[email protected] 1/16 Inhalt

Editorial 3 «Geben Sie die Handys in Ihrer Schublade weiter» 4 Interview mit Thomas Stucki, HandyDoktor.ch Handynutzung bei Kindern und Jugendlichen 7 Dr. med. Edith Steiner, Schaffhausen Mit der Cloud zur Nachhaltigkeit? 12 Dr. Kerry Hinton, Melbourne (AUS) Mobile Health – Modeerscheinung oder Mehrnutzen? 14 Dr. med. Urs Stoffel, Zürich Gesundheits-Apps können Ihre Gesundheit gefährden 17 Peter Balzli, Swissmedic, Bern Medical Apps: Wie kann ich meine Daten schützen? 19 Prof. Dr. Christoph Bauer, Hamburg Nuclear Phaseout Congress Biomonitoring in der hausärztlichen Medizin 22 Die AefU-Tagung zur Spurensuche, 19. Mai 2016, Programm Montag, 21. März 2016, Kongresshaus Zürich Bestellen: Terminkärtchen und Rezeptblätter 23 Die Letzte 24

30. März 2016 Titel-Bild: Oekoskop

2 1/16 www.aefu.ch Editorial

Liebe Leserin Lieber Leser

Lesen Sie das gedruckte Heft? Oder schauen Sie Das Handy ist unser Büro, das Kontakt- und sich gerade unterwegs die Web-Version an? Falls Kontrollmittel im Freundeskreis und immer ja: Laden Sie das OEKOSKOP auf Ihr Gerät mehr auch der persönliche Assistent bei Fitness- und lesen Sie es offine. Warum, erfahren Sie im und Gesundheitsfragen. Dr. med. Urs Stoffel Beitrag von Dr. med. Edith Steiner, Mitglied des von der FMH wägt in seinem Beitrag Chancen AefU-Zentralvorstandes und der beratenden Ex- und Risiken von Gesundheits-Apps und ‹Mobile pertengruppe NIS (BERENIS) beim Bund. Denn Health› gegeneinander ab (S. 14). Mindestens was für Kinder und Jugendliche gilt, betrifft auch 87 000 Gesundheits-Apps sind derzeit erhältlich. Erwachsene (S. 7). Wie soll da der User wissen, was taugt und was nicht? Swissmedic ist die Zulassungsbehörde, 1.8 Milliarden Handys wurden 2013 weltweit wenn es sich um sogenannte ‹Medical Apps› verkauft. Das entspricht u.a. 16 000 t Kupfer, handelt. Mediensprecher Peter Balzli erinnert 6800 t Kobalt, 450 t Silber und 43 t Gold. Um an die Kennzeichnungspficht der Anbieter, von die Rohstoffe zu gewinnen, mussten ArbeiterIn- der scheinbar wenige wissen. Während säu- nen – oft unter unmenschlichen Bedingungen mige Anbieter kostenlos davonkommen, können und begleitet von massiven Umweltschäden – dem medizinischen Fachpersonal hohe Bussen ein Vielfaches an Gestein bewegen (vgl. OEKO- drohen, wenn sie entdeckte Mängel bei ‹Medical SKOP 2/13): Ein von 120 g trägt Apps› nicht melden (S. 17). einen ‹Ressourcen-Rucksack› von über 113 kg. Die Schweizerinnen und Schweizer ersetzen ihr Wir füttern unsere App ziemlich sorglos mit Handy durchschnittlich alle zwölf bis achtzehn persönlichen Gesundheitsdaten und nicht selten Monate durch Geräte mit noch schickerer Per- greifen sie unbemerkt auf weitere gespeicherte formance, welche die Provider mit der Abo- Informationen zu. Prof. Christoph Bauer von Erneuerung ‹verschenken›. Die Geräte länger der Beratungsfrma ‹ePrivacy› ist auch Gut- zu nutzen und schadhafte zu ficken wäre aber achter beim Landesdatenschutzzentrum Kiel der einfachste und erst noch wirkungsvollste (D) für Datenschutz-Siegel. Er zeigt, wie leicht Ressourcenschutz. Das macht Thomas Stucki. Login-Daten abgefangen und Rückmeldungen Er ist ‹Handydoktor›. Im Interview erzählt er der Apps manipuliert werden können (S. 19). von seinem Express-Reparaturservice, einem Der Tipp, zuerst die Datenschutzbestimmungen Nischengeschäft zwischen riesigen chinesischen einer Applikation zu lesen, reicht nicht: Sie sind Zulieferfrmen wie ‹Foxconn› und dem End- oft erst nach dem Login abrufbar. kunden. Dabei erklärt er auch seinen Blick aufs ‹Fairphone› (S. 4). Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre, ob hand- fest oder verkabelt online. Und: Halten Sie Ihre Nicht nur der Rohstoffbedarf, auch der Ener- sensiblen Daten fest! gieverbrauch der kabellosen Kommunikation steigt rasant. Eine umfassende Energiebilanz fehlt. Dr. Kerry Hinton von der Universität Mel- bourne zeigt an den Beispielen ‹Cloud Compu- ting› und Foto-Sharing auf Facebook, was beim mobilen Datenverkehr den Löwenanteil an Ener- gie verschlingt (S. 12). Stephanie Fuchs, Redaktorin

https://www.facebook.com/aefu.ch https://twitter.com/aefu_ch > @aefu_ch

[email protected] 1/16 3 Interview im Express-Reparaturservice

«Geben Sie die Handys in Ihrer Schublade weiter»

Interview: Stephanie Fuchs, Redaktorin Der Wettlauf nach dem neusten Handymodell kurbelt den Rohstoffverschleiss an. Nicht so im Reparaturservice ‹HandyDoktor.ch› von Thomas Stucki. Hier wird gefickt und gepfegt.

OEKOSKOP: Wie kamen Sie darauf, ausgerech- wohl viele Leute gerade mal 10 Prozent der Diese Frage muss der Kunde selber ent- net einen Handy-Reparaturservice aufzubauen? Möglich keiten nutzen, die ihnen ihr Gerät scheiden. Wir helfen ihm aber mit Fragestel- Thomas Stucki: Ich persönlich bin einer bietet, wollen sie doch immer das Neuste lungen wie «Sind Sie bis jetzt zufrieden mit von denen, die alles reparieren, sogar einen haben. Es ist wie beim Auto und hat etwas dem Gerät? Passt Ihnen die Grösse des Dis- Besenstil. Ich bin nicht der komplette Öko- von einem Statussymbol: das will gepfegt plays, die Handhabung? Bietet es genügend fundi. Aber mir geht es schon gegen den werden. Schweizers fahren auch nur mit ei- Funktionen?» usw.. Bei Reparaturen durch Strich, dass wir so viel Abfall produzieren, nem Auto, das keine Beule hat HandyDoktor.ch gehen keine Daten verlo- vor allem mit Dingen, die noch einwandfrei ren. Nach der Reparatur ist alles genauso funktionieren. Ein weiterer Grund ist die Wer ist Ihre Kundschaft? wie vorher. Alle Einstellungen, Kontakte, Faszination, die von dieser Technik ausgeht. Darauf war ich Anfangs auch gespannt. Die Fotos etc. bleiben erhalten. Viele Kunden Mancher Computer, der heute noch in Be- grosse Überraschung für mich war: Es ist entscheiden sich nach diesen Überlegungen trieb ist, hat nicht die Hälfte der Leistung einfach der Durchschnitt der Bevölkerung. für die Reparatur. von diesem kleinen, hoch integrierten Gerät, Wir haben Mütter, die mit Kindern kom- das ich da in der Tasche habe. men, deren iPod’s runtergefallen sind und Sie rechnen Ihren Kunden vor, was die Reparatur zu deren Reparatur sie vom Taschengeld kostet und was die Verlängerung eines Abonne- SchweizerInnen wechseln durchschnittlich alle beitragen müssen. Aber auch Geschäftsleu- ments mit neuem Gerät? 12–18 Monate ihr Handy. Kommt es da über- te, Technik-Freaks, weniger und mehr Wohl- Ja. Wenn ein Netzwerkabonnement ausläuft, haupt zu einer Reparatur? habende, Jüngere, Ältere, unsere Kunden das die Abzahlung eines Gerätes beinhaltet, Ja, wenn das Handy kurz nach Abo-Ab- kommen aus jeder Gesellschaftsschicht. und der Kunde ein funktionierendes Gerät schluss kaputt geht, ist eine Reparatur bei besitzt, ermutigen wir ihn, beim Netzwerk- uns günstiger als die Anschaffung eines Was ist deren Hauptmotivation? anbieter ein Abonnement mit gleicher Leis- Neugerätes. Das ist unsere Nische. Ob- Es gibt die Leute, die ihre Handys aus öko– tung zu einem günstigeren Preis, ohne neues logischen Gründen reparieren lassen, die Gerät, zu verlangen. Das kann monatlich bis genau wissen, wofür sie ihr Gerät brauchen zu 30 Franken ausmachen. Für diese Option Thomas Stucki ist ausgebildeter Elek- und dass es dazu ausreicht. Also wollen sie machen die Netzwerkanbieter leider keine troniker. Via Digital- und Netzwerktech- die Umwelt nicht mit einem neuen Gerät Werbung und der Abo-Dschungel macht es nik kam er schliesslich in den Informa- belasten. Genauso gibt es aber Kunden, dem Konsumenten auch nicht einfacher. tikbereich von Grossbanken. 2012 ging deren Smartphone keinen einzigen Kratzer sein Smartphone kaputt. Sein heutiger haben darf, die ihr Gerät sozusagen als Sie meinen, die Angebote werden extra unüber- Geschäftspartner, der hierzulande als ‹Allerheiligstes› betrachten und bei denen sichtlich gestaltet? einer der ersten hobbymässig Handys wir durchaus eine gewisse Abhängigkeit Ich will niemandem schlechte Absicht un- fickte, stellte es wieder her. Das war beobachten. Ich erinnere mich an die junge terstellen, doch die in kurzen Abständen der gemeinsame Start von HandyDok- Frau, die während der vierzig Minuten Repa - wiederkehrenden Marketingkampagnen für tor.ch. Kürzlich wurde die sechste Fi- raturzeit dreimal mit zittriger Stimme nach- diese Produkte resultieren in einer unüber- liale eröffnet. HandyDoktor.ch ist in der fragte, ob die Reparatur nicht bereits abge- sichtlichen Angebotspalette. Deutschschweiz der grösste Anbieter von schlossen sei, sie erwarte eine wichtige SMS. Express-Reparaturen. Das Interview fand Woher stammen die Ersatzteile für die Repara- in der Filiale Lenzburg statt. Haben Sie generelle Tipps, wann sich eine turen, von den Herstellern? Reparatur lohnt oder raten Sie auch ab? Nicht direkt. Die Hersteller von Smart-

4 1/16 www.aefu.ch Interview

Thomas Stucki legt im Notfall selber Hand an. Die Kundschaft will das Handy möglichst sofort zurück. © zvg

phones haben wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit unabhängigen Repara- turservices. Ihre Absicht ist es, in erster Linie Neugeräte zu verkaufen. Ausser dem ‹ Herz› der Handys, der Hauptplatine, diese wird meistens durch den Gerätehersteller selber produziert, werden die Einzelteile meistens in China fabriziert von Firmen wie Foxconn, die auch an Dritte liefern. Ausgerechnet beim Fairphone1 müssen wir aber unfaire Bedingungen akzeptieren. Fairphone lehnt es ab, Ersatzteile in Mengen an Reparaturservices zu liefern, was uns dazu zwingt, für Fairphone Reparaturen im Verhältnis zu hohe Preise zu berechnen. Ich hoffe, Fairphone sei mindestens gegenüber den Produzenten fair. Gegenüber dem Reparatur-Geschäft sind sie es nicht. Ich hatte eigentlich erwartet, Fairphone wäre begeistert von einer Zusammenarbeit.

