, eine Herausforderungen für die Zukunft. Virulente Probleme (finanzi- nannten Fragestellungen haben wir uns ausführlich gewidmet. Aus dem Kulturhauptstadtprozess heraus entsteht das Euro- elle Grundsicherung von Künstler*innen, leistbare (Atelier-)Räume, Warum? Weil sie ganz Europa betreffen und damit überregional päische Kreativinstitut Vorarlberg (European Creative Institute). Haltung. Mit dem Motto unserer Be- Gleichstellungsthemen wie der höchste Gender Pay Gap Öster- relevant sind. Unser Ehrgeiz und Anspruch war und ist: Wer, wenn Das Institut wird sich um die Entwicklung des künftigen Kreativ- werbung als Kulturhauptstadt Europas reichs in Vorarlberg, etc.) und brennende Fragestellungen (Über- nicht die Menschen und Unternehmen in Vorarlberg sollte die zentrums CampusVäre in Dornbirn kümmern, um die Ansiedelung windung von Saturiertheit, Aufbruch in die Zukunft, mutiges Den- besseren Lösungen finden? Wir brauchen dazu die Netzwerke und von Kreativwirtschaft und um eine sicht- und spürbare Vernet- haben wir uns selbst und Europa eine ken und Handeln, etc.) im Land haben wir in Bevölkerungsbeteili- Partnerschaften des Vier-Länder-Ecks, um staatenübergreifend zung mit Europa. gungsprozessen und Expert*innengesprächen erhoben, analysiert zu agieren; kreative Kräfte aus ganz Europa im Land, um die The- Ansage gemacht. Wir haben dazu und zur Bearbeitung in künstlerischen Projekten und Prozessen in menfelder zu bearbeiten und offene politische Haltungen, um sie drei Programmlinien zusammengefasst. schließlich implementieren zu können. „Raus aus der Komfort­- aufgefordert, Saturiertheit und Selbst- Konzepte und Visionen lesen sich theoretisch und abgehoben, gefälligkeit zu bezwingen. Wir haben POLIS MIND sollte sich mit dem Zusammenleben von Menschen das wussten wir. Also begannen wir, erste Pilotprojekte umzuset- zone – trauen wir aller Ethnien, Religionen, Herkunft, Geschlechter und Orientie- zen. Wir haben damit gezeigt, wohin der Weg gehen kann: Lokale dazu aufgerufen, Grenzen im Tun und rungen im Spannungsfeld von Stadt und Land beschäftigen. Was Kulturvereine, Kunstschaffende und Künstler*innen setzen ge­- uns und Vorarlberg zu, brauchen Städte und Dörfer der Zukunft? Welche Infrastruktur- meinsam mit europäischen Partner*innen Projekte um. Gemein­ die Zukunft aktiv zu im Geiste zu überwinden. Wir haben en und Services müssen sie ihren Bürger*innen bieten, um ein sam hoben wir den Schatz des Vorhandenen und zeigten im Land, gutes Zusammenleben zu fördern? In welcher Form und wie sol- in Österreich und ganz Europa das Können der hier lebenden gestalten.“ angeboten, den größten Transfor- len Begegnungen stattfinden und welche Werkzeuge braucht es Menschen. Wir sind davon überzeugt, Vorarlberg muss eine Mo- mationsprozess der Gesellschaft seit dafür? NO FRONTIERS sollte unsere Grenzen im Handeln und dellregion für innovatives Handeln und Pilotregion für Kreativität Denken sprengen und die Angst vor neuem nehmen. Die Grenzen in Europa werden. Die Kreativen sind der Rohstoff der Zukunft – Seit vielen Jahren gibt es in Vorarlberg Bestrebungen, das Areal der Industrialisierung über und mit den im Bodenseeraum sollten fallen und das Potential einer einzigar- wir werden es noch öfter lesen in dieser Publikation. Ganz Europa rund um die Fachhochschule in Dornbirn künstlerisch und krea- tigen Vier-Länder-Region genutzt werden. In der Programmlinie buhlt um die Aufmerksamkeit und die Arbeitsleistung von kreati- tivwirtschaftlich zu entwickeln. Im Rahmen der Kulturhauptstadt- Mitteln der Kunst (be-)greifbar zu REALITY DISRUPTION wollten wir uns der Digitalisierung widmen: ven Menschen. Vorarlberg sollte das vorhandene Potential nutz- bewerbung wurde das Areal als Beispiel für Quartiersentwicklung digitale Unabhängigkeit von den Weltmarktführern in Sachen Da- ten: als Teil des Vier-Länder-Ecks, als wunderbarer Naturraum, über inhaltliche Bespielung und Kuration bearbeitet. Viele Pro- machen: die Digitalisierung. Wir wollten tenspeicherung und -verwendung. Wir sahen uns schon als klei- bekannt für seine Handwerkskunst und Architektur, gute Touris- jekte aus dem Prozess, die gemeinsam mit den Städten und dem die Herausforderungen der Gleich­ nes gallisches Land, das seine eigenen Daten(speicher)systeme muswirtschaft und innovatives Denken hat es alle Voraussetzun- Bregenzerwald, mit Kunst- und Kulturschaffenden, Institutionen, hat – so in der Art: „Die ganze Welt wird von einem Datenerhe- gen dafür. Wir plädieren: Raus aus der Komfortzone – trauen wir Wirtschaft, Industrie und der Bevölkerung ausgearbeitet wurden, stellung der Geschlechter nicht disku- bungssystem beherrscht … Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeug- uns und Vorarlberg zu, die Zukunft aktiv zu gestalten. Und wenn wir werden hier in Zukunft sichtbar verortet. Leistbare Atelierräume, samen Vorarlberger*innen bevölkertes Land hört nicht auf, Wi- scheitern? Dann stehen wir auf, richten unseren Blick nach vorne, Freiraum für Kunst- und Kulturschaffende und die aktive Ansiede- tieren, sondern lösen. „Wie wollen derstand zu leisten …“ Wir wollten die Digitalisierung wohlwollend- sammeln alle Kräfte und versuchen es nochmal. lung von (jungen) Kreativunternehmen haben Priorität – es soll ein wir in Zukunft zusammenleben?“ war kritisch diskutieren und herausfinden, wie wir diese Entwicklung pulsierendes Quartier entstehen, das auf ganz Vorarlberg wirkt des 21. Jahrhunderts sinnstiftend einsetzen und wo wir sie kritisch „Geht ned, gibt’s ned“ und nach Europa strahlt. Die Schwerpunkte und Programmlinien, und ist die Metaebene all unserer hinterfragen müssen. Wie steht es um unsere psychische und phy- Als wir unseren Mitbewerbern Bad Ischl zum Titel Österreichische die für die Kulturhauptstadt erarbeitet wurden, dienen als Grund- sische Gesundheit? Können Menschen es aushalten, permanent Kulturhauptstadt Europas 2024 gratulierten, brach hinter der Fas- lage der Entwicklungen und künftigen kuratorischen Tätigkeiten. ­Fragestellungen. informiert und erreichbar, sozusagen „on duty“ zu sein? Brauchen sade eine Welt zusammen. Ich glaube ich kann hier für das ge- Outburst of Courage war nie nur der Titel der Bewerbung, son- wir digitale Rückzugsräume und neue Formen des Arbeitslebens? samte Projektteam sprechen. Trauer, Enttäuschung, Scham und dern ist unsere Haltung und Überzeugung! Die Stadt Dornbirn als Ist die Vorarlberger Mentalität des „g’hörig seins“ die richtige da- ein „Was jetzt?“ haben sich auf der Heimfahrt nach Vorarlberg zu Bannerstadt des Bewerbungsprozesses sichert mit dieser Ent- für oder ist es an der Zeit, den Generationenwechsel bewusst zu- uns gesetzt. Und sie sind eine Zeitlang bei uns geblieben, sie woll- wicklung die Nachhaltigkeit des Prozesses, zeigt Mut und Bewusst- zulassen und diese entscheidenden Fragen an die Zukunft gemein- ten unsere Begleiter werden. Dann dachte ich an meinen Freund sein für die Wichtigkeit einer Investition in Kreativwirtschaft, sam zu beantworten? Dieter M., der Produktionsleiter großer Festivals in Österreich ist. Kunst- und Kultur. Sie wirken langfristig positiv auf Städte, Gemein- Sein Spruch „Geht ned, gibt’s ned“ ist seither das Mantra – Trauer den und Lebensräume und damit auf die, die Städte und Gemein- Die drei Programmlinien bilden die Fragen und Bedürfnisse vieler und Scham haben sich inzwischen verabschiedet. Die Enttäu- den ausmachen: die Menschen. in Vorarlberg lebender Menschen ab. Es wäre anmaßend, über schung taucht noch von Zeit zu Zeit auf. Wir erzählen ihr dann von

54 Outburst of Courage 55 #grenzmomente 2017–2019 Dornbirn plus Projekte

Vorarlberger*innen teilen DEN Grenzmo- ment ihres Lebens. Mit nur einem Bild zeigten Menschen auf Instagram ihre ganz persönliche Grenzerfahrung. Das Ergeb­nis: Komm mit! eine Fotosammlung emotionaler und Wir feiern Europa und machen persönlicher Momente von Grenzgänger*­ Europaklasse einen Ausflug Gemeinsam mit Künstler*innen, Kulturins- innen und verschiedene Blickwinkel über 2016–2024 5. Mai 2019, titutionen und der Bevölkerung in der den Sinn oder Unsinn von Grenzen. von Lustenau dem Bodenseeregion konzipierten wir auf dem Rhein entlang Weg zur Kulturhauptstadtbewerbung erste Projekte und setzten sie um. Über öffentliche Calls, Netzwerke und Koopera- tionen haben wir die europäische Dim­ ension unseres Vorhabens vermittelt und unser Verständnis von einem breiten Kunst- und Kulturbegriff konkret erlebbar Wir begleiten eine Schulklasse auf ihrem Wir feierten den Europatag und luden gemacht. Über die Projekte erreichten Weg zu einer europäisch denkenden zusammen mit Alexandra Hefel und ihrem wir die Menschen, wir haben sie einbe­zo­ und handelnden Gemeinschaft. Europa Ausflugsbüro zu einer Reise ein, um über gen und ihnen vermittelt, wie Kultur­ wird in den Medien und in der Gesellschaft den Rhein und die Grenzen nach Europa hauptstadt sein könnte. Gemeinsam mit intensiv diskutiert, für Jugendliche wirkt zu schauen. Viele kuriose und erstaun-­ den Kreativen dieser Region brachten Europa aber zunehmend abstrakt. Seit liche Geschichten haben sich hier in den wir Europa näher zu den Menschen und 2016 führt diese Klasse einen kreativen letzten Jahrhunderten zugetragen – ein sen­si­bilisierten sie für Europa. Kultur Dialog über Europa – vom ersten Schul­- paar davon wurden an diesem Tag erzählt. säen, Europa ernten: Alle waren eingela- tag bis zur Matura im (Kulturhauptstadt-) den, alle konnten dabei sein. Jahr 2024. • Kurt Fischer, Bürgermeister Lustenau Hier eine Übersicht → • Gymnasium Schillerstraße, Feldkirch • Alexandra Hefel, Ausflugsbüro • Frauke Kühn, • Peter Melichar, netzwerk:literatur ­Vorarlberg ­Historiker/­vorarlberg museum • Sabine Benzer, • Spielbodenchor Theater am ­Saumarkt • Heinz Wohlwend, Bergführer • Nach einer Idee von Barbara Herold

Beeindruckende kleine große Europäer*innen beim Philosophieren. Unser Ausflug zum Nachschauen.

56 Outburst of Courage 57 Dornbirn plus FAQ Bregenzerwald und poolbar Festival Feldkirch 2019 und 2020

Let’s fund out Handlungsanweisungen auf Schildern & Grenzübergreifende forderten Menschen dazu auf, sich eine Fördermöglichkeiten mutige Handlung mitten in der Natur 12. Februar 2019, des Bregenzerwaldes und beim poolbar Villa Müller Feldkirch Festial in Feldkrich zu erlauben. Wir haben Menschen dazu gebracht, über ihren Schat­ten zu springen, Polonaisen zu star­- ten, ihre Liebe zu zeigen, für etwas Europaflashmob: einzustehen oder einfach laut zu singen. Wir sind Europa 1. Juli 2018, Wir forderten einen #outburstof­courage, Marktplatz Dornbirn Auf dem Weg zur Kulturhauptstadt haben um die zurückhaltende und bescheidene wir Kunst- und Kulturschaffende infor- Vorarlberger Mentalität aufzurütteln. miert und vernetzt. Gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur luden wir regelmäßig zu Informationsver- anstaltungen über EU-Föderprogram- me ein. Dabei wurden Kontakte geknüpft, Ideen gesponnen und offene Fragen geklärt. Gemeinsam mit der Stadt Dornbirn und der Wirtschafskammer Vorarlberg waren • Elisabeth Pacher und Stefanie wir Teil eines spektakulären Flashmob ­Brunmayr, Bundekanzleramt am Marktplatz von Dornbirn. Anlass war Österreich Österreichs Übernahme der EU Ratspräsi- • Liz Kim, Projekte: Dancing Museums dentschaft. Eine Ode an die Freude – und Migrant Bodies – Moving denn wir alle sind Europa und können Borders unser Europa gestalten. • Anisa Hasanhodžić und Rifet Rustemović, Projekte: Being • Stadt Dornbirn refugee: a European narrative • Wirtschaftskammer Vorarlberg

Gänsehautmoment Was Menschen auf Bergen „Ode an die Freude“ fragen und tun.

58 Outburst of Courage 59 Von der Postgarage Dornbirn über den Dreiländerblick und das Bödele ins Kunsthotel Hirschen und zu den Juppenfrauen in Schwarzenberg; von Kultur säen – dort in den Werkraum Bregenzerwald DANKE! Europa ernten Juryvisit und bis nach Hohenems an den alten Mitwirkende Europakalender 6. November 2019 Rhein, ins Lit­eraturhaus, das Jüdische • Jürgen Weishäupl, Künstlerischer seit 2018 Viertel, ins ­Jüdische Museum und zum Leiter Dornbirn plus Schluss ins Montforthaus Feldkirch. • Stefan Hagen, Hagen Management • Kathrin Netter, Leiterin Unsere Idee für den Juryvisit: In and ­Bregenzerwaldarchiv out! Außen traf die Jury auf Menschen aus • Quarta 4 Länder der Region und lernte die großartigen ­Jugendphilharmonie Dinge Vorarlbergs persönlich kennen. In- • Peter Fetz, Kunsthotel Hirschen nen, also im Bus, sprachen die Mitwirk- • Emanuel Moosbrugger, Europa ist nicht immer einfach zu ver- 1 Tag enden über Schwierigkeiten und Heraus- Biohotel Schwanen ­stehen. Wir haben Fragen zu Politik, 4 Jurymitglieder forderungen dieser Region und warum es • Verein INTRACHT Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig 2 Vertreter*innen aus dem einen Outburst of Courage braucht. • Lehrling Tischlerei Schmiedinger wächst und gedeiht ein Europa voller Bundeskanzleramt Sie sprachen über zu wenig Kinder­betreu­ • Angelika Schwarzmann, Neugier und Leidenschaft: ein Europa der 1 Vertreter der ungs­möglichkeiten, Integration, Satu­ Bürgermeisterin Alberschwende Freude und der Freunde, ein Europa der Europäischen Kommission riertheit, das G’hörig sein, Arbeitbedingun- • Miriam Kathrein, ehem. Leiterin Kulturen und der Kreativität. 13 Stationen gen uvm. Immer im Fokus: unsere 3 Werkraum Bregenzerwald 19 Vertreter*innen aus Pro­gramm­linien Reality Disruption, Polis • Hanno Loewy, Direktor Jüdisches Mit der Kampagne „Kultur säen – Euro- Kunst, Kultur, Politik, Mind und No Frontiers. Museum Hohenems Dornbirn DE Welcome Europe, 1 Bar10Zimmer Lindau pa ernten“ sammeln wir in Zusammenar- Gesellschaft2 Postgarage Campus V und Tourismus LAKE • Frauke Kühn, Leiterin let’s discover digital initiatives CONSTANCE 3 Dornbirn Public Library beit mit den Kulturinstitutionen und 1 Landbus4 View of three countries Bregenz Noch heute sind wir beeindruckt von der Literaturhaus Vorarlberg Dornbirn, Dreiländerblick

St. Gallen den Kunst- und Kulturschaffenden im Bo- the Bregenzerwald, Bregenzerwald Dornbirn Begeisterung und Professionalität der • Marie-Louise Hinterauer, 5 Dance Venue Tanzhaus CH Schwarzenberg Bregenzerwald RHINE Hohenems denseeraum Veranstaltungen aus allen Hohenems exakt 8 6Stunden Art Hotel Hirschen Zeit Mitwirkenden! Sie alle haben unsere Arbeit World Gymnaestrada 2019 and Feldkirch. 7 Werkraum Bregenzerwald Sparten von Kunst und Kultur zum Thema #keineminutelänger:Hohenems Feldkirch und das Motto • Eva Thurnher, Vorarlberg Outburst of Courage 8 Old Rhine Hohenems

9 House of Literature Bludenz Europa. Daraus entstanden ist der von Vorarlberg FL für der Jury auf beeindruckende Weise World Gymnaestrada 2019 #outburstofcourage 10 The Old Jewish Quarter Tyrol www.dornbirnplus.eu 11 Jewish Museum uns entwickelte digitale Europakalender. Das war der Juryvisit. RHINE vertreten. • Iskender Iscakar, CH Feldkirch 12 Palais Liechtenstein Feldkirch Offene Jugendarbeit Meiningen 13 Montforthaus Feldkirch Auf einen Blick werden hier Veranstaltun- Behind the scenes Information: Einen • Harald Petermichl,

Mem ming gen zum Thema Europa kommuniziert en 9 Tag vor dem echten Juryvisit probten wir Kulturamtsleiter Feldkirch 0 km und veröffentlicht. Um auf den Europa­ GERMANY den gesamten Tag mit einer „Fakejury“. • Edgar Eller,

M LAKE CONSTANCE un #fakeituntillyoumakeit Leiter Stadtkultur Feldkirch kalender aufmerksam zu machen, haben i ch 2 20 k wir eine breitenwirksame Kampagne m • Europaklasse, Gymnasium gestartet: Blumensamen und Stofftaschen Bregenz Eine Generalprobe die uns auf die Minute ­Schillerstraße Feldkirch wurden auf Wochenmärkten verteilt, und das Wort genau zeigte, was wir am • Alexandra Hefel, Ausflugsbüro 36 km po a wer r na St. Gallen-Altenrhein o p f

an Diversifikatoren und Kulturinstitutionen e nächsten Tag verbessern können. An dies­- • Sabrina Weithaler,

m i T Andelsbuch 4 3 20 km Schwarzenberg6 verschickt, Plakate in allen Städten und 7 er Stelle nochmal Danke allen Mit­wirk­ Unterstützung Ausflugsbüro 1 5 2 m 9 am ≈ 12:45 pm k

Gemeinden aufgehängt und Anzeigen im 0 SWITZERLAND enden! #yourock 2 1 8

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u Dornbirn e gesamten Bodenseeraum geschaltet. Z n Fakejury 10

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Damit steht den Kulturinstitutionen ein zu- k • Theresa Feurstein, Weiss Bregenz

Bregenzerwald m sätzlicher Kommunikationskanal zur • Christian Feurstein, Super BfG Hohenems 32 000 RHINE

Verfügung und wir alle kommen Europa 16 000 • Martin Hölblinger, ein Stück näher. ehem. Kulturamtsleiter Hohenems

20 km • Nadja Grizzo, • PROXI Design Beraterin Dornbirn plus 12 5 pm 13 • Kunst- und Kulturinstitutionen, PRINCIPALITY OF • Hanns-Dietrich Schmidt, LIECHTENSTEIN 37 000

Kulturschaffende, Städte Feldkirch Berater Dornbirn plus

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l i  Bad Ischl 400 km und Gemeinden rund um den M • Lisa Ugrinovich, vai Vorarlberger Bodensee  St. Pölten 570 km Architektur Institut Bludenz • Oscar Müller, FH Vorarlberg • Brini Fetz, hej studios

#emergencynumbers Bettina Steindl (Head of the bidding team) T +43 676 833 06 90 78 Theresa Bubik T +43 676 833 06 90 79 Lisa-Maria Alge T +43 676 833 06 90 81

Der Tagesablauf der Jury im Detail.

60 Outburst of Courage 61 Ich, Oma, Opa We go green und Europa 6. März 2020, 2017–2019 Festspielhaus Bregenz

Familiengeschichten in einer Vierlän- Eine Informations- und Netzwerkver- derregion sind sehr europäisch. Die Oma anstal­tung gemeinsam mit dem Bundes- stammt aus Liechtenstein und verliebte ministerium für Kunst und Kultur zum sich in den Vorarlberger Opa. Der Sohn Thema Green Events, Green Locations und heiratete in die Schweiz, die Enkelin Green Museums im Festspielhaus Bregenz. studiert heute in England. Wir wollten Über 60 Teilnehmer*innen aus allen Be­- diese Geschichten europäischer Zeitzeu- reichen der Kunst und Kultur und aus dem genschaft hören und riefen dazu auf, sie gesamten Bodenseeraum nahmen teil Denkwerkstätten Dialogwerkstätten uns in Bildern und Texten zu erzählen. und informierten sich über nach­hal­tiges 2016–2017 2017 In Kooperation mit der Vorarlberger Tag­- Handeln und Wirtschaften in Kul­tur- eszeitung, den Vorarlberger Nachrich- ­insti­tutionen und bei Veranstaltungen. ten, haben wir die interessanten Zeitdoku- mente publiziert und öffentlich zugäng- • Georg Tappeiner, lich gemacht. Green Events • Eva Engelberger, • 20 Geschichten und KUNST HAUS WIEN Bericht­er­stattungen in den • Urs Treuthardt, Bodensee ­Vorarlberger Nachrichten ­Vorarlberg Tourismus Chancen und Risiken der Bewerbung Alle Bürger*innen waren eingeladen • Bundesministerium für Kunst, wur­den mit Expert*innen besprochen: mitzureden, sich am Prozess zu beteiligen, Kultur, öffentlicher Dienst Ideen, Bedenken und kulturpolitische Not- die eigene Meinung zu teilen und neue und Sport wendigkeiten der Zukunft. Die Ergebnisse Sichtweisen kennenzulernen. Drei viru- • Bundesministerium für der Denkwerkstätten wurden auf einer l­ente Themenfelder haben sich ergeben: Klimaschutz, Umwelt, Energie, Pressekonferenz vorgestellt und sind als Wir in Europa, Rhein Tal Stadt und Über Mobilität, ­Innovation und Input in die Diskussionsrunden der Dia- Grenzen. Diese drei Themen flossen ­Technologie log­werkstätten geflossen. in der Folge in die Pro­grammlinien POLIS • Green Events Austria MIND, REALITY DISRUPTION und NO • ICOM Österreich • Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, FRONTIERS ein. Hohenems • 80 Teilnehmer*innen • Feldkirch, Bregenz, Dornbirn, Hohenems, ­Schwarzenberg, Lochau, Themen Partenen, Nenzing, Klaus, Hard • Spiel- und Produktionsstätten • 200 Teilnehmer*innen • Kulturhauptstadt und regionale Kunst- und Kulturszene Themen • Integration – Migration • Wir in Europa • Regional- und Stadtentwicklungen • Rhein Tal Stadt • International – Regional • Über Grenzen

← Erkenntnisse, Ergebnisse, Mindmaps → und Bilder – hier entlang.

62 Outburst of Courage 63 • Theaterverein Bizau #weact • Galerie Hollenstein, Claudia Voit, Outbust of Culture Lustenau 16. März – 19. Mai 2020 • Michael Hausenblas, Journalist, Wien • Stadtarchiv Dornbirn • Jüdisches Museum Hohenems, Hanno Loewy STARTprojekte • Angelika Kauffmann Museum, 2018–2019 Schwarzenberg • Super Büro für Gestaltung, Egg Was tun, wenn ein Lockdown plötzlich • Salzkammergut 2024 alle Kunst- und Kulturveranstaltungen ­un- • Kunstraum Dornbirn ­­möglich macht? Handeln! Wir haben den • Stadtbibliothek Dornbirn digitalen Vorhang gehoben und starte- • vai Vorarlberger Architektur Institut, ten am ersten Tag des ersten Lockdowns Dornbirn eine tägliche digitale Beitragsreihe. • Frauenmuseum Hittisau Kunst- und Kulturveranstaltungen, die • Theresia Hochleitner, Designerin, Mit den STARTprojekten haben wir klei- nicht stattfinden­ konnten, kamen individu- Reichenau ne, feine Piloten gestartet, um den Kunst- ell für uns gestaltet und virtuell zu den • Stadtkultur Feldkirch und Kulturschaffenden und Menschen Menschen – und teilweise in gedruckter • aktionstheater ensemble, in der Region die Kulturhauptstadt (be-) Form in die Vorarlberger Nachrichten. Dornbirn/Wien greifbar zu machen. Wir zeigen damit, #cooperation • Stadtmuseum Dornbirn was Kulturhauptstadt sein kann, nämlich • Daniela Fetz, Gestalterin, Lustenau Kunst und Kultur von allen für alle. 10 • Reinhold Bilgeri, Hohenems • AMRO, Gerda Haunschmid, Linz START­projekte à € 2.024,– wurden juriert • inatura Dornbirn • Healthyboyband, worldwide :-) und umgesetzt. Jedes einzelne davon war • Kunstgewerbemuseum Dresden • Kulturamt Konstanz großartig, manche finden weiterhin statt. • Hej studio, Kopenhagen/Bregenz • Werkraum Bregenzerwald • Bodenseefestival, AT/D/CH/FL • Junge Römer Wien, • W*ort, literatur:vorarlberg, Theater • Europaabteilung Land Vorarlberg, Andreas Fraunberger am Saumarkt: FamilienGeschichte, Bregenz • Berliner Festspiele grenzüberschreitend • Schloss Hollenegg for Design, • Quarta – 4 Länder • Sabine Marte: Körperschleifen/ Schwanberg ­Jugendphilharmonie, Europa Raumfragment • Spielboden Dornbirn • Homunculus, Dieter Heidegger, • Andreas Paradioudakis-Fink: • netzwerkTanz, Dornbirn Hohenems Unter der Laterne • MAK, Christoph Thun-Hohenstein, • Jürgen Weishäupl, Kulturmanager, • Brigitte Walk: Am Zug Wien Wien/Palermo • Alice von Alten, Ursula Gaisbauer, • Lisa Mauracher, Musikerin, Kufstein • Theater am Saumarkt, Feldkirch Nora Gutwenger, Nadine • Textilmuseum St. Gallen • NONA Architektinnen, Dornbirn ­Hirschauer: Schichten. Mögliche • Stadt Dornbirn • Illustrators against Covid, Wien Grenzen • Typejockeys, Wien • Cornelia Baumgartner, • Live! Förderverein für Livemusik- • Kulturjahr Graz 2020 Sound­designerin, Bregenz kultur: SoundOhneGrenzen • Verein INTRACHT, Bregenzerwald • Montforter Zwischentöne, Feldkirch • Johann Peer, Jüdisches Museum • Verein08, Wien • MAK Stickerei-Museum, Lustenau Hohenems: Flucht und Widerstand • Team St. Pölten 2024 im Nationalsozialismus • Kulturamt Lindau • Andrea Streibl, Marcus Harms: • FLATZ Museum, Dornbirn GrenzüberSCHREItung • netzwerkTanz, Brigitte Herrmann, • Verein Amazone: artGIRLSculture3 Dornbirn • Nesa Gschwend: Living Fabrics • Zeppelin Museum, Friedrichshafen

• Angela Lamprecht, Fotografin, Von den Typejockeys haben wir nicht Bregenz nur unsere schönen Fonts, sondern auch • Walktanztheater, Brigitte Walk, ganz viel Unterstützung bekommen. Für #weact haben sie uns ein Alphabet Feldkirch für die Coronazeit kreiert. #gemeinsamaufdemweg

64 Outburst of Courage 65 66 Outburst of Courage 67 Vom Anfangen, fast Gewinnen und Weitermachen

Theresa Bubik Projektmanagerin Dornbirn plus

A wie Anfang Ich fand es faszinierend welche Entwicklungen Städte und Regio- zentrum Wien) und aus verschiedenen Bereichen einer Kultur- nen durch diesen Prozess machen und war von den entstandenen hauptstadt bzw. auch Bewerberstädten, die den Titel nicht erhiel- Als ich im Oktober 2015 meinen Job Projekten begeistert. Kurzum, ich hatte Blut geleckt und freute ten. So facettenreich wie die Vortragenden waren auch die Teil- mich sehr über die Möglichkeit in Vorarlberg Teil des Bewerbungs- nehmenden, die aus dem gesamten Bodenseeraum kamen. In Po- im Stadtmarketing in Bregenz antrat, prozesses zu werden. Die kommenden Absätze sind ein persönli- diumsdiskussionen, den Pausen und dem Ausklang am Abend war der Stein für die Bewerbung cher Abriss dieses Weges. Auf die stetige Verwendung von Flos- wurde das Thema Kulturhauptstadt hinterfragt und erörtert und keln wie „ich denke“ und „meiner Meinung nach“ werde ich daher nach den zwei Tagen hatten alle ein Bild davon und eine Meinung als Kulturhauptstadt Europas bereits größtenteils verzichten. Das Folgende ist nicht objektiv, es spiegelt dazu. Ob es eine gute oder schlechte Meinung war, bleibt dahin- meine Sichtweise wider und kann/wird von anderen anders ge­­ gestellt, aber das war für uns stets nicht nur in Ordnung, sondern ins Rollen gebracht. Ich hatte meinen sehen werden. willkommen.