Setzt Fairphone vielleicht eher darauf, dass der Endkunde selber repariert? Ich denke ja. Dies ist erkennbar beim neu lancierten Fairphone 2, das über einen mo– dularen Aufbau verfügt, der es dem Kunden erlauben soll, einzelne Module in Steckbau- weise selber auszuwechseln. Macht dieser Trend Schule, wird unser Service bald nicht mehr benötigt.

Wichtig wäre ja, dass Fairphone nun bei einem Modell oder mindestens einer Form bleibt, damit es nicht den gleichen Erneuerungs-Wettlauf an- kurbelt? Das wäre aus ökologischer Sicht wünschens- wert, wird aber schwer möglich sein. Wenn der Bedarf nach der Gerätegrösse ändert oder das Display z. B. auch noch eine 3D- Touch-Funktion erhalten soll, wie sie im neuen iPhone 6S zu fnden ist, und dadurch z.B. dicker wird, wird das Einfuss haben auf den Grundaufbau eines Gerätes. Diese Entwicklung beobachten wir mit Spannung.

1 Infos und kritische Einschätzung z.B. unter: https:// de.wikipedia.org/wiki/Fairphone; http://www. suedwind-agentur.at/start.asp?ID=260862 [email protected] 1/16 5 Interview

Gibt es Unterschiede in der Reparierbarkeit zwi- tieren und der umweltfreundlichen Wie- schen neueren und älteren Handy-Modellen? deraufbereitung zuführen. Nach ähnlichem Ja, man kann sagen, je neuer das Gerät, des- System kann ich mir vorstellen, dass ganze to höher integriert sind die Bauteile, desto und Tablets in Einzelteile zer- kompakter und dünner ist die Elektronik. legt und wiederaufbereitet werden könnten. Bei den heutigen Geräten ist es schwieriger geworden, Reparaturen an der Elektronik Und zwar hier bei uns? vorzunehmen. Bei älteren Geräten konnte In unseren Breitengraden könnte es schwie- das Glas ersetzt werden ohne ebenfalls die rig werden, diesen Prozess wirtschaftlich zu Anzeige (LCD) auszuwechseln. Heute muss betreiben. Für Elektronikbauteile bräuchte bei einem Glasschaden bei den meisten es meines Erachtens industrielle Verarbei- Smartphones das komplette Display-Modul tungsprozesse. ausgewechselt werden, was sich natürlich auch im Preis niederschlägt. Sie eröffnen ihre neue Filiale in einem ehemaligen Goldschmiede-Atelier. Welches sind Ihre kost- Gibt es bei Handys ‹Soll-Bruchstellen›, damit die barsten Rohstoffe, mit denen Sie ‹schmieden›? Handys gar nicht zu lange betrieben werden? Die Mitarbeiter, ganz eindeutig, sind das ab- Nein. Das würde ich so nicht sagen. Es gibt solut Wichtigste in unserem Geschäft. bestimmte Serien, die Konstruktionsfehler hatten. Unser Geschäftstelefon ist z. B. ein Beim Gold sagt man, es klebe Blut daran, wegen iPhone 3, das seit acht Jahren einwandfrei den unmenschlichen Bedingungen beim Abbau. funktioniert. Wir haben einzig die Batterie Was denken Sie über die Handy-Rohstoffe, die z. gewechselt. T. aus Konfiktgebieten stammen? Ich habe auch schon erschütternde Bilder Was passiert mit Handys, die Sie nicht ficken gesehen und Geschichten gehört von aus- können? gebeuteten Arbeitern in Goldminen. Indem Sehr viele Kunden wollen ihr Handy zurück, wir Handys länger am Leben erhalten steu- auch wenn es ein Totalschaden ist. ern wir hier etwas dagegen, aber leider ist unser Einfuss verschwindend gering. Haben Sie gefragt, warum? Oft hören wir von Kunden, sie hätten noch Von ifxit.com gibt es eine Liste der bestreparier- alle ihre Handys Zuhause in einer Schub- Was passiert mit den kaputten Teilen? baren Handys. Können Sie die bestätigen? lade. Mir geht es so mit meinen Uhren, zu Wenn das Glas eines Handy-Displays ge- Ja, ifxit scheint uns seriös. Wir nutzen deren denen ich einen persönlichen Bezug oder brochen ist, kann die damit verklebte LCD- Angebot teilweise als Informationsquelle. eine Erinnerung habe. Vielleicht geht es Anzeige noch funktionstüchtig sein. Wir vielen Leuten so mit ihren Handys. exportieren die defekten Displays an spe- Was machen Sie mit Ihrem Handy, wenn Sie es zialisierte Firmen, welche die LCD-Module nicht mehr wollen? Quasi ein persönliches Handy-Album. Würden ausbauen und an ein neues Glas kleben. Ich lasse es durch HandyDoktor.ch aufberei- Sie denn Occasions-Handys entgegennehmen Diese Displays werden dann als ‹refur- ten und gebe es weiter, verschenke es in- und wiederverkaufen? bished› in billigerer Qualität wieder in Um- nerhalb der Familie oder des Freundeskrei- Wir haben einen kleinen Occasions-Verkauf, lauf gebracht. ses. Das ist auch mein Tipp: Geben Sie die aber wir machen das selten. Es kommt im- Handys aus Ihrer Schublade weiter an Leute, mer darauf an, zu welchem Preis ein Kunde Können Sie sich vorstellen, dass zukünftig alle die noch keins haben. Das soll es tatsächlich bereit ist, sein Gerät zu verkaufen. Einen Rohstoffe in den Handys recykliert werden? immer noch geben (lacht). Für die Umwelt allfälligen ideellen Wert, den es für ihn hat, Ich bin Fan dieser neuen Recyclingkonzepte, ist ein wiederaufbereitetes Smartphone im- können wir nicht bezahlen. die wirklich alles entgegennehmen, vorsor- mer besser als ein Neues.

6 1/16 www.aefu.ch Mobilfunk – Ein Feldversuch an unseren Kindern?

Handynutzung bei Kindern und Jugendlichen

Dr. med. Edith Steiner, Schaffhausen Es existieren kaum Studien über die Langzeiteffekte erhöhter Belastung und veränderter Lebens- gewohnheiten durch den Mobilfunk bei Kindern und Jugendlichen.

Ungeborene, Säuglinge, Kinder und Ju- die Handynutzung damals noch sehr gering und Kinder im Sturm. Eine Forschergruppe gendliche durchlaufen beim Erwachsen- war. 45 % der Kinder nutzten das Handy der psychologischen Fakultät der Univer- werden viele Entwicklungs- und Wachs- praktisch nie und nur 14 % hatten bei Tumor- sität Basel untersuchte im Jahr 2012/2013 tumsphasen, die sie besonders empfndlich diagnose schon über 144 Stunden telefoniert. bei 362 minderjährigen Jugendlichen, ob ein und verletzbar machen, auch gegenüber Eine zweite grössere Fall-Kontrollstudie na- Zusammenhang besteht zwischen abend- technischen Umwelteinfüssen [1]. Sie sind mens ‹MOBI-KIDS› [6] läuft seit 2010. In der licher Elektroniknutzung und depressiven auch von möglichen Spätfolgen der Mobil- WHO-Forschungsagenda 2010 zu Mobil- Symptomen und ob diese durch verkürzte funkstrahlung am stärksten betroffen. funk werden prospektive Kohortenstudien Schlafzeit, Ein- und Durchschlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen sowie Stu- vermittelt sind.1 Zusätzlich verglich sie Ju- Risikoforschung beim dien zu Auswirkungen von prä- und post- gendliche mit Smartphones mit solchen, die Kind prioritär nataler Exposition als dringlich eingestuft nur ein einfaches Mobiltelefon besassen [8]. Bis heute gibt es kaum Studien, die Langzeit- [7]. Einem vom Bundesrat eingesetzten Die Basler Studie zeigte, dass Jugendlichen auswirkungen erhöhter Funkbelastung und Exper tenteam lagen 2014 erst drei Studien mit Smartphones abends mehr Elektronik veränderter Lebensgewohnheiten durch vor, teilweise mit Hinweisen für Effekte von nutzten. Die Datenauswertung ergab ei- Handynutzung bei Kindern und Jugendli- vorgeburtlicher Hochfrequenzexposition nen Zusammenhang zwischen abendlicher chen untersucht haben. Eine erste Fallkon- auf das kindliche Verhalten [4]. trollstudie über Kinder u.a. auch aus der 1 Die Studiengruppe stützte Ihre Hypothese auf diverse Schweiz, die zwischen 2004 und 2008 an ei- Smartphones machen frühere Studien, die einen Zusammenhang zwischen abendlicher Elektroniknutzung und verspätetem Zubett- nem Hirntumor erkrankten, zeigte kein er- Nacht zum Tag gehen, verkürzter Schlafdauer und Schlafstörungen (z.T. höhtes Tumorrisiko durch Handynutzung Smartphones sind handlich, multifunktional mit verminderter Tagesbefndlichkeit) aufzeigten. Sie wurden von Cain und Gradisar in einer Übersichtsarbeit [5]. Dies allerdings mit dem Vorbehalt, dass und erobern den Alltag der Jugendlichen von 2010 diskutiert [9].

Erhöhtes Hirntumorrisiko durch Vieltelefonieren

Mitten im Smartphone-Boom stufte die Juni 2014 [4] fest, dass beim heutigen mienqualität, für eine Destabilisierung WHO im Mai 2011 hochfrequente elek- Kenntnisstand nur für wenige unter- der Erbinformation, für Auswirkungen tromagnetische Strahlung, wie sie beim suchte Endpunkte Entwarnung gegeben auf Genexpression, programmierten Mobilfunk aber auch andern Funkan- werden könne: Bei alltäglicher Endgerä- Zelltod und oxidativen Zellstress. Das wendungen eingesetzt wird, neu als texposition sei eine Beeinfussung der Expertenteam hält auch fest, dass nicht möglicherweise krebserregend für den Hirnströme wissenschaftlich ausreichend nur der Energieeintrag, sondern auch Menschen ein (Klasse 2B). Fall-Kon- nachgewiesen. In Tierexperimenten kann die Charakteristik des Expositionssignals trollstudien zeigten ein erhöhtes Hirn- Mobilfunkstrahlung als Co-Karzinogen eine Rolle spielt. Das aber ist nicht mit tumorrisiko bei Vieltelefonierer/innen wirken. Zellexperimente zeigten, dass dem thermischen Wirkungsmodell kom- (mehr als 30 Minuten täglich während Mobilfunkstrahlung die Zellen stresst. patibel, auf dem die aktuellen Grenz- mind. 10 Jahren) [2,3]. Es bestehe zumindest eine begrenzte Evi- werte ausschliesslich basieren. Ein vom Bundesrat eingesetztes Ex- denz für die Beeinfussung der Gehirn- pertenteam stellte in einem Bericht vom durchblutung, die Reduktion der Sper-

[email protected] 1/16 7 Mobilfunk – Ein Feldversuch?

Elek troniknutzung mit kürzerer Schlafdau- Emotionale und er, vermehrten Schlafstörungen und depres- physikalische Weckeffekte siven Symptomen. Eine Regressionsanalyse Die Basler Forschergruppe diskutiert ein- der Daten zeigte, dass der Zusammenhang fache Mechanismen als möglichen Grund zwischen abendlicher Elektroniknutzung für den Zusammenhang zwischen Schlaf- und depressiven Symptomen über Schlaf- störung und Elektroniknutzung: Vermin- störungen vermittelt ist. In der sehr interes- derte Schlafhygiene wegen spätem Lichter- santen Diskussion stellte die Forschergruppe löschen oder ungenügender körperlicher ihre Studienergebnisse in den Kontext zum Aktivität tagsüber, emotionale Weckeffekte bestehenden Wissen, dass durch den Inhalt der Elektroniknutzung, physikalische Weckeffekte durch das Blau- • Depressionen bei Heranwachsenden licht der Bildschirmbeleuchtung.2 häufg sind • Depressionen und verminderte Schlaf- Wieder schlafen lernen? dauer bei Jugendlichen säkular zuneh- Eine ebenfalls im Jahr 2012/2013 durch- men geführte Schweizer Kohortenstudie • Schlafstörungen und Depressionen (HERMES-Studie) versuchte bei 439 Ju- zusammenhängen gendlichen im Alter zwischen 12 und 19 • Elektroniknutzung und Depressionen Jahren die kumulative alltägliche Funkexpo- zusammenhängen sition abzuschätzen und mögliche negative • Schlafentzug zu depressiven Symptomen gesundheitliche Auswirkungen im Zusam- führt menhang mit der Nutzung von Mobiltele- • die Elektroniknutzung seit 1960 zunimmt fonen und der Strahlenbelastung zu erfas- sen. Aufgrund ihrer Studienresultate schlug Die befragten Jugendlichen gaben an, die Basler Gruppe vor, Schüler/innen im Durchschnitt 17 Minuten täglich mit präventiv entsprechend zu informieren und dem Mobiltelefon und 9 Minuten mit dem schlafhygienisch im Umgang mit abendli- Schnurlostelefon zu Hause zu telefonieren. cher Elektroniknutzung zu instruieren. Die Jugendlichen nutzten das Handy 40 Damit könnte möglicherweise auch die Minuten für Internetanwendungen, davon starke Zunahme an Depressionen bei Ju- 11 Minuten über Mobilfunk und 30 Mi- gendlichen eingedämmt werden. nuten über WLAN. Zusätzlich surften sie

Expositionsabschätzung

Die Expositionsabschätzung ist sehr kom- ten geobasierten Rechnungsmodelle zur plex und anspruchsvoll, jedoch für eine Erfassung von Belastungen zum Beispiel qualitativ hochstehende bevölkerungs- durch Aussenantennen, mit dem Einbe- basierte Risikoforschung unerlässlich. zug von Operatordaten und der Entwick- Sie hat zwar grosse Fortschritte erzielt, lung von erprobten Fragebögen zur Erhe- um die individuelle alltägliche Funk- bung der Gerätenutzung. Dennoch bleibt belastung integrativ zu erfassen. So etwa die Expositionsabschätzung die Achil- mit der Entwicklung von Personen-Expo- lesferse der Mobilfunk-Risikoforschung simeter zur Messung des Energieeintrags [17]. von Fernfeldquellen, computergestütz-

8 1/16 www.aefu.ch Mobilfunk – Ein Feldversuch?

© Hernán Piñera

im Durchschnitt 1 Stunde drahtlos über kannt, dass abendliche bzw. nächtliche Computer/Laptop/Tablet. Das Smartphone Handystrahlung das Schlaf-EEG im für wurde 4.4 Stunden nahe am Körper getra- schlafabhängige Lernprozesse relevanten gen [12]. langsamwelligen (< 4.5 Hz) und im Spin- 70 % stellten ihr Smartphone nachts nicht delfrequenzbereich (12–15 Hz) beeinfusst ab. 21 % wurden nachts mindestens einmal [14]. Die Jugendlichen mussten abends eine pro Monat durch eine Nachricht geweckt, Lernaufgabe lösen. Während der ganzen wovon 67 % darauf antworteten. Die Nacht wurden sie einem gepulsten Mobil- HERMES-Studie zeigte unter anderem, dass funksignal mit SAR-Werten von 0.15 W/kg nächtliche Handynutzung mit signifkant ausgesetzt. Am Morgen mussten sie die mehr Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erschöpf- gleiche Lernaufgabe erneut lösen. Un- barkeit und vermindertem Wohlbefnden as- ter Exposition waren die für schlafabhän- soziiert ist [13]. Die Forschergruppe schlägt gige Lernprozesse typischen Hirnströme vor, Jugendliche im Hinblick auf die Handy- verändert und morgens die schlafabhängige nutzung zu einem besseren Schlafverhalten Leistungsverbesserung reduziert. In der anzuleiten.

2 Mit Bezug auf Studienergebnisses von Cajochen, dass Gestörter Lernprozess? abendliche Blaulichtexposition durch LED-Bildschirme weckt und Melatonin unterdrückt [10]. Eine Schweizer Eine Zürcher Forschergruppe untersuchte Forschergruppe mit Cajochen konnte in einer späteren den Effekt von Handyexposition auf schlaf- Studie von 2014 aufzeigen, dass das Tragen einer Blau- lichtflterbrille die Effekte der LED-Bildschirme redu- abhängige Lernprozesse. Denn es ist be- zierte [11].

Tipps

Unterwegs • Keine mobile Telefonie und kein Inter- • Strahlenarme Mobiltelefone wählen net im aktiven Strassenverkehr www.bfs.de • Abstand von 30 cm zwischen Mo- • Gute Verbindungsqualität suchen/ biltelefon und aktiven medizinischen abwarten Implantaten • Textnachrichten statt mobile Telefonie • Kinder sollten das Handy nur im Not- • Mobile Telefonie mit Freisprechein- fall nutzen (altersgerechte Handynut- richtung zung s. Links) • Handy weg von Kopf und Körper (bei Telefonie, Internetnutzung und Standby), Handys gehören nicht in Zuhause Hosentasche, Brusttasche, Büstenhal- • Kabelgebundes Netzwerk für Internet, ter oder an den Gürtel Radio/TV, Telefonie • Hintergrundinformationsdienst aus- • WLAN on demand (WLAN-Router schalten (Menueinstellung), spora- und WLAN-Funkdienst am Gerät bei disch bei guter Verbindung abrufen Nichtgebrauch abstellen) • Bei Offine-Arbeiten Flugmodus ein- • Smartphone/Tablet immer Flug- schalten (Lesen, Video schauen, Fotos modus, bei WLAN-Zugriff zusätz- bearbeiten) lich WLAN-Taste ein bzw. aus, bei • Im Zug, Bus und Auto Flugmodus Nichtgebrauch ausschalten • Bei Nichtgebrauch ausschalten • Geräte nachts immer ausschalten

[email protected] 1/16 9 Mobilfunk – Ein Feldversuch an unseren Kindern?

In öffentlichen Verkehrs- mitteln ist die Mobil- funkbelastung besonders gross. Zur Belastung durch das eigene Gerät kommt die Belastung durch die Geräte der Mitreisenden hinzu. © Nicolas Nova/fickr.com

Physikalische Basics Eine Studie von 2008 mit Perso- Funk oder Funkwellen dienen als In- nen-Exposimeter zeigt, dass sich in der formationsträger für Datenübertragung Schweiz die Belastung durch Fern- und gehören physikalisch ins Spektrum feldquellen in den letzten 20 Jahren ver- der hochfrequenten elektromagnetischen zehnfacht hat. Die individuelle Funk- Strahlung (100 kHz bis 300 GHz). Hohe belastung durch Fernfeldquellen variiert Dosen führen frequenzabhängig zu einer je nach Umfeld um mehrere Zehnerpo- Erwärmung des Gewebes (Mikrowellen- tenzen [20]. Für Personen, die in der Nähe effekt). Die spezifsche Absorptionsrate weniger als der alte Standard der zweiten von Mobilfunkantennen wohnen, oder (SAR) ist ein Mass für die im Körper Generation (GSM) [17]. GSM wird in dort Basisstationen von DECT-Telefonen aufgenommene Strahlung in Watt/kg. den nächsten Jahren eingestellt. Bei und Computerfunk in Betrieb sind, wo Eingehaltene Grenzwerte schützen also Datenübertragung nimmt die Belastung sie sich dauernd aufhalten, dominieren nur vor übermässiger Gewebserwär- bei UMTS, LTE aber auch bei WLAN diese Funkquellen [21]. Basisstationen mung. mit zunehmender Datenmenge zu [12]. für WLAN belasten je nach Abstand und Typische Nahfeldquellen in unmit- Schnurlostelefone nach dem DECT- Datenverkehr. Die Belastung durch Ba- telbarer Körpernähe sind Handy, schnur- Standard strahlen weniger als GSM aber sisstationen von DECT-Telefonen nimmt lose Telefonhörer, Laptop und Tablet. Der mehr als UMTS [17]. Mobiltelefone belas- in den letzten Jahren ab, weil moderne SAR-Grenzwert für die lokale Exposition ten auch mit Magnetfelder durch ihren Basisstationen nur strahlen, wenn tele- beträgt 2 Watt/kg. Batteriestrom, in unmittelbarer Nähe und foniert wird (Ecomode) [21]. Seit dem Typische Fernfeldquellen sind Ba- je nach Geräteaktivität sogar sehr stark Smartphone-Boom wird die individuelle sisstationen für Schnurlostelefonie [18]. Fernfeldbelastung immer mehr durch die (DECT-Telefonie) und Accesspoints Smartphones strahlen auch im Stand- Geräte selbst dominiert [12]. Die Belas- bzw. Router für drahtlosen Computer- by-Modus, vor allem beim Standortup- tung durch Aussenantennen im Aussen- funk (WLAN), Mobilfunkantennen und dating (vgl. unten) [19]. Geräte sollen also bereich nimmt zu. Belastungen durch die Nutzergeräte auch im Standby-Modus nicht körpernah In öffentlichen Verkehrsmitteln wird anderer. Die Strahlenabsorption durch getragen werden. Smartphones gehören die höchste Fernfeldbelastung überhaupt Fernfeldquellen wird abgeleitet durch weder in Hosentasche, Büstenhalter, gemessen, hauptsächlich verursacht Messung der Feldstärke (V/m). Der in- Brusttasche noch an den Gürtel und Lap- durch die Mobiltelefonie der Mitpassa- ternational und in der Schweiz geltende tops gehören nicht auf den Schoss. giere [12,22]. Eine Schweizer Studie Immissionsgrenzwert für Mobilfunkan- stellte überraschend fest, dass Standort- tennen beträgt frequenzabhängig 40–60 Mein Smartphone belastet updates zwischen Gerät und Antenne V/m. auch dich bei Smartphones im Standby-Modus sehr Fernfeldquellen wie zum Beispiel Mo- häufg sind. Diese unerwartet häufge Ge- Handy weg von Kopf und Körper bilfunkantennen haben einen deutlich räteaktivität ist ausgeprägt beim Fahren Nahfeldquellen belasten mit dem höchs- geringeren Energieeintrag als Nah- und je mehr Hintergrundnachrichten- ten Energieeintrag [17]. Allgemein nimmt feldquellen. Dafür belasten sie oft über dienste auf dem Smartphone aktiviert die Belastung im Quadrat zum Abstand Stunden, häufg auch nachts. Gemäss der sind (automatische Benachrichtigung zur Strahlenquelle ab. Die lokale Strah- bisherigen Forschung spielen neben dem z. B. von Email-Eingängen). Im Auto wird lenabsorption bei Telefonanrufen nimmt grenzwertbestimmenden Energieeintrag die Fernfeldbelastung sogar durch das um den Faktor 1000 ab, wenn das Gerät (W/kg) auch andere Faktoren wie Signal- Standortupdating der Smartphones von im Abstand von 20 cm gehalten wird [12]. charakteristik und die Einwirkungszeit Fahrer/in und Mitfahrenden dominiert. Die neuen Mobilfunkstandards der drit- eine wichtige Rolle [2]. Deshalb stehen Stellt der/die Fahrer/in sein Smartphone ten (UMTS) und vierten (LTE) Generation auch Fernfeldquellen trotz des geringen in den Flugmodus, wird die Belastung belasten wegen der Leistungsregulierung Energieeintrages im Fokus der wissen- um den Faktor 100 reduziert [19]. beim Telefonieren um den Faktor 100 schaftlichen Forschung.