­Master in Kulturmanagement kurz zuvor Die Idee, sich als Kulturhauptstadt Europas 2024 zu bewerben war abgeschlossen und war im Studium über das letzte Jahr an verschiedenen Stellen, bei der Kulturen- „Ob es eine gute oder quete im Frühjahr 2015 und in Gesprächen mit verschiedenen immer wieder mit dem Thema Kultur- Expert*innen, gereift. Die Städte Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und schlechte Meinung war, Hohenems haben schnell erkannt, dass eine gemeinsame Bewer- neue Projektleitung und schlug mit ihrer ruhigen und bedachten hauptstadt in Berührung gekommen. bung im Verbund am meisten Früchte tragen kann. Zum einen ist bleibt dahingestellt, Art einen neuen Ton an. Auftakt der gemeinsamen Arbeit war An- das Ländle eben doch von überschaubarer Größe und zum ande- aber das war für uns stets fang 2017 ein so genannter Creative Sprint zur Entwicklung einer ren endet das Wirken der Kunst- und Kulturschaffenden und die passenden Marke. Und Sprint trifft es wirklich auf den Punkt. In nur Relevanz zukunftsträchtiger Themen wie Mobilität, Zusammenle- nicht nur in Ordnung, zwei Tagen wurde der Name Kultur Perspektiven 2024 erdacht, ein ben und Digitalisierung nicht an den Gemeindegrenzen. Logo erarbeitet und eine Website kreiert. ­sondern willkommen.“ B wie Beginnen, Bregenz und Bludenz Da waren wir also, Kultur Perspektiven 2024 und der Name war Unser Büro rund um eine mögliche Bewerbung – die endgültige Pro­gramm. Nun ging es nämlich daran, die Inhalte für die Bewer- Entscheidung dazu fiel erst 2016 – war damals im Bregenzer Stadt- D wie Denk- und Dialogwerkstätten und Dornbirn plus bung zu erarbeiten und das wollten wir gemeinsam mit Expert*in- marketing unter der Leitung von Christoph Thoma angesiedelt. Als Man kann uns nämlich nicht vorwerfen, andere Sichtweisen nicht nen verschiedener Fachrichtungen und ganz allgemein mit allen Bludenzer Stadtpolitiker (Bludenz wollte er jedoch nicht in den zugelassen zu haben. Diskussionen gab es unzählige und wir haben interessierten und motivierten Menschen tun. Um diese verschie- Projektverbund integrieren), Geschäftsführer eines Stadtmarke- uns nicht davor gescheut. Nach dem Symposium folgten im Früh- denen Perspektiven zusammenzubringen, wurden die Denk- und tings (die ja von Kunst- und Kulturschaffenden allgemeinhin nicht jahr 2016 viele politische Termine und Präsentationen in Kultur- Dialogwerkstätten ins Leben gerufen. Bereits in den Monaten so ernst genommen werden was Kulturbelange betrifft) und mit ausschüssen, Stadträten und Beiräten, alle mit dem Ziel die poli- zuvor wurde das Konzept dazu mit Stefan Hagen entwickelt. Es sah seiner oft direkten Art war das Beginnen nicht so einfach. Vielen tischen Entscheidungsträger*innen zu einer gemeinsamen Be- vor, in einem ersten Schritt in den Denkwerkstätten zu den allge- fehlte das Verständnis für die Idee der Kulturhauptstadt Europas, werbung zur Kulturhauptstadt zu bewegen. Es ist gelungen: Die mein und regionalspezifischen Themen Integration-Migration, Re- aber dem wusste Christoph Thoma von Beginn an entgegenzuwir- Gespräche mündeten in der ersten und bis dato einzigen – sozu- gionalität-Internationalität, Jugend, regionale Kunst- und Kultur- ken. Mit ersten Informationsveranstaltungen für alle Interessierten, sagen ein historisches Ereignis – gemeinsamen Stadtvertretungs- szene, Spielstätten und Stadtentwicklung mit fach- und sachkun- Workshops für die Kulturamtsleiter/in und das Projektteam sowie sitzung der Städte Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und Hohenems digen Personen zu sprechen, die von uns direkt angesprochen dem Hinzuziehen von Kulturhauptstadt-versierten Personen wie und des Vorstands der Regio Bregenzerwald im Angelika-Kauff- und eingeladen wurden. Oliver Scheytt machten wir uns daran, die Öffentlichkeit breit zu mann-Saal in Schwarzenberg am 4. Juli 2016. Die Stadtvertretun- Die Denkwerkstätten fanden in Bregenz, Dornbirn, Hohenems informieren. gen stimmten mehrheitlich dafür, sich im Verbund als Kultur- und Feldkirch statt und hatten zum Ziel Themenbereiche zu clus- Ein Höhepunkt war das Symposium Kultur vor Ort – Ideen für hauptstadt Europas 2024 zu bewerben. tern, um sie dann in sogenannten Dialogwerkstätten mit der Europa, das am 2. und 3. März 2016 im Festspielhaus Bregenz statt- Bevölkerung zu diskutieren. Die oben genannten Themen wurden fand. Mit dabei war ein ausgewählter Mix an Expert*innen aus Poli- Im Sommer 2016 verließ Christoph Thoma das Stadtmarketing und daher bewusst offen gehalten. Professionelle und private Erfah- tik (Stefan Stoyanov, Vize-Bürgermeister Plovdiv), Tourismus (Die- ging neue berufliche Wege. Wir waren als eigenständiges Projekt- rungen und Wünsche wurden ausgetauscht, Chancen und Her- ter Hardt-Stremayr, Geschäftsführer Graz Tourismus & Stadtmar- team zwar weiterhin in Bregenz verortet, wurden nun aber von ausforderungen diskutiert. Mit den prall gefüllten Mind-Maps im keting), Stadtentwicklung (Dietmar Steiner, Direktor Architektur- allen vier Städten getragen. Andrea Fink übernahm das Ruder als Gepäck ging es daran, das Gesagte zu sortieren.

68 Outburst of Courage 69 nicht gedacht. Zu sehr war ich davon überzeugt, dass die Kultur- die Öffentlichkeitsarbeit, kümmerten uns um die Eröffnungsfeiern, welten von Künstler*innen, Rassismus, das g’hörige Vorarlberger hauptstadt in Vorarlberg viel bewegen könnte (und das nicht nur stellten Leitern auf und was sonst noch so dazugehört. Die START- Le­ben, uvm. und das schätzte ich sehr. Manche Gedanken muss für die sagenumwobene Hochkultur), dass die Gespräche und Dis- projekte hatten bereits diesen Hauch Kulturhauptstadt. So könnte man ja erst mal in Worte packen, um zu sehen ob es Sinn ergibt – kussionen etwas ins Rollen bringen, sei es einen Perspektiven- es sein, gemeinsam mit einem Netzwerk aus Menschen und Insti- zumindest mir geht es so – und das war immer möglich. Ganz nach wechsel oder eine konkrete Projektidee und dass Vorarlberg ein tutionen diversester Bereiche außerordentliche Arbeiten zu kre- unserem Motto … beständiges Piksen am Bewährtbewahrtem gut tut. Ich war immer ieren und gestalten. fürs Weitermachen und weiter ging es auch jetzt: Das Bewerbungs- O wie Outburst of Courage büro wurde nach Dornbirn verlegt (die Entscheidung für die Ban- „So könnte es sein“ zeigte sich nicht nur in den STARTprojekten, Je mehr Zeilen ich schreibe, desto emotionaler werde ich. War nerstadt damit getroffen), der Name zu Dornbirn plus Feldkirch sondern manifestierte sich auch im Schreiben der beiden Bid- dieser Beitrag anfangs eher ein sachlicher Bericht, wird er jetzt Hohenems Bregenzerwald geändert und nachdem Andrea Fink books. Gemeinsam mit Nadja und Pu, unseren fabelhaften und immer mehr zum Tagebuchslam. Aber versprochen, das Ende ist entschied die Projektleitung abzugeben, kam Bettina Steindl mit erfahrenen Berater*innen, machten wir uns daran, die vorge­ in Sicht auch wenn ich erst bei der Hälfte des Alphabets bin. einem ordentlich Krawumm. gebenen Fragen zu beackern. Jede Kulturhauptstadtbewerbung Mutausbruch war also unser Motto und obwohl manche Per- braucht ein Leitmotiv, eine Vision. In all unseren Gesprächen in sonen auf den ersten Blick etwas stutzig reagierten, gefiel es ihnen M wie Meinungen, Miteinander und Mut den Denk- und Dialogwerkstätten und darüber hinaus war der auf den zweiten sehr gut. Ich glaube das hat was mit der persönli- Mit dem Umzug nach Dornbirn bekam die Bewerbung irgendwie benötigte und gewünschte Mut Thema und damit war unser Motto chen Ansprache dieses Aufrufs zu tun. Mutausbruch war und ist Angeordnet und geclustert lagen die drei Themen für die Dialog- mehr Gewicht. Nicht nur innerhalb unseres Teams, zu dem seit für Dornbirn plus gefunden: Outburst of Courage (Mutausbruch)! kein abgehobenes Metathema, sondern jede*r kann in ihrem*sei- werkstätten dann auf der Hand: „Gesellschaft mit Zukunft“, „Rhein 2018 auch Lisa gehört und die unser Frauengespann damit perfekt Dazu, warum das in unserem Fall nicht nur Motiv, sondern auch nem privaten und beruflichen Leben etwas finden für das Mut Tal Stadt“ und „Über Grenzen“. Mit diesen drei Themen und ein komplementierte, auch von außerhalb meldeten sich immer mehr stetige Motivation war, gleich mehr. Inhaltlich bearbeitete ich die gebraucht wird. Das hat sich auch bei den Beiträgen der beiden wenig Zubehör machten wir uns in den nächsten Wochen auf Tour Menschen und wollten eingebunden und informiert sein. Das war Themen Audience Development und Monitoring. Wie können wir Präsentationsteams immer gezeigt. Die Inhalte der Geschichten, durch ganz Vorarlberg, luden die Bevölkerung ein und sprachen natürlich zu begrüßen, stellte uns aber auch vor die ein oder es schaffen, die Bevölkerung Vorarlbergs (und zwar ALLE) anzu- die sie der Jury präsentierten, waren individuell und vielfältig. Von mit etwa 200 interessierten Personen. Der Tenor war überwiegend andere Herausforderung. Ganz schön viele Stakeholder aus Kunst, sprechen und miteinzubeziehen und wie machen wir den prophe- den teils prekären Verhältnissen von Künstler*innen, der Suche positiv (schon klar, dass da natürlich hauptsächlich solche Perso- Kultur, Politik, Wirtschaft und dem Sozialbereich versammelten zeiten Mutausbruch messbar? Mit Unterstützung des Universitäts- nach mehr Vernetzung und Kooperation, dem fehlenden europäi- nen kamen) und wir konnten eine Menge mitnehmen – Potentiale, sich mit Fragen und Wünschen. Obwohl wir immer wieder damit und Institutionsverbundes Denkraum Bodensee entwickelten wir schen Gedanken und der zuweilen schockierenden Lebensrealität Schwierigkeiten, blinde Flecken, Projektideen, Argumente für und konfrontiert wurden zu wenig transparent zu sein, war uns Trans- ein Evaluierungskonzept auf mehreren Ebenen und Zeithorizon- vieler Frauen (Gender Pay Gap, Rollenteilung, Altersarmut) erzähl- gegen eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. parenz ein wirklich großes Anliegen. Auf manche Fragen hatten wir ten, eine Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Metho- ten die Präsentationsmitglieder. Wir erzählten diese Geschichten aber auch nicht sofort Antworten und gewisse Dinge sollten nicht den, die auf unser Konzept abgestimmt waren. weiter und dachten gemeinsam über Anknüpfungspunkte der Kul- an die große Glocke gehängt werden (sei es von der EU-Kommis- turhauptstadt nach, um damit hoffentlich für die Zukunft Verän- „Ich war immer fürs sion oder der Politik so gewünscht, sei es aus Vorsicht den ande- derungen zu bewirken. Beim Vorstellen der Ideen hörten wir dann ren zwei Bewerberstädten gegenüber). Vor allem aber mussten „Manche Gedanken muss oft diesen einen Satz, der mich im Laufe der Zeit ehrlich gesagt ­Weitermachen und weiter manche Entscheidungen einfach getroffen werden. Wie in jeder immer etwas ärgerlich machte: „Ja, also dazu gibt es schon ein anderen Institution auch (egal ob öffentlich oder privat finanziert), man ja erst mal in Worte Konzept von früher.“ Es hatten sich also schon viele Menschen in ging es auch jetzt.“ kann nicht jede Entscheidung mit allen abgestimmt werden. Sie diesem Land mit den Herausforderungen unserer Gesellschaft müssen von den Menschen getroffen werden, die am Kern sind packen, um zu sehen ob es beschäftigt. Das freute mich natürlich auf der einen Seite, be- und Wissen und Erfahrung in der Sache haben. Sinn ergibt.“ stärkte es doch das Gefühl nicht alleine zu sein, sondern einen Kaum waren alle Stifte wieder verstaut, verlautete Bregenz aus Trotz der Herausforderung war es eine großartige Zeit. 2018 be­- Nerv getroffen zu haben. Auf der anderen Seite war es aber auch dem gemeinsamen Prozess auszusteigen. Das kam, für mich zu- gannen wir mit der Ausschreibung und Umsetzung der zehn bitter, denn die ganzen Konzepte kamen meist nicht zur Umset- mindest, überraschend und warf alles für eine kurze Zeit ziemlich STARTprojekte, die aus einer Idee der Netzwerkgruppe Kultur Ich hatte große Freude daran zu arbeiten (wir bekamen ein außer- zung. Das zur Verfügungstellen von Räumen zum Denken und durcheinander: Wie sollte es weitergehen für die anderen Partne- (Anm. Siehe Beitrag Mirjam Steinbock) entstanden sind. Zum ordentlich gutes Feedback zum Monitoring von der Jury, aber das Träumen wird in Vorarlberg großgeschrieben, an der nötigen rinnen und auch für mich persönlich? Diesen Punkt der ungewis- Thema Grenzen und mit einer einheitlichen Fördersumme von nur so am Rande) und ein innovatives und individuelles Konzept zu Unterstützung und eben am MUT für die Umsetzung hapert es sen Zukunft hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt bereits erlebt und – € 2.024,– ausgeschrieben, erhielten wir Einreichungen von freien entwickeln. Obwohl man mir das manchmal nicht ansieht, bin ich aber. Viele tolle Konzepte schlummern im Dornröschenschlaf und Spoileralarm – es würde nicht das letzte Mal sein. Ich schätze Künstler*innen, Bildungsinstitutionen, Theatern, Jugendeinrich- im Team wohl eher als Spießerin bekannt. Meine abers, unds, werden leider nicht mehr wachgeküsst, vielleicht weil etwas meine abwechslungsreiche Arbeit sehr, aber an dieses Zittern um tungen bis hin zu Projektvorschlägen für Kunst im öffentlichen nochmals, vielleichts führten bei Bettina und Lisa teils zu Augen- schiefging und man das Thema nun nicht mehr bemühen möchte, den nächsten Schritt, die nächste Entscheidung, daran habe ich Raum. Wir organisierten die Projekte gemeinsam mit den Künst- rollachterbahnen. Wir diskutierten sehr viel im Projektteam über vielleicht weil man Angst haben könnte zu scheitern oder einfach, mich bis heute nicht gewöhnt. Ans Aufhören habe ich trotzdem ler*innen und Institutionen, holten Bewilligungen ein, erledigten Gender Equality, den Wert von Kunst und Kultur, die Lebens­ weil die benötigten Ressourcen nicht da waren. Es gibt sicher viele

70 Outburst of Courage 71 gute Gründe dafür, mindestens genauso viele gibt es aber es mit aber im Laufe des Tages wurde es besser. Es war ein schräges einer guten Portion MUT trotzdem zu versuchen. Ge­fühl, am Abend wieder in Dornbirn anzukommen, etwas be- schämt lief ich durch die Straßen und hin zur inatura, wo wir zu Auch ich musste mich hin und wieder an der Nase nehmen, wenn einem gemeinsamen Umtrunk mit allen Wegbegleiter*innen ein- ich mal wieder ein zögerliches aber ins Nebenbüro flüsterte und geladen hatten. Dort angekommen änderte sich meine Stimmung Bettina ein lautes Mutausbruch als Antwort gab. Diese Vision als schlagartig. Viele Menschen waren (trotzdem) gekommen, um uns gleichzeitige Motivation hat uns als Team gestärkt und angetrieben. ihre Unterstützung zu zeigen, mit uns auf die vergangenen Jahre Nicht unterkriegen lassen, nachhaken, erklären, diskutieren, immer anzustoßen und uns ihren Willen, in der Zukunft weiter gemein- mit dem Ziel vor Augen gemeinsam mit allen Mutigen für 2024 sam zu arbeiten, kundzutun. Großartig von solchen Menschen um- etwas Großes zu schaffen. geben zu sein und mit ihnen arbeiten zu dürfen.

„Nicht unterkriegen las­- „Mein erster Gedanke sen, nachhaken, erklären, war: ‚Wir sind gescheitert‘, Zu guter Letzt noch ein Dank. Bei Bettina und Lisa für das Engage- diskutieren, immer mein zweiter auch, ment, die professionellen und nicht professionellen Gespräche aber im Laufe des Tages und Diskussionen, die Geduld, das Durchhaltevermögen, den mit dem Ziel vor Augen Zusammenhalt, die Tomaten, die Mozzarellas und den Spaß bei der gemeinsam mit allen wurde es besser.“ Sache. Danke! Bei den Kulturamtsleiter*innen, die sich wöchent- lich mit uns trafen, diskutierten, informierten, berieten, Kipferl Mutigen für 2024 etwas aßen, lachten, Klatsch und Tratsch austauschten und Sprachrohr Z wie Zeit in ihre jeweiligen Städte und Gemeinden waren. Danke! Bei Freun- Großes zu schaffen.“ Verfällt das Bidbook denn jetzt auch in einen Dornröschenschlaf? den und Familie für das offene Ohr, die unterstützenden Worte, Nein. Auch wenn wir nach dem ersten Schock innehalten mussten, die tröstenden Umarmungen und das ein oder andere Bier. Danke! ist ans Aufhören mal wieder nicht zu denken. Was die Bürgermeis- S wie Scheitern ter*innen bereits am Abend der Entscheidung bekräftigten – Eu- Bevor ich an dieser Stelle zum Crescendo komme, möchte ich ropa wir kommen trotzdem – zeigte sich in den letzten Monaten. noch kurz den Juryvisit hervorheben. Da ich nicht in den zwei An vielen Stellen wird das Konzept derzeit weiterverfolgt – Förder- Präsentationsteams war (mein Blutdruck dankt es mir heute noch), anträge werden eingereicht, Austausch gelebt und Projekte in die stellte der Tag meinen einzigen direkten Kontakt mit der Jury dar. ben, dass damit die letzten Tage des Bewerbungsprozesses ange- konkrete Planung gebracht – vielleicht nicht so groß, nicht im Aber nicht nur meinen, sondern den so vieler Leute, die mit viel brochen waren. Rampenlicht Europas und nicht so schnell, aber dennoch. Natür- Engagement Teil dieses Tages waren und ihn damit einzigartig und Nach dem Juryvisit ging es auf nach Wien für die zweite Prä- lich ist es schade, dass die Gemeindekooperation in diesem Rah- außergewöhnlich machten. Ziel des Juryvisits ist es, das Bidbook sentation und die darauffolgende Titelverkündung. Nach der Prä- men nicht weitergeführt wird, aber wer den Beitrag der Kultur- quasi in live erlebbar zu machen, zu zeigen wer hinter den Inhalten sentation und einer taffen Befragung der Jury feierten wir erstmal amtsleiter*innen gelesen hat, sieht was sich alles tut. und Projekten steht und wie sich das in der Region abbildet. und hatten dann noch einen Tag bis zur Entscheidung, den wir alle Im Dezember 2019 saß ich noch etwas angeschlagen im Büro, Gemütlicher Spaziergang und oberflächliches Gerede? Weit ge- mit Museumsbesuchen, Einkäufen oder Besuchen irgendwie rum- wir informierten alle angefragten Projektpartner*innen, machten fehlt. Gemeinsam mit rund 50 Personen haben wir diesen Tag akri- zukriegen versuchten. Am nächsten Vormittag war es soweit, wie Pläne für 2020 und freuten uns auf ein paar ruhige Weihnachts- bisch geplant, uns darüber Gedanken gemacht, was wir der Jury unter Strom liefen wir zum Bundesministerium für die offizielle tage. 2020 hat alles auf den Kopf gestellt, gab uns (zu viel) Zeit und erzählen und zeigen möchten um ihnen begreiflich zu machen, Pressekonferenz und nahmen unter nervösem hin und her wippen Ruhe und zeigte Schwachstellen und Entwicklungspotentiale in dass wir bereit für einen Mutausbruch sind. Es war uns wichtig auf den Stühlen Platz. Den Rest der Geschichte kennt man. Kunst und Kultur auf. 2021 daran zu arbeiten sehe ich als unsere keine touristische Sightseeing-Tour zu inszenieren, kitschige Tradi- Aufgabe und zwar mit, man ahnt es schon, viel MUT! tionen zu bedienen oder uns mit falschem Glanz herauszuputzen. Während mir sofort dicke Krokodilstränen herunterliefen war Ich finde das ist uns gelungen und ich konnte am Ende kaum glau- mein erster Gedanke: „Wir sind gescheitert“, mein zweiter auch,

72 Outburst of Courage 73 #mutigeschritte

Lisa-Maria Alge Projektmanagerin Dornbirn plus

Outburst of Courage war nicht nur Mit meinem Geschichte-Studium setzte ich mir das Ziel, irgend- entfalten, der Gender Pay Gap ist der größte in ganz Österreich wann im Kulturbereich zu arbeiten. In Vorarlberg sind die Kultur- und mir fehlt eine Universität, ein geisteswissenschaftlicher Zweig. der Titel unserer Bewerbung, sondern jobs Mangelware, was dazu führte, dass ich ein Praktikum nach Es sind Dinge, die mit der Zeit besser werden, aber in anderen dem anderen absolvierte. Ende 2017 wurde mir dann die Prakti- Region schon längst angekommen sind. Als ich im Präsentations- vielmehr unser tägliches Motto und kumsstelle bei Dornbirn plus angeboten. Der Job hörte sich team I war, konnte ich all diese Dinge direkt ansprechen und in Motivation! Bevor ich bei Dornbirn abwechslungsreich, spannend und interessant an, weshalb ich meine Präsentation einfließen lassen. Ich kann mich noch gut natürlich gleich zusagte. Ich habe es keine Sekunde bereut. Ich daran erinnern, wie oft ich mit Menschen über diese Themen dis- plus, damals noch Kultur Perspektiven hatte zuvor noch nie erlebt, mit wie viel Power und Engagement kutiert und auch gelernt habe, ihre Sicht der Dinge zu verstehen. man an Aufgaben herangehen, wie viel Leidenschaft man für ein Dieser Lernprozess, mich mit Menschen aus unterschiedlichsten 2024, anfing, hatte ich bereits einen Thema aufbringen und wie gut ein Team zusammenarbeiten kann. Sparten zu unterhalten, zu diskutieren und zu reflektieren: Ich Dies alles habe ich bei Dornbirn plus erleben dürfen. Die zwei glaube, das ist es, was mich im ersten Jahr des Bewerbungspro- Mut­ausbruch hin­ter mir. Mein erster (Bettina und Theresa) brannten für das Thema Kulturhauptstadt zesses so sehr geprägt hat. Das merkte ich nicht nur bei mir – auch Mutausbruch war, als ich Geschichte Europas und es dauerte nicht lange, bis ich auch dafür brannte. bei Bettina und Theresa. Der Moment, als die Jury „Dornbirn plus“ Drei Jahre später kann ich sagen, dass es sich gelohnt hat. Es sagte und wir somit in die zweite und finale Runde kamen – dieser studierte. Und ja, das war ein Mut­ hat sich gelohnt, mutig zu sein und meine Ziele und Träume zu Moment wird mir immer in Erinnerung bleiben. verfolgen. Inzwischen arbeite ich im Kulturamt Dornbirn und bin ausbruch. Ich wurde ständig gefragt: zu 50 % noch immer beim Team Dornbirn plus. Damit wird die enge Zusammenarbeit zwischen der Stadt Dornbirn und Dornbirn „Dieser Lernprozess, „Was willst du nach dei­nem Studium plus aufrechterhalten. Ich arbeite also immer noch im Kulturbe- machen? Wie willst du später dein reich und das mit Leidenschaft. All das, weil Dornbirn plus Feld- mich mit Menschen aus kirch Hohenems und die Regio Bregenzerwald mutig genug war! Geld verdienen?“ In einem Land wie Mutig genug, über die vorarlberger Grenzen, über den Tellerrand ­unterschiedlichsten Spar­ zu schauen, zu kooperieren und Kunst und Kultur einen höheren ten zu unterhalten, zu Vorarlberg kommen solche Fragen Stellenwert zu geben. Kunst und Kultur sind nicht nur das Sahne- häubchen, sie sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer disku­tieren und zu reflek­ häufiger, wenn man sich für einen Gesellschaft. Weg abseits des BWL-Studiums ent- tieren: Ich glaube, das #welovewhatwedo scheidet. Menschen, die sich für einen Kulturinteressiert war ich immer – aber als ich die Praktikumsstel- ist es, was mich im ersten ­le bei Dornbirn plus annahm, verstand ich erst richtig, was für ein Jahr des Bewerbungs­ Weg im Kulturbereich entscheiden, wunderbares Gefühl es ist, in diesem Bereich zu arbeiten. Es war häupl, der ein phantastischen künst­lerisches Programm und unse- nicht immer alles toll – natürlich gab es Momente, in denen es re berühmten drei Programmlinien entwarf, sowie Super Büro für prozesses so geprägt hat.“ sind und werden immer die schwer für uns als Team war, Menschen in Vorarlberg von unserem Gestaltung, das die Gestaltung übernahm, entstand ein Bidbook, „bunten Vögel“ bleiben.­ Vorhaben zu überzeugen. Diese Bewerbung war kein Sprint, sie das sich sehen lassen konnte. war ein Marathon! Einer, der viel Arbeit und Überzeugungskraft Neben all den positiven Aspekten, die Vorarlberg zu bieten hat, Das zweite Jahr unserer Bewerbung empfand ich ganz anders. Wir verlangte. 2018 bereitete ich unzählige Präsentationen für Vertre- wurden auch kritische Punkte angesprochen: die Angst vor dem vertieften unsere Themen von Bidbook I, die Projekte nahmen im- ter*innen aus der Kulturszene, aus der Politik, für Jung und Alt, Scheitern, das nicht „g’hörig“ sein, mangelnde kreative Freiheit mer mehr Form an und alles wurde präziser. Ich hatte das Gefühl, etc. vor. Bettina war schon fast wöchentlich in ganz Vorarlberg und die in manchen Fällen fehlende Offenheit gegenüber Neuem. dass das Thema Kultur auf einmal ganz anders in der Bevölkerung und der Bodenseeregion unterwegs, um unsere Idee einer Bewer- Meiner Meinung nach war das dringend notwendig. Nicht falsch wahrgenommen wurde. Da die Dinge langsam konkreter wurden, bung vorzustellen – ich habe die Termine nachgezählt bzw. mit verstehen: Wir haben alles in Vorarlberg. Wirtschaftlich geht es wurde auch die Kommunikation immer schwieriger. Transparenz vielen Personen Bettina 2018 gesprochen hat: es waren fast 1000 uns super, wir leben in einem urban-ländlichen Raum und in war uns wichtig, nur hatten auch wir oft keine Antworten auf Fra- Personen! Neben den Terminen fingen wir im Sommer 2018 end- einem Vierländereck, einem Mini-Europa. Ich bin gerne Vorarlber- gen wie „Wird das Land euch unterstützen? Wie wird es nach der lich an, das Bidbook I zu schreiben. Mit der Unterstützung unserer gerin, jedoch fehlt mir manchmal die Offenheit der Leute. Zum Entscheidung weitergehen? Habt Ihr einen Plan B?“. Trotz alledem Coaches Nadja und Pu, den Kulturamtsleiter*innen, Jürgen Weis- Beispiel kann sich die LGBTQ+ Gesellschaft immer noch nicht frei waren wir das aktivste Team auf Social Media.

74 Outburst of Courage 75 38 Newsletter #datetime

Immer am letzten Donnerstag im Monat informieren wir über 900 Abonnent*innen über Blogbeiträge von Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft, persönliche Kulturtipps für den Bodensee- len: Winfried Berchtold, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Feld- raum, den Europakalender und berichten kirch, kam auf uns zu und gratulierte uns zu der fantastischen über unsere Arbeit und Projekte. Arbeit und sagte: „Dieses Projekt war ein Experiment. Ein Experiment, wie gut Städte gemeinsam arbeiten können. Wie gut Kooperation möglich ist. Durch die Kunst und Kultur haben wir zum ersten Mal in diesem Land geschafft, was davor nicht möglich war.“ Die Kooperation zwischen den Städ- ten und der Region, über die „Grenzen“ hinweg, ist einer der we­sentlichen Resultate, die der Prozess hervorbrachte. Die Er-­ 27 kenntnis, dass es möglich ist, zusammenzuarbeiten und gemein- sam etwas zu erreichen wird uns bleiben. #gemeinsamaufdemweg Presseaussendungen #justtoletyouknow „Wir haben unseren Mut

Der Newsletter mit den monatlichen Kulturtipps und den Blogbei- nicht verloren. Es ist trägen von Kunst und Kulturschaffenden aus Österreich und der Bodenseeregion war für mich – und ist immer noch – ein High- Medien aus ganz Europa haben über Zeit für den nächsten Out­ light. Wie viele Menschen für uns die Kulturtipps und Blogbeiträge den Bewerbungsprozess berichtet und burst of Courage.“ schrieben, ist großartig. Damit haben wir einen Weg gefunden, die über unsere Aussendungen informiert. Highlights der Kunst- und Kulturszene im gesamten Bodensee- Durch Kommunikation werden Menschen raum hervorzuheben. Zusätzlich haben wir unseren Europakalen- er­reicht, über Sprache wird Verbin- #europawirkommentrotzdem der, in dem wir jeden Monat Veranstaltungen zum Thema Europa dung auf­gebaut. Wir möchten alle Men- Was ist uns geblieben? Was haben wir gelernt? Kunst und Kultur in sammeln und präsentieren. schen erreichen. Vorarlberg haben einen anderen Stellenwert bekommen. Sie war- Wir möchten unseren Leser*innen das breite Spektrum der en immer schon Teil unserer Gesellschaft, jetzt werden sie noch Kulturwelt in Vorarlberg und der Bodenseeregion schmackhaft mehr wahrgenommen. Es entstand ein spannender und vielseiti- machen, Menschen dazu animieren, sich mit Kunst und Kultur aus- ger Diskurs. Kritik wurde ausgesprochen, aber es gab auch viel einandersetzen und über die Grenzen zu gehen und fahren. Des- Zustimmung. Städte, Kunst- und Kulturschaffende, Jung und Alt halb haben wir auch auf eine einfache Sprache gesetzt. Sprache kamen zusammen, machten gemeinsame Sache. Projekte wurden 171 ist die Brücke zu Kunst und Kultur. Wir wollten alle erreichen, umgesetzt, Künstler*innen gefördert und Momente geschaffen, Letters of Intent denn: Kultur ist für alle da! 430 × die mich berührten. #teamworkmakes thedreamwork Berichterstattungen Ich bin dankbar, Teil dieser Reise gewesen zu sein – und werde #dornbirnplus #feldkirch #hohenems #bregenzerwald #almostfamous auch weiterhin an Bord bleiben. Ich lernte Vorarlberg von einer Genau ein Jahr ist es her, dass der Titel Kulturhauptstadt Europas anderen Seite kennen. Durch dieses Projekt kann ich sagen, dass 2024 durch die Jury vergeben wurde. Der Titel ging an Bad Ischl. sich mein Horizont erweitert hat. Kunst und Kultur bringt Men- Die Enttäuschung über das nicht Gewinnen war groß. Der erste schen überall zusammen. Andrea Kaufmann, Bürgermeisterin der Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war: „War jetzt alles um- Stadt Dornbirn, sagte direkt nach der Niederlage „Europa wir „Wir sind nicht allein. Wir sind viele.“ Und sonst?“. Das war es definitiv nicht. Das bemerkte ich, als wir am kommen trotzdem“ – wir sind auf dem Weg. Ein Jahr hatten wir das waren wir: 171 Vertreter*innen aus selben Tag zurück nach Vorarlberg kamen und von Unterstützer* 430 Mal #wow wurde über Dornbirn plus Zeit. Ein Jahr, in dem wir Konzepte schrieben, eine online Kampa- Politik und Wirtschaft in Vorarlberg und innen, Freund*innen und Kritiker*innen in der inatura empfangen Feldkirch Hohenems Bregenzerwald in gne während des Lockdowns I starteten und diese Publikation der Bodenseeregion haben unsere Bewer- wurden. Diese Zustimmung haute mich um. Erst dort wurde mir Medien berichtet. Auch über die mediale veröffentlichten. Wir haben unseren Mut nicht verloren. Es ist Zeit bung mit einer Absichtserklärung unter- bewusst, was wir alles geschafft hatten. Alle sind sie gekommen! Wahrnehmung ist ein einmaliger und für den nächsten OUTBURST OF COURAGE. Für Vorarlberg, für stützt. Es braucht Mut, um sich für so ein Diese Bestätigung, dass wir was bewegt haben, war für mich das wichtiger Diskurs über Kunst und Kultur Europa, für alle Menschen – #2021wirdeingutesjahr Projekt zu bewerben, mit diesem Zu- Allergrößte. Eine Erinnerung von diesem Abend will ich noch tei- im Land entstanden. spruch haben wir es #gemeinsam gewagt.

76 Outburst of Courage 77 Jüdisches Museum Hohenems DOCK 20 – Kammgarn Hard: Kunstraum und Sammlung Hollenstein Spinnerei Slam Kunst Museum St. Gallen: Ausstellung Maria Lassnig Be-Ziehungen 14 Festspielhaus Bregenz: 16 17 2 Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“

famous Aram Haus Christina Mäser 1 Peter Hörburger Reinhold Bilgeri Künstlerischer Leiter Gymnaestrada Dornbirn 2019 Geschäftsführer Musiker, Filmemacher, Autor 15 ART BODENSEE (2019) Spielboden Dornbirn (bis 2018) Mirjam Steinbock Kulturtipps Leiterin IG Kultur Vorarlberg Monika Wagner Galerie Hollenstein: Leiterin des ­Österreichischen „Sammlung-bis jetzt“ vorarlberg museum ­Kulturforums in Bern Origano Festival Kanondrom & Aliengesänge

Quarta – 4 Länder Jugendsymphonie Werkraum Bregenzerwald: MADE IN: CRAFTS – DESIGN NARRATIVES

18 20 World Gymnaestrada 2019 Werkraumschau: Gastgeben – Räume für das Willkommensein 4 FAQ Bregenzerwald POTENTIALE Alexandra Hefel Lernwerkstatt Werkraumschule Bregenzerwald 21 Peter Fetz Ausflugbüro Festival Kunsthotel Hirschen 3 Schwarzenberg Bad Ischl mit dem ­Salzkammergut 2024 Jeden Monat fragen wir Menschen aus 23 #saltyfamily Kunst, Kultur, Architektur und Design, uns Theresa Feurstein Wiener Konzerthaus Leiterin designforum Conrad Sohm: Kunsthaus Bregenz: Peter Fischli ihre ganz persönlichen Kulturtipps zu Topping DeLuXe Vorarlberg (bis 2018) Angelika Kauffmann Museum Schwarzenberg KulturRegion GrazMuseum: spendieren. Wir veröffentlichen die Tipps Die Stadt als Datenfeld verlinkt und bebildert in unserem mon- Stuttgart atlichen Newsletter, auf der Website #bestpractice 19 Kunstmuseum Liechtenstein: und über Social Media. Seit 2018 ist eine 5 24 Nora Turato: explained away wun­derbare Sammlung an Kunst- und Sitterwerk St. Gallen: Aus Jost’s Archiv Kul­turveranstaltungen aus ganz Europa friendship.is Remise Bludenz Nora Heinzle und FM Felder Miriam Kathrein entstanden. Gleichzeitig sind die Tipps ein Kreativagentur @Bregenz, @Dornbirn, @Egg Anja Innauer Frauenmuseum Hittisau: Geschäftsführerin Werkraum Dokument der persönlichen Empfehl­ GEBURTSKULTUR – Kunstraum Dornbirn NONA Architektinnen Bregenzerwald (2020) ungen der Kreativszene in dieser Region 8 vom gebären und geborenwerden und ein wichtiges Netzwerk für uns. Altes Hallenbad: 22 TaS Kino „SCHATTEN“ von Brigitte Knapp

vai Vorarlberger Daniela Fetz KLIMA-KULTUR-PAVILLON, Architektur Institut Galerie Hollenstein (bis 2020) Breathe Earth Collective Futur II, Frühjahrsfestival #2, Oper Stuttgart Dornbirn: „Making of“ Architekturtage 27 Willisau Jazzfestival Austrian Pavilion, Kulturjahr Biennale Architettura Graz 2020 6 di Venezia 2018 25 9 Bianca Tschaikner 7 Bodenseefestival Alexandra Fetz und Künstlerin Katja Zündel Anabel Rodriguez Kunsthaus Zürich: Bodensee-Vorarlberg 26 Kuratorin und ­Kunsthistorikerin Kader Attia „Remembering the Future“ Katharina Lang Tourismus Alfred Vogel Kunsthistorikerin Zürich Kino Ebensee: Konzert CHANGO (A) + Jazzfestival Bezau Beatz support GLORY DEAD + SUSTAIN Conrad Sohm: Claudia Voit und Meute

Daniela Fetz Festspielhaus Bregenz: 13 DOCK20 Lustenau EVERYNESS: Die Tanz Kompanie WANG/RAMIREZ Spielboden Dornbirn: SPACE*OBJECT*INBETWEEN, HUMAN VISION film festival studio ASYNCHROME FLATZ Museum Jungkunst Winterthur ART BODENSEE Palais Liechtenstein: Herwig Bauer Bezau Beatz 29 „Von Hugo bis Dato“ Master of poolbar Festival 28 11 12 10 PALAIS THURN UND TAXIS: 30 Maria Hassabi Creative Region Linz Stadtbibliothek and Upper Austria Jazzfestival Saalfelden Isabella Marte Team Dornbirn plus Dornbirn Murat Üstün Martina Ruck Komponist und Musiker Kunstmuseum Liechtenstein Feldkirch Hohenems S-MAK vorarlberg museum: KOLLEKTIV: Digitale Initiativen Dornbirn (bis 2019) „Getting things done“ Bregenzerwald Museum im Lagerhaus: Julia Fuchs Doppelausstellung Linda Naeff & Maria Rolly

POTENTIALe Feldkirch

Symposium „Paradoxien des Fortschritts“, Kulturhaus Caserne Galerie Kunstforum Salzkammergut, Gmunden: Lechmuseum: Akademie Schloss Solitude Friedrichshafen Konzert „Parameter der Stille“ The Sound of Lech – Der Klang eines Ortes

78 Outburst of Courage 79 1 13 16

Frauke Kühn Verena Rossbacher literatur:vorarlberg netzwerk Lisa Alge Ernie, Bert und auf welchen 12 STARTprojekt Grundpfeilern ein gutes Behind the Scenes Familiengeschichten Literaturhaus wirklich ­grenzübergreifend gebaut ist Michael Fuchs 15 Rückblick Europafest Dornbirn – Blogbeiträge Europäische Pizzen Anna Fahrmaier 2 typejockeys Offenes Hirn, offenes Herz – Dornbirn plus 14 FAQ Bregenzerwald 2019 20 Bettina Steindl Bidbook Workshop Bettina Steindl Petra Zudrell 3 Dornbirn plus Feldkirch Direktorin Stadtmuseum Dornbirn Hohenems Bregenzerwald 17 meets Plovdiv 2019 Wem gehört das Bödele? Theresa Bubik Kultur säen – Unterwegs auf den Wochenmärkten Hedi Zengerle „Behind the Scenes“ war das Motto unse- Verein INTRACHT 19 rer ersten Blogbeiträge. Offen, transparent Juppenfrauen und ein bisschen lustig haben wir darin 4 be­schrie­ben, wie wir unter Einhaltung der Bettina Steindl 22 von der EU vorgegebenen Geheimhalt­ ­ Next Steps ungs­pflicht den Bewerbungsprozess Bettina Steindl 18 Elisabeth Schack Head of Arts and Culture Was bringt Kulturhauptstadt führen. Inzwischen schreiben Kreative Ștefan Teișanu European Forum Alpbach aus Vorarlberg, Österreich und Europa 5 Director of the Forum Alpbach – für unseren Blog und geben allen Inter-­ Cluj Cultural Centre FUNDAMENTALS essierten Einblicke in ihre Arbeit rund um Why bidding for ECoC is Nesa Gschwend Festivals, Veranstaltungen, Konferenzen, always successful STARTprojekt Rückblick Ateliers, Ausstellungen und Zukunfts­ Living Fabrics planungen. ­#kulturverbindet Es ist eine 21 spannende Sammlung an Beiträgen 6 23 Mirjam Steinbock ent­standen, die Europa nach Vorarlberg Geschäftsführerin IG Kultur bringt und umgekehrt. Anabel Roque Vorarlberg, Gründungsmitglied 25 Nadine Hirschauer von locartlocart Rodríguez STARTprojekt Rückblick Kuratorin, Kunsthistorikerin Verein zur Investition in Kunst Christina Meusburger Schichten.Mögliche Grenzen und Kultur 9 Kunstvermittlung im Herzen Marke Vorarlberg 24 Neuer Musikpreis für Vorarlberg „Sound@V“ 8 Andrea Streibl Christiane Eberle STARTprojekt Rückblick Quarta 4 Länder GrenzüberSCHREIeitung Andreas Jugendphilharmonie 28 Pragioudakis-Fink Zeiten wie diese … STARTprojekt Rückblick Tanja Eiselen Unter der Laterne 10 Rektorin FH Vorarlberg FH Vorarlberg wird Europäische Universität Silvia Flatz 7 UnserKleinWien Doren 11 26 27 29 Sabine Benzer Katharina Ess Hanno Loewy Klaus Lingg LIVE Förderverein ehem. Leiterin Bodenseefestival Initiatorin Europaklasse Digitales Management Direktor Jüdisches Museum Stadt Dornbirn STARTprojekt Rückblick Bodenseefestival – Über Hohenems Rapid Response Collection SoundOhneGrenzen Tücken & Glück der Kooperation der Europaklasse Smart City Dornbirn – Die letzten Europäer im Bodenseeraum Update!

80 Outburst of Courage 81 82 Outburst of Courage 83 Outburst of Courage – Oder: Das Kulturprogramm

Jürgen Weishäupl Künstlerischer Leiter Dornbirn plus

Mutausbruch

Das Kulturprogramm von Dornbirn Plus Am wichtigsten war jedoch, den Vorarlberger*innen in diesen dis- ern, des Arbeitens, des Kämpfens und der Schönheit, aus ­welch­em ruptiven Zeiten einen Halt in ihrer eigenen Persönlichkeitsent- wir als erneuerte Gesellschaft hervortreten werden. hatte zum Ziel, die lokale Kulturszene wicklung zu geben, veraltete Verhaltensmuster über Bord zu wer- Wir wissen, dass wir für diesen Kraftakt, der den gesamten Völ- fen und zu neuen, selbständigen, verantwortungsbewussten, frei- kern des Globus bevorsteht, Mut brauchen. Viele unserer Struktu- zu stärken, einen Wachstumsschub ­en und auf­ge­klärten Menschen des 21. Jahrhunderts zu werden. All ren und eingelebter Alltäglichkeiten des 2. Jahrtausends werden und die internationale Vernetzung der dies in Wis­sen und Freude um Herkunft und sozialer Traditionen. sich durch die Digitalisierung radikal ändern und tun es schon. Gleichzeitig verändert sich das Rheintal von einem ländlichen zu ­Kreativwirtschaft zu bewirken und einem urbanen Lebensumfeld, mit einem täglichen Pendlerstrom „Das Kulturhauptstadt­- zu seiner immer noch ländlichen Umwelt, die noch dazu auf vier die Basis für das zu schaffen, was die Länder verteilt ist. Die Vision des Kulturhauptstadtjahres ist es ­Vorarlberger am besten können: hoch- jahr sollte zu ­einem ­­Kataly­- diesen kulturellen Wandel auch kulturell zu begehen, durch eine sator in der ­E­r­reichung Unsere Gesellschaft untergeht einen radikalen Wandel. Globaler erweiterte Kunstdefinition im digitalen Raum, durch Best-Prac- qualitative Produkte für den interna­ Handel, Digitalisierung aller Lebensbereiche und Klimawandel ver- tice-Anwendungen in Mobilität und Nachhaltigkeit und vor allem schon ­bestehender Strate­ langen von uns mutige Entscheidungen und Schritte in die Zukunft. durch eine Sensibilisierung der Bürger*innen zu ihrem kulturellen tionalen Markt zu fertigen. Was bei In ganz Europa hat dieser kulturelle Wandel ähnliche, aber auch je Erbe und dem Schutz der Privatsphäre. gien und Ziele­ werden.“ nach Gesellschaftsstruktur sehr verschiedene Auswirkungen. Das Fruchtsäften, Seilbahnen, Scharnieren, Vorarlberger Rheintal und der Bregenzerwald sind in den letzten hundert Jahren von vereinzelten kleinen Dörfern und Städten zu „Mut, dieses Jahr zu Holzhäusern und Plastikflaschen Dafür kreierten wir die drei Programmschienen POLIS MIND, REA- einem hochindustrialisierten, polyzentrischen, urbanen Agglome- ­funktioniert,­ kann auch in Kunst und LITY DISRUPTION und NO FRONTIERS, in welchen einerseits die rat im ländlichen Voralpenraum zusammengewachsen. Aufgaben ­nutzen, um sich bewusst in den Denk- und Dialogwerkstätten, Resonanz- und Netzwerk­ der Gemeinden wie öffentlicher Verkehr, Abfallentsorgung und Kultur funktionieren. Ebenso sollte das grup­­pen entwickelten Projekte und Wünsche, andererseits die Raumplanung werden mittlerweile nicht mehr allein, sondern in dem 21. Jahrhundert schon bestehenden Entwicklungspapiere wie die Kulturstrategie Gemeindeverbänden projektiert. Eine Vielzahl von Initiativen – als global vernetzte Programm das lokale Kulturangebot des Landes, die Kulturstrategien der Städte Dornbirn, Hohenems, wie die Energieautonomie 2050 oder die Renaturalisierung des Feldkirch und des Bregenzerwaldes, wie auch die Digitale Agenda Rheins – sind nachhaltige und langfristige Projekte, die in partizi- ­digi­tale Welt zu stellen.“ in einem sich urbanisierenden Rheintal Vorarlberg, die Grundsatzplanungen der Vision Rheintal, die Marke pativen Prozessen im Dialog mit den Bürgern entwickelt werden. mit seinem ländlichen Umland an ver- Vorarlberg und das Entwicklungskonzept Vorarlbergs urbaner Weg Für konkrete Herausforderungen im Bereich Digitalisierung gibt es der IV Eingang fanden, ohne dabei die Rufe von Fridays for Future mit Vorarlbytes eine bestehende Strategie und im Bereich Kultur Die Strategie ist die Stärkung der lokalen Kulturakteur*innen durch gleichbare Regionen heranführen, zu überhören und dementsprechend mit einer nachhaltigen Pers- wurden im Dialog mit den Kulturschaffenden sowohl in der Lan- einen Vernetzungs- und Ausbildungsprozess, der auch in Schulen, pektive zu handeln. Ebenso sollten Dornbirn, Hohenems, ­Feld­kirch deskulturstrategie wie auch in den Diskursveranstaltungen als Teil Universitäten und Erwachsenenbildungseinrichtungen fortgesetzt um auch im Wettbewerb um die besten und der Bregenzerwald durch die internationale Aufmerksam­- des Bewerbungsprozesses klare Ziele formuliert. wird. Auf breiter Front werden wir als Gemeinschaft den Umgang keit in sichtbaren Großprojekten ihre jeweiligen Schwerpunkset- Das Kulturprogramm zur Bewerbung um den Titel Kulturhaupt- und die Produktion von digitalen Inhalten als kulturelle Praxis Köpfe einen attraktiven Lebensraum zungen im internationalen Städte- und Regionenvergleich festigen. stadt Europas 2024 möchte in diesem Prozess eine Katalysatorwir- erlernen und sie als Chance für ein neues, kooperatives Handeln zu bieten. Das Kulturhauptstadtjahr sollte zu einem Katalysator in der kung einnehmen und gesellschaftliche, politische und wirtschaft- verstehen. Er­reichung schon bestehender Strategien und Ziele werden, in-­ liche Veränderungsprozesse kulturell und diskursiv begleiten. Die Die komplette Produktion der künstlerischen Veranstaltungen dem ein gemeinsam koordiniertes Vorgehen aller fortschrittlichen Freiheitsräume der Kunst sollen dabei ausgebaut und die lokalen soll durch lokale Trägerschaften und dem in Vorarlberg bekannten Kräfte im Land zu vielen lokal produzierten Einzelprojekten führen Kulturschaffenden gestärkt und international vernetzt werden. hohen handwerklichen und organisatorischen Know-How durch- sollte, die jeweils in sich ein Erweiterungs- und Erfolgspotential geführt werden. Expert*innen werden den Produzent*innen und tragen. Dadurch sollten die Früchte der Investitionen in nachhal- „Mutausbruch“ ist das Thema, unter welches wir die Programmie- Künstler*innen in Workshops zusätzliche Skills wie das Abwickeln tige Kulturprojekte noch lange zum Wohle aller geerntet werden. rung des Kulturhauptstadtjahrs stellen. Mut, dieses Jahr zu nutzen, von EU-Projekten, das Modellieren im virtuellen Raum, das Steu- um sich bewusst dem 21. Jahrhundert als global vernetzte digitale ern moderner Tracking- und Interaktionssoftware oder das Pro- Wir zogen die eierlegende Wollmilchsau groß und Welt zu stellen. Wir sehen das Kulturhauptstadtjahr als ein „Rites grammieren von künstlichen Intelligenzen vermitteln. Diese Skills ­formulierten das im Bidbook so: des Passages“ nach Arnold van Gennep. Somit ist das Kulturhaupt- werden gemeinsam mit internationalen Künstler*innen zur Er- stadtjahr ein „Liminales Jahr“, ein Übergangsjahr, ein Jahr der Fei­- schaffung von digitalen Kunstwelten genutzt.

84 Outburst of Courage 85 Polis Mind No Frontier

Das Bewusstsein der Stadt Reality Grenzenlos deren langfristigen Nutzungsabsicherung durch Kooperationsver- Das Zusammenwachsen des Rheintals und die Mobilität der Be­- Das Rheintal ist von Grenzen zur Schweiz, zu Liechtenstein und träge mit Wirtschaft, Tourismus und Kultur in einem ausgewoge- woh­n­er führte zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Zent- Disruption Deutsch­land umgeben. Doch Grenzen existieren nicht nur phy- nem, flexiblen Auslastungsmix. ren. Bis in die 60er Jahre gab es klar strukturierte Dorf- und Stadt­- sisch, sondern auch im Kopf, wenn es darum geht, die großen In diesem ersten Bidbook stellten wir auch die STARTprojekte teilzentren in denen sich auch das gesellschaftliche und kulturelle Themen unserer Zeit wie Klimawandel, Handel, Migration, Einkom- vor, die einem Call folgten, wie wir ihn in Folge in größerem Um-­ Leben abspielte. Dann wucherten an den Rändern der Dörfer und mensverteilung, Wohnraumsicherung, Unterricht, Forschung und fang auch für die Kulturhauptstadt planten. Daneben zeigten wir in Städte Einkaufzentren, Entertainmentzentren mit Kino, Disko und Demokratie anzugehen. Oftmals bleibt man lieber auf gesicher- ersten Skizzen die künstlerischen Projekte, die wir in Zusammen- Bars und Autohäuser. Die Grünbereiche zwischen den Orten ver- tem Terrain, als sich über Grenzen hinwegzusetzen. Das General- arbeit mit europäischen Partner*innen entwickeln und verwirkli- schwanden, ebenso wie Bäcker, kleine Supermärke, Restaurants, thema Mutausbruch steht dafür, die Grenzen zu überschreiten. chen wollten. Tanzlokale, Kinos und Märkte in den Ortskernen. Die Sozialisati- Diese Programmschiene soll einerseits grenzüberschreitende onszonen haben sich komplett verschoben. Projekte mit der Nachbarschaft ermöglichen, ebenso aber Künst- Im ersten Report der Jury wurden wir dann auch für unsere inno- Viele historische Bauernhäuser im Bregenzerwald werden Disruptive Realität ler*innen, Philosoph*innen, Architekt*innen, Unternehmer*innen vativen künstlerischen Projektideen gelobt und bekamen Empfeh- nicht mehr genutzt und stehen in vielen Fällen kurz vor dem Ver- Seit Beginn der Industrialisierung verändern technologische Wei- und Politker*innen ermöglichen, „out of the box“ zu denken und lungen für die Weiterentwicklung. Neben der Erstellung einer alle fall und damit vor dem Verlust der kulturellen Identität. In den Bal- terentwicklungen in immer kürzeren Intervallen unser gesellschaft­ nicht vor utopischen Ideen zurückzuschrecken. In Diskursforma- Städte umfassenden gemeinsamen Kulturstrategie war dies die lungszonen wird Wohnraum knapp und teuer. Der Individualver- liches Zusammenleben. Was es bedeutet neue Technologien an-­ ten, Konferenzen und Austausch von Best-Practice-Modellen sol- Entwicklung von gemeinsamen Projekten mit der migrantischen kehr steht täglich knapp vor dem Kollaps. zu­wenden, kann man gut am Beispiel des Rheintals sehen. Bis vor len Überlegen für ein zukünftiges Zusammenleben präsentiert und Community, die koordinierte Entwicklung eines Landesindustrie- Gleichzeitig entwickelte sich die Vorarlberger Architektur, 100 Jahren noch einer der ärmsten Landstriche Europas, ist es erprobt werden. museums und als „auschlaggebend“ wurde die Kooperation mit Holzbau und Handwerkskunst zu einer internationalen Marke. Die Dank der hochtechnolgischen Industrie zu einem der reichsten Ebenso legten wir im Bidbook I schon erste konkrete Überle- den großen Landesinstitutionen in Bregenz genannt. Dichte an preisgekrönter Architektur führte in den letzten Jahren Flecken geworden. Bis 2024 werden eine Vielzahl von neuen dis- gungen zu künstlerischen Projekten einzelner Künstler*innen und Leider hatte das Land Vorarlberg weiterhin eine ablehnende zu einem wahren Architekturtourismus und lokale Architekt*innen ruptiven Produkten den Massenmarkt erreichen und Real und Künstler*innengruppen, sowie einen Ausblick vor, wie wir im Falle Haltung gegenüber einer Kulturhauptstadtbewerbung und ge­­- planen und bauen auf der ganzen Welt. Digital werden weiter verschmelzen. Globale Technologie- und einer Kulturhauptstadt mit den lokal verankerten Institutionen, mein­same künstlerische Projekte mit den Landesinstitutionen Die exportorientierte Wirtschaft mit einem Volumen von zehn Kommunikationsfirmen investieren Milliarden in Hardware-Ent- frei­en Gruppen und Vereinen in einem hochqualitativen Jahres- waren nicht möglich. Wir steckten die Köpfe nicht in den Sand, Milliarden Euro brummt und führt zu einem Zuzug von hochquali- wicklung, die Marketingindustrie entwickelt personenbezogene programm für ein großes Publikum im Kulturhauptstadtjahr zu-­ trafen uns mit mutigen Künstler*innen und Institutionen aus dem fizierten Arbeitskräften, denen schlecht integrierte Wirtschafts-, Soft­ware, die über künstliche Intelligenz bald mehr über uns weiß sam­men arbeiten wollten. Bodenseeraum, involvierten die migrantischen Communities und Kriegs- und Klimaflüchtlingen sowie Arbeitsmigrant*innen der als wir selbst. Industrie und Militär investieren in Robotik und Au­­ entwickelten mit europäischen Partnerstädten und anderen zweiten bis dritten Generation gegenüberstehen. to­mation. Die Zusammenführung von Big Data ermöglicht den to­­ ECoC-­Städten gemeinsame Projekte. tal­en Überwachungsstaat und führt zum gläsernen Menschen. „Oftmals bleibt man ­lieber Für Dornbirn, Hohenems, Feldkirch und den Bregenzerwald In dieser Programmschiene wollen wir Nachbarschaftsprojekte,­ lo-­ Wir wollen den Künstler*innen dieselben Technologien und Mög- ent­wickelten wir künstlerische Großprojekte, die einmal der Tak- kale Vereine, Schulprojekte etc. entwickeln, die sich die kulturelle lichkeiten in die Hand geben, um den digitalen Raum mit Kunst zu auf gesichertem Terrain, tung des Kulturhauptstadtjahres von Eröffnung bis zur Abschluss- Belebung der leerstehenden Gebäude und Räume in ihrem Viertel füllen. In einer digitalen Gesellschaft braucht es digitale Kunst. Um als sich über Grenzen hin­ zeremonie dienten, allen aber auch eine andauernde Sichtbarkeit zur Aufgabe machen. Damit sich Menschen in der Region für die dies zu erreichen, werden Ateliers mit neuester Technologie ein- geben sollten und darauf ausgerichtet waren, nachhaltig in den soziale Integration von Randgruppen engagieren können, braucht gerichtet. Durch Workshops und Trainings helfen wir den Kultur- wegzusetzen.“ Regionen zu wirken und die kulturellen Profile weiter zu schärfen. es Räume und Begegnungsorte. Kultur soll Teil des täglichen Le­- schaffenden ihre künstlerischen Visionen umzusetzen. Ebenso entwickelten wir gemeinsam mit Künstler*innen und Ver- bens sein. einen eine Vielzahl von Projekten aus den drei Programmschienen, Gemeinsam mit Projektpartner*innen aus ganz Europa werden Durch Vernetzung der lokalen Fachhochschulen mit internationa- Ein weiterer wichtiger Punkt unseres Bewerbungsbuches war, dass die exemplarisch für das künstlerische Potential standen, das in wir Architekturführungen und -ausstellungen sowie Projekte im len Forschungsinstitutionen werden die lokalen Kompetenzzent- wir keine neue Infrastruktur bauen, sondern bestehende nutzen, der Region vorhanden ist und welches wir im Falle eines Zuschlags öffentlichen Raum erarbeiten. Testgebiete und Projekte von neu­ ren auf dem neuesten Stand der Entwicklung sein, zu einem nach- entwickeln und sichern wollten. Viele Häuser wie zum Beispiel das auszuschöpfen gedachten. en Transporttechnologien wie die Neue Wälderbahn, Hyperloop, haltigen europäischen Kunstlabor heranwachsen und den geplan- Kulturhaus oder die Messehallen in Dornbirn, der Angelika-Kauff- selbst­fahrende Autos, etc. werden vorgestellt und implementiert. ten Digital.Campus in Vorarlberg um XR-Technologien er­weitern. mann Saal in Schwarzenberg oder das Kultur- und Kongresszent- Mit den lokalen Kulturschaffenden werden wir neue Formate für Ziel ist es wie in der Industrie den Standort Vorarlberg zu einem rum Montforthaus in Feldkirch, um hier nur einige Beispiele zu Blasmusik und Chöre ebenso wie für die Bereiche Theater, Kunst, Leader zu machen. nennen, haben noch Kapazitäten für ein dichteres Programm. Der Tanz und Performance erarbeiten. Schwerpunkt der infrastrukturellen Nutzung lag in der Sicherung der historischen Bausubstanz wie der Bregenzerwälder Häuser und verschiedener ehemaliger Industriehallen im Rheintal und