10 1/16 www.aefu.ch Mobilfunk – Ein Feldversuch an unseren Kindern? © OEKOSKOP erwähnten HERMES-Studie zeigen die am Ergebnisse der Basiserhebung zeigen einen tromagnetischen Feldern und Gesund- stärksten funkbelasteten Jugendlichen im dosisabhängigen Zusammenhang zwischen heit: [email protected] Longitudinalverlauf ein vermindertes Kurz- Übergewicht und Handynutzung. (Frau Dr. med. Edith Steiner) zeitgedächtnis [23]. Die COSMOS-Autor/innen empfehlen, • Mehr Hintergrundinformation auf un- auch bei Jugendlichen Untersuchungen zu serer Webseite www.aefu.ch (Thema Elek- Machen Smartphones dick? Gewichtsverlauf und Handynutzung durch- trosmog und umweltmedizinische Bera- Gemäss der neuesten Erhebung der JAMES- zuführen. tung) Studie [15] zur Mediennutzung und zum Links für den Praxisalltag Freizeitverhalten bei Jugendlichen besitzen Dr. med. Edith Steiner ist Mitglied des 98 % der 12- bis 17-Jährigen ein Mobiltele- • Information zur Reduktion der Strahlen- Zentralvorstandes der Ärztinnen und fon, 97 % davon ein Smartphone. Die Nut- belastung www.bfs.de; www.bag.admin.ch Ärzte für Umweltschutz (AefU) und zung des Handys wird als beliebte und • Interessanter Newsletter der beratenden leitet deren interne ‹Arbeitsgruppe elek- häufgste Freizeitbeschäftigung angegeben. Expertengruppe NIS (BERENIS) un- tromagnetische Felder› sowie das Projekt Noch lieber, aber etwas weniger häufg, ter http://www.bafu.admin.ch/elektros- ‹Umweltmedizinisches Beratungsnetz›. treffen sie Freunde oder hören Musik. Die mog/01095/15189/index.html?lang=de, Sie betreut auch das umweltmedizini- grosse internationale Kohortenstudie COS- abonnierbar per Email an: stefan.don- sche Beratungstelefon. Steiner vertritt MOS [16] untersucht prospektiv mögliche [email protected] (mit Betreff ‹Abonnement die AefU in der vom Bundesamt für Um- Zusammenhänge zwischen der Nutzung Newsletter BERENIS›) welt BAFU einberufenen beratenden Ex- von drahtlosen Kommunikationsgeräten, • Praktische Information für Eltern zu Kind pertengruppe NIS (BERENIS).3 der Exposition mit elektromagnetischen und Medien: Jugend und Medien http:// [email protected], Feldern und der Gesundheit innerhalb www.jugendundmedien.ch www.aefu.ch grosser Personengruppen ab 18 Jahren. Erste • Ihr Backoffce für spezielle Fragen zu elek-

Literaturverzeichnis [1] Broschüre Kind-Umwelt-Gesundheit; Herausgeber Ärz- [9] Cain N, Gradisar M. Electronic media use and sleep in [16] COSMOS: Toledano MB, Smith RB, Chang I et al. Cohort tinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU); September school-aged children and adolescents: A review. Sleep Med profle: UK COSMOS – a UK cohort for study of environ- 2007; http://www.aefu.ch/themen/kind/ (2010);11(8): 735-42. ment and health. Int. J. Epidemiol. (2015) 1-13. [2] IARC Monographs on the evaluation of carcinogenic [10] Cajochen C, Frey S, Anders D, et al. Evening exposure [17] Lauer O, Frei P, Gosselin MC et al. Combining Near- and risks to humans, Volume 102 (2013) Non-Ionizing Radiation, to a light-emitting diodes (LED)-backlit computer screen af- Far-Field Exposure for an organic-specifc and whole-body Part 2: Radiofrequency Electromagnetic Fields (S 383ff); fects circadian physiology and cognitive performance. (2011) RF-EMF Proxy for epidemiological research: A reference http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol102/ Journal of Applied Physiology; 110: 1432–1438. case. Bioelectromagnetics (2013); 34: 366-374. [3] Baan R, et al.; WHO International Agency for Research [11] Van der Lely St, Frey S, Garbazza C, Wirz-Justice A, et [18] Gosselin MC, Kühn S, Kuster N. Experimental and nu- on Cancer Monographh Working Group. Carcinogenicity of al. Blue blocker glasses as a countermeasure for alerting ef- merical assessment of low-frequency current distrubutions radiofrequency electromagnetic felds. Lancet Oncol. (2011); fects of evening light-emitting diode screen expousre in male from UMTS and GSM mobile phones. Phys Med Biol (2013); 12(7):624-6. teenagers. J Youth Adolesc. (2015); 56: 113-119. 58(23):8339-57 [4] Beurteilung der Evidenz für biologische Effekte [12] Roser K, Schoeni A, Burgi A, Röösli M. Development of [19] Urbinello D, Röösli M. Impact of one’s own mobile schwacher Hochfrequenzstrahlung. Bericht im Auftrag des an RF-EMF Exposure Surrogate for Epidemiologic Research. phone in stand-by mode on personal radiofrequency elec- Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Basel, Juni 2014; http:// Int J Environ Res Public Health (2015); 30: 680-687. tromagnetic feld exposure. J Expo Sci Environ Epidemiol. www.bafu.admin.ch/elektrosmog/01095/01096/index. [13] Schoeni A, Roser K, Röösli M. Symptoms and cognitive (2013); 5:545-8 html?lang=de functions in adolescents in relation to mobile phone use du- [20] Frei P, Mohler E, Neubauer G, et al. Temporal and spatial [5] Aydin D, Feychting M, Schüz J et al. Mobile Phone Use ring night. Plos One (2015)10(7):e0133528. doi: 10.1371/jour- variability of personal exposure to radio frequency electro- and Brain Tumors in Children and Adolescents: A Mul- nal.pone.0133528. eCollection 2015 magnetic felds. Environ Res (2009); 109(6):779-85 ticenter Case-Control Study. J Natl Cancer Inst (2011); [14] Lustenberger C, Murbach M, Dürr R, et al. Stimulation [21] Tomitsch J, Dechant E. Exposure to electromagnetic feld 103(16):1264-76. of the brain with radiofrequency electromagnetic feld puls- in households-trends from 2002-2012. Bioelectromagnetics [6] MOBI-KIDS: Risk of brain cancer from exposure to ra- es affects sleep-dependent performance improvement. Brain (2015); 1: 77-85 diofrequency felds in childhood and adolescence; http:// Stimulation (2013); 6: 805-811. [22] Urbinello D, Joseph W, Verloock L et al. Temporal trends www.crealradiation.com/index.php/mobi-kids-home [15] JAMES (Jugend; Aktivitäten: Medienerhebung of RF-EMF exposure in everyday environments across Euro- [7] WHO Research Agenda for Radiofrequeny Fields 2010; Schweiz): Willemse I et al. Ergebnisbericht zur JAMES- pean cities. Environ Res (2014); 134:134-42 http://www.who.int/peh-emf/research/agenda/en/ Studie 2014. [23] Schoeni A, Roser K, Röösli M. Memory performance, [8] Lemola S, Perkinson-Gloor N, Brand S, et al. Adolescents’ http://www.jugendundmedien.ch/fileadmin/user_up- wireless communication and exposure to radiofrequency electronic media use at night, sleep disturbance, and depres- load/Fachwissen/JAMES/Ergebnisbericht_JAMES_2014. electromagnetic felds: A prospective cohort study in adoles- sive symptoms in the smartphone age. J Youth Adolesc. pdf cents; Environment International (2015); 85: 343-351 (2015); 44(2):405-18.

[email protected] 1/16 11 Mobiler Stromverbrauch

Mit der Cloud

zur Nachhaltigkeit? Thomas/Flickr.com © George

Dr. Kerry Hinton, Melbourne (AUS) Cloud-Dienste gelten als energieeffziente Form der Datenspeicherung. Dabei geht vergessen, dass es gar nicht die Rechner sind, die beim Cloud Computing den Löwenanteil am Stromverbrauch ausmachen.

Mit der gegenwärtigen Entwicklung in der und unsere Umwelt nur eine begrenzte Ver- Wirtschaftsgebiete energieeffzienter zu Informations- und Kommunikationstech- schmutzung erträgt. machen. Das ist die ‹Ökologisierung durch nologie (ICT) ist es sehr wahrscheinlich, dass die ICT›. Der neue SMARTer2030-Bericht unser Informationszeitalter die Gesellschaft Energiekonsum des Internet der GeSI (Global e-Sustainability Initiative)

stärker verändern wird als jedes frühere Zeit- Während dieses Übergangs hört das Infor- liefert viele Beispiele, um dadurch die CO2- alter. Gleichzeitig machen die Auswirkun- mationszeitalter nicht auf sondern wird eine Produktion zu verringern [2]. Wird die Öko- gen der Menschheit auf die Erde es wahr- Schlüsselkomponente dabei sein. Die ICT- logisierung bis 2030 tatsächlich optimal an-

scheinlich, dass das Ökosystem unseres Ausrüstung braucht stets grössere Mengen gewandt, kann die ICT ihre eigene CO2-Bi- Planeten nicht mehr imstande sein wird, an elektrischer Energie. Abbildung 1 zeigt – lanz nahezu um das Zehnfache reduzieren. das menschliche Leben weiterhin zu unter- in die Zukunft projiziert – den globalen En- Wie der SMARTer2030-Bericht zeigt, stützen. Das kann sich in Form eines ökolo- ergieverbrauch des Internets auf der Basis bestimmt die Praxis der Industrie und der gischen und/oder wirtschaftlichen Zusam- der gegenwärtigen Zuwachsraten. Die rotge- Verbraucher, inwiefern eine Industrie nach- menbruchs zeigen. Um das zu vermeiden, punktete Linie zeigt den Energieverbrauch, haltig sein wird. Nachfolgend betrachten wir müssen wir ins ‹Nachhaltigkeitszeitalter› wenn nichts unternommen wird, um seine Internet-Dienste, die momentan besonders übergehen, in dem wir darauf reagieren, Energieeffzienz zu verbessern. Die grüne beliebt sind. Der kumulative Energiever- dass wir mit begrenzten Ressourcen leben Linie entspricht dem Energie verbrauch, brauch von vielen Millionen NutzerInnen wenn die aktuelle Verbesserungs rate von prägt deren Energiebilanz. Eine direkte Mes- 15 % bei der ITC-Ausrüstung auf das gesam- sung ist also nicht möglich. Es braucht Mo- Vorschläge für Ihre te Internet angewandt wird [1]. Ebenfalls delle, um den Energiekonsum abzuschätzen. persönliche ICT-Energieeffzienz dar gestellt ist die globale elektrische Ver- sorgung mit ihrer gegenwärtigen Zuwach s- Cloud Computing Dienste • Benutzen Sie Wi-Fi1-Hotspots für die rate (blaue Linie). Wenn wir die Energieeff- Cloud Computing verspricht On-Demand Internet-Verbindung (anstatt Mobil- zienz des Internet nicht dauernd verbessern, Computing für Organisationen und Ver- funkverbindung oder Wi-Fi-Heim- wird sein Verbrauch von heute ca. 1 % der braucher, also Speicherung und Software- verbindung). globalen elektrischen Energie auf deutlich Dienste, die immer und überall zugänglich • Bearbeiten Sie Dokumente auf dem über 10 % bis im Jahr 2025 ansteigen. Das ist sind. Alles was dazu benötigt wird, sind eine Laptop und laden Sie höchstens das nicht nachhaltig. Netzwerkverbindung und ein Gerät wie z. B. fnale Dokument in die Cloud. Laptop, Tablet oder Mobiltelefon. Das hat zu • Laden Sie nur Fotos auf Ihren Cloud- Ökologisierung der und einem explosiven Wachstum der Nachfrage Speicher, auf die Sie später zugreifen durch die ICT nach cloudbasierten Diensten für geschäftli- möchten. In einer idealen Zukunft würde der gesam- che und soziale Anwendungen geführt. • Behalten Sie oft benötigte Dokumente te Strom aus 100 % erneubaren, kohlen- Cloud Computing beruht auf der Einrich- auf Ihrem Gerät (statt sie bei jedem stofffreien Energieträgern erzeugt. Wir sind tung von umfangreichen Rechenzentren, Gebrauch abzurufen). jedoch noch lange nicht so weit. Bis dahin die mehrere tausend Computer (Server) • Laden Sie Videos für späteren Konsum bildet die Energieeffzienz das Hauptin- beherbergen. Häufg wird angeführt, Cloud- außerhalb der abendlichen Spitzen- strument, um das Informationszeitalter Dienste seien ökologischer als die Leistun- zeiten herunter (statt Online-Übertra- nachhaltiger zu machen. Das wird oft als gen eines einzelnen heimischen PC [3]. Stu- gung während Spitzenzeiten). ‹Ökologisierung der ICT› bezeichnet. Wir können die ICT ebenfalls nützen, um viele 1 WLAN