86 Outburst of Courage 87 2024

FH-Vorarlberg und dem erweiterten Campus V zu bündeln. All dies war geplant als Teil unserer Programmschiene REALITY DISRUPTION, die schon einige Jahre zuvor mit den DIGITALEN ATELIERS gestartet wäre. Hier hätten lokale und internationale Künstler*innen unter Anleitung von internationalen Expert*innen neue Kulturtechniken erlernt, denn 2024 wird das erste globale Mixed Reality Jahr werden, wenn wie angekündigt 2023 das iGlas und zeitgleich sicher auch eine Androidversion erscheinen wer- den. Neben einer koordinierten Einbindung aller Kulturinstitutio- Ein Kulturhauptstadtjahr ist für jede Region eine Ausnahmesitua- nen sollte auch die digitale Vermittlungsarbeit für Schulen und tion. Viele zusätzliche Menschen kommen, brauchen Unterkunft Erwachsenenbildungseinrichtungen zusammenlaufen. Und erste und Verpflegung sowie ein außergewöhnliches kulturelles Angebot. Projektideen gab es auch schon. VALIE EXPORT hätte ein Würfel- Ein klares Programm und ein stringenter Ablauf sind deshalb die spiel im Himmel über die ganze Erde geschaffen und Erwin Wurm Voraussetzung. Für das zweite Bidbook entwickelten wir daher einen Filter, durch den jedes Auto zu einem Fatcar und jeder einen schon relativ detaillierten Ablauf, der versuchte, azyklisch Mensch zu einem Kugelmensch wird. zu den jetzigen Buchungslagen in den Regionen künstlerische den alten Stadtsaal, der vom Architekten Rammersdorfer als Mes- Akzente zu setzen. sehalle geplant war und nach Neubau der Polytechnischen Lehr- Im Tagestakt wären auch verschiedenen Kulturinitiativen in Hohe- anstalt und einer geplanten Sporthalle für den Roll-Hockeyclub nems, Feldkirch und dem Bregenzerwald feierlich eröffnet wor- Begonnen hätte alles im Jänner mit OPUS MAGNUM EUROPEUM einer neuen Bestimmung entgegenharrt. Ein idealer Ort für ein den. In Hohenems das Vorarlberger Literaturhaus und der neue in Dornbirn. Die Eröffnung eines Kulturhauptstadtjahres ist der Industriemuseum, noch dazu in unmittelbarer Nähe zu den ande- Kunstweg für Fussgänger*innen und Radfahrer*innen vom Stadt- Moment mit dem größten medialen Interesse. Wir wollten die über ren Institutionen wie Stadtbibliothek, Stadtarchiv, inatura, Kunst- zentrum zum Rhein, im Bregenzerwald die neu renovierten Wäl- ganz Europa verstreuten Vorarlberger Rieger-Orgeln über neue raum Dornbirn, vai Vorarlberger Architektur Institut, Flatzmuseum derhäuser mit ihren neuen Bestimmungen als Creative Retreats Übertragungstechnologien zusammen erklingen und den gesam- und Kulturhaus Dornbirn. Mit diesem letzten Baustein würde die und Kunstateliers sowie die erweiterten in die europäischen Ba­- ten Stadtraum zu einem künstlerischen Erlebnisraum werden las- Dornbirner Innenstadt zu einem wahren Kunst- und Kulturraum, rockstraßen eingegliederten Barockmuseen in Bezau und Au, die sen. Musikalischer Leiter für die zu vergebenden Kompositions- der über ein Netz von Fußgängerzonen und einem zusammenge- ja Zug um Zug ihre Tätigkeit schon ab 2021 starten werden. In Feld- aufträge für 12 Orgeln wäre der Bregenzerwälder Komponist Alex- hörenden Ticketing-Verbund eine Einheit bilden hätte können. kirch wäre das JAHR DES HUMANISMUS mit der Eröffnung der ander Moosbrugger gewesen, dirigiert hätte der Feldkircher Murat Wir wollten kein nach rückwärtsgewandtes Industriemuseum, son- Humanismus-Ausstellung im Palais Liechtenstein ausgerufen wor- Üstün. Für Dramaturgie und Inszenierung des Stadtraumes konn- dern ein aktives, am Puls der Zeit, in Verbindung mit der For- den, wo die Abschlussarbeiten der Abgänger*innen des mit inter- ten wir den ehemaligen Bregenzer Festspielintendanten David schung, der Wirtschaft und der Kunst. Ein aktives Experimentier- nationalen Universitäten koordinierten Humanismus Masters ge-­ Pountney begeistern. Die Eröffnung wäre in Eurovision übertragen labor für die Themen der Zukunft in einer zusammenhängenden zeigt worden wären, der in den zwei Jahren zuvor internationale worden, wozu es erste Vorgespräche mit der EBU gab. Die gesamte Narration mit der Vergangenheit. Hier wollten wir auch das Holo- Studenten in die Montfortstadt gebracht hätte. Städte und Regionen, sondern auch bis dahin manchmal nur lose Eröffnung wäre jedoch auch als virtuelles Erlebnis von VR Pionie- deck aufbauen, ein am Fraunhofer-Institut entwickeltes Multi- koordinierte Vertretungsverbände der freien Szene. Wir saßen so rin Barbara Lippe in einer Holodeck-Inszenierung für Besucher Player-VR-System um Zukunftsszenarien erlebbar zu machen. Wie Doch das Kulturprogramm wäre nicht nur in Vorarlberg, sondern vielen spannenden Künstler*innen gegenüber, die unter oftmals während des gesamten Jahres immer wieder erlebbar gewesen. schaut unsere Mobilität der Zukunft aus, wenn wir selbstfahrende im ganzen Bodenseeraum gestartet. Mit unserem „Gemeinde- prekären Situationen hochqualitative Kunst- und Kulturveranstal- Aber keine Eröffnung ohne richtige Party. In einer Origano-Spe- Autos, fliegende Taxis, Hyperloops und ein unterirdisches Güter- Kunst-Dating-Projekt“ SPOT ON…! wollten wir Ge­mein­den aus tungen im Land organisieren. Das muss man stärken und genau cial-Winter-Edition hätten wir bis in die frühen Morgenstunden tunnelsystem mit Elektro-Last-Mile-Technologie haben? Alles dem ganzen Bodenseeraum für gemeinsame Kunstfestivals ver- diese Freiheit und diesen Mut wollten wir fördern und zusätzlich bei bester Musik in den Clubs der Stadt gefeiert. Projekte, die weltweit getestet werden. Wir wollten eine Großsi- netzen. Immer drei Gemeinden werden dabei über einen „Spin zu den öffentlichen Calls eine Million Euro der freien Vorarlberger Manch einem von uns hätte wahrscheinlich der Schädel noch mulation incl. Pilotprojekten in Vorarlberg einrichten und mit For- The Wheel-Event“ vernetzt, gehen aufeinander zu, tauschen ihre Szene zur Selbstkuratierung zur Verfügung stellen. Wir sind uns gebrummt, wenn wir am nächsten Tag das temporäre MUSEUM OF scher*innen und Visionär*innen ein nachhaltiges Bild der Zukunft Künstler*innen und lassen ihre Kulturvereine gemeinsam Projekte sicher, da wäre was los gewesen. PROGRESS eröffnet hätten. Wir wollten eine Sonderausstellung zu im Einklang von Mensch, Natur und Technik zeichnen. Um unsere entwickeln. Hunderte neue Netzwerke wären so über die gesamte diesem Thema machen und uns mit weiteren Akteur*innen wie digitalen Datensätze international in einem Verbundsystem einzu- Bodenseeregion gespannt worden. Im Frühjahr hätte der Fokus der Großveranstaltungen auf Hohe- dem Vorarlberger Wirtschaftsarchiv in Feldkirch, dem Textildruck- betten, koordinierten wir uns mit den Europäischen Initiativen Viele spannende Projekte über das ganze Jahr verteilt hätte nems gelegen. EUROPE IN A NUTSHELL, ein komplexes Stationen­ museum in Hard und dem Stickereimuseum in Lustenau, um hier EUROPEANA, DARIAH-EU, CLERIN-ERIC sowie dem Cyprus Ins- das Programm FREE AND INDEPENDANT geboten. Im Zuge der theaterprojekt über den Rhein verteilt auf viele kleine Boote. nur einige zu nennen, vernetzen. Als idealen Standort wählten wir titut, Ars Electronica Linz und vielen weiteren, um diese an die Vorbereitungen zur Kulturhauptstadtjahr verbanden sich nicht nur Koordiniert vom jüdischen Museum, hätte man in Archiven und

88 Outburst of Courage 89 Übersicht geplantes Kulturprogramm

über Oral History-Recherche Geschichten über Grenzübertritte im Bidbook II vorgestellt haben, war es uns wichtig, mit den vielen gesucht, sowohl reale wie auch geistige. Diese Geschichten wären lokalen Institutionen und Festivals dieses Ausnahmejahr mit einem von Theaterautor*innen und Performance-Gruppen dramatisiert gesteigerten Kulturangebot in Europäischen Partnerschaften zu und inszeniert worden. Das Publikum hätte auf Schweizer und feiern. Sei es das Tanz ist Festival, die Alpenarte, das Origano Fes- Österreichischer Seite jeweils in kleinen Gruppen ein Theaterboot tival, FAQ Bregenzerwald, das Poolbar Festival, Alpinale, Bregenzer betreten, wäre über den Rhein gefahren, hätte ein kurzes Stück Frühling oder das Bodensee-Festival, um hier nur einige zu nen- Auf der nächsten Doppelseite → genossen, wäre ausgestiegen, hätte sich an den Lagerfeuern mit nen, im Bidbook zeigten wir dieses vorhandene enorme künstleri- den anderen Besucher*innen austauschen und dann das nächste sche Potential und reservierten mehrere Millionen Euro, damit Boot zurück besteigen können. Die ersten Projektgespräche mit mal alle so richtig Gas geben könnten. Künstler*innen wie Doris Uhlich, Philippe Riera oder Hans-Peter Kellner ließen uns merken, dass dieses theatrale Setting ein Den ereignisreichen Kultursommer hätten wir im Bregenzerwald unglaublich inspirierendes Potential hatte. Eingebettet wäre dies ausklingen lassen. Die enorme Holz-Bühnen-Skulptur wäre unter in die EMSIANA geworden, die sich in diesem speziellen Jahr bis musikalischer Leitung von Alfred Vogl abgefackelt worden. Dass nach Diepoldsau über die für den Verkehr gesperrte Rheinbrücke wir in Vorarlberg die besten Funken der Welt bauen, ist Allgemein­ gezogen hätte. Ebenso in Hohenems hätte das mehrjährig ange- wissen, dass es mehr Spaß macht, wenn es warm ist, zeigen uns setzte Projekt des jüdischen Museums mit „First European, Last ­uns­ere Burning Man-Partner*innen, und dass dies ein kulturell European“ in Zusammenarbeit mit internationalen Forschungsein- ­hochwertiges Event ist, das man auch komplett nachhaltig ohne richtungen und Universitäten sein Abschlussjahr gestartet. ­Feinstaubbelastung machen kann, das hätten wir im WOODFIRE ­FESTIVAL gezeigt. Dann bis zum Sonnenaufgang um das lodernde Vorarlberg ist einfach wunderschön. Im Frühling, wenn alles blüht, Feuer zu tanzen, hätten wir sicher auch hinbekommen. die Vögel zwitschern und das Herz nach draußen drängt, wäre die Konjunktiv Plusquamperfekt macht wenig Spaß, denn zum Zeit für die verschiedenen Kunstprojekte im öffentlichen Raum Hätte-Wollen-Können-Abschluss hätten wir Feldkirch so richtig gekommen. In Hohenems hätten die Menschen den Kunstweg mit ge­rockt. Da gibt es ja schon ein Lichtfestival und das wäre zum Ab­- Werken von Ruth Schnell, Martina Baraga und Stefan Kristoffer so schluss des Kulturhauptstadtjahres das Europäisches Lichtzeichen richtig genossen und die Kanonen-Skulptur von Anish Kapoor LIGHT SPIRIT geworden. Ob wir es wirklich geschafft hätten, eine bestaunt, die Wachsprojektile von der Schweiz nach Österreich in der Abendsonne über dem Erdball reflektierende Skulptur in geschossen hätte, in Dornbirn am Zanzenberg wäre der Kunstpark die Erdumlaufbahn zu setzen, können wir nicht mehr wissen. Der von FLATZ mit internationalen Kunstfreunden eröffnet worden, große Abschlusskongress internationaler Wissenschaftler*innen „Aber Nochejassen hat durch ganz Europa wäre die Taurus-Lokomotive von Gottfried zum Thema­ Digitaler Humanismus, der uns einen Wegweiser in die Bechtold gefahren, „Penelope Babylon“ von Meinhard Rauchens- digitale Zukunft hätte sein können, wird nicht sein. uns noch nie gefallen, wir teiner hätte die James-Joyce-Passage in Feldkirch belebt, Spen- an die schönsten Flüsse Vorarlbergs gebracht, mit EINST VERBO- cer Tunick hätte die weltweit eingescannten Nackten auf den Mars TEN, JETZT ERLAUBT wäre ein Künstler*innenkollekiv unter der Aber Nochejassen hat uns noch nie gefallen, wir setzen uns lieber ­setzen uns lieber an den gebeamt und im Bregenzerwald hätte Loredana Longo ein Wäl- Lei­tung von Barbara Herold den einstigen Verboten in Vorarlberg an den Tisch und beginnen ein neues Spiel. Wir sind alle da, wir derhaus mit Dynamit gefüllt und in die Luft gesprengt. nachgegangen. Twist war verboten, Jane Birkins Gestöhne in „Je wissen was wir wollen, wir haben konkrete Pläne und wir haben Tisch und beginnen ein Aber wir wären es auch ruhig und sinnlich angegangen. Der t’aime“ genauso wie Udo Jürgens „Es wird Nacht Senorita“. Die den Mut und die Kraft, sie umzusetzen. neues Spiel. Wir sind NATURE-ART-PARK im Bregenzerwald, organisiert gemeinsam mit Montforter Zwischentöne hätten ein Spezialprogramm gestartet. der Nature-Art-Biennale South Korea, dem Werkraum Bregenzer- Neben Programmen wie CULTURE CLASH, um migrantische alle da, wir wissen was wir wald und Unternehmen wie zum Beispiel „Lehm, Ton, Erde“ ent- und heimische Kulturvereine zusammenzubringen, CIRCLE, wo wir lang des UNESCO-Kulturerbe-Weges hätte uns Skulpturen von mit Handel, Handwerk und Landwirtschaft nachhaltige Kreislauf- wollen, wir haben kon- Tone Fink, Herbert Meusburger, Caroline Ramersdorfer und vielen, projekte unterstützen wollten, SHARED SPACE, um uns mit ande- vielen mehr beschert und hätte bei einer enormen Holz-Bühnen- ren Holodecks auf der ganzen Welt zu verbinden, den schon etab- krete Pläne und wir haben Skulptur – Künstler*innen und Platz to be defined – geendet. Mit lierten EUROPAKLASSEN, dem KISSING WITH TARTU Projekt, um den Mut und die Kraft, ARCHITOUR hätte das vai die Spezialführungen aufgenommen, IM mit unseren Freund*innen aus der anderen Kulturhauptstadt vir- FLUSS DER ZEIT hätte temporäre Site-Specific-Art-Interventions tuelle Küsse auszutauschen und vielen weiteren Projekten, die wir sie umzusetzen.“

90 Outburst of Courage 91 2023 2024 Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Opus Magnum Europaeum Opus Magnum Europaeum Europe in a Nutshell Europe in a Nutshell Woodfire Festival Woodfire Festival PROJECTS

HIGHLIGHT Light Spirit Light Spirit

Sound without Borders Save the Wälderhaus Baroque Master Builders All Together Now Living Fabrics and more Spaces for Art

POLIS MIND POLIS Culture Clash Architour Vorarlberg Project Cluster: Free and Independent Museum of Progress

Disrupt my Space Deep Site Digital Studios Digital Art Blog In the Flow of Time

­ DISRUPTION Analogue Life Der Kranke Hase (The Sick Bunny) Write Out

REALITY REALITY Year of Humanism Nature-Art-Park

Spot On…! Once Forbidden now Allowed Creative Retreats Shared Space The Europe Class Circle First Europeans – Last Europeans Project Cluster: Border(Line) Experiences NO FRONTIERS Project Cluster: Europe says Hello Kissing with Tartu EUROPAretta House of Literature Vorarlberg

Homunculus Homunculus Tanz ist Festival Tanz ist Festival Architekturtage Architekturtage Alpenarte Alpenarte Origano Festival Origano Festival Montforter Zwischentöne Montforter Zwischentöne Montforter Zwischentöne Montforter Zwischentöne FAQ Bregenzerwald FAQ Bregenzerwald Bregenzer Frühling Bregenzer Frühling Bodenseefestival Bodenseefestival Bregenzer Festspiele Bregenzer Festspiele Emsiana Emsiana Schubertiade Schubertiade Schubertiade Schubertiade Potentiale Potentiale Poolbar Festival Poolbar Festival Alpinale Alpinale EVENTS IN THE FOUR BORDER REGION BORDER FOUR IN THE EVENTS Szene Openair Szene Openair Art Bodensee Art Bodensee

POSSIBLE COOPERATIONS WITH EXISTING CULTURAL CULTURAL EXISTING WITH COOPERATIONS POSSIBLE Art Basel Art Basel Jan Feb Mar Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez

92 #plans Festival Residency Workshop/Conference Exhibition Digital Art Public space/Installation Intervention 93 Dornbirn plus als Motor für ­Geschlechtergerechtigkeit Eine verpasste Chance für den Bregenzerwald

Stefania Pitscheider Soraperra Direktorin Frauenmuseum Hittisau

Frauen aus dem Bregenzerwald gelten Gibt es nicht genug Beitragsjahre, ist die Alterspension so niedrig, qualität. Sie ermöglicht eine aktive Teilhabe an der Gemeinschaft dass vor allem für alleinstehende Frauen Altersarmut droht. Und und rückt Themen ins gesellschaftliche Bewusstsein, die wenig als stark, unabhängig und durchset- eine Ehe ist längst keine Garantie mehr für Absicherung im Alter, sichtbar sind. Deshalb trägt sie zum guten Funktionieren des Ge- ist doch die Scheidungsrate in Vorarlberg die dritthöchste in ganz meinwesens bei, sie unterstützt das Miteinander, stärkt die wech- zungsfähig. Der Konsens darüber ist Österreich. Um aber einem Beruf nachgehen zu können, braucht selseitige Verantwortung. breit. Dieser Konsens hat es vor zwan- es die Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren. In den letz- ten Jahren hat sich diesbezüglich zwar viel getan. Gleichzeitig zig Jahren möglich gemacht, den werden mancherorts Familien, die für ihren Nachwuchs keine „Denn wenn Frauen weg­ Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, mit einer Prämie belohnt. Grundstein für ein Frauenmuseum zu Mit Anreizen dieser Art wird eine Wertung vorgenommen und die ziehen, stirbt der ländliche Sinnhaftigkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen deutlich in Fra- legen. Gleichzeitig ist das Frauen- und ge gestellt. Raum. Dafür gibt es un- Familienbild in der Region sehr tra- Die Lösung dieser Probleme ist eine große Herausforderung zählige Beispiele in ganz für Politik und Gesellschaft. Nicht nur im Bregenzerwald. In Öster- ditionell. Zahlreiche gut ausgebildete reich besteht im europäischen Vergleich ein hohes geschlechts- Europa.“ spezifisches Lohngefälle zwischen Frauen und Männern. Beson- Frauen bleiben jahrelang zu Hause, ders deutlich sind die Unterschiede bei Angestellten und Arbei- ter*innen. 2019 lag der sogenannte Gender Pay Gap gesamtstaat- Die Kulturhauptstadtbewerbung mit ihrem Titel „Outburst of Cou- sobald sie ein Kind bekommen. Wenn lich bei 15,2 %. Das heißt, dass vollzeitbeschäftigte Frauen 56 Tage rage“ war eine wichtige Plattform, das Thema Gleichstellung der sie wieder arbeiten, tun sie das meist länger arbeiten mussten, um den gleichen Lohn zu verdienen wie Geschlechter in Vorarlberg offen und öffentlich im Land zu disku- vollzeitbeschäftigte Männer. Und in Vorarlberg? Nun, in Vorarlberg tieren. Das Bewerbungsteam als einzig weibliches in Europa legte in Teilzeit – mit allen Konsequenzen. verdienen Frauen 25,3 % weniger als Männer, also – sie arbeiten 89 diesen Themenschwerpunkt natürlich nahe und wir sind froh dar- Tage umsonst. Gegenwärtig wird dies in Europa nur noch von Est- über. Die Kulturhauptstadt wäre eine gute Gelegenheit gewesen, land mit 25,7 % übertroffen. vielfältige kulturelle Angebote gerade mit und für Frauen zu ent- wickeln, umzusetzen und sichtbar zu machen. Um Beteiligungsfor- Was hat das alles mit Kultur zu tun, was mit der Idee einer Kultur- mate zu fördern, alle Bürger*innen einzubeziehen und so zur D+ hauptstadt, was mit dem Bregenzerwald? Nun, die Lebenssitua- positiven Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Aber auch tion der Frauen hat einen wesentlichen Einfluss auf den ländlichen ohne Kulturhauptstadt werden wir gemeinsam weiterhin konstant „Der Gender Pay Gap in Österreich ist der Raum. Alle Expert*innen sind sich einig, dass der ländliche Raum auf diese Ziele hinarbeiten, weil wir im Frauenmuseum Hittisau seit zweithöchste in Europa nach Estland“ – nur überleben kann, wenn es gute Rahmenbedingungen für Frau- jeher der Überzeugung sind, dass Kultur mit sozialem und politi- war einer der ersten Sätze in der Präsen- en gibt. Denn wenn Frauen wegziehen, stirbt der ländliche Raum. schem Handeln eng verknüpft sein soll. Wir freuen uns darauf, das tation von Stefania Pitscheider Soraperra Dafür gibt es unzählige Beispiele in ganz Europa. auch weiterhin über die Grenzen des Bregenzerwaldes hinaus und vor der Kulturhauptstadt Jury. Das saß. Auch im Bregenzerwald sind wir langfristig gut beraten, genau gemeinsam mit dem Team zu tun. Und sitzt. Als reines Frauenteam war hinzuschauen. Wir brauchen flächendeckende Kleinkind- und es nur eine Frage der Zeit, bis wir Stefania Schüler*innenbetreuung, qualifizierte Arbeitsplätze mit flexiblen kontaktierten und sie baten, unsere Arbeitszeiten, Jobsharing, leistbaren Wohnraum, Breitband-Infra- Wahrnehmungen und Erzählungen mit struktur, mobile Gesundheitsversorgung, gute steuerliche Rah- Zahlen, Daten und Fakten zu stützen und menbedingungen für Ein-Personen-Unternehmen, politische Teil- in unser Präsentationsteam zu kommen. habe und auch ein Bewusstsein für Feminismus. Auch durch Stefania wissen wir, wie Was wir aber auch brauchen sind differenzierte und reichhal- sehr das Thema Gleichstellung in Vorarl- tige kulturelle Angebote für Frauen (und für alle, die sich als solche berg polarisiert, es wurde zu einem begreifen). Frauen brauchen die Möglichkeit, sich aktiv an kultu- der wichtigsten Themen in unserer Be­- rellen Fragen zu beteiligen. Wie zahlreiche Studien belegen, ist werbung. Kultur einer der wichtigsten Faktoren zur Sicherung der Lebens-

94 Outburst of Courage 95 Juppe trifft Sari Geschichten über Stoffe und Begegnungen

Nesa Gschwend Künstlerin

Was verbindet eine Bregenzerwälder Kleider – Stoffe erzählen Geschichten, die überall auf der Welt tief Mit neuen und auch alten Geschichten und Stoffen reiste ich wei- in unserer Menschheitsgeschichte verankert sind. Der bekannte ter nach Hittisau ins Frauenmuseum. Den Morgen verbrachten wir Juppe mit einem indischen Sari? Historiker Yuval Noah Hariri bezeichnete in einem Interview die zusammen mit einer Gruppe von Mädchen aus der nahen Schule Nadel als das vielleicht wichtigste und am meisten unterschätzte und einigen Frauen, die aus Deutschland, der Schweiz und Öster- Beides sind traditionelle Frauenkleider Werkzeug in unserer etwa 20 000-jährigen Kulturgeschichte. Dank reich extra dafür anreisten. Heterogene Gruppen wie diese, die der Nadel konnten wir wärmende, schützende Kleider und Decken vom Altersspektrum zwischen zehn und knapp achtzig war, kön- mit vielen Falten, verschiedenen nähen und in kältere Gegenden wandern. Es gibt keine Kultur, die nen für alle sehr bereichernd sein. Die älteren Frauen erinnerten Schichten und beide stiften kulturelle keinen Bezug zu Textilien hat. Im Laufe von Tausenden von Jahren sich an die Stiche, die sie früher gelernt hatten und tausch- sind unzählige Gestaltungsformen und Techniken entstanden. Das ten sich über ihre Schulzeit aus. Einige Mädchen mit zerrissenen Identität. Textile ist eine universelle Sprache, die überall, jenseits der verba- Jeans suchten Stoffstücke, mit denen sie die Hosen hätten flicken len Sprache, verstanden wird. Es ist kein Zufall, dass im Wort Textil können. Die Idee wurde wieder verworfen. Zurzeit sind zerrissene auch das Wort Text – Erzählen enthalten ist. Hosen mehr in Mode als geflickte. Eine andere Gruppe fragte sich, wann sie das letzte Mal etwas von Hand genäht hatten, vielleicht Ich bin im Rheintal aufgewachsen, einer Gegend, die auf beiden vor zwei Jahren, oder so? In der Abschlussrunde haben sich die Seiten des Rheins von der Textilgeschichte geprägt ist. Textilien Mädchen und die Frauen gegenseitig gezeigt, was sie gemacht spielen in meiner künstlerischen Arbeit von Beginn an eine zent- hatten. Vieles hat sich verändert und doch ist vieles gleich geblie- rale Rolle. Lange habe ich mich auch mit Textilien aus meiner Her- ben. Wie zu Beginn brauchen wir den wärmenden Schutz der Stof- kunftsfamilie beschäftigt. Diese Werkserie konnte ich 2017 unter fe, wollen sie gestalten, in die Hände nehmen, berühren und noch anderem in der Johanniterkirche in Feldkirch zeigen. Aus diesem immer sind Menschen mit nur ein paar Textilien auf Wanderschaft, Kontakt entstand die Verbindung zu Bettina Steindl, Theresa Bubik, auf der Flucht. Lisa-Maria Alge und Stefania Pitscheider Soraperra. Ich schlug ihnen vor, mit dem Projekt Living Fabrics, das ich seit 2015 ent- wickle, im Rahmen der STARTprojekte von Dornbirn plus nach Vor- „Es gibt immer etwas, was arlberg zu kommen. Der Gedanke hinter diesem Projekt ist in ein großes, gemeinsames Netzwerk viele ganz unterschiedliche Per- mich mit einem anderen sonen zu integrieren, in dem durch die Stoffe auch die Menschen D+ und ihre Geschichten gespeichert werden. Die Stoffe, die Fäden, Menschen verbindet.“ das Machen mit den Händen ruft bei vielen Beteiligten existenti- Nesa Gschwend hat ein so fröhliches und elle, persönliche Lebenserfahrungen in Erinnerung. Nicht nur besonnenes Gemüt, das sofort auf Stoffe, auch Geschichten werden bei den Treffen ausgetauscht. Am Nachmittag kam eine Gruppe Flüchtlingsfrauen aus Syrien und alle Anwesenden wirkt. Über die START- Daraus entwickele ich anschließend Objekte und Videos, die wie- Ein großer, schützender Baum, Textilien, eine Gruppe Menschen, Irak, zusammen mit ihren Kindern. Sie leben jetzt in der Nähe von projekte kennengelernt, konnten wir in der an andere Orte weiterwandern, um den Faden weiterzugeben, die zusammen etwas machen, erzählen und singen ist ein Bild, das Hittisau. Über den Austausch der Stoffe, das gemeinsame Tun ent- gemeinsamen Projektnachmittagen damit das Netzwerk weiterwachsen kann. seit Jahrtausenden überall auf der Welt immer wieder entsteht. stand eine Kommunikation, eine Verbindung ohne verbale Spra- und bei der daraus resultierenden Aus­stel- So auch in Dornbirn unter der großen Linde hinter dem Kultur- che. Ein Mädchen sprach schon etwas deutsch und erzählte uns lung im Frauenmuseum Hittisau viel über 2017 verbrachte ich einige Monate in Indien und reiste zusammen haus. Kinder aus zwei Schulklassen und einige Erwachsene stick- über ihren Alltag hier. die Geschichte von Textilien lernen. Damit mit lokalen Social-Workers in viele Dörfer und Slums in Tamil Nadu. ten zusammen, tauschten Stoffe und Geschichten aus. Eine Leh- Amartya Sen, der indische Philosoph, der über Fragen der Ge- verbunden sind Lebensgeschichten aus Hunderte Frauen und Kinder haben sich an diesem Austausch rerin erzählte, dass ein türkisches Mädchen aus ihrer Klasse eine rechtigkeit und Identität geforscht hat, schrieb: „Wir müssen er- der ganzen Welt, die Nesa auf den Reisen beteiligt. Die Stoffe der Saris mit ihren bunten Farben erzählen so schöne Stimme habe. Auch die Kinder baten sie, für uns ein kennen, dass wir sehr viele verschiedene Zugehörigkeiten haben mit ihrem Projekt „Living Fabrics“ sam- von ganz anderen Lebensentwürfen als unseren. türkisches Lied zu singen. Sie sang mit schönster Stimme ein Lie- und auf sehr unterschiedliche Weisen miteinander verbunden melt. Nesa lebt für ihr künstlerisches Im Sommer 2018 kam ich mit denselben großen Taschen voller beslied, wie ein Junge aus der Klasse übersetzte. Er sagte, dass sind.“ So ist in all diesen Treffen mit Living Fabrics die zentrale Schaffen und wir sind nachhaltig begeis- Stoffe, mit denen ich auch durch Tamil Nadu gereist bin, nach dieses Lied von einer traurigen Liebe erzähle, wie die meisten Lie- Frage: Was teilen wir, wo sind unsere Gemeinsamkeiten? Es gibt tert davon. Ob sie jemals ohne Nadel Dornbirn. Die Saris, die Geschichten der indischen Frauen und der. Die Bürgermeisterin von Dornbirn kam vorbei und zeigte sich immer etwas, was mich mit einem anderen Menschen verbindet. und Faden das Haus verlässt? Wir glauben Kinder waren schon in das Projekt integriert. begeistert von dem Projekt und dem gemeinsamen Schaffen der Durch die Fäden und das Manuell-Greifbare kann das Gemein- es nicht :-) Kinder und Lehrerinnen. same zum Ausdruck kommen, was auch Menschen in schwierigen

96 Outburst of Courage 97 „Ich kann mit Living Fa­ immer wieder auf. Mich hat sie auch im Atelier noch einige Zeit Projekt ist zwischen den Geschlechtern: Es sind etwa neunzig Pro- begleitet. Aus den Fragmenten von Idas Juppe sind Objekte ent- zent Frauen, die sich beteiligt haben; die bereit waren den Faden brics keine Alltagssorgen standen, die ihr gewidmet sind. Eines befindet sich im Frauenmu- in die Hand zu nehmen, Verbindungen herzustellen und Welten seum, am Ursprungsort sozusagen. miteinander zu verknüpfen. Textilien sind jedoch genauso existen- lösen, aber ich kann Auch alle anderen gebrauchten Kleidungsstücke haben eine tiell für unser Menschsein wie essen und trinken. Das textile Den- den beteiligten Personen eigene Geschichte; doch ist die Geschichte der von Ida handge- ken ist in sehr vielen Lebensprozessen und Sparten tief verankert. nähten Stücke doch stärker als die eines billigen T-Shirts, zu dem Auch die virtuelle Welt ist eng mit dem textilen Wissen ver- als Künstlerin einen Faden niemand eine enge Beziehung gepflegt hat. knüpft, sind doch fast alle Begriffe aus dem Textilen entlehnt. So Meine Arbeit als Künstlerin ist es, anschließend im Atelier, in verstehe ich Living Fabrics auch als ein Abbild unserer Zeit, als in die Hand geben, damit einem langen Prozess all diese Fäden und Stoffteile zu verknüpfen einen Austausch über unterschiedlichste Grenzen hinweg. Das und in den Objekten den Austausch zu verbildlichen. Jedes getra- textile Denken und Verstehen ist dabei das verbindende Element. sie sich mit der Welt gene Kleidungsstück trägt eine Geschichte in sich, jede Person, und anderen Menschen die physisch bei einem Treffen dabei war bringt ihre einzigarti- ge Geschichte mit und zusammen entsteht eine unüberschauba- „Fäden, Stoffe bieten verbinden können.“ re Vielfalt an Lebensentwürfen, Freundschaften, Familie, Freude, Trauer und was sonst noch alles in die Stoffe eingeschrieben ist. überall auf der Welt Im Jahr darauf gestalteten wir im Foyer des Frauenmuseums Lebenssituationen dabei unterstützen kann sich dazugehörig zu eine Ausstellung mit zwei großen Objekten und dem Video über noch viel Stoff für fühlen. Ich kann mit Living Fabrics keine Alltagssorgen lösen, aber die Reise. Im Video werden die Menschen und auch die Orte weitere ­Geschichten.“ ich kann den beteiligten Personen als Künstlerin einen Faden in sichtbar. Auch die Gruppen von Vorarlberg, die Reise über den die Hand geben, damit sie sich mit der Welt und anderen Men- Rhein, die Landschaft des Bregenzerwaldes habe ich in das Video schen verbinden können. eingeflochten. Die Juppe, die Flüchtlingsfrauen und das türkische Auf den Einwand, dass die Nadel doch nicht wirklich die wichtigste Zu uns gesellte sich auch eine Gruppe Frauen aus dem Bre- Mädchen verbinden sich darin mit den Frauen in Georgien, den Erfindung der Menschheit war, meinte Yuval Noah Hariri: „Nein, es genzerwald. Renate Nussbaum, die im Frauenmuseum arbeitet, Kindern in einem Dorf in Südindien, ihrer Großmutter, die nicht gibt eine andere Erfindung, die noch viel wirkungsvoller war: Das brachte einen Sack mit alten Kleidern mit, der schon seit Jahren verstehen konnte, dass ich hier mit ihnen auf dem Boden sitze Erzählen und Erfinden von Geschichten.“ bei ihr auf dem Estrich lag. Darin war auch eine handgenähte alte und nähe, wo ich doch aus einem so schönen Land komme. Den Faden von Living Fabrics werde ich wiederaufnehmen, Juppe, mit fuchsiafarbener Schürze, kurzer Jacke und hellgrünem wann immer es möglich sein wird. Fäden, Stoffe bieten überall auf Schultertuch. In alle Teile hatte die Näherin ihren Namen, Ida Aus der Kulturhauptstadt ist nicht das geworden, was man sich der Welt noch viel Stoff für weitere Geschichten. Feurstein, eingenäht. Wir alle bestaunten dieses Kleidungsstück erhofft hat. Die Vision von Bettina Steindl, Theresa Bubik, Lisa- und fragten uns, ob man das jetzt zerschneiden darf? Anders als Maria Alge und Stefania Pitscheider Soraperra, dass der Rhein die auf dem Estrich wird die Tracht in diesem Projekt sichtbar, be- beiden Ufer zu einem gemeinsamen Kulturraum verbindet, in dem kommt einen Platz, wenn auch nicht in traditioneller Form. Sie es viel auszutauschen gibt, sollten sie aber trotzdem weiterspin- wird verwandelt und in ein künstlerisches Projekt integriert. Die nen. Vorarlberg, die Juppe, ist eingewoben in Living Fabrics, ver- Jacke schenkten wir dem syrischen Mädchen. Sie passte ihr genau. bunden mit den farbigen Saris aus Indien, dem geblümten Kopf- Ida muss klein und feingliedrig gewesen sein. tuch aus Georgien, der afrikanischen Bluse und dem feinen Fou- Renate, die Ida noch kannte, machte den ersten Schnitt und lard aus Paris, dem bestickten Tischtuch aus Appenzell, dem wir alle schnitten ein Stück von Idas Juppe aus und stickten es zu gestrickten Pullover aus Fürth, dem roten Kinderkleid aus Basel … anderen Stoffen dazu. Und die Begegnungen in Dornbirn und Hittisau haben stattge- Transformation und Austausch, aus etwas Altem etwas Neues funden, das ist was zählt. schaffen, sind Teil von diesem Prozess. Der Vogel kann nur zum Vogel werden, wenn das Ei zerbricht. Dafür braucht es die Zerstö- Bis heute waren knapp zweitausend Personen, aus etwa fünfund- rung. „Schneiden ist zerstören und nähen ist heilen“, sagte Louise sechzig Nationen und noch weit mehr unterschiedlichen Kulturen Bourgeois über das Arbeiten mit Textilen. beteiligt. Die kleinsten Kinder waren etwa drei Monate, die älteste Ida taucht in ganz unterschiedlichen Objekten unverkennbar Frau fast neunzig Jahre alt. Das große Ungleichgewicht in diesem

98 Outburst of Courage 99 Europäische Ausflüge und internationale Juryvisits #gemeinsamaufdemweg

Alexandra Hefel Initiative Ausflugsbüro und operative Unterstützung Juryvisit

Ein Jahr ist es her. Ein Jahr nur. Die unvorhersehbare Reise. Leiterin eines Kulturforums, Unternehmensberater, Juppenfrau, Ich durfte Bettina, Theresa und Lisa im Frühjahr 2018 kennenler- Museumdirektor, Hotelier … ein Mosaik an Positionen wurde an Zwischen der letzten Zusammenkunft nen. Mein Telefon klingelte und es war Theresa, die erstmals Kon- diesen beiden Tagen von den Beteiligten zusammengestellt. Dabei takt mit mir aufnahm. Mein kleines Ausflugsbüro war auf ihr Inter- war es wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, da-­ aller Beteiligten am Ende des Bewer- esse gestoßen und so trafen wir uns zu einem Austausch. Von mit die Referent*innen offen sprechen konnten. Denn nicht alle bungsprozesses in der inatura in Anfang an war der Funke da, auch wenn ich noch gar nicht wusste, waren von Beginn an überzeugte Mitstreiter*innen gewesen. Oft was denn diese Kulturhauptstadtbewerbung für Schwerpunkte brauchte es tiefergehende persönliche Gespräche, um den Her- ­Dornbirn und heute scheint eine ganze hatte. Kultur und Europa waren wohl die Stichworte, die mich neu­- ausforderungen im Land auf den Zahn zu fühlen. Ich selbst konnte gierig machten. während dieser Reise erfahren, mit welchem größten Gegner die Ära vorbeigezogen zu sein, nicht nur Schnell war klar, dass wir unsere Begeisterung für viele The- lokale Kulturlandschaft zu kämpfen hat: dem Wohlstand, der Kon- men teilen: das Fördern von neuen Initiativen, Vernetzung inner- tinuität und der Zufriedenheit. Ich schmunzle gerade, wenn ich ein Jahr. Unser Leben hat sich von halb der Kulturszene, der Blick über den Tellerrand hinaus in Rich- daran denke, was danach geschah. einer vermeintlichen Vorhersehbarkeit tung Wirtschaft, Bildung, Gesellschaft. Wir waren uns einig, dass es dringende Themen in Vorarlberg gibt, die es anzupacken gilt und zu einer ständigen Veränderung ent­ die Kultur eine starke Trägerin dieses Diskurses sein soll. Kultur „Ich selbst konnte wäh- sollte nicht als abgegrenztes Universum, das sich hinter Theater- wickelt. Das, was zu Beginn und türen und Museumseingängen abspielt, gesehen werden, sondern rend dieser Reise erfahren, vernetzend wirken und im Lebensalltag der Menschen eine Rolle ­während des gesamten Bewerbungs- spielen. Und dafür sollten schon während des Bewerbungsprozes- mit welchem größten prozesses für die Beteiligten galt, ses Initiativen gestartet werden. Gegner die lokale Kultur­ die Unvorhersehbarkeit, betrifft heute Ausflüge in die Kulturlandschaft. landschaft zu kämpfen Mein erster Beitrag war ein öffentlich beworbener Ausflug zum die gesamte Bevölkerung. Europatag am 8. Mai 2018. Ziel war, das Thema „Grenze“ aus unter- hat: dem Wohlstand, schiedlichen Perspektiven zu beleuchten. So traf sich eine stattli- D+ che Gruppe von Wetterfesten am Bahnhof des Rheinbähnles, um der Kontinuität und der sich auf eine ungewisse Reise zu machen. Gleich zu Beginn führte Zufriedenheit.“ Mit ihrer Initiative „Ausflugsbüro“ über- Bürgermeister und Philosoph Kurt Fischer in die wechselvolle zeugte uns Alexandra Hefel sofort. Um sich Geschichte der Gemeinde Lustenau ein und berichtete, welch selbst die Rückkehr aus Wien in die Hei- skurriler Grenzverlauf zur Schweiz früher bestanden hatte. Histo- Die neue Ära ist da mat nach Vorarlberg zu erleichtern, plant riker Peter Melichar erzählte von den grenzübergreifenden euro- Eigentlich ist es überhaupt nicht zum Lachen. Menschen erkran- sie regelmäßige Ausflüge für sich und päischen Abstimmungen lange vor der EU, die etwa durch das ken, verlieren Jobs, sind auf unbestimmte Zeit in Kurzarbeit, be-­ andere an interessante Orte und zu span- Bahnnetz notwendig wurden. Nach einer gemütlichen Bähnlefahrt kom­men nur häppchenweise Informationen, leben in ständiger nenden Menschen in Vorarlberg. setzte sich am Rheinspitz der Spielbodenchor musikalisch und Unsicherheit. Sie werden abgeschottet und suchen Halt bei Men- textlich mit Grenzen auseinander und bei der Rückfahrt erzählte schen, die klare Ansagen machen. Sie glauben ihnen, auch wenn „Komm mit! Wir feiern Europa und machen Bergführer Heinz Wohlwend über seine Grenzerfahrungen. Zwi- sie Unwahrheiten verbreiten. Doch was ist schon wahr? Ein Diskurs einen Ausflug“ war unser erstes gemein- schendurch konnten sich die Ausflügler austauschen und das Auf- findet derzeit nicht statt oder endet in Shitstorms. Und genau da sam Projekt im Rahmen dieser Reihe. Die genommene sacken lassen. setzt die wichtige Arbeit der Kulturbranche an. Organisation und Umsetzung des Jury- Der zweite Ausflug, an dem ich mich organisatorisch beteiligte, Kultur bietet eine Plattform für Diskurs, die als solche akzep- visits das nächste und wohl das wichtigste. war der Juryvisit im November 2019. Hier ging es ums Ganze! Ich tiert ist. Künstler*innen können sich zu gesellschaftspolitischen Wir werden von Beteiligten und Mitreis- unterstützte das Dornbirn plus Team bei der Organisation der Geschehnissen positionieren und diese Position darf durchaus enden noch immer auf den beeindrucken- Generalprobe und des tatsächlichen Ausflugs. Schon bei der Vor- provokant und verstörend sein. Künstler*innen können sich Fra- den Tag quer durchs Land angesprochen – bereitung kam ich in Kontakt mit Menschen aus unterschiedlichs- gen widmen, an die sich Journalist*innen nicht trauen. Kultur kann das sagt wohl alles … ten Lebensbereichen, die alle an diesem einen Tag mitwirkten: nationale Grenzen überschreiten. Nicht umsonst hieß einer der

100 Outburst of Courage Wegbegleiter*innen 101 Taglines von Dornbirn plus: Wer Kultur sät, wird Europa ernten. Das Die Vorarlberger Kulturlandschaft ist sehr vielfältig. Neben etab- „Jeden Tag gibt es neue könnte guten Gewissens erweitert werden. lierten beständigen Institutionen tummeln sich viele kleine Initiati- Wir brauchen eine starke Kulturlandschaft. Und die lokale Kul- ven: spontane einmalige, aufstrebende langlebigere. Ideen gibt es Fragen, manche sind turlandschaft wird nur dann stark sein, wenn sie sich den Heraus- bereits viele, mehr Ideen entstehen im Austausch. Dafür benötigt forderungen der Zeit stellen kann. Die Rahmenbedingungen für es Drehscheiben: Menschen, die quer durch das Geschehen Gro­ ­morgen schon wieder alt, Kulturarbeit sind komplett aufgebrochen: Künstler*innen können ße und Kleine zusammenbringt, sie bei der Ideenentwicklung und manche kommen stetig nicht anreisen, niemand weiß, ob die geplante physische Veran- Umsetzung unterstützt. Die hinausschaut über den Tellerrand und staltung wirklich stattfinden kann, ganze Teams müssen in Quaran- Konzepte aus Wirtschaft, Forschung, Politik, Medienlandschaft … wieder. Schnelle Antwor­ täne. Die Herausforderungen sind immens. übersetzt in die Kultursprache. Die diese Bereiche miteinander in Austausch bringt. ten darauf zu finden, Mehr denn je braucht es Räume, in denen Funken sprühen „Wir brauchen eine können und neue Wege beschritten werden. Wo in die Zukunft das sehe ich als eine zen­ geblickt wird und nicht in die Vergangenheit. Die Kulturhauptstadt trale Herausforderung starke Kulturlandschaft. hätte dazu einen wertvollen Beitrag leisten können, indem sie sol- che Räume angeboten hätte. Ich hoffe, dass trotzdem einige der ­dieser neuen Ära. Die Ära Und die lokale Kultur­ Ideen, die im Bewerbungsprozess ausgearbeitet wurden, in die landschaft wird nur dann Realität umgesetzt werden. der ständigen Verände­ stark sein, wenn sie Ein Jahr ist es her. Ein Jahr nur. rung. Die Ära der Globali­ sich den Herausforder­ sierung von Kultur.“ ungen der Zeit stellen kann.“

Funken sprühen lassen Gleichzeitig gibt es Raum für neue Möglichkeiten. Es können Kon- zepte entstehen, die losgelöst sind und sein müssen von bisheri- gen Arbeitsweisen. Die gesamte Kulturszene ist mit neuen Frage- stellungen konfrontiert: Wie gehe ich mit dem Publikum um? Was mache ich, wenn niemand ins Kino darf? Jeden Tag gibt es Fragen, manche sind morgen schon wieder alt, manche kommen stetig wieder. Schnelle Antworten darauf zu finden, das sehe ich als eine zentrale Herausforderung dieser neuen Ära. Die Ära der ständigen Veränderung. Die Ära der Globalisierung von Kultur. Als Konsumentin bekomme ich Einladungen zu Premieren aus Über­see, Vortragsreihen in Wien, Konferenzen in Berlin, Wohnzim- merkonzerten in Arbon. Ich muss dafür nicht verreisen, alles kann ich daheim anschauen. Alles finde ich interessant und gleichzeitig zu viel und zu anstrengend. Digitale Events sind erst am Beginn. Wie sie die Kulturlandschaft verändern, weiß heute noch niemand. Dass es sich nicht zurück zum Jahr 2019 entwickeln wird, das wis- sen heute alle.

102 Outburst of Courage Wegbegleiter*innen 103 Kulturhauptstadt über den ­Tellerrand gedacht

Emanuel Moosbrugger Hotelier

Als ich 2013 zurück kam nach Vorarl- Keine regelmäßigen Besuche von Konzerten und Ausstellungen innen ausgewertet und in sogenannte Programmlinien gegossen. der Jury nochmals verdeutlicht. Wir brauchen die Freiheit und mehr. Keine Bars oder wirklich aufregenden Restaurants in der Diese Programmlinien waren die Leitlinie, anhand derer sich bei den Mut, globalen unternehmerischen Herausforderungen mit lo- berg und das Biohotel meiner Eltern im Nähe. Kaum fremde Sprachen, andere Hautfarben, alternative Sty­- Titelgewinn Künstler*innen und Kreative mit ihren Projekten ein- kal erarbeiteten Lösungen zu begegnen. Und dabei sind viele krea- les oder gar provokante Denk- und Handlungsweisen. Stattdessen bringen sollten. Über die Kulturhauptstadt habe ich ein Sprach- tive Köpfe gefragt, die wir dringend für Vorarlberg begeistern und Bregenzerwald übernahm, fehlte mir wunderbare Natur, beste biologische Produkte, viel frische Luft rohr gefunden, das mutig und offen sagt, was sich Einzelne oft für uns gewinnen müssen. das urbane Leben am meisten. Ich und g’hörige Menschen. Sobald im Bregenzerwald irgendetwas nicht trauen. Mir haben diese Ideen also gefallen und ich hätte mir sehr ge- anders ist als gewohnt oder jemand neue Wege beschreitet, an- wünscht, Dornbirn plus hätte den Titel gewonnen. Ein Sieg des hatte 13 Jahre auf Wanderschaft ver- dere Ansichten äußert oder sich anders verhält, fällt das auf. Ich einzigen Frauenteams in Europa hätte mir auch gefallen. Inzwi- bin weggegangen, um frei sein zu können. Und ich wollte auch „Nicht im Verborgenen, schen merke ich, wie wichtig es ist, weiterhin für die Inhalte und bracht und in den besten Restaurants nach meiner Rückkehr tun und lassen, was ich möchte und als Themen rund um die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas zu der Welt in New York City und San Unternehmer so handeln, wie ich es für richtig halte. nicht nur bescheiden kämpfen. Es ist auch die Aufgabe von uns Global Playern, von uns Die Bewerbung von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bre- und ruhig innerhalb des Rückkehrer*innen und Vordenker*innen, nicht wieder leise zu Fran­cisco gearbeitet. Und dann ­plötz- genzerwald habe ich seit 2017 verfolgt. Ich sah darin für mich und werden. Wir sollten all das Erarbeitete nützen und beginnen, es meinen Betrieb eine Riesenchance. Ich dachte an internationale ­eigenen Betriebes und umzusetzen. So handhabe ich das als Geschäftsmann auch in mei- lich der Bregenzerwald. Gäste, an besondere Kulturereignisse und an eine Plattform, über nem Betrieb. Einen gemeinsam eingeschlagenen Weg verlässt man die ich mich einbringen kann und die uns in Vorarlberg mit Europa der Gemeinde- oder nicht. Man geht ihn mutig und stringent weiter, denn nur so kön- vernetzt. Außerdem sehe ich die Tourismusbranche als Teil der nen Visionen und Ideen verwirklicht werden. Für ein lokal orien- Vorarlberger Kultur. Wir sind international bekannt als gute Gast- ­Landesgrenzen. Sondern tiertes und international agierendes Kulturland Vorarlberg. geber*innen und für gutes Essen und sehen unsere Gaststätten als soziale Treffpunkte in der Gemeindekultur. laut und deutlich mit Als es dann konkret wurde mit dem Bewerbungsprozess und ­Europa.“ „Wir brauchen die Frei- der Titel „Outburst of Courage“ definiert war, als ich Vorträge des Teams hörte und merkte, wie viel Wert (auch) auf Kulturtourismus heit und den Mut, globalen gelegt wurde, hat mich das begeistert. Kulturgäste sind begehrt, Gerade im Bregenzerwald gilt das Motto: „Schaffä schaffä, Hüsle sie haben eine längere Aufenthaltsdauer, sind monetär potent, in- baue“. Für Tätigkeiten, die nicht mit den Händen ausgeübt werden, unternehmerischen Her- D+ teressant und interessiert und legen Wert auf gute Gastronomie. fehlt manchmal das Verständnis. Dabei ist das Nachdenken über ausforderungen mit lo- Das trifft sich gut für meinen Betrieb, dachte ich mir. Wir im das Jetzt und die Zukunft, über das, was bewahrt werden soll und Emanuel Moosbrugger ist Hotelier und Schwanen setzen auf regionale Wertschöpfung und handeln und wie die Zukunft aktiv gestaltet werden kann, enorm wichtig. In kal erarbeiteten Lösungen Gastgeber im Biohotel Schwanen. Er denken global. Ich habe gemerkt, wie eng sich hier die Bewerbung meiner Zeit in den USA haben wir das auch beruflich unentwegt ist ein Globetrotter und nach 13 Jahren mit meinen Überzeugungen für meinen Betrieb decken. Dann getan. Was ist die Zukunft der Branche, was wollen wir bieten, wo zu begegnen. Und dabei in New York City und San Francisco heim wurde ich Teil des Präsentationsteams. Und habe genau diese wollen wir hin und mit wem gehen wir den Weg? Dass sich die gekehrt in den Bregenzerwald, um den Punkte eingebracht und der Jury erzählt: Dass ich mir als junger Städte Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und der Bregenzerwald sind viele kreative Köpfe Fami­lienbetrieb zu übernehmen. Sein Blick Unternehmer in einer ländlichen Gegend mehr Offenheit, mehr dazu entschlossen haben, sich gemeinsam zu bewerben, ist ein gefragt, die wir dring- auf die Bewerbung als Kulturhauptstadt Mut, mehr Nachhaltigkeit und eine bessere Vernetzung mit Europa großer Schritt gewesen. Endlich wird über Stadt- und Gemeinde- aus touristischer Sicht, seine Expertise zur wünsche. Wer die eigenen Werte kennt, geht selbstbewusst und grenzen hinaus gedacht, geplant und gearbeitet. Endlich traut sich end für Vorarlberg begeis­ Tourismuswirtschaft der Zukunft, zu biolo- offen auf Neues und anderes zu. wer, Saturiertheit, fehlenden Mut, Fachkräftemangel anzuspre- gischer und regionaler Betriebsführ- Mich persönlich hat die Professionalität des Prozesses und chen und Themen wie zu wenig Frauen in Führungspositionen, zu tern und für uns gewin- ung und seine Schwierigkeiten, Arbeits- speziell die Herangehensweise in Vorarlberg an die ganze Sache wenig Wissen um Nachhaltigkeit, ökologische Lebensführung, Mo- kräfte zu bekommen, davon hat Emanuel ziemlich überzeugt. Über eine lange Zeit wurden in den sogenann- bilität und das Arbeiten in der Zukunft offen zu besprechen. Nicht nen müssen.“ als Teil des Präsentationsteams der ten Denk- und Dialogwerkstätten Meinungen von Expert*innen im Verborgenen, nicht nur bescheiden und ruhig innerhalb des Jury in Wien erzählt. Für diese Publikation und der breiten Bevölkerung eingeholt. Wo liegen die Bedürfnisse, eigenen Betriebes und der Gemeinde- oder Landesgrenzen. Son- berichtet er, was für ihn an der Kultur- was erwarten die Leute von einer Vorarlberger Kulturhaupt­stadt, dern laut und deutlich mit Europa. hauptstadt auch aus heutiger Sicht wichtig was kann ein Titel für die Region bewirken, welche Themen be­ Beim Juryvisit im November 2019 habe ich das zusammen mit gewesen wäre. schäftigen uns, etc. Die Ergebnisse wurden wiederum mit Expert* meinem Kollegen und Freund Peter Fetz im Kunsthotel Hirschen

104 Outburst of Courage Wegbegleiter*innen 105 #Spannungen konstruktiv nutzen. Gemeinsam voranschreiten.

Stefan Hagen Systemischer Organisationsentwickler, Hagen Management

Ein gutes Gespräch setzt voraus, Einige Spannungen, die mir im Rahmen des Kulturhauptstadt­-­ Versus (vs.) bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens nicht im Prozesses besonders bewusst geworden sind, möchte ich destruktiven Sinne gegeneinander, sondern vielmehr die neutrale dass der/die andere auch Recht haben beispielhaft nennen: Gegenüberstellung zweier Aspekte, die unterschieden werden können und müssen. Die große Frage ist nun, wie es gelingen kann, könnte. Mit der Ambition, einen Unterschiede und Vielfalt konstruktiv zu nutzen – im Sinne eines ­Rahmen für gute Gespräche zu schaf- Ziels, Zwecks oder gar einer (gemeinsamen) Vision? MEINUNG vs. ARGUMENT Meine These hierzu – auch in Anlehnung an „The Art of Hos- fen, wurde der Beteiligungsprozess Jeder Mensch hat eine persönliche Meinung. Eine Meinung muss ting“: Wir brauchen ein gemeinsames, brennendes Problem. Im aber keinesfalls auch ein durchdachtes, überprüfbares oder klaren und akzeptierten Problem steckt die Energie für einen im Rahmen der Bewerbung zur Euro- valides Argument sein – bezogen auf die (komplexe) Frage- oder emo­tionalen und strukturellen Aufbruch und folglich für echten Problemstellung. Fort-Schritt. Sind wir Vorarlberger*innen mutig genug, die echten päischen Kulturhauptstadt 2024 Probleme zu benennen und scharf zu stellen? ­ko­nzipiert und durchgeführt. AMATEUR vs. EXPERTE Ein*e Amateur*in beschäftigt sich aus Interesse oder Liebhaberei mit einem Thema. Ein*e Expert*in wiederum übt in diesem Feld die Profession aus und verfügt hier typischerweise um fundiertes Wissen und Können.

POLITIK vs. BEVÖLKERUNG Politik ist das Führungssystem einer Gesellschaft und somit ein gesellschaftliches Subsystem. Bevölkerung wiederum sind alle in einem Land lebenden Menschen. Politik gestaltet die Rahmen­ bedingungen für das gesellschaftliche Leben – sie muss aber von der (wahlberechtigten) Bevölkerung gewählt und somit mit Macht ausgestattet werden.

D+ ANTWORT vs. FRAGE Stefan Hagen war schon beim Creative Vieles, was wir uns vorgenommen haben, ist sehr gut gelungen. Menschen wollen und suchen (konkrete) Antworten und Lös­ Sprint und damit der Gründung des Bewer-­ Anderes wiederum nicht. Das liegt in der Natur der Sache. Denn ungen. Für viele Menschen sind komplexe, ungeklärte Fragen nur bungsbüros dabei. Seitdem ist er unser wenn Menschen zu einem Thema oder Anliegen zusammenkom- schwer auszuhalten. strategischer Begleiter. Die Denk- und Dia-­ men, findet ein emergenter Prozess statt. Man weiß vorher nie logwerkstätten hat Stefan moderiert genau, was passieren wird – trotz detaillierter und präziser Pla- und mit uns gemeinsam die daraus ent­- nung. „Trust the process“ lautet die Devise. VERWALTEN vs. GESTALTEN standenen Themenfelder erarbeitet. Beteiligungsprozesse sind immer spannend – so auch in die- Der Zweck von Verwaltung ist es zu verwalten. Dies erfordert Stefan Hagen ist Denker, Berater, Könner sem Fall. Denn es prallen unterschiedliche Persönlichkeiten, Pers- Stabilität, Konstanz, klare Strukturen und Prozesse. Gestalten und Wissender. Stets gelassen, stra­te­- pektiven, Positionen und Meinungen aufeinander. Gelingende Par- steht im Widerspruch dazu, denn hier geht es um Irritation, gisch argumentierend, über die Grenzen tizipation zeichnet sich dadurch aus, dass ein Spannungsbogen Pro­vokation, Musterbruch und das Zulassen des Neuen. denkend und mit einer Brise Humor entsteht, der sich konstruktiv entlädt – in Form neuer Gedanken, gesalzen sind wir immer dankbar, wenn neuer Einblicke und Erkenntnisse, neuer Beziehungen oder auch Stefan auch mal eine Gedankenblase völlig neuer Lösungsansätze. platzen lässt und neue Wege aufzeigt.