12 1/16 www.aefu.ch Mobiler Stromverbrauch

Cloud-Diensten ist in Abbildung 2 darge- stellt [9]. Sie zeigt, dass eine Textverarbei- tung mit Cloud-Nutzung 1000 mal mehr Daten produziert, als der Originaltext selber hat. Für jeden Tastendruck, das ein Byte (8 Abb. 1: Wachstum des Energieverbrauchs durch das Bits) an Daten verlangt, generiert der Cloud- Abb. 2: Stromverbrauch pro Nutzer mit (blau) Internet (exkl. Rechenzentren) unter Annahme aktueller Dienst also 1000 Bytes Datenverkehr zwi- oder ohne (rot/grün) Zugriff auf ein cloudbasiertes Zuwachsraten in Datenverkehr und Nutzerzahl. schen dem Gerätenutzer und dem Server. Textverarbeitungs system. Wenn eine kabellose () Verbindung dien, die dies bestätigten, konzentrierten benutzt wird, braucht das ungefähr gleich meldete, betrug der Energieverbrauch aller sich typischerweise auf Cloud Computing viel Energie wie ein passives optisches Netz- seiner Rechenzentren 2012 ca. 500 GWh. Al- in Firmen und bezogen nur den Energiever- werk, das mit 100 Megabits pro Sekunde lein der Stromkonsum des Transportnetzes brauch der Rechenressourcen und der Spei- arbeitet, obwohl der kabellose Cloud-Dienst und der Endgeräte fürs Foto-Sharing ent- cherung der Cloud ein. Sie berücksichtigen mit weniger als einem Tausendstel dieser spricht also ca. 60% diese Gesamtverbrauchs nicht den Energieverbrauch beim Zugriff Geschwindigkeit arbeitet. Der Zugang zu der Rechenzentren von Facebook. Und Fo- auf das Netzwerk zwischen NutzerInnen einem Cloud-Dienst über ein mobiles Netz- to-Sharing ist nur einer seiner Diens te. Will und Cloud-Rechenzentrum. werk ist also sehr ineffzient. Das Modell man den Energieverbrauch – und daraus

Ein gut geführtes Rechenzentrum kann des CEET zeigte auch, dass die kabellose folgend die CO2-Bilanz – der Cloud berech- tatsächlich wesentlich mehr Rechenleistung Verbindung zu Cloud-Diensten zukünftig nen, darf man das Transportnetz und die als mehrere betriebsinterne lokale Server fast 83 % deren gesamten Energieverbrauchs End geräte keinesfalls ignorieren. zu einem Bruchteil des Energieverbrauchs betragen wird. Die Rechenzentren tragen pro NutzerIn liefern [4]. Ungeachtet des- nur 17 % bei. Das grösste Hindernis für die Internet der Dinge sen verbrauchen die Rechenzentren enorme Nachhaltigkeit der Cloud-Dienste ist der Nun rückt bereits die nächste Generation Megawatt-Mengen und können – abhängig Anspruch, auch mobil uneingeschränkt da- von informationsbasierten Dienstleistungen von ihrer Energiequelle – eine ziemlich hohe rauf zugreifen zu können. in den Blick, wie das ‹Internet der Dinge›2. CO2-Bilanz aufweisen [2]. Was es auch sein wird, diese Dienstleistun- Stromfressendes Foto-Sharing gen werden weltweit Energie verbrauchen

Die ‹Wolke› ist ineffzient Soziale Vernetzung und Foto-Sharing wur- und eine CO2-Bilanz haben. Die Heraus- Vor Kurzem gab es kräftige Anstrengungen, den in den letzten Jahren äußerst populär forderung des Informationszeitalters besteht um die Cloud-Dienste auf mobile Geräte der und wachsen rasant. Facebook als weltweit darin zu gewährleisten, dass die Diens te einzelnen Users zu erstrecken [5,6,7]. Die Be- wichtigste Webseite für Foto-Sharing be- dem Wohl kommender Generationen dienen liebtheit und Vielfältigkeit der Cloud-Diens- herbergt derzeit über 240 Milliarden Fotos und unseren Eintritt ins Nachhaltigkeitszeit- te wird in allernächster Zukunft dramatisch und die Nutzer laden täglich über 350 Mil- alter beschleunigen. wachsen. Sie werden die Breitbanddienste lionen neue hoch. Übersetzung: Caroline Maréchal vor Ende dieses Jahrzehnts dominieren [8] Um den ganzen Stromverbrauch des Fo- und vor allem auf einer kabellosen Verbin- to-Sharing in sozialen Netzwerken seriös zu Dr. Kerry James Hinton studierte an der dung zum Telekommunikationsnetzwerk berechnen, muss einbezogen werden: Der University of Adelaide und erwarb an und von dort zum Cloud-Rechenzentrum Energieverbrauch 1) der Rechenzentren für der Englischen University of Newcastle beruhen. Verarbeitung und Speicherung der Fotos, 2) Upon Tyne 1984 den Ph.D. in theore- Ein Ergebnis der Forschung des Centre des Transportnetzes, das den Nutzer mit der tischer Physik. Seit 2006 wirkt Hinton an for Energy Effcient Telecommunications Cloud verbindet und 3) die von Endgeräten der University of Melbourne, seit 2011 (CEET) zur Nutzung von interaktiven benötigte Energie, wenn sie auf das Cloud- am ‹Centre for Energy Effcient Telecom- Rechenzenter zugreifen. munications (CEET)›, dessen Direktor er 2 Der Begriff Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) Das CEET schätzt die gesamte jährliche heute ist. beschreibt, dass der Computer zunehmend als Gerät Energie für das Hochladen und den Down- verschwindet und durch ‹intelligente Gegenstände› [email protected], ersetzt wird. So werden z. B. miniaturisierte Computer, load von Fotos auf Facebook auf ca. 304 Gi- sogenannte Wearables, mit unterschiedlichen Sensoren www.unimelb.edu.au direkt in Kleidungsstücke eingearbeitet. gawattstunden (GWh). Wie Facebook ver-

[email protected] 1/16 13 Mobile Health und Gesundheits-Apps

Modeerscheinung oder Mehrnutzen? mHealth in der Gesundheitsversorgung

Dr. med. Urs Stoffel, Zürich Gesundheits-Apps verbreiten sich in Windeseile. Dennoch gibt es kaum Ratgeber und keine Zertifzierung, die bei der Auswahl und Einschätzung von Nutzen und Risiken helfen.

Aus dem Begriff ‹eHealth›, der im Wesent- beispielsweise von anwendungsbezogenen lichen die Digitalisierung traditioneller Fragestellungen im medizinisch-profes- Prozesse und die elektronische Kommuni- sionellen Umfeld (z.B. Diagnostik, Be- kation und Vernetzung im Gesundheitswe- handlung, Entscheidungsunterstützung, sen umfasst, entwickelte sich in den letzten interprofessionelle Zusammenarbeit, Infor- Jahren der Begriff ‹Mobile Health› oder mationsmanagement etc.). ‹mHealth›. Der Begriff wurde 2006 geprägt Gesundheits-Apps können einerseits von Robert S. H. Istepanian, Professor des ei nen Nutzer im Umgang mit seiner Ge- Londoner Imperial College für Elektronik sundheit oder Krankheit direkt und unab- und Ingenieurwesen.1 Er defnierte mHealth hängig von medizinischen Fachpersonen als «emerging mobile communications and unterstützen. Andererseits ermöglichen network technologies for healthcare», über- Apps auch den Austausch von Daten und setzt: neu aufkommende mobile Kommu- Informationen mit einem Arzt oder mit an- nikations- und Netzwerktechnologien für deren Fachpersonen. Darüber hinaus kön- die Gesundheitsversorgung. Im Wesent- nen medizinische Apps auch Ärzte und lichen versteht man unter mHealth heute Ärztinnen oder andere Gesundheitsfachper- medizinische Verfahren und Massnahmen sonen beispielsweise in der Informations- im Gesundheitswesen, die durch unter- beschaffung, in der Entscheidungsfndung schiedliche drahtlos funktionierende Geräte oder in der interprofessionellen Zusam- wie Smartphones, Tablets oder persönli- © Alexey Boldin menarbeit unterstützen. che digitale Assistenten (PDA) unterstützt werden. tion mit einem technischen medizinischen Positive Alltagshilfe Messgerät. Solche Medical-Apps können Mit geeigneten Gesundheits-Apps ergeben Gesundheits- und Medical-Apps zum Beispiel auch Blutzuckerprofle erfas- sich neue Möglichkeiten für die gesund- Unter dem Oberbegriff Gesundheits-Apps sen, aufzeichnen und auswerten. In Kom- heitsbezogene Information und Aufklärung versteht man einerseits Apps, welche die bination mit medizinischen Geräten und von gesunden und kranken Menschen, körperliche Fitness einschätzen, Tipps ge- Apparaten unterstehen sie als eigentliche für die Betreuung und Behandlung von ben für eine gesündere Lebensführung und Medizinprodukte einer Prüfung und Zu- Patientinnen und Patienten sowie für die informieren über Termine zur Behandlung lassung durch die Swissmedic (vgl. Beitrag medizinische Forschung. Der Nachweis des oder Medikamenteneinnahme etc.. Diese Balzli, S. 17). tatsächlichen und nachhaltigen Nutzens von Art von Gesundheits-Apps sind frei und un- Gesundheits-Apps steht zum heutigen Zeit- terliegen keinen Zulassungsbestimmungen. Wie lassen sich punkt noch aus und konnte international Davon zu unterscheiden sind eigentliche Gesundheits-Apps einteilen? erst in einzelnen Bereichen mit Studien be- Medical-Apps. Sie haben eine medizinische Je nach Perspektive, Fragestellung und Ver- legt werden. Zweckbestimmung. Sie führen medizini- wendung lassen sich Gesundheits-Apps Durch den Zugang zu elektronischen sches Wissen und Patientendaten zusam- einteilen: Die private Verwendungen in den Patientendossiers, medizinischen Informa- men, bestimmen und messen medizinische Consumer-Bereichen Fitness oder Wellness tionen sowie zu medizinischen Experten Parameter wie beispielsweise Blutdruck (z.B. Schrittzähler, sportliche Aktivitäten, können geeignete Gesundheits-Apps die oder Sauerstoffsättigung in Kombina- Ernährung, Schlaf etc.) unterscheidet sich Überwachung und Anleitung von Patienten

14 1/16 www.aefu.ch Mobile Health

© Kaspars Grinvalds

orts- und zeitunabhängig unterstützen und verbessern. Beispielsweise können sie bei einer Verschlechterung des Gesundheitszu- standes entsprechende Daten erfassen (und analysieren) sowie geeignete Hinweise, Ratschläge oder Empfehlungen abgeben. Insbesondere bei vorbestehenden chro- nischen Krankheiten (z.B. Diabetes, Herz- rhythmusstörungen, Hypertonie, Asthma bronchiale etc.) können solche Apps bei Verschlechterung von entsprechenden krankheitsspezifschen Werten die Patien­ ten bei der Medikamenteneinnahmen oder Verhaltensanpassungen unterstützen. Bei akuten Veränderungen liessen sich auch lebens bedrohliche Situationen durch früh- zeitige Erfassung, Analyse und Interpre- tation von relevanten Parametern durch geeignete Alarmsignale und Verhaltensemp- fehlungen verhindern. Durch die Integration von Apps in die ärztliche Tätigkeit sind neue und effziente Abläufe und Zusammenarbeitsformen in der medizinischen Versorgung denkbar.

Risiken und Gefahren Es stellen sich aber auch wichtige techni- sche und rechtliche Fragen zu Gesundheits- Apps. Diese betreffen beispielsweise die Si- cherheit und Zuverlässigkeit der erfassten, verarbeiteten, analysierten und interpre- tierten Daten. Offene Fragen sind auch die Vergütung und Haftung bei Betreuung und Behandlung von Patientinnen und Patienten mittels Gesundheits-Apps sowie der Daten- schutz und die Datensicherheit (vgl. Beitrag Bauer, S. 19). Bezüglich Datenschutz wirkt sich erschwerend aus, dass Gesundheits- Apps oft von ausländischen Firmen ange- boten oder auf ausländischen Plattformen betrieben werden (z.B. GoogleFit, Apple Health etc.) und damit die schweizeri- schen Datenschutz-Vorgaben nicht immer

1 Robert S. H. Istepanian, Costantinos S. Pattichis, Swamy Laxmiinarayan: Ubiquitous mHealth systems and the convergence towards 4G mobile technologies. In: mHealth. Emerging Mobile Health Systems. 2006, S. 3. [email protected] 1/16 15 Mobile Health und Gesundheits-Apps

schen Verbreitung von Gesundheits-Apps steht die Frage nach ihrer Zertifzierung im Fokus. Oft sind die Anbieter aber mittlere und kleinere Firmen, denen das Wissen und die Ressourcen dafür fehlen. Aus ärztlicher Sicht stellt sich die Frage, aufgrund welcher Kriterien welche Gesund- heits-Apps gegenüber den Patienten emp- fohlen oder im ärztlichen Alltag verwendet werden können. Andererseits ist die Evalua- tion von Nutzen und Kosten der mHealth- Anwendungen im Vergleich mit alternativen Abläufen und Systemen wichtig. In der Schweiz befasst sich das Koordina- tionsorgan ‹eHealth Suisse›3 mit der Arbeits- gruppe mHealth mit dem Thema. Aber auch Swissmedic, die Universitäten und Fachhochschulen, wie auch Spitäler, Private Unternehmen, die Pharma- und MedTech- Branche befassen sich intensiv mit Mobile- Health. Nicht zuletzt haben auch die Kran- ken- und Unfallversicherer das Potential von mHealth erkannt und versuchen diese Technologie in ihre Versicherungsmodelle eingehalten werden. Viele Anwender ha- heitsrisiken können gesunde oder kranke zu integrieren. ben keine Kenntnis darüber, was mit ihren Menschen verunsichern und zu falschen Gesundheitsdaten und Informationen ge- Schlussfolgerungen führen. Dadurch be- FMH-Ratgeber zu mHealth schieht und zu welchen Zwecken diese dingte Arztbesuche verursachen unnötige Die FMH wird in absehbarer Zeit mit ei- weiterverwendet werden. Zudem besteht Kosten. Umgekehrt können fehlerhafte Ge- nem Positionspapier ihre Mitglieder für die die Gefahr, dass Gesundheits-App auch auf sundheits-Apps auch zu einer Unterlassung Möglichkeiten und Grenzen von mHealth weitere Informationen (z.B. Kalender, Kon- eines nötigen Arztbesuchs führen und nega- sensibilisieren. Mit geeigneten Empfehlun- takte, etc.) eines Smartphones zugreifen. tive gesundheitliche Auswirkungen nach gen sollen Ärztinnen und Ärzte bei der Fehlerhaft interpretierte Resultate oder sich ziehen. erfolgreichen Intergration von mHealth- Empfehlungen aus Wellness- oder Life- Gemäss einer soeben im JAMA er- Anwendungen bei der Behandlung ihrer style-Apps, Messungen im Rahmen der schienenen Untersuchung einer bekannten Patientinnen und Patienten unterstützt ‹quantifed­self›­Bewegung aber auch frag- Gesundheits-App zur Messung des Blut- werden. würdige Risiko-Apps zur Ermittlung von druckes, erhielten ungefähr 80 % der unter- allgemeinen oder spezifschen Gesund- suchten Patienten mit einem zu hohen Blut- druck von der App die Rückmeldung eines Dr. med. Urs Stoffel ist Zentralvor- 2 Timothy B. Plante et al: Validation of the Instant 2 4 Blood Pressure Smartphone App. JAMA, March 02, angeblich normalen Blutdruckes. Die App standsmitglied der FMH und verant- 2016. http://archinte.jamanetwork.com/article. aspx?articleid=2492134 galt als eine der Top 50 iPhone-Apps und wortlich für das Departement eHealth, JAMA, The Journal of the American Medical Association wurde über 148 000 mal verkauft. Sicherheitsinfrastruktur und Datenerhe- ist weltweit die am weitesten verbreitete medizinische Fachzeitschrift. bung. Seit 1996 führt Urs Stoffel eine chi- 3 http://www.e-health-suisse.ch/organisation/00040/ Offene Fragen und rurgische Praxis in Zürich und ist opera- index.html?lang=de 4 Als Berufsverband vertritt die FMH über 39 000 Mitglie- Zuständigkeit bei mHealth tiv tätig als Belegarzt an verschiedenen der. Gleichzeitig ist die FMH der Dachverband von über Im Hinblick auf die Verwendung im Kliniken. 70 Ärzteorganisationen, u.a. der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU). medizinischen Umfeld und wegen der ra-

16 1/16 www.aefu.ch Kennzeichnungs- und Meldepflicht

Gesundheits-Apps können Ihre Gesundheit gefährden

Peter Balzli, Swissmedic Es gibt Tausende von Gesundheits-Apps für Smart- phones. Viele ignorieren die Kennzeichnungspficht und sind damit illegal auf dem Markt. Einige sind gefährlich – auch für Ärzte und Ärztinnen.

Rentner Theodor Eicher liebt das Sonnen- Pharma-Firma vor zwei Jahren eine App für baden auf dem Balkon. Doch seit einiger Ärztinnen und Ärzte, welche die Menge der Zeit schon beschäftigt ihn die Angst vor einzunehmenden Medikamente berechnete. einem Hautkrebs. Zum Arzt zu gehen ist Weil die verwendete Software nicht richtig ihm peinlich, denn der Hautfeck, der ihm validiert war, berechnete die App falsche Sorgen macht, sitzt in der Unterhose. Eines Dosierungen. Die Ärztinnen und Ärzte hät- Tages fndet er eine App, mit der er heraus- Apps, die für Menschen medizinisch therapeutische oder ten ihren Patienten damit womöglich Über- fnden kann, ob ein Hautfeck ein Melanom diagnostische Dienste leisten, gelten als Medizinprodukte dosierungen verabreicht. Die App musste ist oder nicht. Kurzentschlossen lädt er das und müssen diese CE-Kennzeichnung tragen. auf Intervention von Swissmedic zurück- Ding herunter. Jetzt kann er seinen Haut- gezogen werden. feck mit einer Verrenkung vor dem Spiegel wendet wird und dazu dient, Krankheiten Eine andere App verspricht, Prostatakrebs fotografe ren. Mit einem Algorithmus be- zu erkennen, zu verhüten, zu überwachen, «rechtzeitiger und effzienter» zu erkennen. rechnet die App nun, ob der Hautfeck zu behandeln oder zu lindern. Wenn eine Der Nutzen des sogenannten PSA-Tests, gefährlich sei oder nicht. Gesundheits-App diese Defnition erfüllt, der Hinweise auf Prostatakrebs im Blut dann benötigt sie die CE-Kennzeichnung. fndet, werde «drastisch verbessert». Ohne Kennzeichnungspficht Doch längst nicht alle Firmen und Organisa- Erwähnung bleibt, dass der PSA-Test unter Was der Rentner nicht weiss: Diese App ist tionen, die solche Apps auf den Markt brin- Fachleuten umstritten ist. «Die App bringt rechtlich gesehen ein Medizinprodukt. Als gen, wissen davon. Einige wollen es lieber in der Praxis weder für den Arzt noch den solches braucht sie eine CE-Markierung. Die nicht wissen. Doch sie brechen damit (auch Patienten etwas», sagte Hans-Peter Schmid, CE-Kennzeichnung ist zwar kein Gütesiegel, mit der kostenlosen Abgabe dieser Apps) Präsident der Schweizerischen Gesellschaft aber damit bestätigt der Hersteller, dass das das Gesetz. für Urologie dem Tagesanzeiger.2 Dies, weil Produkt den europäischen Richtlinien ent- der PSA-Wert von Tag zu Tag um bis zu 30 spricht. Weil das CE-Zeichen auf seiner Fehlerhafte Apps mit Folgen Prozent schwanken könne, ohne dass das Hautkrebs-App fehlt, hat Theodor Eicher – Meistens riskiert die Anbieter-Firma damit von medizinischem Belang sei. «Es besteht ohne es zu merken – ein illegales Produkt wenig. Wird sie erwischt, muss Sie ihre App die Gefahr, dass am Ende mehr unnötige erstanden. zurückziehen. Doch für die Patienten kann PSA-Tests durchgeführt werden wegen der Die Hautkrebs-App ist kein Einzelfall. es gefährlich werden. So verbreitete eine App.» Auch andere Gesundheits-Apps gelten als Medizinprodukte gemäss Heilmittelgesetz Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic (HMG)1 und das hat Konsequenzen. Ein Medizinprodukt ist defnitionsgemäss ein Swissmedic ist die schweizerische Zulas- gen für Herstellung und Grosshandel Gegenstand, ein Stoff oder eine Software, sungs- und Kontrollbehörde für Heilmit- sowie Inspektionen, Marktüberwachung die zu medizinisch therapeutischen oder tel und ist dem Eidgenössischen Depar- von Arzneimitteln und Medizinproduk- diagnostischen Zwecken am Menschen ver- tement des Innern EDI angegliedert. Die ten, Strafverfolgung sowie Normenset- zentrale Rechtsgrundlage ist das Heilmit- zung. telgesetz (HMG). Kernkompetenzen der 1 https://www.admin.ch/opc/de/classifed-compila- tion/20002716/index.html Swissmedic umfassen u. a. die Zulassung Quelle: https://www.swissmedic.ch/ue- 2 Tagesanzeiger vom 20.05.2015, http://www.tag- von Arzneimitteln, Betriebsbewilligun- ber/00131/index.html?lang=de esanzeiger.ch/wissen/medizin-und-psychologie/ GesundheitsApps-ausser-Kontrolle/story/27922897