106 Outburst of Courage Wegbegleiter*innen 107 Euro pa w i r

k o m m en trotzdem

Unser Netzwerk für die Zukunft Das Entdecken von Menschen, Möglichkeiten und Träumen. Ein E-Mail-Ping-Pong

Bettina Steindl Jürgen Weishäupl Leiterin Dornbirn plus Künstlerischer Leiter Dornbirn plus

Was tun, wenn man über drei Jahre Bettina Steindl Jürgen, du bist „used to“ kulturelle Leben nie länger als vier Jahre an einem Ort gelebt – mit jedem verwechseln und nur von ihren Sehenswürdigkeiten reden, die Großevents. Du hast mehrere Städte und neuen Job kam eine neue Stadt oder Region, du kennst das ja werden es dann nicht. Es hat sich über die Jahre einfach gezeigt, intensiv zusammengearbeitet und ­Regionen bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt Jürgen. Und ich mag das sehr: Fremd zu sein und heimisch zu wer- dass Kulturhauptstadt ein Katalysator für Entwicklungen von Städ- viel erlebt hat und nun diese Zeit für Europas begleitet, du hast die Manifesta nach den. Manchmal spüre ich die Wanderlust deutlich in mir und ich ten und Regionen sein kann. Man muss halt wissen was man will. Palermo gebracht, du hast internationale Großver- will aufbrechen. Dann schaue ich mich um und denke, es gibt viel eine Publikation gemeinsam Revue anstaltungen, Ausstellungen und Festivals kura- zu tun hier im Ländle und ich möchte ein großes Stück von dem, tiert und organisiert. Wenn du nun auf die letzten was wir für die Kulturhauptstadt geplant hatten, „trotzdem“ um-­ „Outburst of Courage passieren lassen soll – in Zeiten von drei Jahre mit Dornbirn plus zurückblickst, set­zen und initiieren. Steine die ins Rollen gebracht sind oder so … Was mich aufregt, maßlos übrigens, ist Saturiertheit, Genügsam- bedeutet auch, Entschei­ Corona? Wenn man mit echtem Inter- wie fällt deine Reflexion über den Bewerbungs- prozess aus? keit und Selbstgefälligkeit. Daran rütteln wir mit voller Kraft und dungen zu treffen. Ja esse hört, was der andere zu sagen Jürgen Weishäupl Ich knoble ja gerne an großen Formaten und dies in hoffentlich erfolgreich. meiner Heimat zu tun, macht natürlich doppelt Spaß. Es ist ganz BS Welche Kritikpunkte gibt es aus deiner Sicht zu sagen zum Versuchen, hat und sich dabei immer neue Fragen was anderes ob du das in Paris, Triest, Rio oder eben daheim am von der EU-Jury und der Kommission fest­ machst. Es war nämlich in erster Linie ein Entdecken von Men- gelegten Bewerbungs-Procedere? zum Anfangen, zum ergeben, die man stellen möchte. schen, Möglichkeiten und Träumen. In den letzten 20 Jahren war JW Das Procedere wird ja laufend verfeinert. Als ich vor fast 10 ich immer nur kurz im Ländle und jetzt tauchte ich im Bewer- Jahren zum ersten Mal bei einer Kulturhauptstadtbewerbung Ausprobieren.“ Wenn man die Meinung und das Wissen bungsprozess ganz tief mit Leib und Seele ein. Da ich in meinem dabei war, gab es weniger Fragen, man konnte sich freier präsen- Bettina Steindl Beruf ja immer viele Künstler*innen, Produzent*innen, Techniker* tieren und die Jury war zu Hälfte mit Personen aus dem jeweiligen des anderen schätzt, manchmal aber innen, Forschungseinrichtungen, etc. zu temporären großen Pro- Land besetzt. Wir waren ja die ersten im neuen reformierten Ver- auch lange diskutiert, gerne härter duktionsteams zusammenbauen muss, sah ich natürlich das enor- fahren. Durch viel präzisere Fragen und der Besetzung der Jury JW Du hast ja im Bewerbungsprozess mit allen me künstlerische und organisatorische Potential, das bei uns vor- mit nur zwei Personen aus dem eigenen Land und zehn aus Europa möglichen Leuten gesprochen, Politiker*innen, und kämpferisch? Wenn man nicht auf­- handen ist. wollte man den Prozess der Entscheidung objektivieren. Das ist Künstler*innen, Architekt*innen, Museumsdirek- zum Großteil auch gelungen. Bewerbungen werden dadurch aber tor*innen, Vereinsobleuten, Hobby- und Profi- hört, gemeinsam an der Zukunft für auch komplizierter und teurer, da viel mehr erwartet wird. Hat Musiker*innen. Hast Du in Vorarlberg so etwas wie eine Region zu arbeiten, die des einen „Es war in erster Linie also Vor- und Nachteile. einen gemeinsamen Wunsch, ein Ziel erkennen ein Entdecken von JW Wie fandest Du eigentlich die Jury? können? Geburtsort und der anderen Heimat BS Besonders beim Juryvisit sehr professionell, interessiert und BS Alle wollen das Beste und geben ihr Bestes. Aber die Wege und ­Menschen, Möglichkeiten zugewandt. Ermutigend sogar. Bei den Präsentationen in Wien Ziele dahin sind unterschiedlich und nehmen sich oft gegenseitig ist? Man beginnt einen E-Mail-Ping- teilweise streng. Wir alle haben empfunden, dass unsere Themen- Kraft. Es gibt aus meiner Sicht viele interessante Prozesse und und Träumen.“ schwerpunkte Digitalisierung, Gleichstellung der Geschlechter Visionen in Vorarlberg, die sich mit der Zukunft und einem gu- Pong und schreibt nieder, was man und Grenzenloses Zusammenleben besonders bei den jüngeren ten Zusammenleben beschäftigen – nur leider laufen sie parallel. Jürgen Weishäupl Jurymitgliedern und bei den Frauen großes Interesse und Zustim- Wenn dann zu lange in Konzepten gedacht, wieder und wieder dis- sonst sagen würde. mung fanden. Unsere Bewerbung war schon sehr mutig, das denke kutiert und bei der Umsetzung gezögert wird, ist die Zukunft vor- JW Wie war das eigentlich für Dich hier im Ländle? ich mir oft. Sehr klar und deutlich in ihren Aussagen, sehr zuge- bei, bevor das Konzept überhaupt zur Umsetzung kommt. Was ich Hier der Gedanken- und Erinnerungsaustausch von Bettina Du hast ja schon zweimal Kulturhauptstadt hin- spitzt und selbstbewusst in der Programmierung. Das muss nicht sagen will: Start before you’re ready (danke Stefan Hagen dafür :-) ). Steindl (Leitung Bewerbungsbüro) und Jürgen Weishäupl ter Dir, hast lange im Ruhrgebiet, in Linz und Wien immer gefallen. Outburst of Courage bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen. (Künstlerische Leitung): gelebt. Du bist in verschiedensten Boards und BS Städte und Regionen stemmen einen Bewer- Ja zu sagen zum Versuchen, zum Anfangen, zum Ausprobieren. Jurys von Festivals und Großveranstaltungen, du bungsprozess zur Kulturhauptstadt Europas aus Ganz egal ob schon alle Eventualitäten geklärt, jede kritische unterrichtest und bist auch den Außenblick auf eigener Kraft – sind es aus deiner Sicht besonders Stimme eingeholt und alle Probleme besprochen sind. Ein mögli- Regionen gewöhnt. Konntest Du Dich mit uns zukunftsorientierte, innovative Städte, die sich ches Scheitern ist eine Option – gut so! Schlimmer als zu schei- Xi-Berger*innen anfreunden? Was gefällt Dir? Was zu so einem Prozess entscheiden? tern ist nicht anzufangen. Struktur bedingt Verhalten, also müssen regt Dich auf? JW Bewerben tun sich Städte aus verschiedensten Gründen, es Strukturen geschaffen werden, damit getan und umgesetzt wer- BS Ich knoble auch gerne. Offensichtlich auch am liebsten an gro- kommen dann die zukunftsorientierten und innovativen in die den kann. Man muss Kreative also im Tun unterstützen und für ßen Formaten und abseits der Heimat. Ich habe im beruflichen Endauswahl. Es gibt auch Städte, die das mit Tourismusmarketing Freiraum sorgen.

110 Europa wir kommen trotzdem 111 BS Fändest du ein kulturelles Großevent für vor allem deren Anwesenheit! Du hättest mich auch fragen kön- Vorarlberg und den Bodenseeraum sinnvoll? nen, wovon brauchen wir weniger. Dann hätte ich geantwortet: JW Als Produzent von kulturellen Großveranstaltungen sage ich Weniger Saturiertheit, weniger vom Bisherigen. Ich ändere Ein- natürlich ja. Wie schon gesagt, man muss wissen, was man mit dem steins Zitat nur leicht ab: „Herausforderungen kann man niemals Großevent will, dann macht er auch nachhaltig Sinn. Wir hätten mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ die Kulturhauptstadt ja als Motor bei der Vernetzung der Boden- BS Wie wirken kulturelle Großevents aus deiner seeregion, als Kraft bei der Vermittlung von neuen digitalen Werk- Erfahrung auf Städte und Regionen? zeugen und als Ort der sozialen Kohäsionen gesehen. Gleichzei- JW Sie verändern immer etwas, sowohl kurz- wie auch langfristig. tige dachten wir an lokales und internationales Publikum einge- Im schlimmsten Fall hat man Stau, Müll, Schulden und auch noch bettet in ein komplettes Green-Event-Konzept. Ich glaube, dass eine schlechte Nachrede. Im besten Fall hat man die lokalen eine gut abgestimmte Kulturstrategie mit einem Focus auf Huma- Akteur*innen gestärkt, man konnte die Ressourcen für nachhaltige nismus, Nachhaltigkeit und digitaler Transformation, durch Groß- Veränderungsprozesse einsetzen, eine neue Wertschöpfungsket- veranstaltungen angetrieben für die Bodenseeregion Sinn machen te etablieren und in der Vermittlungsarbeit den Menschen auch würde. etwas mitgeben, das sie als Menschen stärkt. JW Aber Du kannst das ja an selbst erlebten Beispielen besser erläutern. Was hat den Europäi- „Ein USP von Vorarlberg schen Kulturhauptstädten Essen und Linz der Titel gebracht? Du hast bei beiden mitgearbeitet. als Teil der Vier-Länder- Hat das für die Städte Sinn gemacht? BS Ein Beispiel beschreibt es vielleicht am besten: Eine Arbeits- region liegt in der geo- kollegin von mir im Ruhrgebiet gab in einer Umfrage im Rahmen grafischen Verwobenheit der Kulturhauptstadt RUHR.2010 auf die Frage, was sich im Ruhr- gebiet geändert hätte an: „Ich lüge nicht mehr, wenn es um meine mit Europa. Machen wir Herkunft geht. Bisher gab ich aus Scham, aus dem Ruhrgebiet zu kommen an, ich stamme aus Düsseldorf. Jetzt sag ich mit Stolz, mehr daraus.“ dass ich Dortmunderin bin.“ Und dass sich Linz von einer Industriestadt zu einer hippen, Bettina Steindl kulturgeprägten, offenen, modernen Kleinmetropole gewandelt hat, wissen inzwischen (fast) alle. Auch dafür gibt es ein Beispiel: JW Du hast Dich im Bewerbungsprozess sehr mit Als Linz zur Kulturhauptstadt 2009 ernannt wurde, schrieb Markus der Frage beschäftigt was hier fehlt. Was braucht Mittringer 2006 einen Artikel im Standard, der so begann: „Gastro- Vorarlberg? nomisch gesehen ist Linz die Zentralsahara. Dafür aber hat es die BS Die Selbsterkenntnis der Einzigartigkeit und die bedingungs- Ars Electronica (…). Und wer physisch wie psychisch einen Bum- lose Durchsetzung selbiger. Bedeutet: Exzellenzen erkennen, stär- mel durch die nächtliche Altstadt übersteht, der findet letztlich ken und Vorreiterschaft sichern. Ein USP von Vorarlberg als Teil auch zu seinem Drink. Den braucht er auch, um vom Charme der der Vier-Länderregion liegt in der geografischen Verwobenheit Hotellerie nicht vollends überwältigt in die Knie zu gehen.“ Inzwi- mit Europa. Machen wir mehr daraus und positionieren uns über schen gibt es in Linz gute Gastronomie, Straßenbahnen, die auch und mit den Mitteln der Kreativwirtschaft als Pionier*innen in in der Nacht fahren, abgestimmte Öffnungszeiten der Museen, Europa unter dem Metathema: Wie wollen wir in Zukunft zusam- neue Kulturformate, Netzwerke und Kooperationen. Tourismus men leben? Damit sind die relevanten gesellschaftspolitischen Dis­- und Kultur stimmen sich ab und stellen die Stadt gemeinsam unter kurse wie Arbeits-, Lebens-, und Wohnraum, Gleichstellung der ein jährliches Leitthema. Linz ist zu einem Best Practice geworden. Geschlechter, Digitalisierung, Migration/Integration, Bildung etc. Und es gibt inzwischen viele zeitgemäße Hotels, Restaurants und subsumiert. Kreative sind der Rohstoff der Zukunft – ich werde Cafés und eine sehr aktive Kreativszene – ein wichtiger Indikator nicht müde das zu betonen. Sichern wir uns deren Know-how und für gutes und buntes Stadtleben.

112 Europa wir kommen trotzdem 113 BS Glaubst du an den Bilbao-Effekt? der Schweiz mit der NEXPO 2028 geschieht. Wenn wir so unser Weg gegangen sind und die mit uns Zukunft konzeptionell gestaltet rer*in und Visionär*in, Handwerker*in und Atomphysiker*in, Poli- JW An den Effekt muss man nicht glauben, der ist mittlerweile wis- Know-How aufbauen und bündeln, dann können wir in Vorarlberg haben. Also haben wir ab Tag eins nach der Entscheidung weiter- tik und Bevöl­kerung begegnen einander auf Augenhöhe und senschaftlich belegt. Hat halt nach Bilbao nie mehr gleich gut für den exponentiell stark wachsenden digitalen Kreativmarkt Pro- gearbeitet und Überzeugungsarbeit vor allem bei politischen Ent- gestalten gemeinsam die beste Zukunft für alle. Manchmal halten funktioniert. In klein haben wir das hier mit dem KUB. Man redet dukte für die ganze Welt produzieren, und somit zukunftssichere scheidungsträgern geleistet, um im Sinne des Erarbeiteten weiter- sie inne und sehen, was sie erreicht haben: Im Land leben glückli- auch vom Barcelona-Effekt, wenn eine positive Stadterneuerung Arbeitsperspektiven für die nächsten Generationen bieten. machen zu können. Und ich denke, es hat sich gelohnt. che Menschen aller Herkünfte und Geschlechter gleichberechtigt durch eine Großveranstaltung, wie dort die Olympiade, ausgelöst JW Aber was das Potential von Kreativwirtschaft BS Wie war die Zusammenarbeit mit uns als und in Frieden zusammen. Die Gesellschaft handelt kreativ, nach- wurde oder vom Liverpool-Effekt, wenn man sagen will, dass ist, kannst Du besser erklären. Als Leiterin des (Frauen)Team für dich? haltig, innovativ und verantwortungsbewusst. Vor langer Zeit war durch Kulturhauptstadt aus einer abgewirtschafteten grauen In- designforum im Wiener MuseumsQuartier hast Du JW Schön, möchte ich einfach sagen. Vor allem in asiatischen Län- die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas der Anlass, ein Out- dustriestadt ein europäischer Kreativ-Hotspot entstanden ist. Ich ganz eng mit Designer*innen, Künstler*innen dern beschreibt man Schönheit als Harmonie, was aber nicht be- burst of Courage war das Ziel, Vorarlberg als kreative Pilot- und beschäftige mich momentan mehr mit dem iPhone-Moment, wie und Produzent*innen zusammengearbeitet und deutet, dass wir am Waldesrand bei Vogelgezwitscher sitzen, son- Modellregion im Herzen Europas ist das erfreuliche Ergebnis. Und man in der Technologiebranche von der Einführung eines globa- Kreativwirtschaft auch wissenschaftlich un- dern dass sich Höhen und Tiefen ausgleichen und man in sich die Moral von der Geschicht’: Unterschätze die Kraft von Kunst, len distruptiven neuen Consumer-Geräts spricht. Dies soll an- tersucht. Was könnte ein koordinierter digitaler einen stabilen Punkt hat. Diese Analyse kann man auch auf Grup- Kultur und Kreativwirtschaft nicht.“ :-) scheinend 2023 wieder geschehen, wenn iGlas und Android-Mix- Vorarlberg-Start-Up-Ort für Auswirkungen pen wie ein Bewerbungsteam beziehen. Und da fühlte ich mich ed-Reality-Brillen den Massenmarkt erobern wollen. Dieses Sze- haben? von Beginn an Teil eines solchen schönen, weil harmonischen nario hatten wir ja in unser Programm einbezogen. BS Wir müssen Kreativschaffende als eine der wichtigsten Investi- Teams. Wir konnten laut werden, wir konnten Blödsinn machen, wir „Es schlummert hier so JW Was für einen Effekt hätte Deiner Meinung tionen in die Zukunft sehen und als Rohstoff der Zukunft, ich habe konnten Nächte und Wochenenden durcharbeiten, wir konnten nach die Kulturhauptstadt auf Vorarlberg und den es mehrmals erwähnt. Ganz Europa buhlt um diese kreative Klasse, diskutieren, unterschiedlicher Meinung sein und wir konnten mit- viel künstlerisches und Bodenseeraum gehabt? Städte und Regionen lassen sich viel einfallen, um sie für sich zu einander lachen. Ich hab’ mich in diesem (Frauen)Team sehr wohl kreatives Potential, BS Siehe deine Antworten weiter oben, die Antworten von And- gewinnen. Und damit sind nicht nur Metropolen wie Berlin oder gefühlt. Und dann gibt es einfach den besten Tomaten-Avocado- rea Fink und jene von Winfried Nußbaummüller. Lies die Texte und Barcelona gemeint, auch mittelgroße Städte wie Linz, Graz, Dort- Salat der Welt bei Euch. welches gerade durch die Beiträge von Hanno Loewy, Ruth Swoboda, Dominik Nostitz und mund oder Zagreb sind Beispiele. Das tun sie, um ihre Städte und JW Aber wie war das für Euch mit mir? Würdet ihr Stefan Hagen. Lies die Zitate und den Text der Kulturamtsleiter*in- Regionen zu stärken, denn die Vernetzung von Kreativschaffenden es mit mir auf ein neues Abenteuer wagen? Digitalisierung zu glo- nen. Schau dir die Bilder in dieser Publikation an. Wir hätten an- mit ansässigen Wirtschafts- und Industrieunternehmen ist enorm BS Aber klar doch! Mit Vergnügen. Dein Können, Wissen, deine hand der Bodenseeregion gezeigt, wie Europa funktionieren kann – wichtig. Kreativwirtschaft ist Wirtschafts- und Standortfaktor und Netzwerke und Erfahrungen sind ein Schatz und wir haben nicht balen Verwertungsketten auf eine kreative, mutige, gute, wilde und wenn nötig auch laute fördert regionale und internationale Innovationsysteme. Außer- vor, darauf zu verzichten. führen kann.“ Art. Wir hätten in Europa für mächtig Furore gesorgt. Hätte hätte dem gehört sie zu den am stärksten wachsenden Branchen in BS Du hast drei Wünsche frei, sag sie uns: Fahrradkette. Jetzt machen wir es eben anders. „Es gibt immer Europa. Wichtig ist, Kreativwirtschaft zu steuern und zu managen JW Kunst, das ist die Essenz meines Berufs. Da wünsche ich mir, Jürgen Weishäupl einen Weg. Ich muss ihn nur finden.“ und über finanzielle Mittel und die Zurverfügungstellung von Räu- dass es mir weiter gelingt mit tollen Künstler*innen geile Projekte BS Du bist Vorarlberger und Globalist. Du lebst in men, sogenannte Kreativareale, zu ermöglichen. Rund um den zu machen. Wien und Palermo, arbeitest auf der ganzen Welt. Bodensee gibt es gute Beispiele dafür, die Vernetzung mit Vor­ Freund*innen, das sind die Gefährt*innen des Weges. Da wün- Dennoch, was würdest du dir kulturell und arlberg ist wichtig. Quartiere dieser Art sind unverzichtbar für sche ich mir, dass ich im Beruf viele Menschen treffe, die ich kreativwirtschaftlich für deine Heimat Vorarlberg Städte und Regionen der Zukunft. meine Freund*innen nennen kann. für die Zukunft wünschen? BS Wann wusstest du, dass wir den Titel nicht Glück, das ist die Brise in der Luft. Da wünsche ich mir, dass sie JW Dass man mal Vollgas gibt. Es schlummert hier so viel künstle- gewonnen haben: Dein erster Gedanke? Und der mir sanft entgegenweht. risches und kreatives Potential, welches gerade durch die Digitali- zweite? JW Woher kommt das eigentlich, dass es immer sierung zu globalen Verwertungsketten führen kann. Durch einen JW Scheiße. Scheiße. drei Wünsche gibt? Nicht zwei, nicht vier, nicht Initialakt müssen wir es schaffen, dass man die verschiedensten JW Bei Dir? acht, nein, es sind immer drei. Wieviel Wünsche Einzelplayer in der Start-Up-Szene mit den Künstler*innen und BS Ich habe keine Worte gedacht, ich hatte das Bild einer plat- hast Du? Du kannst sie auch gerne verraten. Kreativen zu Produktionsteams – ähnlich einer Filmproduktion – zenden Blase vor Augen. Ich saß zwischen Andrea Kaufmann und BS Das haben wir vermutlich den Gebrüdern Grimm zu verdanken. zusammenbringt. Dafür braucht es Beauftragungen, die wir zu Dominik Nostitz in der ersten Reihe, alle Kameras und Fotolinsen Wie es sich für eine gute Geschichte gehört, endet sie also mit Beginn noch selbst tätigen müssen. Das hätte die Kulturhauptstadt auf uns gerichtet. Und dann sehe ich, wie Cristina Farinha die Lip- einem Happy End: „Und da hat ganz Vorarlberg erkannt, dass es gekonnt, das kann aber auch die Gründung eines geeigneten Zen- pen zu einem B für Bad Ischl formt und ich sehe vor meinem inne- mit gut­em Beispiel vorangehen möchte, um vielen anderen in trums mit einem digitalen Festival oder ein komplettes Neudenken ren Auge diese Blase platzen. Gleichzeitig kam schnell eine Wucht Europa ein leuchtendes Vorbild zu sein. Jung und alt, Menschen einer Landesausstellung sein, so wie das jetzt total spannend in an Motivation und Verantwortung. Für alle jene, die mit uns diesen von hier und anderswo, Traditionalist*in und Rebell*in, Bewah-

114 Europa wir kommen trotzdem 115 CampusVäre European Creative Institute Vorarlberg Ein pulsierendes Kreativzentrum mitten in Europa

Reykjavík

Mün che n 2 20 km

BODENSEE DEUTSCHLAND Helsinki

Oslo Tallinn Stockholm

m k Dornbirn Moskau 0 2 W 1

i h Bregenzerwald e c n Riga i SCHWEIZ r 6 ü 3 Z RHEIN Hohenems 0

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Kopenhagen Vilnius

Feldkirch

Minsk Vorarlberg Tirol

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Warschau Berlin Kiew London Amsterdam RHEIN

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Bern

Bukarest Ljubljana Zagreb

Belgrad

Sarajevo

Sofia Pristina Ankara Podgorica Skopje Rom

Tirana ← New York City, US ← Nevada, US Madrid ← US Lissabon

Athen

Nikosia

116 Europa wir kommen trotzdem 117

KR ↗ Mumbai, IN ↘ Valletta Cities AT AT AT Dornbirn, AT , AT Vienna, AT Andelsbuch, AT Boote, Werner Marte, Sabine von Alten, Alice Dornbirn City Archive NEST – Agency for Vacancy VR Vis Handwerk + Form NO Circle Project Cluster: Border(Line) Project Cluster: Border(Line) Museum of Progress Management Opus Magnum Europaeum (crafts competition) Bodø 2024 Experiences Experiences Spaces for Art Woodfire Festival House of Literature Vorarlberg AT Dornbirn, AT Andelsbuch, AT Dietrich, Helmut AT AT Dornbirn Public Library Dornbirn, AT Werkraum Bregenzerwald Eindhoven, NL CH Save the Wälderhaus Mennel, Thomas Vogel, Alfred Write Out Origano Festival Woodfire Festival ilo (international light festival Canton and city Save the Wälderhaus Woodfire Festival Opus Magnum Europaeum ­organisation) of St. ­Gallen DE Frastanz, AT Hittisau, AT Light Spirit Europe in a Nutshell Flatz, Wolfgang AT CH Electricity Museum Ålesund, NO/Bratislava, SK Women’s Museum Hittisau Disrupt my Space Meusburger, Herbert Widauer, Nives Museum of Progress Essen, DE/Klaipėda, LT Living Fabrics and more Feldkirch, AT CH Nature-Art-Park Opus Magnum Europaeum Łódź, PL/Paris, FR/Schwarzach, AT Independent scene Vorarlberg Diepoldsau AT Lustenau, AT Rieger Orgelbau GmbH Vienna, AT Project Cluster: Free and Europe in a Nutshell Fink, Tone AT AT Embroidery Museum Opus Magnum Europaeum XRart.space Vienna Independent Nature-Art-Park Moosbrugger, Alexander Wurm, Erwin Museum of Progress Digital Art Blog AT Opus Magnum Europaeum Deep Site New York, US Constance, DE Dornbirn AT Lyon, FR Sagmeister & Walsh NL/DE International Lake ­Constance Opus Magnum Europaeum Gaisbauer, Ursula AT Fête des Lumières Spaces for Art XRBase Conference Project Cluster: Border(Line) Paragioudakis-Fink, Andreas Institutions & Operators Light Spirit Digital Art Blog Sound without Borders DE/SI Experiences Project Cluster: Border(Line) EU Experiences Sofia, BG Dornbirn, AT Schools in Vorarlberg, Feldkirch, AT ECOCs 2025 Actifilm Networks Living Fabrics and more AT FLATZ Museum Amsterdam, Dublin, Turin, Republic literatur:vorarlberg network Gelitin IT Deep Site Disrupt my Space of Moldova House of Literature Vorarlberg AT Disrupt my Space Papadia, Daniela Write Out Bregenz, AT Living Fabrics and more AT/DE/FL/CH Munich, DE Association Kunstpunkt Linz, AT Feldkirch Austrian National Light Spirit CH Fraunhofer Institute CZ In the Flow of Time KunstRaum Gschwend, Nesa AT Tourism Office; Shared Space Signal Goethestraße Living Fabrics and more Pfeifer, Klaus Partners in CH, FL, DE Light Spirit AT Der Kranke Hase and his European IE Project Cluster: Europe Says Hallo Galway 2020 (ECOC) Save the Wälderhaus Vienna, AT Carnival guilds Vorarlberg Friends House of Literature Vorarlberg AT friendship.is Vienna, AT Woodfire Festival Gutwenger, Nora AT Linz, AT Woodfire Festival Sofasession Hohenems, AT Ars Electronica AT Project Cluster: Border(Line) Pobitzer, Klaus Opus Magnum Europaeum AT Live! Association for the Promotion Experiences Nature-Art-Park Centre Linz Kraków, PL Choirs and orchestras of Live Music Hohenems Opus Magnum Europaeum Europe in a Nutshell Fundacja Photon Dornbirn, AT from Vorarlberg Sound without Borders AT GB Deep Site Spielboden Dornbirn Sound without Borders Bezau, AT SI Harms, Marcus Pountney, David Opus Magnum Europaeum Lyon, FR Project Cluster: Border(Line) Opus Magnum Europaeum Bezau Beatz Feldkirch, AT Palermo, IT LUCI Association Ljubljana (Candidate city) Woodfire Festival House of Literature Vorarlberg Experiences Gymnasium ­Schillerstraße St. Gallen, CH Cre.Zi plus (Lighting Urban ­Community AT The Europe Class St. Gallen University of Teacher Deep Site International) Bezau, AT Bad Ischl, AT AT Ramersdorfer, Caroline Education Light Spirit Herold, Barbara Nature-Art-Park Bezau Museum Nuremberg, DE House of Literature Vorarlberg EU Salzkammergut 2024 Baroque Master Builders (Candidate city) Once Forbidden now Allowed HolodeckVR Cultural and music clubs, choirs and Gorizia, IT EUROPAretta AT Shared Space Dornbirn, AT orchestras, conductors, brass bands Quarantasettezeroquattro (47/04) AT Rauch, Martin Egg, AT Textile Pattern Archive Sound without Borders Deep Site Hirschauer, Nadine (Lehm Ton Erde) Bregenzerwald Archive Budapest, HU Museum of Progress AT Save the Wälderhaus St. Pölten 2024 Project Cluster: Border(Line) Nature-Art-Park Innovation NextDoor AT AT/DE/FL/CH (Candidate city) Experiences Deep Site Hard, AT Culture Network ­ Quarta – 4 Länder AT AT Textile Printing Archive Independent Scene Jugend­philharmonie Bodensee-Vorarlberg EE IN Rauchensteiner, Meinhard Hohenems, AT Mittelweiherburg Project Cluster: Free and ­Independent Sound without Borders Kapoor, Anish Disrupt my Space Tourism Board Jewish Museum Hohenems­ Museum of Progress Tartu 2024 (ECOC) Project Cluster: Europe Says Hello Kissing with Tartu Disrupt my Space Europe in a Nutshell Dornbirn, AT Bregenzerwald, AT AT/FR Feldkirch, AT Dance Network Vorarlberg Regio Bregenzerwald Nevada, US AT/DE/FL/CH AT Riera, Philippe Linz, AT Theater am Saumarkt Project Cluster: Free Woodfire Festival Kaufmann, Hermann Europe in a Nutshell Burning Man Kepler University Linz Project Cluster: Border(Line) and Independent Towns and communities Woodfire Festival in the Lake Constance area Save the Wälderhaus Opus Magnum Europaeum Experiences Bregenz, AT Sound without Borders AT Hohenems, AT VEREIN AMAZONE DK Schnell, Ruth Cluj Napoca, RO Dornbirn, AT AT Emsiana Project Cluster: Border(Line) Kellner, Hans-Peter Disrupt my Space CENTRUL CULTURAL CLUJEAN Kulturhaus Dornbirn University College of Teacher Europe in a Nutshell Experiences AT Shared Space Vienna Europe in a Nutshell Living Fabrics and more Education Vorarlberg Year of Humanism AT House of Literature Vorarlberg Tallinn, EE Dornbirn, AT AT Streibl, Andrea Gothenburg, SE Feldkirch, AT Estonian Author ­Association vai Vorarlberg Architecture Kristoffer, Stefan Project Cluster: Border(Line) Chalmers University of­ ­Technology – Montforthaus Feldkirch Dornbirn, AT House of Literature Vorarlberg Institute Artists & Curators Disrupt my Space Experiences Department of Industrial and Year of Humanism University of Applied Sciences Architour Vorarlberg Materials Science Vorarlberg Bregenzerwald, AT AT PT US Circle Ljubljana, SI Opus Magnum Europaeum FAQ Bregenzerwald festival Amsterdam, NL Agostinelli, Ines Lippe, Barbara Tunick, Spencer MoTA, the Museum for Transitory Art Woodfire Festival VR Days Project Cluster: Free and Opus Magnum Europaeum Disrupt my Space Novi Sad, RS Ljubljana Feldkirch, AT Digital Art Blog Independent Cinema City Cyanometer Vorarlberg Business Archive Lustenau, AT IT AT Deep Site Museum of Progress Federation of Austrian Industries AT SI Longo, Loredana Üstün, Murat Zagreb, HR Museum of Progress WALKTANZTHEATER Baraga, Martin Bricelj Disrupt my Space Sound without Borders Dornbirn, AT Museum of Contemporary Art MSU Dornbirn, AT Project Cluster: Border(Line) Disrupt my Space Conrad Sohm Deep Site Vorarlberg Centre AT Experiences AT AT Opus Magnum Europaeum for the Hearing Impaired Funken unions from Vorarlberg AT Ludescher, Tobias Uhlich, Doris Vienna, AT Opus Magnum Europaeum Woodfire Festival Lustenau, AT Bechtold, Gottfried Creative Retreats Europe in a Nutshell Nicosia, CY Neon Golden W*ORT Disrupt my Space Cyprus Institute Light Spirit AT KR Project Cluster: Border(Line) AT Museum of Progress Vorarlberg’s retail market Geumgang Nature Art Experiences VALIE EXPORT Circle Biennale 2019 Deep Site Nature-Art-Park