[email protected] 1/16 17 Kennzeichnungs- und Meldepflicht

© Micha Klootwijk

Stichproben der Eigenverantwortung Das ‹Deutsche Ärzteblatt› zählte rund 87 000 Gesundheits-Apps, davon 55 000 medizini - sche. Die Anwendungen reichen vom Schritt- und Kalorienzähler über das Schmerztage- buch bis zur Prostata-Früherkennung. Ein Smartphone kann mithilfe des eingebau- ten Mikrofons als Stethoskop eingesetzt werden oder Schlafstörungen erkennen, wenn das Gerät im Bett platziert wird. Mit Zusatzgeräten lassen sich auch ein EKG ableiten oder der Blutdruck bestimmen. Grundsätzlich sind die Hersteller selber dafür verantwortlich, dass sie die rechtli- chen Bedingungen einhalten, wenn sie eine Medizinprodukte-App auf den Markt brin- gen. Swissmedic kann meist erst dann inter- venieren, wenn Verstösse gegen die regu- latorischen Vorgaben oder Vorkommnisse gemeldet werden. Swissmedic-Mitarbeiter sammeln systematisch sicherheitsrelevante Meldungen und Vorkommnisse mit Medi- zinprodukten. Überdies führt Swissmedic Stichproben durch.

Keine ‹schwarzen› oder Positiv-Listen Weil es bei den Herstellern oft an Wissen Markt besonders viele Probleme macht. Die seiner Hautkrebs-App: Er könnte natürlich fehlt, hat Swissmedic kürzlich ein Merk- meisten dieser Meldungen kommen übri- auch eine Hautkrebs-App fnden, die ohne blatt mit dem Titel «Eigenständige Medizin- gens von den Herstellern selbst, nicht etwa CE-Kennzeichnung ganz legal auf dem produkte-Software»3 auf seine Internet-Seite von den Nutzern und Nutzerinnen. Markt ist. Das sind alle Apps, die keine gestellt. Das Merkblatt erklärt, wie Medizin- medizinische Zweckbestimmung haben. produkte-Software legal auf den Markt ge- Meldepficht für medizinische Eine solche App würde Theodor Eicher ver- bracht werden. Fachpersonen mutlich raten, im Zweifelsfall seinen Haut- Swissmedic führt zwar keine Liste von be- Die Meldung von schwerwiegenden feck einem Hautarzt oder einer Hautärztin sonders zuverlässigen oder problematischen Vorkommnissen mit Medizinprodukten ist zu zeigen. Bloss: Das sollte ein Patient im Apps. Aber das Institut hat Zugriff auf die übrigens für Hersteller, Vertreiber und Fach- Zweifelsfall ohnehin tun – mit oder ohne europäischen Daten, namentlich über jene personen keineswegs freiwillig. Es besteht App. Medizinprodukte, über die sicherheitsre- eine gesetzliche Meldepficht. Diese ist in levante Meldungen oder Vorkommnisse der Medizinprodukteverordnung (MepV) vorliegen, also auch über Medizinprodukte- geregelt. Bei Verletzung der Meldepficht Peter Balzli ist Leiter Kommunikation Apps. So merken die Swissmedic-Spezia- drohen Bussen bis 50 000 Franken. Swiss- und Mediensprecher der Swissmedic, listen, wenn ein Medizinprodukt auf dem medic arbeitet ständig an der Sensibi- Schweizerisches Heilmittelinstitut. lisierung der Ärzteschaft für das Thema [email protected], Meldepficht. www.swissmedic.ch 3 https://www.swissmedic.ch/medizinproduk- te/02635/03155/03156/index.html?lang=de Zurück zu Rentner Theodor Eicher und

18 1/16 www.aefu.ch Gesundheitsdaten ohne Schutz

Medical Apps: Wie kann ich meine Daten schützen?

Prof. Dr. Christoph Bauer, Hamburg Verwendet ein Patient eine sogenannte Medical App, muss er meistens sensible Gesundheitsdaten preisgeben. Ob dabei die Daten auch ausreichend geschützt sind, ist nicht immer klar.

Die Informationstechnologien sind mitt- ten die Auditoren verschiedene Apps mit lerweile nicht mehr aus der Gesundheits- den Betriebssystemen iOS und Android. branche wegzudenken. Ein Teil dieser Dabei konnte festgestellt werden, dass viele Technologien sind Medical Apps, die die Anbieter die vorgegebenen Standards nicht Patienten zum Beispiel bei der Behandlung erfüllen. Die Studie will Anwender und An- einer chronischen Krankheit unterstützen bieter über die aktuelle Situation aufklären, können. In den gängigen App-Stores werden konkrete Lücken aufzeigen und Empfehlun- die Medical Apps zum Download für Tab- Mangelhafter Datenschutz bei Medical Apps. Beim gen zur Verbesserung der Datensicherheit lets oder Smartphones angeboten. Grossteil konnten die Login-Daten abgefangen werden. und des Datenschutzes mobiler Anwendun- Die digitalen Anwendungen und On- gen geben. line-Angebote kurbeln die Gesundheits- sen, wie die von ePrivacy zeigen, dass die branche an und schaffen neue Arbeitsplätze. Gesundheitsdaten der Patienten in vielen Was wurde geprüft? Gleichzeitig bringen sie auch neue Probleme Fällen nicht vertraulich behandelt werden. Bei den Prüfungen wurde die Verfügbarkeit mit sich. Verschiedene Studien und Analy- So kann es vorkommen, dass zum Beispiel der Datenschutzerklärung vor und nach Gesundheitsdaten manipuliert werden der Nutzung der App geprüft. Ausserdem und so auch die Gesundheit des Patienten wurde getestet, inwieweit der Anbieter Datenschutz in der Schweizer langfristig beeinträchtigt werden kann. Ein eine SSL-Verschlüsselung und andere Si- Gesundheitsbranche grosses Thema ist also der Schutz und die cherungsmassnahmen nutzt. Der ein- und Das Schweizerische ‹Bundesgesetz über Sicherheit der Daten innerhalb dieser Apps. ausgehende Datenverkehr wurde analysiert das elektronische Patientendossier› (tritt und die Auditoren versuchten ebenfalls die 2017 in Kraft) kann als ‹Pendant› zum Die Studie von ePrivacy Request- und Responsedaten zu manipulie- deutschen E-Health-Gesetz verstanden Um Nutzern und Anbietern einen Überblick ren. In manchen Fällen konnten durch so werden, indem es ebenfalls eine ent- zu verschaffen, hat ePrivacy von August bis eine Manipulation Gesundheitsdaten ver- scheidende Grundlage für den Gesund- November 2015 140 Medical Apps zum The- fälscht werden. Zusätzlich wurde analy- heitssektor liefern und analoge Schwer- ma Datenschutz und Datensicherheit unter- siert, ob der Anbieter die Daten des Users punkte haben wird. Es wird aber nicht sucht. Mit einem eigenen Prüfkatalog und vor einem sogenannten Man-In-the-Middle auch Datenschutzfragen von medizinis- der Prüfsoftware ‹ePrivacyApp› analysier- (MITM)-Angriff1 schützen kann. chen Anwendungen auf Smartphones Im Rahmen dieser Studie legten die Au- und anderen mobilen Endgeräten regeln. ditoren ausserdem einen Account bei der Diese müssen im Rahmen des Bundesge- zu prüfenden mobilen Applikation an und setzes über den Datenschutz (DSG) kontaktierten daraufhin den Anbieter via geklärt werden, das den Schutz der Pri- E-Mail, um beispielsweise Login-Daten vatsphäre von Privatpersonen regelt. zu erfragen. Der benutzte E-Mail-Account ähnelte dem angelegten Profl zwar nur, Quelle: Silvia Böhlen Chiofalo, Spezialistin 1 Ein MITM-Angriff (auch Janusangriff) ist eine Angriffs- Kommunikation beim Eidgenössischen Da- form in Rechnernetzen. Der Angreifer stellt sich mit seinem System zwischen die Kommunikationspartner tenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Bei fast allen iOS-Apps konnten die Gesundheitswerte und übernimmt die Kontrolle über deren Datenverkehr. EDÖB, mit Email vom 05.02.2016. manipuliert werden. Aber auch bei den Android-Apps Er kann ihre Informationen einsehen und sogar mani- pulieren. Er täuscht den Kommunikationspartnern vor, sind die Manipulationsmöglichkeiten beträchtlich. das jeweilige Gegenüber zu sein (Wikipedia).

[email protected] 1/16 19 Gesundheitsdaten ohne Schutz

entsprach jedoch nicht der E-Mail Adresse, beispielsweise Benutzername und -passwort die für den Account verwendet wurde. Die ausgelesen werden. Zirka 38% der Apps ver- Identität des Users wurde vorgetäuscht. Ein wendeten bei der Kommunikation über das solches Vorgehen bezeichnet man als ‹Social Internet keine SSL-Verschlüsselung. Enigineering›. Gesundheitsdaten konnten bei über der Hälfte (52%) aller Apps abgefangen werden. Hacking von Passwörtern Zudem konnten in rund 54% aller Fälle die und Benutzernamen Daten nicht vor einem MITM-Angriff ge- ePrivacy konnte feststellen, dass der Schutz schützt werden. vieler getesteter Medical Apps mangelhaft Für viele Medical Apps müssen Konten ist, da in 80% aller Fälle der Datenverkehr angelegt werden, um alle Funktionen der mitgelesen werden konnte. Dabei konnten App wirklich nutzen zu können. Bei einigen Apps, die vertrauliche Gesundheitsdaten Informationen und Tipps speichern, wurde im Anschluss daran ver- des EDÖB2 sucht, ohne Verifzierung der Identität durch Der Trend zur Selbstvermessung des Social Engineering Daten des Profls zu er- eigenen Körpers (quantifed self) mit mitteln. In etwa 7% aller Fälle konnten so Gesundheits-Apps und Wearables häuft zum Beispiel Login-Daten Dritter ermittelt gewaltige Datenmengen an. Angaben zu werden. Fettanteil, Schlafverhalten, Herz- oder Atemfrequenz lassen Rückschlüsse auf Manipulation der den (auch physischen) Gesundheitszu- Gesundheitswerte stand einer Person zu. Diese Daten inte- Wie schon beschrieben, kann die Gesundheit ressieren nebst der Gesundheitsbranche des Users durch mangelhaften Schutz der auch andere Wirtschaftszweige. Das Daten beeinträchtigt werden. In den Stores kann für Betroffene zum Nachteil werden werden unter anderem Apps angeboten, die (z. B. Prämienerhöhungen, Schwierig- die Ernährung von Diabetikern dokumen- keiten beim Versicherungsabschluss oder tieren und auswerten sollen. Eine Verfäl- bei der Stellensuche). schung der Blutzuckerwerte kann hier fatale Es liegt in der Eigenverantwortung, Folgen haben. Vor- und Nachteile der Selbstvermes- Erschreckenderweise konnte ein solcher sungs-Tools abzuwägen und die Seri- Versuch von ePrivacy bei knapp 75% dieser osität des Anbieters zu prüfen (AGB und Apps Werte verfälschen und manipulieren. Daten schutzbestimmungen lesen). Ein Besonders bedenklich sind die Ergebnisse Fremdzugriff oder gar die Manipulation der iOS-Apps: Auf fast 95% der Gesund- der Daten lässt sich nie ganz ausschlies- heitswerte im Datenverkehr der App konnte sen. zugegriffen werden. Entscheidet man sich für eine Gesund- heits-App o. ä., sollte man eine Einstel- Fehlende Datenschutzerklärung lung wählen, die der Anwendung nur bei über der Hälfte aller Apps Zugriff auf Daten gewährt, die für diesen Die Datenschutzerklärung bewahrt den Zwecks erforderlich sind (keinesfalls auf User unter anderem vor missbräuchlicher Adressbuch, Kalender oder Standort- Datenverarbeitung und wahrt sein Recht daten). auf informationelle Selbstbestimmung. Sie http://www.edoeb.admin.ch/dokumentation/ sollte bereits vor einem potenziellen Login 00460/01237/index.html?lang=de#sprungmarke10_3 1 Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeits- beauftragter EDÖB

20 1/16 www.aefu.ch Gesundheitsdaten ohne Schutz

© Sergey Khakimullin

aufrufbar sein, um den Nutzer darüber auf- zuklären, was mit seinen Daten bei der Nut- zung der App passiert. Insgesamt fehlt die Datenschutzerklärung bei 57% aller Medical Apps. Klar ist, dass die Anbieter insbesondere den Schutz und die Sicherheit der Gesund- heitswerte in den meisten Fällen noch ver- stärken müssen. Auch Anbieter von Apps, die populär sind und über hohe Download- zahlen verfügen, könnten den Schutz und die Sicherheit der Daten ihrer Nutzer theo- retisch vernachlässigen oder sogar miss-

brauchen. © OEKOSKOP

Wie verhält man sich als Anbieter? Branche liefern. Die Schwerpunkte dieses Um das Vertrauen der Nutzer in die mobilen Gesetzes sind zum Beispiel der Umgang mit Anwendungen zu sichern und zukünftig modernen Stammdatenmanagement oder weiter auszubauen, sollten die Anbieter ein elektronischen Arztbriefen. Die medizini- Hauptaugenmerk auf die deutliche Verbes- schen Anwendungen auf Smartphones und serung von Datenschutz und Datensicher- anderen mobilen Endgeräten sollen aller- heit richten. Nur so können mobile Applika- dings noch bis Ende 2016 geprüft werden. tionen im Bereich eHealth dauerhaft und App-Anbieter und -Entwickler können al- sicher von Verbrauchern genutzt werden. lerdings durch ein Zertifkat bzw. Gütesiegel Der Anbieter hat viele Möglichkeiten, wie ‹ePrivacyApp› den rechtskonformen seine App hinsichtlich Datenschutz und Umgang mit den Daten ihrer Kunden Datensicherheit zu optimieren und an die demonstrieren. Die Nutzer der Apps rechtlichen und technischen Standards an- wiederum können bei diesem Siegel da- zupassen. Einige Unternehmen, wie zum rauf vertrauen, dass ihre Daten in sicheren Beispiel auch ePrivacy, bieten konkrete Händen sind. Lösungsvorschläge zu den festgestellten Mängeln an. Prof. Dr. Christoph Bauer ist Geschäfts- Wie schützt man sich als Nutzer? führer der ePrivacy GmbH, die auch Nutzer sind bei der Wahl ihrer verwendeten Expertisen in digitalen Geschäften wie Medical Apps nahezu auf sich selbst gestellt, z.B. Online-Marketing, Big Data, eHealth denn die Politik reagiert nur langsam auf die etc. durchführt und Zertifkate für Un- Entwicklungen in der Gesundheitsbranche. ternehmen und Produkte bei vorbildli- So trat in Deutschland erst Anfang dieses chem Datenschutz verleiht. Er ist u. a. Jahres das E-Health-Gesetz in Kraft (zur akkreditierter Gutachter beim Landes- Gesetzeslage in der Schweiz vgl. Kasten S. datenschutzzentrum Kiel (ULD) für Da- 19). Es wurde in Zusammenarbeit mit der tenschutz-Siegel und lehrt als Professor Bundesdatenschutzbeauftragten und dem an der HSBA (Hamburg School of Busi- Bundesamt für Sicherheit in der Informa- ness Administration). Lange Jahre war tionstechnik entwickelt. Es soll laut Bun- Bauer CFO von AOL Deutschland. desgesundheitsminister Hermann Gröhe [email protected], www.eprivacy.eu «eine entscheidende Grundlage» für die

[email protected] 1/16 21 23. Forum Medizin & Umwelt

Donnerstag, 19. Mai 2016, 09:45 bis 16:30 Uhr Programm Landhaus, Landhausquai 4, 4500 Solothurn Vormittag Nachmittag

09:45 Empfang, Registration, Kaffee 12:25 Mittagessen (Stehlunch) 10:15 Einleitung 13:45 Human-Biomonitoring in Deutschland am Beispiel der Dr. med. Peter Kälin, Hausarzt, Präsident AefU, Leukerbad Muttermilchanalysen 10:25 Wie HausärztInnen mit Biomonitoring konfrontiert sein können: Prof. Dr. med. Hermann Fromme, Bayerisches Landesamt für Arsenic and Old Lace Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Sachgebiet Dr. med. Bernhard Aufdereggen, Hausarzt, Visp (VS) Chemikaliensicherheit und Toxikologie, München 10:35 Wie HausärztInnen mit Biomonitoring konfrontiert sein können: 14:05 Diskussion Infertilität durch Sportjacken? 14:15 Biomonitoring am Arbeitsplatz: ein Werkzeug zum Dr. med. Edith Steiner, Hausärztin, Gesundheitsschutz. Beispiele aus der Praxis und ihre Umweltmedizinisches Berautungsnetz der AefU, Schaffhausen Bedeutung für HausärztInnen 10:45 Diskussion Jean Parrat, Chemiker, Arbeitshygieniker SGAH und Sicherheits- 10:55 Was Biomonitoring soll und kann ingenieur, Arbeitsinspektorat des Kanton Jura, Delémont Prof. Dr. Nicole Probst, Pharmazeutin und Epidemiologin, 14:35 Diskussion Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut (Swiss THP), Basel 14:45 Kaffeepause 11:15 Diskussion 15:00 Erhöhte PCB-Gehalte in Kalbfeisch aus extensiver Produktion – 11:25 Human Biomonitoring in der Schweiz: Aktuelle Situation Biomonitoring in der Nahrungskette und Ausblick Markus Zennegg, Chemiker und Ökotoxikologe, Eidgenössische Dr. Réjane Morand Bourqui, Pharmazeutin, Bundesamt für Gesundheit Materialprüfungsanstalt (EMPA); Abteilung für Advanced Analytical BAG, Verantwortliche für das Biomonitoring-Projekt, Bern Technologies, Teamleader Organic Analytical Services, Dübendorf 11:45 Diskussion 15:20 Diskussion 11:55 Erfahrungen mit Human-Biomonitoring in Österreich 15:30 Umweltchemikalien und Hirnentwicklung Dr. Maria Uhl, Biologin und Toxikologin, Österreichisches Prof. erem. Dr. med. Walter Lichtensteiger, Toxikologe, Umweltbundesamt, Arbeitsgruppenleiterin Schadstoffe und Wirkungen Greentox Zürich in der Abteilung Chemikalien und Biozide, Wien 15:50 Schlussdiskussion 12:15 Diskussion 16:30 Ende der Tagung

Wie stark belasten Schadstoffe aus der Umwelt die Menschen? Was Anmeldung/Auskünfte bedeutet dies für ihre Gesundheit? In der Schweiz lässt sich diese Frage nicht beantworten. Ein Programm für Human-Biomonitoring, Bitte bis 11. Mai 2016 an: das Körperfüssigkeiten wie Blut, Muttermilch, Urin oder Gewe- AefU, Postfach 620, 4019 Basel beproben systematisch auf Gefahrenstoffe untersucht, fehlt noch Fax 061 383 80 49 immer. Dies, obwohl Biomonitoring nicht nur ein individuelles E-Mail [email protected] Ana lyseinstrument, sondern auch ein wichtiges Werkzeug für den online www.aefu.ch Gesundheitsschutz ist. Was kann Biomonitoring? Wo sind seine Grenzen? Welche Er- Kosten fahrungen macht Österreich damit? Welche Bedeutung haben Ar- beitsplatz und Nahrung für die Schadstoffbelastung der Menschen? CHF 110.– AefU-Mitglieder Wie wirken diese Substanzen auf das Gehirn? CHF 140.– Nicht-Mitglieder Die Hausarztmedizin kann wichtige Hinweise für den Einsatz des CHF 200.– Kombi Biomonitoring leisten. Die Tagung präsentiert Fallbeispiele. Zudem (Neumitgliedschaft + Tagung) erläutern ausgewiesene Biomonitoring-SpezialistInnen das neuste Wissen aus ihren Forschungsbereichen. Herzlich willkommen! inkl. Stehlunch und Pausenverpfegung

22 1/16 www.aefu.ch Bestellen

Terminkärtchen und Rezeptblätter für Mitglieder: Jetzt bestellen!

Liebe Mitglieder

Sie haben bereits Tradition und viele von Ihnen verwenden sie: unsere Terminkärtchen und Rezeptblätter. Wir geben viermal jährlich Sammelbestellungen auf.

Für Lieferung Mitte Mai 2016 jetzt oder bis spätestens 30. April 2016 bestellen! Mindestbestellmenge pro Sorte: 1000 Stk.

Preise Terminkärtchen: 1000 Stk. CHF 200.–; je weitere 500 Stk. CHF 50.– Rezeptblätter: 1000 Stk. CHF 110.–; je weitere 500 Stk. CHF 30.– Zuzüglich Porto und Verpackung. Musterkärtchen: www.aefu.ch

Bestell-Talon

Einsenden an: Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Postfach 620, 4019 Basel, Fax 061 383 80 49

Ich bestelle: ______Terminkärtchen «Leben in Bewegung» ______Terminkärtchen «Luft ist Leben!» ______Terminkärtchen «für weniger Elektrosmog» ______Rezeptblätter mit AefU-Logo

Folgende Adresse à 5 Zeilen soll eingedruckt werden (max. 6 Zeilen möglich):

Name / Praxis

Bezeichnung, SpezialistIn für…

Strasse und Nr.

Postleitzahl / Ort

Telefon

Name:

Adresse:

KSK.Nr.:

EAN-Nr.:

Ort / Datum:

Unterschrift:

[email protected] 1/16 23 Die Letzte © Kostas Koufogiorgos /toonpool.com © Kostas Koufogiorgos

Fachzeitschrift der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz

Postfach 620, 4019 Basel, PC 40-19771-2 Telefon 061 322 49 49 Telefax 061 383 80 49 E-Mail [email protected] Homepage www.aefu.ch Impressum

Redaktion: • Stephanie Fuchs, leitende Redaktorin Heidenhubelstrasse 14, 4500 Solothurn, 032 623 83 85 • Dr. Martin Forter, Redaktor/Geschäftsführer AefU, Postfach 620, 4019 Basel Papier: 100% Recycling Artwork: christoph-heer.ch Druck/Versand: Gremper AG, Pratteln/BL Abo: CHF 40.– / erscheint viermal jährlich > auch für NichtmedizinerInnen

Die veröffentlichten Beiträge widerspiegeln die Meinung der VerfasserInnen und decken sich nicht notwendigerweise mit der Ansicht der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz. Die Redaktion behält sich Kürzungen der Manuskripte vor. © AefU

24 1/16 www.aefu.ch