118 #europeannetwork 119 Vom mutigen Scheitern! Rückblick und Ausblick eines mutigen ­Bewerbungsprozesses

Dominik Nostitz Künstler, Kulturmanager, Jurymitglied

Gleich zu Beginn: Ich sehe weiterhin Das gilt auch für jede einzelne der teilhabenden Partnerstädte wirkungen auch auf mehreren Ebenen mittelfristig Umwegrentab- „Die können das. Dornbirn, Hohenems, Feldkirch und die Region Bregenzerwald. ilitäten zu schaffen, neue Identitäten und Wirkungsfelder, scheint den Mut in der Initiative, aber kein Und weil wir gerade von Wald reden: Einen Wald heranzuzie- nun der Plan zu sein. Wie an einigen anderen europäischen Initia- Die meinen das. hen und wachsen zu wissen, als wichtigen Ressourcenspender, als tiven zu sehen ist, kann dieser nicht wirklich scheitern, wenn Scheitern in diesem Zusammenhang, Holz-, Sauerstoff-, Nahrungslieferant, der eine Vielzahl an Aufga- mehrheitlich an einem Strang gezogen wird, ein authentischer po- Die wollen das auch. vorerst jedenfalls nicht; im Gegenteil, ben erledigt sowie Lebensgrundlage für das Wild und viele weit- litischer Wille vorhanden ist, personelle Ressourcen eine Umsetz- Die sind ein ere Lebewesen ist, kann ohne einen günstigen und substantiellen barkeit garantieren und finanzielle Rücklagen geschaffen werden, die vorgelegten Arbeiten, Ideensamm- Nährboden nicht gelingen. die einen mehrphasigen Gestaltungsraum eröffnen. Outburst of Courage.“ Ich sehe die vorliegende Bewerbungsarbeit von Dornbirn plus Zugegebenermaßen hätte der Titel „Europäische Kulturhaups- lungen, die reiche Palette an trag­ als Saatgut, aus welchem sich im metaphorischen Sinne ein Wald tadt“ viel Licht auf diese Region, die Städte und die Bewerbungs- Was können wir daraus lernen? entwickeln lässt, dessen Lieferungen und Leistungen in baldiger plattform geworfen und das herausgearbeitete Konzept hätte sich Dass Vorbereitung und Entwicklung, Miteinander und Über-die- fähigen Überlegungen und Konzepten, Konsequenz auch der Allgemeinheit zugutekommen. Auch sehe leichter umsetzen lassen. Nichtsdestotrotz zeigten allein der Grenzen denken nicht nur eine Tugend ist, sondern ein Schlüssel, ich diese Zeit als günstig an, um nun einen bereiteten Boden zu Besuch und die Vorstellungen vor der Jury wieviel Möglichkeiten die im Rahmen der Bewerbung Dorn- um auch das eigene Vorankommen zu sichern. Was muss dafür pflegen, um sinnvoll Energien zu bündeln und auf mehrschichtigen vor Ort zur Sichtbarkeit gelangen durch ein strategisches Suchen getan werden? Ebenen nachhaltig einer Region, deren Initiativen und einer weite- und Vermitteln. Dieses einzige gänzlich weibliche Bewerbungs- birn plus entstehen konnten, sehe Aus Sicht eines Künstlers, Europäers und Kulturschaffenden als ren Branche (in diesem Fall dezidiert die Kreativbranche, die aber team in ganz Europa – Bettina, Theresa und Lisa – hat den Boden auch als Kulturmanager und Jurymitglied betrachte ich die Bewer- ich als eine substantielle Impulsinitia- untrennbar mit anderen Branchen verbunden ist und Infrastruktur bereitet, g’hörig umgegraben, gesät und uns alle überzeugt: Die bung von Dornbirn plus, die Bedeutung der Bewerbung und das vor Ort nützt) mehr Raum zu geben und in den vorliegenden und können das. Die meinen das. Die wollen das auch. Die sind ein inhaltliche Potential aus unterschiedlichen Perspektiven, die aber tive mit nachhaltigem Potential für zu verknüpfenden Potentialen weiter wachsen zu lassen. Outburst of Courage. stets in die Richtung fließen, dass das vorliegende Resultat aus Die Ausgangsposition und der Rahmen wurde allein durch die die weitere Region an sich. intensiver und wichtiger und richtungsweisender Arbeit mehr als Die Annahme der derartigen Herausforderung dieser Teilnahme, Kulturstrategie 2030 geschaffen, die ja auch im Sinne der Erfin- eine Empfehlung darstellt, aus der geschöpft werden sollte. der Kraftakt dieser Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas, die dung der Kulturhauptstadt ist. Gerade in Österreich ist es doch so, Ich war sehr dankbar für die Tour durch die einzelnen Städte Erfüllung aller Voraussetzungen, aller inhaltlicher und formaler dass Stockerlplätze neben dem 1. Platz auch ihre Bedeutung ha- Dornbirn plus Hohenems, Feldkirch sowie die Region Bregenzer- Kriterien, die weiters auch die Aufnahme in die zweite Bewer- ben. Die Arbeit, die den gesamten Prozess begleitete, wurde mit wald. Ohne einer Verortung der Wege, der Ideen und der Statio- bungsrunde bedeuteten, ermöglichten auch eine vertiefende Aus- nachhaltigen und professionellen Kräften geleistet, die Rezepte nen und des Netzwerks, an dem gar nicht so viele Schrauben einandersetzung mit den entstandenen Leitlinien und Erfahrun- zur Umsetzung liegen bereit und ich denke, die nächsten Monate gedreht werden müssten, um einen Prozess in Gang zu setzen, der gen, die in die Kulturstrategie Dornbirn 2030 einfließen konnten. und Jahre haben ein einmaliges Potential, diese Energien, solange über Jahre ein existierendes Potential offenbart und darüber hin- Die Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Interessen, Res- sie noch greifbar sind (die Personen, die den Prozess gestemmt aus in der Region Impulse auslösen kann, die wirtschaftliche Ef- sourcen, Potentialen nicht nur der Creative Industries, sondern haben) zu nutzen, einzusetzen und umzusetzen. Es gibt eine Be- fekte, touristische Effekte, Beschäftigungseffekte erzielen können. auch der kulturellen Initiativen, der Kunsthäuser und Museen in reitschaft in der Region Creative Industries verstärkt zu verankern D+ den Städten und der Region, hat ihren Weg in das Bidbook gefun- und infrastrukturelle Maßnahmen für Kunst- und Kultur zu setzen, Was wäre die Alternative? den und wurde greifbar dargestellt. Das Bidbook ist das Resultat die mittelfristig dem Spielfeld einer Region sehr schnell zugute- „Schaffa Schaffa“ ließe sich auch als Schärfen, Schaffen und Schöp- Dominik Nostitz ist Kulturmanager, einer mehrjährigen Hingabe, physisch, emotional und intellektuell kommen wird. fen lesen und das wünsche ich der Initiative und allen, die willig Musiker und Teil der Europäischen Expert* mit fächerübergreifendem Denken, vernetzenden Wegen und der Diese Region ist bekannt für ihre qualitativen Bereiche und sind, diese Vorleistungen als Handlungsempfehlungen anzuneh- innenjury im Bewerbungsprozess der Aufarbeitung entstandener Vorstellungen, die in Folge einer gan- eine weitere Branche, die Kreativbranche, die versplittert vorhan- men und umzusetzen! öster­­rei­chischen Kulturhauptstadt Euro- zen Region vermittelt wurden und in den unterschiedlichsten den ist und einen nachhaltigen Nährboden sucht, wäre dankbar In diesem Sinne sehe ich den Titel eher als „Vom mutigen Ge- pas 2024. Sein gezeigtes Interesse, die Köpfen gedeihen. Diese dürfen nun eben als Handlungsanweis- und bereit, den erarbeiteten Konzepten ihren Stempel aufzudrü- scheiter-Werden“ denn als Scheitern. klugen Fragen, das wache Verständnis und ungen gelesen werden und ich bin überzeugt, dass eine Vielzahl cken und zu wirken. die sichtbare Begeisterung von Dominik an erarbeiteten Sichtweisen, Berechnungen und Konzepten die beim Juryvisit und bei den Präsentationen Region nachhaltig beleben könnten, mit neuen Instrumentarien, Ein Schatz, der nicht ungehoben bleiben sollte und das Resultat in Wien sind nachhaltig in unsere Erin- hergerichteten Juwelen bestehender, in die Jahre gekommener einer Arbeit vieler Jahre ist: von einer Bereitschaft zu einer Begut- nerungen eingegangen. Dominik hat viel zu Bausubstanzen, neuen Verortungen und nachhaltigem, wechsel- achtung, weiters zu einer Analyse und auf Basis dieser zu einer bieten, viel zu tun und noch mehr zu wirkenden, gesellschaftlichen und kulturellen Austausch. Dies zu Sammlung an Lösungsvorschlägen für eine Region, die für Innova- sagen. Lest selbst: verstärken und zu implementieren, um neben den direkten Aus- tion und Potential über ihre vielen Grenzen hinweg bekannt ist.

120 Europa wir kommen trotzdem 121 122 Europa wir kommen trotzdem 123 Stimmen unserer Unterstützer*innen

3 4 7 10 Urs Treuthardt Edgar Eller Sabine Benzer Ulrike Unterthurner Geschäftsführer Bodensee Vorarlberg Leiter Stadtkultur Feldkirch Leiterin Theater am Saumarkt Leiterin Stadtbibliothek Dornbirn Tourismus Wir haben aber immer schon an die ver­- Es war so beeindruckend, wie engagiert Seid versichert: Die Kulturhauptstadt wird Ich möchte euch von Herzen zur guten ändernde Kraft von Kunst und Kultur und phantasievoll Ihr die Bewerbung uns in den nächsten Jahren auch ohne Bewerbung gratulieren! Ich bin mir sicher, geglaubt und werden nicht müde, diese als vorbereitet und durchgeführt habt. Für die offiziellen Titel durch Eure ­großartige dass die Jury restlos von eurer Arbeit Transmissionsriemen für gesellschafts­ Europaklasse war das ein ganz tolles Ar­beit begleiten und beflügeln! überzeugt war. Ich danke euch auch recht politische Prozesse zu verstehen. Das Jahr Erlebnis. Vielen herzlichen Dank dafür. Wir herzlich, dass ihr über die ganze Zeit hätte dieser Funktion zusätzliche Legiti- freuen uns auf weitere gute Zusammen- wunderbare Botschafter für unsere Region mation gegeben. Aber hey, wenn es richtig arbeit. 1 wart und sicherlich auch weiter sein ist, ist es das auch ohne Titel. 11 Stefania Pitscheider Soraperra werdet. friendship.is Direktorin Frauenmuseum Hittisau Dir und Deinem Team, aber vor allem Dir FAQ Bregenzerwald Natürlich bin auch ich enttäuscht darüber, persönlich ein großes Dankeschön für 8 Ihr habt großartig gearbeitet. Lasst euch dass wir den Zuschlag nicht bekommen die Energie, das Engagement, die Zeit und Christiane und Christoph Eberle DANK und RESPEKT an das großartige nicht unterkriegen, nehmt die Energie mit haben. Wir haben uns aber als faire Liebe, die Du in diese Vorbereitung Quarta 4 Länder Jugendphilharmonie Team, die mutigen Ideen und das unend- in die neue Phase! „Verlierer“ gegeben und schauen bereits ge­steckt hast. Dass nun alle den Prozess lich große Engagement – uns habt Ihr in die Zukunft. Eine Zukunft die wir ge­- dennoch als wichtige Erfahrung und Start Es ist uns ein Bedürfnis Euch zu sagen, mehr als überzeugt #outburstofcourage Es ist so viel in Gang gekommen, in dies- stalten können. Ich freue mich riesig auf in eine neue Kooperationskultur sehen, wie gut Eure Arbeit ist und war – ob Zu­- em Land wurde breit über Kultur diskutiert die weitere Zusammenarbeit mit euch. wäre ohne Deine Arbeit nie passiert. schlag oder nicht – es ist nicht entschei- wie nie zuvor und es wird einen plan B Als in der Stadt- und Regionalentwicklung dend für gute Kulturarbeit. Wir hätten geben, der alles überstrahlt. Tätiger sage ich Dir von Herzen danke es vor allem euch als Team gegönnt, aber 12 dafür. nichts desto trotz habt ihr viele gute Werkraum Bregenzerwald Ansätze in die Szene gebracht die sicher Spuren hin­ter­lassen und weiterverfolgt Great job Dornbirn plus! 2 werden. Frauke Kühn 5 literatur:vorarlberg netzwerk Thomas Häusle Leiter Kunstraum Dornbirn 13 Alles hat sich gelohnt! Wollte ich euch 9 Hagen Management sagen! Danke für die letzten Jahre, euer Vielen Dank für euer Engagement und Nadine Hirschauer Tun, eure Ideen und diesen vielfältigen euren Enthusiasmus! Künstlerin, Initiatorin STARTprojekt Keep on rocking Dornbirn plus! Mut und lehrreichen Prozess. Schichten.Mögliche Grenzen, ist ein Talent. Mut kann man nicht kaufen! ­Präsentationsteam #outburstofcourage

6 Es war mir eine große Freude dabei sein Nesa Gschwend zu können, ich hoffe wir bleiben in Kontakt Textilkünstlerin, Inititatorin „Living Fabrics“ und dass ihr mit eurer super wichtigen Kulturarbeit weiter macht! Habe sehr gerne mit Euch zusammenge- arbeitet. Super – macht unbedingt weiter. „When the going gets tough, the tough get going.“

124 Europa wir kommen trotzdem Danke für Euren Zuspruch! 125 15 Herwig Bauer poolbar festival

Schade – an Euch und Eurem Enga­ gement /Auftreten / Wirken ist es gewiss nicht gescheitert! Chapeau!

16 14 Theresa Feurstein 19 21 22 24 Margarethe Clausen Weiss Restaurant Markus Ilg Harald Petermichl Sina Wagner Isabella Natter-Spets Übersetzerin Bidbooks Dornbirn plus Fachbereich Wirtschaft, Kulturamtsleiter Stadt Feldkirch Projektleiterin Lichtstadt Feldkirch FUNKA Büro für Ideenentwicklung, Wir sind an Eurer Seite. Auch weiterhin!! ­Fachbereichsleiter, FH Vorarlberg Beteiligung und Service Design Was ist mir der Atem im Hals stecken Wir freuen uns alle auf den Maßnahmen- Scheitern kann, sofern es auf höchstem Längst schon wollte ich Euch schreiben geblieben, als das Ergebnis der ECoC ver­- plan und dann heißt es weitermachen!!!! Du und Dein Team – ihr seid richtig gut! Niveau geschieht, ungeahnte Energie frei­- und mich bedanken: Für Euer offenes Ohr, Trotz oder gerade wegen der Entschei- kündet wurde. Und das in weiter Ferne in Danke für das tolle Engagement und setzen. Das gilt gerade für diesen Pro­- Eure Gesprächsbereitschaft und Neugier, dung möchte ich Euch ein Kompliment Berlin. Wie arg aufregend muss das für die viele Energie. Bin gespannt auf das, zess, dessen Qualität von Anfang an darin die Energie, die Ihr in Eure Arbeit steckt machen zu allem, was ihr bisher in Euch gewesen sein! was kommt. bestand, dass es nicht nur darum ging, und uns damit alle voran bringt im Ländle, Aus­tausch und in Reflexion gebracht habt 17 einen Titel einzuheimsen (was fraglos auch zusammen führt. und Euch wissen lassen, dass ich – so Ich hab Euch so so sehr den Titel ge­- Johannes Neumayer schön gewesen wäre), sondern darum, oder so – stolz auf Euch bin! wünscht! … und auch wenn das natürlich Kommunikation Stadt Hohenems die Bedeutung von Kultur für die Zukunft Ich drücke Euch die Daumen für Euer nicht neutral sein kann, ist und bleibt 20 unserer Gesellschaft herauszustreichen. Vorhaben und hoffe für Euch und für uns, für mich Eure die beste Bewerbung und Trotzdem: ­Danke ­Euch ­und ­Eurem ­Ein­- Roland Jörg Es wurden unendlich viele Themen an­ge­- dass ihr Eure Vision umsetzen könnt. vor Allem die coolste & modernste :)) satz und Gratulation von meiner Warte Kulturamtsleiter Stadt Dornbirn stoßen, die in den nächsten Jahren zu 25 aus – es war ein spannender Prozess dahin bearbeiten sein werden, wenn wir es mit Toi toi toi und viel Erfolg! Wir sind Brini Fetz Nun ja, ich hab schon gesehen ihr powert mit Aktionen die es sonst nicht gegeben Nun gilt es, das Nachdenken fortzuführen, ge­sellschaftlicher Solidarität ernst meinen. gern ­an­sprechbar oder dabei, wenn es SWEET SNEAK STUDIO Kopenhagen weiter und das ist großartig. Wie ihr so hätte – wie die STARTprojekte – von den­- die Anregungen und Ideen weiter zu Euch als Team gebührt daher größter in irgendeiner Form künftig passt. schön sagt: #yourockit en wir ja auch profitieren durften. Danke bün­deln, zu konkretisieren und umzuset- Respekt und vor allem auch großer Dank. Kulturhauptstadt oder nicht – Ihr habt dafür! Wir hoffen die Zusammenarbeit zen. Es geht darum, den Schwung, den ihr Nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeit zu ordentlich was erarbeitet, auf das man ex­- geht weiter, fände ich auf jeden Fall sehr als Team in diese Bewerbung gebracht jedem Zeitpunkt so großen Spaß gemacht zellent aufbauen kann, daran ist kein wichtig. habt, für die kommenden Jahre mitzuneh- hat. Ach ja, und weiterhin machen wird, 23 Zweifel. Und ich finde es großartig, dass Ihr men, um mit künstlerischen und kulturel- davon bin ich überzeugt. Judith Reichart da dran bleibt. Das kleine, feine Ländle len Mitteln neue Perspektiven für ein gutes Kulturamtsleiterin Stadt Bregenz braucht das ;) Zusammenleben hier, in der Region und 18 im europäischen Raum zu eröffnen. Manchmal drehen sich die Dinge trotz ver­- Kurt Dornig Bes­ten Dank für euren Mut, eure Begeis­- meintlichem Rückschlag in eine sehr Grafikdesigner te­r­ung, eure Professionalität und Kon­ positive oft noch interessantere Richtung – sequenz sowie eure gute Laune, die uns das ist bei euch sicher der Fall – wirst Schade, dass es nicht geklappt hat. Aber immer begleitet hat. Auch wenn nicht sehen und hab Vertrauen. der bisherige Aufwand ist trotzdem eine immer alles zum Lachen war, was da von sinnvolle Investition in die kulturelle manchen Stellen an Stolpersteinen in Ihr habt hier Großes aufgebaut und ich Zukunft der Region. Wünschenswert wäre den Weg gelegt wurden. kann mir sehr gut vorstellen dass es nun es, wenn der Prozess weitergeführt wird erst richtig losgeht. und die angedachten Projekte im Rahmen der Möglichkeiten auch gemeinsam umgesetzt werden. Dafür braucht es nicht zwingend den Titel „Kulturhauptstadt“.

126 Europa wir kommen trotzdem Danke für Euren Zuspruch! 127 Die Kulturhauptstadtbewerbung als ­Stadtentwicklungs-Instrument? Ein Laborbericht aus St. Pölten

Jakob Redl Projektleiter Bewerbung St. Pölten als österreichische ­Kulturhauptstadt Europas 2024

Bewerbungen als Kulturhauptstadt Denn am Ende kann doch nur eine Stadt gewinnen. Wo stehen wir entwickelte sich eine so noch nicht dagewesene Zusammenarbeit also in St. Pölten ein Jahr nach der Verkündung Bad Ischls als Kul- zwischen dem Land Niederösterreich und seiner Hauptstadt. Das Europas sind verlockend, doch zugleich turhauptstadt Europas 2024? drückte sich bereits durch die gemeinsame Gründung der GmbH Ich möchte mit einer Anekdote beginnen: Wir, eine Gruppe (50:50) für die Bewerbungsphase im Oktober 2017 aus. Wir freuten riskant. Bewerberstädte träumen von St. Pöltner Kulturakteur*innen, gründeten im Sommer 2016 die uns über viele Teilnehmer*innen bei den partizipativen Veranstal- europäischer Aufmerksamkeit, einem zivilgesellschaftliche Plattform „KulturhauptSTART“, um uns für ei- tungen. Wir führten Vorprojekte mit verschiedensten Kunst- und ne mutige und innovative Bewerbung einzusetzen. Zu dieser Zeit Kulturvereinen sowie mit den Hochschulen der Stadt durch. Wir neuen kulturellen Image, von vielen führten mich berufliche Wege nach Marseille und ich kontaktier- starten mehrere Aufrufe für Projektideen, bei denen ca. 330 Pro- te den dort lebenden, ehemaligen Programmdirektor von Linz 09, jekte eingereicht wurden. Wir entwickelten in Arbeits- und Ex- Kulturtourist*innen und budge­tären Marseille 13 und damaligen Vorsitzenden der EU-Auswahl-Jury, pert*innengruppen das Konzept für eine neue Kunst- und Kultur- Ulrich Fuchs, für einen Austausch. Wir hatten ein hoch anregen- institution, dem „KinderKunstLabor“ (Arbeitstitel), für die Erfah- Zuwendungen von Bund und Euro­ des Gespräch und er zeigte sich beeindruckt, dass wir „bottom- rung und Vermittlung zeitgenössischer bildender Kunst für Kinder päischer Union. Sie versammeln im up“ und noch vor jeder politischen Entscheidung unser Projekt mit einem Schwerpunkt auf das eigene Ausprobieren und Schaf- starteten. Eine Aussage von Ulrich Fuchs blieb bei mir besonders fen. Wir arbeiteten mit Partner*innen wie dem Institut für jüdische Idealfall zahlreiche Bürger*innen hinter in Erinnerung: „Der Titel der Kulturhauptstadt Europas ist eigent- Geschichte Österreichs oder dem Kunst- und Kulturverein LAMES lich ein großes Stipendium für die Stadt“ – und nach einer kleinen an Nutzungskonzepten und Feasibility-Studien für Kulturinfra- diesem großen Ziel, loten Entwick- Pause – „das man im Wesentlichen selbst bezahlt“. struktur-Projekte und entwickelten gemeinsam mit dem Fachbe- lungspotentiale aus, finden Menschen, Ich schreibe diesen Text genau ein Jahr nach unserer finalen reich Kultur und Bildung die erste umfassende Kulturstrategie für D+ Jury-Präsentation. „Europe at Home – Rescaling Distances“ war die Stadt St. Pölten. Es bildeten sich auch selbstständige Arbeits- die unglaublich viel Zeit und Nerven unser Titel und er wirkt heute vor dem Hintergrund der Pandemie gruppen zu Themen wie „Baukultur“, „Wirtschaft und Kultur“ oder, Man sagt, Bewerbungen in anderen sowie der sich wiederholenden Lockdowns auf eine beinahe im Kontext der Plattform KulturhauptSTART, zur „Freien Szene“, euro­päischen Ländern führen zu irratio- in die Bewerbung stecken und wenn unheimliche Art passend. Morgen vor einem Jahr wurde die Sie- „Sozialen Inklusion“ und „Gräzellabor“. nalem Wettbewerbsverhalten unter gerstadt verkündet. Und es war nicht St. Pölten. Die Enttäuschung den Städten. Von persönlichem Austausch sie es tatsächlich schaffen, schreiben bei uns im Team, aber tatsächlich in der ganzen Stadt, war enorm. und/oder Wertschätzung könne dort Augen- und Ohrenzeugen, die die Verkündung im vollbesetzten „Wir hatten so viel gegeben keine Rede sein. Wir finden, Kultur ist eine sie Geschichte. Umgekehrt müssen Gemeinderatssitzungssaal per Live-Übertragung aus dem Bundes­ Hal­tung und so haben wir schon bald sich diese Städte wirklich auf den Zahn kanzleramt mitverfolgten, berichteten von einer gespenstischen und der Ruck, der durch den Kontakt und Austausch mit unseren und etwas ungläubigen Stille. Wir hatten so viel gegeben und der Mit­bewerberinnen St. Pölten und fühlen lassen, bereits in der Bewer- Ruck, der durch diese Bewerbung durch die Stadt ging, war tat- diese Bewerbung durch die Bad Ischl gesucht. Und gefunden. Wenn sächlich zu spüren. Doch diese Stille währte nicht lange, denn im die Ner­v­o­sität besonders hoch war, bungsphase Geld in die Hand nehmen, nächsten Moment griffen sich Landeshauptfrau Mikl-Leitner und Stadt ging, war tatsächlich die Un­sicherheit unermesslich, die Hür­- Bürgermeister Matthias Stadler das Mikrofon und verkündeten zu spüren.“ den unüberwindbar schienen oder neue Konzepte und Strategien be- unisono, dass wir weitermachen und die Vorarbeit sowie die Qua- mediale Berichterstattungen besonders schlie­ßen und die Bürger*innen auf lität der Projekte zu wertvoll seien, um jetzt eingestampft zu wer- weh­taten – dann haben wir uns ange­­- den. Wir als Team wurden sogleich mit einer Adaptierung des Kon- Natürlich führt eine solche Dynamik auch zu gewissen Reibungen. rufen. Haben uns verstanden, über die eine große Reise vorbereiten, die zepts beauftragt. Die Rahmenbedingungen für den sogenannten Diese waren insbesondere im Kontext der Auswahl der Projekt- selben Mechanismen aufgeregt, uns Plan B hatten wir bereits im Kontext des Bewerbungsbuchs erar- ideen für das „Bid Book II“ sowie in Bezug auf die sogenannte Kul- dann Mut zugesprochen und weiterge- eben nur vielleicht angetreten wird. beitet und politisch abgestimmt. Somit gab es bereits einstimmi- turinfrastruktur-Liste zu spüren. Doch insgesamt war die Stim- macht. Jedes Team für sich und doch in ge Beschlüsse von Stadt und Land für die Umsetzung der Kern- mungslage für diese Bewerbung fast schon als hegemonial zu der Gewissheit, nicht allein zu sein. projekte sowie die Durchführung eines Kunst- und Kulturschwer- beschreiben. Die St. Pöltner*innen sahen den Zeitpunkt gekom- Danke lieber St. Pölten und Bad Ischl für punktes im Jahr 2024. men, einen Schritt in die Zukunft zu machen und das abgedro- die letzten Jahre und alles, was noch In St. Pölten ist es uns mit der Bewerbung gelungen, eine unge- schene Image der langweiligen Provinzstadt nicht mehr schul­ kommt. Gemein­­sam für Europa – darin heure Dynamik auszulösen, die deutlich über den Kulturbereich terzuckend und selbstironisch zu ertragen, sondern dem etwas bleiben wir uns einig. hinausging. Alle politischen Beschlüsse erfolgten einstimmig. Es ­Großes entgegenzusetzen. St. Pölten soll ein unverwechselbares

128 Europa wir kommen trotzdem St. Pölten 129 künst­lerisches und kulturelles Profil entwickeln, um nicht nur als • Gestaltung von Verbindungswegen zwischen Altstadt Herzlichen Dank auch an politisches, sondern auch stärker als kulturelles und emotionales und Kulturbezirk/Regierungsviertel Zentrum des Bundeslandes erlebt zu werden. Damit verbunden • Instandhaltungsmaßnahmen Klangturm und Festspielhaus Bettina und Theresa vom sind natürlich auch drängende Fragen der Stadtentwicklung von St. Pölten der kulturellen Nahversorgung und Teilhabe, über Diversität und • Neubau des KinderKunstLabors (Arbeitstitel) – als Büro von „Dornbirn plus!“ soziale Inklusion, bis zum Umgang mit der Natur, wie sie sich in ­einzigartigem Ort der Begegnung von Kindern mit zeit­ Nicht nur für die Einla­ vergleichbarer Form in allen Städten stellen. genössischer bildender Kunst und Künstler*innen. Hier laufen bereits die begleitenden Kinderbeiräte und dung, aus St. Pölten berich­ „There are many St. Pöltens in Europe“ der EU-weite Realisierungswettbewerb … schrieben wir im „Bid Book II“. Gemeint waren die vielen eher ten zu können, sondern unbekannten Mittelstädte, die oft im Schatten naheliegender Met- Zahlreiche, während der Bewerbungsphase erarbeitete Strategien ropolen stehen und die gerade deshalb stärker um ihr kulturelles zeitigen ihre ersten Resultate. Die einstimmig vom Gemeinderat vor allem für die Kollegia­ Profil ringen. St. Pölten, wie viele andere Städte auch, sucht ange- beschlossene Kulturstrategie „St. Pölten 2030“ geht in die Umset- lität und den Spirit in den sichts der gegenwärtigen Krisen nach Problemlösungsstrategien. zungsphase. Gleichzeitig überarbeitet das Land NÖ seine Strategie Kunst und Kultur können hier als Inspirationsquellen, als Labore, für Kunst und Kultur, in der „St. Pölten 2024“ fix verankert wird. letzten Jahren! Wir teil- als Brenngläser oder auch als kritische Reflexionsräume helfen, Die ebenfalls im Zuge der Bewerbung erarbeitete „Leitkonzep- zukunftsweisende Ansätze zu entwickeln, essentielle Fragen zu tion Öffentlicher Raum“ war Ausgangspunkt für die Stadt St. Pölten, ten nicht nur das Ziel, verhandeln, Kooperationen aufzubauen und Diskurse anzustoßen. gemeinsam mit dem Planungsbüro „Raumposition“ einen großen Auch ohne den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ wollen wir diesen partizipativen Prozess zu starten, um gemeinsam mit der Bevölke- sondern auch die unver­ spannenden, herausfordernden und ergebnisoffenen Prozess rung den Promenadenring um die Altstadt zukunftsorientiert zu gleichlich komplexe und umsetzen. Basis dafür ist das Konzeptpapier „St. Pölten 2024“, das gestalten. Partizipative Formate der Bewerbungsphase wie das wir ausgehend von den Inhalten der Bewerbung, im Juni 2020 „KulturForum“ oder das „StadtForum“ dienen hier als Blaupause herausfordernde Auf­gabe gemeinsam mit der Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und für komplexe Stadtentwicklungsprojekte. Bürgermeister Matthias Stadler der Öffentlichkeit präsentierten. eine solche Bewerbung Die Bewerbung als Motor der Entwicklung von Nun befinden wir uns am Ende der Übergangsphase. Die neuen ­Zukunftsperspektiven zu Papier zu bringen. Auf Büroräumlichkeiten sind bezogen. Wir freuen uns mit Angelika Noch bevor klar war, ob sich St. Pölten tatsächlich bewerben eine weitere gute Zusam­ Schopper als neue operative Geschäftsführerin eine erfahrene wird, antwortete ich im Frühjahr 2017 als Vertreter der Plattform Festival-Managerin (Klangspuren Schwaz) ab 2021 an Bord zu ha- KulturhauptSTART in einem Interview: „Was es braucht, ist eine menarbeit! ben, die bereits in leitender Funktion im Festspielhaus St. Pölten Vision oder anders ausgedrückt die Beschreibung einer Zukunfts- tätig war. Die künstlerische Leitung übernimmt der Kurator und perspektive für die Stadt und die Region, wo sich im Idealfall wäh- nicht vorstellbar gewesen. Wir haben uns in Analogie zum Bewer- Dramaturg Christoph Gurk, der im neuen Jahr die Arbeit an der rend des Bewerbungsprozesses die Grenzen zwischen Mittel und bungsmotto von „Dornbirn plus“ getraut wirklich groß zu denken. Ausformulierung der künstlerischen Vision übernehmen wird. Zweck auflösen. Je kreativer, innovativer und partizipativer die Jetzt haben wir zwar keinen Titel und weniger Ressourcen, doch Alles Gute und bis bald! Die Kulturinfrastruktur-Projekte mit einem Gesamtvolumen von kon­kreten Teile der Bewerbung sind, desto größer sind die Chan- das, was kommt, ist für die Stadt immer noch einzigartig! Wir 30 Millionen Euro sind in Vorbereitung bzw. nähern sich der cen und umso mehr hat die Stadt schon profitiert, ganz unabhän- freuen uns darauf! Umsetzung: gig vom Ausgang des Verfahrens“. • Neugestaltung des Domplatzes samt flexibler Betrachtet man vor diesem Hintergrund vier Jahre nach dem Möblierung und Präsentation der vor Ort entdeckten Gespräch mit Ulrich Fuchs die Entwicklungen, so sind die Auswir- archäologischen Funde kungen des „Stipendiums“ nicht zu übersehen. So viele Bürger*in- • Sanierung der Ehemaligen Synagoge und Adaptierung nen und Stakeholder haben sich an dem Diskurs über die Zukunft als neue Kulturinstitution St. Pöltens im Zusammenspiel mit der Region aktiv eingebracht, • Teilsanierung und Adaptierung der Vereinsgebäude Konzepte und Strategien entwickelt und insgesamt die Weichen von LAMES/Sonnenpark für die weitere Entwicklung der Stadt gestellt. Dieser Prozess wäre • Optimierung von Teilbereichen des Stadtmuseums ohne das große gemeinsame Ziel „Kulturhauptstadt Europas 2024“ Für alle die es genauer wissen wollen:

130 Europa wir kommen trotzdem St. Pölten 131 „Saltiness“ im Bewerbungsprozess Gastbeitrag aus Bad Ischl, Kulturhauptstadt Europas 2024

Marie Gruber Kunst- und Theaterpädagogin, ­Schauspielerin

„Marie, hast du schon mal etwas von Diese Unterhaltung mit Heidi Zednik war der Startpunkt für mei- Es geht nicht darum, dass jede einzelne Stadt/Region zeigt, wie ne Rolle im Präsentationsteam Bad Ischl-Salzkammergut Kultur- toll und schön und perfekt sie ist. Während des Prozesses inner- ECoC gehört? European Capital of hauptstadt Europas 2024. Schon bei diesem Gespräch wurde mir halb einer ECoC Bewerbung muss man sich auf eine ehrliche Art klar, das Konzept der Kulturhauptstadt kann man nicht in einem und Weise mit den negativen Seiten einer Stadt/Region auseinan- ­Culture?“, fragte mich Heidi Zednik an 5-minütigen Gespräch „zwischen Tür und Angel“ erklären – und dersetzen. Das kann und muss unangenehm sein. Salz brennt einem Nachmittag mitten in der den Prozess der Bewerbung? Fast noch schwieriger. zuerst und heilt danach. Diesen Heilungsprozess wollten wir unbe- dingt starten. ­Metzgerei meiner Eltern in Altmünster, Unser Haupttreffpunkt wurde pragmatisch gewählt: in dem Atelier von zwei Künstlerinnen, die als Teil des Kernteams das Bidbook Wo MUSS etwas passieren? Warum ist bis jetzt in diesen Oberösterreich. verfassten. Das Studio in der alten Weberei in Ebensee wurde Bereichen noch nichts passiert? unserer „Bootcamp“, wo wir uns durch gezieltes Training auf die „Nein, nicht das ich wüsste. alles entscheidende Präsentation vorbereiteten. Doch was war ei-­ Als Lehramtsstudentin für Bildnerische Erziehung und Englisch Was ist das?“ gentlich der erste Schritt? Was passiert, wenn 12 Menschen, die sehe ich natürlich das größte Potential einer Stadt/Region IMMER sich teils gar nicht oder wenig, teils sehr gut kennen, aufeinander- in der Jugend. Wenn jedoch viele junge, kreative Menschen in die „ … argh, that’s a long story.“ treffen? Wir tauschten unsere „Geschichten“ aus, sprachen darü- Großstadt ziehen, weil sie hier im Salzkammergut NICHT eine Aus- ber, was uns bewegt und was wir im Salzkammergut bewegen wol- bildung im Kultursektor erlangen können, NICHT im Kultursektor len. Genau hier kristallisierten sich unsere „Herzensprojekte“ und arbeiten können und teilweise auch NICHT Kultur konsumieren „Herzensthematiken“ heraus. können, dann muss hier ein Konzept entwickelt werden. Es müs- Das Konzept „Salt und Water“ wurde geboren. Wir entwickel- sen Chancen für Jugendliche und junge Kulturschaffende kreiert ten den Aufbau der Präsentation GEMEINSAM. Es gab kein Alpha- werden. Es muss möglich sein, als junger Mensch Kultur im Salz- tier oder gar ein „Alphamännchen“, das uns diktierte, wie wir uns kammergut aktiv, authentisch und facettenreich zu erleben. Damit zu präsentieren hätten. Mit einem Team, dass aus mehreren star- ist nicht gemeint, dass junge Menschen nicht in anderen Städten, ken und ehrlichen Frauen bestand, war das auch keine Option! Ländern und Kontinenten ihre eigenen Erfahrungen machen sol- Das hat mir eigentlich fast am besten gefallen: die feministische len, sondern viel mehr, dass sie einen Anreiz haben, mit ihren Kraft in dieser Gruppe war kaum zu toppen. Diese „Würze“, diese neuen Erkenntnissen wieder zurückzukommen. Weil hier im Salz- „Saltiness“ war innerhalb des Teams einfach zu spüren. Hier wurde kammergut nicht nur eine wahnsinnig schöne Natur, Architektur auf Augenhöhe zwischen den Geschlechtern, den verschiedenen und freundliche Menschen auf sie warten, sondern eine Heimat, D+ Altersgruppen und den verschiedenen Backgrounds diskutiert. die auch kulturelle Events und Jobs bietet. Gemeinsam überlegten wir, wie wir die „Stories of the Salzkam- Dieser Prozess, der durch die Bewerbung der Kulturhauptstadt Marie Gruber war beide Male im Präsenta- mergut“ am besten erzählen. Wie kann man so viele Gemeinden, 2024 begonnen hat, war bitter notwendig. Ich bin unglaublich tionsteam der Salty-Family. Ein durch- die in sich wiederum so individuell und charakteristisch sind, in 45 dankbar, dass wir diese gemeinsame Reise jetzt weiterführen dür- aus passender Name für das quirlige Team Minuten vorstellen? Wie kann man dieser Jury klarmachen, dass fen und weiterdenken können. Ich bin gespannt, wie das Salzkam- des Salzkammerguts, das wir über den das Salzkammergut Veränderung dringend braucht? Dass die mergut 2024 wohl aussieht. Bewerbungsprozess kennenlernen durften. Jugend in die Städte zieht, dass Xenophobie am Land wächst, dass Von diesem Spirit, aber auch von der Dua­- man nach Linz oder Salzburg fahren muss, um ein Theaterstück zu lität zwischen Potential und Notwendig- sehen? keit erzählt Marie Gruber in ihrem Beitrag. Eben diese Dualität, das Potential der Region aufzuzeigen und Als Pädagogin sieht sie die größte Ent- gleichzeitig die Notwendigkeit des Kulturhauptstadttitels hervor- wicklungskraft in Jugendlichen und jun- zuheben, war besonders schwierig. Auch für Außenstehende war gen Kulturschaffenden. Diesen Menschen dies nicht einfach zu verstehen. chancenreiche Perspektiven zu bieten, nimmt sie aber auch als Herausforderung „Ja, das Salzkammergut ist aber wirklich sooooooooo schön. wahr, die jetzt im Zuge der Kulturhaupt- Wir müssen Kulturhauptstadt werden!“ stadt angegangen wird. Ja, leider geht’s um das am allerwenigsten. Einblick ins Salzkammergut:

132 Europa wir kommen trotzdem Bad Ischl 133 Kultur als Motor der Zukunft Gastbeitrag aus Bad Ischl, Kulturhauptstadt Europas 2024

Sonja Zobel Schauspielerin und Kulturmanagerin

Die Bewerbung von Bad Ischl und dem Idealerweise, um damit zu zeigen, dass eine Region nicht nur von Gemeinden versammelten und der Kulturhauptstadtbewerbung Tourismus, Handel oder Wirtschaft leben kann, sondern auch von entgegenjubelten, war für mich unvergesslich. Er war der schönste Salzkammergut als Kulturhauptstadt der Kultur. Der Prozess war für mich sehr bereichernd, denn zum Moment in diesem Prozess bisher – und wer hätte damals gedacht, ersten Mal wurden lokale Künstler*innen verschiedenster Sparten dass nun ein Jahr später die Theater vollkommen geschlossen war für mich als freischaffende Schau- vernetzt und vor allem wurde gemeinsam agiert. sind und wir alle nur mehr mit Abstand kommunizieren?! spielerin die einmalige Chance, eine Im Salzkammergut gibt es eine ganz eigene Sturheit, die sich bis auf die Gemeindeebene durchsetzt. Das durch die Bewerbung lokale Kulturszene neu aufzubauen und unterschiedlichste politische Parteien an einen Tisch gebracht „Die kommenden ­Jahre wurden und diese sich ein gemeinsames Ziel vorgenommen haben, deren künstlerisch tiefgründige ist wahrscheinlich der größte Gewinn. Doch genau hier sehe ich werden zeigen, ob wir auch die größte Gefahr. Ich hoffe, dass weiterhin alle an einem Geschichte wieder aufleben zu lassen. Strang ziehen und nicht ein Wettbewerb um das beste, teuerste langfristig weiter Brücken und größte Projekt entsteht. Die kommenden Jahre werden zei- bauen können – den gen, ob wir langfristig weiter Brücken bauen können – denn nur ge­meinsam können wir es schaffen, dass dieses Projekt zu einem nur gemeinsam können nachhaltigen wird. Die wirkliche Frage über den Erfolg einer Kulturhauptstadt ist die wir es schaffen, dass der Nachhaltigkeit. Genau hier möchte ich ansetzen und alle regi- Als ich 2018 zum Präsentationsteam kam, war ich zuerst skeptisch, onalen Kulturplayer im Bereich Theater einbeziehen. Im Idealfall ob wir überhaupt eine Chance hätten. Wir waren eine Gruppe dieses Projekt zu einem ergeben sich somit Synergien, die bestehen bleiben. Das Kultur- bestehend aus lokalen Akteur*innen und freischaffenden Künst- ­nach­haltigen wird.“ hauptstadtjahr soll von allen getragen werden – jede*r in der ler*innen, politisch anders gefärbt als Bund und Land und hatten Region soll eine Stimme bekommen. Mein Ziel ist es, dass die Kul- nur ein minimales Budget. Doch unsere Themen zeigten europa- tur eine Alternative zum Massentourismus wird, jungen Leuten weite Druckstellen auf, die wir mit vielen kulturellen Ideen aufar- Ich denke, dass sich durch die Corona Krise unser Kulturverständ- Hoffnung und eine Perspektive gibt, wir auf unsere Natur besser beiten wollten. Der Teamspirit in der ersten Runde war enorm und nis vollkommen verändern wird. Dennoch sehe ich eine große achten, die Region weiterhin kooperiert und so ihre volle Stärke so auch die Leistung, so dass wir nach dem 1. Hearing weiterhin für Chance für die Kulturszene, daraus als Gewinner hervorzugehen. einsetzt, so dass das Salzkammergut wieder zum Rückzugsort für unseren Traum kämpfen konnten. Jede Krise hatte bisher etwas Gutes für die Kulturlandschaft und Künstler*innen aller Sparten wird. D+ Die zweite Phase verging vor allem schnell und wir alle standen gerade jetzt wird schon heiß diskutiert, ob Österreich noch unter viel Druck, da die meisten von uns nebenbei noch die eigene Anspruch auf den Titel Kulturnation hat und was für diesen getan Sonja Zobel war ebenfalls zweimal Teil des künstlerische Arbeit bewerkstelligen mussten. Mein Aufgabenbe- werden müsste. Wichtig wäre jetzt, die Themen unserer Zukunft Präsentationsteams der Kulturhaupt­ reich war in dieser Zeit die Organisation des Jurybesuchs. Die aufzugreifen. Im Bereich Theater stellt sich die Frage: Wie muss stadtbewerbung Bad Ischl und war maß­- Anspannung davor war riesig, denn ich wusste nicht, ob sich das die darstellende Kunst funktionieren, um auch in 15 Jahren noch geblich an der Organisation des Juryvisits Geplante überhaupt realisieren lassen würde. So stand sogar ein Publikum anzuziehen? Die Zukunft liegt in der Jugend, viel- beteiligt. Sie ist Schauspielerin und stu- meine eigene Projektpräsentation auf wackeligen Beinen, denn leicht auch in einem spartenübergreifenden Ansatz, in der die dierte und arbeitete in London. Sie enga- bei den Proben für meine Jugendensembleaufführung waren nie digitale Welt als Ergänzung zum Live-Theater angeboten wird. giert sich schon lange in ihrer Heima­t- alle anwesend oder konnten mir überhaupt versichern, dass sie Das gemeinsame Erleben von Kultur ist durch nichts zu erset- region. Als Gründerin und Produzentin des Zeit hatten. zen. Leider hat Corona auch uns in den vergangenen Monaten „Theater am Wolfgangsee“ und als Tour-­ gebremst. Durch die Bestellung der künstlerischen und kaufmän- managerin und Marketingassistentin des Doch an dem Tag des Jurybesuchs war eine ganz besondere nischen Leitung ist jedoch frischer, motivierter Wind in den Segeln Taka Tuka Jugendtheaters hat sie einen Eu­phorie zu spüren. Meine Jugendlichen haben letztendlich ge-­ zu spüren und ich bin bester Dinge, dass es nun wieder mit voller guten Einblick in die Kunst- und Kultur- rockt. Sie haben selbständig Proben organisiert, zusätzliche junge Kraft voraus geht. Mein Fokus in den nächsten Wochen gilt der szene der Region. Beteiligung und Koope­- Menschen motiviert, Musik geschrieben und beeindruckten alle Jugendarbeit vor Ort. Die Abwanderung ist eines der Themen, die ration, die über die Kulturhauptstadt Anwesenden mit ihrer Performance. Dieses Gefühl im Leharthea- uns am stärksten betreffen und wenn wir jungen Menschen auch hinausgeht, zählen zu ihren Hauptanliegen ter, in dem die Jugend zu Wort kam, die Region zum ersten Mal ein Perspektive in der Zukunft geben, zum Beispiel sich auch im auf dem Weg zur Kulturhaupt­stadt 2024. vollkommen vereint auftrat, sich 300 Leute aus verschiedensten Kultursektor niederzulassen, dann haben wir schon gewonnen.

134 Europa wir kommen trotzdem Bad Ischl 135 136 Europa wir kommen trotzdem 137 Zukunft Impressum

„Europa braucht mehr Mutausbrüche“ landen. Die Aufgaben und Ziele, die uns mitgegeben wurden, wer- Herausgeberin Mag. Bettina Steindl hat an der Leopold- Jürgen Weishäupl ist Kurator und Pro­- den wir gemeinsam mit den Menschen im Land, mit Kreativen in Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Franzens-Universität in Innsbruck Be­­ duzent von interdisziplinären Kunst- Europa und in Kooperation mit Kultur- und Kreativinstitutionen, Bregenzerwald triebswirtschaftslehre mit Spezialisierung und Kulturveranstaltungen. Er studierte Wirtschaft, Industrie und Tourismus für Vorarlberg bearbeiten. Mit Bewerbungsbüro österreichische auf Kulturmanagement, Internationale Theaterwissenschaft in Wien und Sze­no­ Dr. Martin Selmayr, Vertreter der Euro- dem neu vom Land Vorarlberg und der Stadt Dornbirn und weiter­ ­Kulturhauptstadt Europas 2024 Handelsbeziehungen und Gender Studies graphie in Zürich. Nach dem Studium päischen Kommission in Österreich, ­en Partner*innen gegründeten European Creative Institute küm- studiert. Sie hat maßgeblich an den bei­- leitete er den Kulturverein MONDOTONDO mern wir uns darum, mit und über die Mittel von Kunst, Kultur und Dornbirn plus 2024 Team den Kulturhauptstädten Linz 2009 und in Palermo und konzipierte Ausstel­- ermutigt uns am Beginn dieser Publi­ Kreativwirtschaft Antworten gemeinsam und spartenübergreifend Bettina Steindl, Projektleiterin Ruhr 2010 mitgearbeitet und im Anschluss lun­gen, Streamings, Festivals und Kunst zu finden. Wir etablieren das Quartier CampusVäre in der Stadt Theresa Bubik, Projektmanagement an der nordreinwestfälischen Kulturinsti- im öffentlichen Raum. Er produzierte kation dazu, unseren „Outburst of Dornbirn überregional als pulsierendes Kultur- und Kreativzent- Lisa-Maria Alge, Kommunikation tution Urbane Künste Ruhr in Zusam­ Massentheater für 400 000 Besucher, ein rum. Hier werden wir unser Netzwerk in Europa weiter spinnen, Jürgen Weishäupl, künstlerische Beratung menarbeit mit der Ruhrtriennale. Ab 2014 Anti-Mafia-Festival in Corleone und Courage“ voranzutreiben. Kulturstaats- wir gehen über die Grenzen und setzen Projekte und Vorhaben leitete Bettina Steindl das designforum die Eröffnung der neuen Mailänder Messe. sekretärin Andrea Mayer fordert uns aus der Bewerbung um. Eng verwoben mit bestehenden Strate- Lektorat Wien im MuseumsQuartier und übernahm In Wien kuratierte er für die Kunsthalle, gien wie der Kulturstrategie der Stadt, den Visionen aus Wirtschaft Margarethe Clausen 2017 die Leitung des Bewerbungsbüros als wurde als künstlerischer Leiter des im Vorwort dazu auf, die begonnene und Industrie und den Europäischen Zielsetzungen für Kreativ- österreichische Kulturhauptstadt Euro­- Kul­­tur­programmes der Bundesregierung wirtschaft. In einem ersten Schritt erforschen wir die alten Sägen- Gestaltung pas 2024 Dornbirn plus. Bettina Steindl hat zur Fussball EM berufen und arbeitete Kulturentwicklung dieser Region auch hallen am Areal Meter für Meter und nehmen sie in Betrieb. Wir Super Büro für Gestaltung, Egg mehrere Ausstellungen national und inter- an­schließ­end als Kurator für Theater, in Zukunft und im Sinne der Bewerbung werden das Quartier beleben, Kreativwirtschaft kuratiert ansie- national kuratiert, darunter im Rahmen Tanz und Performance für die Stadt Wien. deln und vernetzen, Innovation fördern und Räume für Kunst und Druck der World Design Capital Taipeh 2016. Sie In Folge produzierte er Ausstellungen, zu forcieren. Und viele andere, die Kultur schaffen. Wir werden Stadt- und Regionalentwicklung Druckhaus Gössler, Dornbirn lehrt außerdem an verschie­denen Festi­vals, Galas, Dome-Shows, TV-Filme inhaltlich begleiten und den Standortvorteil Vorarlbergs als Teil Universitäten und Fachhochschulen im etc. in ganz Europa und in Städten in dieser Publikation zu Wort kommen, des Vier-Länder-Ecks, bewusst einsetzen. Das Ziel ist, die Innova- Fotos In- und Ausland. wie New York, Rio de Janeiro oder Moskau. tionskraft dieses Landes zu bündeln und aktiv zu nutzen. Denn: Ian Ehm – friendship.is (59 ↑), Luca Seit einigen Jahren berät er Städte in tun es ebenso. Von uns allen hängt eine gelingende Zukunft ab. Fasching (65 Mitte), Christian Fürthner Theresa Bubik MA hat am MCI Inns- der Bewerbung für Großveranstaltungen (131 ↓), Nadine Hirschauer (73), Roland Jörg bruck Tourismus- und Freizeitwirtschaft wie Manifesta oder Kulturhaupt­stadt Was hier in diesem Mini-Europa erarbeitet wird, soll weit über die (77), Frauke Kühn (57 ←, 65 ↑), Angela und an der Fachhochschule Kufstein Europas. Wir haben uns mit den dringlichen Fragen der Zeit, die uns die Grenzen hinaus strahlen. Outburst of Courage! ist dabei Motto, Lamprecht (8, 10 ↑, 30–31, 40, 46 ↓, 51, 58, Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmana­ Menschen in Vorarlberg auf unsere Kulturhauptstadtreise mitge- Haltung und Auftrag. 62, 66–67, 70, 113, 136–137, 139), Daniel gement studiert. Die Themen Kulturelle Lisa-Maria Alge hat Geschichte an geben haben, auseinandergesetzt. Wie wollen wir in Zukunft Leitner (135), Lisa Mathis (90 ↓), Martin Bildung und Partizipation begleiteten der Leopold-Franzens-Universität in­ zusammen leben? Wie begleitet man die Gesellschaft durch den Wir freuen uns auf die Zukunft #gemeinsam mit Euch Mischkulnig (17 ↓, 18, 21, 63 ←), Mathis sie be­reits während ihres Studiums und In­ns­bruck studiert. Im Anschluss an das größten Transformationsprozess seit 200 Jahren, die Digitalisie- und Ihnen allen! Fotografie (88), Udo Mittelberger (20), wurden durch die Arbeit in kunstpäda­ Studium hat sie Praktika im Jüdischen rung? Wie gestaltet man eine Gesellschaft, die niemanden zurück Klaus Pichler (131 ↑), Petra Rainer gogischen Einrichtungen sowie dem Museum Hohenems, im Stadtarchiv oder außen vor lässt? Wie schafft man eine Gleichstellung der Bettina Steindl (Umschlag, 43, 89 ↓, 94 ↓), Barbara Rösler vorarlberg museum zu ihrem Hauptau- Dornbirn und dem Landesarchiv Vorarl- Geschlechter und das gleichberechtigte soziale Zusammenleben (56), Salzkammergut 2024 (132), Jana genmerk in der Entwicklung von Projekten. berg absolviert. Seit Jänner 2018 ist aller in Städten, Gemeinden und Regionen? Wie begegnet man Sabo – friendship.is (10 ↓, 12–13, 82–83), Theresa Bubik ist seit Beginn des Bewer- Teil des Teams von Dornbirn plus und ist dem Klimawandel und findet neue Wege für Nachhaltigkeit und ­Frederick Sams (106 ↓, 122–123), Philipp bungsprozesses Teil des Teams und ist für den Bereich Kommunikation und Mobilität? Unser Vorschlag ist: Indem Themen mutig und offen mit Steurer (99 ↓), Kirstin Tödtling (57 →, 72, neben administrativen Aufgaben vorran- Marketing zuständig. Seit Januar 2020 anderen in Europa diskutiert werden. Viele Menschen und Regio- 90 ↑, 94 ↑/Mitte, 97, 99 ↑/Mitte, 103 gig als Projekt­managerin tätig. 2019 ist Lisa-Maria in der Kulturabteilung der nen stehen vor den gleichen Herausforderungen und stellen sich Mitte/↓) besuchte sie den Lehrgang Austellungs­ Stadt Dornbirn angestellt und wird als die gleichen Fragen. Um sie zu lösen, braucht es kreative Men- design und -management an der Donau­ Verbindung zwischen dem European Crea­- schen, moderne Strukturen und vorausschauende Politiker*innen. univer­si­­tät Krems und arbeitet ehren­ tive Institute Vorarlberg und der Stadt Dornbirn, Februar 2021 amtlich an verschiedenen Kulturprojek- Dornbirn auch in Zukunft Kulturprojekte Was während des umfassenden Bewerbungsprozesses als Kultur- www.dornbirnplus.eu ten mit. für die Stadt Dornbirn umsetzen. hauptstadt Europas erarbeitet wurde, wird nicht in Schubladen

138 Claudia Querin Alois Gunni Herbert Reinhold Rosa Ingeborg Priska Jasmine Judith Lisa-Maria Miriam Jasmin Antonia Anton Simone Hermann Bertram Heidi Anais Christine Silvia Daniela Jodok Karl

Aram Brini Herlinde Alexander Gertraud Caroline Robert Lucie Astrid Klemens Martha Ivona Susanne Olli Hans Chris Jochaim Heike Ingrid Daniel Ulli Wolfgang Klaus- Günther Sigrid Dieter David Brunhilde Kurt Volker Volker Gerhard Valentina Katja Simon Piedro Fabienne Milli

Kristina Eva Ralph Edmund Gerald Anja

Annemarie Anna-Lena Marek Othmar Juliane Gerda Rainer Der Clemens Ulf Jogi Elisabeth Jochen Sophia Pia Bernhard Teresa Marcus Manuel Pablo Herta Martina Christina Urs Günter Hannah

Erich Marco Alfred Margret Florian Patrick Moni Chiara

Werner Georg Dokumentation Mike Mario Sylvia Philipp der Bewerbung als Gisa Elke Kulturhauptstadt Philip Franz Sandra Tone Europas 2024 #danke #outburstofcourage Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald