Plenarprotokoll 19/160

Deutscher

Stenografischer Bericht

160. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Inhalt:

Begrüßung der neuen Abgeordneten Dorothee – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Martin ...... 19795 A Sichert, Jürgen Pohl, Jörg Schneider, Änderungen der Tagesordnung ...... 19795 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Häusliche Pflege stärken Absetzung der Tagesordnungspunkte 14 und 19 a sowie Zusatzpunkt 12 ...... 19795 B – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Corona digital bekämpfen – Deutsches Elektron- isches Melde- und Informationssys- Tagesordnungspunkt 8: tem für den Infektionsschutz (DE- MIS) zur Dokumentation und a) – Zweite und dritte Beratung des von den Überwachung von Infektionskrank- Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- heiten unverzüglich fertigstellen gebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zum Schutz der Bevölkerung – zu dem Antrag der Abgeordneten Joana bei einer epidemischen Lage von na- Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael tionaler Tragweite Espendiller, weiterer Abgeordneter und Drucksachen 19/18967, 19/19216 ...... 19795 C der Fraktion der AfD: Corona digital bekämpfen – Innovationspotentiale – Bericht des Haushaltsausschusses ge- zur Vermeidung von Ansteckung mäß § 96 der Geschäftsordnung und Unterstützung der Genesung Drucksache 19/19217 ...... 19795 D konsequent ausschöpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens b) Beschlussempfehlung und Bericht des Maier, , Roman Johannes Ausschusses für Gesundheit Reusch, weiterer Abgeordneter und der – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Fraktion der AfD: Verfügbarkeit von Spangenberg, Dr. , Jörg medizinischen Produkten über ge- Schneider, weiterer Abgeordneter und werbliche Wettbewerbsrechte stellen der Fraktion der AfD: Bekämpfung – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev der Seuchenausbreitung in Deutsch- Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg land Schneider, weiterer Abgeordneter und – zu dem Antrag der Abgeordneten Joana der Fraktion der AfD: Deutschland Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael auf zukünftige Pandemien besser vor- Espendiller, weiterer Abgeordneter und bereiten – Effektivität der Coronavi- der Fraktion der AfD: Corona digital rus-Maßnahmen wissenschaftlich bekämpfen – Förderprogramme im auswerten Bereich digitaler Gesundheit und di- – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev gitaler Pflege beschleunigen und aus- Spangenberg, Paul Viktor Podolay, bauen Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeord- II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

neter und der Fraktion der AfD: Verord- (DIE LINKE) ...... 19800 C nungsermächtigung des Bundesmi- , Bundesminister BMG ...... 19801 C nisteriums für Gesundheit einschrän- ken – Feststellung der epidemischen Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ Lage von nationaler Tragweite aufhe- DIE GRÜNEN) ...... 19802 C ben Martina Stamm-Fibich (SPD) ...... 19803 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole (CDU/CSU) ...... 19803 D Westig, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Namentliche Abstimmungen ...... 19805 A, 19835 C der FDP: Soforthilfe für pflegende An- gehörige während der Covid-19-Pan- Ergebnisse ...... 19832 C, 19850 D demie – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. , , Tagesordnungspunkt 9: , weiterer Abgeordneter a) – Zweite und dritte Beratung des von den und der Fraktion der FDP: Vom Reagie- Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- ren zum Agieren – Pandemievorberei- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu tung schon jetzt beginnen sozialen Maßnahmen zur Bekämp- – zu dem Antrag der Abgeordneten fung der Corona-Pandemie (Sozial- Dr. , Michael schutz-Paket II) Theurer, , weiterer Drucksachen 19/18966, 19/19204 ...... 19806 B Abgeordneter und der Fraktion der – Bericht des Haushaltsausschusses ge- FDP: Eine verlässliche Datenlage zur mäß § 96 der Geschäftsordnung Ausbreitung von COVID-19 in Drucksache 19/19212 ...... 19806 B Deutschland schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia b) Beschlussempfehlung und Bericht des Zimmermann, , Doris Ausschusses für Arbeit und Soziales Achelwilm, weiterer Abgeordneter und – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens der Fraktion DIE LINKE: Häusliche Beeck, Michael Theurer, Johannes Pflege und pflegende Angehörige un- Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter terstützen und der Fraktion der FDP: Hilfestruk- turen für Menschen mit Behinderun- – zu dem Antrag der Abgeordneten gen in der Corona-Pandemie sichern Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, – zu dem Antrag der Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion Susanne Ferschl, , Sabine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wert- Zimmermann (Zwickau), weiterer Ab- schätzung für Pflege- und Gesund- geordneter und der Fraktion DIE LIN- heitsberufe ausdrücken – Corona- KE: Kurzarbeitergeld erhöhen – Kos- Prämie gerecht ausgestalten ten der Krise nicht einseitig Beschäftigten zumuten – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Klein-Schmeink, Dr. Kirsten Kappert- Kipping, Susanne Ferschl, Gökay Gonther, Kordula Schulz-Asche, weite- Akbulut, weiterer Abgeordneter und rer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion DIE LINKE: Sozialen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die am- Schutz auch während der COVID- bulante medizinisch-therapeutische 19-Pandemie umfassend gewährleis- Versorgung von besonders vulnerab- ten len Gruppen sichern – Die Leistungs- erbringer unter den Schutzschirm – zu dem Antrag der Abgeordneten nehmen Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Drucksachen 19/17128, 19/18716, Müller-Gemmeke, , weite- 19/18717, 19/18721, 19/18723, 19/18724, rer Abgeordneter und der Fraktion 19/18975, 19/18999, 19/18676, 19/18950, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kurzar- 19/18952, 19/18749, 19/18940, 19/18956, beitergeld Plus einführen 19/19216 ...... 19796 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, Anja Hajduk, Markus Kurth, (CDU/CSU) ...... 19797 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Robby Schlund (AfD) ...... 19797 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit ei- nem Corona-Aufschlag in der Grund- (SPD) ...... 19798 D sicherung das Existenzminimum si- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 19799 C chern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 III

– zu dem Antrag der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 19819 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Anja (FDP) ...... 19820 B Hajduk, , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜND- (DIE LINKE) ...... 19821 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Allen woh- Dr. (BÜNDNIS 90/ nungslosen Menschen schnell und DIE GRÜNEN) ...... 19822 A unbürokratisch helfen Drucksachen 19/18672, 19/18686, (SPD) ...... 19823 C 19/18945, 19/18704, 19/18705, 19/18939, Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 19824 C 19/19204 ...... 19806 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 19825 A Bernd Rützel (SPD) ...... 19807 A Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 19825 B (AfD) ...... 19807 D (CDU/CSU) ...... 19825 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . 19808 C (BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn DIE GRÜNEN) ...... 19826 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 19809 C (FDP) ...... 19827 A Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 19810 D Dr. (DIE LINKE) ...... 19827 D (DIE LINKE) ...... 19811 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 19828 C Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ Axel Schäfer () (SPD) ...... 19829 C DIE GRÜNEN) ...... 19812 B Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU) ...... 19830 B (SPD) ...... 19813 B Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) (Erklärung (CDU/CSU) ...... 19814 A nach § 30 GO) ...... 19831 B Namentliche Abstimmung ...... 19816 A Tagesordnungspunkt 11: Ergebnis ...... 19839 D Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Bereitstellung des ESM-Instruments ECCL Tagesordnungspunkt 10: Pandemic Crisis Support (PCSI) – hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- des Deutschen Bundestages nach § 4 Abs. 1 schusses für die Angelegenheiten der Europä- ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) ischen Union Drucksache 19/19110 ...... 19835 D – zu dem Antrag der Abgeordneten , Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- in Verbindung mit ter und der Fraktion der FDP: Für eine europäische Grundwerteinitiative Zusatzpunkt 13: – zu dem Antrag der Abgeordneten Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno Dr. Franziska Brantner, Dr. Frithjof Hollnagel, , , Schmidt, Dr. , weite- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- AfD: Abwicklung der Europäischen Fi- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für wehrhafte nanzstabilisierungsfazilität und des Euro- Demokratien in Europa – Rechtsstaat- päischen Stabilitätsmechanismus – hier: lichkeit und Grundrechte in den Mit- Stellungnahme des Deutschen Bundestages gliedsländern der EU stärken nach § 8 des Gesetzes über die Zusammen- Drucksachen 19/7423, 19/7436, 19/9741 . . . . . 19816 B arbeit von Bundesregierung und Deutsch- em Bundestag in Angelegenheiten der Eu- in Verbindung mit ropäischen Union Drucksache 19/19153 ...... 19836 A Zusatzpunkt 4: Olaf Scholz, Bundesminister BMF ...... 19836 B Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Peter Boehringer (AfD) ...... 19837 D , , weiterer Abge- (CDU/CSU) ...... 19843 A ordneter und der Fraktion der FDP: Journalis- ten schützen – Pressefreiheit gewährleisten Dr. (AfD) ...... 19844 A Drucksache 19/19129 ...... 19816 C Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) ...... 19844 B , Bundesminister AA ...... 19816 C (FDP) ...... 19844 D (AfD) ...... 19817 C Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 19845 D IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ ber 2019 zwischen der Regierung der DIE GRÜNEN) ...... 19847 B Bundesrepublik Deutschland und der (SPD) ...... 19848 D Regierung der Republik Polen über den Ersatzneubau der Grenzbrücke im Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 19849 D Raum Küstrin-Kietz – Küstrin (Kost- Frank Schäffler (FDP) ...... 19854 A rzyn nad Odrą) Drucksache 19/18788 ...... 19876 D Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 19855 A Dr. (CDU/CSU) ...... 19855 D b) Antrag der Abgeordneten Stefan Schmidt, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Danyal Namentliche Abstimmung ...... 19857 A Bayaz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ergebnis ...... 19868 D EU-Tabaksteuerrichtlinie zu einer Steuerrichtlinie für Rauch- und Dampf- produkte weiterentwickeln und an ge- Tagesordnungspunkt 12: sundheitlichen Auswirkungen ausrich- a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, ten , Beate Walter- Drucksache 19/18978 ...... 19877 A Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- c) Antrag der Abgeordneten , NEN: Rechte von Kindern in der Coro- , , na-Krise schützen weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/19146 ...... 19857 B der AfD: Aufhebung der Ausschlussfrist in der Richtlinie über eine Anerken- b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller nungsleistung an ehemalige deutsche (Potsdam), Dr. , Doris Zwangsarbeiter – ADZ-Anerkennungs- Achelwilm, weiterer Abgeordneter und richtlinie der Fraktion DIE LINKE: Kindergipfel Drucksache 19/19163 ...... 19877 A durchführen – Kindern und Jugendli- chen unter Pandemiebedingungen ge- d) Antrag der Abgeordneten Jörn König, sellschaftliche Teilhabe ermöglichen , , weiterer Drucksache 19/19145 ...... 19857 C Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19857 C Angemessene Prämien für Olympiasie- Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 19858 C ger, Paralympicssieger, Medaillengewin- ner und Platzierte für Tokio 2021 (AfD) ...... 19859 D Drucksache 19/19161 ...... 19877 B Susann Rüthrich (SPD) ...... 19861 A e) Antrag der Abgeordneten Dr. Robby Matthias Seestern-Pauly (FDP) ...... 19862 A Schlund, , Markus Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 19862 D Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und () (CDU/CSU) . . . 19863 C der Fraktion der AfD: Sofortige Ausset- zung aller Regressverfahren gegen nie- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 19865 A dergelassene Ärzte Grigorios Aggelidis (FDP) ...... 19865 B Drucksache 19/19162 ...... 19877 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 19865 C f) Antrag der Abgeordneten Dr. Jens (AfD) ...... 19866 C Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja (SPD) ...... 19867 B Suding, (Südpfalz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Daniel Föst (FDP) ...... 19868 A der FDP: Corona-Sofortprogramm für Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 19872 A eine digitale und flexible Hochschulleh- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ re DIE GRÜNEN) ...... 19872 D Drucksache 19/19121 ...... 19877 B (CDU/CSU) ...... 19873 D g) Antrag der Abgeordneten Dr. Marcel (SPD) ...... 19874 D Klinge, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU) ...... 19875 C Fraktion der FDP: Mit guter Vorberei- tung durch die Krise – Heimische Tou- Tagesordnungspunkt 34: rismuswirtschaft pandemiefest machen Drucksache 19/19119 ...... 19877 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 27. Septem- in Verbindung mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 V

Zusatzpunkt 5: Ortskerne lebendig halten – Kleine Ge- werbe schützen und Stadt der kurzen a) Antrag der Abgeordneten Dr. Anna Wege stärken Christmann, , Claudia Müller, Drucksache 19/19143 ...... 19878 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aus dem j) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Labor in die Praxis – Mit Innovationen Schmeink, Dr. Konstantin von Notz, Kai gesellschaftliche Herausforderungen Gehring, weiterer Abgeordneter und der anpacken Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 19/16800 ...... 19877 C Patientenorientierung und Patientenbe- c) Antrag der Abgeordneten Stephan teiligung in der Digitalisierung im Ge- Protschka, Berengar Elsner von Gronow, sundheitswesen sicherstellen und de- , weiterer Abgeordneter und zentrale Forschungsdateninfrastruktur der Fraktion der AfD: Antrag auf abstr- aufbauen akte Normenkontrolle beim Bundesver- Drucksache 19/19137 ...... 19878 C fassungsgericht gemäß Artikel 93 Ab- k) Antrag der Abgeordneten Dr. Irene satz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes Mihalic, Dr. Franziska Brantner, wegen der Verordnung zur Änderung Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abge- der Düngeverordnung und anderer Vor- ordneter und der Fraktion BÜND- schriften NIS 90/DIE GRÜNEN: Aktuelle Ein- Drucksache 19/19158 ...... 19877 D schränkungen des Grenzverkehrs d) Antrag der Abgeordneten Benjamin zurücknehmen und EU-Freizügigkeit Strasser, Sandra Bubendorfer-Licht, wiederherstellen , weiterer Abgeordneter Drucksache 19/19149 ...... 19878 C und der Fraktion der FDP: Aus Corona lernen – Föderale Strukturen im Bevöl- in Verbindung mit kerungsschutz optimieren Drucksache 19/19130 ...... 19877 D e) Antrag der Abgeordneten Britta Katharina Tagesordnungspunkt 19: Dassler, Stephan Thomae, Grigorios b) Antrag der Abgeordneten Helin Evrim Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Sommer, Eva-Maria Schreiber, Heike Fraktion der FDP: Nationale Anti Doping Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Agentur – Alternative Möglichkeiten Fraktion DIE LINKE: Solidarität über der Dopingkontrolle während der CO- Grenzen hinweg – Sofort- und Struktur- VID-19-Pandemie hilfen für Länder des Südens Drucksache 19/19131 ...... 19878 A Drucksache 19/19138 ...... 19878 D f) Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Dr. , Frank Schäffler, weite- in Verbindung mit rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Potential von Leasing als Investi- tionsturbo besser nutzen Drucksache 19/19127 ...... 19878 A Zusatzpunkt 5: g) Antrag der Abgeordneten Dr. Julia b) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, Verlinden, Dr. , Oliver Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Krischer, weiterer Abgeordneter und der terer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: AfD: Einführen, Aufbau und Betrieb ei- Energiewende weitertragen – Grünen nes nationalen Mortalitätsregisters für Strom aus ersten EEG-Anlagen weiter- Forschungszwecke nutzen Drucksache 19/19160 ...... 19878 D Drucksache 19/19140 ...... 19878 A h) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, , , weite- Tagesordnungspunkt 35: rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- a) Zweite und dritte Beratung des von den NIS 90/DIE GRÜNEN: Nahrungsergän- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- zungsmittel besser regulieren brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ab- Drucksache 19/19135 ...... 19878 B milderung der Folgen der COVID-19- i) Antrag der Abgeordneten , Pandemie im Wettbewerbsrecht und Claudia Müller, Christian Kühn (Tübin- für den Bereich der Selbstverwaltungs- gen), weiterer Abgeordneter und der Frak- organisationen der gewerblichen Wirt- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit schaft Stadtentwicklung Innenstädte und Drucksachen 19/18963, 19/19207 ...... 19879 A VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 19901 A Ausschusses für Inneres und Heimat zu (CDU/CSU) ...... 19901 D dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schulz, Joana Cotar, Dr. Michael Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Sicherstellung na- Zusatzpunkt 15: tionaler Souveränität im 5G-Mobilfun- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- knetz schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- Drucksachen 19/16058, 19/19209 ...... 19879 C trag der Abgeordneten Ulrike Schielke- c)–o) Beratung der Beschlussempfehlungen Ziesing, , Sebastian des Petitionsausschusses: Sammelüber- Münzenmaier, weiterer Abgeordneter und der sichten 530, 531, 532, 533, 534, 535, Fraktion der AfD: Sofortmaßnahme Ar- 536, 537, 538, 539, 540, 541 und 542 mutsbekämpfung bei Rentnern zu Petitionen Drucksachen 19/7724, 19/10033 Buchstabe a . 19902 C Drucksachen 19/19022, 19/19023, Daniela Kolbe (SPD) ...... 19902 D 19/19024, 19/19025, 19/19026, 19/19027, 19/19028, 19/19029, 19/19030, 19/19031, Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 19904 A 19/19032, 19/19033, 19/19034 ...... 19879 C () (CDU/CSU) ...... 19905 C (FDP) ...... 19906 C Zusatzpunkt 6: Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 19907 D Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19908 C der FDP: Aktuelle Entwicklung der Debatte zur Wahlrechtsreform in der CDU/CSU – (CDU/CSU) ...... 19909 B Faire Wahlrechtsreform jetzt umsetzen Dr. (FDP) ...... 19880 D (CDU/CSU) ...... 19882 A Tagesordnungspunkt 15: (AfD) ...... 19883 A a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- Uli Grötsch (SPD) ...... 19884 A brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ab- (DIE LINKE) ...... 19885 B milderung der Folgen der COVID-19- Pandemie im Veranstaltungsvertrags- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ recht DIE GRÜNEN) ...... 19886 C Drucksachen 19/18697, 19/19218 ...... 19910 C (CDU/CSU) ...... 19887 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Thomas Seitz (AfD) ...... 19888 D Ausschusses für Recht und Verbraucher- (SPD) ...... 19890 A schutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Konstantin Kuhle (FDP) ...... 19890 D Dr. Jürgen Martens, Katharina Dr. (CDU/CSU) ...... 19892 B Willkomm, Stephan Thomae, weiterer (Erfurt) (SPD) ...... 19893 C Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verbraucherschutz in der Coro- Philipp Amthor (CDU/CSU) ...... 19894 C na-Krise – Gutscheinlösung verbrau- cherfreundlich ausgestalten Tagesordnungspunkt 13: – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Renate Künast, weiterer Abgeordneter Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE kräfte an der „United Nations Interim GRÜNEN: Faire und freiwillige Guts- Force in Lebanon“ (UNIFIL) cheinlösungen im Veranstaltungs- Drucksache 19/19003 ...... 19896 A und Freizeitbereich Annegret Kramp-Karrenbauer, Drucksachen 19/18702, 19/18708, Bundesministerin BMVg ...... 19896 A 19/19218 ...... 19910 D (AfD) ...... 19896 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des , Staatsminister AA ...... 19897 D Ausschusses für Kultur und Medien Christian Sauter (FDP) ...... 19899 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Hartmut Ebbing, Katja Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 19899 C Suding, weiterer Abgeordneter und der (BÜNDNIS 90/ Fraktion der FDP: Corona-Notfallplan DIE GRÜNEN) ...... 19900 C für die Filmwirtschaft Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 VII

– zu dem Antrag der Abgeordneten (BÜNDNIS 90/ Hartmut Ebbing, Thomas Hacker, Katja DIE GRÜNEN) ...... 19916 A Suding, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU) ...... 19916 D Fraktion der FDP: Kultur- und Krea- tivwirtschaft in der Corona-Krise (DIE LINKE) ...... 19917 A überlebensfähig machen (SPD) ...... 19918 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 19919 A Thomas Hacker, Hartmut Ebbing, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kultur- und Krea- Tagesordnungspunkt 16: tivwirtschaft krisen- und zukunftsfest – Zweite und dritte Beratung des von der gestalten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs – zu dem Antrag der Abgeordneten Doris eines Gesetzes über die Verteilung der Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone Maklerkosten bei der Vermittlung von Barrientos, weiterer Abgeordneter und Kaufverträgen über Wohnungen und der Fraktion DIE LINKE: Medienviel- Einfamilienhäuser falt und Journalismus in der Corona- Drucksache 19/15827 ...... 19920 D Krise schützen – Demokratie braucht – Zweite und dritte Beratung des von den kritische Öffentlichkeit Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, , weite- Simone Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris ren Abgeordneten und der Fraktion Achelwilm, weiterer Abgeordneter und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- der Fraktion DIE LINKE: Corona-Hil- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlas- fen an die Arbeits- und Lebensbedin- tung von Verbrauchern beim Kauf und gungen von Kulturschaffenden an- Verkauf von Wohnimmobilien (Makler- passen Bestellerprinzip- und Preisdeckelgesetz) – zu dem Antrag der Abgeordneten Erhard Drucksachen 19/4557, 19/19203 Buchsta- Grundl, , Dr. Kirsten be a und Buchstabe c ...... 19920 D Kappert-Gonther, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE in Verbindung mit GRÜNEN: Maßnahmen zur Rettung der kulturellen Infrastruktur in der Zusatzpunkt 7: Corona-Krise Drucksachen 19/18223, 19/18224, Zweite und dritte Beratung des von den Abge- 19/18668, 19/18691, 19/18692, 19/18715, ordneten Roman Johannes Reusch, Dr. Lothar 19/19202 ...... 19911 B Maier, , weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der AfD eingebrachten d) Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Entwurfs eines Gesetzes über die Reduktion Jongen, Marcus Bühl, Matthias Büttner, der Kaufnebenkosten bei der Vermittlung weiterer Abgeordneter und der Fraktion von Kaufverträgen über Immobilien der AfD: Nothilfen für Kultur- und Drucksachen 19/17120, Drucksache 19/19203 Kreativwirtschaft nachhaltig gestalten – Buchstabe b ...... 19921 A Rasch eine Exit-Strategie einleiten Dr. Eva Högl (SPD) ...... 19921 A Drucksache 19/19159 ...... 19911 B Dr. (AfD) ...... 19922 A e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) ...... 19922 D eines Gesetzes zur Änderung des EG- (FDP) ...... 19923 C Verbraucherschutzdurchsetzungsgeset- zes sowie des Gesetzes über die Errich- (DIE LINKE) ...... 19924 B tung des Bundesamts für Justiz Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/16781, 19/17295, DIE GRÜNEN) ...... 19925 A 19/17663 Nr. 1.1, 19/19213 ...... 19911 B Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 19926 A Dr. (SPD) ...... 19911 C Michael Groß (SPD) ...... 19926 D Dr. Lothar Maier (AfD) ...... 19912 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 19927 B (CDU/CSU) ...... 19913 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 17: DIE GRÜNEN) ...... 19913 C Antrag der Abgeordneten , Katharina Willkomm (FDP) ...... 19914 B Fabio De Masi, Lorenz Gösta Beutin, weiterer (DIE LINKE) ...... 19915 A Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Ein soziales und ökologisches Konjunktur- (CDU/CSU) ...... 19944 A und Investitionsprogramm gegen die Coro- Dr. (AfD) ...... 19945 B na-Krise Drucksache 19/19142 ...... 19928 C Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) ...... 19945 C Thomas Hacker (FDP) ...... 19945 D in Verbindung mit (SPD) ...... 19946 C (DIE LINKE) ...... 19948 A Zusatzpunkt 8: Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Manfred DIE GRÜNEN) ...... 19948 D Todtenhausen, Michael Theurer, Reinhard (CDU/CSU) ...... 19949 C Houben, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Vitale Innenstädte durch star- ken Einzelhandel – Auch in Zeiten von Co- Tagesordnungspunkt 20: rona Drucksache 19/19118 ...... 19928 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- (DIE LINKE) ...... 19928 C wurfs eines Achten Gesetzes zur Ände- Dr. (CDU/CSU) ...... 19929 C rung des Bundesfernstraßengesetzes (AfD) ...... 19930 C (8. FStrÄndG) Drucksachen 19/17290, 19/19132 ...... 19950 C (SPD) ...... 19931 C (FDP) ...... 19932 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/19133 ...... 19950 C DIE GRÜNEN) ...... 19933 B Dr. (CDU/CSU) ...... 19934 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu der Verordnung der Bundes- Tagesordnungspunkt 18: regierung: Zweite Verordnung zur Ände- rung der Sechzehnten Verordnung zur Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Durchführung des Bundes-Immissions- desregierung eingebrachten Entwurfs eines schutzgesetzes (Verkehrslärmschutzver- Gesetzes über die Errichtung eines Bundes- ordnung – 16. BImSchV) amts für Auswärtige Angelegenheiten und Drucksachen 19/18471, 19/18779 Nr. 2, zur Änderung des Gesetzes über den Aus- 19/19197 ...... 19950 C wärtigen Dienst, des Aufenthaltsgesetzes und zur Anpassung anderer Gesetze an (CDU/CSU) ...... 19950 D die Errichtung des Bundesamts (AfD) ...... 19951 D Drucksachen 19/17292, 19/19182 ...... 19935 B (SPD) ...... 19952 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 19935 B Dr. (FDP) ...... 19953 C Dr. (AfD) ...... 19936 B Andreas Wagner (DIE LINKE) ...... 19954 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 19936 D (BÜNDNIS 90/ Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 19938 A DIE GRÜNEN) ...... 19954 C (DIE LINKE) ...... 19938 D Alois Rainer (CDU/CSU) ...... 19955 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19939 B (SPD) ...... 19956 B (SPD) ...... 19940 A (CDU/CSU) ...... 19940 D Tagesordnungspunkt 21: Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 19941 B Antrag der Abgeordneten Katrin Helling- Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Zusatzpunkt 14: FDP: Auswirkungen des Coronavirus auf Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, die Justiz – Virtuelle Gerichtsverhandlun- Martin Erwin Renner, , wei- gen ermöglichen terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Drucksache 19/19120 ...... 19957 C Der Trauer um die deutschen Opfer des Katrin Helling-Plahr (FDP) ...... 19957 D Zweiten Weltkrieges mit einer Gedenkstät- te Ausdruck verleihen Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 19958 C Drucksache 19/19156 ...... 19942 C (AfD) ...... 19959 C Dr. Marc Jongen (AfD) ...... 19942 C (SPD) ...... 19960 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 IX

Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 19961 C Nächste Sitzung ...... 19983 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 19962 C Anlage 1 Tagesordnungspunkt 23: Entschuldigte Abgeordnete ...... 19984 A Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Anlage 2 Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017 und Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten weiterer energierechtlicher Bestimmungen (CDU/CSU) zu der na- Drucksachen 19/18964, 19/19208 ...... 19963 B mentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (CDU/CSU) ...... 19963 C auf Drucksache 19/19221 Steffen Kotré (AfD) ...... 19964 D (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 19984 D (SPD) ...... 19966 A (FDP) ...... 19967 D Anlage 3 Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 19968 C Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- Dr. (BÜNDNIS 90/ chen Abstimmung über den von den Fraktio- DIE GRÜNEN) ...... 19969 B nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz (CDU/CSU) ...... 19970 B der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Tagesordnungspunkt 8 a) ...... 19984 A Tagesordnungspunkt 22: Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19984 A Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur (CDU/CSU) ...... 19984 D Änderung des Strafgesetzbuches – Straf- (CDU/CSU) ...... 19984 A rechtlicher Schutz bei Verunglimpfung der Gitta Connemann (CDU/CSU) ...... 19984 D Europäischen Union und ihrer Symbole Drucksachen 19/14378, 19/19201 ...... 19971 C Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 19984 C Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 19971 C (CDU/CSU) ...... 19984 A (AfD) ...... 19972 B Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) ...... 19984 C (CDU/CSU) ...... 19973 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . 19984 A Dr. Jürgen Martens (FDP) ...... 19974 B Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) ...... 19984 B (DIE LINKE) ...... 19975 A Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU) . . . 19984 D Canan Bayram (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 19975 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 24: Gitta Connemann (CDU/CSU) zu der Abstim- mung über den von den Fraktionen der Zweite und dritte Beratung des von den Frak- CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozial- ordnungsgemäßer Planungs- und Geneh- schutz-Paket II) migungsverfahren während der COVID- (Tagesordnungspunkt 9 a) ...... 19984 A 19-Pandemie (Planungssicherstellungsge- setz – PlanSiG) Drucksachen 19/18965, 19/19214 ...... 19976 D Anlage 5 Philipp Amthor (CDU/CSU) ...... 19977 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marc Bernhard (AfD) ...... 19978 A (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 19978 D des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Konstantin Kuhle (FDP) ...... 19979 D dem Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, (DIE LINKE) ...... 19980 B Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ GRÜNEN: Mit einem Corona-Aufschlag in DIE GRÜNEN) ...... 19981 A der Grundsicherung das Existenzminimum si- Michael Kießling (CDU/CSU) ...... 19981 D chern X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(Tagesordnungspunkt 9 b) ...... 19984 D (Tagesordnungspunkt 23) ...... 19984 C

Anlage 6 Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios (Heidelberg), Leni Breymaier, Aggelidis, Christine Aschenberg-Dugnus, Michael Groß, , Detlef Müller Dr. (Rhein-Neckar), (Chemnitz), Aydan Özoğuz, , Thomas Hacker, Pascal Kober, Konstantin Axel Schäfer (Bochum), Mathias Stein und Kuhle, Ulrich Lechte, Stephan Thomae und (alle SPD) zu der Abstim- Johannes Vogel (Olpe) (alle FDP) zu der na- mung über den von den Fraktionen der mentlichen Abstimmung über den Antrag des CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf Bundesministeriums der Finanzen: Bereitstel- eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerba- lung des ESM-Instruments ECCL Pandemic re-Energien-Gesetzes 2017 und weiterer ener- Crisis Support (PCSI) – hier: Einholung eines gierechtlicher Bestimmungen zustimmenden Beschlusses des Deutschen (Tagesordnungspunkt 23) ...... 19984 B Bundestages nach § 4 Abs. 1 ESM-Finanzie- rungsgesetz (ESMFinG) (Tagesordnungspunkt 11) ...... 19984 A Anlage 11 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- Anlage 7 mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerba- Dr. (CDU/CSU) zu der Abstim- re-Energien-Gesetzes 2017 und weiterer ener- mung über den von den Fraktionen der gierechtlicher Bestimmungen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf (Tagesordnungspunkt 23) ...... 19984 A eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- Doris Barnett (SPD) ...... 19984 A vertragsrecht Dr. (SPD) ...... 19984 D (Tagesordnungspunkt 15 a) ...... 19984 B Esther Dilcher (SPD) ...... 19984 B

Anlage 8 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Helling- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs weiterer Abgeordneter und der Fraktion der eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafge- FDP: Auswirkungen des Coronavirus auf die setzbuches – Strafrechtlicher Schutz bei Ver- Justiz – Virtuelle Gerichtsverhandlungen er- unglimpfung der Europäischen Union und ih- möglichen rer Symbole (Tagesordnungspunkt 21) ...... 19984 D (Tagesordnungspunkt 22) ...... 19984 D Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU) ...... 19984 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 19984 D Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 19984 B Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 13 Ingrid Arndt-Brauer, Dr. , Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung , Dr. Barbara Hendricks, des von den Fraktionen der CDU/CSU und , Christian Lange (Back- SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes nang), , , Marianne zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Pla- Schieder, und Frank Schwabe nungs- und Genehmigungsverfahren während (alle SPD) zu der Abstimmung über den von der COVID-19-Pandemie (Planungssicher- den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- stellungsgesetz – PlanSiG) brachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- (Tagesordnungspunkt 24) ...... 19984 D rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017 und weiterer energierechtlicher Bestim- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 19984 D mungen (SPD) ...... 19984 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19795

(A) (C)

160. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Guten Morgen, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- gen! Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. brachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zum Schutz der Bevölkerung bei ei- Für den ausgeschiedenen Kollegen Johannes Kahrs ist ner epidemischen Lage von nationaler die Kollegin als Mitglied des Deut- Tragweite schen Bundestags nachgerückt. Frau Kollegin Martin, ich begrüße Sie im Namen des ganzen Hauses und wün- Drucksache 19/18967 sche eine gute Zusammenarbeit. Beschlussempfehlung und Bericht des (Beifall) Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- schuss) Interfraktionell sind folgende Änderungen der Tages- (B) ordnung vereinbart worden: Drucksache 19/19216 (D) In verbundener Beratung mit dem Tagesordnungs- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- punkt 11 soll der Antrag „Abwicklung der Europäischen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Finanzstabilisierungsfazilität und des Europäischen Sta- Drucksache 19/19217 bilitätsmechanismus“ aufgerufen werden. Im Anschluss an die Ohne-Debatte-Punkte soll auf Verlangen der Frak- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des tion der FDP eine Aktuelle Stunde zum Thema „Aktuelle Berichts des Ausschusses für Gesundheit Entwicklung der Debatte zur Wahlrechtsreform in der (14. Ausschuss) CDU/CSU – Faire Wahlrechtsreform jetzt umsetzen“ stattfinden. Der Tagesordnungspunkt 14 soll abgesetzt – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev und an dessen Stelle soll die Beschlussempfehlung auf Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg der Drucksache 19/10033 Buchstabe a zu dem Antrag Schneider, weiterer Abgeordneter und „Sofortmaßnahme Armutsbekämpfung bei Rentnern“ der Fraktion der AfD aufgerufen werden. Der Tagesordnungspunkt 19 a soll Bekämpfung der Seuchenausbreitung ebenfalls abgesetzt und stattdessen soll der Antrag „Der in Deutschland Trauer um die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges mit einer Gedenkstätte Ausdruck verleihen“ beraten wer- – zu dem Antrag der Abgeordneten Joana den. Der Tagesordnungspunkt 19 b soll ohne Debatte in Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Verbindung mit Tagesordnungspunkt 34 aufgerufen wer- Espendiller, weiterer Abgeordneter und den. Der Tagesordnungspunkt 23 soll nach Tagesord- der Fraktion der AfD nungspunkt 21 aufgerufen werden. In verbundener Bera- Corona digital bekämpfen – Förder- tung mit dem Tagesordnungspunkt 29 soll der Antrag programme im Bereich digitaler Ge- „Negativfolgen der Corona-Maßnahmen auf das Gastro- sundheit und digitaler Pflege beschleu- nomiegewerbe eindämmen – Einen fairen und einheitli- nigen und ausbauen chen Umsatzsteuersatz auf Lebensmittel im Gastrono- miegewerbe einführen“ aufgerufen werden. Der – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Zusatzpunkt 12 soll abgesetzt werden. Sind Sie mit all Sichert, Jürgen Pohl, Jörg Schneider, wei- dem einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. terer Abgeordneter und der Fraktion der Dann ist das so beschlossen. AfD Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: Häusliche Pflege stärken 19796 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Joana – zu dem Antrag der Abgeordneten (C) Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Espendiller, weiterer Abgeordneter und Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer der Fraktion der AfD Abgeordneter und der Fraktion der FDP Corona digital bekämpfen – Deutsches Eine verlässliche Datenlage zur Aus- Elektronisches Melde- und Informa- breitung von COVID-19 in Deutsch- tionssystem für den Infektionsschutz land schaffen (DEMIS) zur Dokumentation und – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Überwachung von Infektionskrankhei- Zimmermann, Susanne Ferschl, Doris ten unverzüglich fertigstellen Achelwilm, weiterer Abgeordneter und – zu dem Antrag der Abgeordneten Joana der Fraktion DIE LINKE Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Häusliche Pflege und pflegende Ange- Espendiller, weiterer Abgeordneter und hörige unterstützen der Fraktion der AfD – zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Corona digital bekämpfen – Innova- Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, tionspotentiale zur Vermeidung von Dr. Kirsten Kappert-Gonther, weiterer Ansteckung und Unterstützung der Ge- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- nesung konsequent ausschöpfen NIS 90/DIE GRÜNEN – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Wertschätzung für Pflege- und Gesund- Maier, Thomas Seitz, Roman Johannes heitsberufe ausdrücken – Corona-Prä- Reusch, weiterer Abgeordneter und der mie gerecht ausgestalten Fraktion der AfD – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Verfügbarkeit von medizinischen Pro- Klein-Schmeink, Dr. Kirsten Kappert- dukten über gewerbliche Wettbewerbs- Gonther, Kordula Schulz-Asche, weiterer rechte stellen Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Spangenberg, Dr. Robby Schlund, Jörg Die ambulante medizinisch-therapeuti- sche Versorgung von besonders vulne- (B) Schneider, weiterer Abgeordneter und (D) der Fraktion der AfD rablen Gruppen sichern – Die Leis- tungserbringer unter den Deutschland auf zukünftige Pandemien Schutzschirm nehmen besser vorbereiten – Effektivität der Coronavirus-Maßnahmen wissen- Drucksachen 19/17128, 19/18716, schaftlich auswerten 19/18717, 19/18721, 19/18723, 19/18724, 19/18975, 19/18999, 19/18676, 19/18950, – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev 19/18952, 19/18749, 19/18940, 19/18956, Spangenberg, Paul Viktor Podolay, 19/19216 Dr. Robby Schlund, weiterer Abgeordne- Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU ter und der Fraktion der AfD und SPD liegen drei Änderungsanträge und ein Ent- Verordnungsermächtigung des Bun- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen desministeriums für Gesundheit ein- vor. Über einen der Änderungsanträge sowie den Gesetz- schränken – Feststellung der epidemi- entwurf werden wir später namentlich abstimmen. schen Lage von nationaler Tragweite Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir heute im aufheben Laufe des Vormittags sowie heute Abend insgesamt fünf – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole namentliche Abstimmungen durchführen werden. Die Westig, Michael Theurer, Nicole Bauer, Abstimmungsurnen befinden sich in der Abgeordneten- weiterer Abgeordneter und der Fraktion lobby. Sie haben für die Abgabe Ihrer Stimmkarten je- der FDP weils 30 Minuten Zeit. Wir können nicht mehr zwei Stun- den Zeit geben; bei fünf Abstimmungen würde der Tag Soforthilfe für pflegende Angehörige ansonsten arg lang. während der Covid-19-Pandemie Ich bitte Sie aber, dieses gestreckte Zeitfenster von – zu dem Antrag der Abgeordneten 30 Minuten zu nutzen. Wir haben bei den Abstimmungen Dr. Andrew Ullmann, Till Mansmann, Ul- in den letzten Wochen trotz Abstandsgebots mehrfach rich Lechte, weiterer Abgeordneter und doch gewisse Berührungen feststellen müssen. Sagen der Fraktion der FDP wir mal so: Wir sind uns da nahegekommen. Also wenn Sie insbesondere beim Betreten der Abgeordnetenlobby Vom Reagieren zum Agieren – Pande- und der Räume das Zeitfenster nutzen, dann können wir mievorbereitung schon jetzt beginnen uns bei unseren Abstimmungen so verhalten, wie wir das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19797

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) durch unsere Entscheidungen und auch die der Regie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Beschäftigten (C) rung, zu der wir die Regierung ermächtigt haben, allen in den Pflegeeinrichtungen und in der ambulanten Pfle- Bürgerinnen und Bürgern immer wieder nahelegen und ge – auch das ist ein wichtiger Punkt unseres Gesetz- es ihnen auch vorschreiben. Das sollten wir so machen. entwurfes – sehen wir eine sogenannte Coronaprämie Also bitte tun Sie es! vor. Dort wurde in den vergangenen Monaten von ihnen, wie wir feststellen konnten, unter den besonderen Bedin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gungen von Kontakt- und Besuchsverbot Außergewöhn- SPD und der FDP) liches geleistet. Wir wollen Wertschätzung ausdrücken, Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- und zwar ohne dass wir Versicherte, Pflegebedürftige und schlossen. deren Familien belasten. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Stichwort „Familie“: In der Krise hat sich besonders Kollegin Karin Maag, CDU/CSU. die Situation für viele pflegende Angehörige nochmals zugespitzt. Sie alle wissen um die aktuell fehlende Unter- (Beifall bei der CDU/CSU) stützung aus dem Ausland durch die ausländischen Pfle- gekräfte, um die Engpässe in der Kurzzeitpflege, in der Karin Maag (CDU/CSU): Tagespflege. Deshalb verlängern wir mit diesem Gesetz Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! zum Beispiel für Angehörige, die in Akutsituationen Liebe Kollegen! Wir gehen jetzt zwar in eine neue Phase Pflege organisieren müssen, die Bezugsdauer von Pflege- der Lockerungen, aber das Virus ist natürlich nicht ver- unterstützungsgeld von 10 auf 20 Tage. Angehörige, die schwunden. Die Lockerungen können deshalb nur dann selber plötzlich pflegen müssen – aus dieser Situation Bestand haben, wenn der Gesundheitsschutz sicherge- heraus –, dürfen während der Krise, wenn es keine ande- stellt ist und die Weiterverbreitung unter Kontrolle bleibt. ren Möglichkeiten gibt, bis zu 20 Arbeitstage ihrer Arbeit fernbleiben. Und da ist der ÖGD, unser Öffentlicher Gesundheits- dienst, der zentrale Schlüssel, um das Infektionsgesche- Ein letzter Punkt, der mir persönlich am Herzen liegt, hen zu überwachen, das heißt, die Infizierten zu finden, ist, dass die Strukturen in den sozialpädiatrischen Zentren zu isolieren und fortlaufend auch regionale Schutzmaß- und den medizinischen Zentren für Erwachsene mit Be- nahmen – das ist ganz wichtig – zu überprüfen. Wir hinderung auch nach der Pandemie weiterbestehen und investieren zum Beispiel 50 Millionen Euro in die digi- dass deren wichtige Arbeit gesichert wird. Wir haben tale Ausstattung von jedem der 375 Gesundheitsämter, deswegen die Verpflichtung aufgenommen, dass die um den Informationsfluss zeitnah zu verbessern, zu ver- Krankenkassen mit den Zentren in Verhandlungen über (B) einfachen, zu beschleunigen. Meldeumfang und -fristen bessere Ausstattung, bessere Vergütung gehen müssen. (D) werden so angepasst, dass innerhalb von 24 Stunden ver- Ich finde es ehrlich gesagt schade, dass wir das gesetzlich lässliche Informationen vorliegen müssen. anordnen müssen. Es hätte allen gutgetan, wenn darauf jemand von selbst gekommen wäre. Teil unserer Strategie ist auch die Ausweitung der Tes- tungen; nicht zuletzt haben wir die Laborkapazitäten auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- 1,1 Millionen Proben pro Woche erhöht. Die Tests wer- ordneten der SPD) den zukünftig auch dann über die gesetzlichen Kranken- kassen abgerechnet, wenn sie nicht Teil der Krankenbe- Meine Damen und Herren, wir waren in der ersten handlung sind, wenn keine Symptome für eine Stufe der Bewältigung von Corona erfolgreich. Gott sei Erkrankung feststellbar sind, und auch dann, wenn sie Dank! Mit diesem Gesetz nehmen wir unsere Verantwor- vom Öffentlichen Gesundheitsdienst angeordnet werden. tung für die neue Freiheit wahr und setzen hoffentlich Mit dem Rückgriff auf die flächendeckenden Versor- diesen erfolgreichen Weg weiter fort. gungsstrukturen der gesetzlichen Kassen wird die schnelle und effektive Handhabung im Alltag, zum Bei- Herzlichen Dank. spiel wenn in Pflegeeinrichtungen getestet wird, deutlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- besser sichergestellt. Wir haben uns im Ausschuss aus- ordneten der SPD) führlich darüber unterhalten: Wenn es sich nicht um ori- ginäre Kassenleistungen handelt, werden solche versi- cherungsfremden Leistungen am Ende aus den Mitteln Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: des Bundeshaushalts finanziert. Die Vertreter der Kassen, Nächster Redner ist der Kollege Dr. Robby Schlund, die sich bei Ihnen und bei mir gemeldet haben, dürfen uns AfD. da natürlich beim Wort nehmen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sorgen aber auch dafür, dass die Reserven bei- Dr. Robby Schlund (AfD): spielsweise bei den Grippeimpfstoffen erhöht werden, Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Sie ken- nicht nur, um Engpässe zu verhindern, sondern auch, nen seit einigen Tagen sicherlich den Coronahotspot um die zusätzlichen Belastungen während der nächsten Greiz. Das ist mein Wahlkreis. Dort sind regionalbedingt Grippesaison so gering wie möglich zu halten; denn wir aufgrund des Uranbergbaus Lungenerkrankungen ab dem können nicht garantieren, dass Covid-19 bis dahin flä- 50. Lebensjahr sehr verbreitet. Mit den neuen Richtlinien chendeckend mit einem Impfstoff begegnet werden kann. des RKI vom 6. Mai treiben Sie die regionale Reproduk- 19798 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Robby Schlund (A) tionszahl in die Höhe und erzeugen bei den Menschen vor (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer (C) Ort Panik, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit. [CDU/CSU]: Sie sind kein Jurist! Das ent- schuldige ich jetzt mal!) (Zuruf von der CDU/CSU) Sie demontieren mit Ihrem Entwurf nämlich die Parla- Glauben Sie mir: Ein erneuter Lockdown wird in meiner ments- und Bürgerrechte wie Demokratieprinzip und Heimat mehr Opfer fordern als Ihre vermeintliche Coro- Rechtsstaatprinzip. Sie können uns nicht einmal darle- nakrise, befeuert durch Massenarbeitslosigkeit und Land- gen, was die Voraussetzungen für eine epidemische Lage flucht. von nationaler Tragweite überhaupt sind. (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE CSU) GRÜNEN]: Sie kapieren es einfach nicht! Sie Genau zu diesem Zeitpunkt bringen Sie den Entwurf sind zu blöd dafür! – Gabriele Katzmarek eines zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung ein. [SPD]: Unglaublich!) Aber schützen Sie die Bevölkerung durch solch ein Ge- Wir appellieren an Sie, dieses und das erste Gesetz setz wirklich? Wir meinen, nein. Das Gesetz billigt dem durch eine angemessene Lösung zu ersetzen, auch im Gesundheitsminister unter dem Deckmantel einer epide- Namen unzähliger besorgter Bürger und Verbände. mischen Lage von nationaler Tragweite eine Reihe von gravierenden Befugnissen zu. Der Katalog dieser Befug- (Ulli Nissen [SPD]: Besorgte Bürger!) nisse wird immer länger und länger. Wer weiß, was bei Verlassen Sie sich lieber auf den gesunden Menschenver- einem dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung noch stand und auf ein professionelles Management bei der folgen wird? Es suggeriert uns eine permanente Krise, die Normalisierung des öffentlichen und gesellschaftlichen es gar nicht gibt, und lässt uns im Krisenmodus verharren. Lebens. (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: So ( [DIE LINKE]: Wissenschaftlich ein Unfug!) wäre auch eine gute Idee! Aber wenn man nicht Wissen Sie, was Sie damit den Bürgern dieses Landes daran glaubt!) antun? Sie erzeugen Angst, Hysterie und Depression, die Das ist, wie wir in der Anhörung gehört haben, keine in einer eskalierenden Lebensmüdigkeit enden werden. Frage von rechts oder links, sondern einfach nur eine Frage der Selbstachtung und Selbstverantwortung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zurzeit sind Sie der Einzige, der schreit! – Jan Korte Die AfD lehnt diesen Gesetzentwurf ab. (B) [DIE LINKE]: Nicht ganz normal im Kopf!) (D) Vielen Dank. Viel zu wenig wird sowieso von den psychologischen Folgen Ihrer verfehlten Krisenpolitik gesprochen. Bereits (Beifall bei der AfD) am 12. Februar habe ich an genau dieser Stelle sechs Basismaßnahmen gefordert, unter anderem mithilfe von Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wärmebildkameras Infektionsfälle zu identifizieren und Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Sabine Dittmar, die Abhängigkeit von Medizinprodukten und Arzneimit- SPD. teln aus Fernost zu verringern. Hätten Sie alle dies damals nicht abgelehnt, hätten Sie sich den Kollaps eines Shut- (Beifall bei der SPD) downs ersparen können. Sabine Dittmar (SPD): (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: So Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ein Quatsch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Kollegen! Bevor ich zum Gesetzentwurf komme, lassen CSU]: Es gibt gar keine Coronakrise, oder?) Sie mich einige Anmerkungen machen. In den Debatten Mit den neuen AfD-Anträgen setzen wir auf die Basis der letzten Tage und auch heute hier wird immer wieder genau dieses Rastermanagements und – unter Schutz der der Eindruck erweckt, als hätten wir Corona schon fast Bürgerrechte – auf drei Säulen auf: überstanden. Es ist richtig, dass es uns bislang gelungen ist, das Infektionsgeschehen in Schach zu halten. Das ist Erstens: Umsetzung der digitalen Innovationspotenzia- ein Etappensieg. Aber wir befinden uns immer noch mit- le im Gesundheitswesen. ten in der Pandemie. Zweitens: schnelle Einführung technischer Verfahren (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karin und Monitoringsysteme. Maag [CDU/CSU]) Drittens: regelmäßige wissenschaftliche Analyse und Die stagnierenden Infektionszahlen und die teilweise Bewertung von epidemiologischen Daten. schweren regionalen Ausbrüche führen uns die enorme Gefahr dieses Virus vor Augen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und viertens lassen Sie das Virus nicht mehr einrei- (Zuruf von der AfD) sen!) Als Ärztin appelliere ich an Sie: Nehmen Sie Corona Was Sie in unseren Anträgen nicht finden können, ist nicht auf die leichte Schulter. Achten Sie auf sich und der Versuch, unser Grundgesetz teilweise auszuhebeln. Ihre Mitmenschen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19799

Sabine Dittmar (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie men dies wie unter einem Brennglas zu spüren. Wie soll (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE man Familie und Beruf unter einen Hut bringen, wenn GRÜNEN) bewährte Versorgungs- und Betreuungsstrukturen weg- und widersprechen Sie den obskuren Verschwörungs- brechen? Was soll man tun, wenn die Tagespflege theorien konsequent. schließt und die Pflegeeinrichtung einen Aufnahmestopp verordnet? Deshalb ist es gut – ich bin dankbar dafür –, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP dass wir im parlamentarischen Verfahren noch einmal und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese besondere Situation der pflegenden Angehörigen Täglich lernen wir Neues über das Virus und seine in den Blick genommen haben. Wir flexibilisieren das Verbreitung. Das ist gut so. Das verdanken wir einer Pflegezeit- und das Familienpflegezeitgesetz, sodass die exzellenten Forschung und exzellenten Wissenschaftlern. Leistungen kurzfristig und einfacher in Anspruch genom- men werden können. Wichtig ist dabei vor allem die be- (Zuruf von der AfD) fristete Verlängerung der Gewährung des Pflegeunter- stützungsgeldes auf 20 Arbeitstage. Aber Tag für Tag müssen wir aufs Neue die richtige Balance zwischen möglichen Lockerungen und notwen- (Beifall bei der SPD) digen Schutzmaßnahmen finden. Insgesamt beinhaltet dieses Gesetzespaket ein Bündel Deshalb ist es wichtig – damit komme ich zum Gesetz- von Maßnahmen, um unsere Gesellschaft besser vor der entwurf –, die Meldepflichten hinsichtlich SARS-CoV-2 Pandemie und ihren Folgen zu schützen. Deshalb bitte auszuweiten und den öffentlichen Gesundheitsdienst zu ich um Zustimmung. stärken. Wir stärken ihn zum einen finanziell bei der technischen Modernisierung. Zum anderen stärken wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ihn personell, indem wir beim RKI Kontaktstellen für der CDU/CSU) die kommunalen Gesundheitsämter einrichten und Unter- stützungsteams für die Kontaktnachverfolgung zur Ver- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: fügung stellen. Christine Aschenberg-Dugnus, FDP, hat als Nächste (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Wort. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wichtig ist auch: Wir schaffen die Rechtsgrundlage für die Ausweitung der Coronatests. Testen, testen, testen – das ist das Gebot der Stunde, Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): (B) Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kollegen! Bereits beim ersten Gesetz zum Schutz der symptomunabhängig und regelmäßig, vor allem im Um- Bevölkerung bei einer epidemischen Lage vor acht Wo- feld besonders gefährdeter Personengruppen. chen hatten wir als FDP-Bundestagsfraktion große Bauchschmerzen wegen der weitreichenden Verord- Klar ist auch: Diese Kosten sind nicht kalkulierbar. nungsermächtigungen und vor allen Dingen der grund- Was wir jetzt aber nicht brauchen, ist eine Debatte darü- rechtseinschränkenden Maßnahmen. Im Ergebnis haben ber, welcher Kostenträger welchen Test wann finanziert. wir aus staatsrechtlicher Verantwortung heraus zuge- Deshalb ist es sinnvoll, dass die gesetzliche Krankenver- stimmt. sicherung mit ihren bewährten Versorgungsstrukturen die Kosten für die Tests übernimmt. Klar ist: Diese Tests sind (Zuruf von der AfD: Oh!) versicherungsfremde Leistungen. Insofern vertraue ich Nun sind einige Wochen vergangen, und wir haben nicht nur darauf, sondern erwarte ich auch, dass spätes- eine veränderte Lage. Ich sage ausdrücklich: Das heißt tens im Herbst über einen Bundeszuschuss für den Aus- nicht, dass wir die Epidemie überstanden haben. – Das gleich dieser Aufwendungen entschieden wird. sage ich ganz ausdrücklich. Aber, meine Damen und Her- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren, wir wissen mehr über Covid-19, und wir wissen auch der CDU/CSU) mehr über die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen jenseits von Covid-19. Als Bundestagsfraktion Meine Damen und Herren, wir beschließen mit dem fragen wir uns schon, ob die auch in diesem Gesetz vor- Gesetz eine ganze Menge weiterer Regelungen: von der gesehenen Blankoermächtigungen für das Bundesminis- Coronasonderprämie für Beschäftigte in ambulanten und terium für Gesundheit noch verhältnismäßig sind. stationären Pflegeeinrichtungen bis zur rückwirkenden Erhöhung des Leistungsbetrags für Kurzzeitpflege in Re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten habilitationseinrichtungen. Froh ist die SPD-Fraktion, der AfD) dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, die Existenz von sozialpädiatrischen Zentren und me- Es ist auch sehr wichtig, ob die Regelungen datenschutz- dizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit Be- rechtlich mit unserem Grundgesetz vereinbar sind. einträchtigungen sicherzustellen. Meine Damen und Herren, die öffentliche Anhörung Corona stellt unsere Gesellschaft auf eine harte Probe. am Montag hat gezeigt, dass die geplanten Handlungs- Wir alle sind betroffen, aber insbesondere Familien mit möglichkeiten des Gesundheitsministeriums verfas- Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen bekom- sungsrechtlich äußerst bedenklich sind; 19800 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Christine Aschenberg-Dugnus (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) (C) der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: denn der Bund will sich hier erhebliche Kompetenzen für Jetzt erteile ich dem Kollegen Harald Weinberg, Die den Fall einer epidemischen Notlage sichern. Meine Da- Linke, das Wort. men und Herren, die Beteiligungs- und Kontrollrechte des Parlaments bleiben hier eindeutig auf der Strecke (Beifall bei der LINKEN) und sind nicht hinreichend gewürdigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE): der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ja, vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen NEN und des Abg. Dr. [DIE und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir befinden LINKE]) uns zweifelsfrei in einer neuen Etappe der Pandemie. Da gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Es ist mit Sicher- Durch das vorliegende Gesetz wollen Sie Rechtsver- heit noch nicht vorbei. Es gibt auch keinen Grund, irgend- ordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen wie einen Lockerungswettbewerb zu machen. können. Einer der Sachverständigen hat sehr treffend formuliert – ich zitiere –: Außergewöhnliche Lagen sind Aber es gibt Gründe für eine Veränderung der Zustän- nicht nur die Stunde der Exekutive, sondern in der parla- digkeiten und der Grundlagen. Das gilt für die föderale mentarischen Demokratie auch die des Parlaments. Verfasstheit unseres Landes und damit die eingeleitete stärkere Verantwortung der Zuständigkeit der Länder, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Landkreise und Kommunen für die Eindämmung und der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Kontrolle der Pandemie. Das gilt aber auch bei der Wie- NEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE derherstellung der Gewaltenteilung zwischen Regierung, LINKE]) Gesetzgebung und Rechtsprechung. Diese Erkenntnis spiegelt sich im Gesetz leider nicht wider. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir haben auch drei eigene In der ersten Phase der epidemischen Lage von natio- Anträge in den Bundestag eingebracht. naler Tragweite war es richtig und wichtig, besonders schnell und entschlossen zu reagieren. Dazu sieht unser Erstens brauchen wir endlich eine verlässliche Daten- Grundgesetz in Artikel 80 die Möglichkeit vor, dass der grundlage zur Covid-19-Ausbreitung, damit wir mögli- Gesetzgeber die Regierung ermächtigt, Maßnahmen per (B) che Schutzmaßnahmen oder vor allen Dingen auch deren Rechtsverordnung zu treffen, die notwendig sind oder (D) Rücknahme besser bewerten können. notwendig erscheinen, um eine Pandemie einzudämmen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dazu muss das ermächtigende Gesetz Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Deshalb fordern wir regelmäßige und repräsentative Tests der Bevölkerung. Das war beim ersten Bevölkerungsschutzgesetz bereits schwierig. Die Einschränkung der Grundrechte hat ja bei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spielsweise bei der Frage der Demonstrationsfreiheit bei der AfD) dem einen oder anderen Gericht durchaus dafür gesorgt, Meine Damen und Herren, Infektionsschutz und Frei- dass die Demonstrationsfreiheit dann doch durchgesetzt heitsrechte können mit intelligenten Strategien in Ein- werden konnte. Es ist aber bei dem zweiten Gesetz nicht klang gebracht werden. Das ist unser Wunsch. nachvollziehbar, warum es dem Bundesgesundheitsmi- nister erneut eine weithin unbestimmte Verordnungser- (Beifall bei der FDP) mächtigung geben soll, die in ihrer Reichweite und in Zweitens müssen für pflegende Angehörige unbüro- der Relativierung parlamentarischer Kontrolle problema- kratische und kurzfristige Angebote geschaffen werden; tisch ist. ein ganz wichtiger Punkt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Drittens ist jetzt schon klar, dass das nicht die letzte neten der FDP) Pandemie sein wird. Deswegen müssen wir gut vorbe- reitet sein. Auch da haben wir konkrete Vorschläge unter- Dabei sollen offenbar auch Sachverhalte per Verordnung breitet. geregelt werden, die keinen unmittelbaren Zusammen- hang zur aktuellen Pandemie aufweisen. Das halten wir Was wir ebenfalls ganz, ganz dringend brauchen, ist ebenfalls für äußerst problematisch. eine verlässliche Corona-Tracing-App, meine Damen und Herren. Neben Abstandsregeln, Hygienemaßnah- (Beifall bei der LINKEN) men, Mund-Nase-Schutz müssen wir die Infektionsketten Wenn man die einzelnen Regelungssachverhalte bilan- wirksam verfolgen können. Unser Nachbar Österreich ziert, ergeben sich sicher auch einige positive Punkte. Am hat so eine App längst. Uns wird sie seit Wochen und Ende überwiegen jedoch die negativen Aspekte und eini- Monaten versprochen. Hoffentlich kriegen wir sie bald. ge ungedeckte Schecks. Meine Redezeit ist zu kurz, um Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir werden alle Punkte durchzugehen. Ich will nur einige wesentliche dem Gesetz nicht zustimmen. nennen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19801

Harald Weinberg (A) Das Erste ist die Coronaprämie für Pflegekräfte: Harald Weinberg (DIE LINKE): (C) eigentlich eine gute Sache. Aber es stellt sich natürlich Aus den genannten Gründen werden wir dem Gesetz sofort die Frage, warum diese Prämie nicht auf alle Be- nicht zustimmen; wir werden ablehnen. schäftigten ausgeweitet wird, die mit Covid-19-Patienten in der Altenpflege und im Krankenhaus zu tun haben. Danke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Die Ausweitung der Tests ist eigentlich eine vernünftige Sache, weil es darum geht, auch regional ein Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Frühwarnsystem etabliert zu haben, um reagieren zu kön- Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister für Ge- nen. Dass das allerdings von den Kosten her zulasten der sundheit, Jens Spahn. Versichertengemeinschaft geht, ist aus unserer Sicht in- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. akzeptabel. Martina Stamm-Fibich [SPD]) (Beifall bei der LINKEN) Jens Spahn, Bundesminister für Gesundheit: Zur Aussage in der Gesetzesbegründung, dass es dann in Verhandlungen zwischen Bundesgesundheitsministerium Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir und Bundesfinanzministerium zu einem Ausgleich im haben gemeinsam viel erreicht. Es ist uns in der Phase Herbst kommen soll – das ist ja dann eine Frage der Anfang/Mitte März, in der es eine sehr dynamische Ent- Haushaltspolitik –: Na ja, ich höre die Kunde, aber mir wicklung bei den Infektionszahlen gegeben hat, in der es fehlt an dieser Stelle, ehrlich gesagt, der Glaube. in anderen Ländern in Europa zu einer Überforderung des Gesundheitswesens gekommen ist, in der die Frage sich Das Dritte ist das Thema Krankenhausfinanzierung. stellte, ob noch alle intensivmedizinisch behandelt wer- Der Vorschlag, den es am Anfang von Deutscher Kran- den können oder nicht, gemeinsam gelungen, diese Dy- kenhausgesellschaft und AOK-Bundesverband gab, die namik zu brechen, die Infektionszahlen wieder in eine für DRG-Finanzierung auszusetzen, ist ja vom Minister ver- das Gesundheitswesen und für uns als Gesellschaft hän- worfen worden. Da ist ganz offensichtlich die DRG-Fi- delbare Größenordnung zu bringen. Das macht uns de- nanzierung systemrelevanter gewesen als die Kranken- mütig, nicht übermütig. Aber es macht uns auch ein Stück häuser selber. stolz: als Gesellschaft, als Gemeinschaft, als Nation. Die eingeführte Pauschale von 560 Euro pro bereitge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) stelltem Intensivbett erweist sich als zu grob. Es soll jetzt ordneten der SPD und der FDP) (D) eine Differenzierung kommen. Dazu ist ein Beirat ge- Dieses Erreichte wollen wir sichern. Wissen Sie, wenn gründet worden. Ich bin mal gespannt, was dann dabei Sie mein Wahlkreisabgeordneter wären, Herr Schlund, herauskommt; ich bin aber nicht sehr zuversichtlich. Am dann würde ich mir eigentlich angesichts dessen, was Ende entscheidet ohnehin wieder das Bundesgesund- Sie hier gerade geäußert haben, Sorgen machen. heitsministerium auf der Grundlage einer weitreichenden Verordnungsermächtigung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Herr Kollege. Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und zwar gro- ße!)

Harald Weinberg (DIE LINKE): Was passiert denn gerade in Greiz? In Greiz wird ganz gezielt dort getestet, wo es einen Ausbruch gibt, nämlich Ich komme jetzt zum Schluss. in Pflegeeinrichtungen. Das ist doch genau das, was pas- sieren muss: dass dort, wo es zu einer Verbreitung des Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Virus kommt, insbesondere da, wo es etwa für Höchst- Bitte. betagte, für Pflegebedürftige besonders gefährlich ist, umfassend getestet wird. Und ja, das führt dazu, dass die Zahlen vielleicht höher sind, aber das ist doch kein Harald Weinberg (DIE LINKE): Vorwurf. Das ist Anlass dafür, dass wir in Greiz gemein- Das Problem falscher Anreize in der Krankenhausfi- sam mithelfen, dieses Virus unter Kontrolle zu bringen. nanzierung löst sich nicht dadurch, dass man den Fall- pauschalen jetzt noch eine Bettenpauschale an die Seite (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stellt. Wir brauchen Krankenhäuser in öffentlicher Hand, ordneten der SPD) gemeinwohlorientiert finanziert. Ein Virus wie dieses bekämpft man doch nicht, indem (Beifall bei der LINKEN) man es leugnet. Was ist denn da die Logik? Wenn wir nicht testen, dann gibt es auch keine Viren? Wie soll denn das funktionieren? Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege, jetzt müssen Sie Ihre Rede wirklich be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- enden. ordneten der SPD, der FDP und der LINKEN) 19802 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Bundesminister Jens Spahn (A) Deswegen machen wir genau das, was jetzt in dieser Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Phase notwendig ist: Wir weiten die Möglichkeit noch Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Kappert- weiter aus, zulasten der Krankenversicherung in Pflege- Gonther, Bündnis 90/Die Grünen. einrichtungen, in Krankenhäusern zu testen, auch mit Blick darauf, den Öffentlichen Gesundheitsdienst vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ort zu stärken. Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE Wir sehen gerade in fleischverarbeitenden Betrieben, GRÜNEN): in Schlachthöfen in Coesfeld, in Steinburg, wie schnell dieses Virus sich ausbreiten kann, wenn wir es ihm zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die leicht machen, weil auf zu engem Raum, ohne Abstand Methode Spahn hat wieder zugeschlagen: ambitioniert, und ohne die notwendigen Hygieneregeln gearbeitet lautstark, aber leider ohne das richtige Maß, wie Kinder, wird. Deswegen stärken wir mit diesem Gesetz genau die Kochen spielen und dabei den guten Safran ebenso in diesen Öffentlichen Gesundheitsdienst vor Ort, der eben der Suppe versenken wie eine im Garten gefundene dort tätig ist und weiterhin auch tätig sein muss. Nacktschnecke. Diese Suppe müssen die Akteure des Ge- sundheitswesens jetzt auslöffeln. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) ( [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein Vergleich?) Ich bin auch gerade etwas überrascht gewesen, Herr Dr. Schlund. Wissen Sie, ich habe Sie gestern im Ge- Es finden sich, Kollege, eine Reihe guter Zutaten in sundheitsausschuss – ich war ja zur Diskussion da – er- diesem zweiten Bevölkerungsschutzgesetz, die klar dem lebt: besonnen, konstruktiv. Sie waren kritisch in der Gesundheitsschutz dienen, und das ist gut und richtig. Sache, aber verbindlich im Ton. Aber: Einige Regelungen verderben den ganzen Brei. In unserem grünen Entschließungsantrag können Sie sie (Tino Sorge [CDU/CSU]: Dr. Jekyll und Mr. nachlesen. Es ist beispielsweise nicht hinnehmbar, dass Hyde!) die Ermächtigung des BMG derart ausgeweitet wird und Kaum ist die Kamera an, kaum besteht die Chance, dass wichtige Entscheidungen an Bundestag und Bundesrat das, was Sie hier sagen, dann von Ihrer Fraktion bei Face- vorbei getroffen werden. book gepostet wird, kaum geht es darum, anschließend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Schulterklopfen der Kollegen abzuholen, werden Sie sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LIN- laut und undifferenziert. Das wird doch dem Thema nicht KE]) gerecht, und das wissen Sie doch eigentlich auch. (B) Sie haben es ja gerade gesagt, Herr Minister, und auch (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ich finde, dass es richtig und wichtig ist, dass wir zusam- ordneten der SPD, der FDP und der LINKEN) menbleiben. Dann tun Sie es doch auch! Die pandemi- Ich will dabei ausdrücklich sagen, dass dies alles eine sche Krise darf nicht zu einer Demokratiekrise werden. kontroverse Debatte verdient – unbedingt. Ich wäre eher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beunruhigt, wenn es in unserer freiheitlichen Demokratie sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LIN- keine kontroverse Debatte gäbe über Verhältnismäßig- KE]) keit, darüber, dass dies natürlich die größten Einschrän- kungen der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in der Es ist auch nicht zielführend, die Leistungen der Ge- Geschichte der Bundesrepublik waren, über die Frage, sundheitsvorsorge jetzt zu reduzieren. Wenn Corona uns was wann warum entschieden worden ist. Natürlich muss eines zeigt, dann, dass Gesundheit weit mehr ist als ein es diese Debatten geben, weil nur dadurch auch Akzep- individuelles Geschehen, dann, dass Prävention – und das tanz, Nachvollziehbarkeit und Transparenz entstehen schließt klassische Gesundheitsförderung genauso ein können. wie weniger Feinstaub im Straßenverkehr und Natur- schutz zur Vorbeugung von Zoonosen – dass diese Prä- Die entscheidende Frage ist nur, wie wir diese Debat- vention sich auszahlt. ten führen. Wir haben zu Beginn dieser Pandemie ein ganz neues Wirgefühl erlebt – nach Monaten von Ag- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gressivität und Polarisierung –, wo wir zusammengestan- den haben, wo man sich unterstützt hat beim Einkaufen, Wir brauchen den finanziellen Schutzschirm für die wo alle gesagt haben: Wir wollen einander achten, wir Gesundheitsberufe. Warum aber schützen Sie nur einen wollen aufeinander achten, wir wollen uns und andere Teil, und die anderen bleiben im Regen stehen? Die frei- schützen. – Ich finde es sehr wichtig, dass wir diese beruflichen Hebammen haben, wenn man das gesamte Debatten – auch die kontroversen – so führen, dass wir Leistungsspektrum von Schwangerschaftskursen bis dabei zusammenbleiben, dass wir den Ausgleich, die Ba- Hausgeburten einbezieht, einen Verdienstausfall von lance suchen, dass wir sie nicht so führen, dass wir spal- 40 Prozent. Nehmen Sie die Hebammen, nehmen Sie ten und polarisieren. Denn das macht uns nicht stärker. die psychiatrische Pflege, die zurzeit massiv unter Druck Stärker werden wir dann, wenn wir gute Debatten führen, ist, die zusätzliche Arbeit hat, aber sie wegen der Ab- die am Ende zusammenführen. Das ist Ziel dieses Ge- standsregelungen nicht so machen kann, wie es eigentlich setzes, und das ist Ziel unserer Regierungspolitik. notwendig wäre, nehmen Sie die Suchthilfe, nehmen Sie all diese Gesundheitsakteure endlich mit unter den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schutzschirm! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19803

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) brauchen. Und ich bin wirklich aufgeregt; denn ich kann (C) Ihr Gesetz ist an mehreren Stellen nicht zu Ende ge- nicht ertragen, wie diese Rechten da drüben über diese dacht. Sie hätten klarstellen müssen, dass der HIV-Status Pandemie sprechen von Beschäftigten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rein gar nichts angeht. und wie sie auch die erschwerten Bedingungen, die wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) alle hier im Umfeld haben, auch bei unserer Arbeit, miss- All diese Punkte wurden auch in der Anhörung von achten und teilweise die Regelungen, die wir in diesem Expertinnen und Experten angesprochen. Da hätten Sie, Haus haben, mit Füßen treten. Das macht mich ärgerlich. liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, deutlicher (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nachbessern müssen und nicht nur halbherzig. Das, was FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN im vorliegenden Gesetz gut und richtig ist wie die europä- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ische Solidarität und – endlich – die Stärkung des öffent- Jan Korte [DIE LINKE]: So sind die halt! So lichen Gesundheitsdienstes, bleibt auf halber Strecke ste- sind sie! – Zuruf von der AfD: Gehen Sie doch hen. Es sind einfach zu viele Kröten in der Suppe – leider. nach Hause!) (Ulli Nissen [SPD]: Ich dachte, das waren – Sie können nach Hause gehen; es hindert Sie keiner Schnecken!) daran. Darum werden wir Grüne uns enthalten. Guten Appetit! Die Einrichtungen, die aktuell finanziell massiv von Vielen Dank. der Krise betroffen sind, müssen wir jetzt unterstützen. Die Änderungen, die wir im SGB V für unter anderem die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sozialpädiatrischen Zentren, für die medizinischen Ein- richtungen, für Menschen mit einer Beeinträchtigung, für Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Kinder und Jugendliche gerade planen, sind ganz drin- Martina Stamm-Fibich, SPD, hat als Nächste das Wort. gend und wichtig. (Beifall bei der SPD) Kollegin Maag, Sie haben darauf hingewiesen: Wir können die Strukturen, die wir mühsam aufgebaut haben Martina Stamm-Fibich (SPD): in unserem System, nicht einfach zerstören. Deswegen Verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kol- müssen wir handeln. Dieses Gesetz muss sehr schnell beschlossen werden. Wir haben nicht die Zeit, wochen- (B) legen! Bevor ich zum Inhaltlichen komme, möchte ich (D) noch eine Anmerkung zum Beratungsprozess dieses Ge- lang zu diskutieren. Ich finde, es muss in diesem Hohen setzes machen. Als Mitglieder des Deutschen Bundesta- Haus Anerkennung finden, dass man in so einer Situation ges sind wir in der Pflicht, alles dafür zu tun, die Bevöl- so arbeitet und so schnell zu Gesetzen kommt. kerung in Krisen und Ausnahmesituationen zu schützen. Dieses Parlament hat es mit einer solchen Ausnahme- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten situation zu tun. Diese Pandemie ist eine Ausnahmesitua- der CDU/CSU) tion. Glauben Sie mir: Meine Fraktion und ich, wir neh- Wir haben viele Zeichen der Solidarität gesendet. Ich men diese Aufgabe sehr ernst. möchte zum Abschluss noch sagen: Dass wir hier in diesem Haus heute beschließen, dass wir die Kosten für (Beifall bei der SPD) die Behandlung von europäischen Patienten, die bei uns Es gibt aktuell viel schrille Kritik an den Maßnahmen in Deutschland erfolgt, übernehmen werden, finde ich und am Politikstil der Bundesregierung. Gleichzeitig großartig. Ich hoffe, es findet den Anklang, den es finden steht der Vorwurf im Raum, dass der Deutsche Bundestag muss. der Regierung zu viel Spielraum lässt und seine Kontroll- pflichten vernachlässigt. Dazu kann ich nur sagen, dass Vielen Dank. ich diese Kritik für überzogen halte. Denn zum einen sind (Beifall bei der SPD) die Maßnahmen zeitlich klar befristet, und zum anderen hätte auch ich mir gerne mehr Zeit für die Beratung dieses vorliegenden Entwurfs genommen. Es ist aber leider so, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dass diese Pandemie und die dramatischen Folgen nicht Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der auf uns warten. In der aktuellen Situation muss man han- Kollege Stephan Pilsinger, CDU/CSU. deln. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Viele der Änderungen, die wir heute beschließen, sind Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am dringend notwendig und können nicht eine Sekunde auf- 25. März 2020 hat der Deutsche Bundestag in einem geschoben werden. Das sind die Tests, das sind die Regel- bisher beispiellosen Eilverfahren das Gesetz zum Schutz ungen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, und das der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von natio- sind die Regelungen für die Flexibilität, die wir für die naler Tragweite verabschiedet. Damit konnten wir recht- Auszubildenden und Studierenden im Gesundheitswesen zeitig geeignete Maßnahmen ergreifen, um das Infek- 19804 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Stephan Pilsinger (A) tionsgeschehen unter Kontrolle zu bringen und unser Ge- Durch dieses Gesetz verbessern wir den Gesundheits- (C) sundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen. schutz in Deutschland deutlich. Deshalb bitte ich um Zu- stimmung. Was ich allerdings in den letzten Wochen, insbesonde- re am letzten Wochenende, bei den Demonstrationen vor Vielen Dank. dem Reichstag und heute auch hier im Bundestag von der AfD wahrgenommen habe, hat mich zutiefst schockiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Da wird behauptet, die ergriffenen Schutzmaßnahmen ordneten der SPD) würden gegen unsere Verfassung verstoßen und die Co- ronapandemie diene nur dazu, die Bürgerinnen und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bürger unseres Landes ihrer Grundrechte zu berauben. Damit schließe ich die Aussprache.

Dabei ist unser Grundgesetz durchdrungen vom Geist Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- des Christentums und von dem Denken der Aufklärung. tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf In seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz vom Februar eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung 2006 sagt das Bundesverfassungsgericht deutlich und un- bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. missverständlich – ich zitiere –: Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache Menschliches Leben und menschliche Würde genie- 19/19216, den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ßen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen auf der Drucksache 19/18967 in der Ausschussfassung Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfas- anzunehmen. sungsrechtlichen Schutz … Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Bünd- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das Luftsicher- nis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. heitsgesetz ist doch damals als verfassungswid- Wir beginnen mit den beiden Änderungsanträgen, über rig qualifiziert worden!) die wir mittels Handzeichen abstimmen werden. Ich finde, das macht sehr deutlich, dass nicht diejenigen, Änderungsantrag auf der Drucksache 19/19222. Wer die Leib und Leben schützen wollen, gegen unsere Ver- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- fassung verstoßen, sondern diejenigen, die das Leben gen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Änderungsantrag anderer leichtfertig gefährden. bei Enthaltung der Fraktionen der AfD und der FDP ge- gen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) der SPD) nis 90/Die Grünen mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD abgelehnt. Das Leben von chronisch kranken und älteren Men- schen darf in Deutschland auch in Zukunft nicht nach Änderungsantrag auf der Drucksache 19/19223. Wer seiner Nützlichkeit oder seiner möglichen Dauer bewertet stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- werden. Es ist von seinem Beginn an bis zu seinem Ende, gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Änderungsan- egal ob es noch Jahre oder Tage dauert, grundsätzlich trag bei Enthaltung der AfD gegen die Stimmen von FDP, schützenswert. Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Damit kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Heute, meine Damen und Herren, entscheiden wir über Grünen auf der Drucksache 19/19221. Ich bitte nochmals das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer um Aufmerksamkeit für die Hinweise zu den nament- epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Besonders lichen Abstimmungen: Die Urnen befinden sich in der hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass wir mit Abgeordnetenlobby. Sie haben die Möglichkeit, um grö- dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur wichtige ßere Ansammlungen von Personen auf engem Raum zu Regelungen zur weiteren Bekämpfung der Pandemie tref- vermeiden, für die Dauer einer halben Stunde nach Er- fen, sondern auch pflegende Angehörige gezielt unter- öffnung der Abstimmung Ihre Stimmkarte einzuwerfen. stützen, indem wir den Zugang zum Pflegeunter- Um eine längere Unterbrechung der Sitzung zu umgehen, stützungsgeld erleichtern und die Regelungen zur wird Ihnen das Ergebnis dieser namentlichen Abstim- kurzfristigen, coronabedingten Arbeitsverhinderung aus- mung über den Änderungsantrag erst nach dem Tages- weiten. ordnungspunkt 10 mitgeteilt. Erst im Anschluss daran setzen wir die zweite Beratung des Gesetzentwurfs fort Wir wollen aber auch den Öffentlichen Gesundheits- und kommen dann zur dritten Beratung und namentlichen dienst, also die Gesundheitsämter vor Ort, finanziell stär- Schlussabstimmung. ken und die Digitalisierung in diesem Bereich voran- bringen. Dafür soll das im Infektionsschutzgesetz Bitte denken Sie daran, dass wir unmittelbar nach Er- vorgesehene elektronische Melde- und Informationssys- öffnung der namentlichen Abstimmung noch weitere 14 tem künftig auch die bestehende Telematikinfrastruktur Abstimmungen durchführen werden. Gehen Sie also jetzt nutzen. So können wir Meldewege nicht nur digitaler, nicht alle auf einmal zur namentlichen Abstimmung. Sie sondern vor allem auch schneller machen. haben eine halbe Stunde Zeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19805

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, lung ist gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des (C) die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Die Plätze an übrigen Hauses angenommen. allen Urnen sind besetzt. Damit eröffne ich die nament- Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung emp- liche Abstimmung über den Änderungsantrag auf der fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Drucksache 19/19221. Die Abstimmungsurnen werden tion der AfD auf der Drucksache 19/18723 mit dem Titel um 10.15 Uhr geschlossen. Das bevorstehende Ende der „Corona digital bekämpfen – Innovationspotentiale zur namentlichen Abstimmung wird Ihnen rechtzeitig be- 1) Vermeidung von Ansteckung und Unterstützung der Ge- kannt gegeben. nesung konsequent ausschöpfen“. Wer stimmt für diese Wir setzen die Abstimmungen fort. Soweit Sie nicht Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer das Bedürfnis haben, sofort zur namentlichen Abstim- enthält sich? – Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mung zu gehen, nehmen Sie Platz; auch wenn Sie morgen gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Geburtstag haben, nehmen Sie Platz. Hauses angenommen. (Heiterkeit der Abg. [Augsburg] Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung emp- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der AfD auf der Drucksache 19/18724 mit dem Titel Tagesordnungspunkt 8 b. Wir kommen jetzt zur Ab- „Verfügbarkeit von medizinischen Produkten über ge- stimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses werbliche Wettbewerbsrechte stellen“. Wer stimmt für für Gesundheit auf der Drucksache 19/19216. Unter diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung des Antrags der Fraktion der AfD auf der Drucksache gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen 19/17128 mit dem Titel „Bekämpfung der Seuchenaus- Hauses angenommen. breitung in Deutschland“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Unter Buchstabe h seiner Beschlussempfehlung emp- hält sich? – Bündnis 90/Die Grünen haben irgendwie gar fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- nicht abgestimmt. tion der AfD auf der Drucksache 19/18975 mit dem Titel „Deutschland auf zukünftige Pandemien besser vorberei- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten – Effektivität der Coronavirus-Maßnahmen wissen- NEN]: Ich habe zugestimmt!) schaftlich auswerten“. Wer stimmt für diese Beschluss- – Sie haben für die Beschlussempfehlung gestimmt, gut. – empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Dann ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses (B) der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom- (D) men. angenommen. Unter Buchstabe i empfiehlt der Ausschuss die Ab- Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c sei- lehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf der ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Drucksache 19/18999 mit dem Titel „Verordnungser- Fraktion der AfD auf der Drucksache 19/18716 mit dem mächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit ein- Titel „Corona digital bekämpfen – Förderprogramme im schränken – Feststellung der epidemischen Lage von na- Bereich digitaler Gesundheit und digitaler Pflege be- tionaler Tragweite aufheben“. Wer stimmt für diese schleunigen und ausbauen“. Wer stimmt für diese Be- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses Stimmen der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. angenommen. Unter Buchstabe j seiner Beschlussempfehlung emp- Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ableh- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- nung des Antrags der Fraktion der AfD auf der Druck- tion der FDP auf der Drucksache 19/18676 mit dem Titel sache 19/18717 mit dem Titel „Häusliche Pflege stär- „Soforthilfe für pflegende Angehörige während der CO- ken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – VID-19-Pandemie“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der AfD mit Diese Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Frak- den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. tion Die Linke gegen die Stimmen von AfD, FDP, Bünd- Unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung emp- nis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalition ange- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- nommen. tion der AfD auf der Drucksache 19/18721 mit dem Titel Unter Buchstabe k empfiehlt der Ausschuss die Ableh- „Corona digital bekämpfen – Deutsches Elektronisches nung des Antrags der Fraktion der FDP auf der Druck- Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz sache 19/18950 mit dem Titel „Vom Reagieren zum (DEMIS) zur Dokumentation und Überwachung von In- Agieren – Pandemievorbereitung schon jetzt beginnen“. fektionskrankheiten unverzüglich fertigstellen“. Wer Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschluss- dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfeh- empfehlung ist bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP 1) Ergebnis Seite 19832 C mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. 19806 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe l seiner Be- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- tion der FDP auf der Drucksache 19/18952 mit dem Titel ziales (11. Ausschuss) „Eine verlässliche Datenlage zur Ausbreitung von CO- VID-19 in Deutschland schaffen“. Wer stimmt für diese – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist bei Ent- (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP haltung der Linken gegen die Stimmen von AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalitions- Hilfestrukturen für Menschen mit Be- fraktionen angenommen. hinderungen in der Corona-Pandemie Unter Buchstabe m empfiehlt der Ausschuss die Ab- sichern lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der – zu dem Antrag der Abgeordneten Susanne Drucksache 19/18749 mit dem Titel „Häusliche Pflege Ferschl, Fabio De Masi, Sabine und pflegende Angehörige unterstützen“. Wer stimmt Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- ordneter und der Fraktion DIE LINKE gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von AfD, Bündnis 90/Die Grünen gegen Kurzarbeitergeld erhöhen – Kosten der die Stimmen der Linken mit den Stimmen der Koalition Krise nicht einseitig Beschäftigten zu- und der FDP angenommen. muten Unter Buchstabe n seiner Beschlussempfehlung emp- – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Kipping, Susanne Ferschl, Gökay tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache Akbulut, weiterer Abgeordneter und der 19/18940 mit dem Titel „Wertschätzung für Pflege- und Fraktion DIE LINKE Gesundheitsberufe ausdrücken – Corona-Prämie gerecht Sozialen Schutz auch während der CO- ausgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- VID-19-Pandemie umfassend gewähr- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die leisten Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion der AfD gegen die Stimmen von Linken und Bündnis 90/Die – zu dem Antrag der Abgeordneten Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate men. Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (B) Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe o NIS 90/DIE GRÜNEN (D) seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache Kurzarbeitergeld Plus einführen 19/18956 mit dem Titel „Die ambulante medizinisch-the- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sven rapeutische Versorgung von besonders vulnerablen Grup- Lehmann, Anja Hajduk, Markus Kurth, pen sichern – Die Leistungserbringer unter den Schutz- weiterer Abgeordneter und der Fraktion schirm nehmen“. Wer stimmt für diese BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist bei Ent- Mit einem Corona-Aufschlag in der haltung der AfD gegen die Stimmen von FDP, Linken Grundsicherung das Existenzminimum und Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koa- sichern litionsfraktionen angenommen. – zu dem Antrag der Abgeordneten Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Anja auf: Hajduk, Filiz Polat, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE a) – Zweite und dritte Beratung des von den GRÜNEN Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu so- Allen wohnungslosen Menschen schnell zialen Maßnahmen zur Bekämpfung und unbürokratisch helfen der Corona-Pandemie (Sozialschutz- Drucksachen 19/18672, 19/18686, Paket II) 19/18945, 19/18704, 19/18705, 19/18939, Drucksache 19/18966 19/19204 Beschlussempfehlung und Bericht des Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Ausschusses für Arbeit und Soziales Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Coronaauf- (11. Ausschuss) schlag in der Grundsicherung werden wir später nament- lich abstimmen. Drucksache 19/19204 Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat in seiner – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19204 den An- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung trag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Stärkung des Drucksache 19/19212 Sozialstaates und Soforthilfen für Mieter und Wohnungs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19807

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) wirtschaft“ mit einbezogen. Die Fraktion der AfD hat veröffentlicht. Über 40 Millionen Menschen haben in den (C) gebeten, ihren Antrag auf Drucksache 19/19017 heute USA ihren Job verloren. Damit wir so etwas bei uns nicht zu behandeln. – Ich sehe, Sie sind damit einver- weitestgehend möglichst verhindern, ist dieses Kurzar- standen. Dann verfahren wir so. beitergeld ein wichtiges Instrument. Wir stärken das heu- te noch mal. Die Beschäftigten in den Agenturen für Wenn ich Sie bitten darf, an der namentlichen Abstim- Arbeit managen das alles; die machen einen klasse Job. mung innerhalb der nächsten 30 Minuten teilzunehmen, Vielen Dank an dieser Stelle allen Beschäftigten in den aber zugleich unter Einhaltung des Abstandsgebots die Agenturen für Arbeit! Aussprache zu ermöglichen! Wir werden sonst heute Abend mit einer längeren Plenarsitzung büßen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und (Unruhe – Glocke des Präsidenten) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben für die Aussprache eine Dauer von 30 Minu- Wir wissen, dass die Luft, wenn man länger, stärker ten beschlossen. und mehr in Kurzarbeit ist, nur noch wenige Stunden Wenn Sie jetzt bitte Platz nehmen! Dann eröffne ich beschäftigt ist, immer dünner wird. Deswegen ist es die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Bernd wichtig und sozial geboten, dass wir ab dem vierten Mo- Rützel, SPD. nat das Kurzarbeitergeld auf 70 bzw. auf 77 Prozent, wenn Kinder vorhanden sind, erhöhen, ab dem siebten (Beifall bei der SPD) Monat auf 80 Prozent bzw. 87 Prozent, wenn Kinder vor- handen sind. Wir haben auch geregelt, dass man mehr Bernd Rützel (SPD): hinzuverdienen kann – bis zur Höhe des bisherigen Mo- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- natseinkommens –, und das nicht nur, wie es im Sozial- be Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Unser schutz-Paket I der Fall war, in systemrelevanten Berufen. starker Sozialstaat ist es, der uns gerade durch diese Krise Jetzt kann in jedem Job hinzuverdient werden. Das ist trägt. Wir haben riesige Rettungsschirme für Betriebe, für wichtig; das ist notwendig. Wenn es nicht reicht, dann Unternehmen, für Menschen, für Beschäftigte aufgelegt. machen wir irgendwann ein Sozialschutz-Paket III. Dieser Sozialstaat ist gefordert wie nie zuvor. Aber er hält dieser Belastungsprobe stand. Wenn es nicht ausreicht – Vielen Dank. das ist in diesen Zeiten fast täglich immer der Fall –, dann (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bessern wir nach. Wir haben das mit dem Sozialschutz- der CDU/CSU) Paket I getan. Wir machen das heute mit dem Sozial- schutz-Paket II. Dieses, Kolleginnen und Kollegen, ist (B) (D) ein bunter Strauß aus Einzelmaßnahmen. Meine Kollegin Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Daniela Kolbe wird in ihrer Rede auf das Bildungs- und Das Rednerpult ist gerichtet für den Kollegen Martin Teilhabepaket, auf das Arbeitslosengeld, auf das Sozial- Sichert, AfD. dienstleister-Einsatzgesetz und auf noch mehr Themen (Beifall bei der AfD) eingehen. Ich möchte an dieser Stelle sagen, liebe Kolleginnen Martin Sichert (AfD): und Kollegen: Wir sorgen jetzt mit diesem Paket dafür, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuel- dass die Arbeitsgerichte, die Sozialgerichte auch in der le Wirtschaftskrise ist die größte Krise seit dem Zweiten Coronapandemie arbeitsfähig bleiben, ohne die Gesund- Weltkrieg. Bereits im April haben mehr als die Hälfte der heit der Beteiligten aufs Spiel zu setzen. Wir setzen stär- Betriebe in Gastronomie und Hotelgewerbe Arbeitsplätze ker auf Videokonferenzen. Wir sagen aber auch deutlich: abgebaut, 43 Prozent bei Reisebüros und immerhin Die mündlichen Verhandlungen müssen weiterhin mög- 39 Prozent in der Automobilbranche. Bis auf die Arznei- lich sein. Denn wir alle wissen doch aus unseren vielen mittelhersteller wurden in nahezu allen Branchen bereits Videokonferenzen: Das ist ein wunderbares Instrument, jetzt Arbeitsplätze abgebaut. Millionen Mitbürger wer- aber man bekommt einfach weniger mit. Man spürt die den arbeitslos. Ein Wirtschaftswunder ist nicht in Sicht; Stimmung im Raum nicht. Man sieht und versteht die nonverbalen Signale nicht so stark wie dann, wenn man ( [CDU/CSU]: Sie sollten bei der sich in einer Präsenzsitzung zusammensetzt. Von daher Wahrheit bleiben!) haben wir den Weg hier gut bereitet. denn die soziale Marktwirtschaft wurde durch immer mehr Sozialismus und überbordende Bürokratie ersetzt. Das Kernstück dieses Gesetzes ist aber die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes. Das Kurzarbeitergeld hat uns In diesem Tagesordnungspunkt hier wird wunderbar 2008 geholfen. Das hilft uns auch jetzt in dieser Krise deutlich, welche Rolle die verschiedenen Parteien dabei gewaltig. spielen. Das sind die Parteien der sozialen Ungerechtig- keit und der Umverteilung von Deutschen zu Ausländern, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Linke und Grüne. CDU/CSU) 750 000 Unternehmen haben für über 10 Millionen Men- (Beifall bei der AfD – Lachen bei der LINKEN schen Kurzarbeit angemeldet. Das ist eine Rekordzahl. sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir genau heute in die USA schauen: Dort werden Beide wollen Grundleistungen und Asylbewerberleistun- die Zahlen der durch die Coronapandemie Arbeitslosen gen um 100 bzw. 200 Euro monatlich aufstocken. Damit 19808 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Martin Sichert (A) erhalten dann Asylbewerber und Langzeitarbeitslose wie das alles finanziert werden soll. Deutschland ist be- (C) mehr als Arbeitnehmer mit Mindestlohn. reits jetzt weltweiter Spitzenreiter bei der Steuer- und Abgabenlast. Was Deutschland braucht, um nach der Kri- (Ulli Nissen [SPD]: Hetze! Das ist doch wi- se wieder auf die Beine zu kommen, ist eine funktion- derlich!) ierende soziale Marktwirtschaft wie zur Zeit Ludwig Er- Zudem soll ein Teil der Arbeitnehmer nach Vorstellung hards. Dafür müssten Steuern gesenkt, der Ökowahn von Grünen und Linken Kurzarbeitergeld in Höhe von beendet und zahllose bürokratische Vorschriften beerdigt 100 Prozent erhalten. Damit bekämen jene, die zu Hause werden. Dazu müsste die Regierung ab sofort aufhören, bleiben, mehr als jene, die arbeiten gehen und Fahrtkos- mit dem Füllhorn durchs Land zu rennen und jede Lobby- ten und andere Kosten haben. gruppe zu bedienen, sondern endlich anfangen, vernünf- tig zu planen. (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist einfach falsch!) (Beifall bei der AfD) Wer fleißig ist und arbeiten geht, ist bei den Linken und Meine Damen und Herren, die aktuelle Wirtschafts- den Grünen der Dumme. krise ist die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist höchste Zeit, weg von immer mehr Umverteilung Die Linken wollen obendrein noch Unternehmen ein hin zu einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft Jahr nach der Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen zu kommen. verbieten. Da kaum ein Unternehmen für die Zeit nach der Krise verlässlich planen kann, würden dann statt Vielen Dank. Kurzarbeit massenhaft Kündigungen erfolgen. Die Linke etabliert so „hire and fire“ durch die Hintertür in Deutsch- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: land; Karl Marx rotiert im Grab. Vielen Dank, dass diese Rede vorbei ist!)

(Beifall bei der AfD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Union und SPD agieren planlos und werfen mit Steuer- Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/ geld um sich. Obwohl die Regierung sich schon seit 2012 CSU. auf eine Coronapandemie vorbereiten konnte, werden jetzt lauter Gesetze mit heißer Nadel gestrickt. Man hat (Beifall bei der CDU/CSU) das Gefühl, die Regierung testet der Reihe nach die Be- schränkung aller Grundrechte, und wo der Widerstand zu Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (B) groß wird, da wird eilig zurückgerudert: Minister Spahn Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (D) musste den Immunitätsausweis zurückziehen, und aus Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Die Coronakrise dem hier vorliegenden Gesetzentwurf musste unter ande- fordert uns alle über die Maßen, und sie fordert vor allen rem eine vorgesehene Einschränkung der Öffentlichkeit Dingen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auch bei Gerichtsverfahren gestrichen werden. mit vielen Sorgen ihrem derzeitigen Alltag entgegense- hen. Darauf geben wir heute Morgen als Parlament eine Mein Dank geht an dieser Stelle ausdrücklich an all die Antwort. Bürger, die sich für die Wahrung der Grundrechte ein- setzen und friedlich auf der Straße sowie durch Schreiben Mit dem gerade beratenen zweiten Pandemieschutzge- an die Abgeordneten Druck erzeugen, um Grundrechts- setz und dem jetzt zu Diskussion und Abstimmung ste- verletzungen zu verhindern. henden Sozialschutz-Paket II machen wir klar: Wir er- richten in dieser Krise für unsere Mitbürgerinnen und (Beifall bei der AfD) Mitbürger einen sozialen Schutzschirm, so stark, wie es Ihr, liebe aufrechte Demokraten, seid die Helden dieser noch nie einen in Deutschland gab. Das ist eine tolle Stunde. Wehrt euch weiterhin gegen jede willkürliche Leistung unseres Landes, unserer Sozialversicherungen Beschränkung der Grundrechte, und macht den Vertre- und der Solidarität der Bürgerinnen und Bürger unter- tern der Regierung, die ein Grundrecht nach dem anderen einander. Darum geht es. angreifen, gehörig Dampf! Wir von der AfD werden weiter als parlamentarische Vertreter der demokratischen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rechtsstaatlichen und freiheitlichen Kräfte in Deutsch- ordneten der SPD) land Wer in diesem Zusammenhang über soziale Marktwirt- schaft sprechen will, der sollte auch etwas vom Thema (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Soziales in der sozialen Marktwirtschaft verstehen; denn GRÜNEN]: Sie wissen überhaupt nicht, was das machen wir heute. rechtsstaatlich ist!) schonungslos jeden Angriff auf Grundrechte aufklären (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und anprangern. ordneten der SPD) Wir erhöhen das Kurzarbeitergeld, ein bewährtes und (Beifall bei der AfD) gutes Krisenbekämpfungsinstrument, das wir kennen. Mittels Erhöhungen von Sozialleistungen und Sonder- Wir verlängern das Arbeitslosengeld I, weil wir zurzeit prämien für einzelne Berufsgruppen geben Union und auch keine Vermittlungen in großem Umfang vornehmen SPD immer mehr Geld aus, obwohl völlig unklar ist, können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19809

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sehr gut!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage Wir haben schon den Zugang zum Arbeitslosengeld II aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen? vereinfacht. Wir vereinfachen und ermöglichen denen, die Kurzarbeit haben, dass sie in den Bereichen hinzuver- (Dr. [CDU/CSU]: Aus dem dienen können, in denen ihre Arbeitskraft dringend be- Mittelalter!) nötigt wird. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können Gerne. das deswegen machen, weil wir in den letzten zehn Jah- ren in unserem Land gut gewirtschaftet haben, weil wir Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ bei der Bundesagentur für Arbeit eine Rücklage von DIE GRÜNEN): 26 Milliarden Euro aufgebaut haben, die wir jetzt zur Herr Kollege Weiß, vielen Dank, dass Sie die Zwi- Krisenbekämpfung einsetzen. schenfrage zulassen. – Sie haben eben die Anträge der Opposition kritisiert. Da gibt es unter anderem zwei, drei (Zuruf von der AfD: Die könnte Mitte August Anträge von uns, von Bündnis 90/Die Grünen. Wir ma- schon weg sein!) chen in diesen Anträgen halt Lücken deutlich, die es in dem Sozialschutz-Paket gibt. Beim Kurzarbeitergeld ist Ich will aber auch gerne sagen: Die derzeitigen Per- es so, dass Ihre Regelung bei denen, die es am meisten spektiven sind so, dass wir diese Rücklage wahrschein- nötig haben, bei denen mit geringem Einkommen, gar lich gegen Ende des Jahres aufgebraucht haben werden nicht ausreicht. Da reichen auch 70 oder 80 Prozent nicht und nach den derzeitigen Berechnungen der Bundesagen- aus. In mittleren Einkommen kommt die Unterstützung tur für Arbeit bei einem zusätzlichen Mittelbedarf von zu spät. Die haben trotzdem ein Kurzarbeitergeld, das rund 5 Milliarden Euro landen werden. Aber, meine sehr unter dem Existenzminimum liegt. Da setzt unser Antrag geehrten Damen und Herren, das Geld, das wir in die an, wo wir vorschlagen, zielgenau untere und mittlere Kurzarbeit geben, ist gut investiertes Geld; denn die Einkommen zu unterstützen und nicht flächendeckend Kurzarbeit ist die Basis dafür, dass man mit seiner überall auf 70 oder 80 Prozent zu erhöhen. Das ist der Stammbelegschaft anschließend wieder schnell aus der erste Punkt. Krise herauskommen kann. Das ist unsere Zuversicht. Der zweite Punkt, auf den wir aufmerksam machen: Eine Gruppe, die besonders vulnerabel ist, sind die Ob- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dachlosen. Auch da muss die Bundesregierung endlich (B) ordneten der SPD) einmal Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, (D) dass die Obdachlosen in diesem Land besser geschützt Ein Zweites ist: Für alle Menschen, die der Hilfe, der sind. Unterstützung, der Beratung und der Begleitung bedür- fen, ist es wichtig, dass wir die ausgefächerte soziale Es ist jetzt also nicht so, dass wir sagen: „Der Welt- Infrastruktur in unserem Land erhalten. Deswegen haben untergang findet statt; wir wollen nur mehr, mehr, mehr“, wir etwas vollkommen Neues erfunden, was es bisher sondern wir machen gezielt darauf aufmerksam, wo man nicht gab, nämlich das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz. punktgenau etwas besser machen kann. Das ist der Sinn Wir verbessern mit dem Sozialschutz-Paket II noch ein- unserer Anträge. mal dieses neue Gesetz, damit möglichst alle Dienste und Einrichtungen, die wir auch in Zukunft brauchen, zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beispiel für Menschen mit Behinderungen, für Langzeit- Zuruf von der CDU/CSU: Ist das eine Frage? – arbeitslose, für die Beratung von jungen Leuten, Familien Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] sowie Seniorinnen und Senioren, für Weiterbildung und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann Fortbildung, jetzt in der Krise nicht in die Knie gehen, auch eine Bemerkung machen!) sondern wir sie erhalten und sie auch in Zukunft leis- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): tungsfähig sind. Verehrter Herr Kollege Strengmann-Kuhn, ja, in der Tat sind Menschen, die gar keinen Anspruch auf Leistun- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt ver- gen aus der Sozialversicherung haben und die deswegen schiedene Anträge der Opposition. Wenn ich sie durch- überhaupt kein Kurzarbeitergeld bekommen können, lese, habe ich den Eindruck: Es ist irgendwie ein Rück- zum Beispiel die Selbstständigen, oder Menschen, die schritt ins Mittelalter: Geldverteilen als Hilfe in der schon bisher ein sehr geringes Einkommen hatten, bei Krise. Ja, Almosen verteilen, das war Sozialpolitik des einem Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 Prozent eventuell Mittelalters, sofern man das „Sozialpolitik“ nennen kann. in einer Situation, in der sie auf zusätzliche staatliche Eine moderne Sozialpolitik ist zuerst einmal, soziale In- Unterstützung angewiesen sind. frastruktur zu schaffen, zu erhalten, zu bewahren und auszubauen. Mit unserem Sozialdienstleister-Einsatzge- Genau deswegen haben wir etwas Außergewöhnliches setz machen wir eines: Wir stärken und unterstützen die gemacht: Wir haben den Zugang zum Arbeitslosengeld II soziale Infrastruktur in unserem Land; moderne Sozial- in der Form erleichtert, dass weder nach der Wohnsitua- politik für die Zukunft. tion noch nach eventuell vorhandenem Vermögen gefragt wird. Das ist eine große Veränderung jetzt in der Krisen- (Beifall bei der CDU/CSU) zeit, um Menschen, die darauf angewiesen sind, einen 19810 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Peter Weiß (Emmendingen) (A) schnellen und einfachen Zugang zum Arbeitslosengeld II Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) zu gewähren. Ich finde, das ist eine großartige Leistung Dann tun Sie es – wenn es ein Satz ist. unseres Sozialstaates, und ich wundere mich, dass Sie die so infrage stellen, indem Sie thematisieren, was Sie jetzt (Ulli Nissen [SPD]: Jetzt sind wir aber ge- gerade thematisieren. Unsere Antwort ist ein einfacherer spannt! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ und schnellerer Zugang zu Arbeitslosengeld II. CSU]: Aber fulminant! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So viel Fulminanz!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [FDP] – Beate Müller- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das Sozial- Das hat mit der Frage nichts zu tun!) schutz-Paket II ist etwas, dem Sie zustimmen sollten. Weil Sie Obdachlose als eine besonders betroffene Denn es bedeutet konkret: Wir lassen die Menschen in Gruppe ansprechen: Mit der Änderung des Sozialdienst- der Coronakrise nicht allein. Wir schaffen Sicherheit und leister-Einsatzgesetzes schaffen wir ja gerade eine Rege- Solidarität. Das ist unser Auftrag. lung, damit all die Einrichtungen, die Obdachlosen – oder Vielen Dank. Wohnungslosen, wie man heute sagt – mit ihren Ange- boten helfen und unterstützen, nicht zusammenbrechen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – sondern ihre Angebote für die Zukunft aufrechterhalten Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schöner können. Das ist doch das Wichtigste. Wir erhalten die Schlusssatz! – Alexander Graf Lambsdorff soziale Infrastruktur mit den Leistungen, die wir ins Ge- [FDP]: Schöner Schluss! – Jan Korte [DIE setz schreiben, und wir machen das sehr intelligent, wie LINKE]: War nicht schlecht, aber doch nicht ich finde, nämlich indem wir sagen: Zuallererst sollen überzeugend!) diese Einrichtungen und Dienste schauen: Was können wir mit unseren Leuten, mit unseren Kapazitäten, mit Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: unseren Kompetenzen zur Bekämpfung der Coronakrise beitragen? – Wir aktivieren also zunächst diese Einrich- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich geht jetzt tungen, und erst als Zweites können sie Leistungen nach die Zeit für die namentliche Abstimmung zu Ende. Aber dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz in Anspruch neh- da ich informiert worden bin, dass es doch noch eine men. Reihe von Kollegen gibt, die auf dem Weg zu den Urnen sind, schlage ich vor bzw. entscheide ich, dass wir die Wir machen noch etwas Zusätzliches: Beide Koali- Zeit für die namentliche Abstimmung um zehn Minuten tionsfraktionen haben die Bundesregierung aufgefordert, verlängern, sodass noch bis 10.25 Uhr Stimmkarten ein- (B) gerade auch für die gemeinnützigen Träger von Diensten geworfen werden können. (D) und Einrichtungen die Möglichkeit zu schaffen, staats- verbürgte Kredite in Anspruch zu nehmen. Ich möchte Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes mich bei den beteiligten Bundesministerien herzlich be- Vogel, FDP. danken, dass sie sehr konstruktiv an diesem Thema arbei- (Beifall bei der FDP) ten und wir vielleicht schon nächste Woche ein gutes Ergebnis dazu bekommen werden. Vielen Dank an die Johannes Vogel (Olpe) (FDP): beteiligten Bundesministerien! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In (Beifall bei der CDU/CSU) Krisenzeiten muss man zusammenhalten. Deshalb ist es gut, dass die weit überwiegende Zahl der Hilfsmaßnah- Weil ich gerade über Gruppen spreche, die es beson- men in den letzten Wochen hier in großer Einigkeit ver- ders nötig haben: Mit der Änderung des Sozialdienstleis- abschiedet wurde. In Krisenzeiten muss man aber auch ter-Einsatzgesetzes sichern wir auch die Frühförderung seine finanziellen Mittel zusammenhalten, liebe Kolle- von Kindern mit Behinderungen zusätzlich ab. Das ist ginnen und Kollegen von der Koalition. Deshalb haben ein gutes Beispiel dafür, wie wir das Sozialdienstleister- wir schon in der letzten Sitzungswoche gesagt: Eine pau- Einsatzgesetz in seiner Wirkung ausweiten. Oder – ein schale Erhöhung des Kurzarbeitergelds würde nur dazu anderes Beispiel –: Wir ermöglichen den Einrichtungen, führen, dass die finanziellen Mittel der Bundesagentur für über einen erweiterten Datenaustausch Hilfe besser zu Arbeit schmelzen wie Schnee in der Sonne, und das wäre gewähren. Auch das ist ein wichtiger Punkt, den wir in der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. diesem Gesetz neu regeln. (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deshalb ist es richtig, dass Sie hier entgegen den ur- Herr Kollege Weiß, bedenken Sie, dass Ihre Redezeit sprünglichen Plänen des Bundesarbeitsministers keine abgelaufen ist. pauschale, sondern – auch auf unsere Anregung hin – eine differenzierte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes vor- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): nehmen. Denn ich habe in der letzten Sitzungswoche Ich wollte gerade zu meinem fulminanten Schlusssatz ebenfalls gesagt: Mit Blick auf die besondere Natur die- ansetzen, Herr Präsident. ser Krise gezielt da zu helfen, wo 100 Prozent Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammenkommen, das ist unser (Jan Korte [DIE LINKE]: Das haben wir be- aller Verantwortung in dieser Krise, und das ist der rich- fürchtet!) tige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19811

Johannes Vogel (Olpe) (A) (Beifall bei der FDP) Ein letzter Satz dazu. Lieber , am 22. Ap- (C) ril habe ich dich ganz persönlich bzw. Sie, Herr Arbeits- Man muss aber auch sagen: Dann differenzieren Sie minister, im Ausschuss für Arbeit und Soziales auf diese doch bitte wirklich zielgenau. Sie nehmen hier eine Dif- Ungleichbehandlung angesprochen. Ihre Antwort war: ferenzierung nach der Bezugsdauer des Kurzarbeitergel- Ja, ich werde darüber das Gespräch mit dem Bundesmi- des vor, anstatt darauf zu schauen, wo die Menschen nister für Wirtschaft und dem Bundesminister für Finan- wenig Geld haben. In der Anhörung am Montag hat uns zen suchen. – Auf eine Antwort warten wir jetzt seit über die Bundesagentur für Arbeit klar gesagt, man schaue drei Wochen. Langsam tickt aber die Uhr, liebe Kollegin- sich sowieso jeden einzelnen Fall an; man müsse sowieso nen und Kollegen. Wenn wir keine Pleitewelle von selbst- auf die Einkommensdaten jedes einzelnen und jeder ein- ständigen Existenzen in diesem Land hinnehmen wollen – zelnen Betroffenen schauen. Es gibt also keinen Grund, das sind Menschen, die wir für Innovation und Gründ- dass Sie hier ohne jede Begründung nur die zweitbeste ergeist in diesem Land dringend brauchen –, dann wird es Lösung wählen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Zeit, dass die Bundesregierung ihre Haltung hier anpasst – Koalition. Das macht keinen Sinn, und deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Vogel. (Beifall bei der FDP) Langsam wirklich skandalös ist allerdings, was diese Johannes Vogel (Olpe) (FDP): Regierung weiterhin gar nicht tut, nämlich für faire – und Selbstständige endlich nicht länger als Erwerbs- Gleichbehandlung von Freelancern und Selbstständigen tätige zweiter Klasse behandelt. zu sorgen. Das geht langsam wirklich so nicht mehr weiter. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP)

Um das klar zu sagen, damit keine Missverständnisse Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: entstehen: Es ist völlig richtig, dass nach den üblichen Regeln der Sozialversicherung natürlich auch nur denen Die Uhr hat wirklich getickt. – Katja Kipping, Die Leistungen zur Verfügung stehen, die in die Sozialver- Linke, ist die nächste Rednerin. sicherung einzahlen. Das tun Selbstständige nicht. Aber (Beifall bei der LINKEN) es geht hier eben nicht um die üblichen Regeln, sondern Sie von der Koalition ändern aus guten Gründen die Re- Katja Kipping (DIE LINKE): (B) (D) geln der Sozialversicherung in dieser Krise mit der fol- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Armutspo- genden wörtlichen Begründung: „um den Bezug von litisch ist dieser Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu eine Enttäuschung. – Dieser Einschätzung des Paritäti- vermeiden“, also im Klartext, damit der Weg zum Job- schen Wohlfahrtsverbandes kann ich mich voll und ganz center in dieser Krise vermieden wird. Gleichzeitig stel- anschließen. Die Coronakrise hat auch die Alltagskosten len Sie sich aber hin und sagen den Freelancern und für die Ärmsten erhöht; ein breites Bündnis von Sozial- Selbstständigen in diesem Land: Wenn sie zu wenig Geld verbänden fordert deswegen einen Zuschlag auf die So- zum Leben haben, dann sollen sie aufs Jobcenter gehen. – zialleistungen. Doch CDU/CSU und SPD versäumen es Das ist eine skandalöse Ungleichbehandlung, liebe Kol- erneut, etwas für die Ärmsten in diesem Land zu tun. Das leginnen und Kollegen von der Koalition. Das muss sich ist beschämend. ändern; das kann so nicht bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Du vergleichst Äpfel und Bir- nen!) Höhere Sozialleistungen wären auch ein Impuls für die Binnenkaufkraft. Seit Wochen rennen alle Landesregierungen – alle Landesregierungen! – der Bundesregierung die Tür ein (Dr. h. c. [FDP]: Steuer- und sagen: Lasst doch bitte zu, dass das Hilfspaket für senkungen auch!) Freelancer und Selbstständige auch für die Deckung der Wir wissen doch: Wenn Menschen mit mittleren und Ausgaben zum Lebensunterhalt verwendet wird. – Denn niedrigen Einkommen mehr Geld haben, fließt das direkt es ist eben das Wesen moderner Selbstständigkeit, dass in den Konsum und kurbelt so die Wirtschaft an. Diesen heutzutage nicht mehr alle Selbstständigen Miete für ein Impuls für die Kaufkraft könnten die krisengebeutelten Ladenlokal aufbringen müssen, Händler gerade wirklich gut gebrauchen. Doch diese Re- gierung verweigert sich sogar ökonomischen Argumen- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Exakt so ten. Hauptsache, die Hartz-IV-Betroffenen bekommen ist es!) keinen Euro mehr aufs Konto. Das muss sich ändern, sondern ihre Betriebskosten sie selbst sind, das, was sie und dafür brauchen wir andere Mehrheiten. im Kopf haben, ihre Lebenshaltungskosten. Sich hier stur zu stellen und Selbstständige als Erwerbstätige zweiter (Beifall bei der LINKEN) Klasse zu behandeln, geht so nicht weiter, liebe Kollegin- Wir als Linke fordern in unserem Antrag auch, dass die nen und Kollegen von der Koalition. Kommunen vom Bund unterstützt werden müssen, damit 19812 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Katja Kipping (A) sie den Wohnungslosen besser helfen können. Es ist doch Ja, einige Regelungen im Sozialschutz-Paket II sind (C) offensichtlich: Wo viele Menschen auf engem Raum zu- richtig. Das Gesetz weist aber wieder eine klaffende sammen untergebracht sind, steigt die Infektionsgefahr. Leerstelle auf, und das ist die Sicherheit und der Schutz Das betrifft Flüchtlingsunterkünfte genauso wie Notun- für Menschen mit wenig Einkommen. Diese Leerstelle terkünfte für Wohnungslose. Die gute Nachricht ist: Es können wir uns in dieser Krise nicht erlauben. gibt gerade genügend leerstehende Jugendherbergen, Fe- rienwohnungen. Die könnten die Kommunen anmieten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um diese Sammelunterkünfte durch eine dezentrale Un- Es ist gut, dass Sie beim Kurzarbeitergeld nachlegen, terbringung zu ersetzen. Sie bräuchten nur finanzielle ja. Aber – Kollege Strengmann-Kuhn hat es gesagt –: Die Unterstützung. zeitlich gestaffelte Anhebung kommt für viele Beschäf- (Beifall bei der LINKEN) tigte zu spät, und für Geringverdienende reichen 80 Pro- zent eben nicht aus. – Deswegen stellen wir Grüne heute Das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit; das ist unser Modell zur Abstimmung: das Kurzarbeitergeld auch im Sinne des Infektionsschutzes. Indem wir den Plus, eine zielgenaue Absicherung für untere und mittlere Wohnungslosen helfen, helfen wir uns allen. Einkommen, und zwar sofort, liebe Kolleginnen und Kol- legen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Regierung plant, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen; das geht in die richtige Richtung. Leider hat die Union der Auch ist richtig, dass Sie bei den sozialen Diensten SPD einen Kompromiss abgerungen: eine bürokratische nachbessern. Aber auch hier muss mehr kommen. Die Staffelung, die den Prüfaufwand bei der Bundesagentur Menschen in der sozialen Arbeit leisten Großartiges; sie enorm erhöht. Wenn die CDU/CSU soziale Verbesserun- sind systemrelevant für unseren Sozialstaat. Deswegen gen blockiert, dann kommt halt Murks heraus. Wir als muss diese Arbeit unbedingt und dauerhaft gesichert wer- Linke beantragen heute, das Kurzarbeitergeld bei 90 Pro- den, liebe Kolleginnen und Kollegen. zent und für Niedrigverdienende bei 100 Prozent anzu- setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Eine riesige Scheinlösung in dem Gesetz ist aber die Immerhin: Einige Vorschläge aus der Gesellschaft Lieferung von Mittagessen an Kinder in Armut. Ich frage wurden aufgegriffen. Es lohnt sich also, Druck zu ma- mich wirklich: Warum belasten Sie gerade jetzt zusätz- chen. Lasst uns das nicht vergessen; denn uns stehen lich die Kommunen und die Verwaltung mit der Organi- (B) (D) knallharte Verteilungskämpfe bevor, und zwar um die sation von Lieferdiensten vor Ort? Ich finde, über dieser Kosten der Krise. Ich meine, die Kosten der Krise dürfen Regelung liegt ein Hauch von Misstrauen, und zwar weder auf denen abgeladen werden, die mit ihrer Arbeit Misstrauen, dass arme Familien nicht selber gut für ihre gerade den Laden am Laufen halten, noch auf den Ärms- Kinder sorgen können, und das ist erwiesenermaßen ten. falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Für diese Verteilungskämpfe sollten sich alle sozialen Akteure couragiert aufstellen und Allianzen des Gemein- Es geht einfacher, es geht besser, es geht würdevoller. samen bilden. Zahlen wir einen Krisenaufschlag auf die Grundsiche- rung! Unser Antrag dazu steht heute zur Abstimmung: Vielen Dank. 60 Euro pro Monat mehr für Kinder, 100 Euro für Er- wachsene. – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ja (Beifall bei der LINKEN) wohl das Mindeste.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nächster Redner ist der Kollege Sven Lehmann, Bünd- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nis 90/Die Grünen. Denn Armut verschärft sich gerade. Lebensmittel wer- den teurer, vor allem frische Lebensmittel; das ist erwie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen. Viele Hilfsangebote fallen aus. Es fallen Zusatzkos- ten an für Masken, für Desinfektionsmittel. Wenn dieser Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundestag es schafft, milliardenschwere Hilfen aufzule- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gen und weitere Hilfen für , für die Autoindus- Coronakrise trifft uns in der Tat alle; aber sie trifft uns trie zu diskutieren, wie will man einer armen Rentnerin eben nicht alle gleich hart. Menschen, die schon vor der erklären, dass für sie aber keine 100 Euro im Monat drin Krise arm waren, drohen jetzt noch weiter abgehängt zu sind? Ich finde, das können wir nicht erklären. Diesen werden. Damit das nicht passiert, muss deutlich mehr Aufschlag müssen wir hier und heute beschließen, liebe kommen als das Gesetz, das heute hier vorliegt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19813

Sven Lehmann (A) Wenn Sie nicht auf die Grünen hören wollen, dann zusätzlichen Kosten erstattet, auch die der Lieferung. (C) hören Sie bitte auf den DGB, Ich appelliere an die Kommunen: Machen Sie was da- raus! Machen Sie wirklich was aus den Möglichkeiten, (Jan Korte [DIE LINKE]: Auf die Linke!) die sich hier bieten. Machen Sie lebenspraktische Lösun- auf den Paritätischen, auf die Diakonie, auf die AWO, auf gen, damit die Familien in dieser schwierigen Zeit die den Kinderschutzbund, auf ein ganz breites Bündnis in Unterstützung bekommen, die sie brauchen. der Gesellschaft, das sagt: Die Ärmsten dürfen in dieser Krise nicht noch ärmer werden. – Ich finde, sie haben Natürlich braucht es da noch mehr. Der Koalitionsaus- recht. schuss hat 500 Millionen Euro für mobile Endgeräte be- schlossen. Ich sage Ihnen: Das muss jetzt langsam in die Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Puschen kommen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall der Abg. [SPD]) und bei der LINKEN) damit die betroffenen Familien das Geld auch bekommen und die Teilhabe im Bildungssystem ermöglicht wird. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Weitere Maßnahmen kann man aus meiner Sicht gerne Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zurück diskutieren, auch weil sie volkswirtschaftlich sinnvoll zum Tagesordnungspunkt 8 a. Die Zeit für die nament- sind. Aber wir machen hier einen ersten guten Schritt. liche Abstimmung über den Änderungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen ist jetzt abgelaufen. Ich fra- Das Arbeitslosengeld I ist mir noch ein bisschen zu ge, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das kurz gekommen; deswegen will ich es erwähnen. Drei seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offenbar Monate länger bekommen diejenigen Arbeitslosengeld I, nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung und bei denen der Anspruch zwischen Mai und Dezember bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der jetzt ausläuft. Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) wird Ihnen nach Tagesordnungspunkt 10 bekannt gege- ben.1) Das entspannt sehr viele Menschen in einer extrem ange- spannten Situation. Dann erteile ich das Wort in der Aussprache zu Tages- ordnungspunkt 9 der Kollegin Daniela Kolbe, SPD. (Ulli Nissen [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD) Das ist das Gesetz Numero zwei. Ich gehe davon aus, dass es womöglich ein Gesetz Numero drei geben muss. (B) Daniela Kolbe (SPD): Ich sage Ihnen zu, dass wir von der Sozialdemokratie – (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen ich denke, auch der zuständige Minister Hubertus Heil – und Kollegen! Ja, das Sozialschutz-Paket II wirkt fast ein gemeinsam in der Koalition alles in unserer Macht Ste- bisschen klein neben dem Sozialschutz-Paket I. Das liegt hende dafür tun werden, dass es im Zweifel auch ein aber nicht am Sozialschutz-Paket II, sondern an der gutes Gesetz Numero drei geben wird. schieren Größe der Maßnahmen, die wir im Sozial- schutz-Paket I vorgenommen haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung. Ich persönlich empfand die Situation bei der Abstimmung Ich sage Ihnen ganz klar: Das Sozialschutz-Paket II eben als geradezu beklemmend. wirkt dort, wo die Hilfe gerade am nötigsten gebraucht wird: bei denjenigen, die lange in Kurzarbeit sind und bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) denen die Lohneinbußen drücken, bei denjenigen, die im Ich möchte an uns alle appellieren, dass wir aus gesund- Bezug von Arbeitslosengeld sind und die jetzt Sorgen heitlichen Gründen und weil wir ein Vorbild sein wollen haben, dass sie keinen Job finden und deswegen zum für die Menschen in diesem Land, auch in schwierigen Beispiel in Hartz IV abrutschen. Und es hilft eben auch Situationen versuchen, das Abstandsgebot einzuhalten. bei den Familien, die im Bezug von SGB-II-Leistungen, Kinderzuschlag, Wohngeld und Leistungen nach dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Asylbewerberleistungsgesetz sind, die gerade kein kos- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE tenloses warmes Mittagessen für ihre Kinder bekommen, GRÜNEN) weil die Kitas und Schulen geschlossen sind. Ich sage Ihnen ganz klar: Bei diesen Familien wollen wir kein Wenn ich den Wunsch äußern darf, dann würde ich Geld sparen, weil das Geld nicht abfließt. darum bitten, dass noch einmal geprüft wird, ob das Pro- zedere nicht dahin gehend geändert werden kann, dass es (Beifall bei der SPD) uns allen ein bisschen leichter gemacht wird, die Ab- Deswegen haben wir eine ganz pragmatische, standsregeln einzuhalten. Immerhin haben wir heute weitgehende und flexible Lösung gefunden, mit der die noch einige Abstimmungen vor uns. Kosten auch zukünftig übernommen werden, wenn das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Essen ausgeliefert oder abgeholt wird. Es werden alle der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Graf 1) Ergebnis Seite 19832 C Lambsdorff [FDP]) 19814 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Daniela Kolbe (A) Ich finde, von uns muss das Signal ausgehen: Wir wollen in der Finanzkrise vor zehn Jahren. Der Verlust der Ein- (C) diese Pandemie eindämmen, und wir tun unseren Teil kommen wirkt umso stärker, je länger man in Kurzarbeit dazu. ist. Deshalb haben wir uns auf eine gestaffelte Erhöhung des Kurzarbeitergeldes verständigt; mit anderen Worten: (Beifall bei der SPD – Alexander Graf Wir wollen gezielt den Beschäftigten helfen, die beson- Lambsdorff [FDP]: So ist es! Unmöglich!) ders stark und besonders lange von Kurzarbeit betroffen sind. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt gibt es eine Reihe von Anträgen, wie beispiels- Der Präsident ist zu großer Zurückhaltung bei der weise die der Linken, die pauschal eine hohe Anhebung Kommentierung von Redebeiträgen verpflichtet; aber des Kurzarbeitergeldes fordern. Das ist allerdings sehr diesen letzten Appell möchte ich ausdrücklich unterstrei- kostenträchtig, und es gefährdet im Übrigen auch die chen. Es liegt heute ein ziemlich anspruchsvolles Verfah- innerbetriebliche Balance, wenn die Beschäftigten in ei- ren mit mehreren namentlichen Abstimmungen und un- nem Betrieb bei Nichtarbeit nahezu so gut gestellt sind terschiedlichen Beratungen zu unterschiedlichen wie die Beschäftigten, die regulär arbeiten. Wer arbeitet, Tagesordnungspunkten vor uns. Ich darf wirklich an alle darf sicherlich auch nicht der Dumme sein; deswegen gilt noch einmal appellieren: Hören Sie auf das, was der für uns hier das Lohnabstandsgebot. jeweils sitzungsleitende Präsident sagt. Halten Sie sich daran, und halten Sie sich an das Abstandsgebot. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Kon- zentration auf Geringverdiener, so wie es die Grünen Jetzt hat als voraussichtlich letzter Redner in dieser fordern, mag politisch verlockend klingen. Wir nehmen Debatte zu Tagesordnungspunkt 9 der Kollege Stephan mit unserer stufenweisen Erhöhung natürlich auch die Stracke, CDU/CSU, das Wort. Geringverdiener in den Blick. Sie hat gerade den Zweck, diejenigen zu unterstützen, die einen hohen Arbeitsaus- (Beifall bei der CDU/CSU) fall haben, und nutzt natürlich auch den Geringverdie- nern. Bei einem Ausfall von beispielsweise 50 Prozent – Stephan Stracke (CDU/CSU): das ist im Schnitt deutlich mehr als in der Finanzkrise Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- 2008 und 2009 – erhält ein Beschäftigter mit Mindestlohn ren! Die Coronakrise hat weltweit massive Auswirkun- in den ersten drei Monaten über 83 Prozent seines Netto- gen. Um die wirtschaftlichen Folgen so gering wie mög- einkommens und ab dem siebten Monat sogar fast 94 Pro- lich zu halten, haben wir in den letzten Wochen – sowohl zent. Ich kann hier keine soziale Schieflage erkennen, im Umfang als auch bei der Geschwindigkeit der Um- zumal es auch noch die Möglichkeit gibt, anrechnungs- setzung – mit einem beispiellosen Schutzschirm von (B) frei hinzuzuverdienen. (D) deutlich über 1 Billion Euro dagegengehalten. Auch mit dem vorliegenden Gesetzespaket wollen wir nicht spal- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Es gibt ein ten, sondern zusammenführen. Das ist das Ziel dieses Abstandsgebot!) Paketes: Wir wollen die Substanz unserer Wirtschaft er- Kurzarbeit ist immer eine Versicherungsleistung. Auf- halten und unsere Unternehmen, unsere Beschäftigten gabe des Kurzarbeitergeldes ist, den vorübergehenden sicher durch die Krise führen. Mit dem Kurzarbeitergeld Verlust des Erwerbseinkommens abzusichern. Kurzarbeit haben wir eine starke und stabile Brücke, um Arbeits- kennt keine Bedürftigkeitsprüfung, setzt keine voraus plätze zu sichern und Betriebe zu entlasten. Mit dem und dient auch gerade nicht der Armutsvermeidung. Des- Kurzarbeitergeld versuchen wir, Millionen von Arbeits- halb halte ich es schon für problematisch, die Höhe des plätzen zu retten; dabei greifen wir den Betroffenen fi- Kurzarbeitergeldes von der Höhe des Verdienstes abhän- nanziell unter die Arme. gig machen zu wollen. Das tun wir beim Arbeitslosen- Deutschland – das zeigt sich auch bei diesem Sozial- geld im Übrigen auch nicht. Eine solche Differenzierung paket wieder – hat einen starken und leistungsfähigen wäre auch fragwürdig wegen der Beitragsbezogenheit der Sozialstaat. In den letzten Wochen haben wir das Kurz- Arbeitslosenversicherung. Dann müsste man sich konse- arbeitergeld deutlich ausgebaut. Ich denke beispielsweise quenterweise Steuermittel bedienen, wenn man eine sol- an die Verlängerung der Bezugsdauer, die Erstattung von che Idee wie die der Grünen umsetzen möchte. Sozialbeiträgen für die Arbeitgeber; das hilft, Liquidität In Notlagen greift die zielgenaue und wirkungsvolle zu sichern. Wir haben die Zuverdienstmöglichkeiten Grundsicherung, die wir gerade in Krisenzeiten nochmals schrittweise ausgebaut und verbessert und auch Anreize besser aufgestellt haben: Die Angemessenheit der Woh- gesetzt, um Zeiten der Kurzarbeit für Qualifizierung zu nung – es wurde bereits darauf hingewiesen – wird nicht verwenden. geprüft; es gibt auch keine Vermögensprüfung. Es gibt überhaupt keinen Anlass, dieses gute Instrument hier in Mit dem heutigen Gesetz stocken wir das Kurzarbeiter- irgendeiner Weise zu diskreditieren. Natürlich sehen wir geld weiter auf. Ich bin froh darüber, dass wir in der den Verwaltungsaufwand – das wurde auch in der Sach- Koalition eine vernünftige Verständigung gefunden ha- verständigenanhörung deutlich –; aber letztlich geht es ben. Wir konzentrieren uns dabei auf die Menschen, die darum, mehr Aufwand und beherrschbare Ausgaben zu lange in Kurzarbeit sind und ihre Arbeitszeit um mindes- haben und nicht weniger Aufwand und immense Mehr- tens 50 Prozent reduzieren; das ist richtig so. Gerade in kosten. den Dienstleistungsbereichen erleben wir, dass die Be- triebe sehr stark herunterfahren mussten; der Entgeltaus- Es ist ein insgesamt abgewogenes Sozialpaket. Ich fall der Betroffenen ist deutlich höher als beispielsweise bitte um Zustimmung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19815

Stephan Stracke (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfrak- (C) ordneten der SPD) tionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen ange- nommen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Tagesordnungspunkt 9 b. Wir setzen die Abstimmung Damit schließe ich die Aussprache. zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf der Drucksache 19/19204 fort. Unter Bevor wir jetzt zu den Abstimmungen kommen, bitte Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung ich noch einmal um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. So des Antrags der Fraktion der FDP auf der Drucksache schön die Idee mit der Abgeordnetenlobby war: Wir ha- 19/18672 mit dem Titel „Hilfsstrukturen für Menschen ben gesehen, dass es Probleme gibt, weil der Eingang mit Behinderungen in der Corona-Pandemie sichern“. zum Nadelöhr wird. Das Problem ist: Wir sind in dieser Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Legislaturperiode 709 Abgeordnete. Es gibt ja Kollegin- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese nen und Kollegen, die der Meinung sind, es sollten nicht Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge- noch mehr werden; aber das ist ein anderes Thema. gen die Stimmen der Opposition angenommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Ausschuss empfiehlt weiterhin unter Buchstabe d der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags GRÜNEN – Lachen bei der LINKEN) der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 19/18686 mit Es ist das Recht jeder Fraktion, Anträge auf namentliche dem Titel „Kurzarbeitergeld erhöhen – Kosten der Krise Abstimmung zu stellen. nicht einseitig Beschäftigten zumuten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Man kann Wer enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist gegen sie aber auch zurückziehen!) die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Natürlich kann man diese Rechte mehr oder weniger übrigen Hauses angenommen. exzessiv wahrnehmen; das kann ich nicht entscheiden. Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Ich appelliere nur daran: Wenn wir eine so volle Tages- nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Druck- ordnung haben, müssen wir mit der Tatsache zurande sache 19/18945 mit dem Titel „Sozialen Schutz auch kommen, dass der Tag 24 Stunden hat. Es gibt darüber während der COVID-19-Pandemie umfassend gewähr- hinaus noch ein paar Bestimmungen. 30 Minuten pro leisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – namentliche Abstimmung sind bei 709 Abgeordneten Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Be- schlussempfehlung ist bei Enthaltung von Bündnis 90/ (B) knapp bemessen und erfordern von 709 Abgeordneten, (D) und zwar von jedem Einzelnen – jeder Einzelne ist nicht Die Grünen gegen die Stimmen der Linken mit den Stim- der andere, sondern er selbst –, ein hohes Maß an Diszip- men des übrigen Hauses angenommen. lin. Wir werden die nächsten namentlichen Abstimmun- Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung emp- gen wieder in der Westlobby durchführen und nicht in der fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Abgeordnetenlobby, wegen des Nadelöhrs am Eingang. tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache (Beifall der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/ 19/18704 mit dem Titel „Kurzarbeitergeld Plus einfüh- DIE GRÜNEN]) ren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9 a, zur Abstim- Diese Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDP mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und gegen die Stimmen von AfD, der Linken und von Bünd- SPD eingebrachten Gesetzentwurf zu sozialen Maßnah- nis 90/Die Grünen mit den Stimmen der Koalition ange- men zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie.1) nommen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung emp- Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Druck- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- sache 19/19204, den Gesetzentwurf der Fraktionen der tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 19/18966 in 19/18705 mit dem Titel „Mit einem Corona-Aufschlag der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, in der Grundsicherung das Existenzminimum sichern“.2) die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Wir stimmen nun über Buchstabe g der Beschlussemp- men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- fehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- gen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in nen namentlich ab. zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen und bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen ange- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das muss nommen. jetzt sein! Das ist doch ein Quatsch!) Dritte Beratung Auch die Urnen für diese Abstimmung befinden sich, wie schon gesagt, in der Westlobby, nicht in der Abge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem ordnetenlobby; das haben wir geändert. Sie haben die Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Möglichkeit für die Dauer von einer halben Stunde, ihre Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist Stimmkarte nach Eröffnung der Abstimmung einzuwer-

1) Anlage 4 2) Anlage 5 19816 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) fen. Das Ende der Abstimmung wird rechtzeitig bekannt Journalisten schützen – Pressefreiheit gewähr- (C) gegeben. leisten Bitte denken Sie daran, dass wir unmittelbar nach Er- Drucksache 19/19129 öffnung der namentlichen Abstimmung gleich noch eine Überweisungsvorschlag: weitere Abstimmung durchführen wollen. Also bleiben Ausschuss für Kultur und Medien (f) Sie noch einen Moment hier. Das ist sowieso gut, um Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zu große Rudelbildungen zu verhindern. Haushaltsausschuss (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) beschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Soweit Sie an der Aussprache zu Tagesordnungspunkt vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist offenbar der 10 einschließlich Zusatzpunkt 4 teilnehmen wollen, bitte Fall. Die Plätze sind besetzt, sodass ich die namentliche ich Sie, wieder Platz zu nehmen. Sollten Sie nicht daran Abstimmung zu der Beschlussempfehlung zum Antrag teilnehmen wollen, sorgen Sie dafür, dass wir die Debatte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache geordnet führen können. – Bitte nehmen Sie Platz! 19/18705 eröffne. Die Abstimmungsurnen werden um 11.12 Uhr geschlossen. Das bevorstehende Ende der na- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem mentlichen Abstimmung wird Ihnen rechtzeitig bekannt Bundesminister des Auswärtigen, Heiko Maas. gegeben.1) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gunther Wir setzen jetzt die Abstimmung zu der Beschluss- Krichbaum [CDU/CSU] – Jan Korte [DIE LIN- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales KE]: Ich bin mehr für Mützenich!) auf der Drucksache 19/19204 fort. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Buchstabe h seiner Beschlussempfehlung die Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Grünen auf der Drucksache 19/18939 mit dem Titel „Al- Kollegen! len wohnungslosen Menschen schnell und unbürokra- tisch helfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Enthaltung der FDP ist die Beschlussempfehlung gegen Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen Menschenrechte ... Diese Werte sind allen Mitglied- (B) mit den Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. staaten ... gemeinsam ... (D) Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 10 sowie Zusatz- Es ist kein Zufall, dass diese Zeilen am Beginn des punkt 4 auf: Vertrages über die Europäische Union stehen, letztlich deshalb, weil sie den Kern des vereinten Europas aus- 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- machen. Deshalb reicht es nicht, sich nur rhetorisch zu richts des Ausschusses für die Angelegenheiten diesen Werten zu bekennen. Diese Werte müssen gelebt der Europäischen Union (21. Ausschuss) werden; sie müssen täglich angewendet werden. Dort, wo das nicht der Fall ist, muss dem in aller Form widerspro- – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael chen werden. Georg Link, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Leider erleben wir weltweit, aber eben auch in Teilen und der Fraktion der FDP Europas das, was der „Economist“ treffend als die „Pan- demie der Machtergreifung“ bezeichnet hat. Alle Maß- Für eine europäische Grundwerteinitiati- nahmen zur Bewältigung der Covid-Pandemie müssen ve rechtsstaatlich sein, das heißt: geeignet, verhältnismäßig – zu dem Antrag der Abgeordneten und vorübergehend. Wer dagegen die Pandemie als Dr. Franziska Brantner, Dr. , Deckmantel nutzt, um rechtsstaatliche Prinzipien dauer- Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeord- haft auszuhebeln, sollte damit nicht ungeschoren davon- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE kommen. GRÜNEN Widerspruch, meine sehr verehrten Damen und Her- Für wehrhafte Demokratien in Europa – ren, verdienen auch die, die zurzeit versuchen, ein Urteil Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte in des Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich den den Mitgliedsländern der EU stärken Vorrang europäischen Rechts vor nationalem Recht aner- kannt hat, für ihre Zwecke zu missbrauchen. Deshalb Drucksachen 19/7423, 19/7436, 19/9741 sage ich es noch einmal ganz deutlich: Das Bundesver- fassungsgericht hat den Vorrang europäischen Rechts ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas nicht in Abrede gestellt, sondern den Grundsatz bestätigt. Hacker, Katja Suding, Hartmut Ebbing, weiterer Auch den Vorwurf der Kläger, die Ankaufprogramme der Abgeordneter und der Fraktion der FDP EZB in der Finanzkrise seien monetäre Staatsfinanzie- rungen gewesen, hat das Bundesverfassungsgericht klar 1) Ergebnis Seite 19839 D widerlegt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19817

Bundesminister Heiko Maas (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Partner und Mitgliedstaaten der Europäischen Union (C) trägt diese Initiative mit, bei der wir voneinander lernen, Damit stärkt es die EZB in der Coronakrise sogar. Alle um so die Rechtsstaatlichkeit in all unseren Ländern zu anderen Interpretationen führen in die Irre. stärken. Meine Damen und Herren, eine Aushöhlung der Kurz gesagt: Wir sollten die Rechtsstaatlichkeit wieder Rechtsstaatlichkeit kann und wird die Europäische Union zu dem machen, was sie eigentlich sein sollte: etwas, was nicht zulassen. Defizite, die es unbestreitbar gibt, werden Europa nicht spaltet, sondern alle Europäer verbindet. auch eine der Prioritäten in unserer Ratspräsidentschaft sein, die in wenigen Wochen beginnt. Wir werden die Herzlichen Dank. Kommission und das Europäische Parlament in den Arti- kel-7-Verfahren unterstützen, die sie mit Blick auf Polen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – und Ungarn eingeleitet haben. Auch Vertragsverletzungs- Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das war verfahren dürfen kein Tabu sein, wenn es um den Schutz alles? Das war aber wenig!) europäischer Grundwerte und damit auch der Rechts- staatlichkeitsprinzipien geht. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächste Rednerin ist die Kollegin Corinna Miazga, Schließlich wird die Bundesregierung sich auch dafür AfD. einsetzen, dass die Auszahlung von EU-Mitteln künftig stärker an die Erfüllung rechtsstaatlicher Grundsätze ge- (Beifall bei der AfD) knüpft wird. Das wird auch bei den anstehenden Ver- handlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen eine Corinna Miazga (AfD): wichtige Rolle spielen. Wer sich den rechtsstaatlichen Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Prinzipien der EU, auf die wir uns alle verpflichtet haben, Herren des Kollegiums! Jetzt befassen wir uns hier zum in eklatanter und dauerhafter Weise entzieht, muss damit zweiten Mal mit den Anträgen von den Grünen und der rechnen, dass er das auch finanziell zu spüren bekommt. FDP zum Thema „Grundwerte in der EU“. Aber ich fürchte: Der Mehrwert dieser Diskussion bleibt über- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sichtlich. CDU/CSU sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) (Konstantin Kuhle [FDP]: Ja, das befürchte ich Meine Damen und Herren, wir wissen aber gleichzeitig auch!) auch, dass diese Korrektiv- und Sanktionsinstrumente Ich habe mich in meiner letzten Rede schon stark auf uns nicht immer ans Ziel bringen, zumal – das ist ein den Antrag der Grünen fokussiert mit ihren Ideen zur (B) (D) Problem – sie erst dann greifen, wenn es in einzelnen Schaffung einer sogenannten Rechtsstaatskommission, Mitgliedstaaten bereits zu klaren Verletzungen dieser was im Grunde nichts anderes ist als die Etablierung einer Grundwerte gekommen ist. Was wir deshalb schaffen Rechtsaufsicht auf EU-Ebene zur Überwachung der Po- wollen, und zwar in unserer Ratspräsidentschaft, ist ein litik der EU-Mitgliedstaaten, für welche es in den Euro- präventives Instrument, das einen offenen und konstruk- päischen Verträgen keine Rechtsgrundlage gibt, und das tiven Dialog über Rechtsstaatlichkeit möglich macht, und ist auch gut so. zwar in einer Art und Weise, wie es ihn bisher noch nicht gegeben hat. Dafür wollen wir in unserer Ratspräsident- (Beifall bei der AfD) schaft einen Mechanismus in Gang setzen, bei dem sich Artikel 7 EUV birgt zudem mehr als ausreichend Mög- alle Teilnehmer gegenseitig einer Überprüfung der lichkeiten für die Sanktionierung von Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit unterziehen. die Werte des Artikel 2, freilich in einem rechtsstaatlich höchst bedenklichen Verfahren. Auch wenn die FDP es in Die Grundlage wird der erste jährliche Bericht der ihrem Antrag anders formuliert: Sie beide, Grüne und Kommission über die Rechtsstaatlichkeit in der EU sein, FDP, wollen unterm Strich dasselbe: die Überwachung der im September erscheinen soll. Wir werden ihn zudem der EU-Mitgliedstaaten und neue Instrumente zur Bestra- zum Anlass für regelmäßige, offene und auch kritische fung ebendieser. Diskussionen im Rat nehmen. Sowohl eine Aussprache zu gesamteuropäischen Entwicklungen als auch zu Län- (Konstantin Kuhle [FDP]: So ist das!) derkapiteln: Das ist ein Novum; aber das ist notwendig. Und genau hier liegt der Hund begraben: bei der Dis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kussion über die Werte. Lassen Sie uns doch mal über Werte reden, wie bestimmt diese sind, wie weitgehend Meine Damen und Herren, die Botschaft dabei ist klar: verbindlich im Sinne eines Rechtsprinzips und vor allem Rechtsstaatlichkeit ist und darf auch vor allen Dingen wer sich eigentlich alles in der Europäischen Union selbst keine Nebensache sein, nicht nur ein Nice-to-have, son- nicht dran hält. dern sie ist die Garantie der Garantien und das Fundament der europäischen Rechtsgemeinschaft. Fangen wir mit der EU selbst an. Vielleicht sollte diese selbst zuerst demokratisch werden. Denken Sie allein an Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir keine das Prinzip „One man, one vote“, bevor Sie sich um die Illusionen: Diese Neuerungen werden nicht überall auf Demokratiedefizite in den Mitgliedstaaten kümmern. Gegenliebe stoßen; das tun sie auch jetzt schon nicht. Deshalb appelliere ich an die Bereitschaft all unserer (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Partner in Europa – und die überragende Mehrheit der [CDU/CSU]: Wie groß soll das Parlament denn 19818 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Corinna Miazga (A) dann werden? Das müssten Sie schon erklä- Denn eines sage ich Ihnen: Die Interpretation des Wor- (C) ren!) tes „Solidarität“ aus Artikel 2, die Solidarität, die Sie immer so gern heraufbeschwören, das ist eben nicht die Die EU ist nämlich nicht demokratisch, und das ist ihr seit Finanzierung von fremden Staaten durch das Geld unse- ihrer Gründung immanent. rer Steuerzahler. Das ist Sozialismus, und das ist demo- Ihr sogenanntes Parlament legitimiert nicht, und der kratiewidrig. EuGH hat nicht einmal Spurenelemente demokratischer (Beifall bei der AfD) Legitimation, obwohl ein Verfassungsgericht im höch- sten Maße demokratisch legitimiert sein muss. Und diesen Sozialismus interpretieren Sie ständig in je- den dieser Werte aus den Europäischen Verträgen hinein. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wollen Sie es wählen? Wollen Sie das Bundesverfas- (Jan Korte [DIE LINKE]: Von Sozialismus ha- sungsgericht in direkter Wahl wählen, Frau ben Sie schon einmal keine Ahnung! Und von Miazga? Was für ein Unsinn!) dem anderen auch nicht!) Denn jedes Land entsendet einen Richter, der nur von Das ist egalitärer Moralismus, und wenn Moralismus die seinem eigenen Staat legitimiert ist, soll aber entscheiden Rechtsstaatlichkeit überlagert, kommen wir vom Weg ab über Rechtsfragen, die alle Mitgliedstaaten betreffen, und und laufen in einen Unrechtsstaat. das ist absurd. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Solidarisch in diesem Sinne ist gegenwärtig sowieso nur eine Partei. Das ist die SPD mit ihrem ausrangierten Die aktuelle Groteske um den EuGH ist das angedach- Personal, unsere „Selbstversorgungspartei Deutsch- te Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland we- lands“. Ständig wird dieses Land, vor allem die Bundes- gen des EZB-Urteils unseres Bundesverfassungsgerichts. wehr, mit untauglichen Leuten bestückt mit dem Quali- Ich sage es Ihnen noch einmal klar und deutlich: Das tätsausweis „Zu nichts in der Lage, aber zu allem fähig“. letzte Wort in Sachen des Rechts zu haben, ist Kern der Souveränität eines Volkes. Das hat das Bundesverfas- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) sungsgericht jetzt endlich im Rahmen der europäischen Integration zum ersten Mal in Anspruch genommen, und Sie beide, Ihre beiden Fraktionen verurteilen den Um- jetzt soll ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt gang der ungarischen Regierung mit den Oppositionspar- werden. teien. (B) Souveränität und Selbstbestimmungsrecht sind die (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Können Sie (D) Grundpfeiler des Völkerrechts. Davon scheint der EuGH noch mal langsam machen? Das war für mich keinen blassen Schimmer zu haben. Und die Tatsache, zu schnell!) dass er sich öffentlich über das Urteil aus Deutschland Und was machen Sie denn alle hier jeden Tag? Wollen beschwert, spricht Bände. Es ist höchste Zeit, sich diesem wir zählen, wie viele Anläufe wir in diesem Hohen Hause Spruchkörper zu entziehen; denn es ist unfassbar, was in den letzten 2,5 Jahren hatten, damit wir als Fraktion zu hier vorgeht. unseren Rechten kommen? (Beifall bei der AfD – Alexander Graf (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Oh! Mi- Lambsdorff [FDP]: Das ist der Austritt aus mimimimi!) der EU!) Sie blockieren bis heute unsere Kandidaten für das Sie führen hier das große Wort über die Einhaltung von Amt des Bundestagsvizepräsidenten und zahlreiche Gre- Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Lassen Sie uns doch mien, auch mal über Deutschland reden und Rechtsstaatlichkeit (Jan Korte [DIE LINKE]: Warum wohl?) in Deutschland. Die Gesetzlichkeit der Verwaltung ist Wesensgehalt der Rechtsstaatlichkeit. Und was passiert und Sie wagen es tatsächlich, hier den Mund aufzuma- in Deutschland seit 2015? Die Regierung hält sich nicht chen und über die Fehler unserer europäischen Nachbarn mehr an unsere Gesetze und verletzt seither nicht nur zu schimpfen. Was für ein seltsames Verständnis von Dublin III, sondern auch unser Grundgesetz jeden Tag Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben Sie? Sie wol- mit dem Durchwinken von illegalen Migranten. len doch nur von Ihren eigenen Fehlern ablenken, Sie Pharisäer! (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Konstantin Kuhle [FDP]: Bingo!) (Beifall bei der AfD) Und wenn es nach den Grünen geht, dann ist Ihnen das Und dann kommen Sie von der FDP noch mit dem ja noch nicht gut genug. Es darf ja immer noch ein biss- zweiten Antrag her zur Pressefreiheit und Meinungsfrei- chen mehr sein. Und Sie von der FDP haben in der Asyl- heit. Also, ich sage Ihnen: Wenn Journalisten körperlich krise ja auch als Opposition, als „Serviceopposition“, ver- attackiert werden, dann ist das selbstverständlich zu ver- sagt. Wen wollen Sie hier eigentlich für dumm urteilen. Darüber hinaus ist die Staatsanwaltschaft dafür verkaufen? zuständig; denn das ist kriminell. Und wir von der AfD können nun wirklich ein Lied über Attacken von Links- (Konstantin Kuhle [FDP]: Sie!) extremisten singen, mehr als Sie alle zusammen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19819

Corinna Miazga (A) (Beifall bei der AfD) Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Solida- (C) Was wir ganz sicher nicht brauchen, ist ausgerechnet rität. ein Vorschlag der FDP, wie man den demokratischen Gerade die Rechtsstaatlichkeit setzt Gewaltenteilung Diskurs schützt durch teure Werbekampagnen. Wenn voraus: zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Sie sich wahrhaftig für Meinungsfreiheit einsetzen wol- Checks and Balances: der Respekt der Gewalten vorei- len, dann leben Sie diesen Wert doch einfach durch einen nander und untereinander. Genau dies erscheint aber in angemessenen Umgang mit uns von der AfD, manchen Ländern unter die Räder zu geraten. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unser In Polen beispielsweise: Hier ist die Unabhängigkeit Umgang mit Ihnen ist sehr angemessen!) der Justiz nicht mehr gewährleistet, wenn das Verfas- und hören Sie auf, uns auszugrenzen. Sie sind es doch sungsgericht nur noch mit regierungstreuen Richtern be- selbst, die Sie gerade Ihrem Parteikollegen Kemmerich setzt ist. empfohlen haben, aus der FDP auszutreten, weil er auf In Ungarn beispielsweise, wenn, wie kürzlich gesche- der falschen Demo war und sich nicht ausreichend von hen, der Premierminister sich sozusagen unter dem Label der AfD distanziert hat. der Coronapandemiebekämpfung alle Vollmachten geben Vielen Dank. lässt, und zwar unbegrenzt, unlimitiert und noch dazu garniert mit einem Gesetz, das unter Strafe stellt, wer (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Dan- Falschnachrichten verbreitet oder die Bevölkerung durch ke, dass diese Rede vorbei ist! – Jan Korte [DIE „schlechte Nachrichten“ beunruhigt. Das ist ein Damo- LINKE]: Mann, Mann, Mann, ey! – Tobias klesschwert für alle Journalisten, aber natürlich auch für Pflüger [DIE LINKE]: Unglaublich!) die Opposition. In Malta beispielsweise: Dort wurde 2017 die Journa- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: listin Caruana Galizia durch ein Bombenattentat ermor- Nächster Redner ist der Kollege Gunther Krichbaum, det. Im November 2019 wurde dann bekannt, dass die CDU/CSU. Täter 150 000 Euro aus Regierungskreisen erhielten. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Slowakei beispielsweise: Dort wurde am 21. Februar 2018 Jan Kuciak ermordet. Er recherchierte Gunther Krichbaum (CDU/CSU): über Verfilzungen zwischen Politik und Geschäftema- Vielen Dank. – Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen chern. (B) und Kollegen! Zurück zum Thema und zur Sachlichkeit. Beispielsweise lange Zeit in Rumänien, wo eine mitt- (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lerweile abgewählte Regierung in Korruptionsvorwürfen ordneten der SPD) erstickte. Hunderttausende vorwiegend junge Menschen demonstrierten auf den Straßen und in den Straßen; so im Es ist sehr gut, dass wir uns heute mit den Themen Übrigen auch in der Slowakei. Das ist ermutigend und Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen wäre vielleicht ohne eine Mitgliedschaft in der Europä- Union auseinandersetzen. Das Bekenntnis aller Mitglied- ischen Union gar nicht möglich gewesen. Aber das reicht staaten hierzu müsste eigentlich eine pure Selbstverständ- nicht aus. Europa braucht hier stärkere Einwirkungsmög- lichkeit sein. Schließlich verlangen wir dies vor dem Bei- lichkeiten, bessere Instrumente, stärkere Hebel. tritt in die EU, nicht zuletzt in den Kopenhagener Kriterien. Damit ist ein jeder Staat in der EU auch ein Um es vorneweg klar zu sagen: Dabei handelt es sich Vorbild gegenüber den Staaten, die den Beitritt in die EU nicht um die Einmischung in die inneren Angelegenhei- erst begehren. ten eines Staates. Im Gegenteil: Vielmehr geht es um die Garantie von Grundrechten und Grundwerten; denn die Der Webfehler unserer Europäischen Verträge liegt Menschen sind nicht nur Bürger des betroffenen Staates; aber darin, dass wir nie davon ausgegangen waren, dass sie sind auch Bürger der Europäischen Union. Deshalb ein Staat nach seinem Beitritt exakt die Prinzipien infrage muss die Kommission einschreiten können und auch ein- stellt, die den Beitritt erst ermöglichten. Das erklärt, wa- schreiten. Andernfalls werden die Bürger um die Früchte rum der Instrumentenkasten in unseren Verträgen so leer einer EU-Zugehörigkeit gebracht, aber auch um das Ver- ist. Es gibt das sogenannte Artikel-7-Verfahren, das auf trauen in die Handlungsfähigkeit der Europäischen einen Stimmrechtsentzug hinausläuft. Das heißt, der ent- Union. sprechende Staat sitzt nur noch vorne am Katzentisch. Aber das Problem liegt bei der erforderlichen Einstim- Im Europaausschuss haben wir das Thema „Grund- migkeit bei der Feststellung einer Verletzung. Damit sind werte und Rechtsstaatlichkeit“ immer wieder aufgegrif- die Hürden sehr hoch und das Verfahren sehr sperrig. Wir fen und diskutiert, zuletzt – noch vor Corona – in Brüssel haben natürlich noch die Möglichkeit sogenannter Ver- mit dem zuständigen Justizkommissar Didier Reynders. tragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Ge- Dabei habe ich nochmals unterstrichen, wie wichtig es richtshof; aber das war es dann auch schon. ist, zukünftige Mittelzuweisungen aus dem Haushalt und damit aus dem mehrjährigen Finanzrahmen an die Fakt ist, dass die Grundwerte das Fundament – das Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen. Das haben Sie, Herr Außenminister Maas, schon angespro- muss eine Conditio sine qua non werden. chen – unseres vertrauensvollen Zusammenlebens in der Europäischen Union sind. Es geht um Frieden, um (Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) 19820 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Gunther Krichbaum (A) Zu den Anträgen. Es sind gute Ansätze, aber die An- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) träge sind anderthalb Jahre alt. Der Antrag der FDP bei- der SPD und der LINKEN) spielsweise ist vom 29. Januar 2019 datiert. Es wäre des- Aber warum muss sich eigentlich das Parlament eines wegen angezeigt gewesen, diese Anträge zu überarbeiten, Mitgliedstaates mit den Entscheidungen der Parlamente zu aktualisieren. Welche Rolle bei der Begleitung des anderer Mitgliedstaaten auseinandersetzen? Ist es nicht ganzen Prozesses unsere politischen Stiftungen überneh- das souveräne Recht des polnischen und des ungarischen men können, habe ich in den Anträgen im Übrigen nicht Parlaments, zu entscheiden, was es möchte, und entspre- entdecken können. chende Gesetze auf den Weg zu bringen? Haben wir in Gerade der Antrag der FDP beleuchtet mir aber auch der Coronakrise nichts Wichtigeres zu tun, als uns mit die Rolle der Medien viel zu kurz. Dort heißt es: Ferner Polen und Ungarn zu beschäftigen? Natürlich sind auch brachte das Europäische Parlament seine Bedenken ins- andere Fragen von Relevanz. Aber wer so argumentiert, besondere angesichts der Entwicklungen in den Berei- der verkennt völlig, dass die Europäische Union eine chen öffentlich-rechtlicher Medien zum Ausdruck. – Rechts- und Wertegemeinschaft ist und dass Verträge Das ist mir zu wenig. innerhalb der Europäischen Union abgeschlossen worden sind, mit denen Demokratie und Rechtsstaat für alle Bür- Das Europäische Parlament findet in dem Antrag der gerinnen und Bürger gelten. Wenn die Grundrechte von FDP 15-mal Erwähnung, sogar das Freedom House zwei- polnischen und ungarischen Bürgerinnen und Bürgern mal, Guido Westerwelle dagegen kein einziges Mal. Er beschnitten werden, dann werden nicht nur deren Grund- war es aber, der am 22. April 2013 erstmals zusammen rechte beschnitten, sondern dann werden gleichermaßen mit seinem damaligen Kollegen Frans Timmermans aus die Grundrechte europäischer Bürgerinnen und Bürger den Niederlanden sowie seinen Kollegen aus Dänemark beschnitten. und Finnland die Rechtsstaatsinitiative überhaupt aus der Taufe hob. Er hätte in Ihrem Antrag eine Erwähnung (Beifall bei der FDP) verdient gehabt. Deswegen müssen wir hier darüber sprechen, dass das auch eine Frage der Grundwerte unserer gemeinsamen Herzlichen Dank. Europäischen Union ist. Denn der Rechtsstaat umfasst als eine gemeinsame Vereinbarung die Werte der Europä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ischen Menschenrechtskonvention, die Werte der Grund- ordneten der SPD) rechtecharta – darauf haben wir uns verständigt –, er umfasst den Wert Demokratie. Das heißt gerade mit Blick Vizepräsidentin : auf Viktor Orban und Herrn Kaczynski, dass aus einer (B) Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für die Minderheit in Polen und in Ungarn auch wieder eine (D) FDP-Fraktion. Mehrheit werden kann. Wer das verhindern will, der ver- übt einen Anschlag auf die europäische Demokratie. Des- (Beifall bei der FDP) wegen müssen wir uns auch an die Seite der mutigen Zivilgesellschaft in Polen und in Ungarn stellen, die ih- Konstantin Kuhle (FDP): rerseits ein Zeichen setzen gegen diese Tendenzen des Autoritarismus mitten in der Europäischen Union. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am gest- rigen Tag ist in Ungarn ein Mitglied der liberalen Opposi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tionspartei Momentum verhaftet worden. der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Christian Petry (Zuruf von der AfD: So ist es! Ja!) [SPD]: Sehen das in der FDP alle so?) Die Rechtsgrundlage für diese Verhaftung war eines der Meine Damen und Herren, sowohl der Antrag der Grü- neuen Coronagesetze der Regierung Orban, mit denen nen als auch der Antrag der Freien Demokraten enthalten angeblich gegen Fake News gekämpft werden soll. Tat- einige ganz konkrete Vorschläge, über die wir hier mit- sächlich hatte das Mitglied der liberalen Oppositionspar- einander diskutieren wollen. Ich will Ihnen drei Vorschlä- tei Momentum nichts anderes getan, als eine gesundheits- ge ganz besonders ans Herz legen. politische Maßnahme der Regierung zu kritisieren. Als Allererstes wäre es ein großer Segen, wenn die Das zeigt, dass dieses Gesetz in Ungarn sich in eine Unionsfraktionen und die CDU in Europa sich endlich ganz bedrohliche Tendenz einreiht, die wir in verschiede- dafür einsetzen würden, ihren Parteifreund Viktor Orban nen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon seit endlich aus der EVP zu schmeißen. Es ist längst über- einiger Zeit beobachten können. Ob die Justizreform in fällig, Polen, die Wahlrechtsreform in Polen, die Beschneidung der Oppositionsrechte in Ungarn, die Beschneidung der (Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN Pressefreiheit in Ungarn – es droht, dass in der Corona- sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ krise diese Tendenz noch zunimmt. Deswegen ist es rich- DIE GRÜNEN) tig, dass wir hier im Deutschen Bundestag mit dieser dass ein solcher Schritt erfolgt. Es ist überhaupt nicht zu Debatte ein Zeichen setzen für eine europäische Grund- verstehen, dass dieser Typ immer noch von Ihnen als werteinitiative und auch für einen Rettungsschirm, der Parteifreund akzeptiert wird. Es gibt ja konservative Re- nicht nur die Wirtschaft umfasst, sondern auch den gierungschefs und Parteichefs, die das längst auf den Weg Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen. bringen. Ich habe hier die Unterschrift von Frau Kramp- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19821

Konstantin Kuhle (A) Karrenbauer vermisst und hoffe, dass diejenigen, die sich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- (C) jetzt um den CDU-Parteivorsitz bewerben, auch mal sa- ten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- gen, wo sie stehen. SES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir sollten als zweiten Es ist schon angesprochen worden: In den letzten Ta- Schritt darüber diskutieren, wie wir die bestehenden Ver- gen sind in Ungarn diverse Menschen verhaftet worden. fahren, die es gibt – Vorabentscheidungen, die jetzt in der Sie haben zu Hause Besuch von der Polizei bekommen, Frage der polnischen Justizreform eine besondere Rolle weil sie angeblich gegen ein sogenanntes Fake-News- gespielt haben, Fragen des Vertragsverletzungsverfah- Gesetz, ein Fehlinformationsgesetz, verstoßen haben, in- rens, Fragen des Artikel-7-Verfahrens –, effizienter ge- dem sie auf Facebook irgendeine kritische Bemerkung stalten können. Gerade mit Blick auf die Vertragsverlet- gemacht haben, zum Beispiel der Kollege in der Stadt zungsverfahren schlagen wir vor, dass man das zu Gyula, der geschrieben hat, dass es ein Problem ist, dass systemischen Vertragsverletzungsverfahren bündeln sehr viele pflegebedürftige Menschen aus den Kranken- kann, um den dahinterliegenden Wertungen auf die Spur häusern entlassen worden sind, damit dort möglicherwei- zu kommen. se Menschen, die sich mit Corona infiziert haben, aufge- nommen werden können. Dieser Umgang ist eindeutig Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist schon inakzeptabel. Das will ich noch mal ganz klar sagen. genannt worden. Wir wollen als dritten Schritt, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einen besonderen Fo- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- kus auf das Thema EU-Rechtsstaatlichkeit legt und sich ten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- dafür einsetzt, dass im Rahmen des mehrjährigen Finanz- SES 90/DIE GRÜNEN) rahmens eine Kopplung an den Rechtsstaat stattfindet. Und natürlich muss darauf reagiert werden. Wer europäische Werte mit Füßen tritt, der darf nicht auch noch mit europäischen finanziellen Mitteln nach Ich will aber sehr deutlich sagen: Es ist die Partei Hause gehen. Deswegen muss das ein Schwerpunkt der Orbans, die gemeinsam mit der CDU/CSU-Gruppe in deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden. der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments sitzt. Vielen Dank. (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Und es waren die CDU/CSU und die EVP, die verhindert (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben, dass im Europarat ein Monitoringverfahren gegen der SPD und der Abg. Dr. Franziska Brantner Ungarn eingeleitet wird. Das ist wirklich ein bisschen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) eine Doppelmoral. Es ist ein politisches Problem. Man (B) muss sich von der Fidesz-Partei trennen und nicht nur (D) Vizepräsidentin Petra Pau: darauf warten, dass es neue Sanktionsinstrumente gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache darauf aufmerksam, dass die Urnen zur namentlichen Abstim- (Beifall bei der LINKEN) mung noch geöffnet sind. Wir haben noch vier Minuten Aber eins will ich auch sagen: Für die AfD, die hier Zeit für die Abstimmung. Ich bitte um ein Zeichen, falls sitzt und sich gegenwärtig in Deutschland als Grund- sich eine Kollegin oder ein Kollege gehindert sieht, an rechtepartei aufspielt, ist ja Orban das Vorbild. der Abstimmung teilzunehmen; dann könnten wir die Zeit noch einmal verlängern. (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau! Richtig!) Das ist wirklich eine unerträgliche Doppelmoral. (Jan Korte [DIE LINKE]: Vielleicht für die bei- den Redner! -Gunther Krichbaum [CDU/ (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- CSU]: Für die Redner wäre es praktisch!) ten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- – Okay. – Also, dann bitte ich um ein Zeichen der Red- SES 90/DIE GRÜNEN) nerinnen und Redner, ob sie schon abgestimmt haben, Dort gilt das schlimmste Gesetz, und hier tun Sie so, als und bitte, das nach ihrem Beitrag unverzüglich vorzu- ob Sie eine Grundrechtepartei wären. Diese Doppelmoral nehmen. ist unerträglich. Das Wort hat jetzt der Kollege Andrej Hunko für die (Norbert Kleinwächter [AfD]: Können Sie Fraktion Die Linke. eigentlich nur in Stereotypen denken?) (Beifall bei der LINKEN) Wir diskutieren hier über die Anträge von FDP und Grünen. Nach meiner Auffassung sind die Instrumente, die da vorgeschlagen worden sind, problematisch. Dass Andrej Hunko (DIE LINKE): sie juristisch problematisch sind, sagt jedenfalls der Ju- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von allen ristische Dienst des Europäischen Rates. Sie sind auch Gesetzen, die im Zuge der Coronakrise in den einzelnen politisch problematisch. Deswegen können wir ihnen Staaten verabschiedet wurden, ist das ungarische Not- nicht zustimmen. standsgesetz mit Abstand das repressivste. Es ist unbe- fristet, das Parlament ist entmachtet, und nur die Regie- Ich begrüße, dass wenigstens im Antrag der FDP der rung, nur Orban selbst, kann dieses Gesetz wieder Beitritt der EU zur EMRK, zur Europäischen Menschen- aufheben. Ich denke, wir müssen diesen Weg, diesen rechtskonvention, gefordert wird. Ich bitte die Bundesre- Missbrauch der Pandemie sehr deutlich verurteilen. gierung und Außenminister Heiko Maas – Sie haben im 19822 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Andrej Hunko (A) zweiten Halbjahr den Vorsitz im Rat der Europäischen vor Corona, aber die werden jetzt in dieser Krise leider (C) Union und ab November den Vorsitz im Ministerkomitee gestärkt. Sie zeigen nun noch deutlicher, dass wir einen des Europarats –, sich dafür einzusetzen, dass wenigstens stärkeren Rechtsstaatsmechanismus innerhalb der Euro- der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechts- päischen Union brauchen. Deswegen sind unsere Anträge konvention umgesetzt wird . nicht hinfällig, sondern sie sind umso nötiger, damit wir endlich solche Verfahren in der Europäischen Union ein- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. führen können. Christian Petry [SPD]) Das wäre doch auch eine Aufgabe, der man sich jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen könnte. sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP] – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Aktualisie- Vielen Dank. rungsbedürftig!) (Beifall bei der LINKEN) Wir als Grüne schlagen eine europäische Rechtsstaats- kommission vor. Der Vorschlag ist, dass alle Länder der Vizepräsidentin Petra Pau: Europäischen Union einmal im Jahr wirklich gecheckt werden, ob sie die Prinzipien der Demokratie und Rechts- Das Wort hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion staatlichkeit einhalten – alle Länder, damit nicht immer Bündnis 90/Die Grünen. wieder der Vorwurf kommt: nur auf die kleinen, nur auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Osten. Die Idee ist, dass diese Rechtsstaatskommission mit Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unabhängigen Verfassungsexpertinnen und -experten be- NEN): setzt wird, die die nationalen Parlamente zusammen mit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- dem Europäischen Parlament ernennen, damit wir auch nen und Kollegen! Die Coronakrise ist für vieles in un- eine Grundlage haben, eine Legitimation über die natio- seren Gesellschaften ein Test, aber sie ist eben auch ein nalen Parlamente. Das erscheint mir wichtig, damit Herr Test für die Demokratie. Die Coronakrise ist auch ein Orban nicht sagen kann: Das sind ja nur Technokraten aus Wettbewerb zwischen autoritären Regimen mit populisti- Brüssel. schen Regierungschefs auf der einen Seite und Demo- kratien auf der anderen Seite. Wir als Demokraten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Mit diesem Mechanismus würde es dann auch Emp- (B) müssen beweisen, dass wir besser durch diese Krise kom- fehlungen für Sanktionen geben. Wir schlagen auch fi- (D) men als die autoritären Staaten, als jene, die Grundrechte nanzielle Sanktionen vor. Wie der Kollege Kuhle richtig abschaffen wollen, wie es Orban gerade tut. gesagt hat: Es kann ja wohl nicht sein, dass jene, die die Demokratie abschaffen, dann auch noch mit unserem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuergeld ihre Klientelpolitik finanzieren. – Das muss sowie der Abg. Carsten Schneider [Erfurt] dringend ein Ende haben. [SPD] und Konstantin Kuhle [FDP] – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Es ist richtig, dass wir überall massive Einschränkun- gen der Grundrechte haben, auch bei uns; das ist ja nicht Wir sind aber der festen Überzeugung, dass es keinen abzustreiten. Und es ist nun die Pflicht der Regierung, Sinn macht, die Bürgerinnen und Bürger des jeweiligen alles dafür zu tun, damit diese Grundrechtseinschränkun- Landes zu bestrafen. Was haben wir denn davon, wenn gen so schnell wie möglich wieder aufgehoben werden der ungarische Student aus Budapest nicht mehr in Tü- können. Die ersten Schritte wurden ja auch schon getan. bingen oder in Stuttgart oder in Köln oder wo auch immer studieren kann? Das ist ja nicht in unserem Interesse. Aber es ist eben ein riesiger Unterschied, ob man in Deswegen ist unser Vorschlag: Wir entziehen Herrn Or- dieser Krise Parlamentsrechte beschneidet, ob sich Par- ban die Vergabemacht über die Gelder, und eine unab- lamente de facto selber unbefristet entmachten oder ob es hängige Stelle kann die Gelder weiter verteilen. – Das weiterhin die Kontrolle der Regierung gibt, ob die Maß- wäre für uns ein wesentlich gangbarerer Weg, als einfach nahmen zeitlich begrenzt sind, ob sie verhältnismäßig zu sagen: Ungarn an sich kriegt keine Gelder mehr. – sind oder ob in dieser Krise Oppositionspolitiker verhaf- Dann hat man ja nur den Effekt, dass die Ungarn sich tet werden, wie das eben jetzt in Ungarn bei Momentum zusammen gegen die Europäische Union auflehnen, an- der Fall ist. statt sich gegen jene aufzurichten, die dafür verantwort- (Norbert Kleinwächter [AfD]: In Spanien lich sind, dass die Gelder dann eben limitiert sind. auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sind die Unterschiede, die ausmachen, ob wir am Ende als Demokratien aus dieser Krise hervorgehen oder Herr Maas, Sie haben ja vorhin von der Ratspräsident- eben Grundrechte abgeschafft haben. schaft und Ihrer Rolle gesprochen. Beim nächsten mehr- jährigen Haushalt brauchen wir eine effektive Konditio- Diese Tendenzen, diese Kräfte, die antidemokrati- nalisierung im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und schen, antiliberalen Kräfte, sind ja nicht neu; die gab es Demokratie. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19823

Dr. Franziska Brantner (A) (Johannes Schraps [SPD]: Das hat er ja ge- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (C) sagt! – Peter Boehringer [AfD]: Zweiklassen- Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. haushalt!) Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer- Der Kompromiss, den Herr Michel im Februar vorge- innen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt schlagen hat, sah leider vor, dass man eine qualifizierte 1) Mehrheit braucht, um den Rechtsstaatsmechanismus aus- gegeben. zulösen. Das ist nicht der eigentliche Vorschlag von Di- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kolle- dier Reynders. Der hatte nämlich vorgesehen, dass es ge Johannes Schraps für die SPD. eine qualifizierte Mehrheit braucht, um den Mechanis- mus aufzuhalten. Das ist ein massiver Unterschied. Ich (Beifall bei der SPD) bin wirklich der Überzeugung, dass wir dem Michel-Vor- schlag nicht zustimmen sollten und dass Sie, Herr Maas, Johannes Schraps (SPD): einem mehrjährigen Finanzrahmen bitte nur dann zustim- Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen men sollten, wenn er den Didier-Reynders-Vorschlag ent- und Kollegen! Es gibt viele Themen, die mit Beginn hält, also einen effektiven Rechtsstaatsmechanismus und der Coronasituation in der öffentlichen Wahrnehmung keinen Papiertiger. ziemlich in den Hintergrund getreten sind. Alles, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht direkt mit Corona zu tun hatte, ist im Prinzip voll- sowie bei Abgeordneten der FDP) kommen von der Bildfläche verschwunden. Bei manchen Themen war das gar nicht so schlimm. Manch wichtiges Wir wollten eigentlich heute hier auch den Antrag zu Thema – wie die Grundrente oder auch die Situation der dem Grundrecht auf Personenfreizügigkeit in der EU da- Geflüchteten auf den griechischen Inseln – muss sich erst zustellen. Es ist schade, dass die Große Koalition ver- mühsam in die öffentliche Debatte zurückkämpfen. hindert hat, dass dieser Antrag hier heute als Teil der Grundrechtedebatte diskutiert wird. Es ist nämlich ein (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das Grundrecht von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, dass sie stimmt!) sich in der Europäischen Union frei bewegen können. Es gibt aber auch Themen, die vorher schon wichtig Ich bin ja froh, dass jetzt endlich die Grenzschließun- waren und deren Bedeutung uns in den letzten Wochen – gen, die wir überall massiv hatten, aufgehoben werden. das ist auch bei einigen Vorrednern schon deutlich ge- Aber bei den Kontrollen gibt es noch Einschränkungen, worden – gerade mit Blick auf die Coronanotstandsmaß- die nicht mehr zu erklären sind: Immer noch – auch zwei nahmen einiger nationaler Regierungen in Europa noch Monate später – wird die Definition von Familie nur am einmal besonders deutlich vor Augen geführt geworden (B) (D) Trauschein festgemacht. Das ist einfach 19. und nicht ist. Dazu gehört ganz eindeutig das Thema Rechtsstaat- 21. Jahrhundert. Und wenn Sie dann sagen, es komme lichkeit in der Europäischen Union. irgendwann die Regelung als Glaubhaftmachung, dann muss ich ganz ehrlich sagen: Die armen Bundespolizis- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die Grund- ten, die vor Ort entscheiden müssen, ob das jetzt eine lagen für alle staatlichen Handlungen in den Mitglied- Beziehung ist oder nicht, tun mir leid. staaten der Europäischen Union. Das gilt in „normalen“ Zeiten, und das gilt – das haben die letzten Wochen ge- Ich finde es unverantwortlich, den Bundespolizisten zeigt – in Krisenzeiten ganz besonders. diese Entscheidung aufzudrücken. Da braucht es andere Wege. Die NGO Freedom House beschäftigt sich bereits seit den 1970er-Jahren mit dem Grad der Demokratieent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicklung und der Pressefreiheit in den Ländern der Erde sowie bei Abgeordneten der FDP) und hat sich mit ihren jährlichen Berichten einen Namen Sie könnten den Weg gehen, dass die Menschen eine gemacht. Freedom House hat in der vergangenen Woche eidesstattliche Erklärung abgeben müssen, von mir aus ihren „Nations in Transit“-Bericht vorgelegt. Diesem Be- mit hohen Strafen bewehrt, wenn es am Ende nicht richt zufolge ist Ungarn nicht mehr als Demokratie zu stimmt. Wir verschieben gerade Tausende von Euro auf bezeichnen und Polen auf dem besten Weg dorthin. Und der Grundlage von eidesstattlichen Erklärungen. Das wä- gleichzeitig betont der Bericht, dass die Institutionen der re ein wesentlich sauberer Weg. Er würde die Bundes- Europäischen Union nicht genug gegen diese Entwick- polizisten nicht überfordern. Der Weg, den Sie da vor- lung tun. haben, ist, finde ich, nicht gangbar. Sie haben ja noch Ehrlicherweise kommen beide Thesen für uns nicht Zeit. Ändern Sie das, damit es wenigstens im letzten wirklich überraschend. Und das ist das eigentlich Er- Monat nicht mehr diese Beeinträchtigungen für die Fami- schreckende daran. Denn sie drücken aus, was wir alle lien gibt! Machen Sie was daraus! sehen und was mit den Coronanotstandsmaßnahmen nur Ich danke Ihnen. noch deutlicher geworden ist. Schließlich haben die Re- gierungen in Budapest und Warschau in den vergangenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahren und Monaten zahlreiche Entscheidungen getrof- fen, die mit Rechtsstaatlichkeitskriterien aus unserer Vizepräsidentin Petra Pau: Sicht schwer vereinbar sind. Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 9 b. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist gleich vorbei. 1) Ergebnis Seite 19839 D 19824 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Johannes Schraps (A) Auch die Diskussionen, wie wir nun damit umgehen (Beifall bei der AfD) (C) sollen, werden schon seit vielen Jahren geführt – mit wenigen Ergebnissen. Denn politisch gibt es in der Euro- Norbert Kleinwächter (AfD): päischen Union immer wieder Stimmen, die eine kon- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! krete Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Lassen Sie es mich sehr deutlich sagen: Diese Anträge Rechtsstaatlichkeit verhindern, trotz zahlreicher Vor- der FDP und der Grünen zu Grundwerten und Grund- schläge. Meist waren deshalb die Urteile des Europä- rechten in der Europäischen Union ischen Gerichtshofs der stärkste Gegenpol gegen die Aushöhlung rechtsstaatlicher Entwicklungen. Das muss (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sind her- dieser Tage ganz offensichtlich noch mal besonders er- vorragend!) wähnt werden. sind nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegen un- sere Nachbarländer und ein Misstrauensvotum gegen die (Beifall bei der SPD) Demokratie. Den richtigen politischen Pfad hat uns Europa-Staats- minister Michael Roth im vergangenen Jahr zusammen (Beifall bei der AfD) mit dem damaligen belgischen Außen- und Europaminis- Sie beobachten, dass in unseren Nachbarländern die ter Didier Reynders aufgezeigt. Und Reynders ist ja nun Bürger zu demokratischen Wahlen gehen, Parteien wäh- auch als EU-Kommissar für diese Thematik zuständig. len, deren Meinung Sie nicht teilen, und deren Vertreter Das von den beiden vorgeschlagene Periodic Peer Re- dann Beschlüsse fassen, die Sie nicht gut finden. Und view of the Rule of Law ist ein wichtiger Schritt in die weil – ich sage das jetzt mal sehr salopp – für Sie die richtige Richtung, weil es damit eine Intensivierung des Leute in unseren europäischen Nachbarländern offen- Rechtsstaatsdialogs zwischen den EU-Mitgliedstaaten sichtlich zu doof zum Wählen sind, fordern Sie EU-Sank- geben wird, mit gegenseitiger Überprüfung und gemein- tionen gegen die Länder, die nicht spuren, so wie Sie sich samen Definitionen. Dabei geht es nicht um Bestrafung das einbilden. oder Sanktionen; es geht um Diskussionen auf Augen- höhe und um die gemeinsame Suche nach Lösungen. (Beifall bei der AfD) Sie von den Grünen wollen dann eben die entsprech- Doch nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht es enden Mitgliedsländer finanziell austrocknen, nicht wahr, weitere Schritte, Schritte, mit denen wir nicht nur den und das Geld lieber willfährigen NGOs zuteilwerden las- Dialog, sondern endlich auch klare Regeln auf europä- sen. Die FDP will lieber den Europäischen Gerichtshof, ischer Ebene etablieren. Die deutsche EU-Ratspräsident- der sich jetzt schon als Master oft the Universe aufspielt, schaft im zweiten Halbjahr – das ist schon angesprochen allgegenwärtig und allmächtig machen und außerdem (B) worden – sollten wir deshalb unbedingt für Fortschritte (D) Länder, die Ihnen nicht passen, vom Stimmrecht ausneh- nutzen. Das können wir tun, indem wir beispielsweise men. dafür sorgen, dass die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzi- pien eindeutig im neuen mehrjährigen Finanzrahmen ver- (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ankert wird. NEN]: Haben Sie gerade Englisch geredet im Deutschen Bundestag? Master of the Universe? (Beifall bei der SPD) Ich würde das gerne auf Deutsch hören! Bitte Es ist sehr zu begrüßen, dass sich unser Außenminister übersetzen Sie mir das!) Heiko Maas hier gerade ganz deutlich dazu bekannt hat. Dieser Ideologieimperialismus ist nicht nur despektier- Die Bundesregierung mit der Kanzlerin an der Spitze lich, er ist auch gefährlich; denn er legt die Axt an die muss sich aber bei den Verhandlungen auf europäischer Grundfeste unserer Demokratie – und das ist die nationa- Ebene deutlich dafür einsetzen, dass mit dem nächsten le Souveränität. europäischen Finanzrahmen ab 2021 EU-Mittel in sub- (Beifall bei der AfD) stanziellem Maße einbehalten werden, wenn Mängel bei der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten vorliegen. Vor allem aber – und das werfe ich Ihnen wirklich vor – So sieht das übrigens auch der Vorschlag des ehemaligen ist es ignorant. Sie schwächen damit nämlich auch die Haushaltskommissar Günther Oettinger vor. Institution, die wirklich Demokratie und Rechtsstaatlich- keit verteidigt, und das ist der Europarat. Ob uns Corona für die Notwendigkeit dieser Maßnah- men endgültig die Augen geöffnet hat, das können wir Zu Island über Aserbaidschan bis zur Russischen Fö- während unserer deutschen EU-Ratspräsidentschaft im deration werden dort Evaluationen vorgenommen. Es zweiten Halbjahr zeigen. gibt Debatten; es gibt entsprechende Berichte. Und wenn Ihre Vertreter in der Parlamentarischen Versammlung, Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. insbesondere die der FDP, diese Versammlung nicht stän- dig schwänzen würden, dann wüssten Sie das auch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD – Widerspruch des Abg. Konstantin Kuhle [FDP]) Vizepräsidentin Petra Pau: Dann wüssten Sie, dass es der Europarat war und nicht Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter die Europäische Union, die Macron verurteilt hat, weil er für die AfD-Fraktion. mit Gummigeschossen auf Gelbwestendemonstranten hat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19825

Norbert Kleinwächter (A) schießen lassen, und dass das nicht in Ordnung war. Dann staatlichkeit in diesem Gremium verteidigt – beides halte (C) wüssten Sie, dass es der Omtzigt-Bericht war, der den ich für außerordentlich wichtig, und dies hält auch meine maltesischen Präsidenten Muscat zum Sturz gebracht Fraktion für außerordentlich wichtig –, studieren Sie lie- hat wegen des Mordes an Daphne Caruana Galizia. Dann ber mal die Drucksache, die eindeutig aufzeigt, dass die wüssten Sie das alles. AfD-Mitglieder die aktivsten Mitglieder der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Es bringt überhaupt nichts, diesen Europarat zu schwä- Europarats sind. chen mit parallelen Pseudoinstitutionen, die Sie hier im Begriff sind aufzuziehen. Wenn Sie die europäische De- (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: Das mokratie und die Demokratien in Europa wirklich schät- ist nicht richtig!) zen, dann wäre es ein Beginn, diese Demokratien zu stärken und sich nicht ständig despektierlich über unsere Vizepräsidentin Petra Pau: Mitgliedsländer zu äußern. Das Wort hat der Kollege Philipp Amthor für die CDU/ Vielen herzlichen Dank. CSU-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Philipp Amthor (CDU/CSU): Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Graf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Lambsdorff das Wort. ist doch eine schöne Sache an diesem Tag, dass wir uns jetzt nach diesen schlechten Schauspielnummern der AfD Alexander Graf Lambsdorff (FDP): wieder dem Ernst der Lage zuwenden können. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will nicht unwi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dersprochen hier stehen lassen, dass die Mitglieder mei- der SPD – Lachen bei der AfD) ner Fraktion die Teilnahme an Sitzungen der Parlamenta- rischen Versammlung des Europarats nicht wahrnehmen Ich finde, wenn wir uns diese Debatte und die Anträge würden. Hinter mir sitzt der Kollege Kuhle. Er ist regel- anschauen, dann muss man auch mal etwas lobend sagen: mäßig dort und ist übrigens auch Berichterstatter zu dem Es ist gut, dass es in der Opposition im Deutschen Bun- interessanten Thema der russischen Einmischung in destag noch Fraktionen gibt, die ordentlich und konstruk- Wahlprozesse in anderen Mitgliedstaaten des Europarats. tiv mitarbeiten. Ich will sogar ohne große Pointe sagen: Interessanterweise sitzen die Kollegen der AfD dort ja FDP und Grüne haben hier schon deutlich schlechtere Anträge vorgelegt. (B) ganz nah mit unseren russischen Kollegen unter der Füh- (D) rung eines Herrn Kalaschnikow zusammen. Also, viel- (Jan Korte [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn leicht kann Herr Kleinwächter diese Behauptung zurück- Sie das bei der Regierungsarbeit berücksichti- nehmen und erklären, was er mit Herrn Kalaschnikow im gen würden!) Europarat so tut. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Debatte eines sehr, (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ sehr deutlich zeigt: Wir alle reden immer viel und häufig CSU und der SPD) über die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Wir reden aber viel zu selten darüber, was dieser Rechts- Vizepräsidentin Petra Pau: staatlichkeitsbegriff eigentlich meint oder was er nicht meint. Ich will sagen: Es ist eine zentrale Herausforde- Sie haben das Wort zur Erwiderung. rung, dass wir einen unionsrechtlichen Rechtsstaatlich- keitsbegriff näher elaborieren. Norbert Kleinwächter (AfD): Geehrter Herr Lambsdorff, also da merkt man mal (Lachen bei Abgeordneten der AfD) wieder, dass Sie nicht mitbekommen, was in der Parla- Der Rechtsstaat ist zuallererst kein Schönwetterthema, mentarischen Versammlung des Europarates läuft. Die sondern er ist gerade auch jetzt ein Krisenthema. Der Russen sind nämlich nicht Mitglied der EC/DA-Fraktion, Rechtsstaat ist kein abstraktes Thema, sondern er ist im- deren Mitglied wir sind. Die Russen sind dort nicht Mit- mer ein für die Lebenswelt ganz konkretes Thema. Aber glied. der Rechtsstaat ist eben auch kein politisches „Wünsch (Heiterkeit und Beifall bei der AfD – Christian dir was“. Deswegen sollten wir vermeiden, den Rechts- Petry [SPD]: Wir haben Sie aber dort schon staat als einen politischen Begriff zu verwenden. zusammen gesehen!) Ich sage das insbesondere vor dem Hintergrund der Also, ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich Diskussionen über die aktuelle Entscheidung des Bun- irgendwas mit Herrn Kalaschnikow zu tun habe. Aber das desverfassungsgerichts zur Rolle der EZB. Diese Ent- zeigt, dass Herr Kuhle, den Sie gerade erwähnt haben und scheidung hat natürlich für verschiedene Diskussionen den ich übrigens im Kulturausschuss schon mehrfach ver- gesorgt; der Außenminister hat darauf hingewiesen. Ich treten musste – weil er eben immer abwesend ist –, auch habe diesbezüglich zweierlei Sorge: nicht besonders aufpasst, was dort passiert. Einerseits sorge ich mich, wie EU-Skeptiker dieses Also, bevor Sie sich hinstellen und die AfD angreifen, Urteil interpretieren. Ich meine, Frau Miazga, der Auf- weil sie angeblich nicht die Demokratie und die Rechts- tritt, den Sie hier hingelegt haben, genügt in allem Ernst 19826 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Philipp Amthor (A) in keiner Hinsicht den fachlichen Ansprüchen, die man an Jetzt sind wir Grüne sehr große Freunde des Verfassungs- (C) ein Mitglied des Deutschen Bundestages stellen kann. gerichts (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Lachen bei der AfD) der SPD – Widerspruch bei der AfD) und akzeptieren sowieso alle Entscheidungen. Wir haben Herr Kleinwächter, Sie reden davon, Demokratie und ja auch unsere Parlamentsrechte in Europafragen schon Rechtsstaat müssten verteidigt werden. Sie fänden es einmal vor Gericht durchgesetzt. schlimm, es wäre übergriffig hinsichtlich der Demokratie in den Mitgliedstaaten, über den Rechtsstaat zu reden. Da Dennoch möchte ich sagen: Das Verfassungsgericht kann ich Ihnen nur sagen: Augen auf bei der Frage der Deutschlands hat sich in der Vergangenheit über die Ent- Auseinandersetzung mit Geschichte. Gerade Sie sollten machtung der unabhängigen Justiz in Polen explizit be- doch wissen, dass Demokratie nicht immer gleich sorgt gezeigt und hat dies auch mit Briefen nach Polen Rechtsstaatlichkeit bedeutet. belegt. Ich finde, dass man von denselben Richtern er- warten kann, dass sie in ihre Entscheidung die mögliche (Norbert Kleinwächter [AfD]: Richtig! Das Reaktion der Architekten der polnischen Justizreform auf weiß die Merkel-Regierung selbst genau!) dieses Urteil einberechnen, die nämlich ihre Linie bestä- Das haben wir in Deutschland schmerzlich gelernt. Eine tigt sehen, dass der EuGH keine Prüfungskompetenz da- demokratische Wahl führt noch nicht zu rechtsstaatlichen rüber hätte, ob das Richterdisziplinierungsgesetz, das die Inhalten. Deswegen müssen wir dort differenzieren. PiS verabschiedet hat, überhaupt Geltung haben kann oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und der FDP) Ich denke, dass wir, ohne das Gericht zu kritisieren, unserem Verfassungsgericht schon zumuten können, die- Gleichzeitig will ich auch sagen: Ich habe etwas Sorge se Folgewirkungen bei seinem Agieren – gerade vor dem bezüglich der Interpretation der Entscheidung des Bun- Hintergrund seiner überwältigenden Relevanz für uns desverfassungsgerichts durch große EU-Befürworter. und auch für Europa – mit einzubeziehen. Sehen Sie Denn mancher hat interpretiert, die Karlsruher Entschei- das nicht auch so? dung sei ein Angriff auf die Unionsrechte gewesen. Oder man hat gesagt, es würde dazu führen, dass sich falsche (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Freunde darüber freuen würden – Polen, Ungarn, die AfD SES 90/DIE GRÜNEN) vielleicht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten diskutieren, Philipp Amthor (CDU/CSU): (B) dann müssen wir sagen: Was falsche Freunde denken, ist Herr Kollege Sarrazin, ich will Ihnen ausdrücklich sa- (D) zuallererst ein politisches Argument, aber kein rechts- gen: Natürlich! – Ich habe nie gesagt, dass dieses Urteil staatliches Argument. nicht ohne politische Relevanz wäre. Aber wir sollten Deswegen will ich ausdrücklich sagen: Auf dem Hin- sehen, welche Orte zur Diskussion von Demokratie und tergrund, dass die Mitgliedstaaten natürlich der wesent- Rechtsstaatlichkeit wo sind. Der Ort der politischen De- liche Träger des Staatenverbundes Europäische Union batte ist der Deutsche Bundestag. Der Gerichtssaal in sind, muss für uns auch klar sein: Die nationalen Ver- Karlsruhe ist der Ort der Erörterung von Verfassungs- fassungsgerichte haben nicht nur das Recht, sondern auch recht. Auf diesem Hintergrund finde ich die Karlsruher die Pflicht, das Handeln ihrer mitgliedstaatlichen Organe Entscheidung überzeugend und konsequent. Ich sehe sie in der Europäischen Union zu kontrollieren, die Über- eher noch als Aufforderung an uns, das, was Sie gesagt tragung von Hoheitsrechten zu kontrollieren. Deswegen haben, noch selbstbewusster zu tun, nämlich unserer Mit- müssen wir in dieser Situation sagen: Die Ultra-vires- wirkung im europäischen Diskurs auch über Rechtsstaat- Kontrolle und die Identitätskontrolle, wie sie das Bundes- lichkeit nachzukommen. verfassungsgericht vornimmt, sind kein Angriff auf die Deswegen ist die Karlsruher Entscheidung aus rechts- rechtsstaatliche Ordnung der Europäischen Union, son- staatlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Aber dern dies sichert die rechtsstaatliche Ordnung in der Eu- sie ist auch ein Appell an uns für politische Mitwirkung. ropäischen Union ab. Darauf sollten wir hinweisen. Ich will deutlich sagen: In der Art und Weise und in der Im Übrigen will ich noch etwas sagen. Tonlage, wie mancher das Bundesverfassungsgericht kri- tisiert hat, sollten wir alle vielleicht mal einen Schritt zurückgehen und klarstellen: Es gibt für die Rechtsstaat- Vizepräsidentin Petra Pau: lichkeit in Europa größere Gefahren als das Bundesver- Kollege Amthor, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- fassungsgericht in Karlsruhe, liebe Kolleginnen und Kol- kung des Kollegen Sarrazin? legen.

Philipp Amthor (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerne. Bei der Frage, wie wir mit diesen Gefahren umgehen – das habe ich schon gesagt –, werden in den Anträgen der Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Grünen und der FDP gute und konstruktive Vorschläge Herr Kollege Amthor, Sie haben gerade gesagt, dass in gemacht. Einen permanenten Peer-Review-Mechanismus der Frage der Interpretation des Verfassungsgerichtsur- und die Idee der Venedig-Kommission, also ein Exper- teils die politischen Folgewirkungen irrelevant seien. tengremium, auch auf den Diskurs des europäischen Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19827

Philipp Amthor (A) fassungsrechts und auf eine europäische Institution zu wird bei einer Demonstration ins Gesicht geschlagen. Sie (C) übertragen, das finde ich sinnvoll. verliert mehrere Zähne. Ermittelt wird gegen einen Poli- zisten. 6. Mai, erneut Berlin: Vor diesem Hohen Haus, vor Deswegen ist es auch richtig, Herr Minister Maas, dass dem Deutschen Bundestag, wird ein Team der ARD wäh- wir darauf hingewiesen haben, dass dieses Thema natür- rend einer Coronademonstration attackiert. Die Polizei lich auch im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft eine kann gerade noch Schlimmeres verhindern. 9. Mai, dieses große und herausragende Rolle spielen sollte. Genau in Mal in Dortmund: Ein WDR-Journalist wird von mut- dem Geiste der Europapolitik, wie wir sie betreiben soll- maßlich Rechtsextremen beschimpft. Man schlägt ihm ten, ist es auch unsere Verantwortung als Parlament, diese die Kamera aus der Hand. neuen funktionierenden Rechtsstaatsmechanismen einzu- fordern. Da stehen wir an der Spitze der Bewegung. Das Meine Damen und Herren, wenn Medienvertreter zu wird uns als Parlament weiter beschäftigen. Wir werden Freiwild erklärt werden, dafür arbeiten in einem klugen Prozess, in dem die ver- schiedenen Interpreten des Verfassungsrechts, des (Zuruf von der AfD) Rechtsstaates gefordert sind, sich einzubringen. Genau wenn Berichterstattung nur noch mit Personenschutz das bringen wir als Regierungskoalition voran. Das ist möglich ist und Sender aus Angst vor Angriffen über- unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen. haupt nichts mehr berichten, dann ist das ein fundamenta- Herzlichen Dank. ler Angriff auf unsere demokratische Grundordnung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Gemäß einer aktuellen Studie sind 60 Prozent der be- Hacker das Wort. fragten Journalisten in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Drohungen und Angriffen gewesen. Nur we- (Beifall bei der FDP) nige Journalisten thematisieren diese Vorfälle, um nicht zusätzliche Angriffsflächen zu bieten oder dieser wider- Thomas Hacker (FDP): lichen Gewalt zu ihrer Wirkung zu verhelfen. Es ist un- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sere Aufgabe, diese Angriffe auf Journalisten zu verur- Kollegen! Zu den grundlegenden Werten unseres Grund- teilen. Wir müssen vor allem auch die Bedeutung der gesetzes gehören die Freiheitsrechte: die Meinungsfrei- Journalisten für unsere Freiheit und die Funktionsweise (B) heit, die Gewissensfreiheit, die Versammlungsfreiheit, unserer Demokratie sichtbar machen und uns dazu immer (D) die Kunstfreiheit, die Religionsfreiheit, aber eben auch wieder bekennen. und vor allem die Informations- und Pressefreiheit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Auch die Europäische Union gründet sich auf genau der CDU/CSU) diese Freiheitsrechte. Wie schmerzlich für jeden Einzel- Unser großer Dank geht an die Journalistinnen und nen die Einschränkungen dieser Freiheiten sind, erleben Journalisten, Pressevertreter und Medienteams, die sich wir seit Wochen. Umso mehr ist es unsere Aufgabe, die jeden Tag unerschrocken für die freie Meinung einsetzen. Freiheit jeden Tag neu zu verteidigen und neu zu erkämp- fen. In der Welt, aber auch in Europa erleben wir, dass die (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Presse- und Informationsfreiheit und dadurch die Mei- Erst ihre Arbeit schafft den Raum für Meinungsvielfalt. nungsfreiheit beeinträchtigt werden. Durch Monopolisie- Sie sind der Garant für unsere Demokratie. Jeder Angriff rung und Gleichschaltung der Medien nutzen Regierun- auf sie ist ein Angriff auf unsere Freiheit. Jeder Angriff gen und andere ihre Macht, um Meinungen zu auf sie ist ein Angriff auf uns alle. beeinflussen und Informationen zu filtern. Immer wieder werden Journalisten bedroht, angegriffen oder ermordet. Vielen Dank. Das sind keine beschämenden Einzelfälle. Sie sind fast alltäglich in Europa; Gunther Krichbaum hat ja auf die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gravierendsten Fälle hingewiesen. der CDU/CSU und der SPD) Dabei müssen wir nicht nur nach Ungarn, Malta oder Vizepräsidentin Petra Pau: in die Slowakei schauen, um unseren Kontinent als ein gefährliches Schlachtfeld für die Pressefreiheit und die Das Wort hat Dr. Diether Dehm für die Fraktion Die freie Meinungsäußerung zu erleben, wie die „Plattform Linke. für den Schutz und die Sicherheit von Journalisten“ des (Beifall bei der LINKEN) Europarats erst kürzlich feststellte. Die letzten Tage haben uns ganz klar gezeigt: Auch in Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): unserem Land ist die freie Ausübung des Journalistenbe- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kolle- rufs keine Selbstverständlichkeit. 1. Mai 2020, Berlin: gen Amthor dankbar, dass er als Erster die Venedig-Kom- Ein ZDF-Team der „heute-show“ wird nach einem Dreh mission, eine hochanerkannte, von 61 Staaten getragene von einer Gruppe von 25 vermummten Personen ange- Kommission, erwähnt hat. Es ordnet nicht alles immer griffen. Wieder 1. Mai, wieder Berlin: Einer Journalistin nur die EU-Kommission. Darum stehen sowohl der An- 19828 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Diether Dehm (A) trag der FDP als auch der der Grünen leider auf rechtlich mitgenommen werden. Ohne ihre Überzeugung ist der (C) nicht sehr festem Boden, Kampf für Demokratie nicht zu gewinnen. (Konstantin Kuhle [FDP]: Was?) (Beifall bei der LINKEN) wenn auch die Grundintention sehr überzeugend darge- Aber gekämpft werden darf niemals mit den Werten von legt ist und, Kollege Kuhle, von uns geteilt wird. Aber das rechts, sondern immer mit den Werten, die im Zentrum Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Rates be- dessen stehen, was die Französische Revolution und an- sagt nun einmal, dass die Kompetenzen hier sachlich- dere Revolutionen in Europa begründet haben: Sozial- spezifisch überschritten würden, wenn auf bestimmte staat, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie. Entwicklungen in Mitgliedstaaten mit Haushaltssanktio- Das zusammen gedacht sind die Werte, bei denen wir nen geantwortet würde. die Menschen mitnehmen und für die wir sie gewinnen können. Ich denke, wir sollten nicht dafür sorgen, dass die Arroganz von Orban und die Arroganz von Kaczynski, Danke schön. die ja nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Arroganz (Beifall bei der LINKEN) von EU-Eliten als Rechtsüberschreitungen anführen – da würde mit zweierlei Maß gemessen – und gegen zivili- sierte Werte vorgehen wollen, hier Vorschub geleistet be- Vizepräsidentin Petra Pau: kommen. Aus diesem Grund sind wir bei dem Antrag der Das Wort hat Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU- Grünen sehr skeptisch. Bei dem Antrag der FDP ist sym- Fraktion. pathisch, dass in ihm der Beitritt zur Menschenrechtskon- (Beifall bei der CDU/CSU) vention gefordert wird. Deswegen enthalten wir uns hier. Aber ich will noch mal ganz deutlich sagen: Wir müs- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): sen höllisch aufpassen, dass wir nicht das bedienen, was Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und die Rechten in Europa wollen. Sie kämpfen längst nicht Herren! Der Europatag, den wir vor Kurzem begangen mehr gegen Europa. Sie kämpfen um Europa, und zwar haben, verweist auf zwei historische Ereignisse: auf den für ihre rechten Werte. Eine Rechtsverschiebung der Wer- 9. Mai 1950 mit der Schuman-Erklärung, der Initialzün- te, das ist das, was von rechts, von Orban, von AfD und dung für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und von Kaczynski, gewollt wird. Stahl. Aber er verweist auch auf den 5. Mai 1950 und damit auf die Proklamierung der Europäischen Men- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. schenrechtskonvention und auf die Gründung des Euro- (B) Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) parats. (D) Was die AfD damit meint, hat sie an diesem Pult hin- (Beifall bei der LINKEN) länglich oft gesagt: Verständnis für Steuerhinterzieher. Insofern muss man sagen, dass beide Ereignisse zu den (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Gründungspfeilern Europas gehören: zum einen die wirt- schaftliche Integration, die Überwindung von Handels- – Ja, natürlich. und Zollhemmnissen, zum anderen aber von Anfang an, (Zurufe von der AfD) jedoch in einer anderen Organisation, die Geltung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Hier hat doch im Dezember 2017 ihr Kollege gestanden Das lehrt uns heute, dass Europa nur mit diesen beiden und gesagt, er habe Verständnis für die armen Superrei- Pfeilern gesehen werden kann. chen, die – das ging aus den Panama-Papieren hervor – ihr Geld in Briefkastenfirmen anlegen. – Das ist schäbig. Das bedeutet auch, dass für die Europäische Union, die Das hat doch mit europäischen Werten, mit Solidarität im Bereich der wirtschaftlichen Integration mittlerweile und Sozialstaat nichts zu tun. natürlich eine wesentlich höhere Bedeutung und mehr Integrationstiefe hat, die Frage der Rechtsstaatlichkeit, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- der Demokratie und der Menschenrechte eine ganz zent- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE rale Rolle spielen muss. Deswegen ist es richtig, dass wir GRÜNEN – Widerspruch bei der AfD) auf diese Umstände in den Europäischen Verträgen be- sonders hinweisen, die eine europäische Grundrechtsin- – Das ist hier so gesagt worden. itiative einfordern, verbunden mit der Aussage: Eine Eu- (Zuruf von der AfD) ropäische Union kann und darf ohne Rechtsstaatlichkeit nicht existieren. – Das zeige ich Ihnen sehr, sehr gerne, und ich zeige es vor allen Dingen auch den Medien. (Beifall des Abg. [SPD]) Sie haben hier für Steuerhinterziehung und gegen den Das bedeutet, dass wir alle Initiativen stärken müssen, Sozialstaat Stellung bezogen. Das sind ihre Werte. So dass wir die Rechtsstaatlichkeit nicht nur auf euro- wollen sie mit den Menschen umgehen. päischer Ebene, sondern auch auf der Ebene der Mit- gliedstaaten stärken und unterstreichen müssen. Eine Was wir wollen, ist, dass in Europa beim Streiten um Europäische Union, die auf europäischer Ebene Rechts- demokratische Werte Gewerkschaften, die sogenannten staatlichkeit einfordert, aber nicht gewillt ist, sie auch auf kleinen Leute, prekär Beschäftigte, in Insolvenz Geratene mitgliedstaatlicher Ebene einzufordern, versagt bei die- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19829

Dr. Volker Ullrich (A) sem wichtigen Punkt. Deswegen sind Rechtsstaatlichkeit Denn das ist es, was die Gründungsväter von Europa (C) in den Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene un- wollten: einen Raum von Frieden, Freiheit, aber auch trennbar miteinander verbunden. des Rechts. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Da haben wir Sorgenfalten: In einigen europäischen (Beifall bei der CDU/CSU) Staaten sind autoritäre Tendenzen auf dem Vormarsch – nicht mit einem großen Knall oder mit lauter Musik, Vizepräsidentin Petra Pau: sondern schleichend: durch eine Änderung des Justizsys- tems, durch Änderungen beim Wahlrecht, durch Ände- Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer für die SPD- rungen der Medienverfassung auf nationalstaatlicher Fraktion. Ebene. Da müssen wir deutlich sagen und auch deutlich (Beifall bei der SPD) machen, dass sich jeder, der Mitglied der Europäischen Union ist, an diesen Grundkonsens von Demokratie, Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zu halten hat. Das steht nicht zur nationalen Disposition, sondern das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sind europäische Werte, die von uns stets eingefordert Wir stehen vor der deutschen Ratspräsidentschaft. Es ist werden können. richtig, dass FDP und Bündnis 90/Die Grünen hier An- träge vorlegen. Ich appelliere auch an unsere Bundesre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gierung, Essentials davon in ihr Programm und in die SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Diskussion darüber aufzunehmen. Ich tue das vor allen GRÜNEN) Dingen, weil ich mich daran erinnere, dass bei der deut- schen Ratspräsidentschaft 1999 durch Gerhard Schröder Dafür brauchen wir eine klare europäische Antwort. und Joschka Fischer mit der Grundrechtecharta eine zent- Im EU-Vertrag ist das sogenannte Artikel-7-Verfahren rale Grundrechteinitiative erfolgreich ergriffen worden angelegt, mit dem das Stimmrecht im Rat bei groben ist. Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit entzogen werden kann. Aber das muss einstimmig passieren; das ist eine (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Alles-oder-nichts-Entscheidung. Das macht dieses In- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) strumentarium in der Praxis so schwerfällig. Deswegen Damals hat Rot-Grün einen prominenten CDU-Politi- brauchen wir weitere Instrumente, weitere Methoden der ker, den ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten, das Achtsamkeit, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf ehemalige Staatsoberhaupt Roman Herzog, als deutschen (B) europäischer Ebene einzufordern. Vertreter in diesen Konvent geschickt. Auf dieser Basis (D) sollten wir in diesem Parlament die Diskussion zwischen Es ist sicherlich nicht unanständig, dass bei der Frage Union, Grünen, FDP, Linken und SPD führen und zu der Verteilung europäischer Mittel der Respekt vor einem gemeinsamen Ergebnis nach unserem europä- rechtsstaatlichen Normen und der demokratischen Ver- ischen Verständnis kommen, nämlich dass die europä- fasstheit auf alle Fälle Berücksichtigung finden muss. ische Einigung eine zentrale Aufgabe deutschen Anlie- Deswegen ist unsere Forderung, dass die Koppelung gens ist. von europäischen Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatli- cher Standards im kommenden mehrjährigen Finanzrah- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men wesentlich deutlicher zum Ausdruck kommen muss. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch deshalb wird es wichtig sein, dass in dieser Rats- präsidentschaft die Konferenz zur Zukunft Europas vo- Wir wollen auch, dass es eine stärkere Beobachtung der rangebracht wird. Da werden wir viele Kolleginnen und Frage der Rechtsstaatlichkeit gibt. Kollegen aus anderen Ländern, von der Kommission und Hier komme ich wieder zum Anfang zurück, nämlich vom Rat, treffen und genau dieses Thema, dass wir eine zur Verzahnung von Europäischer Union und Europarat. Werte- und Rechtsgemeinschaft sind, voranbringen. Die Venedig-Kommission des Europarats ist eine hoch- Wir tun das aber immer auch auf einem Hintergrund, anerkannte Kommission, die die Frage der Rechtsstaat- und wir tun es aktuell bezogen auf eine Debatte. In diese lichkeit klar und deutlich beurteilen kann. Lassen Sie uns Debatte sollte und muss sich der Bundestag einmischen. doch in dem Zusammenhang die Rolle der Venedig- Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Kommission stärken. 5. Mai – ausgerechnet am Gründungstag des Europara- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der tes – hat deutlich gemacht, dass eine Diskussion notwen- AfD und der LINKEN) dig ist, weil es Unterschiede gibt. Der Deutsche Bundes- tag ist in seiner großen Mehrheit für Europa: Ja zu Machen wir alles, dass die Europäische Union, wie es Europa! – Deshalb gehen wir weiter. auch in den Verträgen angelegt ist, der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarats beitritt, so- Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner großen dass sich insgesamt in Europa sowohl im Raum der Eu- Mehrheit der Auffassung: Ja zu Europa; aber wir haben ropäischen Union als auch im Raum des Europarats Einwände. – Ich sage das nicht allein aufgrund meiner grundlegende Regeln von Demokratie, Menschenrechten Interpretation dieses Urteils. Ich war seit 2002 bei sechs und Rechtsstaatlichkeit abbilden und wir sie einhalten. Verfahren in Karlsruhe. Ich habe die Diskussionen und 19830 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Axel Schäfer (Bochum) (A) die Entscheidungen, die da getroffen worden sind, alle lassen wollen. Aber natürlich müssen wir auch innerhalb (C) miterlebt. Ich sage Ihnen hier ganz offen: Zwei Entschei- Europas unsere Debatten auf der Grundlage wichtiger dungen gegen europäische Institutionen haben mich sehr Grundwerte führen. geschmerzt, und deshalb müssen wir sie diskutieren. Die Meine Damen und Herren, wenn man es sich auch eine war gegen das Europäische Parlament und die ande- geschichtlich anschaut, sieht man, dass die Europäische re gegen die Europäische Zentralbank und den Europä- Union und ein geeintes Europa eine einzigartige Erfolgs- ischen Gerichtshof. Die Haltung des Bundestages ist aus geschichte sind: Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Tole- meiner Sicht: Europa – ja. – Eine konkrete Schlussfolge- ranz, die Menschenwürde in den Mittelpunkt zu rücken, rung daraus sollte sein: Deshalb sind ein Europäisches Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, diese Werte haben über Parlament, ein untadeliger Europäischer Gerichtshof Kommunismus und Nationssozialismus triumphiert und und eine unabhängige Europäische Zentralbank unab- dafür gesorgt, dass wir in Freiheit leben können und über- dingbar. all in Europa mehr oder weniger Staaten haben, die in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wohlstand leben können und prosperierende Perspekti- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Graf ven haben. Lambsdorff [FDP]) Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir diese euro- Dass wir als Deutsche ganz praktische Erfahrungen päischen Grundwerte weiter stärken. Hätten wir uns hier damit gemacht haben, daran muss man erinnern. Es hätte vor 10, 15 Jahren in einer Debatte getroffen, dann hätten diese Geschwindigkeit in der deutschen Einheit, in der wir wahrscheinlich alle gesagt: Wir müssen diese europä- Wiedervereinigung innerhalb der EU niemals gegeben, ischen Grundwerte vor allem nach außen verteidigen, ge- wenn das Europäische Parlament nicht außergewöhnlich gen autoritäre oder diktatorische Staaten wie China, wie gearbeitet hätte, um das Ganze zügig und nicht in einem Russland oder vielleicht andere Staaten in dieser Welt. langjährigen Beitrittsverfahren durchzuführen. Aber das Ganze hat sich mittlerweile geändert. Es ist (Lachen bei Abgeordneten der AfD) nach wie vor wichtig, dass wir unsere Werte nach außen verteidigen, vielleicht wichtiger denn je. Aber eines ha- Ohne einen starken Rechtsrahmen hätten wir es niemals ben viele Debatten – sogar hier im Deutschen Bundestag – geschafft, diese Gemeinschaft zusammenzuhalten. Vor deutlich gemacht: Wir müssen unsere europäischen allen Dingen: Wir hätten diese Währung niemals ohne Grundwerte auch nach innen verteidigen. Das kann man eine Europäische Zentralbank erhalten. „Whatever it ta- hier an einigen Debatten sehen. Wir haben Vertreter der kes“; Sie können sich an die Krise erinnern. Linkspartei, die mit dem Diktator in Venezuela flirten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und diesen auch noch unterstützen wollen und das auf (B) CDU/CSU) ihren Parteitagen auch offen zeigen. (D) Es wird für uns darauf ankommen, noch mal deutlich (Jan Korte [DIE LINKE]: Das sagt ausgerech- zu machen: Es gilt nicht, was Tucholsky gesagt hat: „Die net ein CDUler! Sie haben sich mit so vielen Nation ist das achte Sakrament -! Gott segne diesen Kon- Diktatoren getroffen; das kann man gar nicht tinent.“ Nein, es gilt unser Grundgesetz, was bedeutet, mehr zählen! – Weiterer Zuruf von der LIN- dass wir Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten KEN: Mit Orban seid ihr doch in einer Partei!) Europa dem Frieden der Welt dienen wollen. So sollten Wir haben Vertreter der AfD, die die russischen Völker- wir es halten. rechtsbrüche gutheißen und die sich teilweise mit Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tretern Assads treffen. All das kann niemand tolerieren, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der eine Politik basierend auf europäischen Grundwerten CDU/CSU) möchte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Vizepräsidentin Petra Pau: Korte [DIE LINKE]: Mit dem Scheißapart- Das Wort hat Dr. Christoph Ploß für die CDU/CSU- heidregime haben Sie paktiert! So sieht es doch Fraktion. aus! Pinochet und andere, alles Ihre Kumpel gewesen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, deswegen wird es so wichtig Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU): sein, dass auch vom Deutschen Bundestag Initiativen er- griffen werden. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dieser Debatte, aber auch bei vielen anderen europa- Aber wenn man sich in Europa umschaut, sieht man, politischen Debatten hier im Deutschen Bundestag ist dass es da teilweise noch viel gravierender ist. Vor allem eines ganz deutlich geworden, nämlich dass wir bei den auf Polen und Ungarn wurde in dieser Debatte verwiesen. großen Themen noch stärker auf europäischer Ebene zu- Da wird teilweise die Gerichtsbarkeit ausgehöhlt, und sammenarbeiten und kooperieren müssen. Da kann man demokratische Grundsätze scheinen nicht mehr zu gelten. zum Beispiel die Klimaschutzpolitik, die Außen- und In Ungarn wird das Parlament faktisch entmachtet. All Sicherheitspolitik und die Entwicklungspolitik nennen. das können wir nicht hinnehmen, wenn wir in Zukunft ein Wir haben europäische Grundwerte, mit denen wir uns starkes Europa haben wollen, und vor allem nicht, wenn auch in weltpolitisch relevante Debatten einbringen müs- wir unsere europäischen Werte – Demokratie, Rechts- sen, wenn wir das Ganze nicht autoritären Regimen über- staatlichkeit, soziale Marktwirtschaft – auch in andere Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19831

Dr. Christoph Ploß (A) Teile der Welt exportieren wollen. Meine Damen und firmen, die nun mal identisch mit der Steuerhinterziehung (C) Herren, deswegen bin ich den Kollegen von FDP und sind, sagte Herr Holm – ich zitiere –: „Hier liegt das Grünen auch durchaus dankbar dafür, dass sie mit ihren Problem“, – nämlich in der zu hohen Steuerbelastung Initiativen das Thema hier auf die Tagesordnung gesetzt für Superreiche in Deutschland – „und nicht woanders“. haben. (Leif-Erik Holm [AfD]: Das steht da garantiert Einige Punkte, die Sie benennen, sind auch richtig. Sie nicht drin! – Gegenruf der Abg. werden uns als CDU/CSU-Fraktion immer an Ihrer Seite [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im haben, wenn es um den Einsatz für Pressefreiheit, für Protokoll! Da können Sie das nachlesen!) Meinungsfreiheit, für Toleranz usw. geht. Aber wir wer- den am Ende Ungarn, Polen oder andere Staaten, die Ich zitiere weiter: „Wir brauchen … Paradise Papers auch demokratische Prinzipien aushöhlen wollen, nicht dazu für Otto Normalbürger und Otto Normalunternehmer …“ bringen, wenn wir darauf setzen, zum Beispiel die Ver- Daraufhin gibt es den Zwischenruf von Herrn träge zu ändern oder Einstimmigkeit festzuschreiben, wie Zimmermann von der SPD „Wir können nicht alle in Sie das in Ihren Anträgen teilweise vorschlagen; die Schweiz ziehen!“ und den Zwischenruf von Herrn Hofreiter: Die kleinen Leute hinterziehen keine Steuern. – (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Schmeißt doch Dem schließe ich mich an. Deswegen habe ich Ihnen das endlich Viktor Orban raus!) gesagt, und davon kommen Sie nicht los. denn diese Staaten werden dem – das liegt ja fast in der (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Natur der Sache – nicht zustimmen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sage ich: Das Ganze mag schön und gut klingen, wenn zum Beispiel die Grünen vorschlagen, Vizepräsidentin Petra Pau: NGOs und internationale Organisationen zu stärken und Nach unserer Geschäftsordnung gibt es jetzt nicht die darüber auch die Pressefreiheit zu fördern, aber da stellt Möglichkeit zur Erwiderung. sich die Frage: Nach welchen Kriterien sollen diese inter- nationalen Organisationen denn unterstützt werden? All (Zurufe der AfD) das ist vage und offen und kann schnell missbraucht wer- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- den. fehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Deshalb ist folgender Ansatz viel besser: Nachdem der Europäischen Union auf Drucksache 19/9741. mehrjährige Finanzrahmen verabschiedet worden ist – Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- (B) hoffentlich so schnell wie möglich – und der EU-Haus- (D) halt steht, ist die Vergabe der Mittel an rechtsstaatliche schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Kriterien zu knüpfen und die entsprechende Überprüfung tion der FDP auf Drucksache 19/7423 mit dem Titel „Für ist über das Mehrheitsprinzip, zum Beispiel im Rat, zu eine europäische Grundwerteinitiative“. Wer stimmt für ermöglichen. Dafür brauchen wir nicht die Einstimmig- diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions- keit. Das ist ein Ansatz, der im besten Sinne des Wortes fraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Druck auf Länder wie Polen und Ungarn ausübt. Diesen Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktionen Weg sollten wir gehen. Diesen Weg haben auch schon Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschluss- viele Vertreter der CDU/CSU vorgeschlagen. Das werden empfehlung ist angenommen. wir im Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft noch Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- weiter forcieren; denn die Europäische Union ist als nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Rechtsgemeinschaft gegründet worden – das soll sie auch auf Drucksache 19/7436 mit dem Titel „Für wehrhafte bleiben – und nicht als Selbstbedienungsladen. Demokratien in Europa – Rechtsstaatlichkeit und Grund- Herzlichen Dank. rechte in den Mitgliedsländern der EU stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koali- (Beifall bei der CDU/CSU) tionsfraktionen, die AfD-Fraktion (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Petra Pau: NEN]: Frau Präsidentin, können Sie mal die Ich schließe die Aussprache und erteile dem Abgeord- Coronaansammlung dahinten auflösen?) neten Dr. Diether Dehm das Wort zur Erklärung zur Aus- sprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung. und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Die Be- schlussempfehlung ist angenommen. Ja, meine Damen und Herren, zu meiner Rede eben kam aus den Reihen der AfD der Zuruf „Lügner“, als So, ich bitte, die entsprechende Ordnung hier im Saal ich gesagt habe, dass die AfD der Steuerhinterziehung herzustellen und die Abstandsregeln in den hinteren Rei- das Wort redet. Ich bezog mich in meiner Aussage auf hen der AfD-Fraktion die Diskussion am 13. Dezember 2017 und auf die Rede von Leif-Erik Holm, AfD, und zitiere aus dem Protokoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Nachdem unsere Fraktion eine scharfe Kritik an den Pa- SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ radise Papers eingebracht hatte, also an den Briefkasten- DIE GRÜNEN) 19832 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) wie auch hinter der Unionsfraktion einzuhalten. Es gibt Ich komme nun zurück zum Tagesordnungspunkt 8 a. (C) übrigens keinen Grund, in Bereitschaft zur namentlichen Ich gebe Ihnen zuerst das von den Schriftführerinnen und Abstimmung hier im Plenarsaal zu stehen; denn wir wer- Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen den, wie wir das in den letzten Wochen schon gehandhabt Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion haben, die folgenden namentlichen Abstimmungen au- Bündnis 90/Die Grünen zu dem von den Fraktionen der ßerhalb des Plenarsaals vornehmen. Ich bitte also noch- CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Zwei- mals, die entsprechenden Regeln einzuhalten. Gespräche, ten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epi- wenn sie denn notwendig sind, kann man außerhalb des demischen Lage von nationaler Tragweite bekannt: abge- Plenarsaals mit dem notwendigen Abstand führen; damit gebene Stimmkarten 646. Mit Ja stimmten 189 muss man unsere Verhandlungen hier nicht stören. Abgeordnete, mit Nein 387, es gab 70 Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.1) Wir kommen zum Zusatzpunkt 4. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/19129 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- gen. 1) Anlage 2 sowie 162. Sitzung, Anlage 2, Seite 20211 D

Endgültiges Ergebnis Katja Kipping Abgegebene Stimmen: 646; Dr. Jan Korte davon Bettina Stark-Watzinger ja: 194 Dr. Caren Lay nein: 383 Manuel Höferlin enthalten: 69 Dr. Christoph Hoffmann Michael Theurer Ralph Lenkert Stephan Thomae Ja Manfred Todtenhausen CDU/CSU Dr. Florian Toncar Dr. Gesine Lötzsch Tankred Schipanski Dr. Andrew Ullmann Dr. Christian Jung (B) (D) SPD Sandra Weeser Amira Mohamed Ali Dr. Cornelia Möhring (Wetzlar) Katharina Willkomm Niema Movassat Pascal Kober Norbert Müller (Potsdam) FDP Dr. Lukas Köhler DIE LINKE Zaklin Nastic Grigorios Aggelidis Dr. Alexander S. Neu Gökay Akbulut Konstantin Kuhle Petra Pau Christine Aschenberg- Simone Barrientos Dugnus Sören Pellmann Dr. Dietmar Bartsch Nicole Bauer Ulrich Lechte Lorenz Gösta Beutin Tobias Pflüger Matthias W. Birkwald Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Till Mansmann Bernd Riexinger Mario Brandenburg Dr. Jürgen Martens (Südpfalz) Dr. Birke Bull-Bischoff Eva-Maria Schreiber Sandra Bubendorfer-Licht Jörg Cezanne Dr. Petra Sitte Alexander Müller Dr. Marco Buschmann Sevim Dağdelen Roman Müller-Böhm Helin Carl-Julius Cronenberg Fabio De Masi Frank Müller-Rosentritt Britta Katharina Dassler Dr. Diether Dehm Dr. Friedrich Straetmanns Bijan Djir-Sarai (Lausitz) Dr. Christian Dürr Susanne Ferschl Matthias Nölke Hartmut Ebbing Brigitte Freihold Alexander Ulrich Dr. Kathrin Vogler Daniel Föst Dr. h. c. Thomas Dr. André Hahn Otto Fricke Sattelberger Matthias Höhn Andreas Wagner Thomas Hacker Christian Sauter Andrej Hunko Harald Weinberg Frank Schäffler Dr. Wieland Schinnenburg Sabine Zimmermann Katrin Helling-Plahr Matthias Seestern-Pauly Dr. (Zwickau) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19833

(A) BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Strengmann- Ingo Gädechens (C) DIE GRÜNEN Kuhn Dr. Ulrich Lange Margit Stumpp Dr. Jürgen Trittin Annalena Baerbock Dr. Julia Verlinden Ursula Groden-Kranich Dr. Katja Leikert Daniela Wagner Dr. Hermann Gröhe Dr. Andreas Lenz Beate Walter-Rosenheimer Canan Bayram Klaus-Dieter Gröhler Dr. Franziska Brantner Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Dr. Nein Dr. Markus Grübel Ekin Deligöz CDU/CSU Nikolas Löbel Katja Dörner Dr. Monika Grütters Katharina Dröge Dr. Jan-Marco Luczak Fritz Güntzler Harald Ebner Norbert Maria Altenkamp Matthias Gastel Dr. Kai Gehring Philipp Amthor Karin Maag Yvonne Magwas Jürgen Hardt Katrin Göring-Eckardt Peter Aumer Dr. Thomas de Maizière Erhard Grundl Dorothee Bär Britta Haßelmann Thomas Bareiß Dr. Dr. Matthias Heider Dr. Bettina Hoffmann Dr. Anton Hofreiter Maik Beermann Hans-Georg von der Marwitz (Börde) Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Kirsten Kappert- Veronika Bellmann (Altötting) Gonther Dr. André Berghegger Dr. Ansgar Heveling Katja Keul Dr. (B) Sven-Christian Kindler (D) Dr. Heribert Hirte Maria Klein-Schmeink Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Alexander Hoffmann Michelbach Sylvia Kotting-Uhl Dr. Mathias Middelberg Peter Bleser Stephan Kühn (Dresden) Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Christian Kühn (Tübingen) Dr. Elisabeth Motschmann Renate Künast Axel Müller Markus Kurth Ingmar Jung Dr. Gerd Müller Alois Karl Sepp Müller Sven Lehmann Carsten Müller Dr. Steffi Lemke Torbjörn Kartes (Braunschweig) Gitta Connemann Dr. Dr. Dr. Dr. Stefan Kaufmann Claudia Müller Michaela Noll Beate Müller-Gemmeke Roderich Kiesewetter Dr. Georg Nüßlein Marie-Luise Dött Dr. Ingrid Nestle Michael Kießling Hansjörg Durz Dr. Konstantin von Notz Dr. Florian Oßner Thomas Erndl Omid Nouripour Hermann Färber Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Jens Koeppen Ingrid Pahlmann Axel E. Fischer (Karlsruhe- Filiz Polat Land) Carsten Körber Tabea Rößner Dr. Alexander Krauß Dr. Claudia Roth (Augsburg) Thorsten Frei Gunther Krichbaum Stephan Pilsinger Dr. Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Günter Krings Dr. Christoph Ploß Manuel Sarrazin (Hof) Rüdiger Kruse Eckhard Pols Michael Frieser Stefan Schmidt Hans-Joachim Fuchtel Andreas G. Lämmel 19834 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Rita Hagl-Kehl (Minden) (C) Alois Rainer Metin Hakverdi Dr. Dr. Eckhardt Rehberg Albert H. Weiler Martin Rabanus Marcus Weinberg Hubertus Heil (Peine) (Hamburg) Sönke Rix Johannes Röring Peter Weiß (Emmendingen) Dennis Rohde Dr. Norbert Röttgen Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Dr. Barbara Hendricks René Röspel Erwin Rüddel Kai Whittaker Dr. Annette Widmann-Mauz Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Dr. Wolfgang Schäuble Bettina Margarethe Susann Rüthrich Wiesmann Bernd Rützel Klaus-Peter Willsch Christian Schmidt (Fürth) Josip Juratovic Elisabeth Winkelmeier- Dr. Becker Johann Saathoff Nadine Schön Axel Schäfer (Bochum) Dr. Dr. Klaus-Peter Schulze Gabriele Katzmarek Marianne Schieder Dr. Matthias Zimmer (Weil am Dr. Rhein) SPD Dr. Bärbel Kofler (Aachen) Niels Annen Daniela Kolbe Carsten Schneider (Erfurt) Ingrid Arndt-Brauer Johannes Schraps Bela Bach Christian Lange (Backnang) Dr. Dr. Ursula Schulte Bernd Siebert Ulrike Bahr Sylvia Lehmann (Spandau) Björn Simon (B) Doris Barnett Kirsten Lühmann Frank Schwabe (D) Tino Sorge Dr. Heiko Maas Stefan Schwartze Jens Spahn Sören Bartol Isabel Mackensen Bärbel Bas Rita Schwarzelühr-Sutter Lothar Binding Dorothee Martin Dr. (Heidelberg) Dr. Eberhard Brecht Martina Stamm-Fibich Leni Breymaier Sonja Amalie Steffen Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Mathias Stein Christian Frhr. von Stetten Dr. Lars Castellucci Claudia Tausend Bernhard Daldrup Gero Storjohann Dr. Markus Töns Stephan Stracke Esther Dilcher Siemtje Möller Carsten Träger Sabine Dittmar Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Michelle Müntefering Marja-Liisa Völlers Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Dr. Ulli Nissen Dr. Dr. Bernd Westphal Mahmut Özdemir Gülistan Yüksel Dr. Volker Ullrich (Duisburg) Dagmar Ziegler Angelika Glöckner Aydan Özoğuz Dr. Jens Zimmermann (Kleinsaara) Kerstin Griese Christian Petry Michael Groß Uli Grötsch AfD Dr. Johann David Wadephul Marcus Bühl Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19835

(A) Siegbert Droese Jürgen Braun Martin Hohmann (C) Peter Felser Matthias Büttner Dr. Bruno Hollnagel Frank Pasemann Dr. Götz Frömming Petr Bystron Leif-Erik Holm Paul Viktor Podolay Fabian Jacobi Joana Cotar Martin Erwin Renner Armin-Paulus Hampel Dr. Roman Johannes Reusch Udo Theodor Hemmelgarn Thomas Ehrhorn Norbert Kleinwächter Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Lothar Maier Berengar Elsner von Enrico Komning Dr. Robby Schlund Tobias Matthias Peterka Gronow Jörn König Jörg Schneider Dr. Michael Espendiller Martin Reichardt Steffen Kotré Uwe Schulz Dr. Rainer Kraft Thomas Seitz Dr. Anton Friesen FDP Rüdiger Lucassen Martin Sichert Karlheinz Busen Jens Maier Detlev Spangenberg Dr. Alexander Graf Lambsdorff Dr. Birgit Malsack- René Springer Dr. Winkemann Dr. Albrecht Glaser Corinna Miazga Enthalten Dr. Mariana Iris Harder-Kühnel Andreas Mrosek Wolfgang Wiehle AfD Dr. Hansjörg Müller Dr. Dr. Volker Münz Marc Bernhard Sebastian Münzenmaier Andreas Bleck Fraktionslos Peter Boehringer Jan Ralf Nolte Stephan Brandner Nicole Höchst

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

(B) Damit kommen wir zur zweiten Beratung des von den Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, (D) Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist der Fall. setzentwurfs zum Schutz der Bevölkerung bei einer epi- Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Die Abstim- demischen Lage von nationaler Tragweite auf Drucksa- mungsurnen werden um 12.49 Uhr geschlossen. Das be- che 19/18967. vorstehende Ende der namentlichen Abstimmung wird Ihnen nachher rechtzeitig bekannt gegeben.2) Es liegen mir zahlreiche Erklärungen zur Abstim- mung vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie- sie zu Protokoll.1) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/19224. Wer stimmt für diesen Entschlie- Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be- ßungsantrag? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- schlussempfehlung auf Drucksache 19/19216, den Ge- nen. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Wer enthält sich? – Die Fraktion der AfD, die FDP-Frak- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- tion und die Fraktion Die Linke. Der Entschließungsan- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – trag ist abgelehnt. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dage- gen? – Die Fraktionen der AfD, der FDP und die Fraktion Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie den Zusatz- Die Linke. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/ punkt 13 auf: Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- 11 Beratung des Antrags des Bundesministeriums tung angenommen. der Finanzen Dritte Beratung Bereitstellung des ESM-Instruments ECCL und Schlussabstimmung. Die Fraktion der AfD hat na- Pandemic Crisis Support (PCSI) mentliche Abstimmung verlangt. Für die Stimmabgabe in hier: Einholung eines zustimmenden Be- der Westlobby haben Sie nach Eröffnung der Abstim- schlusses des Deutschen Bundestages nach mung 40 Minuten Zeit. Bitte denken Sie daran, dass wir § 4 Abs. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESM- unmittelbar nach Eröffnung der namentlichen Abstim- FinG) mung über den Entschließungsantrag abstimmen werden. Bleiben Sie also bitte noch einen Moment hier im Saal. Drucksache 19/19110

1) Anlage 3 2) Ergebnis Seite 19868 D 19836 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten und Arbeitnehmer in Betrieben in diesem Lande schlecht (C) Dr. Bruno Hollnagel, Peter Boehringer, Marc behandelt werden, dann hat das unmittelbar Auswirkung Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Frak- auf uns alle, auf die Möglichkeit, in bestimmten Land- tion der AfD kreisen das Leben wieder normal zu praktizieren. Des- halb ist das die letzte Mahnung an all diejenigen, die das Abwicklung der Europäischen Finanzstabili- nicht wissen wollen: Wir haben eine gemeinsame Verant- sierungsfazilität und des Europäischen Stabi- wortung, und wir müssen zusammenstehen. Das ist die litätsmechanismus Botschaft dieser Krise. hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges nach § 8 des Gesetzes über die Zusammen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arbeit von Bundesregierung und Deutschem der CDU/CSU) Bundestag in Angelegenheiten der Europä- Das gilt natürlich auch für Europa. Wir sind als global ischen Union vernetzte Volkswirtschaft, als Volkswirtschaft, die sehr Drucksache 19/19153 davon profitiert, dass Europa stark ist, unmittelbar darauf angewiesen, dass wir die Dinge, die jetzt zu tun sind, Über den Antrag des Bundesministeriums der Finan- nicht nur in diesem Lande auf den Weg bringen, sondern zen werden wir später namentlich abstimmen. Zur Bera- dass das überall in Europa gleichermaßen geschehen tung dieses Antrages liegt ein Entschließungsantrag der kann und dass überall die Möglichkeit besteht, das Rich- Fraktion der FDP vor. tige, das Notwendige zu tun, um die Gesundheit der Bür- gerinnen und Bürger zu schützen, aber eben auch, um die Ich weise wieder darauf hin, dass die Stimmabgabe Wirtschaft zu stabilisieren und, wenn es so weit ist, auch nach Eröffnung der namentlichen Abstimmung für eine wieder anzukurbeln. halbe Stunde in der Westlobby möglich sein wird. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Die Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich – das wis- beschlossen. sen wir alle –, und sie sind nicht nur deshalb unterschied- lich, weil die Stände der Staatsverschuldung in all den Sobald die notwendige Aufmerksamkeit hergestellt Ländern sehr verschieden sind. Deutschland hat es in ist – dazu bitte ich nochmals, notwendige Absprachen den letzten Jahren geschafft, seine Verschuldung auf un- und Gespräche nach außerhalb des Plenarsaals zu ver- ter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu reduzieren. legen; diese Ansprache gilt ausdrücklich der AfD-Frak- Deshalb sind wir jetzt in der Lage, all das zu finanzieren, tion –, was wir auf den Weg gebracht haben, und wir werden (B) sehen, dass auch unsere Schulden steigen: mindestens (D) (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Herr auf 75 Prozent der Wirtschaftsleistung, wahrscheinlich Brandner! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE etwas mehr. Aber das ist eine ganz andere Herausforde- GRÜNEN]: Könnt ihr das nicht einfach drau- rung, wenn der Sockel über 100 Prozent liegt. Deshalb ist ßen machen? – Weiterer Zuruf vom BÜND- es für uns notwendig, dass wir hier europäische Solidari- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die gehen einfach tät praktizieren und auf den Weg bringen. Genau das ist nicht raus! – Metin Hakverdi [SPD]: Wir war- das, worum ich Sie heute bitte und worüber der Bundes- ten auf euch! Raus! – Gegenruf der Abg. tag beraten muss. Kersten Steinke [DIE LINKE]: Nein, wir war- ten nicht auf die!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eröffne ich die Aussprache und erteile dem Bundesminis- der CDU/CSU) ter Olaf Scholz das Wort. Die europäischen Finanzminister haben in der Euro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gruppe und all den anderen Strukturen einen Vorschlag der CDU/CSU) gemacht für ein über 500 Milliarden Euro umfassendes Paket, das dazu beitragen soll, dass überall in Europa das Notwendige geschehen kann. Es hat drei Elemente, die Olaf Scholz, Bundesminister der Finanzen: jetzt alle Stück für Stück auf den Weg gebracht werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir er- leben heute alle die Auswirkung der großen Pandemie, Das erste Element ist die Stärkung der Möglichkeiten die weltweit mit dem Coronavirus verbunden ist. Was wir der Europäischen Investitionsbank. Sie soll bis zu bei dieser Gelegenheit immer wieder neu verstehen: Wir 200 Milliarden Euro an kleine und mittlere Unternehmen hängen als Menschen dieses Planeten alle voneinander überall in Europa direkt vergeben können. Das ist eine ab. Niemand kann das als eine Angelegenheit begreifen, wichtige Unterstützung, und es ist – auch das soll hier die nur auf nationaler Ebene gelöst werden kann. Wir sind gesagt werden – etwas ganz Besonderes; denn diese Kre- eine Menschheit, und deshalb müssen wir auch eine ge- dite belasten die Staatsfinanzierung der Länder, in denen meinsame globale Strategie in dieser Frage entwickeln. das für Unternehmen konkret wirksam wird, überhaupt nicht. Das ist etwas, was wir als gemeinsamen Akt der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Solidarität zustande bringen wollen. Ich will an dieser der CDU/CSU und der FDP) Stelle nur sagen: Aus meiner Sicht geht es wirklich um Für diejenigen, die so etwas nicht glauben, sind ja die kleine und mittlere Unternehmen, und das sollte auch die jüngsten Ereignisse – auch in Deutschland – ein ganz Perspektive sein, wenn wir uns da schließlich geeinigt sichtbares Zeichen. Wenn jetzt einige Arbeitnehmerinnen haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19837

Bundesminister Olaf Scholz (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Den halte ich auch für notwendig. Neben die ersten (C) der CDU/CSU) 500 Milliarden Euro muss eine weitere Maßnahme treten, die in der Lage ist – etwa genauso wie das mit diesen Das Zweite ist das Programm SURE. Wir sorgen also 500 Milliarden Euro der Fall ist –, dafür Sorge zu tragen, dafür, dass überall in Europa so etwas gemacht werden dass jetzt, in diesem Jahr, im nächsten und im übernächs- kann wie das, was wir in Deutschland tun mit unserer ten Jahr die notwendigen Aktivitäten überall in Europa Arbeitslosenversicherung und dem Kurzarbeitergeld, unternommen werden können. Und ganz klar: Da geht es das sie für die Betriebe und zugunsten der Arbeitnehme- nicht nur um Kreditprogramme. Es muss auch möglich rinnen und Arbeitnehmer finanziert. Das gibt es anders- sein, dass die Staaten in der Lage sind, ihre Aufgaben wo nicht. Einige Länder werden auch nicht in der Lage tatsächlich zu finanzieren. Es geht natürlich nicht um sein, das jetzt schnell zu konstruieren und zu finanzieren. Budgetfinanzierung, sondern um die Frage: Wie kriegt Damit das gelingt, hat die Europäische Union einen Vor- man das eigentlich hin, dass ganz konkrete, identifizier- schlag gemacht, solche Programme der Kurzarbeitergeld- bare Aufwendungen, die etwas mit Recovery, mit Wie- finanzierung zu etablieren. Ich hoffe, dass noch diese deraufbau, in Europa zu tun haben, davon auch bezahlt Woche die notwendigen Schlusseinigungen zustande werden können? Das zu formulieren und als einen Bei- kommen. Dann werden wir diesen Bundestag bitten, trag europäischer Solidarität auf den Weg zu bringen, das mit einem entsprechenden Gesetz das auch zu unterstüt- ist jetzt unsere Aufgabe. zen. Aber weil es uns als Bundesrepublik Deutschland, ver- (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD) treten durch diejenigen, die uns dort in Europa vertreten, in einem ersten Schritt gelungen ist, zu formulieren, wie Das Dritte ist das, worum es heute geht, nämlich das ein Konsens in Europa aussehen könnte, und nicht eine besondere Programm, das wir im Rahmen des Europä- der Parteien an der einen oder anderen Front zu sein, ischen Stabilitätsmechanismus auf den Weg bringen und muss es jetzt, sage ich, auch unser Ehrgeiz sein, einen mit dem wir sicherstellen wollen, dass die Staaten tat- solchen europäischen Recovery Fund zu konzipieren, sächlich in der Lage sind, die notwendigen Finan- der auf den Konsens aller sehr unterschiedlich aufgestell- zierungsaktivitäten zu entfalten. Bis zu 2 Prozent der ten Mitgliedstaaten Europas stößt und in der Lage ist, dort Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder sollen als Kre- zu helfen, wo das notwendig ist. Ich bin sehr zuversicht- ditlinie beim Europäischen Stabilitätsmechanismus in lich und hoffe dann, wenn wir damit zurückkommen, auf Anspruch genommen werden können. Es hat darüber im Ihre Zustimmung. Vorfeld eine sehr breite Debatte gegeben, und man hat gemerkt, wo die Bedenken bei einigen Ländern waren, Schönen Dank. die schon wussten, dass das gut und nützlich ist. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) Die Bedenken hatten etwas damit zu tun, dass man der CDU/CSU) Bilder von der letzten Schuldenkrise vor zehn Jahren in Erinnerung hatte, wo es um Troika ging und große Debat- Vizepräsidentin Petra Pau: ten über die Rentenpolitik, die Arbeitsmarktpolitik, die Das Wort hat der Abgeordnete Peter Boehringer für die Steuerpolitik, das Rechtssystem dieser Länder. Das ist AfD-Fraktion. jetzt, wo es um die Bekämpfung einer gesundheitlichen Krise geht, die uns als Menschheit insgesamt bedroht, (Beifall bei der AfD) vielleicht wirklich keine gute Idee. Peter Boehringer (AfD): Deshalb ist es richtig, dass wir einen anderen Weg Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! gehen und jetzt möglich machen, dass gewissermaßen Die Bundesregierung bringt heute schon wieder eine vorab geklärt ist, unter welchen Bedingungen solche Kre- neue Milliardenmaßnahme der EU in den Bundestag, ditlinien in Anspruch genommen werden, wie die Kredit- ein Pandemic-Crisis-Instrument über 240 Milliarden Eu- bedingungen sind, und – auch das steht schon fest – dass ro. Man hat es ja! Die deutsche Bonität gibt diese Kredite die Europäische Union für alle Länder der Euro-Zone für Euro-Südland noch immer her. Doch vieles wird dem klargestellt hat, dass sie in der Lage sein werden, ihre deutschen Steuerbürger bzw. -bürgen dabei wieder ein- Kredite auch wieder zu bedienen und zurückzuzahlen, mal nicht gesagt. dass sie also das bewerkstelligen können. Das alles ist schon der Fall, und deshalb sage ich mal vorher: Wenn Zunächst einmal zum Thema Solidität; der Minister das Programm dann etabliert werden kann, weil der Bun- hat es eben ja auch betont. Diese Solidität, die hier ex destag mir genehmigt, am morgigen Freitag die notwen- ante von allen südeuropäischen Staaten angenommen digen Entscheidungen im ESM zu treffen, dann wird es wird, ist ein politischer Befehl. Es ist ein Befehl! Minister so sein, dass das auch in Anspruch genommen wird. Scholz und die EU wissen heute schon mehr, als die Märkte zu diesen Ländern in drei Jahren wissen werden. Lassen Sie mich noch einen Ausblick wagen. Zu den Das ist schon eine Leistung, echte Hybris, ja. Aber gut. Dingen, die wir als Finanzminister in Europa diskutiert haben und die auch die Regierungschefs auf ihre Agenda Erstens. Kredite an wirtschaftlich angeblich noch soli- gesetzt haben, gehört auch noch, dass wir einen Recovery de Staaten widersprechen der Gründungsbehauptung des Fund in Europa auf den Weg bringen wollen. ESM, wonach die Staatengemeinschaft lediglich in Not- situationen einspringt. Zwar ist eine Notsituation für den (Zuruf von der AfD) Euro tatsächlich gegeben, und zwar permanent seit 2010; 19838 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Peter Boehringer (A) denn die Finanzkrise der Euro-Südzone war ja nie been- keine asymmetrischen Geldtransfers zulasten Deutsch- (C) det. Corona ist heute aber nur der Anlass, um ein weiteres lands begründen. Und trotz des nominal hohen Volumens, Transfervehikel für deutsches Geld einzuführen. des riesigen Volumens von ECCL wäre ECCL noch nicht mal ein besonders wichtiger Topf. Die EZB-Programme Zweitens. Die akute Coronaphase ist beendet. Am werden noch viel wichtiger sein: 1,5 Billionen und mehr. Montag dieser Woche gab es in ganz Berlin noch zwei Aber man will offenbar heute nicht die gesamte EU-Ret- Neuinfektionen. Und nein, die Seuche wurde nicht durch tung über die EZB machen, da deren Anti-Corona-Pro- den verfügten Stillstand des Landes beendet. Als der gramm die vom Bundesverfassungsgericht ja dummer- Shutdown Ende März befohlen wurde, war das Virus in weise eben erst definierten Kriterien für verbotene Deutschland bereits am Ende oder fast am Ende seiner monetäre Staatsfinanzierung klar erfüllt. saisonalen Ausbreitung. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- furt] [SPD]: Oh Gott!) Viertens. ECCL steht in direkter Haushaltskonkurrenz – Wir wissen das inzwischen sicher, auch wenn die Bun- zu nationalen Coronawirtschaftsprogrammen, die wir lei- desregierung uns diese Informationen zum Teil bis heute der in gewaltigem Umfang benötigen werden, um die vorenthält. völlig unnötigen Wirtschaftsschäden in Deutschland zu kompensieren: 20 bis 30 Milliarden Euro pro Woche (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was für ein des anhaltenden Stillstands. Just heute – heute! – kommt Schwachsinn!) die neue Steuerschätzung heraus. Es ist schon klar: Es fehlen nach nur sechs Wochen Coronastillstand 120 Mil- – Ja, es war schon klar, dass das kommt. liarden Euro in der Staatskasse. Sogar ohne Coronapro- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was für ein gramme ist ein weiterer deutscher Nachtragshaushalt auf Schwachsinn!) Pump schon heute absolut sicher. Der Reprofaktor von Corona liegt seit März konstant im Die AfD spricht sich in dieser Konfliktsituation um ungefährlichen Bereich. Inzwischen entsteht ein größerer Mittel ganz klar für die Rettung der deutschen Arbeit- medizinischer Schaden – – nehmer und Unternehmen aus und lehnt alle Hilfsansätze über EU-ropäische Institutionen ab. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie haben von Finanzen schon keine Ahnung! Jetzt fan- (Beifall bei der AfD) gen Sie mit so einem Quatsch an!) Aus diesem Grunde werden wir natürlich auch den Ent- (B) – Hören Sie zu; dann lernen Sie noch was, Herr schließungsantrag der FDP ablehnen, der unverständli- (D) Schneider. cherweise ebenfalls noch mehr deutsche Gelder über Inzwischen entsteht ein größerer medizinischer den Umweg EU nach ganz EU-ropa – außer Deutschland Schaden durch die Corona-Shutdown-Maßnahmen als natürlich – transferieren will. durch Corona selbst. Verschobene OPs werden Tausende Fünftens. ECCL stellt ein fast bedingungsloses Kredit- Opfer fordern, programm dar. Der ESM verlangt keinerlei Nachweise (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Verwendung der Gelder. Die Mittel dürfen etwa auch Alter Schlaumeier!) nur zu sehr vage definierten Zwecken der Vorsorge ver- wendet werden. Das ist ein weiter Begriff. Gesundheit- fehlende Bewegung und Sozialkontakte ebenfalls. liche Vorsorgemaßnahmen können damit ebenso gemeint (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Geh doch sein wie eben Haushaltsvorsorge von Griechenland, Spa- nach Brasilien!) nien, Frankreich. Nur ein Zitat aus dem – na ja, nennen wir es so – Non- Sechstens. PCSI verlangt im Gegensatz zu allen bishe- Paper der Krisenabteilung des Innenministeriums: Die rigen ESM-Programmen keinerlei strukturelle Anpassun- Coronagefahr ist offenkundig nicht größer als die vieler gen von den Nehmerländern. Auch das widerspricht völ- anderer Viren. – Herr Seehofer feuerte den Verfasser sol- lig den Forderungen und Versprechungen des originären cher Wahrheit einfach, getreu dem Idi-Amin-Prinzip der ESM-Vertrages, den wir ja heute – ich erinnere daran – im Meinungsfreiheit: Ja, ich gewähre Freiheit der Rede, aber Wortlaut überhaupt nicht verändern. keine Freiheit nach der Rede. Der im FDP-Entschließungsantrag naiv-optimistisch (Beifall bei der AfD) von den Nehmerländern verlangte jahrelange Primär- überschuss ist darum niemals zu erreichen. Ohne wirt- Der Shutdown müsste schon seit sechs Wochen been- schaftliche Strukturanpassungen können die Euro- det sein. Der volkswirtschaftliche Schaden Deutschlands Südländer niemals nachhaltige Primärüberschüsse erzie- alleine nur durch diese unnötige Verzögerung liegt bereits len – und genau das verlangen Sie in Ihrem Entschlie- jetzt bei über 200 Milliarden Euro. ßungsantrag. Letztlich haben diese Länder die Chance (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sind Sie erst wieder, wenn sie das seit 1999 bestehende unselige jetzt Virologe, oder was?) Euro-Korsett abstreifen und so ihren Realwirtschaften endlich wieder Wettbewerbsfähigkeit verleihen. Drittens. Corona stellt einen symmetrischen Schock dar, für alle Länder der EU gleich. Das Virus kann darum (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19839

Peter Boehringer (A) Das ist der tabuisierte rosarote Elefant im Raum. Jeder Damit ist verabredet, dass in den Reihen der Fraktionen (C) weiß um ihn, aber keiner spricht diese Ursache der Euro- nur die nicht gekennzeichneten Plätze eingenommen Krise an, die lange vor Corona existiert hat und die kein werden. Abgeordnete, die darüber hinaus von ihrem ECCL-Programm lösen kann. Recht der Teilhabe auch an dieser Debatte Gebrauch ma- chen wollen, haben natürlich die Möglichkeit, auf den Siebtens und letztens muss man noch daran erinnern, wahrnehmbar leeren Besuchertribünen Platz zu nehmen. warum eigentlich 2012 der ESM überhaupt eingerichtet wurde. Angeblich waren die Euro-Südländer damals nicht mehr kapitalmarktfähig, was per se schon mal eine Während des Redebeitrags des Abgeordneten falsche Aussage ist. Das geht gar nicht. Inzwischen haben Boehringer standen bis zu 15 Abgeordnete der AfD dicht sie trotz Corona und trotz Dauerrezession dank EZB ein- an dicht deutig wieder Zugang zum Kapitalmarkt, sogar zu echten Traumkonditionen von 0, 0,5 bis 2,2 Prozent Jahreszins. (Ulli Nissen [SPD]: Schäbig!) Das sind Traumkonditionen; das ist nichts. Und es kommt noch besser: Aufgrund der Voodoo-Ökonomie der EZB- hinter den Reihen der Fraktionen und zum Teil auch im Nullzinspolitik wären alle Euro-Südländer heute in der Weg des Zuganges zum Plenarsaal. Wir haben verabre- Lage, die ESM-Kredite am regulären Kapitalmarkt mit det, dass der Zugang für alle auf der Seite der Regierungs- nur minimalen Zusatzkosten umzuschulden. Damit ist bank erfolgt und der Ausgang auf der Seite der Bundes- der einzige Grund entfallen, weswegen der ESM 2012 ratsbank. Ich bitte darum, diese Verabredung jetzt auch etabliert wurde. Der ESM kann somit aufgelöst werden. umzusetzen und durchzusetzen. Ich sehe mich ansonsten Wir haben genau das heute beantragt. Es geht; die EZB- veranlasst, auch von den Dingen, die mir als Instrumen- Zinsplanwirtschaft macht dieses Wunder möglich. tarium der Sitzungsleitung zur Verfügung stehen, Ge- brauch zu machen. Bringen Sie den deutschen Steuerzahler endlich aus der Haftung! Die Transferprogramme von deutschem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Geld und deutscher Bonität an internationale Gläubiger- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- banken Süd-EU-ropas waren schon vor Corona illegal ordneten der CDU/CSU und der FDP – Steffi und grundfalsch. Sie werden keinesfalls durch Corona Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das legitimer und sinnvoller. wird dann teuer! – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Herzlichen Dank. Baumann [AfD]) (Beifall bei der AfD) – Diese Regel gilt für alle, Herr Baumann. Aber ich (B) musste wahrnehmen, dass das nach mehrmaliger Auffor- (D) Vizepräsidentin Petra Pau: derung eben insbesondere aus der AfD-Fraktion de- monstrativ nicht umgesetzt wurde. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich leiste jetzt noch mal eine Hilfestellung zur Übermittlung der Verab- redungen, die sowohl im Ältestenrat als auch unter den Ich gebe Ihnen, bevor wir fortfahren, das von den Parlamentarischen Geschäftsführern dazu getroffen wur- Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- den, wie wir unsere Arbeit hier einerseits regulär entspre- nis der zweiten namentlichen Abstimmung des Tages chend leisten können, gleichzeitig aber die auch für Ab- über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion geordnete geltenden Regeln der Abstandshaltung, die im Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Mit einem Coro- ganzen Land gelten, einhalten. na-Aufschlag in der Grundsicherung das Existenzmini- mum sichern“ bekannt: abgegebene Stimmkarten 653. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Mit Ja stimmten 450 Abgeordnete, mit Nein 132. 71 Ab- SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- geordnete haben sich enthalten. Die Beschlussempfeh- NISSES 90/DIE GRÜNEN) lung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Philipp Amthor Marc Biadacz Michael Donth Abgegebene Stimmen: 649; Artur Auernhammer Steffen Bilger Marie-Luise Dött davon Peter Aumer Peter Bleser Hansjörg Durz ja: 451 Dorothee Bär Norbert Brackmann Thomas Erndl nein: 128 Thomas Bareiß Dr. Reinhard Brandl Hermann Färber enthalten: 70 Norbert Barthle Silvia Breher Uwe Feiler Maik Beermann Sebastian Brehm Enak Ferlemann Ja Manfred Behrens (Börde) Heike Brehmer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) CDU/CSU Veronika Bellmann Ralph Brinkhaus Dr. Maria Flachsbarth Dr. André Berghegger Dr. Carsten Brodesser Dr. Michael von Abercron Thorsten Frei Stephan Albani Melanie Bernstein Gitta Connemann Dr. Hans-Peter Friedrich Norbert Maria Altenkamp Christoph Bernstiel Astrid Damerow (Hof) Peter Altmaier Peter Beyer Alexander Dobrindt Michael Frieser 19840 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Hans-Joachim Fuchtel Michael Kuffer Thomas Rachel Christoph de Vries (C) Ingo Gädechens Andreas G. Lämmel Kerstin Radomski Kees de Vries Dr. Thomas Gebhart Katharina Landgraf Alexander Radwan Dr. Johann David Wadephul Alois Gerig Ulrich Lange Alois Rainer Marco Wanderwitz Eberhard Gienger Dr. Silke Launert Dr. Peter Ramsauer Nina Warken Eckhard Gnodtke Jens Lehmann Eckhardt Rehberg Kai Wegner Ursula Groden-Kranich Paul Lehrieder Lothar Riebsamen Albert H. Weiler Hermann Gröhe Dr. Katja Leikert Josef Rief Marcus Weinberg Klaus-Dieter Gröhler Dr. Andreas Lenz Johannes Röring (Hamburg) Michael Grosse-Brömer Antje Lezius Dr. Norbert Röttgen Peter Weiß (Emmendingen) Astrid Grotelüschen Andrea Lindholz Stefan Rouenhoff Sabine Weiss (Wesel I) Markus Grübel Dr. Carsten Linnemann Erwin Rüddel Marian Wendt Manfred Grund Patricia Lips Stefan Sauer Kai Whittaker Oliver Grundmann Nikolas Löbel Dr. Wolfgang Schäuble Annette Widmann-Mauz Monika Grütters Bernhard Loos Andreas Scheuer Bettina Margarethe Wiesmann Fritz Güntzler Dr. Jan-Marco Luczak Tankred Schipanski Klaus-Peter Willsch Olav Gutting Daniela Ludwig Christian Schmidt (Fürth) Christian Haase Elisabeth Winkelmeier- Dr. Saskia Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Becker Florian Hahn Karin Maag Nadine Schön Oliver Wittke Jürgen Hardt Yvonne Magwas Felix Schreiner Emmi Zeulner Matthias Hauer Dr. Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Paul Ziemiak Mark Hauptmann Uwe Schummer Gisela Manderla Dr. Matthias Zimmer Dr. Matthias Heider Dr. Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Rhein) Mechthild Heil Matern von Marschall Torsten Schweiger SPD Thomas Heilmann Hans-Georg von der Frank Heinrich (Chemnitz) Marwitz Detlef Seif Niels Annen Rudolf Henke Andreas Mattfeldt Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Michael Hennrich Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Bela Bach Dr. Patrick Sensburg (B) Dr. Michael Meister Ulrike Bahr (D) Ansgar Heveling Dr. Angela Merkel Bernd Siebert Nezahat Baradari Christian Hirte Jan Metzler Thomas Silberhorn Doris Barnett Dr. Heribert Hirte Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon Dr. Matthias Bartke Alexander Hoffmann Michelbach Tino Sorge Sören Bartol Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn Bärbel Bas Erich Irlstorfer Dietrich Monstadt Katrin Staffler Lothar Binding Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Frank Steffel (Heidelberg) Thomas Jarzombek Elisabeth Motschmann Dr. Wolfgang Stefinger Dr. Eberhard Brecht Andreas Jung Axel Müller Albert Stegemann Leni Breymaier Ingmar Jung Dr. Gerd Müller Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Alois Karl Sepp Müller Sebastian Steineke Katrin Budde Anja Karliczek Carsten Müller Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Torbjörn Kartes (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Volker Kauder Dr. Andreas Nick Dieter Stier Dr. Karamba Diaby Dr. Stefan Kaufmann Petra Nicolaisen Gero Storjohann Esther Dilcher Ronja Kemmer Michaela Noll Stephan Stracke Sabine Dittmar Roderich Kiesewetter Dr. Georg Nüßlein Max Straubinger Saskia Esken Michael Kießling Wilfried Oellers Dr. Peter Tauber Yasmin Fahimi Dr. Georg Kippels Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Volkmar Klein Josef Oster Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Axel Knoerig Henning Otte Alexander Throm Ulrich Freese Jens Koeppen Ingrid Pahlmann Dr. Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Markus Koob Sylvia Pantel Antje Tillmann Michael Gerdes Carsten Körber Martin Patzelt Markus Uhl Martin Gerster Alexander Krauß Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Angelika Glöckner Gunther Krichbaum Stephan Pilsinger Arnold Vaatz Timon Gremmels Dr. Günter Krings Dr. Christoph Ploß Kerstin Vieregge Kerstin Griese Rüdiger Kruse Eckhard Pols Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Groß Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19841

(A) Uli Grötsch Sabine Poschmann AfD Sebastian Münzenmaier (C) Bettina Hagedorn Florian Post Dr. Bernd Baumann Christoph Neumann Rita Hagl-Kehl Achim Post (Minden) Marc Bernhard Jan Ralf Nolte Metin Hakverdi Florian Pronold Andreas Bleck Ulrich Oehme Sebastian Hartmann Dr. Sascha Raabe Peter Boehringer Gerold Otten Dirk Heidenblut Martin Rabanus Stephan Brandner Frank Pasemann Hubertus Heil (Peine) Andreas Rimkus Jürgen Braun Tobias Matthias Peterka Gabriela Heinrich Sönke Rix Marcus Bühl Paul Viktor Podolay Marcus Held Dennis Rohde Matthias Büttner Stephan Protschka Wolfgang Hellmich Dr. Martin Rosemann Petr Bystron Martin Reichardt Dr. Barbara Hendricks René Röspel Tino Chrupalla Martin Erwin Renner Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Joana Cotar Roman Johannes Reusch Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Dr. Gottfried Curio Ulrike Schielke-Ziesing Thomas Hitschler Susann Rüthrich Siegbert Droese Dr. Robby Schlund Frank Junge Bernd Rützel Thomas Ehrhorn Jörg Schneider Josip Juratovic Uwe Schulz Sarah Ryglewski Berengar Elsner von Thomas Jurk Gronow Thomas Seitz Johann Saathoff Oliver Kaczmarek Dr. Michael Espendiller Martin Sichert Axel Schäfer (Bochum) Elisabeth Kaiser Peter Felser Detlev Spangenberg Dr. Nina Scheer Gabriele Katzmarek Dietmar Friedhoff René Springer Marianne Schieder Cansel Kiziltepe Dr. Anton Friesen Udo Schiefner Arno Klare Markus Frohnmaier Dr. Alice Weidel Dr. Nils Schmid Lars Klingbeil Dr. Götz Frömming Dr. Harald Weyel Uwe Schmidt Dr. Bärbel Kofler Dr. Alexander Gauland Wolfgang Wiehle Daniela Kolbe Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Dr. Heiko Wildberg Christine Lambrecht Carsten Schneider (Erfurt) Albrecht Glaser Dr. Christian Wirth Christian Lange (Backnang) Johannes Schraps Franziska Gminder Michael Schrodi Dr. Karl Lauterbach Wilhelm von Gottberg Nein (B) Sylvia Lehmann Ursula Schulte Armin-Paulus Hampel (D) Helge Lindh Martin Schulz Mariana Iris Harder-Kühnel SPD Kirsten Lühmann Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig Heike Baehrens Heiko Maas Frank Schwabe Jochen Haug Isabel Mackensen Stefan Schwartze Udo Theodor Hemmelgarn FDP Caren Marks Andreas Schwarz Waldemar Herdt Britta Katharina Dassler Dorothee Martin Martin Hess Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Christoph Hoffmann Katja Mast Karsten Hilse Rainer Spiering Christoph Meyer Christoph Matschie Nicole Höchst Svenja Stadler Hagen Reinhold Hilde Mattheis Martin Hohmann Martina Stamm-Fibich Dr. h. c. Thomas Dr. Matthias Miersch Sonja Amalie Steffen Dr. Bruno Hollnagel Sattelberger Klaus Mindrup Mathias Stein Leif-Erik Holm Bettina Stark-Watzinger Susanne Mittag Kerstin Tack Fabian Jacobi Falko Mohrs Claudia Tausend Jens Kestner DIE LINKE Claudia Moll Stefan Keuter Michael Thews Doris Achelwilm Siemtje Möller Markus Töns Norbert Kleinwächter Detlef Müller (Chemnitz) Enrico Komning Gökay Akbulut Carsten Träger Michelle Müntefering Jörn König Simone Barrientos Ute Vogt Dr. Rolf Mützenich Steffen Kotré Dr. Dietmar Bartsch Marja-Liisa Völlers Dietmar Nietan Dr. Rainer Kraft Lorenz Gösta Beutin Dirk Vöpel Ulli Nissen Rüdiger Lucassen Matthias W. Birkwald Gabi Weber Thomas Oppermann Jens Maier Michel Brandt Dr. Joe Weingarten Josephine Ortleb Dr. Lothar Maier Christine Buchholz Bernd Westphal Mahmut Özdemir Dr. Birgit Malsack- Dr. Birke Bull-Bischoff (Duisburg) Dirk Wiese Winkemann Jörg Cezanne Aydan Özoğuz Gülistan Yüksel Corinna Miazga Sevim Dağdelen Markus Paschke Dagmar Ziegler Andreas Mrosek Fabio De Masi Christian Petry Stefan Zierke Hansjörg Müller Dr. Diether Dehm Detlev Pilger Dr. Jens Zimmermann Volker Münz Klaus Ernst 19842 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Susanne Ferschl Lisa Badum Dr. Manuela Rottmann Manuel Höferlin (C) Brigitte Freihold Annalena Baerbock Manuel Sarrazin Reinhard Houben Nicole Gohlke Margarete Bause Ulle Schauws Ulla Ihnen Dr. André Hahn Dr. Danyal Bayaz Stefan Schmidt Olaf In der Beek Matthias Höhn Canan Bayram Dr. Wolfgang Strengmann- Gyde Jensen Kuhn Andrej Hunko Dr. Franziska Brantner Dr. Christian Jung Ulla Jelpke Agnieszka Brugger Margit Stumpp Karsten Klein Kerstin Kassner Dr. Anna Christmann Markus Tressel Dr. Marcel Klinge Dr. Achim Kessler Ekin Deligöz Jürgen Trittin Daniela Kluckert Katja Kipping Katja Dörner Dr. Julia Verlinden Jan Korte Katharina Dröge Daniela Wagner Pascal Kober Jutta Krellmann Harald Ebner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Lukas Köhler Caren Lay Matthias Gastel Gerhard Zickenheiner Carina Konrad Sabine Leidig Kai Gehring Wolfgang Kubicki Ralph Lenkert Stefan Gelbhaar Fraktionslos Konstantin Kuhle Stefan Liebich Katrin Göring-Eckardt Alexander Kulitz Verena Hartmann Dr. Gesine Lötzsch Erhard Grundl Lars Herrmann Alexander Graf Lambsdorff Thomas Lutze Britta Haßelmann Ulrich Lechte Pascal Meiser Dr. Bettina Hoffmann Enthalten Christian Lindner Amira Mohamed Ali Dr. Anton Hofreiter Oliver Luksic Cornelia Möhring Dieter Janecek FDP Till Mansmann Niema Movassat Dr. Kirsten Kappert- Grigorios Aggelidis Dr. Jürgen Martens Gonther Norbert Müller (Potsdam) Renata Alt Zaklin Nastic Uwe Kekeritz Alexander Müller Christine Aschenberg- Roman Müller-Böhm Dr. Alexander S. Neu Katja Keul Dugnus Frank Müller-Rosentritt Petra Pau Sven-Christian Kindler Nicole Bauer Sören Pellmann Maria Klein-Schmeink Jens Beeck Dr. Martin Neumann (Lausitz) Victor Perli Sylvia Kotting-Uhl Dr. Jens Brandenburg Matthias Nölke (B) Tobias Pflüger Oliver Krischer (Rhein-Neckar) (D) Martina Renner Stephan Kühn (Dresden) Mario Brandenburg Bernd Reuther Bernd Riexinger Christian Kühn (Tübingen) (Südpfalz) Christian Sauter Eva-Maria Schreiber Renate Künast Sandra Bubendorfer-Licht Frank Schäffler Dr. Petra Sitte Markus Kurth Dr. Marco Buschmann Dr. Wieland Schinnenburg Helin Evrim Sommer Monika Lazar Karlheinz Busen Matthias Seestern-Pauly Kersten Steinke Sven Lehmann Carl-Julius Cronenberg Judith Skudelny Friedrich Straetmanns Steffi Lemke Bijan Djir-Sarai Dr. Hermann Otto Solms Christian Dürr Dr. Kirsten Tackmann Dr. Tobias Lindner Benjamin Strasser Jessica Tatti Hartmut Ebbing Dr. Irene Mihalic Linda Teuteberg Alexander Ulrich Claudia Müller Dr. Marcus Faber Michael Theurer Kathrin Vogler Beate Müller-Gemmeke Daniel Föst Stephan Thomae Andreas Wagner Dr. Ingrid Nestle Otto Fricke Manfred Todtenhausen Harald Weinberg Dr. Konstantin von Notz Thomas Hacker Dr. Florian Toncar Katrin Werner Omid Nouripour Reginald Hanke Sabine Zimmermann Friedrich Ostendorff Peter Heidt Dr. Andrew Ullmann (Zwickau) Cem Özdemir Katrin Helling-Plahr Gerald Ullrich Lisa Paus Markus Herbrand Johannes Vogel (Olpe) BÜNDNIS 90/ Filiz Polat Torsten Herbst Sandra Weeser DIE GRÜNEN Tabea Rößner Katja Hessel Nicole Westig Luise Amtsberg Claudia Roth (Augsburg) Dr. Gero Clemens Hocker Katharina Willkomm

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19843

(A) Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kolle- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): (C) ge Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. Nein. Ich habe Prinzipien, liebe Kolleginnen und Kol- legen; deshalb schlichtweg: Nein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Corinna Miazga Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): [AfD]: Toller Demokrat!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Kollegen! Deutschland ist solidarisch und sich seiner Verantwor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich den tung für ein vereintes Europa bewusst. Kollege AfD-Antrag mal in Ruhe durchlesen, stellen Sie fest: Die Boehringer, Deutschlands Wohlstand, Millionen Arbeits- AfD will die Rettungsschirme ESM und EFSF abschaf- plätze in Deutschland fen. Wissen Sie, was Sie damit bewirken? Eine Kern- schmelze in Europa! Und Sie bewirken damit, dass ge- (Peter Boehringer [AfD]: Hängen von der EU rade die Länder, die es schwerer haben als Deutschland, ab!) noch tiefer in die Krise geraten. Ich habe zu Beginn schon deutlich gemacht, was das bedeutet. Mich lassen die hängen von Europa ab. Zehntausenden Toten in Italien nicht ruhig zuschauen. (Beifall des Abg. Carsten Körber [CDU/CSU]) Was Sie provozieren, wenn wir den ESM und den EFSF einstellen würden, ist, dass diese Staaten förmlich implo- 60 Prozent unseres Exportes gehen in den Euro-Raum. dieren würden. (Zuruf von der AfD: Stimmt doch gar nicht!) (Dr. Harald Weyel [AfD]: Lächerlich!) Deswegen: Wenn Sie sich in einer antieuropäischen, na- Die Bilder, die Sie damit produzieren wollen, Ihre anti- tionalistischen Art und Weise für deutsche Arbeitsplätze europäische Haltung – das sage ich, glaube ich, für alle einsetzen, anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag –, das ist nicht der Geist, der in Deutschland zu Europa herrscht. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Schäbig war das!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie dann sage ich Ihnen: Das Fundament in der Zukunft für bei Abgeordneten der LINKEN) Hunderttausende, für Millionen Arbeitsplätze in Deutschland ist Solidarität, ist Zusammenhalt in Europa. Bundesfinanzminister Scholz hat es ausgeführt: Wir haben drei Teile: SURE – also das Kurzarbeitergeld –, (B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem 200 Milliarden Euro bereitgestellt durch die Europäische (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Investitionsbank und die Möglichkeit – das kann jeder ordneten der FDP und der LINKEN) Staat selber entscheiden –, das ESM-Instrument der ECCL in Anspruch zu nehmen. Deutschland hat Solidarität bewiesen, und auch die Mechanismen des letzten Jahrzehnts haben dazu geführt, Erste Bemerkung. Der Deutsche Bundestag ist betei- dass Länder wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien ligt. Wir entscheiden heute im Grundsatz, dass der deut- und Zypern wieder auf einen wirtschaftlichen Wachs- sche Vertreter diesem Programm morgen zustimmen tumspfad kommen konnten; teilweise war das Wachstum kann. Über Anträge jedes einzelnen Landes, das dies in höher als in Deutschland. Anspruch nehmen will, werden wir im Deutschen Bun- destag entscheiden, und wir werden danach als Haus- Wir haben jetzt eine Krise. Sie ist symmetrisch und haltsausschuss in Abständen zu den entsprechenden Kon- nicht von den Mitgliedstaaten verschuldet worden. Aber trollen der europäischen Institutionen Stellung nehmen anders als vor zehn Jahren wird kein Staat Probleme mit oder nicht und das sogar möglicherweise im Deutschen der Schuldentragfähigkeit haben. Wir müssen sehen – ich Bundestag, wenn notwendig, behandeln. glaube, das gilt es auch einmal zu würdigen –: Das ist auch Ergebnis unserer europäischen Solidarität. Die Es gibt da eine Konditionalität, liebe Kolleginnen und Marktzinsen sind auch dank der guten deutschen Bonität Kollegen. Ich rate nur jedem, sich die Anlage 7a und den überall in Europa niedrig. Deutschland ist der Ankeremit- Mustervertrag durchzulesen. Ich halte es persönlich für tent von Staatsanleihen. Der Euro ist auch wegen der sehr richtig, dass die Konditionierung jetzt auf die Über- Stärke der deutschen Volkswirtschaft eine stabile und windung der Coronakrise ausgerichtet ist. Ich glaube, das harte Währung. Deutschland ist mit rund 27 Prozent am ist in dieser Stunde das Entscheidende. Und, liebe Kolle- Kapital des ESM sowie mit 18 Prozent am Kapital der ginnen und Kollegen, wenn wir hier dem Bundesfinanz- EIB beteiligt, und Deutschlands Anteil am EU-Haushalt minister Prokura geben, morgen im ESM-Gouverneursrat beträgt nach dem Brexit 25 Prozent. zuzustimmen, so glaube ich, ist das der richtige Weg. Lassen Sie mich zum Schluss noch eine zweite Bemer- (Abg. Dr. Bruno Hollnagel [AfD] meldet sich kung machen, zum EU-Haushalt und zum Recovery zu einer Zwischenfrage) Fund. Ja, ich glaube, es ist richtig und wichtig, dass wir hier schnellstmöglich eine Entscheidung über den mittel- Vizepräsidentin Petra Pau: fristigen Finanzrahmen herbeiführen. Ich weise aber – Kollege Rehberg, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- und ich mache das nicht zum ersten Mal – an dieser Stelle kung aus der AfD-Fraktion? darauf hin, dass auch die Europäische Kommission mit 19844 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Eckhardt Rehberg (A) ihren Strukturen gefordert ist. Herr Minister Scholz, es meter, den Sie genannt haben, überhaupt nicht zielfüh- (C) kann nicht sein, dass wir in dieser Förderperiode fast rend –, 1 Billion Euro im EU-Haushalt haben, dass – Stand heu- te – fast 300 Milliarden Euro der Mittel gebunden, aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht umgesetzt sind. Ich finde: Das ist im letzten Jahr der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Förderperiode nicht akzeptabel. Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das ist mein Ansatz von Solidarität, sowohl in Deutschland als auch in Europa (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und generell. Was den Recovery Fund angeht, bin ich völlig bei Ihnen: angekoppelt an den EU-Haushalt und konditio- Wissen Sie, mit dem, was Sie und auch der Kollege niert. Aber bitte sorgen Sie dann dafür, dass das Geld Boehringer hier aufgeführt haben, versuchen Sie, eine auch umgesetzt wird. Geld, das irgendwo in Brüssel rum- Stimmung zu generieren und aufzunehmen, um die Men- liegt, hilft weder in Italien, Spanien, Frankreich, Portugal schen gegen Europa aufzubringen. noch sonst wo. Deswegen wird es darauf ankommen, (Zuruf von der AfD: Was für ein Unsinn!) nicht nur Geld ins Schaufenster zu stellen, sondern auch Mechanismen der Umsetzung zu beachten. Ich sage Ihnen: Wir hatten gerade den 75. Jahrestag des 8. Mai 1945. Herzlichen Dank. (Zurufe von der AfD: Oh!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) – Ja, ja. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Vizepräsidentin Petra Pau: an die AfD gewandt: Das tut weh, ne?) Ich erteile dem Abgeordneten Hollnagel das Wort zu Ich sage Ihnen erstens: Ich bin sehr glücklich, dass wir einer Kurzintervention. 75 Jahre Frieden in Europa hatten. Und ich sage Ihnen zweitens als Ostdeutscher – es ist das Jahr 30 der deut- Dr. Bruno Hollnagel (AfD): schen Einheit –, dass ich glücklich bin, dass der Eiserne Vielen Dank für das Wort. – Sehr geehrter Herr Vorhang 1990 gefallen ist. Rehberg, ich weiß nicht, wie Sie Solidarität definieren. Herzlichen Dank. Ich definiere Solidarität dahin gehend, dass der Reichere dem Ärmeren unter die Arme greift. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (D) (Ulli Nissen [SPD]. Deshalb helfen wir auch ordneten der FDP – Zuruf von der AfD: Ich Migranten!) denke, Sie sitzen hier schon zu lange!) In diesem Zusammenhang habe ich eine Frage: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Keine Fra- Vizepräsidentin Petra Pau: ge!) Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDP- Fraktion. Ist Ihnen bekannt, dass das Medianvermögen in Deutsch- land Ende 2019 35 313 Euro betrug, dass das Medianver- (Beifall bei der FDP) mögen der Italiener 91 889 Euro betrug und das der Fran- zosen 101 000 Euro betrug? Wäre es dann nicht vielleicht Otto Fricke (FDP): überlegenswert, dass die Reicheren, nämlich die Italiener Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolle- und die Franzosen, den Deutschen gegenüber mal etwas ginnen und Kollegen! Ich glaube, wir müssen mal eines Solidarität zeigen? klarmachen – es war in der Debatte vorher doch auch klar –: Europa ist eine Rechts- und eine Wertegemein- (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft. Zu den Werten, die an vielen Stellen christlich NEN]: Ha, ha, ha! – Manuel Sarrazin [BÜND- basiert sind, gehört nicht nur das Wort „Solidarität“, dazu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Medianvermögen gehört auch das Wort „Nächstenliebe“. in der Schweiz haben Sie vergessen!) Was heißt Nächstenliebe? Es geht dabei nicht um die Vizepräsidentin Petra Pau: Frage: „Bin ich reich, oder bin ich arm?“, Möchten Sie erwidern? – Dann haben Sie jetzt das (Zurufe von der AfD) Wort. sondern es geht um die Frage: Bin ich in einem Moment Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): schwach, oder – wenn es um meine Verantwortung geht – bin ich in einem Moment stark? Das ist das, worum es Herr Kollege, ich definiere Solidarität anders. heute und worum es bei der Frage „Wie helfen wir einan- (Thomas Ehrhorn [AfD]: Ja: Die Deutschen der in Europa?“ geht. zahlen immer!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Für mich ist solidarisch, wenn wir anderen, denen es der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE offenkundig nicht so gut geht wie uns – da ist der Para- GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19845

Otto Fricke (A) Es geht nicht um reich, um arm, sondern es geht um stark, nur unter den Voraussetzungen der Konditionalität, (C) um schwach, um denjenigen, der Hilfe braucht, und den- also klare Auflagen, klares Sanierungsprogramm jenigen, der Hilfe leisten kann. und immer nur dann, wenn es zur Aufrechterhaltung der Stabilität der Eurozone insgesamt unerlässlich Meine Damen und Herren, wir können Hilfe leisten; ist … das ist heute hier wenig erwähnt worden. Ich weiß: Be- sonders auf einer Seite des Hauses wird das ungerne ge- Das war immer die Ultima Ratio, die wir mit dem ESM hört. Warum ist Deutschland in der Lage, seiner Verant- machen wollten. Und diesen Pfad – da verstehe ich meine wortung gerecht zu werden? Weil wir in den vergangenen christlich-demokratischen Freunde nicht -verlässt die Jahren – Herr Minister, man hätte es besser machen kön- Bundesregierung jetzt hier mit diesem Antrag. Das halten nen – gespart haben. Wir haben in der Zeit gespart und wir für nicht richtig. können jetzt in der Not Hilfe leisten, nicht nur für uns, sondern – und das gehört sich so in einer europäischen (Beifall bei der FDP) Familie – Denn – das will ich zum Schluss noch deutlich sagen, (Zurufe von der AfD) Herr Kollege Rehberg – in der Anlage 7 a, die Sie zitiert haben, die man sich anschauen sollte, steht nur, was auch wir können auch denen helfen, die sich im Moment nicht in der Anlage 2 a steht: „Die einzige“ – ich betone: die in dem Maße helfen können, wie es normal notwendig einzige! – „Voraussetzung für den Zugang zur Kreditlinie wäre. wird darin bestehen, dass die Mitgliedstaaten des Euro- Währungsgebiets, die die Hilfe beantragen, sich ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) pflichten, die Kreditlinie“ für Dinge zu nehmen, die di- Worüber wir aber reden müssen – das ist der Grund, rekt oder indirekt mit Gesundheitsversorgung, Heilung warum meine Fraktion am Ende mit Enthaltung votieren oder Prävention zu tun haben. Damit – das wissen Sie – wird –, ist die Frage des richtigen Weges der Hilfe. Wie ist Tür und Tor für alles geöffnet. gestalte ich es so, dass ich dauerhaft helfen kann? Und wie gestalte ich es auch gleichzeitig so, dass derjenige, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ich finde dem ich helfen will und muss und kann, am Ende nicht das sehr komplett!) wieder in dieselbe Situation hineinkommt? Denn das ist Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss ganz doch die Aufgabe von uns als Politikern, von Parlamen- klar sagen: Wir enthalten uns heute. Wir sehen, dass die- ten: zu verhindern, dass dieselben Fehler noch mal pas- ser Beschluss gefasst worden ist. Wir sehen auch, dass sieren, dass es zu Situationen und Bildern kommt, die wir auf europäischer Ebene hier nichts Neues kommen wird. alle nicht noch einmal sehen wollen. (B) Wir werden uns deswegen – ich war überrascht, Herr (D) Minister, dass Sie die Anträge der anderen Länder heute (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Enthaltung in Ihrer Rede angekündigt haben – diese Anträge ganz ist keine Haltung!) genau angucken und werden dann sehen, wo wir in der Deswegen gibt es von uns eine ausdrückliche Unter- Verpflichtung stehen, zu helfen; denn Hilfe ist ein Teil stützung für das Programm der EIB. Es gibt auch für dieses wunderbaren Kontinentes. SURE eine Unterstützung. Aber ich frage Sie, Herr Mi- nister: Warum haben wir denn so eine starke Leistungs- Herzlichen Dank. fähigkeit beim Kurzarbeitergeld? Weil Arbeitgeber und (Beifall bei der FDP) Arbeitnehmer diese Leistungen erbracht haben. (Zuruf von der AfD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich erwarte von Ihnen, sich in Europa dafür einzusetzen, Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf dass die anderen Länder in Zukunft auch eine Absiche- aufmerksam, dass in sechs Minuten die Zeit für die na- rung schaffen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer so auf- mentliche Abstimmung erschöpft ist. Das heißt, wenn Sie bauen, dass sie in der nächsten Krise – denn Krisen kom- noch nicht Gelegenheit hatten, an ebendieser Abstim- men immer wieder – entsprechend reagieren können. mung teilzunehmen, dann sollten Sie sich jetzt bitte auf den Weg machen. (Beifall bei der FDP) Das Wort hat der Kollege Fabio De Masi für die Frak- Das ist die Hilfe, die wir geben, damit andere auf Dauer tion Die Linke. helfen können. (Beifall bei der LINKEN) Zu der Frage des ESM. Ich muss dem Kollegen Rehberg und anderen widersprechen: Das ist eben nicht Fabio De Masi (DIE LINKE): der richtige und präzise Weg. Ja, es ist ein Weg; aber es ist Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! nicht der richtige und nicht der präzise. Kollege Rehberg, Europa befindet sich in der tiefsten wirtschaftlichen und ich darf zum Thema, was der ESM ist, den berühmten gesundheitlichen Krise seit der großen Depression. Euro- Abgeordneten Wolfgang Schäuble zitieren. Er hat näm- pa beweist sich eben nicht in Sonntagsreden oder durch lich gesagt: das Schwingen von EU-Fähnchen, sondern Europa be- Es gibt Unterstützung weist sich in der Not. – über den ESM – (Beifall bei der LINKEN) 19846 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Fabio De Masi (A) Die Situation in Italien und Spanien war dramatisch. Haushaltsüberschuss vor Zinsen. Aber sie kommen trotz- (C) Ich empfinde es als eine große Katastrophe für Europa, dem aus den Schulden nicht raus; denn wenn man kürzt, dass wir, als Italien den Höhepunkt dieser Pandemie er- bis man im Koma liegt und eine Depression herrscht, lebte, keine Schutzmasken, kein medizinisches Gerät un- dann kann man den Schuldenstand nicht verringern. Da- mittelbar liefern konnten, auch weil wir selbst nicht in der ran sollte man sich auch in Deutschland erinnern. Wir Lage waren, uns zu helfen. Ich stelle für meine Fraktion kennen doch die Geschichte Europas; wir kennen die Ge- fest: Die Privatisierung von Krankenhäusern und das schichte von Versailles. Wir wissen, dass man Ausgaben Staatsversagen beim Katastrophenschutz – dieser Unsinn nicht bis ins Koma kürzen kann, wenn man Schulden muss endlich der Vergangenheit angehören! verringern möchte. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Für Italien war diese Erfahrung traumatisch. Wir hat- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten eine Situation, dass das Militär Leichensäcke aus Es ist richtig, dass es in Italien zum Beispiel Korrup- Bergamo abtransportieren musste, weil es nicht genug tion und Vetternwirtschaft und vieles andere gibt. Aber Platz auf den Friedhöfen gab. Die Mehrheit der Italiener man erreicht den Strukturwandel nicht, wenn man nicht spricht sich mittlerweile in einer Umfrage für einen EU- mehr öffentliche Mittel investiert und einer verlorenen Austritt aus. China ist das beliebteste Land, Deutschland Generation wieder Hoffnung gibt. eines der unbeliebtesten. Ja, das ist doch eine Katastrophe historischen Ausmaßes. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das liegt an der Linken! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU) Ich sage deswegen: Es ist gut, wenn nun auf Kürzung- Ich sage das auch als deutsch-italienischer Bundestags- sauflagen beim ESM verzichtet wird, wenn es darum abgeordneter, dessen Großvater in Erdlöchern übernach- geht, das Gesundheitswesen zu verbessern. Aber das ist tet hat, damit Damen und Herren wie hier auf der rechten doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Es geht um 2 Pro- Seite des Hauses nie wieder an die Macht kommen. zent des Bruttoinlandsprodukts in einer Krise histori- schen Ausmaßes. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE 63-mal hat die EU-Kommission seit 2011 EU-Mit- GRÜNEN – Zurufe von der AfD) gliedstaaten aufgefordert, bei den Gesundheitsausgaben zu kürzen. Das macht die Krise doch jetzt teurer und Er stand meinem deutschen Großvater im Krieg gegen- tödlicher als nötig; denn es ist doch für jeden, auch vor (B) über. Solange ich hier einen Atemzug abgebe, ist es mei- den Fernsehbildschirmen, ersichtlich: Wir können die (D) ne Verantwortung, dass wir eine solche Katastrophe in Wirtschaft auch deswegen nicht mehr so schnell hoch- Europa nicht mehr erleben. fahren, weil unser Gesundheitswesen sonst überlastet (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ist. Deswegen macht Kürzen bis in die Krise hinein die NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Krise teurer und tödlicher als nötig. ten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Deswegen will ich auch sagen, dass Sie hier Fake News verbreiten. Meine Fraktion ist sehr dafür, die Rei- Ich will von daher auch noch einmal sagen: Die De- chen – auch in Italien, auch die Ferreros oder die Agnel- batte, die wir hier in Deutschland über Coronabonds ge- lis – in die Pflicht zu nehmen. Aber es ist wohlfeil, hier in führt haben, ist wirklich absurd. Würde die Europäische Deutschland Steuergerechtigkeit abzulehnen, Briefkästen Zentralbank einen solchen Bond kaufen, gäbe es null in der Schweiz zu haben, wie im Fall Ihrer Fraktion, und Zins- oder Haftungsrisiko für Deutschland; denn eine gleichzeitig über die Besteuerung der Reichen zu schwät- Zentralbank kann nie in eigener Währung pleitegehen. zen. Es gibt keinen Währungsraum in der Welt, in dem das denkbar wäre. Großbritannien – darauf bezieht sich die (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- AfD ja immer gerne – finanziert ihre Regierung sogar NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- direkt über die Zentralbank. Es ist zum Beispiel nicht ten der SPD) denkbar, dass die US-Zentralbank eine US-Staatsanleihe Denn es ist doch so, dass dieser Vergleich mit dem nicht mehr akzeptiert. Solange wir dieses künstliche In- Medianvermögen überhaupt nicht trägt. Meine Urgroß- solvenzrisiko in der Euro-Zone haben, weil wir sagen: mutter in Italien hatte einen Ziegenstall; das war ihre „Die Staaten dürfen sich kein Geld bei der EZB leihen, Behausung. Auch das geht mit in das Vermögen der Ita- sondern nur bei den Banken“, so lange werden wir nie- liener ein, weil in Italien mehr Menschen in den eigenen mals aus diesem Krisenmodus herauskommen. vier Wänden leben, weil es dort ein anderes System der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Altersvorsorge gibt. Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD]) Ich will auch noch ein paar Sätze zu dem Urteil des Ich will hier auch noch einmal sagen: Es gibt in der Bundesverfassungsgerichtes sagen: Ja, Zentralbanken öffentlichen Debatte über die Situation Europas einige sind mächtige Institutionen; man muss sie eben auch Verwirrung. Italien hat einen Leistungsbilanzüberschuss. durch Parlamente kontrollieren. Aber es ist ein Problem, Italien hat seit 25 Jahren einen Primärüberschuss, einen wenn sich die Verfassungsrichter nur vom Bundesver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19847

Fabio De Masi (A) band deutscher Banken und ein paar ordoliberalen Öko- Coronakrise ist sinnvoll; deswegen werden wir Grüne (C) nomen beraten lassen. heute zustimmen. (Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist doch Un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sinn! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Jetzt sowie bei Abgeordneten der SPD) reicht es aber! Das steht Ihnen nicht zu!) Aber klar ist auch, Herr Minister: Das reicht in dieser Es geht nicht, dass man jahrelang die Unabhängigkeit der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise nicht aus. Das ist Zentralbank predigt wie die katholische Kirche die unbe- die schwerste Wirtschaftskrise für Europa seit dem Zwei- fleckte Empfängnis und dann bei jeder geldpolitischen ten Weltkrieg. Herr Minister, Sie haben hier von einem Entscheidung einen Stuhlkreis gründen möchte. Man Programm gesprochen, das bis zu 500 Milliarden Euro muss sich entscheiden, was man will. Ja, wir wollen die umfasst. Das klingt erst mal viel; aber ich finde, man demokratische Kontrolle der Zentralbank. Aber was nicht sollte es auch nicht schönrechnen. Konkret zu den Zah- geht, ist, hier jahrelang zu verhindern, dass die EZB ihren len: Job machen kann, und dann den Aufstand zu proben, Erstens soll die Europäische Investitionsbank mit die- verehrte Damen und Herren. sem Programm – wir unterstützen das – mit Garantien (Beifall bei der LINKEN – Dr. Florian Toncar von 25 Milliarden Euro weitere Gelder mobilisieren mit [FDP]: Das hat doch kein Mensch gesagt! – dem Hebelfaktor 8, um so auf ein Volumen von 200 Mil- Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Völlig dane- liarden Euro zu kommen. Das ist ein sinnvoller Vor- ben!) schlag. Aber ich frage mich, ob dieser Hebelfaktor 8 wirklich realistisch ist. Es gibt einen Hebelfaktor; aber Deswegen sage ich: Wer diesen Grundkonflikt lösen es ist doch sehr zweifelhaft, ob man diesen jetzt zugrunde möchte, muss das Mandat der Europäischen Zentralbank legen kann. Gerade in Deutschland kommuniziert die in den Blick nehmen. Wenn man den Euro haben will, Bundesregierung bei den staatlichen Garantien, bei den dann muss man sich entscheiden: Entweder wir haben in staatlichen Kreditmaßnahmen der KfW keinen Hebelfak- Europa eine gemeinsame Finanzpolitik oder wir verbie- tor, sondern reale Summen. Ich finde, man darf hier ten der Zentralbank, Staatsfinanzierung zu betreiben. nichts schönrechnen, sondern muss ehrlich kommunizie- Wenn man aber beides nicht will – keine gemeinsame ren und darf nicht mit zweierlei Maß messen. Finanzpolitik und keine monetäre Staatsfinanzierung –, dann muss man sich irgendwann vom Euro verabschie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Zweitens. Herr Minister, diese Rechnung beinhaltet auch 240 Milliarden Euro der ESM-Kreditlinie, über die (B) (Dr. Florian Toncar [FDP]: Das stimmt nicht!) wir heute diskutieren. Diese können theoretisch alle Mit- (D) und dann muss man der deutschen Bevölkerung erklären, gliedsländer des Euro-Raums in Anspruch nehmen. Viele dass die Krise noch teurer wird und wir nicht mehr aus Länder haben aber auch schon gesagt – Deutschland, dieser Depression herauskommen. Finnland, die Niederlande –, dass sie es gar nicht in An- spruch nehmen werden. Bisher liegt noch kein konkreter Vielen Dank. Wunsch von Ländern vor. Von daher – wenn man mal ehrlich rechnet – wird von den behaupteten bis zu (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. 500 Milliarden Euro wahrscheinlich nur die Hälfte abge- Christian Petry [SPD]) rufen. Das ist jetzt nicht nichts. Aber das wird in dieser schweren Krise bei Weitem nicht ausreichen, um Europa Vizepräsidentin Petra Pau: aus der Krise zu führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die na- mentliche Abstimmung ist vorbei. Ich stelle die Frage: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches seine Otto Fricke [FDP]: Also mehr!) Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Warum ist das so? Das ist unter anderem so, weil das Arbeitslosenprogramm SURE – Sie haben es angespro- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- chen; auch das ist sinnvoll –, aber auch die ESM-Kredit- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- linie – wenn sie in Anspruch genommen wird – alles nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Kreditmaßnahmen sind. Aber Kreditmaßnahmen allein bekannt gegeben. werden vielen Ländern nicht helfen. Diese Coronapande- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kolle- mie – das wurde auch schon gesagt – trifft alle Staaten; ge Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/ sie haben allerdings sehr unterschiedliche Voraussetzun- Die Grünen. gen, eine sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft, unter- schiedliche Schuldenstände und damit auch sehr unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schiedliche Finanzierungsmöglichkeiten. Die Europäische Kommission hat jetzt noch mal klar Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesagt: Von den Finanzmaßnahmen, die die Länder in NEN): Europa bisher zur wirtschaftlichen Abfederung dieser Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Krise beschlossen haben, werden 52 Prozent alleine in ren! Das vorliegende Programm für eine Kreditlinie des Deutschland durchgeführt; das ist die Hälfte aller Maß- ESM zur Finanzierung von Gesundheitskosten in dieser nahmen in Europa. Das zeigt doch, dass es zu einer mas- 19848 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Sven-Christian Kindler (A) siven Verschärfung und Wettbewerbsverzerrung in Euro- es jetzt der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung (C) pa kommen wird. Wenn das in der aktuellen Krise und machen sollen? Was heißt das gerade für die in Deutsch- darüber hinaus so weitergeht, dann wird der Euro-Raum land immer hochgehaltene Unabhängigkeit der Zentral- sozial und ökonomisch zerreißen. Das müssen wir mit bank? Man muss sich auch die Frage stellen: Was wäre allen Mitteln verhindern. passiert, wenn die EZB in der Euro-Krise im Rahmen ihres Mandates geldpolitisch nicht gehandelt hätte, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – den Zerfall des Euros zu verhindern? Man muss in Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) Deutschland die Wahrheit doch mal klar aussprechen: Ich sage nicht, dass Deutschland jetzt weniger machen dass ohne die EZB der Euro schon längst nicht mehr soll; das ist nicht mein Punkt. Im Gegenteil: Ich finde es existieren würde. Das ist die harte Wahrheit, über die gerade richtig, Herr Kollege Fricke, dass Deutschland man reden muss. aktiv handelt und Unternehmen und Beschäftigte schützt. Aber die Frage ist doch: Wie kommen wir in Europa so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch die Krise, dass nicht nur Deutschland, sondern sowie des Abg. Peter Boehringer [AfD]) auch ganz viele andere Länder in Europa, am besten alle Man kann nicht immer die EZB die Kohlen aus dem Länder Europas, dazu in der Lage sind? Das ist die trei- Feuer holen lassen und dann große fiskalische Maßnah- bende Frage, über die wir hier im Deutschen Bundestag men verweigern. Das ist der eigentliche Moral Hazard in reden und entscheiden müssen. der Euro-Zone: dass die Mitgliedstaaten zu wenig han- deln. Das darf sich jetzt in der Coronakrise nicht wieder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) holen. Wir brauchen jetzt große fiskalische Antworten; Zum Recovery Fund, den wir jetzt als große fiskalische dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen. Das ist Antwort für Europa brauchen. Dabei ist zentral, dass es die Aufgabe in den nächsten Wochen. eben nicht nur um Kreditmaßnahmen geht, sondern auch EU-Förderprogramme und Zuschüsse, also Grants, ge- Vielen Dank. währt werden, und zwar überwiegend. Ich habe gehört, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass sich der Bundesfinanzminister auch dafür ausge- sprochen hat, dass es nicht nur um Kreditmaßnahmen geht. Ich begrüße das ausdrücklich; aber ich habe das Vizepräsidentin Petra Pau: bisher noch nicht von der Bundeskanzlerin gehört. Ich Das Wort hat der Kollege Dennis Rohde für die SPD- bin mir auch nicht sicher, wie dazu die gemeinsame Hal- Fraktion. tung der Bundesregierung und der Unionsfraktion ist. (Beifall bei der SPD) (B) Und außerdem, Herr Minister, stellt sich die Frage, wie (D) groß das Volumen dieses Recovery Fund sein soll. Das ist die entscheidende Frage. Es muss makroökonomisch re- Dennis Rohde (SPD): levant sein. Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei all dem, was wir in dieser Debatte, aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch in der Debatte davor hören mussten, finde ich, muss Wir sagen: Das muss mindestens 1 Billion Euro sein, man eines an dieser Stelle noch mal deutlich machen: damit es makroökonomisch relevant ist und auch wirkt. Man kann nicht negieren, dass das Virus Europa mit Das Europäische Parlament hat sich interfraktionell jetzt voller Härte getroffen hat. Man kann die Bilder aus der auf eine Resolution verständigt: Konservative, Sozialde- Lombardei, aus dem Elsass oder aus dem Großraum mokraten, Liberale und Grüne reden von einem Volumen Madrid nicht negieren. Wir waren zum Handeln aufge- von bis zu 2 Billionen Euro. Ich finde, das beschreibt die fordert, und diejenigen, die das leugnen, schließen sich Größenordnung, über die wir hier reden müssen. Wir Verschwörungstheoretikern an, liebe Kolleginnen und müssen gemeinsam – europäisch, solidarisch – mit groß- Kollegen. en Hilfsmaßnahmen aus dieser Krise kommen. Ich finde, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Eckhardt die Bundesregierung muss sich endlich dazu bekennen, Rehberg [CDU/CSU] und Kersten Steinke darf sich nicht weiter verstecken und muss ihre Haltung [DIE LINKE]) sehr deutlich zum Ausdruck bringen. Wir alle mussten erhebliche Einschränkungen für un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ser tägliches Leben in Kauf nehmen. Europaweit wurden Ich finde es auch deswegen wichtig, weil wir nach dem harte Maßnahmen ergriffen, die uns auch wirtschaftlich Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt endlich über getroffen haben. Aber Stand heute: Es ist uns in Deutsch- große fiskalische Antworten aus Deutschland für Europa land gelungen, unser Gesundheitssystem nicht an die Be- reden müssen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungs- lastungsgrenze zu führen. Das ist zunächst einmal ein gerichts wird der Bundestag jetzt klug und besonnen sei- Erfolg jeder Bürgerin und jedes Bürgers dieses Landes, ner Verantwortung nachkommen. Aus meiner Sicht stel- all derer, die sich an die Regeln gehalten haben. len sich aber schon ökonomische, rechtliche und (Beifall bei der SPD) europapolitische Fragen, die wir hier diskutieren müssen: Welche Konsequenzen hat es für die europäische Rechts- Und doch ist uns klar: Die wirtschaftlichen Folgen ordnung, wenn jetzt alle nationalen Verfassungsgerichts- dieser Pandemie sind immens. Bundesregierung, Bun- höfe auf einmal ihre Parlamente, ihre Regierung auffor- destag, die Länder – wir alle haben früh und entschlossen dern, auf Entscheidungen der EZB hinzuwirken, so wie gehandelt, und dieses Handeln hat viele Existenzen ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19849

Dennis Rohde (A) sichert. Es hat Familien Perspektiven gegeben, und es hat Arbeitsplätze erhalten werden und Familien ihre Existenz (C) Arbeitsplätze vor dem Abbau geschützt. gesichert wissen, aber natürlich auch aus eigenem Inte- resse. Kollege Rehberg hat es gesagt: 60 Prozent unserer Aber die Herausforderungen, vor denen wir stehen, Exporte gehen in den europäischen Binnenmarkt. – Un- sind nicht national. Wir als Bundesrepublik Deutschland sere Industrie ist in großem Maße auch auf Zulieferer, haben auch eine europäische Aufgabe und stehen vor zum Beispiel aus Norditalien, angewiesen. Andere euro- einer europäischen Herausforderung. Diese Pandemie, päische Industrien sind wiederum auf unsere Industrie als für die keiner etwas kann, ist auch ein Testfall für die Zulieferer angewiesen. Diese vernetzte Wirtschaft Euro- Solidarität und für die Entschlossenheit der europäischen pas werden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur Gemeinschaft. dann wieder genesen lassen können, wenn Europa in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gänze wieder auf die Beine kommt, und das ist die Auf- gabe, vor der wir stehen. Wir erreichen heute einen Meilenstein – einen Meilen- stein einer gemeinsamen europäischen und solidarischen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Florian Antwort auf die Coronakrise. Wir nutzen – es ist mehr- Oßner [CDU/CSU] und Otto Fricke [FDP]) fach gesagt worden – die vorhandenen Möglichkeiten, die uns der ESM bietet, um Staaten gezielt ein Angebot Deshalb ist im nächsten Debatten-Step ein europä- zur Finanzierung ihrer vielfältigen Herausforderungen im isches Konjunkturpaket in vielerlei Hinsicht notwendig. Gesundheitsbereich zu machen. Die Hilfen sind nicht Es ist für uns Sozialdemokraten ausdrücklich wünschens- grenzenlos. Sie sind begrenzt auf 2 Prozent des jeweili- wert. Die SPD-Fraktion wird in den kommenden Wochen gen Bruttoinlandsprodukts. Das sind auch für angeschla- in Unterstützung ihres Ministers mit Entschlossenheit da- gene Länder zweistellige Milliardenbeträge, über die wir für eintreten. hier reden. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Die Vorteile, die der Weg über den ESM bietet, liegen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank doch auf der Hand. Es ist ein Instrumentarium, das Steffel [CDU/CSU]) schnell einsetzbar und effektiv ist. Wir brauchen keinen umfangreichen zusätzlichen Ratifizierungsprozess. Wir Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sparen Zeit – Zeit, die wir in der Krise auch nicht haben. Vielen Dank, lieber Kollege Rohde. – Der nächste Und der ESM sichert uns Mitspracherechte; die parla- Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege mentarischen Rechte sind gewahrt. Wenn wir über kon- Dr. André Berghegger. (B) krete Maßnahmen sprechen, wird der Deutsche Bundes- (D) tag wieder beteiligt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Petry [SPD]) (Beifall bei der SPD)

Dass wir heute über ein konkretes Ergebnis diskutie- Dr. André Berghegger (CDU/CSU): ren, dass wir heute über eine konkrete Maßnahme reden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und können, ist, finde ich, angesichts der Debatte in den letz- Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem hier vor- ten Wochen ja auch keine Selbstverständlichkeit. Wenn liegenden Antrag des Bundesfinanzministers machen wir man sieht, mit welch teilweise grob unterschiedlichen den grundsätzlichen Weg frei für eine besondere Kredit- Vorstellungen die einzelnen Mitgliedstaaten in diese De- linie des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Es ist ei- batte gegangen sind, dann, finde ich, darf man an dieser ner von mehreren Bausteinen einer europäischen Strate- Stelle auch mal den Bundesfinanzminister loben, dem es gie. Finanziert werden sollen gesundheitspolitische gelungen ist, die Fäden in der Hand zu halten und die Maßnahmen im Rahmen der Coronapandemie in den divergierenden Interessen zusammenzuführen. Ich finde, Mitgliedstaaten. Ich glaube, dieser Antrag, wenn wir das ist eine beachtenswerte Leistung, die man hier auch ihn denn beschließen, ist ein weiteres Zeichen von ge- mal herausstellen kann. lebter Solidarität hier in Deutschland. Deutschland ist (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank der größte Kapital- und Garantiegeber für den ESM, ohne Steffel [CDU/CSU]) den ESM in dem Umfang oder überhaupt zu nutzen. Deutschland ist und bleibt solidarisch mit seinen Nach- Nun ist das Programm über den ESM nicht der einzige barn – und das jederzeit. Pfeiler. Wir helfen kleinen und mittleren Unternehmen über die Europäische Investitionsbank. Wir hoffen, Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Minister, dass es schnell eine Einigung zum europäischen Kurzarbeitergeld geben wird, damit dieses Instrument, Das Ziel ist: Wir wollen natürlich kurzfristig Mittel das wir in Deutschland als erfolgreiches Instrument ken- bereitstellen, kurzfristig den Mitgliedstaaten helfen. nen, auch anderen Staaten in dieser Krise helfen kann und Nach meinem Kenntnisstand soll diese Kreditlinie am helfen wird. 1. Juni einsatzfähig sein; das ist gar nicht mehr weit hin. Aber das geht nur – das sage ich aus voller Über- Für uns ist klar: Danach darf nicht einfach Schluss zeugung – mit den vorhandenen Institutionen und mit den sein. Wir müssen den europäischen Wiederaufbau genau- vorhandenen Instrumenten. Der ESM wird weiterentwi- so konsequent vorantreiben wie ein deutsches Konjunk- ckelt, ja, auf diese Krise, auf diese Pandemie angepasst; turpaket, und zwar ausdrücklich aus Solidarität, damit das haben wir schon mehrfach gehört. 19850 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. André Berghegger (A) Teile der Opposition hingegen haben im Laufe der dass also das Kurzarbeitergeld SURE nicht erst im (C) Debatten immer wieder über neue Instrumente geredet Sommer, sondern vielleicht schon in der nächsten oder oder diese vorgeschlagen. Aber Sie wissen auch, dass übernächsten Sitzungswoche so weit vorangeschritten ist, das zum Teil rechtlich gar nicht möglich wäre und sehr dass wir hier unsere Entscheidung darüber treffen kön- viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Es dauert teilweise nen, dass die EIB zügig Geld in größerem Volumen an die Jahre, bis die EU-Verträge unter Berücksichtigung der kleinen und mittleren Unternehmen ausleihen kann, so- Mitwirkungsvorschriften in den Mitgliedstaaten ange- dass wir da vorankommen, und dass wir mittelfristig – passt werden können – und das müssten sie –, und es das ist die größte Position – das Wiederanfahren der dauert auch sehr, sehr lange, um neue Finanzprodukte europäischen Wirtschaft klug verhandeln – Stichwort zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Dessen müs- „Recovery Fund“. Mit „klug“ meine ich die Einbezie- sen Sie sich immer auch bewusst sein. hung in den europäischen Haushalt, in den mittelfristigen Finanzrahmen, aber natürlich unter Setzung von Prioritä- Die Euro-Gruppe und die Institutionen, insbesondere ten auf Zukunftsinvestitionen, sodass wir die Chance ha- beim ESM, haben die Mitgliedstaaten hinsichtlich der ben, aus dieser schwierigen Situation und Krise auch Zugangskriterien für diese Kreditlinie geprüft und haben insoweit gestärkt herauszukommen, und optimistisch befunden, dass alle Mitgliedstaaten diese Zugangskrite- nach vorne schauen können. rien erfüllen. Das beruhigt die Märkte. Das ist ein wichti- In der Summe glaube ich, dass dieses gesamte Paket ges Signal; denn es zeigt: Wenn ein Mitgliedstaat diese auf einem schlüssigen Konzept beruht, ein schlüssiges zusätzlichen Mittel tatsächlich in Anspruch nehmen Paket von Hilfen ist, auch auf der europäischen Ebene. müsste, dann sind die Mittel da, dann stehen sie bereit. Aber ich mahne, dass wir nach der Krise den Pfad der Und das ist, glaube ich, im Gesamtpaket ein deutliches finanzpolitischen Tugend wiederfinden, wieder erreichen Signal an alle. oder noch einhalten müssen, wie auch immer man das formuliert. Denn alle Summen, die wir zur Verfügung (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. stellen, müssen wir auch zurückzahlen; wir müssen sie Christian Petry [SPD]) uns leisten können. Der Vorteil, der hier aus meiner Sicht immer wieder erwähnt werden kann, ist, dass durch dieses System, (Beifall bei der CDU/CSU) durch diese Kreditlinie, die wir hier auf den Weg bringen, die Einbindung und die Begleitung durch die EZB mög- Jetzt haben wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt lich ist, durch welche Funktionen auch immer. Die EZB aufgrund der schwierigen Situation ausnahmsweise aus- kann durch ihre Staatsanleihen oder durch die Ankauf- gesetzt. Aber wir müssen von der Ausnahme wieder zur (B) programme für Unternehmensanleihen natürlich mit ins Regel kommen, zur soliden Haushaltspolitik, und solide (D) Rad greifen. Diese Programme kann man kritisieren – das Haushaltspolitik eröffnet Handlungsoptionen. Das sehen haben wir hier auch lebendig getan; wir haben darüber wir, glaube ich, an unserem Beispiel in Deutschland in mehrfach diskutiert und werden es auch in Zukunft tun –, den letzten Jahren. Deswegen werbe ich um Zustimmung aber diese Programme sind da; es gibt sie nun mal. Sie zu diesem Antrag. dienen im Gesamtpaket der Finanzierung von nationalen Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. Maßnahmen, sodass viele Mittel zur Verfügung stehen, um in dieser Situation in jedem Mitgliedstaat handeln zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- können. Wenn ein Mitgliedstaat diese Mittel tatsächlich ordneten der SPD) in Anspruch nehmen möchte, werden wir uns hier im Bundestag natürlich mit dem Einzelantrag befassen, und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das ist auch gut so, um die Beteiligungsrechte dieses Vielen Dank. – Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, Hohen Hauses zu wahren. gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Kritik hört man ab und zu über die Höhe dieses Pro- Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Frak- gramms. 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts können für tionen der CDU/CSU und SPD – „Entwurf eines Zweiten den einzelnen Mitgliedstaat zur Verfügung gestellt wer- Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemi- den. Das sind auf Italien heruntergerechnet rund 36 Mil- schen Lage von nationaler Tragweite“ – bekannt: Abge- liarden Euro. Da sagen manche: Das ist viel zu wenig. – geben wurden 644 Stimmkarten. Mit Ja haben gestimmt Zwei Anmerkungen dazu: Erstens. Wenn dieses Pro- 370, mit Nein haben gestimmt 211, Enthaltungen 63. Der gramm maximal ausgeschöpft wird, ist der ESM immer Gesetzentwurf ist damit angenommen. noch komplett handlungsfähig aufgrund seiner großen Reserven und Vorhalte, die er noch hat – ganz wichtig für diese Institution. Zweitens. Diese Kreditlinie ist natür- lich nur ein Baustein von mehreren Bausteinen der euro- päischen Strategie.

Deshalb, sehr geehrter Finanzminister – es wurde schon mehrfach gesagt, aber ich möchte es noch mal unterstreichen –: Ich finde es sehr, sehr wichtig, dass die weiteren Projekte zügig in Gang kommen können, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19851

(A) Endgültiges Ergebnis Eckhard Gnodtke Paul Lehrieder Johannes Röring (C) Abgegebene Stimmen: 646; Ursula Groden-Kranich Dr. Katja Leikert Dr. Norbert Röttgen davon Hermann Gröhe Dr. Andreas Lenz Stefan Rouenhoff ja: 369 Klaus-Dieter Gröhler Antje Lezius Erwin Rüddel nein: 214 Michael Grosse-Brömer Andrea Lindholz Stefan Sauer enthalten: 63 Astrid Grotelüschen Dr. Carsten Linnemann Dr. Wolfgang Schäuble Markus Grübel Patricia Lips Andreas Scheuer Ja Manfred Grund Nikolas Löbel Tankred Schipanski CDU/CSU Oliver Grundmann Bernhard Loos Christian Schmidt (Fürth) Dr. Michael von Abercron Monika Grütters Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Claudia Schmidtke Stephan Albani Fritz Güntzler Daniela Ludwig Nadine Schön Norbert Maria Altenkamp Olav Gutting Karin Maag Felix Schreiner Peter Altmaier Christian Haase Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Philipp Amthor Florian Hahn Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Artur Auernhammer Jürgen Hardt Gisela Manderla Armin Schuster (Weil am Peter Aumer Matthias Hauer Dr. Astrid Mannes Rhein) Dorothee Bär Mark Hauptmann Matern von Marschall Torsten Schweiger Thomas Bareiß Dr. Matthias Heider Hans-Georg von der Detlef Seif Norbert Barthle Mechthild Heil Marwitz Johannes Selle Maik Beermann Thomas Heilmann Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Manfred Behrens (Börde) Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Dr. André Berghegger Rudolf Henke Jan Metzler Bernd Siebert Melanie Bernstein Michael Hennrich Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Thomas Silberhorn Michelbach Christoph Bernstiel Marc Henrichmann Björn Simon Dr. Mathias Middelberg Peter Beyer Ansgar Heveling Tino Sorge Dietrich Monstadt Marc Biadacz Christian Hirte Jens Spahn Karsten Möring Steffen Bilger Dr. Heribert Hirte Katrin Staffler Elisabeth Motschmann Peter Bleser Alexander Hoffmann Frank Steffel Axel Müller (B) Norbert Brackmann Karl Holmeier Dr. Wolfgang Stefinger (D) Dr. Dr. Gerd Müller Dr. Reinhard Brandl Albert Stegemann Erich Irlstorfer Sepp Müller Silvia Breher Andreas Steier Thomas Jarzombek Carsten Müller Sebastian Brehm Sebastian Steineke Andreas Jung (Braunschweig) Heike Brehmer Johannes Steiniger Ingmar Jung Stefan Müller (Erlangen) Ralph Brinkhaus Christian Frhr. von Stetten Alois Karl Dr. Andreas Nick Dr. Carsten Brodesser Dieter Stier Anja Karliczek Petra Nicolaisen Gitta Connemann Michaela Noll Gero Storjohann Astrid Damerow Torbjörn Kartes Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Alexander Dobrindt Volker Kauder Wilfried Oellers Max Straubinger Michael Donth Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Dr. Peter Tauber Marie-Luise Dött Ronja Kemmer Josef Oster Dr. Hermann-Josef Tebroke Hansjörg Durz Roderich Kiesewetter Henning Otte Hans-Jürgen Thies Thomas Erndl Michael Kießling Dr. Georg Kippels Ingrid Pahlmann Alexander Throm Hermann Färber Volkmar Klein Sylvia Pantel Dr. Dietlind Tiemann Uwe Feiler Axel Knoerig Martin Patzelt Antje Tillmann Enak Ferlemann Markus Koob Dr. Joachim Pfeiffer Markus Uhl Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Volker Ullrich Land) Carsten Körber Stephan Pilsinger Dr. Maria Flachsbarth Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Arnold Vaatz Thorsten Frei Gunther Krichbaum Eckhard Pols Kerstin Vieregge Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Günter Krings Thomas Rachel Volkmar Vogel (Kleinsaara) (Hof) Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Christoph de Vries Michael Frieser Michael Kuffer Alexander Radwan Kees de Vries Hans-Joachim Fuchtel Andreas G. Lämmel Alois Rainer Dr. Johann David Wadephul Ingo Gädechens Katharina Landgraf Dr. Peter Ramsauer Marco Wanderwitz Dr. Thomas Gebhart Ulrich Lange Eckhardt Rehberg Nina Warken Alois Gerig Dr. Silke Launert Lothar Riebsamen Kai Wegner Eberhard Gienger Jens Lehmann Josef Rief Albert H. Weiler 19852 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Marcus Weinberg Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Peter Boehringer (C) (Hamburg) Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Stephan Brandner Peter Weiß (Emmendingen) Marcus Held Sönke Rix Jürgen Braun Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Marcus Bühl Marian Wendt Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Matthias Büttner Kai Whittaker Gustav Herzog René Röspel Petr Bystron Annette Widmann-Mauz Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Tino Chrupalla Bettina Margarethe Thomas Hitschler Michael Roth (Heringen) Joana Cotar Wiesmann Frank Junge Susann Rüthrich Dr. Gottfried Curio Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Bernd Rützel Siegbert Droese Elisabeth Winkelmeier- Becker Thomas Jurk Sarah Ryglewski Thomas Ehrhorn Oliver Wittke Oliver Kaczmarek Johann Saathoff Berengar Elsner von Gronow Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Axel Schäfer (Bochum) Dr. Michael Espendiller Paul Ziemiak Gabriele Katzmarek Dr. Nina Scheer Peter Felser Dr. Matthias Zimmer Cansel Kiziltepe Marianne Schieder Arno Klare Udo Schiefner Dietmar Friedhoff Lars Klingbeil Dr. Nils Schmid Dr. Anton Friesen SPD Dr. Bärbel Kofler Uwe Schmidt Markus Frohnmaier Niels Annen Daniela Kolbe Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Götz Frömming Ingrid Arndt-Brauer Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Alexander Gauland Bela Bach Christine Lambrecht Johannes Schraps Dr. Axel Gehrke Heike Baehrens Christian Lange (Backnang) Michael Schrodi Albrecht Glaser Ulrike Bahr Dr. Karl Lauterbach Ursula Schulte Franziska Gminder Nezahat Baradari Sylvia Lehmann Martin Schulz Wilhelm von Gottberg Doris Barnett Helge Lindh Swen Schulz (Spandau) Dr. Matthias Bartke Kirsten Lühmann Frank Schwabe Armin-Paulus Hampel Sören Bartol Heiko Maas Stefan Schwartze Mariana Iris Harder-Kühnel Bärbel Bas Isabel Mackensen Andreas Schwarz Dr. Roland Hartwig (B) Lothar Binding Caren Marks Rita Schwarzelühr-Sutter Jochen Haug (D) (Heidelberg) Dorothee Martin Rainer Spiering Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Eberhard Brecht Katja Mast Svenja Stadler Waldemar Herdt Leni Breymaier Christoph Matschie Martina Stamm-Fibich Martin Hess Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Sonja Amalie Steffen Karsten Hilse Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Mathias Stein Nicole Höchst Dr. Lars Castellucci Klaus Mindrup Kerstin Tack Martin Hohmann Bernhard Daldrup Susanne Mittag Claudia Tausend Dr. Bruno Hollnagel Dr. Karamba Diaby Falko Mohrs Michael Thews Leif-Erik Holm Esther Dilcher Claudia Moll Markus Töns Fabian Jacobi Sabine Dittmar Siemtje Möller Carsten Träger Jens Kestner Saskia Esken Detlef Müller (Chemnitz) Ute Vogt Stefan Keuter Yasmin Fahimi Michelle Müntefering Marja-Liisa Völlers Norbert Kleinwächter Dr. Johannes Fechner Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Enrico Komning Dr. Fritz Felgentreu Dietmar Nietan Gabi Weber Jörn König Ulrich Freese Ulli Nissen Dr. Joe Weingarten Steffen Kotré Dagmar Freitag Thomas Oppermann Bernd Westphal Dr. Rainer Kraft Michael Gerdes Josephine Ortleb Dirk Wiese Rüdiger Lucassen Martin Gerster Mahmut Özdemir Gülistan Yüksel Jens Maier Angelika Glöckner (Duisburg) Dagmar Ziegler Dr. Lothar Maier Timon Gremmels Aydan Özoğuz Stefan Zierke Dr. Birgit Malsack- Kerstin Griese Markus Paschke Dr. Jens Zimmermann Winkemann Michael Groß Christian Petry Corinna Miazga Uli Grötsch Detlev Pilger Nein Andreas Mrosek Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Hansjörg Müller Rita Hagl-Kehl Florian Post AfD Volker Münz Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Sebastian Hartmann Florian Pronold Marc Bernhard Christoph Neumann Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Andreas Bleck Jan Ralf Nolte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19853

(A) Ulrich Oehme Gyde Jensen Jörg Cezanne Lars Herrmann (C) Gerold Otten Dr. Christian Jung Sevim Dağdelen Frank Pasemann Karsten Klein Fabio De Masi Enthalten Paul Viktor Podolay Dr. Marcel Klinge Dr. Diether Dehm CDU/CSU Stephan Protschka Daniela Kluckert Klaus Ernst Martin Reichardt Pascal Kober Susanne Ferschl Veronika Bellmann Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Brigitte Freihold Hans-Jürgen Irmer Roman Johannes Reusch Carina Konrad Nicole Gohlke Jens Koeppen Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Dr. André Hahn Andreas Mattfeldt Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Matthias Höhn Uwe Schulz Alexander Kulitz Andrej Hunko BÜNDNIS 90/ Thomas Seitz Alexander Graf Lambsdorff Ulla Jelpke DIE GRÜNEN Martin Sichert Ulrich Lechte Kerstin Kassner Luise Amtsberg Detlev Spangenberg Christian Lindner Dr. Achim Kessler Lisa Badum René Springer Oliver Luksic Katja Kipping Annalena Baerbock Beatrix von Storch Till Mansmann Jan Korte Margarete Bause Dr. Alice Weidel Dr. Jürgen Martens Jutta Krellmann Dr. Danyal Bayaz Dr. Harald Weyel Christoph Meyer Caren Lay Dr. Franziska Brantner Wolfgang Wiehle Alexander Müller Sabine Leidig Agnieszka Brugger Dr. Heiko Wildberg Roman Müller-Böhm Ralph Lenkert Dr. Anna Christmann Dr. Christian Wirth Frank Müller-Rosentritt Stefan Liebich Ekin Deligöz Dr. Martin Neumann Dr. Gesine Lötzsch Katja Dörner (Lausitz) FDP Thomas Lutze Harald Ebner Matthias Nölke Pascal Meiser Matthias Gastel Grigorios Aggelidis Hagen Reinhold Amira Mohamed Ali Kai Gehring Renata Alt Bernd Reuther Niema Movassat Stefan Gelbhaar Christine Aschenberg- Dr. h. c. Thomas Dugnus Sattelberger Norbert Müller (Potsdam) Katrin Göring-Eckardt Nicole Bauer Christian Sauter Zaklin Nastic Erhard Grundl (B) Jens Beeck Frank Schäffler Dr. Alexander S. Neu Britta Haßelmann (D) Dr. Jens Brandenburg Dr. Wieland Schinnenburg Petra Pau Dr. Bettina Hoffmann (Rhein-Neckar) Matthias Seestern-Pauly Sören Pellmann Dr. Anton Hofreiter Mario Brandenburg Victor Perli Dieter Janecek (Südpfalz) Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert- Sandra Bubendorfer-Licht Gonther Bettina Stark-Watzinger Martina Renner Dr. Marco Buschmann Uwe Kekeritz Benjamin Strasser Bernd Riexinger Karlheinz Busen Katja Keul Linda Teuteberg Eva-Maria Schreiber Carl-Julius Cronenberg Sven-Christian Kindler Michael Theurer Dr. Petra Sitte Britta Katharina Dassler Maria Klein-Schmeink Stephan Thomae Helin Evrim Sommer Bijan Djir-Sarai Sylvia Kotting-Uhl Manfred Todtenhausen Kersten Steinke Christian Dürr Oliver Krischer Dr. Florian Toncar Friedrich Straetmanns Hartmut Ebbing Stephan Kühn (Dresden) Dr. Andrew Ullmann Dr. Kirsten Tackmann Dr. Marcus Faber Christian Kühn (Tübingen) Gerald Ullrich Jessica Tatti Daniel Föst Renate Künast Sandra Weeser Alexander Ulrich Otto Fricke Markus Kurth Nicole Westig Kathrin Vogler Thomas Hacker Monika Lazar Katharina Willkomm Andreas Wagner Reginald Hanke Harald Weinberg Sven Lehmann Peter Heidt Steffi Lemke DIE LINKE Katrin Werner Katrin Helling-Plahr Sabine Zimmermann Dr. Tobias Lindner Markus Herbrand Doris Achelwilm (Zwickau) Dr. Irene Mihalic Torsten Herbst Gökay Akbulut Claudia Müller Katja Hessel Simone Barrientos BÜNDNIS 90/ Beate Müller-Gemmeke Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Dietmar Bartsch DIE GRÜNEN Dr. Ingrid Nestle Manuel Höferlin Lorenz Gösta Beutin Dr. Konstantin von Notz Canan Bayram Dr. Christoph Hoffmann Matthias W. Birkwald Omid Nouripour Reinhard Houben Michel Brandt Friedrich Ostendorff Ulla Ihnen Christine Buchholz Fraktionslos Cem Özdemir Olaf In der Beek Dr. Birke Bull-Bischoff Verena Hartmann Lisa Paus 19854 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Filiz Polat Ulle Schauws Markus Tressel Gerhard Zickenheiner (C) Tabea Rößner Stefan Schmidt Jürgen Trittin Claudia Roth (Augsburg) Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Julia Verlinden Dr. Manuela Rottmann Kuhn Daniela Wagner Manuel Sarrazin Margit Stumpp Beate Walter-Rosenheimer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Der nächste Redner, den ich aufrufe, ist für die FDP- nicht! Das müssen Sie mal zur Kenntnis neh- Fraktion der Kollege Frank Schäffler. men!) (Beifall bei der FDP) Es soll selbstverständlich aussehen, wenn jedes Land Geld aus dem ESM bekommt. Das Ziel ist, die Schulden Frank Schäffler (FDP): weiter zu erhöhen. Das ist nur möglich, wenn die Lasten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ein- umverteilt werden, entweder über die EZB, indem sie richtung des ESM 2012 hatte zur Bedingung, dass die durch ihre Anleihekäufe die Zinsen drückt, oder eben Länder eine Schuldenbremse in ihrer Verfassung veran- durch den leichteren Zugang zu ESM-Krediten. Denn kern. Man wollte mit der Schuldenvergemeinschaftung, die 36 Milliarden Euro, die Italien jetzt maximal aus die mit dem ESM zwangsläufig einherging, gleichzeitig dem ESM bekommt, die reichen Italien natürlich vorne die fiskalische Disziplin der Mitgliedstaaten hin zu einem und hinten nicht. Italien hat in diesem Jahr einen Finan- ausgeglichenen Haushalt erreichen. Der Fiskalpakt und zierungsbedarf von mindestens 200 Milliarden Euro. Das der ESM waren zwei Seiten der gleichen Medaille. heißt, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Acht Jahre nach Inkrafttreten des ESM kann man die Die Folgen dieser Politik werden aber sein, dass die Schuldenstände anschauen. Die Euro-Zone war im letz- Sparer in Deutschland weiter enteignet werden. ten Jahr mit 84 Prozent der Wirtschaftsleistung noch nie so hoch verschuldet. Frankreich ist mit 99 Prozent, Italien (Beifall bei der FDP und der AfD – Abg. mit 133 Prozent und Griechenland mit 177 Prozent ver- Christian Petry [SPD] meldet sich zu einer schuldet. Jetzt ist die Coronakrise da, und diese Staaten Zwischenfrage) (B) gehen mit einem höheren Schuldenstand als 2012 in die Seit der Finanzkrise 2010 haben die Sparer 360 Milliar- (D) Krise. den Euro verloren, und diese Politik wird jetzt fortgesetzt. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren die Rezepte auch GRÜNEN]: Dann machen Sie eine vernünftige falsch!) Fiskalpolitik!) Und die Antwort darauf ist: noch mehr Schulden, noch Letztendlich ist das eine Zerstörung des Zinses, die hier niedrigere Zinsen. stattfindet, und eine Zerstörung des Zinses ist letztendlich (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE eine Zerstörung der Marktwirtschaft. GRÜNEN]: Die Rezepte damals waren falsch!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Weil die Schuldenbremse nicht befolgt wurde – da der AfD) muss man fragen: wo war eigentlich unsere Bundesregie- Und all diejenigen, die heute für diese Linie stimmen, – rung, um das einzuklagen? –, werden jetzt mit der vor- sorglichen Kreditlinie beim ESM die Zugangskriterien beseitigt. Nicht mehr die Stabilität des Währungsraumes Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: als Ganzes oder strenge Auflagen sind der Maßstab für Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Gelder aus dem ESM, sondern faktisch bekommen jetzt alle Geld. Frank Schäffler (FDP): Das Ziel ist hier nicht, Italien zu helfen. Italien kann – versündigen sich an der Marktwirtschaft in diesem sich ja derzeit ohne Probleme am Kapitalmarkt refinan- Land. zieren, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was von einer widersprüchli- GRÜNEN]: Wegen der EZB!) chen Rede!) sogar zu günstigeren Bedingungen als 2012. Es geht Deshalb bitte ich, diesem Projekt nicht zuzustimmen. eigentlich um etwas ganz anderes, nämlich darum, den Zugang zu ESM-Geldern ohne Auflagen zu ermöglichen. Vielen Dank. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN]: Die Italiener wollen das doch gar der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19855

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sind entscheidende Kriterien für eine vernünftige Ver- (C) Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der tragsgestaltung, welche ich sehr begrüße und was in den Kollege Florian Oßner. Märkten Vertrauen schafft. Gerade für uns als Exportna- tion ist dies ein entscheidender Punkt. (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Herr Präsident, eine Kurzintervention?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Damit verbunden ist – und das möchte ich dick unter- Florian Oßner (CDU/CSU): streichen –, dass wir im Gegenzug Instrumente wie Euro- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und oder Coronabonds strikt – ich unterstreiche es noch mal: Kollegen! Die erschreckenden Bilder und Berichte der strikt – ablehnen, wie sie immer wieder von Teilen der vergangenen Wochen, die uns aus Ländern wie Italien Opposition, auch vom Grünenvorsitzenden Habeck, ge- und Spanien erreicht haben, werden wir wohl so schnell fordert werden, aber keine Rechtsgrundlage haben. In nicht aus unseren Köpfen bekommen. Auch die finanz- dieser schwierigen Zeit wäre es das völlig falsche Signal iellen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Pande- an all diejenigen Länder, welche in den vergangenen Jah- mie sind ungewiss und werden uns noch lange beschäf- ren große Anstrengungen unternommen haben, ihre Fi- tigen. nanzen in Ordnung zu bringen, so wie wir es als Große Gewiss ist aber eines: Für uns als CDU/CSU-Fraktion Koalition hier in Berlin für Deutschland geschafft haben. sind die Einheit Europas und der Zusammenhalt mit un- (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Keiner seren europäischen Partnern tief in unserer DNA verwur- klatscht!) zelt. Wir lassen uns deshalb nicht einreden – wie es so oft manchen Medien zu entnehmen ist –, dass wir nicht so- Deswegen meine eindringliche Bitte an die Kollegen lidarisch zu unseren Nachbarn stehen. Ganz im Gegen- aus Teilen der Grünen und Linken: Anstatt dass wir viel teil: Wir setzen wirksame Instrumente zur Überbrückung wertvolle Zeit verlieren und monatelang über die kontra- der Krise ein, stellen jedoch keine Freifahrtscheine aus. produktive Vergemeinschaftung von Schulden diskutie- Das ist Markenkern von CDU und CSU. ren, ist es jetzt an der Zeit, im Rahmen der verfügbaren und rechtssicheren Instrumente zu handeln, wie wir es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heute machen. Da sage ich allen Unterstützern ein herz- Die Finanzminister der Euro-Gruppe haben sich nach liches Dankeschön! langen Verhandlungen auf verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie geeinigt. Kurz gesagt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es sind drei große Hilfspfeiler; meine Vorredner haben es (B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht heute um (D) angesprochen. eine möglichst rasche Umsetzung der Maßnahmen, damit Der jüngste Pfeiler ist das von unserer Kommissions- die Hilfe schnell bei den Betroffenen ankommt und Stabi- präsidentin vorgeschlagene neue lität in den Finanzmärkten geschaffen wird. Uns als Instrument zur Unterstützung von Kurzarbeit in Europa, CDU/CSU-Fraktion ist dabei klar, dass wir in Europa in genannt SURE, als befristete Hilfe in einer Notsituation. der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg nun Hierfür geht der Dank in Richtung Kommission für ihr wirklich alle Kräfte bündeln müssen. Wir sind bereit, beherztes Handeln. dafür Verantwortung zu übernehmen, und deshalb werbe ich ausdrücklich um Zustimmung für den vorliegenden Der zweite Pfeiler ist ein neuer Garantiefonds der Eu- Antrag der Bundesregierung. ropäischen Investitionsbank direkt für kleine und mittlere Unternehmen, der die Wirtschaft stützt, aber – wie der Herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören! Herr Bundesfinanzminister schon gesagt hat – nicht die (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Staatshaushalte belastet. Nissen [SPD]) Heute befassen wir uns mit der dritten Maßnahme, den Finanzhilfen im Rahmen einer vorsorglichen Kreditlinie, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der sogenannten Enhanced Conditions Credit Line – Vielen Dank, Herr Kollege Oßner. – Die letzte Redne- kurz: ECCL – des Rettungsschirms ESM, der ja bereits rin zum Tagesordnungspunkt 11 ist für die CDU/CSU- 2012 zur Bewältigung der europäischen Staatsschulden- Fraktion die Kollegin Dr. Katja Leikert. krise ins Leben gerufen wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Hinter dem mehr als sperrigen Titel verbirgt sich eine durchaus einfache Lösung: Jedem Mitgliedstaat des ESM wird eine konditionierte Kreditlinie bis zu 2 Prozent sei- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): nes Bruttoninlandsprodukts in Aussicht gestellt; insge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und samt wären dies bis zu 240 Milliarden Euro. Als Bedin- Kollegen! Vor 70 Jahren hat Robert Schuman mit seinem gung – es ist heute schon angesprochen worden – müssen Plan zur Zusammenlegung der deutschen und französi- die Staaten die gezogenen Kredite zur Finanzierung von schen Kohle- und Stahlproduktion den Grundstein für ein gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung stabiles Europa geschaffen. Mehr als 30 Jahre später hat der Folgen der Covid-19-Pandemie verwenden. Also, es Helmut Kohl entscheidende Weichen zur Einführung des ist klar konditionalisiert. Dabei sind übrigens auch die Euro und damit zur finanzpolitischen Stabilität in Europa Vorgaben des ESM-Vertrags strikt einzuhalten. Dies alles gestellt. 19856 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Katja Leikert (A) Heute erleben wir, wie diese Stabilität herausgefordert Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Solidarität (C) wird. Die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaft- darf nicht beim ESM enden. Die Coronapandemie wird lichen Folgen der Coronakrise sind in ganz Europa spür- beispiellose asymmetrische Schäden in Wirtschaft und bar. Es wurde hier schon geschildert. Wir stehen vor einer Gesellschaft verursachen. Daher muss die Reaktion der tiefen Rezession in Europa. So dürfte die Wirtschaft in EU über das bisher bekannte Maß hinausgehen. der Europäischen Union in diesem Jahr um 7,4 Prozent schrumpfen. Dies sind sogar 3 Prozentpunkte mehr als (Otto Fricke [FDP]: Ist das die Meinung der damals nach der Weltfinanzkrise. Anders als nach der CDU? Ist das die Meinung Ihrer Fraktion? Weltfinanzkrise trifft die Rezession die Mitgliedstaaten Das ist ja spannend!) unverschuldet und ungleichmäßig. Ich begrüße daher die Überlegungen der Europäischen Während die Kommission für Italien und Spanien ei- Kommission zur Schaffung eines europäischen Wieder- nen Rückgang von 10 Prozent erwartet, sind es in aufbauinstruments. Auch darüber wurde in den letzten Deutschland 6,5 Prozent und in den osteuropäischen Wochen viel diskutiert. Es ist gut, dass wir hier um die Staaten 4 Prozent. Diese Unterschiede werden sich natür- verschiedenen Konzepte ringen. lich auch auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Dabei setzen wir uns erstens für die Anknüpfung des Einige Länder werden sich früher erholen; bei anderen Instruments an den EU-Haushalt ein; denn nur dadurch wird es länger dauern. Es ist genau diese Ungleichmäßig- ist der EU-Wiederaufbaufonds gerade eben kein Trojani- keit, die die Stabilität in der Europäischen Union in ganz sches Pferd für Euro-Bonds. Diese wollen wir nicht, wie besonderer Weise herausfordert. Es ist nicht nur in Groß- es die AfD und insbesondere Frau Weidel immer wieder britannien so, sondern auch einige andere Staaten stellen meinen. Und Herr Boehringer, der vorhin hier ein State- die Mitgliedschaft infrage. Auch die Italiener – das wurde ment abgegeben oder eine Rede gehalten hat – wie man auch schon erwähnt – haben aktuell mehr Vertrauen in die es auch immer sehen will – mit den immer gleichen Vor- USA, in China und in Russland als in Deutschland. Liebe würfen gegenüber EZB und dem Euro-Raum: Der Euro Kolleginnen und Kollegen, diese Stimmung muss ein hat dazu geführt, dass wir in Deutschland das höchste Warnschuss für uns alle sein. Wir brauchen mehr Solida- Bruttoinlandsprodukt, rität in Europa. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- GRÜNEN]: So ist es!) NIS 90/DIE GRÜNEN) die niedrigste Inflationsrate und die niedrigste Arbeits- Wichtige Grundsteine dafür sind in den letzten Wo- losenquote haben. chen gelegt worden. Die Staats- und Regierungschefs (B) haben ein Rettungspaket in Höhe von 540 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Euro verabschiedet. Eine zentrale Säule dieses Pakets neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ist der Europäische Stabilitätsmechanismus, der ESM. GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Grauen- Damit können Länder der Euro-Zone eine vorsorgliche voll!) Kreditlinie bis zu einem Volumen von 2 Prozent ihres Dieser europäische Wiederaufbaufonds muss zweitens Bruttoinlandsprodukts beantragen. Es ist nicht unkondi- dazu führen, dass die Ungleichgewichte zwischen den tioniert, wie es von FDP und vonseiten der AfD gesagt Mitgliedstaaten kleiner werden und nicht größer. Deswe- wurde. gen brauchen wir hier ein angemessenes Verhältnis zwi- (Otto Fricke [FDP]: Aha, was sind denn die schen Darlehen und Zuschüssen. Auch hier müssen wir Bedingungen?) noch über die Details reden. – Die Bedingungen sind, dass diese Mittel in die Besei- Drittens müssen wir Europa nachhaltig krisenfest ma- tigung von Schäden im Gesundheitsbereich investiert chen. Wir brauchen daher diesen Wiederaufbaufonds, um werden, die durch die Coronapandemie entstanden sind. den Wiederaufbau mit dem Green Deal zu verknüpfen, Das steht ganz klar in den Statuten. mit Investitionen in nachhaltige Infrastruktur, Digitalisie- rung und moderne industrielle Wertschöpfung. (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber keine Bedin- gung!) (Otto Fricke [FDP]: Also, Green New Deal ist die Bedingung! – Gegenruf der Abg. Den Rechtspopulisten in diesem Hause, in der italieni- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE schen Abgeordnetenkammer oder der Assemblée natio- GRÜNEN]: Das ist Sache von Frau von der nale möchte ich hier eine klare Absage erteilen. Der ESM Leyen, der Kommissionspräsidentin! Das ist gerade kein Knechtmittel aus Brüssel. Es ist keine weißt du auch!) Troika vor Ort, anders als Sie es geschildert haben. Die Kreditvergabe wird ganz transparent ablaufen. Wenn uns das gelingt, werden wir bald zu einem soli- darischen und stabilen Europa zurückkehren, wie es die Klar ist aber auch: Der ESM wird zur Bewältigung der großen Europäer Schuman und Kohl vor Augen hatten: Krise in der Europäischen Union nicht ausreichen. Des- solidarisch füreinander miteinander und mit Maß eintre- wegen verstehe ich Ihre Enthaltung an dieser Stelle nicht. ten. Wir als CDU/CSU sind dazu bereit. (Otto Fricke [FDP]: Sie verstehen immer noch Vielen Dank. nicht, was die Bedingung ist! – Frank Schäffler [FDP]: Lesen Sie doch unseren Antrag!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19857

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Vielen Dank, Frau Kollegin Leikert. – Ich schließe die Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Aussprache zu Tagesordnungspunkt 11. Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache Kindergipfel durchführen – Kindern und 19/19110 mit dem Titel „Bereitstellung des ESM-Instru- Jugendlichen unter Pandemiebedingun- ments ECCL Pandemic Crisis Support (PCSI); Einholung gen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundes- Drucksache 19/19145 tages nach § 4 Abs. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESM- FinG)“. Wir stimmen auf Verlangen der FDP-Fraktion Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über den Antrag namentlich ab. Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Ich möchte darauf hinweisen, dass mir zu diesem Ta- beschlossen. – Die erste Rednerin ist die Kollegin Katja gesordnungspunkt mehrere persönliche Erklärungen Dörner. nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen.1) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bevor Sie jetzt alle hinausstürmen, bitte ich Sie, kurz innezuhalten. Ich möchte daran erinnern, dass wir nach Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Eröffnung der namentlichen Abstimmung hier noch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- zwei Abstimmungen durchzuführen haben. Diese würde be Kollegen! Seit circa zwei Monaten ist für die Kinder in ich gern in Ihrer Anwesenheit durchführen. Bleiben Sie unserem Land nichts mehr normal. Mit den Kita- und also bitte nach der Eröffnung der namentlichen Abstim- Schulschließungen, den weitgehenden Ausgangs- und mung einen Moment im Saal. Sie haben wieder eine Kontaktbeschränkungen ist für sie ein großer Teil ihres halbe Stunde Zeit, Ihre Stimme abzugeben; es besteht Alltags einfach weg. Freunde, Großeltern, Spielplatz, also kein Anlass zur Hektik. Sportverein, Jugendklub, Kino – weg. In dieser Situation brauchen die Kinder unsere ganz besondere Aufmerk- Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, samkeit. die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind eingenom- men, alle Urnen sind besetzt. Ich eröffne die namentliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Finanzen auf Drucksache 19/19110. Wir werden die der LINKEN) Abstimmungsurnen um 14.10 Uhr schließen. Das bevor- (B) Die Einschränkung der Rechte von Kindern und Ju- (D) stehende Ende der namentlichen Abstimmung wird Ihnen gendlichen ist so viel größer, als vielen Älteren und vor rechtzeitig bekannt gegeben.2) allem ganz offensichtlich auch vielen politischen Ent- Wir kommen dann zum Zusatzpunkt 13. Wir stimmen scheidungsträgern bewusst ist. Besonders problematisch ab über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache finde ich: Noch immer ist die Situation der Kinder nicht 19/19153 mit dem Titel „Abwicklung der Europäischen zur Chefinnensache geworden; weder bei der Familien- Finanzstabilisierungsfazilität und des Europäischen Sta- ministerin und bei der Kanzlerin schon gar nicht. Das darf bilitätsmechanismus“. Wer stimmt für diesen Antrag? – nicht so bleiben, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Die Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktio- Kinder, ihre Rechte und ihre Bedürfnisse müssen endlich nen des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist in den Mittelpunkt unseres Handelns gerückt werden. damit abgelehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: In der Bevölkerung gibt es ein gutes Gespür für die Auswirkungen der Krise. Die Deutschen sorgen sich laut a) Beratung des Antrags der Abgeordneten „DeutschlandTrend“ am allermeisten um die Entwick- Katja Dörner, Annalena Baerbock, Beate lung der Kinder – zu Recht. Und ich verstehe nicht, dass Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter die Bundeskanzlerin die Autobosse zum Krisengipfel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einlädt, nicht aber die Kinderschutzverbände, NEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Kindern in der Corona-Krise sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schützen und das, obwohl wir alarmierende Anzeichen für zuneh- Drucksache 19/19146 mende Gewalt gegen Kinder, zunehmende Vernachlässi- gung durch in der Krisensituation manchmal eben beson- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) ders herausgeforderte Familien haben. Wir fordern, dass Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz die Bundesregierung sich endlich für den Schutz von Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Kindern engagiert, durch einen Krisenfonds zur Stärkung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- von Notrufnummern, von Beratungseinrichtungen und zung Anlaufstellen für von Gewalt und Missbrauch betroffene Kinder und Jugendliche. 1) Anlage 6 2) Ergebnis Seite 19868 D (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19858 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Katja Dörner (A) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Kinder brauchen Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Kinder. Wenn wir auf die Kitas schauen, heißt das: Kin- Auch sie brauchen eine besondere Unterstützung. Wir der brauchen eine zeitnahe Öffnung und Ausweitung der müssen sicherstellen, dass die Integrationshelferinnen Betreuungsangebote, selbstverständlich unter Berück- und -helfer weiter vor Ort sein können. sichtigung des Gesundheitsschutzes. Wir müssen flexibel und auch innovativ sein. Wir schlagen beispielsweise vor, Bitte setzen Sie sich mit uns gemeinsam dafür ein, die dass Familien die Betreuung im kleinen Kreis auch selbst Rechte der Kinder in dieser besonderen Situation zu wah- organisieren dürfen, damit Kinder schnell ein Mindest- ren, und gehen Sie konstruktiv mit unserem Antrag um. maß an Kontakten zu anderen Kindern haben können. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir können Kin- Vielen Dank, Frau Kollegin. dern ihren Alltag nicht sofort zurückgeben; aber wir Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, müssen wir können und wir müssen diese Situation möglichst kind- noch mal zu Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkt gerecht gestalten. Die Ausweitung der Betreuungsange- 13 zurückkommen. Die Fraktion der FDP hat mich näm- bote einerseits und die Einführung eines Coronaeltern- lich darauf hingewiesen, dass sie dazu auch einen Ent- geldes andererseits wäre eine sehr kluge Mischung, um schließungsantrag vorgelegt hat, den Sie auf Drucksache den Druck aus den Familien zu nehmen. 19/19181 finden. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? – Die FDP-Fraktion. Das ist nicht überraschend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer stimmt dagegen? – Das sind alle übrigen Fraktionen sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungs- [DIE LINKE]) antrag ist damit leider abgelehnt. Denn dieser Druck, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Ich rufe jetzt in unserer laufenden Debatte die nächste genau das, was Kindern schadet. Rednerin auf: Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.

Es reicht eben nicht, die Entschädigungsregelungen (Beifall bei der CDU/CSU) nach dem Infektionsschutzgesetz zu verlängern, weil sie eben keinen Anspruch der Eltern auf Teilzeit beinhalten Nadine Schön (CDU/CSU): (B) und weil sie ausdrücklich vorsehen, dass Homeoffice als Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) eine Betreuungsoption gewertet wird. Und das muss ein- Kollegen! In der Krise sind viele im Licht der Öffentlich- fach mal ganz klar sein: Homeoffice ist keine Be- keit: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politi- treuungsmöglichkeit. kerinnen und Politiker, Pflegekräfte. Und gerade Letztere sind ja zu Recht endlich im Licht der Öffentlichkeit. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Kinder waren in den letzten Wochen viel zu selten im sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Blick der Gesellschaft und der Öffentlichkeit. Dabei ha- ben auch sie wirklich viele Herausforderungen zu meis- Das können wir den Eltern nicht länger zumuten. Ich tern. Seit acht Wochen – Katja Dörner hat es gesagt – ist muss sagen: Eine Familienministerin, die meint, Home- für sie nichts mehr, wie es war. Sie müssen mit einer office mit Kinderbetreuung sei zwar anstrengend, aber völlig neuen Situation klarkommen, können ihre Freunde möglich, weiß offensichtlich nicht, wovon sie spricht. und Großeltern nicht treffen. Und viele Familien berich- ten, dass die Kinder nicht selten zwischen Homeoffice, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Homeschooling und Kinderbetreuung zu kurz kommen. und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der In einigen Familien – und das ist besonders schlimm – LINKEN) kommt es auch zu Gewalt und Missbrauch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Co- Wir müssen uns also fragen: Was macht die Krise mit ronaelterngeld, und wir brauchen es schnell. unseren Kindern, und wie können wir bei der Rückkehr zur Normalität, die wir ja gerade gestalten, die Kinder besser in den Blick nehmen? Was die Gewalt gegen Kin- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der und den Missbrauch angeht, brauchen wir eine Kultur Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Ende. des Hinschauens. Hier kann und hier muss jeder helfen, Familien unterstützen und bei Anzeichen von Gewalt oder Missbrauch auch einschreiten, Anzeige erstatten, Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Polizei oder das Jugendamt informieren. Ich komme zum Schluss. – Abschließend möchte ich auf den besonderen Unterstützungsbedarf von Kindern Kommunen bemühen sich, die Familienhilfe, so gut es mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinweisen. geht, auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Frau Dörner, Sie haben gesagt, wir müssten die Hilfetelefone stärken. Wir haben dafür gesorgt, dass die Hilfetelefone Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: trotz Krise uneingeschränkt funktionsfähig waren. Sie Frau Kollegin, bitte. haben funktioniert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19859

Nadine Schön (A) der Hilfetelefone haben alles gegeben, damit die Bera- Deshalb ist mein Appell, dass wir nicht nur auf das Hier (C) tungsangebote weiterhin zur Verfügung stehen. Das gilt und Jetzt schauen, sondern uns vor allem anschauen: Was für das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“, für das Hil- ist unsere Verantwortung? Was müssen wir jetzt tatsäch- fetelefon „Gewalt gegen Frauen“, für die Nummer gegen lich ändern, damit es den Kindern in 10, 15, 20, 30 Jahren, Kummer. Deshalb an dieser Stelle ein herzliches Danke- dann, wenn sie groß und berufstätig sind, gut geht und sie schön an diejenigen, die diese Infrastruktur aufrechter- in einem Land voller Wohlstand leben? halten haben und den Familien geholfen haben, die es besonders schwer haben. Ich will, dass meine Kinder, die jetzt vier und fünf Jahre alt sind, wenn sie in einigen Jahren auf das zurück- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schauen, was wir jetzt gemacht haben, sagen: Ihr habt neten der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar nicht nur kurzfristig agiert, sondern ihr habt nach der [FDP]) Krise, als plötzlich alles anders war, innegehalten und überlegt, was man tun kann, um das Land nachhaltig zu Wir brauchen beim Wiedereinstieg einen stärkeren gestalten und zu verbessern. – Ich will, dass ihre Bilanz Blick auf Kinder. Das heißt etwa, dass es beim Anspruch ist: Ihr habt die richtigen Entscheidungen getroffen. auf Notbetreuung, die jetzt ausgeweitet wird, nicht nur darum gehen kann, wer wieder arbeiten gehen muss. Das ist Politik aus Sicht der Kinder, jetzt beim Wieder- Vielmehr müssen wir auch soziale und pädagogische As- einstieg, aber auch lang- und mittelfristig. Deshalb ist es pekte in den Blick nehmen. Glücklicherweise wird das ja gut, dass wir heute eine ganze Stunde genau darüber auch in den meisten Ländern so gemacht. diskutieren, dass wir die Kinder in den Blick nehmen, dass wir ihre Perspektive einnehmen. Das sollte uns in Das heißt aber auch, dass die Notbetreuung selbst den nächsten Wochen bei unseren Entscheidungen tra- kindgerecht gestaltet werden muss. Abstandsregeln im gen. Kindergarten – das ist völlig illusorisch. Auch hier gilt es, die Kinder in den Blick zu nehmen und ihnen eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- möglichst unbeschwerte Zeit zu ermöglichen. ordneten der SPD) Beim Neustart in den Schulen kann es nicht nur darum gehen, dass jetzt ganz schnell der Unterrichtsstoff wieder Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: aufgeholt wird. Es muss auch möglich sein, mit den Kin- Vielen Dank, Frau Kollegin Schön. – Der nächste Red- dern diese Krisenzeit aufzuarbeiten und zu besprechen, ner ist der Kollege Martin Reichardt für die AfD-Frak- was das psychologisch mit ihnen gemacht hat, wie sie die tion. Zeit erlebt haben, was sie erfahren haben, wie sie sich die (Beifall bei der AfD – Norbert Müller [Pots- (B) Krise und wie sie sich Corona vorstellen. Denn ehrlicher- (D) weise ist die Komplexität für uns Erwachsene ja schon dam] [DIE LINKE]: Ihr könnt schon mal den kaum zu verstehen. Die virologischen, die ökonomi- Ton leiser drehen! Der brüllt immer so!) schen, die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind so komplex – wie muss das für Kinder sein? Deshalb brau- Martin Reichardt (AfD): chen wir in Schulen auch die Zeit und die Hinwendung, Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und um uns auf diesen Ebenen mit den Kindern zu beschäfti- Herren! Die Grünen bringen heute einen Antrag zu Rech- gen. ten von Kindern in der Coronakrise ein. Es ist ein bunter Strauß an Forderungen. Auch die Traumvorstellung einer Vor allem – und das ist mir besonders wichtig – müssen Entrechtung von Eltern durch Kinderrechte im Grund- wir, wenn wir jetzt darüber nachdenken, was wir denn gesetz fehlt nicht. Es ist schon eine gewisse Dreistigkeit, tun, damit unser Land wieder auf die Beine kommt, auch dass Sie als Grüne überhaupt von Kinderrechten spre- die Sicht der Kinder berücksichtigen. Die Frage, die wir chen. uns stellen müssen, ist: Was sind die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, damit unser Land gestärkt aus dieser (Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN Krise hervorgeht? Dann kann es nicht allein damit getan und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sein, dass wir kurzfristige Kaufanreize schaffen und kurz- In zehn Bundesländern sind Sie in Regierungsverantwor- fristig die Konjunktur ankurbeln. Nein, wir müssen dafür tung. Sie stellen einen Ministerpräsidenten. Aus keinem sorgen, dass unser Land mittelfristig und langfristig bes- dieser Länder habe ich einen Aufschrei oder irgendetwas ser wird, dass wir den innovativen Kräften, die wir in Nennenswertes gehört, als im Rahmen der Coronakrise unserem Land haben, helfen, zur Geltung zu kommen, die Kinder großer Teile ihrer Rechte beraubt worden sind. dass wir innovativen Start-ups helfen, ihre Geschäftsmo- delle zu verwirklichen. Wir müssen die eigenen staatli- (Beifall bei der AfD) chen Strukturen anpacken; denn wir haben gesehen, dass Gestern haben Sie darüber hinaus dem Antrag der Lin- wir hier viel zu komplex, viel zu bürokratisch und viel zu ken zugestimmt, die Beratungspflicht für Abtreibungen langsam sind. auszusetzen. Sie faseln hier von Kinderrechten, wollen Wenn wir uns im weltweiten Spiel der Kräfte zwischen aber die Tötung ungeborener Kinder im Schnellverfahren USA und China bewegen, dann sehen wir doch, dass in durchsetzen. unserem Land ganz vieles geändert werden muss, wenn wir wollen, dass auch unsere Kinder hier noch in dem (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Wohlstand leben, in dem wir zurzeit leben und der es Ich sage Ihnen das eine: Ihr Antrag zeugt von der Tradi- uns ermöglicht hat, die Krise so gut zu bewerkstelligen. tion Ihrer Partei, menschenfeindliche Politik durch pseu- 19860 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Martin Reichardt (A) dohumanistische Phrasen und Versatzstückchen zu tar- Über 25 Prozent der Kinder in Deutschland sind arm, (C) nen. eine Armut, die Sie – und ich wiederhole mich da – als Grüne durch Hartz IV erst geschaffen haben. (Beifall bei der AfD) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Und deshalb, meine Damen und Herren, vergessen Sie GRÜNEN]: Sie haben viel Wärme und Empa- auch gerne, dass es Ihre Partei war, die im Rahmen von thie, was? – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- Rot-Grün die Kinderarmut durch Hartz IV erst ermöglicht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedes Kind hat Angst und beschlossen hat, und dass es Joschka Fischer war, der vor Ihnen!) unser Land in den ersten Krieg nach 1945 hineingetrieben hat. Das ist Ihre Politik! Sie können gar nicht von Kindern und Familien aus den- ken – Frau Göring-Eckardt, da können Sie keifen, wie Sie (Beifall bei der AfD) wollen; davon wird es nicht besser –, weil Sie den Begriff Verschonen Sie uns doch endlich mit Ihrer ganzen der Familie im Sinne der Väter unseres Grundgesetzes Heuchelei. zutiefst verachten. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Wider- GRÜNEN]: Okay!) spruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute geben Sie wieder vor, für Kinderrechte ins Feld zu ziehen. Das kommt dabei heraus, wenn verbitterte, familien- feindliche Emanzen die Familienpolitik vergewaltigen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE wollen, meine Damen und Herren! GRÜNEN]: Der hat ein geschlossenes Welt- bild, der Mann!) (Beifall bei der AfD) Ich mag es mir gar nicht ausmalen, wenn die Grünen Aber Sie sind die Partei, die die traditionelle Familie in über das Wohl von Kindern in unserem Land bestimmen. ein Sammelsurium irgendwelcher Partnerschaftsformen 2013 wollte ihr Parteifreund Ströbele den Inzestparagra- auflösen will. fen aufweichen, weil er die sexuelle Selbstbestimmung (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE behindere. GRÜNEN]: Draußen gibt es Aluhüte!) (Zuruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ Vater, Mutter und Kinder sind aber die natürliche Grund- DIE GRÜNEN]) lage unseres Menschseins. Das werden auch Sie als Grü- (B) Jetzt komme ich zu einem der ekelhaftesten Kapitel: 1985 (D) ne nicht abschaffen können. haben Ihre grünen Pädophilie-Befürworter sechs- bis (Beifall bei der AfD – Katja Dörner [BÜND- achtjährige Kinder auf die Bühne eines Parteitages ge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Frau Weidel trieben und sie dort Verse aufsagen lassen wie „Liebe dazu? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ mit Papa ist herrlich“ und ähnliche Widerlichkeiten. Ihre DIE GRÜNEN]: Haben Sie Frau Weidel ge- damaligen Genossen haben da geschwiegen und das pä- fragt?) dophile Treiben in Ihrer Partei ungestört gelassen. Und noch lange nachdem diese ganzen Dinge bekannt waren, Das Bedürfnis von Kindern und Eltern nach Nähe und hat die heutige Antragstellerin Frau Dörner die Existenz Zeit diffamieren Sie als hinterwäldlerisch. entsprechender Beschlüsse bei den Grünen geleugnet. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Ich komme zum Schluss. GRÜNEN] Da lachen sich die eigenen Leute kaputt!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sie von den Grünen bringen jeder Biene mehr Respekt entgegen als einer Mutter, die von ganzem Herzen Mutter Nur unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit distan- sein möchte. zieren Sie sich heute von der Pädophilie, um sie im Rah- men der Frühsexualisierung wieder in Kitas und Schulen (Beifall bei der AfD) einzuspeisen. Die Rechte von Kindern gehören nicht in die Hand des Staates und schon gar nicht in die Hand von Zurzeit reden Sie viel von frühkindlicher Bildung. Sie Ihnen als Grüne; sie gehören in Familienhände! wollen den Menschen im Land einreden, ihre Kinder würden verblöden, wenn sie nicht in staatliche Betreuung Vielen Dank. kämen. Aber ich will Ihnen eines sagen: Kinder brauchen kein grünes Bildungsprogramm. Sie brauchen Wärme (Beifall bei der AfD) und Nähe. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Für die Fraktion der SPD hat als Nächstes das Wort die GRÜNEN]: Sie haben davon offensichtlich Kollegin Susann Rüthrich. nie genug bekommen!) Solche Leute wie Sie braucht kein Kind! (Beifall bei der SPD – Norbert Müller [Pots- dam] [DIE LINKE]: Jetzt geht das Niveau wie- (Beifall bei der AfD) der aufwärts!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19861

(A) Susann Rüthrich (SPD): Ich finde, dass heute frühkindliche Bildung völlig zu (C) So, dann kommen wir mal wieder zur Sache. Recht mehr im Fokus steht; denn die Kinder starten eben nicht alle vom gleichen Punkt. Wir nehmen es nicht hin, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass aus Armutserfahrung Bildungsarmut wird. Unge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rechtigkeiten vertiefen sich, wenn Kinder allein auf das Kollegen! Wenn wir die Rechte von Kindern gerade in häusliche Lernen beschränkt werden. Die Folgen von der Krise nicht beachten, dann brauchen wir auch an Kinderarmut werden jetzt noch deutlicher. Wir Sozial- Sonntagen nicht mehr darüber zu reden. Kinderrechte, demokratinnen und Sozialdemokraten haben deshalb wie im Übrigen alle Rechte, gelten doch nicht nur dann, ein Konzept zur Kindergrundsicherung erarbeitet, mit wenn es gerade passt oder bei gutem Wetter, sondern dem Kinderarmut überwunden werden kann und mit auch dann, wenn es stürmt. Unzweifelhaft sind wir ge- dem jedes Kind sich einbringen kann, teilhaben kann, rade in stürmischen Zeiten. Den antragstellenden Fraktio- mobil sein kann. nen danke ich daher, dass sie Kinderrechte zum Thema machen und deutlich machen, welche Rechte Kinder ha- Als weitere Stichworte nenne ich „Integration“, „In- ben. klusion“. Kinder mit besonderen Bedürfnissen nach Un- terstützung, nach Förderung müssen jetzt in den erarbei- Was mich allerdings ein bisschen wundert, ist der teten Konzepten gleichwertig vorkommen. Wir sind also Grundton der Anträge: als würden die Landesregierun- nicht in der Debatte des Ob, sondern eher des Wie: Wie gen, die Bundesregierung und wir alle hier es nicht ge- kann es gehen, dass alle Kinder verantwortungsvoll in meinsam so sehen, dass die Kinderrechte zu stärken sind! ihrem Recht wahrgenommen und bedacht werden? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Leben von Kindern findet aber nicht nur in den Kitas, bei den Tagesmüttern und -vätern oder in den Dazu haben wir doch in der Kinderkommission in der Schulen statt, sondern eben auch in Verbänden, Vereinen, letzten Woche Vorschläge gemacht – zumindest mit fast Initiativen, Freizeitstätten, in Freiräumen, die die Kinder allen Fraktionen. Viele Forderungen, beispielsweise nach und Jugendlichen selbst gestalten können; lassen Sie uns Kita- und Schulöffnungen, werden jetzt in den Ländern bitte auch diesen Bereich nicht übersehen. umgesetzt. Viele Kitas und Schulen öffnen wieder. Dabei wird genau mit dem Recht der Kinder auf Bildung und Viele weitere Aspekte sind in Zeiten von Corona, wa- Teilhabe argumentiert. Daher vielen Dank an alle, die ren aber auch schon davor und sind auch danach wichtig. sich unter den jetzt wirklich schwierigen Bedingungen Kinderschutz wurde schon angesprochen, Schutz für um unsere Kinder kümmern und für sie da sind. Kinder, die – leider – häusliche Gewalt erleiden. Aber (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch Digitalisierung will ich nennen, die jetzt beim Ler- der CDU/CSU) nen häufig ein Segen ist, aber im Hinblick auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt Um es also noch einmal ganz klar und deutlich zu sagen: auch allzu oft unsichere Räume schafft. Wir müssen darü- In dem Ziel, die Kinder und ihre Rechte gerade jetzt nicht ber reden. zu übersehen, sind wir uns vollkommen einig. Mich bedrückt das Missverhältnis zwischen den Tau- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) senden wirtschaftlich notwendigen Erntehelferinnen und Ja, vor einigen Wochen konnte man noch den Eindruck Erntehelfern und den Kindern, die auf griechischen In- gewinnen, dass das einzig wichtige Expertinnen- und seln als Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen aus- Expertenwissen das von Virologinnen und Virologen harren und die nicht einreisen dürfen. Da frage ich mich: ist, vielleicht noch abgewogen gegen die Einschätzung „Stimmen unsere Prioritäten?“, und ich denke, leider von Ökonominnen und Ökonomen. Doch das Bild wird nein. erst rund, wenn auch Psychologinnen und Psychologen, Erzieherinnen und Erzieher, Kinderärzte und Kinderärz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der tinnen usw., aber vor allem die Kinder selbst gehört wer- LINKEN) den. Eine ganze Generation, die stumm gemacht wird, An der Stelle möchte ich bitte den Blick auf die Situation das ist nicht kindgerecht. der Kinder noch weiter stärken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ge- rade hier wird wieder deutlich, wie wichtig es ist, die Ich will, dass unsere Ratgebenden ein Spiegel für die Kinderrechte im Grundgesetz mit allen anderen Grund- ganze Vielfalt der Gesellschaft sind. So mancher Kom- rechten auf Augenhöhe zu bringen – damit sie in allen mentar hat mich da arg verwundert. So war zu hören: Die Abwägungen gleichberechtigt einbezogen werden. Da Kinder früher – also auch wir – hatten ja auch keine Kita. haben wir noch etwas zu tun. Hat es ihnen geschadet? Diese Frage kann ich natürlich nicht seriös beantworten; ich weiß aber ziemlich sicher, Vielen Dank. dass – anders als in den letzten Wochen – die Kinder damals mit ihren Freunden draußen spielen konnten, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ die Spielplätze und Parks offen waren, dass sie zum CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Spielplatz, zum Sportverein, zum Zeltlager konnten. NEN) 19862 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lich allen Kindern ermöglicht wird oder dass die Bil- (C) Vielen Dank, Frau Kollegin Rüthrich. – Der nächste dungschancen nicht vom Elternhaus abhängen dürfen – Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Matthias beides seit Langem Kernforderungen der Freien Demo- Seestern-Pauly. kraten. (Beifall bei der FDP) Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch Eltern stoßen durch die Coronamaßnahmen seit Wochen an ihre Matthias Seestern-Pauly (FDP): Belastungsgrenze: Homeoffice, Homeschooling, finanz- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- ielle Einbußen. Und wir alle wissen, wie sensibel die men und Herren! Alle Kinder haben immer alle Chancen Antennen unserer Kinder sind. Genau deshalb brauchen verdient. Genau deshalb setzen wir uns als Freie Demo- wir eine unbürokratische Coronaelternzeit mit einem kraten auch mit so viel Nachdruck dafür ein, dass wir Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung mit einem durch regionale, pragmatische und faktenbasierte Maß- entsprechenden Kündigungsschutz; das entlastet die El- nahmen zur Pandemieeindämmung endlich wieder allen tern. In dem Zusammenhang – Herr Präsident, ich kom- Kindern alle Chancen ermöglichen. me zum Ende – ist es wichtig, dass wir die schrittweise Öffnung weiter vorantreiben. (Beifall bei der FDP) Einen abschließenden Satz möchte ich noch sagen, und Dies war auch der Grund dafür, weshalb wir Freien De- zwar: Es verwundert mich in dem Zusammenhang sehr, mokraten in der letzten Woche einen Antrag für eine dass die Grünen diesen Maßnahmen, unseren Maßnah- zügige Öffnungsperspektive für Einrichtungen der früh- men, in der letzten Woche nicht zugestimmt haben. Ich kindlichen Bildung hier in den Deutschen Bundestag ein- sehe aber, dass Sie in dieser Woche einen Schritt weiter gebracht haben. Das war auch dringend nötig; denn, wie sind. ich bereits in der letzten Woche gesagt habe, Kinder ha- ben ein Recht auf Bildung. Das ist kein Nice-to-have; es (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geht hier um nichts Geringeres als Bildungsgerechtigkeit. Sie sind auch einen Schritt weiter!) Doch neben dem Recht auf Bildung sind auch viele Das begrüßen wir außerordentlich. Ansonsten freuen wir andere Kinderrechte durch die nun seit vielen Wochen uns auf die Beratungen im Ausschuss. andauernden Coronamaßnahmen massiv eingeschränkt. Herzlichen Dank. Dazu zähle ich das Recht auf Spiel und Freizeit, dazu zähle ich das Recht auf Beteiligung, und dazu zähle ich (Beifall bei der FDP) vor allem auch das Recht auf Schutz. Heute berichtet die (B) „Neue Osnabrücker Zeitung“ von der bundesweiten Stu- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (D) die „JuCo“, nach der viele Jugendliche sich in der Coro- Vielen Dank, Kollege Seestern-Pauly. – Für die Frak- nakrise zu wenig beachtet fühlen und fast die Hälfte aller tion Die Linke ist der nächste Redner der Kollege Norbert Befragten bezweifelt, dass ihre Sorgen überhaupt gehört Müller. werden. Deshalb müssen wir unseren Kindern und Jugendlichen zuhören, auch und gerade in dieser Krise. (Beifall bei der LINKEN) Genau deshalb müssen wir auch immer wieder die vor- genommenen Maßnahmen und Einschränkungen hinter- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): fragen und die Verhältnismäßigkeit immer wieder einfor- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dern. ren! Wir nehmen heute hier die Bevölkerungsgruppe in Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Hinterfragen den Fokus, die in der Pandemie mehr als jede andere aus und Einfordern der Verhältnismäßigkeit gerade gegen- dem öffentlichen Raum gedrängt wurde. Für Kinder und über Maßnahmen, die unsere Kinder betreffen, beschäf- Jugendliche wurden nahezu alle Räume, in denen sie sich tigt uns auch als Kinderkommission des Deutschen Bun- außerhalb der eigenen Wohnung bewegen, versperrt: Ki- destages, deren Vorsitzender ich zurzeit sein darf. Ich tas, Schulen, Spielplätze, Sportanlagen, Musikschulen, empfinde es daher als ein wirklich wichtiges Signal, dass Jugendklubs usw. Heimkindern wurde sogar der Kontakt alle, alle demokratischen, Fraktionen in der Kinderkom- zu ihren Eltern untersagt. Das findet sich in zahlreichen mission in einer gemeinsamen Erklärung letzte Woche Eindämmungsverordnungen. Und vor Supermärkten angemahnt haben: Wir dürfen die Bedürfnisse und die wurden Schilder aufgestellt, die Kindern das Betreten in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte verboten. Diese Maßnahmen wurden in der Annahme von Kindern auch in der Coronapandemie nicht aus verhängt, dass Kinder ein wesentlicher Träger der Pande- dem Blick verlieren. mie seien. Dafür gibt es bis heute keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismä- der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – ßigkeit, wenn nach und nach alle möglichen Einrichtun- Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Jetzt gen wieder öffnen können, nur Kinder mit ihren Interes- müssen Sie noch sagen, warum die AfD dage- sen immer am Ende der Reihe stehen. Dabei geht es nicht gengestimmt hat!) nur um die massiven finanziellen Einschränkungen, die In diesem Sinne werden in dem heute vorliegenden Familien gerade erleben, und es geht auch nicht nur um Antrag Aspekte angesprochen, die auch wir Freie Demo- die massive Mehrbelastung durch Homeoffice, Kinderbe- kraten fordern, zum Beispiel, dass digitales Lernen end- treuung und Homeschooling – es geht auch darum, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19863

Norbert Müller (Potsdam) (A) die Leute es satt sind, dass ihre Kinder in der öffentlichen ganz wichtig: ob Autohäuser öffnen können und wie viele (C) Debatte vorrangig als Infektionsgefahr und Seuchenherd Quadratmeter Verkaufsfläche ein Geschäft haben darf. betrachtet wurden und werden; sie haben es satt, welche Nein, jetzt wird es Zeit für einen Kindergipfel, bevor im Geringschätzung ihrer Sorgearbeit zu Hause entgegenge- Kanzleramt der nächste Autogipfel zusammentritt, bracht wird und dass sie völlig unfreiwillig in längst über- wundene Familienbilder gedrängt werden, die der Ver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gangenheit angehören sollten, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einen Gipfel, auf dem die Lebenssituation von Kindern (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen in den Fo- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – kus genommen wird und, ganz wichtig, wo Kinder und Martin Reichardt [AfD]: Ach so?) Jugendliche eben auch selbst wieder gehört werden. und sie haben es satt, dass alle möglichen Interessen öffentlich gegeneinander abgewogen werden, nur die ih- Wir führen seit Jahren Debatten über Kinderrechte. rer eigenen Kinder eben nicht ausreichen. Gerade die Pandemie zeigt, dass die Rechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendli- Ich finde, ein gutes Beispiel für diese Politik der Igno- chen endlich ins Grundgesetz müssen. ranz ist der Brandenburger Wirtschaftsminister Jörg Steinbach von der SPD. Er hat vorgestern Abend im Vielen Dank. „rbb“-Fernsehen erklärt – ich zitiere –: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wir sind in einer Situation, die ist … gerade mal neten der SPD) 14 Tage länger als die Sommerferien … das ist alles noch kein Wahnsinnsausnahmezustand. Und ich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: würde mich freuen, wenn zum Teil die Eltern auch Vielen Dank, Kollege Müller. – Für die CDU/CSU- mal wieder ihre Kinder richtig kennengelernt haben. Fraktion hat als Nächster das Wort der Kollege Marcus Und das wird noch besser – zur Forderung eines Coro- Weinberg. naelterngeldes –: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hoffe … dass Sie [sich] … nicht …ein Kind angeschafft haben, weil wir es als Vater Staat für Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Sie attraktiv gemacht haben. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig und gut, dass wir zu dieser Zeit Das hat der Mann wirklich so gesagt. Wie kaputt muss (B) am Donnerstag über das debattieren, was uns wichtig ist. (D) man eigentlich sein, in Zeiten der Coronakrise so einen Natürlich freuen wir uns auch, wenn demnächst wieder Blick auf die Familien zu haben! die Bundesliga – für die Hamburger: die 2. Bundesliga – (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- spielt, wir im Café sitzen können, zumindest in begrenz- ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE tem Maß. GRÜNEN) Aber wirklich wichtig ist, dass wir unseren Kindern ihr Wissen Sie, ich bin Bundestagsabgeordneter, meine Leben wieder zurückgeben. Noch wichtiger wäre es, Frau ist Lehrerin, wir haben im Unterschied zu Millionen wenn wir unseren Kindern dieses Leben in einem etwas Familien eben keine existenziellen Sorgen, aber wir ha- besseren Zustand zurückgeben könnten. ben auch wochenlang im Homeoffice gearbeitet, wie vie- le hier, parallel haben wir ein Kitakind betreut, dem seine Vielleicht sind die Debatten der letzten Wochen und Freunde und Großeltern ziemlich gefehlt haben, wir ha- die der nächsten Tage und Wochen eine gute Gelegenheit, ben täglich fünf Stunden Schule für den größeren Bruder darüber nachzudenken, was uns diese Coronakrise und all gegeben, ein Mittagessen gekocht usw. Und dann kommt das, was wir erlebt haben, mit Blick auf die Situation von jemand von der Regierung – in dem Fall der Landesre- Familien, insbesondere von Kindern, mit auf den Weg gierung von Brandenburg – und sagt: Das war ja jetzt ein geben. Wir haben hier in diesem Plenum im Deutschen bisschen wie die großen Ferien im Sommer, Bundestag in den letzten Wochen viel darüber diskutiert, welche Auswirkungen die Coronakrise auf die Familien (Frank Pasemann [AfD]: Unglaublich!) hat, auf die Seniorinnen und Senioren, auf die Frauen und auf die Kinder. jetzt hat der Müller seine Kinder endlich mal wieder richtig kennengelernt. – Ich finde, diese arrogante Hal- Herr Müller, eine Sache muss man richtigstellen. – tung Familien und den Bedürfnissen von Kindern und Herr Müller, es wäre spannend, wenn Sie zuhören wür- Jugendlichen gegenüber bringt die Leute völlig zu Recht den. – Wir haben eine erste Phase erlebt, in der das auf die Palme. Thema Gesundheitsschutz prioritär war; es ging um die Stabilisierung des Gesundheitssystems und den Schutz (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- der Risikogruppen. In der damaligen Situation war es ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tatsächlich so, dass man die Sorge haben musste, dass GRÜNEN) Kinder von diesem Coronavirus besonders betroffen Deshalb brauchen wir jetzt eine andere Strategie. Fa- sind. Jetzt altklug darüber zu reden, dass diese Einschät- milien und Kinder müssen in den Mittelpunkt. Gerade die zung möglicherweise falsch war, halte ich für fatal. Ich Bundesregierung hat sich mit sehr vielem beschäftigt, möchte in diesem Bundestag keine Debatte darüber füh- 19864 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) ren, ob wir mit Blick auf die gesundheitliche Situation diese Rechte eingeschränkt; wir haben sie massiv einge- (C) unserer Kinder Dinge zu früh zugelassen haben. Deren schränkt. Aber noch einmal: Wir haben sie auch deshalb Schutz steht immer noch an erster Stelle. eingeschränkt, weil der Schutz der Kinder für uns priori- tär war. Jetzt müssen wir allmählich – ich glaube, darüber (Beifall bei der CDU/CSU) sollten wir zusammen diskutieren – dazu kommen, dass Jetzt sind wir in der Phase der Stabilisierung der öko- wir den Kindern ihre Rechte wieder zurückgeben – im- nomischen, kulturellen, gesellschaftlichen Ordnung, An- mer in der Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und lage, Komposition. Da will ich durchaus das unterstrei- der Einschränkung sozialer Teilhabe. chen, was Nadine Schön gesagt hat: Das Ganze ist eine Chance, darüber nachzudenken, wie wir Dinge nicht nur Kinder haben Rechte, was ihre Gesundheit betrifft, stabilisieren, die uns wichtig waren, sondern wie wir Din- Rechte ihrer sozialen Sicherung, ihres Schutzes und auch ge auch verbessern, verändern können, mehr Nachhaltig- ihrer Bildung. In Artikel 24 Absatz 1 der UN-Kinder- keit erreichen können, also verändern und gestalten, statt rechtskonvention heißt es: Jedes Kind hat das Recht nur erhalten, auch mit Blick auf die Familienpolitik. „auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“. Dies soll uns leiten. In der Wirtschaft müssen wir nicht nur darüber nach- denken, wie wir die Ökonomie stabilisieren, sondern auch darüber, wie wir die Transformation hin zu mehr Es war damals richtig, Kindergärten und Schulen zu- Nachhaltigkeit und zu Klimaschutz erreichen. Im Ge- nächst einmal zu schließen und jetzt allmählich einen sundheitsbereich geht es darum, nicht nur das Gesund- Prozess der Wiedereröffnung einzuleiten. Frau Dörner, heitssystem zu stabilisieren. Sie haben inhaltlich recht, wenn Sie sagen: Die sozial- pädagogischen und sonderpädagogischen Bedarfe sollten (Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] meldet sich berücksichtigt werden, sodass also gerade Kinder aus zu einer Zwischenfrage) schwierigen Milieus, die vielleicht sonderpädagogischen oder sozialpädagogischen Bedarf haben, wieder zuerst in – Im Moment nicht. Danke, Herr Kollege. – Wir müssen die Kita kommen. – Da bin ich ja bei Ihnen. Aber das ist ebenso darüber nachdenken, wie wir das Thema „Pflege Aufgabe der Länder. Das machen auch einige Länder, und Gesundheit“ anders aufstellen. Es wäre eine Chance und sie machen es richtig. Sie überlegen genau: Welche für den Familienbereich, dies in den nächsten Wochen Bedarfe stehen jetzt an? Das ist übrigens ein Ergebnis der und Monaten zu tun. Jugendministerkonferenz. Da ist es auch angesiedelt. Tatsächlich – das haben die Kollegen angesprochen – erleben Kinder momentan eine für sie nicht oder kaum Es ist unheimlich populistisch, zu sagen: Wir brauchen (B) erklärbare Phase: dass die Kitas geschlossen sind, dass keinen Autogipfel, sondern wir müssen die Kinder- und (D) sie nicht mit ihren Freunden spielen, dass sie nicht auf Jugendverbände einladen. – Dafür gibt es die Gremien: den Sportplatz gehen können. Das verändert natürlich die Jugendministerkonferenz. Jeder hat seinen Verant- auch die gesamte Situation dieser Kinder. Wir können wortungsbereich. heute noch nicht die soziokulturellen Folgen abschätzen, gerade für diese verletzlichen und sensiblen Gruppen. (Beifall bei der CDU/CSU)

Falls Sie mir eine Frage stellen wollten: Nein, danke, Ich würde gerne noch auf viele Dinge eingehen, auch Herr Kollege Aggelidis. auf die der antragstellenden Fraktionen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten sehr konstruktiv, sehr klar Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und sehr schnell auf diese Coronakrise reagiert. Ich ap- Lassen Sie eine Frage des Kollegen zu? pelliere an uns: Lassen Sie uns diese Kultur der Zusam- menarbeit und der Betrachtung dessen, was Familien und Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Kinder in den nächsten Jahren brauchen, fortführen. Ich glaube – das muss zum Schluss stehen bleiben –: Es ist Nein, das habe ich doch schon gesagt. Jetzt habe ich es für uns eine Chance, dass wir diese schwierige Krise das dritte Mal gesagt; jetzt hat der Kollege es auch mitbe- nicht nur meistern, sondern daraus auch eine neue Per- kommen. spektive entwickeln, wie wir Kinder und Familien in Insoweit ist die Frage, wie wir in den nächsten Mona- diesem Land sehen. Das, glaube ich, sollte uns leiten. ten und Jahren die Bedeutung der Überschriften in der Deswegen bitte ich für diese Diskussion um breite Unter- Familienpolitik entwickeln: Zusammenhalt, Sicherheit, stützung. aber auch Freiheit. Sicherheit ist mehr als nur finanzielle Sicherheit, und Freiheit ist dann sicherlich auch mehr als Vielen Dank. nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Zusam- menhalt der Gesellschaft ist gerade für Kinder sicherlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr als zum Beispiel die Sicherung von Mehrgenera- ordneten der SPD) tionenhäusern. Kinder haben Rechte; das haben die Kollegen richtig- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: erweise angesprochen. Deswegen bin ich dankbar für die Vielen Dank.- Jetzt haben zwei Kollegen um eine heutige Debatte. Kinder haben Rechte, auch und insbe- Kurzintervention gebeten. Zunächst der Kollege Norbert sondere in Zeiten von Krisen und von Corona. Wir haben Müller für die Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19865

(A) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Nachdem uns die Bundesregierung vor einer Woche ja (C) Ja, Herr Kollege Weinberg, ich verstehe, ehrlich ge- geschrieben hat, dass sie keinerlei belastbare Indikatoren, sagt, gar nicht, warum Sie hier einen Dissens aufmachen. keinerlei Anzeichen dafür hatte, möchte ich Sie fragen: Da haben Sie während meiner Rede offenbar auch nicht Woher haben Sie denn eigentlich diese Indikatoren? Sie so ganz zugehört. Es geht nicht um die Maßnahmen, die haben diesen Eindruck nämlich vorhin erweckt. Ich frage am 18. März in Kraft getreten sind. Da war der Kenntnis- Sie andersherum: Hatten Sie nach der ersten Phase – noch stand schlichtweg auch ein anderer als heute, und es ging mal – irgendwelche Indizien dafür? darum, Risikogruppen zu schützen. Deswegen gab es bei den demokratischen Fraktionen auch keine, die nicht ge- Auch wenn ich mir angucke, was für Erfahrungen im sagt hat: Es ist jetzt erst einmal okay, Schulen und Kitas Norden gelegene Nachbarländer gemacht haben, kann ich zu schließen. nur fragen: Haben Sie irgendwelche Indizien dafür ge- habt, an diesem Fahrplan der Regierung, so wie Sie ihn Es geht um den Fahrplan, aus diesen Beschränkungen beschrieben haben, festzuhalten? – Danke. wieder rauszukommen, und darum, welche Prioritäten gesetzt werden. Es ist eben auffällig, dass man den Eltern Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: am 4. Mai sagt: In einer Woche reden wir im Kanzleramt, Kollege Weinberg, wollen Sie antworten? nachdem alle Papiere der JFMK, der KMK vorgelegen haben, über die Maßnahmen. – Eine Woche später sagt man dann: Wir haben fünf Minuten darüber geredet. – Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Das waren vier Sätze in der Erklärung. Dann folgt ein Ich denke noch über die zweite Frage nach. Aber ich sehr langer Text zu dem Autogipfel zwei Tage vorher kann ja schon mal Kollegen Müller antworten. – Kollege mit den Bossen der Konzerne. Müller, ich stimme Ihnen komplett zu. Sie können natür- lich sagen: Die Beschlüsse und die Ergebnisse der Ge- Das ist die falsche Prioritätensetzung. Das ist doch das, spräche der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin was die Leute so wahnsinnig aufregt: nicht, dass Kitas sind für den Kinder- und Jugendbereich nicht so ausführ- und Schulen geschlossen worden sind. Das war gar nicht lich dargestellt worden wie für andere Bereiche. Ich kann das Problem; das haben die Leute eingesehen. Natürlich das auch an den Zeilenzahlen festmachen, nämlich vier ging es damals darum, Risikogruppen zu schützen. Es Zeilen gegenüber 16 Zeilen für andere Bereiche. geht heute darum: Wie finden wir einen vernünftigen Aber der Kern ist doch ein anderer. Das Thema ist – Sie Fahrplan, und welche Prioritäten setzen wir? Da sagen müssen sich den Inhalt anschauen –: Es gibt eine Jugend- wir: Priorität müsste sein, sich jetzt zunächst um die, ministerkonferenz, und diese Jugendministerkonferenz die am meisten betroffen waren, zu kümmern. Das heißt: berät darüber, was die einzelnen Länder machen. Kita- (B) Kindergipfel statt Autogipfel. Ich finde, das ist genau der (D) öffnung, Schulöffnung, Kinder- und Jugendhilfe sind richtige Punkt. Aufgabe der Länder. Wenn man in diesem Protokoll in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- den vier Zeilen darauf verweist, dass das gilt, was die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jugendministerkonferenz beschlossen hat, dann ist das, glaube ich, ein deutlicher Hinweis, dass man hier den zuständigen Ministern in ihrer fachlichen Zuständigkeit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die Verantwortung überlässt, statt alles zentral zu leiten. – Wollen Sie gleich antworten, oder können wir die Erster Punkt. zweite Kurzintervention noch dazunehmen, Herr Kolle- ge? – Ja? Der zweite Kollege ist der Kollege Grigorios Zweiter Punkt. Sie wissen, dass die Koordinierung in Aggelidis für die FDP-Fraktion. der Frage Kita und Ähnliches von der Bundesministerin übernommen wurde. Das ist nicht ihre originäre Aufgabe. Sie hat es aber getan, weil es einen guten Abstimmungs- Grigorios Aggelidis (FDP): prozess zwischen den Bundesländern und der Bundesre- Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege gierung gab, bei dem klar definiert wurde: Wer hat wel- Weinberg, das hört sich alles sehr schön an. Es ist bei chen Verantwortungsbereich? Wer hat was zu leisten? den Reden auch immer wieder zu erkennen, wie sehr Das ist das, was uns die letzten Wochen und Monate das Ganze schöngeredet wird. getragen hat. Ich würde mir mit Blick auf gewisse Dinge, die für Mal losgelöst davon, wie viel Sie versäumt haben: Was Eltern wichtig sind – Stichwort: Lohnfortzahlung und mich bei der Rede schon sehr erzürnt hat, gerade auch mit anderes –, wünschen, dass man diesen Weg zwischen Blick auf die Vorredner und auch mit Blick auf die Rede Bundesländern und der Bundesregierung so auch ge- meines Kollegen: dass Sie in Ihrer Rede den Eindruck meinsam weiter geht. Aber noch einmal – und das war erweckt haben, als ob es jenseits der ersten Phase der die Kernaussage –: Hier liegt auch deutlich die Kompe- Pandemiebekämpfung – wo wir uns alle, also alle Demo- tenz in erster Linie bei den Ländern. kraten hier im Haus, einig waren, wie wir vorgehen müs- sen – auch nur ansatzweise Indikatoren oder belastbare Herr Präsident, ich versuche, die zweite Frage zu ver- Indizien für die Aussage gegeben hätte, dass von Kin- stehen und dann auch zu antworten. Herr Kollege, ich dern, von Jugendlichen in Kitas oder Schulen besondere weiß nicht, was Sie genau gemeint haben. Ich kann Ihnen Gefahren oder überhaupt erhöhte Gefahren ausgehen. nur Folgendes sagen – und das war meine Aussage –: In Diesen Eindruck haben Sie hier erweckt. der ersten Phase gab es das große Risiko, dass die Hypo- 19866 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) these nicht wissenschaftlich bestätigt werden konnte, Frank Pasemann (AfD): (C) dass möglicherweise gerade Kitas und Schulen besonders Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und „gefährlich“ – in Anführungszeichen – sind, weil sich Herren! Werte Zuschauer an den Fernsehgeräten und – dort viele Kinder unter zehn Jahren treffen, die mögli- für die AfD viel wichtiger – auf YouTube, Facebook und cherweise ein anderes Verhalten haben. sonstigen sozialen Kanälen! Nun gibt es Studien aus Island, es gibt Erkenntnisse (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE aus China und aus Südkorea, auf deren Grundlage man GRÜNEN]: Ja!) dann die Hypothese aufstellen kann, dass das Infektions- verhalten bei Kindern ein anderes ist; Herr Drosten hat es Alles bestimmend ist derzeit die Coronakrise, welche auch bestätigt. Ich warne uns nur, wenn wir über Öffnun- auch in Deutschland in eine veritable gesellschaftliche gen reden: Man sollte diese Öffnungen sehr behutsam Katastrophe umzuschlagen droht. angehen und immer so, dass man weiß, was man tut. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Was ich nicht möchte, ist, dass wir eine Diskussion in GRÜNEN]: Ich will auch bei YouTube dabei Deutschland erleben, weil wir die Öffnung zu früh voll- sein! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ zogen haben und nicht gesundheitsrelevant feststellen DIE GRÜNEN]: Ich will die Kinder grüßen auf konnten, dass dies der richtige Weg war. Deswegen habe YouTube!) ich gesagt: Macht es behutsam. Bereits zur Katastrophe ausgeufert ist in unserem Land Aber richtig ist auch, dass die Kinder ihre Rechte zu- die demografische Krise. Diese findet indes kaum Be- rückbekommen müssen. „Recht“ heißt auch „soziale achtung. Die ausgewiesen familienfeindlichen Opposi- Teilhabe“; „Recht“ heißt auch, dass Kinder sich mit tionsparteien Grüne und Die Linke kommen in dieser Gleichaltrigen treffen, dass sie in der Kita betreut werden Situation mal wieder mit Schaufensterpolitik; das ma- und dass sie wieder das haben, was für sie wichtig ist. chen ihre Anträge überdeutlich. Kinderrechte sollen ge- Das, glaube ich, muss man abwägen, wenn man diesen schützt werden, und mehr Teilhabe solle Kindern ermög- Prozess gut auf den Weg bringen will. Da muss man auf licht werden. Welchen Kindern aber zukünftig? Wenn die wissenschaftliche Kompetenz auch hören. Aber man seit Jahren offenkundige demografische Fehlentwicklung muss immer wissen: Wir haben die politische Verantwor- in Deutschland so weitergeht, wird es in absehbarer Zeit tung. Deswegen muss man es behutsam und sorgsam kaum mehr Kinder geben, denen man Rechte einräumen machen. oder Teilhabe ermöglichen müsste. Vielen Dank. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) Da haben Sie aber auch wieder einiges nicht (D) (Beifall bei der CDU/CSU) mitgekriegt!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Seit Jahrzehnten liegt die Zahl der Geburten pro Frau bei unter 2 – aktuell bei 1,57 – und damit deutlich entfernt Vielen Dank. – Bevor wir mit der Aussprache fortfah- von einem bevölkerungserhaltenden Wert. ren, komme ich zurück zu unserem Tagesordnungs- punkt 11, nämlich zur namentlichen Abstimmung. Die (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Seit Zeit ist jetzt abgelaufen. Ist noch ein Mitglied des Hauses Jahren steigen die Geburten!) anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? Ebenfalls seit Jahrzehnten wird hiergegen nichts unter- (Martin Reichardt [AfD]: Ja, ich! – Abg. nommen. Im Gegenteil: Diese politisch initiierte demo- Martin Reichardt [AfD] verlässt den Plenar- grafische Entwicklung wird als Argument angeführt, wa- saal) rum Deutschland dringend auf Migration angewiesen sei. Darf ich nach draußen in die Lobby fragen: Ist noch ein (Christian Dürr [FDP]: Wenn Sie die Lücke mit Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht Ihrer Familienpolitik schließen wollen, muss abgegeben hat? – Also: Der Kollege hat aufmerksam zu- jede Frau sieben Kinder kriegen! Sie haben gehört und war so gefesselt von den Reden, dass er nicht nichts verstanden! Das ist doch absurd, was abgestimmt hat. Aber jetzt tut er es. Sie sagen!) Ich frage jetzt noch mal: Ist noch ein Mitglied des Statt für eine aktivierende Familienpolitik werden Jahr Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben für Jahr hohe Millionenbeträge an linke bis linksextreme hat? – Offensichtlich nicht. Ich schließe die Abstimmung Vereine und Strukturen vergeben. „Demokratie leben!“ und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der nennt sich das Bundesprogramm. Es ist mit insgesamt Auszählung zu beginnen. Ich gebe Ihnen das Ergebnis über 115 Millionen Euro ausgestattet, pro Jahr wohlge- später bekannt.1) merkt. Die Antragsteller haben es inzwischen erreicht, sich nicht einmal mehr zur freiheitlich-demokratischen Wir fahren fort mit der Aussprache. Der nächste Red- Grundordnung bekennen zu müssen. Damit ist der Weg ner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Frank Pasemann. zur staatlich alimentierten Jugendarbeit auch durch Linksextremisten frei geworden. (Beifall bei der AfD) (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was hat das mit 1) Ergebnis Seite 19868 D dem Thema Corona zu tun?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19867

Frank Pasemann (A) Die politische Einstellung der Frau Ministerin Giffey ist mutaufgabe, Kinderbetreuung, Homeschooling, den (C) hier nur die Kirsche auf der Sahnetorte dieser seit Jahr- eigenen Job und Hausarbeit unter einen Hut zu bekom- zehnten gepflegten familien- und volksfeindlichen Poli- men. Kindern und Jugendlichen fehlen seit Wochen die tik, die bei den hier schon länger Regierenden inzwischen Kontakte zu Freunden, zu Mitschülern, zu Vereinskame- zum guten Ton gehört. radinnen und -kameraden. Sie alle brauchen unsere Un- terstützung. (Beifall bei der AfD) Wir lassen die Familien in dieser Situation nicht allei- Um das ganze Debakel zu verdeutlichen, reicht ein ne. Seit Montag bieten Kitas eine erweiterte Kindernot- Blick auf die häufigsten Vornamen im besten Deutsch- betreuung flächendeckend an. Mit der stufenweisen Öff- land, das wir jemals hatten. War Mohammed 2017 noch nung schaffen wir Entlastung von Familien. Das ist ein auf Platz sieben, konnte er sich im Folgejahr 2018 auf den wichtiger Schritt. Jetzt sind die Länder an der Reihe, sechsten Platz vorkämpfen, um im Jahr 2019 mit dem damit dies verantwortungsvoll und auch spürbar für Kin- dritten Platz endlich auf dem Podium zu stehen. der und Eltern geschieht. (Christian Dürr [FDP]: Was haben Sie denn ge- Regelungen wie die der schwarz-gelben nordrhein- gen den Vornamen? Was haben Sie denn dage- westfälischen Landesregierung, die fast zwei Dritteln gen, Herr Kollege? – Dr. Franziska Brantner der Kinder bis zu den Sommerferien nur ganze zwei Tage [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn den Kitabesuch ermöglicht, helfen allerdings nieman- daran so schlimm? Sollen die alle Frank hei- dem. ßen?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, es ist abzusehen, wann Mo- hammed das Rennen auch in Deutschland endgültig ge- Hier fehlt es an Verlässlichkeit und an echter Entlastung. winnen wird. Und auch den Kindern hilft das in ihrer Situation über- haupt nicht. (Christian Dürr [FDP]: Was ist das denn für ein Quatsch? Das ist unglaublich! Hier Menschen Kinder und Jugendliche werden auch in den komm- zu beleidigen, weil sie einen bestimmten Vorn- enden Wochen zusätzliche Betreuung zu Hause brauchen. amen haben! Das zeigt Ihr wahres Gesicht, Als SPD sagen wir ganz klar: Wenn Eltern in dieser Krise Herr Pasemann! Das ist purer Rassismus, was nicht arbeiten können, um für ihre Kinder da zu sein, Sie hier tun! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- brauchen sie einen verlässlichen finanziellen Ausgleich. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn! Sie beur- (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) teilen Menschen nach ihrem Vornamen!) (B) Die erste auf sechs Wochen befristete Regelung für (D) Anstatt dass die Familienministerin gegen diesen tat- diesen Ausgleich läuft jetzt aus. Sie war über das Infek- sächlich von Menschen gemachten Bevölkerungswandel tionsschutzgesetz mit den Bundesländern vereinbart. vorgeht, bejubelt sie, dass, wie bis vor Kurzem, jeden Mehr als eine befristete Regelung war zu diesem Zeit- Freitag von deutschen Kindern, die im eigenen Land im- punkt mit den Ländern nicht möglich. Das ist eigentlich mer weniger werden, gegen eine vermeintlich menschen- eine Aufgabe, die voll und ganz in der Verantwortung der gemachte CO2-Krise angehüpft wurde. Länder liegt. In dieser herausfordernden Situation ist die Bundesregierung den Ländern aber zur Seite gesprungen (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: und hat 50 Prozent der Kosten übernommen. Dazu ist die Das ist Rassismus! Unfassbar! – Dr. Franziska SPD-Bundestagsfraktion auch weiter bereit. Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Rassismus! Sie müssen alle Alexander hei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ßen! Nur dann ist es okay! – Gegenruf des Abg. Christian Dürr [FDP]: Wahrscheinlich ja! Bei Wir Sozialdemokraten wollen auch weiterhin eine Rege- dem wahrscheinlich Adolf! Unfassbar!) lung, die für den ganzen Zeitraum greift und auf die sich Eltern zu jeder Zeit in dieser Krise verlassen können. Das wirft ein weiteres entlarvendes Schlaglicht auf die Deshalb ist auch jeder hier im Haus gefordert, im Sinne sogenannte Familienpolitik dieser Bundesregierung. der Eltern und der Kinder Druck auf die Landesregie- rungen auszuüben. Der Bund steht zu seiner Verantwor- Vielen Dank. tung gegenüber den Familien; das haben Franziska Giffey (Beifall bei der AfD) und Hubertus Heil klargemacht. Die Länder, die über die Öffnung oder Schließung von Schulen und Kitas ent- scheiden, sollten dies auch tun. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Weil wir zu unserer Verantwortung stehen, haben wir Kollege Stefan Schwartze. das Elterngeld krisenfest gemacht und den Kinderzu- schlag ausgebaut, deshalb haben wir den Zugang zur (Beifall bei der SPD) Grundsicherung vereinfacht, und deshalb haben wir ein 500-Millionen-Programm für digitale Lernmittel auf den Stefan Schwartze (SPD): Weg gebracht. Und weil wir um jeden Arbeitsplatz kämp- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und fen, spannen wir einen Rettungsschirm für Unternehmen. Kollegen! Liebe Familien! Die Coronapandemie fordert Deshalb haben wir als SPD auch eine Erhöhung des Familien heraus. Eltern stehen im Moment vor der Mam- Kurzarbeitergeldes durchgesetzt. 19868 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Stefan Schwartze (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sen, dass Länder und Bund mehr Mittel zur Verfügung (C) Das alles schafft Sicherheit für die Familien in diesem stellen, dass die bestehenden Beratungs- und Unterstüt- Land. zungsleistungen ausgebaut werden, dass Kindern sicher und verlässlich geholfen wird. Ich bin der Meinung, dass Die SPD will die Familien aber auch bei dem Weg aus das System der Kinder- und Jugendhilfe auch auf Bun- der Krise nicht vergessen. Die Diskussion über Bonus- desebene ausgebaut werden muss. zahlungen für Familien ist entbrannt, und ich bin froh Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei, aber es darüber. deutet sich jetzt schon an, dass eine Welle hilfsbedürftiger (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Minderjähriger auf unsere Jugendämter zurollt. Ich will, dass Familien auch in den Konjunkturprogram- Auch bei den Jugendämtern besteht – das erkennen men ihren Teil erhalten. Bei den Lasten, die Familien in wir, wenn wir genau hinschauen – großer Reformbedarf. dieser Zeit tragen, bei der Mammutaufgabe, die sie leis- Die Gründe sind vielfältig: Es fehlen verbindliche, ein- ten, steht Familien das zu. heitliche Mindeststandards sowohl für die Einrichtungen als auch für die Ausbildung der Mitarbeiter. Es fehlt oft Danke für die Aufmerksamkeit. an ausreichend finanziellen Mitteln. Wir sehen die Über- lastung der Mitarbeiter im Allgemeinen Sozialen Dienst (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaela und die finanziellen Engpässe in den Kommunen. Die Noll [CDU/CSU]) Aufgaben von Jugendämtern werden komplexer und schwieriger. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Daniel Darauf müssen wir reagieren. Ich denke, es ist an der Föst. Zeit: Wir brauchen ein Bundeskompetenzzentrum Kin- der- und Jugendhilfe, eine schlanke Institution, bei der (Beifall bei der FDP) sich Bund und Länder zusammensetzen und verbindliche Standards entwickeln. Wenn es wirklich brennt, wie im Daniel Föst (FDP): Fall Lügde, soll es schnell Hilfe leisten – für die betroffe- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und nen Kinder, aber auch für die Mitarbeiter. Wir brauchen Kollegen! Liebe Kollegin Schön und lieber Kollege ein Bundeskompetenzzentrum, um Mitarbeiter in Krisen- Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion, fällt Ihnen eigent- situationen durch Beratungen zu unterstützen. Wir brau- lich die Ironie auf, wenn Sie jetzt von der Reform des chen ein Bundeskompetenzzentrum auch, um endlich ei- Systems und der Anpassung der Rahmenbedingungen ne unabhängige Ombudsstelle zu etablieren. Dafür ist es (B) reden? Sie stellen doch seit 15 Jahren die Bundeskanzle- Zeit. (D) rin. Was hat die CDU/CSU denn aufgehalten, eine Re- (Beifall bei der FDP) form durchzusetzen? Ich finde es sehr, sehr bedauerlich, dass es immer noch (Beifall bei der FDP) keinen Referentenentwurf zur Reform des SGB VIII gibt. Werte Kolleginnen und Kollegen, wie viele hier im Plenum habe auch ich zwei kleine Stöpsel, einen Drei- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: jährigen und einen Fünfjährigen. Wir erleben täglich, was Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. die Coronapandemie mit unseren Kindern macht, wie sie ihre Freunde vermissen, wie wichtig Oma und Opa, Daniel Föst (FDP): Spielplätze, Kita, Schule, Sportplätze sind. Angesichts der Krise und des Reformbedarfs in der Allerdings müssen wir auch sehen, dass es vielen Kin- Kinder- und Jugendhilfe wäre es dringend nötig, dass dern noch deutlich schlechter geht. Wir wissen von der wir bei dieser Reform mutig voranschreiten. Unsere Kin- Zunahme sexueller Gewalt, wir wissen von der Zunahme der und Jugendlichen brauchen unsere Hilfe. häuslicher Gewalt, von der Zunahme von Missbrauch Vielen Dank. und Vernachlässigung. Deswegen möchte ich auf einen Punkt im Antrag der Grünen, der mir sehr wichtig ist und (Beifall bei der FDP) bei dem ich sehr großen Reformbedarf sehe, besonders eingehen – liebe Kolleginnen und Kollegen von der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: CDU/CSU, wenn Sie es ernst meinen, können Sie sich Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das uns da gerne anschließen –: Die Kinder- und Jugendhilfe von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte in Deutschland ist systemrelevant, und zwar überall und Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den An- zu jeder Zeit. Es ist an der Zeit, dass wir der Kinder- und trag des Bundesfinanzministeriums mit dem Titel „Be- Jugendhilfe auch auf Bundesebene den Platz einräumen, reitstellung des ESM-Instruments ECCL Pandemic Crisis den sie verdient. Support (PCSI); Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Abs. 1 (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG)“ bekannt: Es sind der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- abgegeben worden 645 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt SES 90/DIE GRÜNEN) 426, mit Nein haben gestimmt 88, Enthaltungen 131. Der Sie ist lebensentscheidend und lebensrettend für unsere Antrag des Bundesfinanzministeriums ist damit ange- Kinder. Aber wir sehen, dass wir dafür Sorge tragen müs- nommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19869

(A) Endgültiges Ergebnis Eberhard Gienger Dr. Silke Launert Eckhardt Rehberg (C) Abgegebene Stimmen: 645; Eckhard Gnodtke Jens Lehmann Lothar Riebsamen davon Ursula Groden-Kranich Paul Lehrieder Josef Rief ja: 427 Hermann Gröhe Dr. Katja Leikert Johannes Röring nein: 87 Klaus-Dieter Gröhler Dr. Andreas Lenz Dr. Norbert Röttgen enthalten: 131 Michael Grosse-Brömer Antje Lezius Stefan Rouenhoff Astrid Grotelüschen Andrea Lindholz Erwin Rüddel Ja Markus Grübel Dr. Carsten Linnemann Stefan Sauer CDU/CSU Manfred Grund Patricia Lips Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Michael von Abercron Oliver Grundmann Nikolas Löbel Andreas Scheuer Stephan Albani Monika Grütters Bernhard Loos Tankred Schipanski Norbert Maria Altenkamp Fritz Güntzler Dr. Jan-Marco Luczak Christian Schmidt (Fürth) Peter Altmaier Olav Gutting Daniela Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Philipp Amthor Christian Haase Karin Maag Nadine Schön Artur Auernhammer Florian Hahn Yvonne Magwas Felix Schreiner Peter Aumer Jürgen Hardt Dr. Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Dorothee Bär Matthias Hauer Gisela Manderla Uwe Schummer Thomas Bareiß Mark Hauptmann Dr. Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Rhein) Norbert Barthle Dr. Matthias Heider Matern von Marschall Torsten Schweiger Maik Beermann Mechthild Heil Hans-Georg von der Detlef Seif Manfred Behrens (Börde) Thomas Heilmann Marwitz Johannes Selle Veronika Bellmann Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker Dr. André Berghegger Rudolf Henke Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg Melanie Bernstein Michael Hennrich Dr. Michael Meister Bernd Siebert Christoph Bernstiel Marc Henrichmann Dr. Angela Merkel Thomas Silberhorn Peter Beyer Ansgar Heveling Jan Metzler Björn Simon Marc Biadacz Christian Hirte Dr. h. c. (Univ Kyiv) Tino Sorge Steffen Bilger Dr. Heribert Hirte Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn (B) Peter Bleser Alexander Hoffmann (D) Dietrich Monstadt Katrin Staffler Norbert Brackmann Karl Holmeier Karsten Möring Frank Steffel Dr. Reinhard Brandl Dr. Hendrik Hoppenstedt Elisabeth Motschmann Dr. Wolfgang Stefinger Silvia Breher Erich Irlstorfer Axel Müller Albert Stegemann Sebastian Brehm Thomas Jarzombek Dr. Gerd Müller Andreas Steier Heike Brehmer Andreas Jung Sepp Müller Sebastian Steineke Ralph Brinkhaus Ingmar Jung Carsten Müller Johannes Steiniger Dr. Carsten Brodesser Alois Karl (Braunschweig) Christian Frhr. von Stetten Gitta Connemann Anja Karliczek Stefan Müller (Erlangen) Dieter Stier Astrid Damerow Torbjörn Kartes Dr. Andreas Nick Gero Storjohann Alexander Dobrindt Volker Kauder Petra Nicolaisen Stephan Stracke Michael Donth Dr. Stefan Kaufmann Michaela Noll Max Straubinger Marie-Luise Dött Ronja Kemmer Dr. Georg Nüßlein Dr. Peter Tauber Hansjörg Durz Roderich Kiesewetter Michael Kießling Wilfried Oellers Dr. Hermann-Josef Tebroke Thomas Erndl Dr. Georg Kippels Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Hermann Färber Volkmar Klein Josef Oster Alexander Throm Uwe Feiler Axel Knoerig Henning Otte Antje Tillmann Enak Ferlemann Jens Koeppen Ingrid Pahlmann Markus Uhl Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Markus Koob Martin Patzelt Dr. Volker Ullrich Dr. Maria Flachsbarth Carsten Körber Dr. Joachim Pfeiffer Arnold Vaatz Thorsten Frei Alexander Krauß Stephan Pilsinger Kerstin Vieregge Dr. Hans-Peter Friedrich Gunther Krichbaum Dr. Christoph Ploß Volkmar Vogel (Kleinsaara) (Hof) Dr. Günter Krings Eckhard Pols Christoph de Vries Michael Frieser Rüdiger Kruse Thomas Rachel Kees de Vries Hans-Joachim Fuchtel Michael Kuffer Kerstin Radomski Dr. Johann David Wadephul Ingo Gädechens Andreas G. Lämmel Alexander Radwan Marco Wanderwitz Dr. Thomas Gebhart Katharina Landgraf Alois Rainer Nina Warken Alois Gerig Ulrich Lange Dr. Peter Ramsauer Kai Wegner 19870 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Albert H. Weiler Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Dr. Franziska Brantner (C) Marcus Weinberg Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Agnieszka Brugger (Hamburg) Gustav Herzog René Röspel Dr. Anna Christmann Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Ekin Deligöz Sabine Weiss (Wesel I) Thomas Hitschler Michael Roth (Heringen) Katja Dörner Marian Wendt Dr. Eva Högl Susann Rüthrich Harald Ebner Kai Whittaker Frank Junge Bernd Rützel Matthias Gastel Annette Widmann-Mauz Josip Juratovic Sarah Ryglewski Kai Gehring Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Johann Saathoff Becker Stefan Gelbhaar Oliver Kaczmarek Axel Schäfer (Bochum) Oliver Wittke Katrin Göring-Eckardt Elisabeth Kaiser Dr. Nina Scheer Emmi Zeulner Erhard Grundl Gabriele Katzmarek Marianne Schieder Paul Ziemiak Britta Haßelmann Cansel Kiziltepe Udo Schiefner Dr. Matthias Zimmer Dr. Bettina Hoffmann Arno Klare Dr. Nils Schmid Dr. Anton Hofreiter Lars Klingbeil Ulla Schmidt (Aachen) Dieter Janecek SPD Dr. Bärbel Kofler Dagmar Schmidt (Wetzlar) Niels Annen Daniela Kolbe Dr. Kirsten Kappert- Carsten Schneider (Erfurt) Gonther Ingrid Arndt-Brauer Anette Kramme Johannes Schraps Katja Keul Bela Bach Christine Lambrecht Michael Schrodi Sven-Christian Kindler Heike Baehrens Christian Lange (Backnang) Ursula Schulte Maria Klein-Schmeink Ulrike Bahr Dr. Karl Lauterbach Martin Schulz Sylvia Kotting-Uhl Nezahat Baradari Sylvia Lehmann Swen Schulz (Spandau) Oliver Krischer Doris Barnett Helge Lindh Frank Schwabe Stephan Kühn (Dresden) Dr. Matthias Bartke Kirsten Lühmann Stefan Schwartze Christian Kühn (Tübingen) Sören Bartol Heiko Maas Andreas Schwarz Renate Künast Bärbel Bas Isabel Mackensen Rita Schwarzelühr-Sutter Markus Kurth Lothar Binding Caren Marks Rainer Spiering (Heidelberg) Dorothee Martin Svenja Stadler Monika Lazar Dr. Eberhard Brecht (B) Katja Mast Martina Stamm-Fibich Sven Lehmann (D) Leni Breymaier Christoph Matschie Sonja Amalie Steffen Steffi Lemke Dr. Karl-Heinz Brunner Hilde Mattheis Mathias Stein Dr. Tobias Lindner Katrin Budde Dr. Matthias Miersch Kerstin Tack Dr. Irene Mihalic Dr. Lars Castellucci Klaus Mindrup Claudia Tausend Claudia Müller Bernhard Daldrup Susanne Mittag Michael Thews Beate Müller-Gemmeke Dr. Karamba Diaby Falko Mohrs Markus Töns Dr. Ingrid Nestle Esther Dilcher Claudia Moll Carsten Träger Dr. Konstantin von Notz Sabine Dittmar Siemtje Möller Ute Vogt Omid Nouripour Saskia Esken Detlef Müller (Chemnitz) Marja-Liisa Völlers Friedrich Ostendorff Yasmin Fahimi Michelle Müntefering Dirk Vöpel Cem Özdemir Dr. Johannes Fechner Dr. Rolf Mützenich Gabi Weber Lisa Paus Dr. Fritz Felgentreu Ulli Nissen Dr. Joe Weingarten Ulrich Freese Filiz Polat Thomas Oppermann Bernd Westphal Dagmar Freitag Tabea Rößner Josephine Ortleb Dirk Wiese Michael Gerdes Claudia Roth (Augsburg) Mahmut Özdemir Gülistan Yüksel Martin Gerster (Duisburg) Dr. Manuela Rottmann Dagmar Ziegler Angelika Glöckner Aydan Özoğuz Manuel Sarrazin Stefan Zierke Timon Gremmels Markus Paschke Ulle Schauws Dr. Jens Zimmermann Kerstin Griese Christian Petry Stefan Schmidt Michael Groß Detlev Pilger Dr. Wolfgang Strengmann- Uli Grötsch Sabine Poschmann BÜNDNIS 90/ Kuhn Rita Hagl-Kehl Florian Post DIE GRÜNEN Margit Stumpp Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Luise Amtsberg Markus Tressel Sebastian Hartmann Florian Pronold Lisa Badum Jürgen Trittin Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Annalena Baerbock Dr. Julia Verlinden Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Margarete Bause Daniela Wagner Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Dr. Danyal Bayaz Beate Walter-Rosenheimer Marcus Held Sönke Rix Canan Bayram Gerhard Zickenheiner Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19871

(A) Nein Rüdiger Lucassen Karlheinz Busen Linda Teuteberg (C) CDU/CSU Jens Maier Carl-Julius Cronenberg Michael Theurer Dr. Lothar Maier Britta Katharina Dassler Stephan Thomae Hans-Jürgen Irmer Dr. Birgit Malsack- Bijan Djir-Sarai Manfred Todtenhausen Sylvia Pantel Winkemann Christian Dürr Dr. Florian Toncar Dr. Dietlind Tiemann Corinna Miazga Hartmut Ebbing Dr. Andrew Ullmann Klaus-Peter Willsch Andreas Mrosek Dr. Marcus Faber Gerald Ullrich Hansjörg Müller Daniel Föst Johannes Vogel (Olpe) AfD Volker Münz Otto Fricke Sandra Weeser Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Thomas Hacker Nicole Westig Marc Bernhard Christoph Neumann Reginald Hanke Katharina Willkomm Andreas Bleck Jan Ralf Nolte Peter Heidt Ulrich Oehme Peter Boehringer Katrin Helling-Plahr DIE LINKE Stephan Brandner Gerold Otten Markus Herbrand Doris Achelwilm Jürgen Braun Frank Pasemann Torsten Herbst Gökay Akbulut Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Katja Hessel Simone Barrientos Matthias Büttner Paul Viktor Podolay Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Dietmar Bartsch Petr Bystron Stephan Protschka Manuel Höferlin Lorenz Gösta Beutin Tino Chrupalla Martin Erwin Renner Dr. Christoph Hoffmann Matthias W. Birkwald Joana Cotar Roman Johannes Reusch Reinhard Houben Michel Brandt Dr. Gottfried Curio Ulrike Schielke-Ziesing Ulla Ihnen Christine Buchholz Siegbert Droese Dr. Robby Schlund Olaf In der Beek Dr. Birke Bull-Bischoff Thomas Ehrhorn Jörg Schneider Gyde Jensen Jörg Cezanne Berengar Elsner von Uwe Schulz Dr. Christian Jung Sevim Dağdelen Gronow Thomas Seitz Karsten Klein Fabio De Masi Dr. Michael Espendiller Martin Sichert Dr. Marcel Klinge Dr. Diether Dehm Peter Felser Detlev Spangenberg Daniela Kluckert Klaus Ernst Dietmar Friedhoff René Springer Pascal Kober Beatrix von Storch Susanne Ferschl (B) Dr. Anton Friesen Dr. Lukas Köhler (D) Brigitte Freihold Markus Frohnmaier Dr. Alice Weidel Carina Konrad Nicole Gohlke Dr. Götz Frömming Dr. Harald Weyel Wolfgang Kubicki Dr. André Hahn Dr. Alexander Gauland Wolfgang Wiehle Konstantin Kuhle Matthias Höhn Dr. Axel Gehrke Dr. Heiko Wildberg Alexander Kulitz Andrej Hunko Albrecht Glaser Dr. Christian Wirth Alexander Graf Lambsdorff Ulla Jelpke Franziska Gminder Ulrich Lechte Kerstin Kassner Wilhelm von Gottberg FDP Christian Lindner Kay Gottschalk Dr. Achim Kessler Dr. Wieland Schinnenburg Oliver Luksic Katja Kipping Armin-Paulus Hampel Till Mansmann Jan Korte Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Jürgen Martens Fraktionslos Jutta Krellmann Dr. Roland Hartwig Christoph Meyer Verena Hartmann Caren Lay Jochen Haug Alexander Müller Lars Herrmann Sabine Leidig Udo Theodor Hemmelgarn Roman Müller-Böhm Ralph Lenkert Waldemar Herdt Frank Müller-Rosentritt Stefan Liebich Martin Hess Enthalten Dr. Martin Neumann Dr. Gesine Lötzsch Karsten Hilse FDP (Lausitz) Nicole Höchst Matthias Nölke Thomas Lutze Grigorios Aggelidis Martin Hohmann Hagen Reinhold Pascal Meiser Renata Alt Dr. Bruno Hollnagel Bernd Reuther Amira Mohamed Ali Leif-Erik Holm Christine Aschenberg- Cornelia Möhring Dugnus Dr. h. c. Thomas Fabian Jacobi Sattelberger Norbert Müller (Potsdam) Nicole Bauer Jens Kestner Christian Sauter Zaklin Nastic Jens Beeck Stefan Keuter Frank Schäffler Dr. Alexander S. Neu Dr. Jens Brandenburg Norbert Kleinwächter (Rhein-Neckar) Matthias Seestern-Pauly Petra Pau Enrico Komning Mario Brandenburg Judith Skudelny Sören Pellmann Jörn König (Südpfalz) Dr. Hermann Otto Solms Victor Perli Steffen Kotré Sandra Bubendorfer-Licht Bettina Stark-Watzinger Tobias Pflüger Dr. Rainer Kraft Dr. Marco Buschmann Benjamin Strasser Martina Renner 19872 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Bernd Riexinger Friedrich Straetmanns Kathrin Vogler Sabine Zimmermann (C) Eva-Maria Schreiber Dr. Kirsten Tackmann Andreas Wagner (Zwickau) Helin Evrim Sommer Jessica Tatti Harald Weinberg Kersten Steinke Alexander Ulrich Katrin Werner

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Es geht weiter in der Debatte mit der Kollegin Sabine nicht ausgleichen, da diese Artikel oft vergriffen waren. Zimmermann, Fraktion Die Linke. Wir fühlen uns vergessen von der Politik.“ – Das ist Realität in Deutschland. Deshalb braucht es endlich einen (Beifall bei der LINKEN) Pandemiezuschlag für Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher und auf alle Sicherungsleistungen, und das Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): rückwirkend ab März. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Kinderrechte sind Menschenrechte. Kinder und Ju- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gendliche brauchen eine besondere Fürsorge und Unter- stützung. So verlangt es die Allgemeine Erklärung der Damit die Bundesregierung die Kinder nicht vergisst, Menschenrechte. Auch die UN-Kinderrechtskonvention fordert Die Linke einen Kindergipfel, einen Gipfel, bei verbürgt ein Recht auf soziale Sicherheit und auf einen dem es eben nicht um Konzerninteressen geht, sondern angemessenen Lebensstandard. Die Linke fordert: Kin- um Kinder, um Jugendliche und um arme Familien, derrechte müssen endlich ins Grundgesetz. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) um ein Coronaelterngeld, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt, mehr Förderung für Schülerin- In einem reichen Land wie Deutschland muss jedes nen und Schüler, damit sie durch Homeschooling nicht Kind an dem Lebensstandard teilhaben können, der für noch mehr abgehängt werden, sowie den Aufbau und die eine große Mehrheit selbstverständlich ist. Aber Ihre Finanzierung neuer Angebotsformen in der Kinder- und eigenen Zahlen, meine Damen und Herren der Bundesre- Jugendhilfe. Das wäre die Tagesordnung für einen Kin- gierung, besagen, dass rund 2,5 Millionen Kinder in Ar- (B) dergipfel, meine Damen und Herren. Nehmen Sie die (D) mut leben und eben nicht am allgemeinen Wohlstand teil- Kinder endlich in den Blick! haben können. Das ist beschämend, und das werden wir als Linke niemals akzeptieren. Danke.

(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Kinderarmut ist immer die Armut der Eltern. Die Co- ronapandemie hat die Lage der Familien verschärft. Viele Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Eltern sind in Kurzarbeit oder haben sogar ihren Arbeits- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für Bündnis 90/Die platz verloren. Erwerbseinkommen brechen weg. Viele Grünen hat das Wort die Kollegin Annalena Baerbock. wissen nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Die Bundesregierung schätzt, dass mehrere Mil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lionen Menschen in Hartz IV geraten werden. Deshalb fordert Die Linke ein Kurzarbeitergeld in Höhe von min- destens 90 Prozent, ein höheres Arbeitslosengeld und Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einen höheren Mindestlohn. NEN): Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lie- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) be 13 Millionen Kinder und Jugendliche im Land! Wir Das wären die richtigen Antworten auf die Wirtschafts- haben euch im Blick. krise. Das würde eine drohende soziale Krise abwenden, das würde vielen Familien helfen und übrigens auch die (Zuruf von der AfD: Das war eine Drohung!) Binnenkonjunktur ankurbeln. Ich glaube, das macht diese Debatte deutlich. Aber zu- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gleich macht diese Debatte auch deutlich, dass Im-Blick- Haben nicht ausreicht. Die Ausgaben steigen. Ich zitiere aus einer Nachricht einer alleinerziehenden Frau mit drei Kindern, die mich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) via Facebook erreicht hat: „Auch im Stromverbrauch wird es sich niederschlagen, wenn statt einer Person Es reicht nicht aus, wenn wir hier als Politik beschreiben, nun vier den ganzen Tag zu Hause verbringen. Die Preise dass es für die Kinder gerade nicht einfach ist. Vielmehr für Mundschutz sind relativ hoch. Kopien für die Haus- ist der Staat, die öffentliche Hand per Grundgesetz ver- aufgaben gehen immens ans Portemonnaie. Mit billigen pflichtet, alles dafür zu tun, damit die Kinder und Jugend- Nudeln und Eiern konnten wir das in den letzten Wochen lichen endlich wieder zu ihren Rechten kommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19873

Annalena Baerbock (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen: Wir müssen alle Voraussetzungen schaffen, (C) sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] um zu einem Regelbetrieb zurückzukehren, und zwar [DIE LINKE]) allerspätestens nach den Sommerferien. Tests in Kitas und Schulen! Die Studien, die in Auftrag gegeben wer- Wir haben eine Verpflichtung; ansonsten ziehen sich den, müssen auf Bundesebene gebündelt werden. Wir Kinder zurück. Sie machen einfach so weiter. Aber wenn müssen die Studien, die in Baden-Württemberg und Lehrerinnen und Lehrer, denen dieser Tage auch unser Sachsen gemacht werden, mit den Studien aus Österreich Dank gebührt, anrufen und fragen: „Wie geht’s?“, dann und Dänemark vergleichen. Wenn wir dann erkennen, reden manche Kinder nicht mehr. Dann beschreiben sie dass die Infektionskette von dort nicht ausgeht, dass es nicht, was in ihnen passiert. Oder Dritt- oder Viertkläss- gar keine Infektionsketten in der Notbetreuung gibt, müs- lerinnen berichten: Wenn dieses Land mich nicht will, sen wir natürlich zu einem Regelbetrieb zurückkommen. warum soll ich dann überhaupt meine Hausaufgaben ma- Wir müssen zudem dafür sorgen, dass das, was beim chen? – Das kommt ja nicht irgendwoher, sondern es DigitalPakt geschaffen wurde, wirklich in die Schulen kommt von dem Gefühl: Wir dürfen nicht in die Schule kommt. gehen; wir dürfen nicht an unsere Orte gehen. – Die Kinder haben solche Gefühle, weil sie zum Beispiel vor einem Baumarkt ein Schild sehen mit der Aufschrift: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Lassen Sie Ihre Kinder bitte draußen! – Was löst das in Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Kindern und Jugendlichen aus? Was bedeutet das für unsere Demokratie, wenn bei denjenigen, die in den Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nächsten Jahrzehnten für dieses Land stehen, das Vertrau- NEN): en in den Staat, das Vertrauen in Politik so massiv be- Wir haben zu wenige Fachkräfte sowie Lehrerinnen schädigt wird? und Lehrer. Diese müssen in die Schulklassen zugeschal- tet werden und nicht die Kinder aus dem Homeoffice. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Weinberg, ich glaube, wir stimmen bei vielem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überein. Natürlich mussten Kitas und Schulen am Anfang sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] geschlossen werden. Aber es kann jetzt nicht einfach so [DIE LINKE]) weitergehen, nach dem Motto: Schauen wir mal, was Ein Bildungspaket für alle Kinder in diesem Land, das dann kommt. – Der zerbrechlichste Bereich kann nicht müssen wir hier im Bundestag schaffen, und zwar vor den der Bereich sein, der als Letztes wieder zu einer neuen Sommerferien, meine sehr verehrten Damen und Herren. Normalität zurückkehrt. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) [DIE LINKE]) Der zerbrechlichste Bereich muss der Bereich sein, wo Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: der Staat alles dafür tut, dass die Rechte eingehalten wer- Die nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion die den. Sonst gehen Familien kaputt. Sonst zerbrechen Kin- Kollegin Michaela Noll. der. Das erleben wir alle angesichts der Rückmeldungen, (Beifall bei der CDU/CSU) die wir tagtäglich bekommen. Das kann auch kein Mil- liardenrettungspaket dieser Welt jemals wiedergutma- chen. Michaela Noll (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen! Kollegin Dörner, wir haben es geschafft. Wir haben hier und heute eine Stunde Debatte über die Frage, wie es Natürlich ist es nicht einfach. Ich nenne als Beispiel den Familien geht. Es geht um die Rechte der Kinder. den Föderalismus gerade im Bildungsbereich. Hier hat Deswegen bin ich ganz dankbar, dass die Anträge einge- der Bund eigentlich keine wirkliche Zuständigkeit. Zu- bracht wurden. Ich halte das Thema für ausgesprochen ständig sind die Länder. Diese sagen dann, dass eigentlich wichtig. die Kreisschulämter zuständig sind. Das ist natürlich ver- flixt. Aber es entbindet uns nicht von der Verantwortung, (Beifall bei der CDU/CSU) zu tun, was wir auf Bundesebene tun können. Was mir aufgefallen ist, bevor ich nach Berlin gekom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men bin: Schräg gegenüber bei mir zu Hause ist ein Spiel- platz. Endlich waren die rot-weißen Bänder wieder weg. Das heißt, wir kommen mit einem Konzept der Notbe- Ich hörte Kinder, die spielten, die im Sand spielten, die treuung nicht weiter. Wir haben 3,7 Millionen Kitakinder. lachten und die sich stritten. Das war für mich ein Zei- Selbst wenn wir 50 Prozent der Eltern als systemrelevant chen: Das Leben kehrt so langsam wieder zurück, lang- einstufen, haben wir nach wie vor 1,5 Millionen Kinder, sam wieder ein Schritt in Richtung Normalität. Deswegen die nicht in die Kita gehen. Sie können ja nicht am Vor- möchte ich an dieser Stelle einfach einmal Danke sagen. mittag im Biergarten abgegeben werden. Das sind vor Wir haben den Ärzten gedankt. Wir haben den Pflegern allen Dingen die Kinder, die am meisten Unterstützung gedankt. Ich möchte mich bei jedem bedanken, der bereit brauchen. war, zurückzustecken, der die Hygieneregeln und die Ab- 19874 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Michaela Noll (A) standsregeln eingehalten hat. Die Pandemie trifft Klein Nach 18 Jahren Parlamentsmitgliedschaft glaube ich, (C) wie Groß, Arm wie Reich. Sie macht keinen Unterschied dass das ein gutes Signal ist. Aber ich gestehe ein: Da in Klassen und auch keinen Unterschied im Land. Weil muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, weil sich die Menschen, viele Bürger, daran gehalten haben, sich die Juristen an dieser Stelle besonders schwertun. sind wir heute da, wo wir sind, und können über Locke- rungen sprechen. Ein weiterer Punkt, der angesprochen wurde, ist der Kindergipfel. Es hat einen Kindergipfel gegeben. Kollege (Beifall bei der CDU/CSU) Müller, ich glaube, da waren Sie noch nicht im Parlament. Das war 2006; da hatten wir das große Thema Integra- Aber ein besonderes Dankeschön möchte ich an die tion. Wir von der Kinderkommission haben den ersten Eltern richten. Ich glaube, ich spreche hier für alle Frak- großen Kindergipfel gemacht. Vor dem Paul-Löbe-Haus tionen: Alle Kollegen haben Video- oder Telefonkonfe- haben wir den Reichstag nachgebildet. Die Kinder sind renzen hinter sich genauso wie ich; am Dienstag waren es eingeladen worden. Was ich mir wünsche, ist ein Kinder- sieben Stunden. Wenn ich mir vorstelle, dass während gipfel pro Legislaturperiode, um festzustellen: Wo stehen solcher Konferenzen ein Zweijähriger unter dem Tisch die Kinder in Deutschland? Wo sind die Chancen? Wo krabbelt und dass dann noch ein Sechsjähriger da ist, sind die Perspektiven? Wo müssen wir mehr tun? Der dem ich Mathe beibringen muss, dann weiß ich ganz ge- Missbrauchsbeauftragte Johannes Rörig hat auch letztes nau, dass das grenzwertig ist. Das schafft man einen Tag, Mal, als er zu uns gesprochen hat, festgestellt, dass Hand- das schafft man eine Woche. Aber es ist ungeheuer an- lungsbedarf besteht. Wenn wir die Statistiken sehen, wis- strengend. Deswegen sage ich an dieser Stelle ein herz- sen wir: Wir müssen auch beim Kinderschutz noch besser liches Dankeschön an die Eltern. werden. Ich war Berichterstatterin für Kinderschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zu dem Antrag der Grünen. Kollegin Dörner, Sie ha- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ben gesagt, die Kinder- und Jugendhilfe sei systemrele- GRÜNEN) vant. Das ist ein Punkt, bei dem ich mitgehen kann. Sie ist systemrelevant. Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe Was aber richtig ist: Politik ist in der Verantwortung. sind zum Teil nicht mehr in die Familien gegangen, weil Deswegen sprechen wir heute darüber, und deswegen sie keine Schutzanzüge hatten; da müssen wir etwas tun. werde ich auch gleich auf Ihre Anträge eingehen. Warum Aber ich glaube nicht, dass jetzt der Zeitpunkt ist, um gab es denn das Kontaktverbot für die Kinder? Mein einen Pandemieplan für die Zukunft zu entwerfen. Die Kollege Weinberg hat es explizit dargestellt. Wir haben Kinder dort aufzunehmen, halte ich für wichtig. Aber mit der Pandemie Neuland betreten. Wir wussten nicht, vieles von dem, was der Antrag der Grünen enthält, be- wie infektiös das bei Kindern ist. In Amerika ist inzwi- (B) trifft die Länderkompetenz. Da müssen Sie auch mit Ih- (D) schen von einem Kawasaki-Syndrom die Rede. Das ha- ren Regierungen sprechen. ben wir Gott sei Dank nicht. In dem Moment, wo wir mehr wissen, wird es etwas einfacher. Aber jetzt ist es Nichtsdestotrotz bin ich der festen Überzeugung: so: Die Kitas öffnen langsam, und man kann die Kinder Wenn wir die Pandemie überstanden haben – das haben wieder in die Kitas schicken. wir nämlich noch nicht –, wenn wir einen Impfstoff ha- ben, dann werden wir Bilanz ziehen. Dann werden wir Das, was der Kollege Müller eben sagte und was auch fragen: Wo sind Fehler gemacht worden? Jens Spahn, im Antrag der Linken steht, stimmt ja nicht so ganz. Sie unser Gesundheitsminister, hat in einer Rede bereits ge- sprechen von einer Ausgangssperre. Diese gab es so nie. sagt: Vielleicht müssen wir an der einen oder anderen Die Kinder konnten vor die Tür. Die Kinder konnten mit Stelle verzeihen. – Ich hoffe nicht, dass es dazu kommen den Eltern etwas unternehmen. Die Kinder konnten sich wird. Aber wir alle sind in einem Lernprozess. Wir sehen bewegen; man musste es nur machen. Wenn Sie von einer die Chancen der Digitalisierung; wir sehen die Risiken. Ausgangssperre sprechen, dann erwähnen Sie bitte Spa- Was ich mir auf jeden Fall wünsche, ist, dass Kinderlärm nien. In Spanien durften die Kinder sechs Wochen die wieder Zukunftsmusik ist, und zwar für uns alle. Wohnung nicht verlassen. Der einzige Glückliche war, der einen Hund hatte. Der durfte vor die Tür. Davon Vielen Dank. waren wir himmelweit entfernt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Aber was brauchen Kinder? Kinder brauchen Bewe- gung, Förderung. Sie brauchen Kontakt; sie brauchen Schutz. Wir haben eben verschiedene Redner gehört, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die gefordert haben: Kinderrechte in das Grundgesetz. Vielen Dank, Michaela Noll. – Die nächste Rednerin: Ich war lange Mitglied und Vorsitzende der Kinderkom- für die SPD-Fraktion die Kollegin Ulrike Bahr. mission und weiß, dass wir das sehr differenziert betrach- ten. Ich weiß auch, dass das bei uns in der Union unter- (Beifall bei der SPD) schiedlich gesehen wird. Ich war immer jemand, der sehr stark dazu tendiert hat, Kinderrechte in das Grundgesetz Ulrike Bahr (SPD): zu nehmen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Kinderrechte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der stehen zwar trotz Koalitionsvereinbarung leider noch SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ nicht im Grundgesetz; aber auch in der Pandemie gilt DIE GRÜNEN) unser bewährtes Kinder- und Jugendhilferecht. Gerade Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19875

Ulrike Bahr (A) in der Krise haben Kinder ein Recht auf Förderung, und Franziska Giffey keine Gelegenheit auslässt, sich für die (C) es bleibt Aufgabe der Jugendhilfe, sie zu schützen, zu Bedarfe von Kindern und Familien starkzumachen. fördern und Benachteiligungen abzubauen. In der Krise zeigt sich der Charakter, um mit Helmut In der Umsetzung ist das eine Herausforderung; das Schmidt zu sprechen, und darum gilt mit wie ohne Pande- wissen wir alle. Kontaktbeschränkungen, geschlossene mie: Wir dürfen kein Kind zurücklassen, wir müssen Schulen und Kitas, eingeschränkte Spielmöglichkeiten Spaltung überwinden statt verstärken und die Rechte aller und vielleicht auch noch beengte Wohnverhältnisse las- Kinder auf Bildung, Beteiligung und Entwicklung zu sen Konflikte daheim erst recht eskalieren. Das macht es selbstbestimmten Persönlichkeiten unterstützen. Insofern schwer, von außen Probleme zu erkennen und Hilfsange- ist es gut und richtig, die Anliegen der Kinder an alle bote zu machen. Aber ich möchte auch betonen, dass politischen Ebenen hier und heute noch einmal prominent weiterhin mit viel Kreativität und Engagement hervor- ins Licht zu rücken. ragende Arbeit geleistet wird. Vielen Dank. Nur einige Beispiele: Das Elterntelefon und die „Num- mer gegen Kummer“ für Kinder haben ihre Kapazitäten (Beifall bei der SPD) stark ausgeweitet und werden vielfach genutzt. Von der lokalen Beratungsstelle über die sozialpädagogische Fa- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: milienhilfe bis zur Kita bieten viele Träger Gespräche, Vielen Dank, Frau Kollegin Bahr. – Die letzte Redne- aber auch konkrete Arbeit mit Kindern, telefonisch oder rin zu TOP 12 ist für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin per Videoschalte, an. Mitarbeitende von Kinder- und Ju- Ingrid Pahlmann. gendzentren machen Haustürbesuche und bringen Spiel- und Lesematerial vorbei, und die Erzieherinnen und Er- (Beifall bei der CDU/CSU) zieher in Notaufnahmen, stationären Einrichtungen und Wohngruppen leisten wie die Familien gerade Außerge- Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): wöhnliches, weil sie auch die Schule, die Sportangebote Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und oder die Treffen mit Freunden ersetzen und deren Fehlen Kollegen! Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben ausgleichen müssen. Dafür möchte ich an dieser Stelle schon geschildert, vor welche Herausforderungen die Co- auch einmal Danke sagen. ronapandemie Familien und Kinder stellt, dass Väter und Mütter unter vielfacher Belastung stehen, viel Kraft, (Beifall bei der SPD) Durchhaltevermögen und Kreativität an den Tag legen Denn die engagierten Fachkräfte in der Kinder- und Ju- müssen, um diese ungewöhnliche Situation immer in (B) gendhilfe werden viel zu oft nicht erwähnt, obwohl auch den Griff zu bekommen, und dass die Lage der Kinder, (D) sie höchst systemrelevant den Laden am Laufen halten. dass die Beachtung ihrer Rechte natürlich auch ein be- sonderes Augenmerk der Politik erfordern. Die finanzielle Absicherung unserer Unterstützungs- systeme ist relativ schnell ins Rollen gekommen. Vom Ja, liebe Antragsteller der Grünen und der Linken, da Sozialdienstleister-Einsatzgesetz bis zum nachverhandel- sind wir völlig bei Ihnen. Und ja, in der Spitzenphase der ten und heute Morgen endlich beschlossenen Schutz- Pandemie sind leider auch oft die Belange der Kinder und schirm für die Sozialpädiatrischen Zentren gibt es inzwi- Jugendlichen in den Hintergrund gerückt. Die ersten schen eine Struktur, die unsere Träger und Einrichtungen Maßnahmen dienten dem Gesundheitsschutz, um Men- die Krise hoffentlich gut überstehen lässt. Ohne das En- schen vor Ansteckung zu bewahren. Und ja, es wurden gagement der Bundesländer und der Kommunen wird es viele finanzielle Mittel auf den Weg gebracht, die der hier allerdings aufgrund der vielfältigen Angebotsland- Wirtschaft, dem möglichen Erhalt von Betrieben und Ar- schaft nicht gehen. beitsplätzen dienten. Wahr ist aber auch, dass diese fi- nanziellen Hilfen eben auch den Familien zugutegekom- Die Krise lässt aber auch erkennen, wo wir noch nach- men sind und weiterhin -kommen. bessern müssen. Stellvertretend auch für andere benach- teiligte Gruppen denke ich an die Situation von Kindern Die Maßnahmen speziell für Familien wurden zum mit psychisch kranken und suchtkranken Eltern. Das sind Teil schon genannt. Um coronabedingte Einkommensein- nach vorsichtigen Schätzungen immerhin circa 3 Millio- brüche zu minimieren, wurde ein Notkinderzuschlag ein- nen. Sie haben ohnehin schon zu wenig verfügbare Hilfe- geschossen. Es gab Anpassungen beim Elterngeld, und strukturen und leiden besonders darunter, wenn Kita, für den digitalen Unterricht wollen wir gemeinsam mit Schule und Umfeld keine Entlastung bieten können. den Ländern kurzfristig Finanzmittel zur Verfügung stel- len. Darum ist es richtig, auch und gerade in der Krise weiter an der Reform unserer Kinder- und Jugendhilfe Heute Morgen haben wir über das Zweite Gesetz zum zu arbeiten. Der Beteiligungsprozess mit den vielen, vie- Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von len großen Präsenzrunden hat zum Glück ja bereits im nationaler Tragweite abgestimmt. Ich habe dazu eine per- letzten Jahr stattgefunden. Jetzt geht es darum, besseren sönliche Erklärung abgegeben. Dem Gesetz stimme ich Kinderschutz, mehr Inklusion, mehr Beteiligungs- und in inhaltlicher Hinsicht durchaus in den allerallermeisten Beschwerdemöglichkeiten, eine gute Präventionsstruktur Passagen zu. Aber aus familienpolitischer Sicht halte ich und eine starke Kinder- und Jugendhilfe umzusetzen. eine Verlängerung oder Entfristung der Lohnersatzleis- Daran arbeitet das Familienministerium unter Hoch- tung für Eltern, die ihre Kinder aufgrund der Schließung druck, wie ohnehin auch unsere Bundeskinderministerin von Kita und Schule selbst betreuen müssen, über die im 19876 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Ingrid Pahlmann (A) Gesetz vorgesehenen sechs Wochen hinaus für unbedingt Deshalb ist es auch eine Aufgabe für die Zukunft, vor- (C) notwendig; handene Beratungsstrukturen zu stärken, weil wir wirk- lich davon ausgehen können, dass der Beratungsbedarf in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Nach-Corona-Zeit ansteigen wird. Denn natürlich ah- denn finanzielle Nöte in der Familie belasten auch die nen wir, dass die letzten Wochen tiefe Wunden bei Kin- Kinder über Gebühr. dern und Familien hinterlassen haben. Deshalb müssen wir auf allen Ebenen an einem Strang ziehen, um Gutes Ja, aber nicht nur das. Auch der Austausch mit ande- zu bewahren und da, wo es Verbesserungsbedarf gibt, ren, mit Freunden, das freie Spielen, die Möglichkeit, nachzusteuern. Die Lebenswirklichkeit, die Bedürfnisse Sport zu treiben, sind elementar. Auch die Bundeskanz- von Kindern und Familien müssen wir bei unseren Ent- lerin hat nach der letzten Beratung mit den Länderchefs scheidungen immer im Auge haben. gesagt, wie wichtig es ist, dass Kinder möglichst bald in ihren normalen Lebensrhythmus zurückfinden. Aber wie Ich freue mich auf die fachliche Beratung der vorlie- sieht diese Rückkehr aus? Wie schnell kann sie gelingen? genden Anträge im Familienausschuss. Der Überweisung Das ist nicht nur eine Frage an den Bund. Hier haben stimmt die Fraktion der Union natürlich geschlossen zu. Länder und Kommunen das Zepter auch in der Hand. Ich freue mich über Ihre Aufmerksamkeit. Viele Forderungen aus der Opposition fallen eben aus- schließlich in die Zuständigkeit der Länder. Noch ein Wort zu Herrn Pasemann: Falsche Recher- che, Fake News kennen wir von Ihrer Fraktion. Nur Ihnen Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich zur Info und zur Klärung: 2019 waren die beliebtesten erlaube mir, Ihnen hier an dieser Stelle den Hinweis zu Vornamen bei Jungs Noah, Ben und Paul. Dass der eine geben: Ihre Partei ist in über zehn Bundesländern an der oder andere Name Ihnen dabei auch nicht passt, mag Regierung beteiligt und gestaltet dort Schul- und Kita- durchaus sein. Der von Ihnen zitierte Vorname, der übri- politik mit. Wenn Ihnen die Rechte der Jugendlichen gens wunderschön ist, findet sich nicht einmal unter den und deren Wahrnehmung am Herzen liegen, dann wen- Top Ten. Also bitte ein bisschen besser recherchieren! den Sie sich bitte auch an Ihre Parteikollegen und -kolle- ginnen vor Ort. Das gilt natürlich auch für die Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜND- [Potsdam] [DIE LINKE]: Auf elf bringen wir NIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: es auch noch irgendwann!) Da ist der doch wieder überführt, der Herr, der Lüge! Kommt das auch ins Video?) (B) Als Kommunalpolitikerin weiß ich, wie schwierig es (D) momentan ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Balance zwischen Bedürfnissen der Kinder, Kin- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: derschutz, Wahrung der Kinderrechte und Pandemieein- Ich schließe die Aussprache. dämmung zu finden. Auch wir in meiner Kommune ver- suchen momentan, den Weg zurück in die Normalität zu Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf finden. Als wichtiger Partner in dieser außergewöhnli- den Drucksachen 19/19146 und 19/19145 an die in der chen Zeit sind die vielfältigen Beratungsstrukturen zu Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. nennen, auf die wir zurückgreifen können: Familienbera- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht tung, Nummer gegen Kummer, Hilfetelefon gegen Ge- der Fall. Dann verfahren wir so. walt und vieles andere mehr. Sie sind vor Ort etabliert, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 g sowie und viele sind sich ihrer Verantwortung bewusst und ha- die Zusatzpunkte 5 a bis 5 k sowie Tagesordnungs- ben sich unglaublich schnell auf die veränderte Situation punkt 19 b auf. Es handelt sich um Überweisungen im eingestellt. Sie bieten Beratung per Telefon und online vereinfachten Verfahren ohne Debatte. an. Natürlich wissen auch wir, dass es da durchaus Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- Schwachstellen gibt. Die technische Ausstattung ist nicht sungen. Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 g und Zusatz- in allen Familien gegeben. Aber auch da gilt es, neben punkt 5 a sowie die Zusatzpunkte 5 c bis 5 k und Tages- den Finanzhilfen von Bund und Ländern die Politiker vor ordnungspunkt 19 b: Ort mit ins Boot zu nehmen; denn sie sind mit den Ge- 34 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung gebenheiten dort vertraut, sie kennen sich aus, sie können eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu manchmal viel schneller Abhilfe schaffen, als wir es hier dem Abkommen vom 27. September vom Bund aus können. 2019 zwischen der Regierung der Bundes- Ebenso gilt immer wieder der Satz: Jede Krise zeigt republik Deutschland und der Regierung auf, wo die Schwachstellen liegen, und jede Krise birgt in der Republik Polen über den Ersatzneu- sich die Chance zu grundlegender Verbesserung. – Das bau der Grenzbrücke im Raum Küstrin- hilft zwar nicht unbedingt in der momentanen Situation, Kietz – Küstrin (Kostrzyn nad Odrą) aber wir alle wissen, dass die Pandemie uns noch eine Zeit lang begleiten wird und dass in unserer globalen Drucksache 19/18788 Welt aller Wahrscheinlichkeit nach die Gefahr einer Wie- Überweisungsvorschlag: derholung eher steigt als abnimmt. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19877

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: (C) Stefan Schmidt, Dr. Kirsten Kappert- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) Gonther, Dr. Danyal Bayaz, weiterer Abge- Ausschuss Digitale Agenda ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Haushaltsausschuss GRÜNEN g) Beratung des Antrags der Abgeordneten EU-Tabaksteuerrichtlinie zu einer Steuer- Dr. Marcel Klinge, Michael Theurer, richtlinie für Rauch- und Dampfprodukte Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter weiterentwickeln und an gesundheitlichen und der Fraktion der FDP Auswirkungen ausrichten Mit guter Vorbereitung durch die Krise – Drucksache 19/18978 Heimische Tourismuswirtschaft pande- miefest machen Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Gesundheit Drucksache 19/19119 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Tourismus Johannes Huber, Martin Hohmann, Detlev ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Spangenberg, weiterer Abgeordneter und Dr. Anna Christmann, Kai Gehring, Claudia der Fraktion der AfD Müller, weiterer Abgeordneter und der Frak- Aufhebung der Ausschlussfrist in der tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtlinie über eine Anerkennungsleis- Aus dem Labor in die Praxis – Mit Inno- tung an ehemalige deutsche Zwangsarbei- vationen gesellschaftliche Herausforde- ter – ADZ-Anerkennungsrichtlinie rungen anpacken Drucksache 19/19163 Drucksache 19/16800 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Petitionsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Ausschuss für Inneres und Heimat zung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Ausschuss Digitale Agenda König, Andreas Mrosek, Andreas Bleck, (B) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Stephan Protschka, Berengar Elsner von AfD Gronow, Peter Felser, weiterer Abgeordneter Angemessene Prämien für Olympiasieger, und der Fraktion der AfD Paralympicssieger, Medaillengewinner Antrag auf abstrakte Normenkontrolle und Platzierte für Tokio 2021 beim Bundesverfassungsgericht gemäß Drucksache 19/19161 Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 des Grund- gesetzes wegen der Verordnung zur Ände- Überweisungsvorschlag: rung der Düngeverordnung und anderer Sportausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Vorschriften Haushaltsausschuss Drucksache 19/19158 e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Robby Schlund, Siegbert Droese, Markus Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Fraktion der AfD Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Sofortige Aussetzung aller Regressverfah- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten ren gegen niedergelassene Ärzte Benjamin Strasser, Sandra Bubendorfer- Licht, Stephan Thomae, weiterer Abgeordne- Drucksache 19/19162 ter und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Aus Corona lernen – Föderale Strukturen Finanzausschuss im Bevölkerungsschutz optimieren f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/19130 Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Katja Suding, Mario Brandenburg (Südpfalz), wei- Überweisungsvorschlag: terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Inneres und Heimat Corona-Sofortprogramm für eine digitale e) Beratung des Antrags der Abgeordneten und flexible Hochschullehre Britta Katharina Dassler, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/19121 und der Fraktion der FDP 19878 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Nationale Anti Doping Agentur – Alterna- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) tive Möglichkeiten der Dopingkontrolle NEN während der COVID-19-Pandemie Patientenorientierung und Patientenbetei- Drucksache 19/19131 ligung in der Digitalisierung im Gesund- heitswesen sicherstellen und dezentrale Überweisungsvorschlag: Sportausschuss Forschungsdateninfrastruktur aufbauen f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/19137 Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, Frank Überweisungsvorschlag: Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Fraktion der FDP zung Ausschuss Digitale Agenda Potential von Leasing als Investitionstur- bo besser nutzen k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Franziska Brantner, Drucksache 19/19127 Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeord- Überweisungsvorschlag: neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) GRÜNEN Finanzausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Aktuelle Einschränkungen des Grenzver- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten kehrs zurücknehmen und EU-Freizügig- Dr. Julia Verlinden, Dr. Ingrid Nestle, Oliver keit wiederherstellen Krischer, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/19149 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Energiewende weitertragen – Grünen Ausschuss für Inneres und Heimat Strom aus ersten EEG-Anlagen weiter- 19 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten nutzen Helin Evrim Sommer, Eva-Maria Schreiber, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/19140 Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Solidarität über Grenzen hinweg – Sofort- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (B) und Strukturhilfen für Länder des Südens (D) h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/19138 Renate Künast, Harald Ebner, Friedrich Überweisungsvorschlag: Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lung (f) Auswärtiger Ausschuss Nahrungsergänzungsmittel besser regulie- Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ren Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Drucksache 19/19135 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Überweisungsvorschlag: die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Ausschuss für Gesundheit Offenkundig nicht. Dann verfahren wir wie vorgeschla- i) Beratung des Antrags der Abgeordneten gen. Daniela Wagner, Claudia Müller, Christian Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter Federführung strittig ist, und zwar Zusatzpunkt 5 b: und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Mit Stadtentwicklung Innenstädte und terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Ortskerne lebendig halten – Kleine Ge- Einführen, Aufbau und Betrieb eines nationa- werbe schützen und Stadt der kurzen We- len Mortalitätsregisters für Forschungszwe- ge stärken cke Drucksache 19/19143 Drucksache 19/19160 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- Überweisungsvorschlag: nen (f) Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Federführung strittig Maria Klein-Schmeink, Dr. Konstantin von Hier wird interfraktionell Überweisung des Antrags Notz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter der Fraktion der AfD an die in der Tagesordnung aufge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19879

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der Sicherstellung nationaler Souveränität im 5G- (C) CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Aus- Mobilfunknetz schuss für Gesundheit. Die Fraktion der AfD möchte die Federführung gerne beim Ausschuss Digitale Agenda. Drucksachen 19/16058, 19/19209 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag lung auf Drucksache 19/19209, den Antrag der Fraktion der AfD abstimmen, also Federführung beim Ausschuss der AfD auf Drucksache 19/16058 abzulehnen. Wer Digitale Agenda. Wer stimmt dafür? – Die AfD. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Das sind alle stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen. Enthaltun- Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der AfD. – Gegen- gen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist damit ab- probe! – Die AfD. Enthaltungen? – Keine. Die Be- gelehnt. schlussempfehlung des Ausschusses ist damit angenom- Wir kommen zum Überweisungsvorschlag der Frak- men. tionen von CDU/CSU und SPD: Federführung beim Aus- Tagesordnungspunkte 35 c bis 35 o. Das sind Be- schuss für Gesundheit. Wer stimmt dafür? – Das sind alle schlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dage- gen? – Die AfD. Enthaltungen? – Keine. Der Überwei- Tagesordnungspunkt 35 c: sungsvorschlag ist damit angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 o auf. Es tionsausschusses (2. Ausschuss) handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu Sammelübersicht 530 zu Petitionen denen keine Aussprache vorgesehen ist. Drucksache 19/19022 Tagesordnungspunkt 35 a: Es geht hier um 183 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen und nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 530 ist ange- wurfs eines Gesetzes zur Abmilderung der nommen. Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbe- werbsrecht und für den Bereich der Selbstver- Tagesordnungspunkt 35 d: waltungsorganisationen der gewerblichen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wirtschaft tionsausschusses (2. Ausschuss) (B) Drucksache 19/18963 Sammelübersicht 531 zu Petitionen (D) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Drucksache 19/19023 ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Es geht hier um 88 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Drucksache 19/19207 Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 531 ist Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in angenommen. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19207, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Tagesordnungspunkt 35 e: SPD auf Drucksache 19/18963 anzunehmen. Ich bitte Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, tionsausschusses (2. Ausschuss ) um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Kei- Sammelübersicht 532 zu Petitionen ne. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenom- Drucksache 19/19024 men. Es geht um zwölf Petitionen. Wer stimmt dafür? – Das Dritte Beratung sind die Fraktionen von AfD, FDP, CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthal- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – tungen? – Die Grünen. Die Sammelübersicht 532 ist an- Das sind alle Fraktionen des Hauses. Ist jemand dabei, genommen. der dagegenstimmt? – Das ist nicht der Fall. Enthaltun- Tagesordnungspunkt 35 f: gen? – Ebenfalls nicht. Der Gesetzentwurf ist angenom- men. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 35 b: Sammelübersicht 533 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 19/19025 richts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hier geht es um drei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Uwe Schulz, Joana Cotar, Dr. Michael Das sind FDP, CDU/CSU, Grüne, SPD und Linke. Wer Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Frak- stimmt dagegen? – Die AfD. Enthaltungen? – Keine. tion der AfD Sammelübersicht 533 ist angenommen. 19880 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Tagesordnungspunkt 35 g: Wer stimmt dafür? – CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/ (C) Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – AfD und FDP. Ent- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- haltungen? – Die Fraktion Die Linke. Sammelüber- tionsausschusses (2. Ausschuss) sicht 539 ist angenommen. Sammelübersicht 534 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 35 m: Drucksache 19/19026 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Hier geht es um zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – tionsausschusses (2. Ausschuss) Das sind FDP, CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dage- gen? – AfD und Linke. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Sammelübersicht 540 zu Petitionen Grünen. Sammelübersicht 534 ist damit angenommen. Drucksache 19/19032 Tagesordnungspunkt 35 h: Es sind drei Petitionen, über die wir hier abstimmen. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – Das sind AfD, CDU/CSU und SPD. tionsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dagegen? – Das sind FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammel- Sammelübersicht 535 zu Petitionen übersicht 540 ist angenommen. Drucksache 19/19027 Tagesordnungspunkt 35 n: Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Keine Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Sammelüber- tionsausschusses (2. Ausschuss) sicht 535 ist angenommen. Sammelübersicht 541 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 35 i: Drucksache 19/19033 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – FDP, CDU/CSU und SPD. Wer tionsausschusses (2. Ausschuss) stimmt dagegen? – AfD, Grüne und Linke. Enthaltun- Sammelübersicht 536 zu Petitionen gen? – Keine. Sammelübersicht 541 ist angenommen. Drucksache 19/19028 Tagesordnungspunkt 35 o: Wer stimmt dafür? – Das sind alle Fraktionen mit Aus- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nahme der Linken. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 536 ist angenommen. Sammelübersicht 542 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 35 j: Drucksache 19/19034 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und SPD. Wer stimmt tionsausschusses (2. Ausschuss) dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen des Hauses: Sammelübersicht 537 zu Petitionen AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Enthaltun- gen? – Keine. Die Sammelübersicht 542 ist damit ange- Drucksache 19/19029 nommen. Wer stimmt dafür? – Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Wer stimmt dagegen? – Die AfD. Enthaltun- Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: gen? – Keine. Sammelübersicht 537 ist angenommen. Aktuelle Stunde Tagesordnungspunkt 35 k: auf Verlangen der Fraktion der FDP Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Aktuelle Entwicklung der Debatte zur Wahl- tionsausschusses (2. Ausschuss) rechtsreform in der CDU/CSU – Faire Wahl- Sammelübersicht 538 zu Petitionen rechtsreform jetzt umsetzen Drucksache 19/19030 Es beginnt für die Fraktion der FDP der Kollege Hier geht es um 52 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Dr. Marco Buschmann. Das sind AfD, FDP, CDU/CSU und SPD. Wer stimmt (Beifall bei der FDP) dagegen? – Grüne und Linke. Enthaltungen? – Keine. Sammelübersicht 538 ist angenommen. Dr. Marco Buschmann (FDP): Tagesordnungspunkt 35 l: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- gen! Liebe Zuschauer! Im Zentrum der politischen Auf- tionsausschusses (2. Ausschuss) merksamkeit steht natürlich völlig zu Recht die Corona- Sammelübersicht 539 zu Petitionen krise und ihre Bewältigung. Wahr ist aber, dass es auch andere wichtige Themen gibt, und dazu gehört die Re- Drucksache 19/19031 form unseres Wahlrechts. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19881

Dr. Marco Buschmann (A) (Beifall der Abg. Pascal Kober [FDP] und (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ja!) (C) Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Das kennen wir ja schon. Aber wir sind ja offenkundig nicht alleine. Der Kollege – kein Wenn einige Teile dieses Hauses glauben, im Aufmerk- Mitglied meiner Fraktion, der Grünen oder der Linken, samkeitsschatten der Coronakrise dieses Thema einfach sondern der Fraktion der CDU/CSU – sagt: Vielleicht ist aussitzen zu können, dann können wir ihnen das nicht die Lösung der Opposition nicht die beste, aber es ist eine durchgehen lassen. Deshalb ist diese Aktuelle Stunde Lösung. heute nötig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem GRÜNEN]: Hört! Hört!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Er wird seine Gründe haben, warum er das nicht über die Zur Erinnerung: Unser Wahlrecht ist nach wie vor so Beiträge der CSU sagt. konstruiert, dass es passieren kann, dass das Haus auf über 800 Mitglieder anwächst. Das wird uns nicht hand- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem lungsfähiger machen. Das wird dazu führen, dass die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Kosten aus dem Ruder laufen. Und was noch schlimmer Amthor [CDU/CSU]: Fragen Sie ihn doch ist: Die Bürgerinnen und Bürger, die Bevölkerung wird es mal!) nicht akzeptieren, dass wir sehenden Auges dieses Pro- blem hier nicht lösen. Wer das Problem des Wahlrechts Der Kollege – er ist ja kein profil- nicht im Parlament löst, der sorgt dafür, dass das Parla- neurotischer Scharfmacher; er ist ein Mann der Mitte und ment in der Bevölkerung an Ansehen verliert. Unsere des Ausgleichs – sagt: Es müssen sich endlich alle be- Aufgabe ist es, das zu verhindern. Deshalb ist diese Ak- wegen, und zwar auch die CSU. – Er wird seine Gründe tuelle Stunde heute nötig, meine Damen und Herren. haben, warum er das sagt. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Einige hier im Haus – man hört das auf den Fluren und Der Kollege Mathias Middelberg – auch nicht bekannt von Journalisten – wollen uns jetzt einreden, das sei alles als profilneurotischer Wichtigtuer, nicht mehr so schlimm, es gebe ja jetzt eine andere poli- tische Stimmungslage, vielleicht komme das dicke Ende (Christian Dürr [FDP]: Guter Mann aus Nie- dann ja gar nicht. Ich möchte hier ganz klar sagen: Dieses dersachsen!) (B) Argument ist an Kurzsichtigkeit nicht zu überbieten; (D) sondern als Fachmann mit Maß und Mitte – sagt in Rich- denn das strukturelle Problem des Wahlrechts bleibt. tung der CSU, wenn wir dem „Spiegel“ glauben dürfen, (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Britta dass sie sich endlich bewege solle. Recht hat der Kollege. Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Politische Stimmungen aber ändern sich schnell. Wer DIE GRÜNEN) sehenden Auges jetzt die noch mögliche Ausfahrt zur Korrektur verpasst, der geht ein unkalkulierbares Risiko Deshalb möchte ich sagen: Ich habe großen Respekt ein. Und mit dem Ansehen des Deutschen Bundestags vor den Kollegen, die jetzt versuchen, in ihrer Fraktion zockt man nicht! Deshalb ist diese Aktuelle Stunde heute eine Lösung herbeizuführen. Denn es ist doch so – wir nötig. merken das doch auf den Fluren und in den Gesprächen –: Die große Mehrheit in diesem Haus möchte die Lösung. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Dürr [FDP]: Ja!) Was die Opposition konstruktiv beitragen kann, hat sie Sie möchte das Ansehen dieses Hauses bewahren. – Des- getan. So unterschiedliche Fraktionen wie die der Grü- halb sollten wir diese Mehrheit der Verantwortung end- nen, der Linken und der FDP haben ihre enormen politi- lich nutzen, meine Damen und Herren. Wenn Sie das schen Differenzen beiseitegelegt und haben einen Ge- Gesicht der CSU in Gottes Namen dabei schonen wollen, setzentwurf vorgelegt, der nach Ansicht unabhängiger dann geben Sie die Abstimmung eben frei. Expertinnen und Experten verfassungsgemäß ist und das Problem löst. Dieser Gesetzentwurf ist damit das Aber bitte: Wir stehen unter Zeitdruck. Das Wahlrecht komplette Gegenteil jeder Beiträge, die die CSU in die- können wir nur in einem regulären Gesetzgebungsver- sen Prozess eingeführt hat; fahren verändern. Im Juni fangen die Aufstellungen an. Die Wahlleiter brauchen Rechtssicherheit. Wir brauchen (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem jetzt entweder konkrete Änderungsanträge zu unserem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr Gesetzentwurf, oder wir brauchen einen neuen Gesetz- [FDP]: So ist es!) entwurf von Ihnen. Handeln Sie bitte! Zocken Sie nicht denn jeder Vorschlag der CSU war bislang entweder ver- mit dem Ansehen dieses Parlaments! Wenn das das Er- fassungswidrig oder hat das Problem nicht gelöst. gebnis wäre, dann war diese Aktuelle Stunde nicht nur nötig, sondern dann war sie mehr als ertragreich. Jetzt könnte man ja sagen: Ah ja, da redet jetzt die Opposition. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. 19882 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Marco Buschmann (A) (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Also folgt die nächste Weggabelung. Was, wenn man (C) DIE GRÜNEN) den Deckel mit einer Kappung verbindet? Damit würde das Grundprinzip unseres Wahlrechts, dass derjenige, der Vizepräsidentin Claudia Roth: einen Wahlkreis direkt gewonnen hat, in jedem Fall im Bundestag sitzt, durchbrochen. Verfassungsrechtlich ist Vielen Dank, Dr. Buschmann. – Einen schönen guten dies mit vielen Fragezeichen verbunden. Aber es ist si- Tag von mir an Sie! cherlich nicht von Vornherein ausgeschlossen, dass dieser Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar Weg insbesondere als Notfalllösung verfassungsrechtlich Heveling. zu rechtfertigen wäre. Allerdings müsste man einen Preis zahlen: Es kann sein, dass etliche Wahlkreissieger von (Beifall bei der CDU/CSU) Sonntagabend am Montag erfahren, dass sie zwar den Wahlkreis gewonnen haben, aber nicht im Bundestag sit- zen werden. – Für Wähler und vermeintlich Gewählte Ansgar Heveling (CDU/CSU): wäre das sicherlich ein fragwürdiges Ergebnis. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag kann im (Beifall bei der CDU/CSU) Wesentlichen zu zwei Dingen die Gelegenheit geben: Sie Schließlich gibt es Lösungen, die im System ansetzen kann als bloßes Instrument, eine andere politische Kraft und nicht versprechen, dass sie das Größenproblem des vorzuführen, eingesetzt werden; dann ist außer Rauch Bundestages ein für alle Mal lösen, die aber dafür sorgen, und Pulverdampf und vielleicht der einen oder anderen dass der Bundestag nicht ungebremst weiterwachsen Emotion nicht viel zu erwarten. Sie kann aber auch dazu kann. Das ist ohne Frage mit dem Gesetzentwurf der Op- genutzt werden, an der Sache deutlich zu machen, worum position möglich. Gleichzeitig ist es aber ein radikaler – es geht. Es liegt an den Fraktionen, welchen Weg sie zu radikaler – Weg: 250 Wahlkreise und der Verzicht auf wählen. – Eines kann eine Aktuelle Stunde aber sicher den ersten Verteilungsschritt. – Praktisch geht es damit nicht: Entscheidungen herbeiführen. Dazu ist sie schlicht nicht nur zulasten einer einzigen Fraktion, der von CDU das falsche Instrument. und CSU, sondern auch zulasten einer gerechten, an den Was allerdings stimmt, ist, dass wir jetzt – im Sinne abgegebenen Wählerstimmen orientierten Verteilung auf von: bald – zu einer Entscheidung kommen müssen, die Länder. wenn es noch zu einer Wahlrechtsreform für die nächste (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundestagswahl kommen soll. Hier und heute kann man NEN]: So, und jetzt kommt die Alternative!) nur erneut aufzeigen, welche Alternativen es gibt, welche (B) Weggabelungen gewählt werden können und welche Fol- Bleibt ein Vorschlag im System, den ich in der letzten (D) gen mit welchen Entscheidungen verbunden sind, je Aktuellen Stunde zum Wahlrecht schon artikuliert habe: nachdem, in welche Richtung man an der Weggabelung die moderate Reduzierung der Wahlkreise auf 270, die abbiegt. Reform des ersten Zuteilungsschritts und die Hinnahme von ausgleichslosen Überhangmandaten, so, wie sie das Richtig ist, dass Handlungsbedarf besteht; denn selbst Bundesverfassungsgericht für zulässig ansieht. die aktuellen Umfragen, auch wenn sie ganz bestimmt nicht das Bundestagswahlergebnis 2021 abbilden, zei- (Florian Post [SPD]: Was sagt denn Ihre Frak- gen, dass der Bundestag voraussichtlich nicht von alleine tion?) kleiner wird. Solange bei einer Partei das Zweitstimmen- Wenn man angesichts dieser Möglichkeiten die Wahl ergebnis mit der Zahl der gewonnenen Wahlkreise nicht hat, welche Lösung man nimmt, so liegt es doch auf der Schritt hält, wird sich diese Situation nicht verändern. Hand, die Variante zu wählen, die verfassungsrechtliche Wenn man aber die Notwendigkeit zum Handeln sieht, Tragfähigkeit verspricht, also eine, die mit den Stell- ergeben sich immer mehrere Möglichkeiten. schrauben im bestehenden System arbeitet. Es liegt auf der Hand, eine Variante zu wählen, die allen etwas abver- Natürlich wäre es wünschenswert, wenn man den Bun- langt und die Lasten nicht einseitig verteilt. destag bei einer bestimmten Größe einfach deckeln könn- te, ohne am System ansonsten etwas zu verändern. Nur (Florian Post [SPD]: Ist das die Fraktionshal- leider können wir eben alle nicht zaubern. Jedwede reine tung der CDU/CSU?) Deckelungslösung birgt die Gefahr, ganz schnell zum Taschenspielertrick zu werden. Es ist offensichtlich, dass Für mich wäre die Antwort von daher klar. bei einer solchen Lösung ganz schnell zu viele Überhang- Vielen herzlichen Dank. mandate übrig bleiben und die Lösung in die Verfas- sungswidrigkeit kippt. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Claudia Roth: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vielen Dank, Ansgar Heveling. CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Wenn das die CSU (Florian Post [SPD]: Gibt es da eine einheit- verstehen würde!) liche Fraktionsmeinung?) Vermeintlich einfache Lösungen sind im Ergebnis meis- Nächster Redner: Albrecht Glaser für die AfD-Frak- tens keine Lösungen. tion. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19883

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) (C) Daraus folgt: Wir müssen es so machen, wie kluge Albrecht Glaser (AfD): Leute sagen. Wir haben das im November 2018 bereits Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr ver- vorgetragen. Wir haben dazu ein langes Konzeptpapier ehrten Damen und Herren! Der Analyse von Herrn vorgelegt und letztes Jahr im Oktober hier eingebracht. Buschmann ist nichts hinzuzufügen; die ist voll und ganz Uns wurde gesagt, wir müssten selber alles durchformu- richtig. Die Suggestion allerdings, als wäre das Angebot lieren, einen Gesetzentwurf erarbeiten; sonst wären wir der kleinen Koalition, der Koalition der Kleinen, eine Schluris. Nachdem wir festgestellt haben, dass die meis- Lösung, ist völlig falsch. Das ist jetzt, glaube ich, das ten Wahlrechtsreformen bisher vom Innenministerium vierte oder fünfte Mal, dass wir über das Thema disku- gemacht wurden, war das also ein Scheinangriff, mit Ver- tieren; aber die Lösung wird dadurch natürlich nicht bes- laub, auch der FDP; also, das können die im Ministerium ser. Ich will Ihnen gleich beweisen, wie Sie die identi- schon besser als wir. Ich denke, das Konzeptpapier ist so schen Ergebnisse, die Sie nicht haben wollen, kriegen, klar, dass man es in Gesetzesform umsetzen könnte. wenn Sie Ihre Scheinlösung umsetzen. Jetzt kommt die kleine Koalition oder die Koalition der Klar ist: Das jetzige System produziert 800 oder mehr Kleinen und sagt: Wir haben eine tolle Lösung. Wir krie- Abgeordnete, und das will angeblich niemand. Man weiß gen das Problem des adipösen Bundestages – wie der es nicht so genau; es könnte sein, dass es vielleicht doch kluge Professor Meyer immer so schön sagt – dahin ge- welche gibt, die diesen Effekt mögen. hend in den Griff, dass wir die Anzahl der Abgeordneten (Beifall bei der AfD) von heute 598 auf 630 erhöhen. Das müssen Sie erklären, wie Sie die Verkleinerung des Parlaments durch die Er- Das liegt an systematischen Fehlern des Wahlrechts, höhung der pflichtmäßigen Sitze erzeugen. Das kriegen meine Damen und Herren. Ich will es anhand eines Sie nicht hin. Exempels erklären, sonst ist es zu abstrakt. Als Exempel muss man natürlich die CSU nehmen – gar keine Frage. (Beifall des Abg. Petr Bystron [AfD]) Sie ist eine Regionalpartei, hatte bei der letzten Bundes- tagswahl 6,2 Prozent der Zweitstimmen; das sind 38 Pro- Dann wollen Sie 250 Wahlkreise; das wird kompliziert, zent der Stimmen ihres Wahlgebiets. Daraus resultierend weil das gesamte Bundesgebiet neu aufgeteilt werden stehen ihr 39 Sitze zu. Sie hat aber alle 46 Direktmandate muss. Der kluge Professor Meyer und auch wir – weniger in Bayern gewonnen, ergo hat sie sieben Überhangman- klug – sagen: Ohne die Anzahl der Wahlkreise zu ver- date erzielt; das sind 15 Prozent mehr Mandate, als ihr ändern, könnten wir es jetzt noch schaffen; denn dieses zustehen. Hindernis würde beseitigt sein. Deshalb haben wir, wie (B) Sie wissen, im November den Antrag gestellt, dass die (D) So, und jetzt wollen der Teufel und die SPD und Grü- Frist zur Bewerbung für 2021, die jetzt schon läuft, ver- nen dem geltenden Wahlrecht den Prozess machen. Das kürzt, also nach hinten geschoben wird. Dann hätten wir Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Nein, nein, ihr bis Herbst Zeit und könnten das alles ausdiskutieren. müsst Verhältnisausgleich machen. – Also bekommen jetzt alle anderen Parteien 15 Prozent mehr Abgeordnete, Hinzu kommt, dass Sie, Herr Kollege Schneider – das als ihnen nach ihren Stimmzahlen zustehen. Das ist der hat mich wirklich fasziniert –, zwischendrin einmal die- Teufel, der in diesem System steckt. Es bringt denjenigen, sen Kerngedanken hatten. die Überhangmandate erzielen, überhaupt keinen Vorteil; Wir haben noch einen zweiten Kerngedanken, nämlich es vergrößert nur den Bundestag. Das sagt die Bertels- dem Bürger das Recht zu geben, auf die Listen Einfluss mann-Stiftung, das sagt das ifo-Institut, das sagt der Pro- zu nehmen; eine zweite oder dritte Stimme könnte beim fessor Meyer, den Sie sicherlich gut kennen, Herr Sortieren helfen. Dadurch begrenzen wir die Direktman- Schneider, und den Sie in jüngeren Tagen wahrscheinlich date; Sie hatten es gesagt. Das ist der Königsweg, meine auch noch einmal gefragt haben, wie es denn gehen könn- Damen und Herren. Wenn irgendein Kollege von den te; zumindest habe ich das aus dem, was Sie öffentlich Linken sagt, es sei verfassungswidrig, es würde jeman- gesagt haben, geschlossen. dem etwas weggenommen, was er schon hatte, dann sa- Meine Damen und Herren, damit haben wir das Pro- gen wir: Nein, es wird niemandem etwas weggenommen. blem aufgezeigt, und wir haben gezeigt, dass es syste- Er bekommt es nur nicht. misch ist. Ein Systemfehler ist zum einen – ich sage es (Heiterkeit bei der LINKEN – Kerstin Kassner mal; es ist vielleicht doch überraschend –, mit einer relati- [DIE LINKE]: Das ist ein Unterschied!) ven Mehrheit einen Wahlkreis zu gewinnen. Sie würden mit einer relativen Mehrheit keinen Oberbürgermeister, Im Landtagswahlrecht von Baden-Württemberg gibt keinen Landrat und schon gar nicht die Bundeskanzlerin es keine Landesliste, wählen. Im letzteren Fall brauchen wir die absolute Mehrheit, in allen übrigen Fällen brauchen wir einfache (Leni Breymaier [SPD]: Leider!) Mehrheiten. Und hier reichen relative Mehrheiten mit der und trotzdem haben wir eine festgesetzte Zahl, weil ge- Folge, dass Direktbewerber, und zwar viele, mit 20, 22, nau das gemacht wird – 23, 25, 27 Prozent der Stimmen zum Zuge kommen, obwohl zwei Drittel der Wähler sie gar nicht gewählt haben oder sie vielleicht gar nicht mögen. Das ist keine Vizepräsidentin Petra Pau: demokratische Weihestunde. Herr Glaser, denken Sie bitte an die Redezeit. 19884 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Albrecht Glaser (AfD): en der Wählerinnen und Wähler, das wir gerade jetzt in (C) – ich komme sofort zum Ende –: eine Art Groß- dieser Zeit doch dringend brauchen. Wie erklären Sie den wahlkreis. Diejenigen, die in ihrem Wahlkreis am Menschen, dass dann nächstes Jahr vielleicht mehr als schlechtesten abschneiden, kommen nicht zum Zuge. Al- 800 Abgeordnete im Bundestag sitzen? Jeder hier im so, wenn wir das so machen, ist das hochdemokratisch. In Haus weiß: Mehr ist nicht immer besser für den Bundes- keinem Bundesland entstehen dann mehr Direktmandate, tag. als Mandate nach Zweitstimmen dem Wahlvorschlag zu- Ich kann inzwischen gar nicht mehr sagen, liebe Kol- stehen. Damit ist alles gelötet. So könnten wir es wunder- leginnen und Kollegen, wie viele Vorschläge wir in den bar machen. letzten Jahren schon diskutiert haben, wie viele Schritte Herzlichen Dank. wir aufeinander zugegangen sind. Wir haben Experten befragt, wir haben Modelle berechnen lassen, und den- (Beifall bei der AfD) noch hat insbesondere eine Fraktion – ja, ich meine Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU; es ist, Vizepräsidentin Claudia Roth: glaube ich, nur einer da – Vielen Dank, Albrecht Glaser. – Nächster Redner: für (Michael Frieser [CDU/CSU]: Das reicht! – die SPD-Fraktion Uli Grötsch. Philipp Amthor [CDU/CSU]: Da sitzen noch (Beifall bei der SPD) drei!) – immerhin drei – ihre Blockadehaltung nicht aufgege- Uli Grötsch (SPD): ben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, trotz Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen alledem, trotz all dieser Versuche, Schritte und Berech- und Kollegen! In seiner Antrittsrede am 22. Oktober nungen halten Sie Ihre Blockadehaltung nach wie vor 2013 hat der damalige Bundestagspräsident Norbert aufrecht. Ich sage: Wir müssen Egoismen überwinden, Lammert unter dem Beifall von allen Fraktionen hier weil es um das Ansehen dieses Parlaments geht. im Bundestag angemahnt, dass wir dringend eine Wahl- rechtsreform brauchen. (Beifall bei der SPD) Es geht hier ja auch nicht um einzelne Sitze, die wo- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: möglich wegfallen, sondern es geht im wahrsten Sinne Ich kann mich erinnern!) des Wortes um das Große und Ganze, wenn wir über Zahlreiche Sitzungen, zahlreiche Gespräche und Debat- Wahlen zum Deutschen Bundestag sprechen. Das haben ten folgten. Sie anscheinend entweder nicht verstanden, oder – ganz (B) (D) Heute – fast sieben Jahre später – kennen wir alle das ehrlich – es ist Ihnen egal. Sie lehnen alle vorgelegten Ende vom Lied: keine Einigung. Der Bundestag ist, wie Vorschläge bisher ab und pochen auf Ihren eigenen, der befürchtet, auf mehr als 700 Mitglieder angewachsen. ausschließlich Ihre Partei begünstigt und alle anderen Auch wieder in dieser Wahlperiode ringen wir schon seit benachteiligt. Januar 2018 um eine Lösung, wie wir es schaffen können, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wo ist noch den Bundestag in Zukunft auf seine im Grundgesetz fest- mal Ihr Gesetzentwurf?) geschriebene Regelgröße von 598 Abgeordneten oder zumindest eine einigermaßen angemessene Größe zu be- Jeder, der diese Debatte hier verfolgt, wird nachvollzie- schränken. Noch – die Betonung liegt auf „noch“ – habe hen können, dass die Fraktionen des Bundestages keiner ich Hoffnung, dass wir das mit dem Brückenmodell der Wahlrechtsreform zustimmen, die eine einzige Partei be- SPD hinkriegen. vorteilt und alle anderen benachteiligt. Das wäre ja ent- gegen jedem gesunden Menschenverstand. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dafür müssten aber die ideologischen Scheuklappen hier LINKEN) in diesem Haus fallen. Mit Blick auf die Zeit, mit Blick auf das Datum müssen (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Sehr richtig!) wir jetzt dringend handeln. Ich sage das noch einmal: Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Ich habe den Ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es Ihnen druck, dass dieser Vorschlag auch konsensfähig wäre, mit ganz ehrlich: Wenn sich in diesem Hohen Haus nicht alle Ausnahme einer Partei. Ich fordere Sie deshalb auf: Stei- Fraktionen bewegen und Zugeständnisse machen, dann gen Sie endlich von Ihrem hohen Ross herunter, und sehe ich dafür schwarz; denn klar ist: An einer Reform lenken Sie um der großen Sache willen ein; denn Sie des Wahlrechts müssen alle Parteien und Fraktionen mit- wissen genauso gut wie ich, dass unser Vorschlag des arbeiten. In einer Situation, in der wir den Gürtel enger Brückenmodells der einzige ist, der zeitlich überhaupt schnallen wollen und müssen, darf sich niemand einen noch umsetzbar wäre. Die Lösung liegt auf dem Tisch; schlanken Fuß machen. der Ball liegt bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn Sie nicht mitmachen, dann erklären Sie den der LINKEN) Menschen ganz offen und ehrlich, warum: weil Sie kein Denn mit unserer gescheiterten Wahlrechtsreform ma- einziges Mandat einbüßen wollen. Gerade aktuell brin- chen wir uns zur Lachnummer in den Medien und in gen die Menschen in Deutschland – und damit komme ich der Bevölkerung. Wir verlieren immer mehr das Vertrau- zum Schluss – Opfer. Alle Menschen in Deutschland Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19885

Uli Grötsch (A) bringen zurzeit in dieser Krise Opfer. Die Menschen in nächsten Bundestag einen massiven Aufwuchs zu ver- (C) Deutschland erwarten nun zu Recht – auch von Ihnen – hindern, dann bekennen Sie sich einfach dazu. Hören Solidarität und Verantwortung in dieser Frage. Sie aber bitte auf, zu versuchen, uns die Verantwortung zuzuschieben, indem Sie völlig abstruse Vorschläge un- Vielen Dank. terbreiten, die ausschließlich Ihnen Vorteile bringen und (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜND- alle anderen Parteien benachteiligen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist noch mal Ihr (Beifall bei der LINKEN und der FDP) Vorschlag?]) Ihre Idee, dass 15 Überhangmandate nicht ausgeglichen werden sollen, benachteiligt alle Wählerinnen und Wäh- Vizepräsidentin Claudia Roth: ler, die nicht die Union wählen wollen. Deren Stimmen Vielen Dank, Uli Grötsch. – Ich möchte darum bitten, sind dann nämlich weniger wert. das Fotografieren auf iPads zu unterlassen. Übrigens ist die Frage, ob iPads hier im Bundestag von den Kollegin- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nen und Kollegen benutzt werden dürfen, durchaus strit- Wir müssen uns endlich ernsthaft mit der Frage aus- tig. einandersetzen, warum Vertrauen in die Politik verloren (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein, nein!) gegangen ist. Eine der meistgenannten Antworten auf diese Frage ist: Weil die Politikerinnen und Politiker – iPads! Ich rede von den iPads; ich rede nicht von iPho- nur an sich selbst denken. Ob das nun stimmt oder nicht, nes. sei einmal dahingestellt. Aber es sind vor allem Debatten (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein!) wie diese hier, die dieses Bild verfestigen und verbreiten. Niemandem außerhalb dieses Hauses kann man vermit- – Doch! Ist strittig. teln, wie es sein kann, dass wir nach einer seit über einem (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Nein!) Jahr regelmäßig tagenden Wahlrechtskommission und zahllosen Aktuellen Stunden, interfraktionellen Runden – Doch, doch! und über die Presse kolportierten Vorschlägen kaum ei- nen Schritt weitergekommen sind. Das haben allein Sie (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, von der Union zu verantworten. der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem Und wenn nicht, dann ab jetzt. So! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Deshalb fordere ich Sie, liebe Unionsparteien, auf: (D) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der Kommen Sie endlich zu der Erkenntnis, die bei allen FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ anderen demokratischen Fraktionen bereits angekommen DIE GRÜNEN – Philipp Amthor [CDU/ ist: Es wird keinen kleineren Bundestag geben, wenn CSU]: Wir können eine Aktuelle Stunde dazu nicht alle Parteien gleichmäßig Federn lassen. Ihr Taktie- machen!) ren nur um des eigenen Vorteils willen widert mich an. Nächster Redner: Friedrich Straetmanns für die Frak- tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Für den von uns Linken, den Grünen und der FDP vorgelegten Vorschlag ist der Zug für die nächste Wahl – Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): wer realistisch ist, weiß das – wohl bald abgefahren. Das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haben Sie durch Ihre Verzögerungsstrategie clever hinge- Kollegen! Beim Thema Wahlrecht zeigt die Union Mut- kriegt; denn die Neueinteilung der Wahlkreise ist zum losigkeit und kleingeistigen Egoismus. Auch in dieser jetzigen Zeitpunkt nur noch sehr schwer rechtzeitig zu Aktuellen Stunde zur Wahlrechtsreform gibt es wieder machen. einmal keine nennenswerten Ergebnisse zu kommentie- ren, weil die Union weiterhin in einem politischen Dorn- (Pascal Kober [FDP]: Hört! Hört!) röschenschlaf verharrt. Dieses Herumeiern ist grob fahr- Zu verantworten haben das allein Sie, meine Damen und lässig. Herren von den Unions- und Koalitionsfraktionen. Als (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir den Vorschlag vor nun sieben Monaten betont als neten der FDP) Gesprächsangebot vorgelegt haben, wäre mehr als genug Zeit gewesen, sich damit auseinanderzusetzen. Gerade in Zeiten von florierenden Verschwörungser- zählungen sind wir Politikerinnen und Politiker aufge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert, durch unser Handeln zu zeigen, dass wir aufrich- sowie bei Abgeordneten der FDP) tig sind und uns nicht nur der eigene Futtertrog Das haben Sie gezielt unterlaufen und die Zeit verstrei- interessiert. chen lassen. Das ist der Bedeutung und Wichtigkeit des (Beifall bei der LINKEN und der FDP) Themas Wahlrecht nicht angemessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Unionspar- (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem teien, wenn Sie nicht daran interessiert sind, für den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19886 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Friedrich Straetmanns (A) Auch Sie, meine geschätzten Kolleginnen und Kolle- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) gen von der SPD, kann ich nicht ganz von der Kritik Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ausnehmen. Kollegen! Wir Abgeordnete haben alle eine große Ver- antwortung dafür, dass unser Parlament arbeitsfähig (Leni Breymaier [SPD]: Och!) bleibt, und dafür, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung Sie haben sich als Fraktion einfach viel zu lange der für unsere parlamentarische Demokratie und für unser Union untergeordnet. Das ist einer Partei, die in der Ge- Parlament, den Deutschen Bundestag, so bleibt, wie sie schichte dieses Landes so viel für Demokratie und Parla- ist, oder noch besser wird. mente gestritten und stets das Wahlrecht mitgeprägt hat, schlicht und ergreifend unwürdig. Das, was Sie gerade veranstalten, und zwar seit Mona- ten, meine Damen und Herren insbesondere von der Umso mehr begrüße ich es aber, dass Sie dann doch Union, aber auch von der Koalition, von Union und noch einen Vorschlag vorgelegt haben. Für diesen Vor- SPD, ist nichts anderes als Hinhaltetaktik: zu keinem Er- schlag sind wir Linke durchaus offen, wenn geregelt ist, gebnis kommen zu wollen, obwohl jede und jeder von dass es sich um ein Übergangswahlrecht handelt und dass uns, der sich mit dem Wahlrecht befasst, weiß, dass wir dieser Vorschlag ein ganz klares Ablaufdatum hat. Dieses eine Änderung des Wahlrechts brauchen, weil es eine Ablaufdatum muss uns zugleich aber dazu zwingen, strukturelle Problematik beim personalisierten Verhält- gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode zusam- niswahlrecht gibt. Dass Sie sich einfach weigern, sich menzutreten und in einer neuen Kommission eine trag- einer Lösung anzunähern oder dem Deutschen Bundestag bare dauerhafte Lösung zu erarbeiten. Aber: Eine solche selbst etwas vorzulegen, das ist ein Armutszeugnis, mei- Kommission bedarf einer Fristsetzung und einer Ver- ne Damen und Herren. pflichtung zur Vorlage eines Vorschlags. Anders kann das nicht funktionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich fasse es wie folgt zusammen: Das, was sowohl GRÜNEN) Union als auch SPD und auch gemeinsam als Koalition – Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zur Briefwahl. obwohl wir ja das Wahlrecht überparteilich regeln wol- Es gibt ja wohl auch erste Überlegungen der Regierung, len – tun, ist nichts anderes als die kollektive Weigerung, die nächste Bundestagswahl als reine Briefwahl stattfin- Verantwortung zu übernehmen, meine Damen und Her- den zu lassen. Das muss man sich mal klarmachen: Sie ren. kommen über Jahre nicht in die Pötte, die dringende (B) Wahlrechtsreform hier in Angriff zu nehmen, aber über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (D) eine solch tiefgreifende und in verfassungsrechtlicher bei der FDP und der LINKEN) Hinsicht keineswegs unproblematische Reform führen Wir als überzeugte Parlamentarierinnen und Parlamenta- Sie Diskussionen. – Wir wissen nicht, wie die Situation rier haben aber diese Verantwortung zu tragen. im nächsten Jahr sein wird und welche Maßnahmen not- wendig sein werden. Da ist es doch völlig abwegig, über Meine Damen und Herren, wir alle kennen inzwischen eine reine Briefwahl zu debattieren. die Konflikte innerhalb der Union. Es kann doch nicht wahr sein, dass 709 Abgeordnete, dass das Parlament (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- darauf wartet, weil 46 MdBs, die ganze 6,2 Prozent dieses NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Pascal Bundestags ausmachen, ein Vetorecht gegen das Wahl- Kober [FDP]) recht haben. Hätten Sie letzte Woche lieber über die Möglichkeit diskutiert, wie wir zur nächsten Bundestagswahl ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlrecht anwenden können, das nicht zu einer weiteren und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Aufblähung des Bundestags führt. Das wollen Sie aber LINKEN) nicht; denn es könnte ja Ihre Sitze und damit Geld kosten. Nein, so funktioniert Demokratie nicht. Die Union muss Was veranstalten Sie eigentlich innerhalb der Union? Sie endlich aufwachen und sich ihrer politischen Verantwor- können sich doch von 46 Abgeordneten hier nicht vor- tung stellen. führen lassen! Dafür müssen wir alle jetzt die Verantwor- tung übernehmen und bekommen nachgesagt, wir wären Vielen Dank. nicht handlungsfähig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Meine Damen und Herren, wir alle sind handlungsfä- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE hig. Es gibt Modelle. Es gibt Lösungen für das personal- GRÜNEN und des Abg. Pascal Kober [FDP]) isierte Verhältniswahlrecht. Wir Grüne haben gemeinsam mit der FDP und den Linken einen Vorschlag gemacht: Vizepräsidentin Claudia Roth: eine Wahlkreisreduzierung, der Verzicht auf das Sitzkon- Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Redne- tingentverfahren und die moderate Erhöhung der Ge- rin: für Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann. samtzahl auf 630. Dann könnten wir das personalisierte Verhältniswahlrecht proportional gerecht für alle Parteien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag umsetzen. Das ist ein fairer Vor- sowie des Abg. Pascal Kober [FDP]) schlag. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19887

Britta Haßelmann (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (C) bei der FDP und der LINKEN) Thomas Seitz [AfD]: Verfassungswidrig!) Es gibt auch viele andere Vorschläge, zum Beispiel das Dass Sie diesem Antrag nicht zur Mehrheit verholfen sogenannte Kappungsmodell: Jeder kann nur mit so vie- haben, das war ein Fehler. Denn jetzt redet nur noch jeder len direkt gewählten Abgeordneten einziehen, wie es das über die Parité; aber es tut sich leider gar nichts, meine Zweitstimmenergebnis ermöglicht. Was soll daran unde- Damen und Herren. mokratisch sein, meine Damen und Herren? Bei uns in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland gilt das Verhältniswahlrecht, und das wäre und bei der LINKEN sowie der Abg. Sandra die Umsetzung des Verhältniswahlrechtes. Bubendorfer-Licht [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Dr. Götz Vizepräsidentin Claudia Roth: Frömming [AfD]) Vielen Dank, Britta Haßelmann. – Nächster Redner in Also ginge auch der Vorschlag der SPD. Es ginge auch der Debatte: Michael Frieser für die CSU/CDU-Fraktion. ein Vorschlag von vielen anderen Staatsrechtlerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU) Staatsrechtlern, die sagen: Kappt doch einfach die Direkt- mandate an der Stelle, wo das Zweitstimmenergebnis Michael Frieser (CDU/CSU): überschritten wird. – Es können also nur so viele ein- Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank. – Sehr ver- ziehen, wie es dem Zweitstimmenergebnis entspricht, ehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie hörten gerade aus und sonst zieht eben der zweitdirekt gewählte Abgeord- der Abteilung „Brainwashing“: Wir brauchen auf jeden nete ein. Auch das ist möglich. Fall einen Sündenbock. – Oder soll ich lieber „Greenwa- (Lachen bei der CDU/CSU) shing“ sagen? Das bietet sich vielleicht mehr an. Die CSU bietet sich selbstverständlich auch für diese Funk- – Ja, lachen Sie ruhig. Den meisten von Ihnen ist das tion an. Direktmandat doch gar nicht so viel wert, auch wenn Sie es immer wie eine Monstranz vor sich hertragen. Aber wir sollten am Ende des Tages dann doch mal bei der Wahrheit bleiben. Was hat denn die Opposition vor- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- geschlagen? Die Opposition hat vorgeschlagen: Wir zer- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Pascal deppern mal 50 Wahlkreise. Wir haben jetzt schon ein Kober [FDP]) Verhältnis von 60 Mandatsträgern/Liste zu 40 Mandatst- rägern/Wahlkreise. Muss das Problem denknotwendig (B) Soll ich Ihnen mal sagen, wie viele Abgeordnete in bei den Wahlkreisen liegen? Das ist nicht ganz vernünf- (D) dieser Legislaturperiode ausgeschieden sind, anschei- tig. nend um Besseres zu machen, und ihren Wahlkreis ver- waisen lassen? Herr Buschmann, an Ihre Adresse: Sie hätten heute die Chance gehabt, sich mal mit Ihrem eigenen Entwurf aus- (Peter Heidt [FDP]: Sehr richtig!) einanderzusetzen. Denn dann wird schon klar: Das eine Also kommen Sie nicht wieder mit der Geschichte vom sind die Wahlkreise – schwierige Definition und nicht besseren oder schlechteren Abgeordneten, meine Damen ganz logisch –; das andere ist das Einfach-mal-so-Weg- und Herren. streichen des ersten Zuteilungsschrittes. Darf ich mal daran erinnern, dass das geltende Wahlrecht mit allen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stimmen der hier in der Mitte sitzenden Fraktionen ge- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der troffen wurde, auch der Ihrigen? Jetzt zu sagen: „Haltet LINKEN) den Dieb!“, halte ich für eine schwierige Argumentation, Es gibt nur einen einzigen Vorschlag, der dem Parla- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das Bundes- ment vorliegt. Das ist der Vorschlag von FDP, Grünen verfassungsgericht hat in der Zwischenzeit ent- und Linken. Fakt ist: Sie haben bisher keine Kraft gehabt, schieden! Das nennen wir Gewaltenteilung, etwas vorzulegen. Sie lassen sich von 46 Abgeordneten Herr Kollege!) der CSU auf der Nase rumtanzen, und die diktieren Ihnen um dann zu sagen: „Wir streichen mal diesen ersten Zu- sozusagen, dass einfach nichts passiert. Ich finde, das ist teilungsschritt“. Zur Information: Es geht um die Vertei- ein Trauerspiel, für das Sie, meine Damen und Herren lung auf die Länder. Was für Regionen sind wirklich ver- von der SPD und der CDU/CSU, die Verantwortung tra- treten? Wie kommen wir zu Mindestsitzen? gen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht unter dem Vielleicht sieht die eine oder andere aus der SPD und Stichwort „negatives Stimmengewicht“ gesagt: Da müsst der CDU/CSU, was es für ein Fehler war, sich nicht dem ihr was ändern. – Jetzt kommen Sie und streichen ihn Antrag von Grünen und Linken anzuschließen, sodass einfach weg. Das nenne ich einen verfassungswidrigen wir Frauen gemeinsam einen Gruppenantrag machen, Vorschlag. um die Parité (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Diesem Vorschlag kann man nicht zustimmen, weil er wenigstens in einer Kommission auf den Weg zu bringen. natürlich maximal – jetzt bin ich genau an der Stelle – 19888 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Michael Frieser (A) gegen die Interessen, ja, auch der Union gerichtet ist. Und Deshalb glauben wir am Ende des Tages: Ja, wir brau- (C) von Bewegung, von Kompromissbereitschaft habe ich in chen eine Lösung, den letzten Monaten bei diesem Oppositionsvorschlag nicht ein Jota erfahren. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was ist Ihr Vorschlag? Wir brauchen (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Weil Sie eine Lösung!) uns nicht angesprochen haben! Sie sind doch weil man dieser Drohung, am Ende des Tages könne gar nicht bereit, zu reden!) dieser Deutsche Bundestag theoretisch in einer Art und Deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass wir zu Weise unkontrolliert aufwachsen, einen Riegel vorschie- dieser Obsession, die da immer wieder kommt und auch ben muss. von Frau Haßelmann immer gern beschrien wird, wir Dabei gilt es auch – wie übrigens der Bundestagspräsi- würden hier den Bundestag aufteilen, es gebe gute oder dent selbst gesagt hat –, die Zeithorizonte miteinzube- schlechte Abgeordnete, sagen: Nein, Sie führen hier zu ziehen, die Lösung für die Wahl 2021, aber auch darüber einer unnatürlichen Auseinandersetzung. Alle Mandats- hinaus für 2025 mitzudenken, träger machen nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit vor Ort. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann denken Sie doch mal! Dann legen (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie doch mal was vor!) Aber dass im Ergebnis nur die Wahlkreisabgeordneten das heißt einen echten Deckel einzuziehen, bei dem wir für einen Ausgleichsmechanismus die Rechnung bezah- dann im Proporz zum Deutschen Bundestag auch wieder len sollen, ist nicht mehr nachvollziehbar. eine Reduktion zusammenbringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte auch darum, dass man sich nicht nur hierhin- Hören Sie also auf, die Wahlkreisabgeordneten zu ver- stellt und sagt: „Ja, was ist denn mit der Blockadehaltung dammen und sie dafür verantwortlich zu machen! der anderen?“, sondern auch mal selbst überlegt, Ich will eines zur Frage der Nichtzuteilung von Man- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- daten sagen: Sie müssen sich vorstellen, was da gerade im NEN]: Wir haben doch einen Vorschlag vorge- Raum steht. Man macht einen Wahlkampf – miteinander, legt!) gegeneinander, wie auch immer – um die besten Themen, zu welchem Schritt man tatsächlich bereit ist bei dem an am Ende des Tages gewinnt jemand diesen Wahlkreis, und für sich angeblich verfassungsrechtlich einwand- (B) und dann sagt der Bundeswahlleiter: Wunderbar, herz- freien System. Ihr System ist nicht akzeptabel, weil es (D) lichen Glückwunsch; aber Sie sind nicht dabei. absolut nur gegen die Union gerichtet ist (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Aber das ist (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht unser Gesetzentwurf!) NEN]: So ein Quatsch! – Konstantin Kuhle [FDP]: Genau! Zur Strafe!) Das machen Sie in der Demokratie nur einmal. Dann wird dieser Wahlkreis erstens keinen Bewerber mehr finden, und auch gegen die SPD und im Endeffekt verfassungs- widrig ist. Das kann und darf keiner mitmachen. (Lachen des Abg. Thomas Seitz [AfD]) Vielen Dank. und zweitens sagen die Menschen beim nächsten Mal: Da brauche ich ja gar nicht mehr hingehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt mal zu der Argumentation, das sei demokratisch. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wissen Sie, was passiert? Alle Stimmen, die in diesem Wahlkreis abgegeben werden, sind in ihrem Erfolgswert Vielen Dank, Michael Frieser. am Ende null, weil nämlich nicht nur die nicht zählen, die (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ein Staatsthea- nicht zum Gewinner geführt haben, sondern auch die, die ter! – Gegenruf des Abg. Philipp Amthor zum Gewinner geführt haben. [CDU/CSU]: Dann seht ihr mal, wie wir uns (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- immer fühlen!) NEN]: Lesen Sie unseren Vorschlag besser Nächster Redner in der lebendigen Debatte: Thomas noch mal genau durch!) Seitz für die AfD-Fraktion. Also, ein schlimmeres Verbiegen dessen, was das Bun- (Beifall bei der AfD) desverfassungsgericht bzw. was unsere Verfassung dazu sagt, wie der Erfolgswert einer Stimme zu zählen ist, wie Thomas Seitz (AfD): sich der intuitive Wille eines Wählers tatsächlich abbil- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! den soll: Schlimmer geht’s nimmer. Eine Aktuelle Stunde zum Thema Wahlrechtsreform tut unverändert not, solange die Union darauf baut, dass ver- (Beifall bei der CDU/CSU) lorengegangene Wählerstimmen schon durch Überhang- Da sind wir der Überzeugung: Das ist tatsächlich grob mandate ausgeglichen werden. Keine Lösung ist das von verfassungswidrig. der Union ins Spiel gebrachte Grabenwahlrecht, das der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19889

Thomas Seitz (A) Union 2017 auch mit einem knappen Drittel der Stimmen es aktuell gezeigt. Jeder Wähler, der gesundheitliche Ri- (C) eine stabile absolute Mehrheit der Sitze gebracht hätte. siken befürchtet, kann auch jetzt schon per Brief wählen. Mit Ausnahme der Kollegen von der Union verstehen das Es wird auch genügend Freiwillige für die Besetzung der auch wohl alle. Wahlvorstände geben. Falls jemand dort ein Problem sieht: Zur Not hilft die AfD gerne aus. Für eine sinnvolle Lösung muss man langfristig die Anzahl der Wahlkreise reduzieren, was angesichts von Streitigkeiten um Wahldurchführungen, Auszählungen zwei Wahlkreisen für Bremen und vier für das Saarland und Ergebnis sind normal, wie die vielen Wahleinsprü- eine mehr als nur anspruchsvolle Aufgabe ist. Kurzfristig che, die wir im Ausschuss bearbeitet haben, zeigen. Über kann eine Reform damit zielführend nur bei der Vergabe konkrete Einzelvorgänge hinaus gibt es in der Bevölke- der Direktmandate ansetzen. rung aber auch ein tiefsitzendes Misstrauen dahin ge- hend, ob das offizielle Wahlergebnis wirklich dem Wäh- Das beste Beispiel dafür ist der Wahlkreis Berlin-Mit- lerwillen entspricht. Viele Bürger gehen deshalb auch gar te. Mit 23,5 Prozent der Erststimmen bei einer Wahlbe- nicht mehr zur Wahl. Dort gilt es anzusetzen. Die teiligung von 73,4 Prozent ist die dort gewählte Kollegin Briefwahl darf nicht ausgeweitet werden, sondern muss Frau Dr. Högl kein Sieger, sondern nur der beste Ver- eingeschränkt werden. Bestehende Sicherheitslücken lierer. müssen geschlossen werden anstatt erweitert. Wir alle (Beifall bei der AfD) kennen die Berichte von Briefwahlurnen, die über Wo- chen unbeaufsichtigt im Flur des Rathauses standen und Mit 17 Prozent der Wahlberechtigten fehlt es einfach an anschließend mehr Wahlbriefe enthielten als vorgesehen einer überzeugenden Legitimation für ein Mandat. Es oder aber bei der Auszählung vergessen wurden. braucht deshalb für mich zwingend ein Mindestquorum für die Vergabe von Direktmandaten, ganz egal ob 30, 35 Der mobile Wahlvorstand muss in Pflegeeinrichtungen oder 40 Prozent. 50 Prozent würde die Direktmandate der Normalfall sein. Dann ist auch Schluss mit der Ma- nahezu abschaffen; das wollen wir natürlich nicht. nipulation dementer Mitmenschen. Nach den profunden Ausführungen des Kollegen zu (Beifall bei der AfD) den Vorschlägen der AfD und dem Gesetzentwurf der anderen Oppositionsparteien kann ich noch auf zwei wei- Im Wahllokal muss es zwingend eine umfassende tere wichtige Aspekte eingehen, und zwar das Verhältnis Identitätsprüfung geben, damit nicht länger mit gestohle- der Briefwahl zur Urnenwahl und damit verbunden die nen Wahlbenachrichtigungen gewählt wird. Und wer Feststellung des Wahlergebnisses. Das jüngst mehrfach Bleistifte in der Wahlkabine verteidigt, darf sich nicht kolportierte Vorhaben der Union, die Bundestagswahl im wundern, wenn der Bürger dem Wahlergebnis nicht mehr (B) (D) Ausnahmefall als reine Briefwahl, also als Zwangsbrief- traut. Die Unsitte von mit Schlössern gesicherten Urnen wahl, durchzuführen, mag sich harmlos anhören, ist aber muss ebenso beendet werden, und stattdessen muss wie- in Wahrheit ein Meilenstein zur weiteren Aushöhlung der der ein fälschungssicheres Siegel verwendet werden. Demokratie und wird von der Fraktion der AfD grund- Um auf die Briefwahl zurückzukommen: Es muss sätzlich abgelehnt. Schluss sein damit, dass manche Gemeinde den Ort der Auszählung zum Staatsgeheimnis erklärt. (Beifall bei der AfD) Das Bundesverfassungsgericht hat in früheren Ent- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist die scheidungen die Briefwahl trotz der damit verbundenen Vorbereitung der nächsten Verschwörungs- Sicherheitsmängel gegenüber der Urnenwahl und der theorie!) nicht garantierten Geheimniswahrung des Wahlvorgan- Vor allem aber gerade wegen der überragenden Bedeu- ges nur deshalb gebilligt, weil der Anteil der Briefwahl- tung von Wahlen in einer repräsentativen Demokratie ist stimmen verhältnismäßig gering war. Bereits mit der ak- es notwendig, dass die fehlerhafte Auszählung überprüft tuellen Rechtslage, die eine Gleichstellung der werden kann. Urnenwahl mit der Briefwahl statuiert, ist es deshalb mehr als bedenklich, wenn mit einer Größenordnung (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Als Nächs- von fast 30 Prozent Briefwählern bei der Bundestagswahl tes zweifeln Sie noch die Wahlergebnisse an!) 2017 das Verhältnis von Regel- und Ausnahmefall nahe- Bei knappen Mehrheiten oder statistischen Auffällig- zu aufgelöst ist und das Leitbild der Urnenwahl immer keiten muss es immer eine Nachzählung von Amts wegen mehr zur Fiktion wird. Für eine reine Briefwahl ist des- geben. Darüber hinaus muss es Parteien und Kandidaten halb von Verfassungs wegen kein Raum, und die ent- möglich sein, beliebige Auszählungsergebnisse zu kon- sprechenden Überlegungen stellen ein gefährliches Spiel trollieren. Eine Kostentragungspflicht als notwendiges mit dem Feuer dar. Korrektiv regelt das Problem einer übermäßigen Inan- Zur Problematik der Briefwahl im Allgemeinen muss spruchnahme ganz zwanglos. Wer nichts zu verbergen ich nur auf die kritische Haltung des Bundeswahlleiters hat, hat auch nichts zu befürchten. verweisen, wie sie im Abschlussbericht der OSZE zur letzten Bundestagswahl oder in einem Artikel der „Welt“ Liebe Kollegen von den GroKo-Parteien, geben Sie vom 21. Mai 2019 zum Ausdruck kommt. sich einen Ruck und wagen Sie endlich mehr Demokratie und bauen Sie Ihre Pfründe ab! Nicht alle werden einen Auch in Zeiten einer Pandemie muss es deshalb das Präsidentenposten wie Frau Nahles bekommen, aber der Angebot der Urnenwahl geben. Das Beispiel Polen hat Bürger wünscht das vielleicht auch gar nicht. 19890 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Thomas Seitz (A) Vielen Dank. Liebe Union, Sie können sich ein Denkmal setzen, (C) wenn Sie sich jetzt zum Thema Wahlrecht einfach mal (Beifall bei der AfD) bewegen, Ihren Schmollwinkel verlassen und mutig ers- tens für 2021 etwas auf den Tisch legen, das nicht nur Vizepräsidentin Claudia Roth: Ihnen alleine nützt, und zweitens für 2021 das Thema Danke schön. – Nächste Rednerin: für die SPD-Frak- Parität anpacken, zum Beispiel mit Listen im Reißver- tion Leni Breymaier. schlussprinzip. (Beifall bei der SPD) Ohne Regeln geht es nicht. Der Frauenanteil im Bun- destag ist rückläufig, so niedrig wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Im Landtag von Baden-Württemberg sind Leni Breymaier (SPD): gerade mal 25 Prozent der Abgeordneten Frauen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auch, dass wir heute einmal über etwas (Zuruf von der AfD: Wie viele sind das denn?) anderes reden als über Corona, wenngleich Herr Seitz es trotzdem schafft, sofort wieder Verschwörungstheorien So was machen Einstimmenwahlrechte; auch das ist nicht im Saal unterzubringen; der Weisheit allerletzter Schluss. (Zuruf von der AfD: Wie bitte?) Wir warten jetzt seit Jahr und Tag. Bei all den Parteien, die sich für ihre Programme tolle Namen ausdenken – egal zu welchem Tagesordnungspunkt, egal zu welchem „Quorum statt Quote“ – und für freiwillige Selbstver- Thema. pflichtungen eintreten; in Baden-Württemberg haben wir das Projekt „Frauen im Fokus“ – Herr Strobl hat sich Ich glaube, wir sind uns hier im Saal weitgehend einig, das ausgedacht –: Alles ist gescheitert, weil alles nicht dass niemand ab 2021 einen Bundestag haben will, der verbindlich ist. Deshalb, glaube ich, wäre jetzt das Reiß- mehr als 800 Abgeordnete hat. Diesem Ziel wird das verschlussverfahren ein erster Schritt. Brückenmodell der SPD gerecht; denn – es ist schon ge- sagt worden – wir fangen im Juni mit den ersten Wahl- Roman Herzog ist für seine Rede viel gelobt worden: kreiskonferenzen an, und dann scheidet im Grunde ge- Ein Ruck muss durch Deutschland gehen. – Ich wandele nommen alles andere aus. Wenn nominiert ist, dann kann das jetzt mit Blick auf unsere heutige Debatte zum Wahl- man das Wahlrecht nicht mehr grundsätzlich ändern. recht ab und sage: Ein Rock muss durch Deutschland gehen, damit die Menschen in Hundert Jahren hoffentlich Ich glaube, unser Brückenmodell ist ein realistisches, mal sagen können: Die haben das damals mit der Pande- deshalb stelle ich es noch mal ganz kurz vor. Wir sagen, (B) mie gut in den Griff bekommen, danach Deutschland und (D) die Regelgröße des Bundestages bleibt bei 598 Abgeord- Europa sozial und ökologisch reformiert und ein Wahl- neten, die Anzahl der Wahlkreise bleibt bei 299, und zur recht auf den Weg gebracht, das die Bevölkerung annä- Wahl werden nur Parteien zugelassen, deren Landeslisten hernd abbildet. Geben Sie sich also einen Ruck, liebe paritätisch abwechselnd mit einer Frau und einem Mann Union! Machen Sie das Brückenmodell und das mit oder vielleicht auch mal umgekehrt besetzt sind. dem Rock gleich dazu! (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist verfas- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. sungswidrig! – Zuruf von der AfD: Verfas- sungswidrig ist das!) (Beifall bei der SPD) Als maximale Obergrenze wird die Zahl von 690 Abge- ordneten im Gesetz festgeschrieben, und bis zur Errei- Vizepräsidentin Claudia Roth: chung der Obergrenze werden alle Überhang- und Aus- Vielen Dank, Leni Breymaier. – Nächster Redner: für gleichsmandate entsprechend ihres die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle. Zweitstimmenergebnisses zugeteilt. Dabei entfällt der 2013 eingeführte erste Verrechnungsschritt. (Beifall bei der FDP) Das soll alles befristet sein, Herr Frieser. Wir wissen, Konstantin Kuhle (FDP): dass das nicht die optimale Lösung ist, aber ich glaube, das halten wir aus bis zum Jahr 2025, falls es denn zum Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In der ak- Zug kommt. Alle über die Obergrenze hinausgehenden tuellen Coronakrise sind die Grundlagen unseres gesell- Überhangmandate werden nicht mehr zugeteilt, der schaftlichen Zusammenlebens besonders unter Druck. Zweitstimmenproporz bleibt aber erhalten. Das gilt für die Marktwirtschaft, das gilt für den Rechts- staat, und das gilt auch für die Demokratie. Wir haben als Die Übergangsregelung soll so lange gelten, bis eine der gesamte Deutsche Bundestag die Pflicht, das Vertrau- Reformkommission, die wir 2021 oder gerne auch früher en in unsere Institutionen auch in dieser Coronakrise zu einsetzen, zu Ergebnissen gekommen ist. Wir stellen uns stärken. Deswegen muss gerade jetzt eine Reform des vor, dass die Kommission aus Wissenschaftlerinnen und Wahlrechts auf den Weg gebracht werden, damit das An- Wissenschaftlern, Abgeordneten usw. zusammengesetzt sehen für die demokratischen Institutionen nach der Co- ist und ein gescheites Ergebnis für die Wahl 2025 vorlegt. ronakrise keinen Schaden genommen hat. Jetzt läuft uns die Zeit davon. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Friedrich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Straetmanns [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19891

Konstantin Kuhle (A) Dass wir das bisher nicht hinbekommen haben, ist die schlag der FDP, der Grünen und der Linken. Ich freue (C) Schuld der Großen Koalition. Es ist aber nicht die Schuld mich darauf, dass die Sachverständigen sich mit unserem der gesamten Großen Koalition; der Bösewicht ist die Vorschlag beschäftigen werden. Die werden bestimmt Union. Und innerhalb der Union ist es nicht die Schuld sagen: ein super Vorschlag. der gesamten Union; der Bösewicht ist die CSU. Und das muss man auch so ganz klar sagen. (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ja, Ihre Sach- verständigen!) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ulle Aber dass wir nicht die Möglichkeit haben, zu ent- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) scheiden, ob dieser oder jener Vorschlag besser ist, das Deswegen hätten wir uns darüber gefreut, wenn hier ist Ihre Schuld, das geht auf Ihr Konto. auch ein konkreter Vorschlag gemacht worden wäre, statt nur zu sagen, was nicht geht. Denn dass bestimmte kon- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ krete Vorschläge möglich sind, stellt die Große Koalition DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der doch gerade selber unter Beweis. LINKEN) In der letzten Woche war in der Zeitung zu lesen, dass Wir hätten gerne einen alternativen Vorschlag in diese geplant ist, mit Blick auf die Coronakrise eine Briefwahl Anhörung am Montag der nächsten Sitzungswoche im einzuführen, dass geplant ist, bei den Aufstellungsver- Innenausschuss des Deutschen Bundestags eingebunden. sammlungen auf Digitalisierung und auf veränderte De- Meine Damen und Herren, sowohl der Kollege Gröt- legiertensysteme zu setzen. Sie haben letzte Woche hier sch als auch Frau Haßelmann haben hier ein Modell vor- einen Vorschlag zum Thema Wahlkreiszuschnitt einge- geschlagen, das Bezug auf die Stärke nimmt, mit der ein bracht. Sie friemeln am Wahlrecht herum und gehen bestimmter Bewerber einen Wahlkreis gewinnt. Der Kol- den Elefanten im Raum nicht an, und das können wir lege Frieser hat das dann hier ins Lächerliche gezogen, Ihnen nicht durchgehen lassen, meine Damen und Her- ren; denn die Zeit drängt. (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Sachlich wider- legt hat er es! – Britta Haßelmann [BÜND- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist typisch für DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ihn! Da mache ich mir nichts draus!) LINKEN) und es ist auch da hinten in der Union über Frau Man muss sich nur anschauen, wie es im europäischen Haßelmann gelacht worden. Es ist auch total in Ordnung, Vergleich aussieht. Die Venedig-Kommission des Euro- dass hier Argumente ausgetauscht werden und die Debat- parats sagt ganz eindeutig: Ein Jahr vor der Wahl muss te hart in der Sache geführt wird. (B) die Reform des Wahlrechts abgeschlossen sein. – Dass so (D) was in die Hose gehen kann, haben wir doch gerade in Aber das Problem liegt doch tiefer. Das Problem be- Polen gesehen. Wir müssen ein Zeichen dafür setzen, steht doch darin, dass Sie sich mittlerweile in der Unions- dass wir dazu in der Lage sind, auch mehr als ein Jahr fraktion selber eingeredet haben – und das auch immer vor der Wahl das Wahlrecht zu reformieren. wieder hier darstellen –, wir hätten gar kein personal- isiertes Verhältniswahlrecht, sondern ein Mehrheitswahl- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ recht mit Verhältniskomponente. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]) (Zuruf von der AfD: Sehr richtig!) Wir haben als Fraktion der Freien Demokraten ge- Und dass darüber gelacht worden ist, zeigt, dass das mitt- meinsam mit den Grünen und den Linken einen Vor- lerweile in Ihrer eigenen Fraktion geglaubt wird. schlag eingebracht, der hier schon vorgestellt worden (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ ist. Und jetzt haben Sie sich darüber beklagt, dass auf DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der Grundlage dieses Vorschlags keine Kompromissbe- SPD und der LINKEN) reitschaft bestehe. Ja wie denn, wenn von Ihnen kein Vor- schlag kommt? Das ist wirklich traurig, (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der NEN]: Das ist traurig! Die kennen halt das LINKEN) Wahlrecht nicht!) Der Vorschlag der Freien Demokraten, der Grünen und weil auf dieser Grundlage kein Kompromiss möglich ist. der Linken ist im November 2019 hier in den Deutschen Wir haben weder ein Grabenwahlrecht noch ein Prä der Bundestag eingebracht worden. Über ein halbes Jahr ha- Erststimme; wir haben ein Prä der Zweitstimme. ben wir darauf gewartet, dass von Ihnen etwas kommt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Über ein halbes Jahr haben Sie gesagt: Die Anhörung im NEN]: Das wissen die halt nicht!) Innenausschuss kann nicht stattfinden; wartet bitte, liebe FDP, liebe Grüne, liebe Linke, damit wir eine gemein- Und 50 Prozent der so ermittelten Mandate werden dann same Anhörung zum Wahlrecht machen können! – Und über Wahlkreise aufgefüllt. es ist nichts gekommen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Anhörung ist jetzt am Montag der nächsten Sit- NEN]: Wer da lacht, der kennt das Wahlrecht zungswoche. Es geht darin ausschließlich um den Vor- nicht!) 19892 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Konstantin Kuhle (A) Das ist in unserem Wahlrecht Tatsache – nicht andersrum. Deswegen – und das sage ich auch an Ihre Adresse, (C) Und dass Sie so tun, als wäre es anders, ist für uns un- Herr Kollege Kuhle – würde ich es etwas anders sehen: glaublich schwierig, weil man dann nicht auf Augenhöhe Die Personalisierung des Verhältniswahlrechts spielt miteinander verhandeln kann – ein großes Problem! schon eine andere Rolle; es geht nicht allein um eine Verzierung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt, dass die Perso- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nalisierung des Verhältniswahlrechts auch dazu führen LINKEN) kann, dass es Überhangmandate gibt, auch Überhang- Lieber Kollege Heveling, Sie haben hier einen wichti- mandate, die nicht ausgeglichen werden. – Das nur mal gen Satz gesagt, und zwar, dass es verschiedene Hebel als Bemerkung vorweg. Personalisierung ist kein Verzie- gibt, die möglicherweise gezogen werden können. Man- rungsfaktor eines Verhältniswahlrechts, sondern es ist ein che dieser Hebel – das ist richtig – sind bisher nicht im Faktor, der sich am Ende auch im Ergebnis ausdrücken Gesetzentwurf von Grünen, Linken und FDP enthalten. darf. Wir sind bereit, über diese Hebel zu sprechen. (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Aber Ich will aber sagen, dass Sie hier besonders auf die nur bei einem unbeabsichtigten Ausgleich der Zahl der unausgeglichenen Überhangmandate Bezug ge- Überhangmandate! Nicht einem beabsichtig- nommen haben. Das sind diese 15 Mandate, die das Bun- ten!) desverfassungsgericht zulässt. Das zeigt doch in Wahr- Ich sage gerade in Richtung FDP – weil das von Ihnen heit Folgendes: Wenn man ein bundesweites Parlament in besonderer Weise strapaziert wurde und weil es Teil aus Länderergebnissen zusammensetzen will und dabei Ihres Vorschlags ist –: Die Zahl der Mandate hier um 50 die Hälfte über Wahlkreise bestimmen will, dann kommt abzusenken, ist ein ziemlich gewaltiger Eingriff; denn es es immer zu Verzerrungen. Bestimmten Fraktionen im schmälert durchaus die Verbindung zwischen dem Parla- Deutschen Bundestag kommt es darauf an, diese Verzer- ment, den Abgeordneten, und den Bürgern, wenn wir die rungen möglichst klein zu halten. Und Ihnen kommt es Zahl der Wahlkreise verringern, wenn wir die Wahlkreise gerade darauf an, diese Verzerrungen möglichst groß zu ausdehnen. halten, möglichst zu Ihren Gunsten und möglichst so kompliziert, dass der Bürger es nicht mitkriegt. Und das (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie tun wieder kann nicht das Ergebnis unserer Wahlrechtsreform sein. so, als wären die Listenabgeordneten nicht vor Ort! Das stimmt aber nicht!) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Ich zitiere mal den Kollegen Ruppert, der, glaube ich, (B) ordneten der SPD und der AfD) vor zwei Wochen aus Ihrer Truppe ausgeschieden ist und (D) der hier vor neun Jahren an diesem Pult erklärt hat: Vizepräsidentin Claudia Roth: Der Vorschlag, … die Zahl der Wahlkreise zu redu- Vielen Dank, Konstantin Kuhle. – Nächster Redner: zieren, ist vielleicht gut gemeint, für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Mathias Middelberg. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist unan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ständig! Das hat er in der letzten Aktuellen Stunde schon eingeordnet! Jemanden an die Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Wand zu stellen, der sich nicht wehren kann, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ist unanständig!) völlig richtig: Die Menschen haben einen Anspruch da- … wäre aber eine Verschlimmbesserung. Denn die rauf, dass wir ein handlungsfähiges Parlament haben, Direktwahlkreise in unserem Land sind ein ganz aber ich füge hinzu: auch ein Parlament, das bürgernah entscheidendes Bindeglied zwischen Bürger und ist. Deswegen spielen die Direktwahl in den Direktwahl- Bundestag. kreisen und die in diesen Wahlkreisen direkt verantwort- lichen Abgeordneten (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Unanständig ist das!) (Peter Heidt [FDP]: Bin ich nicht bürgernah? Was soll denn das?) Die Direktwahlkreise sind das Fundament für die Akzeptanz und Bürgernähe unserer Politik. Eine für uns als Union eine sehr große Rolle. Verringerung der Zahl der Direktwahlkreise würde zu weniger Bürgernähe führen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie erklären Sie das eigentlich Ihren (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marco eigenen Kollegen, die über die Zweitstimme Buschmann [FDP]: ist einer gewählt wurden? Sind die nicht bürgernah?) der Architekten unseres Vorschlags!) Die Repräsentanz und die Verortung der Abgeordneten – Ja, darüber müssen Sie sich dann aber mit Ihrem Kol- werden eben gerade durch die Direktwahl vor Ort, auch legen auseinandersetzen. durch das System von zwei Stimmen mit einer Erststim- me als Kandidatenstimme, ausgedrückt. Der Kollege Heveling hat hier eben die vernünftigen Ideen aus unserer Fraktion vorgetragen. Ich finde, man (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kann darüber sprechen. Und ich sage ganz offen: Da ist Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ein gewisser Diskussionsbedarf, durchaus auch in unserer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19893

Dr. Mathias Middelberg (A) Fraktion. Aber ich persönlich bin der Meinung: Man Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) kann durchaus über eine moderate Reduzierung der Zahl Vielen Dank, Dr. Middelberg. – Nächster Redner: der Wahlkreise sprechen. Aber sie muss eben moderat Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. sein. (Beifall bei der SPD) Wir können auch durchaus über das Zuteilungsverfah- ren sprechen. Aber auch beim Zuteilungsverfahren ist es Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): natürlich von Bedeutung, dass es zu einem gewissen re- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gionalen Ausgleich kommen muss. Also auch da kann Fast zum Abschluss der Debatte: Das ist ja nicht die erste man was machen, aber in moderater Weise. und wahrscheinlich auch nicht die letzte, die wir zum Wahlrecht hier im Bundestag führen. Wir werden näm- Ich finde aber auch, wir können auf die Rechtspre- lich noch eine führen müssen, nach der wir dann auch chung des Bundesverfassungsgerichts Rücksicht neh- entscheiden – und das noch in dieser Legislatur mit Gül- men. Und das Verfassungsgericht hat eben gesagt: Bis tigkeit für die nächste Legislatur –; denn nicht akzeptabel zu 15 Überhangmandate sind okay. wäre es, wenn das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir erwarten ein Bundestag mit einer Größe von über 800 Abgeordne- Ihren Gesetzentwurf!) ten wäre. Das wäre für die Akzeptanz der Demokratie schädlich. Diesen Punkt vermisse ich in Ihrem Vorschlag leider völ- lig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann Angesichts der jetzigen Anzahl von 709 Abgeordneten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen bei einer Regelgröße von 598 sehen wir schon jetzt, wie Sie mal was vor!) schwer es ist, in Zeiten der Einschränkung, die wir derzeit Und jetzt sage ich Ihnen zum Schluss etwas zu dem erleben, unseren Betriebsablauf so zu organisieren, dass Thema Obergrenze. Es ist ja von verschiedenen Beteilig- er funktioniert, was er in den letzten Wochen getan hat, ten hier ausgeführt worden. Frau Breymaier, Sie haben ja und den gesundheitlichen Vorschriften – ich denke an die beispielsweise das Thema Obergrenze angesprochen und Situation heute Morgen – gerecht wird. zu dem Vorschlag, dann zu kappen, gesagt: Am Ende geht Ich gebe der Opposition recht, die uns vorwirft, dass es nur, dass alle Mandate, die über der Obergrenze sind, wir sehr lange gebraucht haben etc. Da haben Sie einen gekappt werden. Damit – das sage ich ganz ehrlich – Punkt gemacht. Wir sind in einer Koalition und haben (B) würde ich mich ganz besonders schwertun, und zwar lange versucht, innerhalb der Koalition zu einer Einigung (D) nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen. Ich hielte zu kommen. Sie haben in Aktuellen Stunden oft verlangt, es nicht nur für verfassungsrechtlich ausgesprochen prob- auch wir sollten uns positionieren. Nachdem es uns nicht lematisch; ich glaube auch, es wäre ein gewaltiger gelungen ist, zu einer gemeinsamen Position zu kommen, Schaden für unsere Demokratie. Personalisiertes Verhält- haben wir uns positioniert. Das liegt jetzt nicht als Ge- niswahlrecht wäre dann eigentlich ziemlich ad acta ge- setzentwurf für Sie hier im Bundestag vor – das stimmt –, legt. Vor allen Dingen wäre es aber ein gewaltiger weil wir per Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass wir Schaden für unsere Demokratie, weil dann der ganze hier keine eigenen Initiativen einbringen, sondern nur Wahlkampf zwischen Bewerbern vor Ort leidet – das, gemeinsame, aber wir haben Ihnen unseren Vorschlag was wirklich vor Ort stattfindet –, auch die Identifikation übersandt. Wegen der noch zur Verfügung stehenden von Wählern, die dann noch eine Erststimme abgeben Zeit – der Kollege Straetmanns selbst hat darauf hinge- dürfen. Dann müssten wir eigentlich gleich darüber re- wiesen – ist er wahrscheinlich der einzige Vorschlag, der den, die Erststimme wegzunehmen; denn sie macht dann in der jetzigen Situation – eineinhalb Jahre vor der nächs- keinen Sinn mehr. Wenn wir aber den Wettbewerb vor Ort ten Bundestagswahl – noch in der Lage ist, eine wirkliche haben und dann einer in diesem Wettbewerb als Bester Begrenzung der Größe des Bundestages bei der nächsten abschneidet, dann – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – Bundestagswahl zu erreichen. erwarten nach ganz normalem Menschenverstand die Leute vor Ort, dass derjenige, der in ihrem Wahlkreis Herr Middelberg, Sie haben eben gesagt, dass das für als Bester abgeschnitten hat, für sie nach Berlin zieht Sie ausgeschlossen ist. Damit sagen Sie nichts anderes, und sie hier in diesem Parlament vertritt. als dass es in dieser Legislaturperiode seitens der Union keine Einigung und Verständigung auf ein anderes Wahl- (Beifall bei der CDU/CSU) recht mehr geben wird. Wenn Sie ein solches Modell mit Obergrenze und Kap- (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Nein!) pung dieser Mandate einführen würden, dann wäre das – Doch, Herr Amthor. wirklich der Maximalschaden für unsere Demokratie. Also, lassen Sie uns über die vernünftigen Vorschläge (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das ist falsch! – reden, die der Kollege Heveling hier gemacht hat. Dann Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sag haben wir eine gute Gesprächsgrundlage. doch mal, was ihr schon alles abgelehnt habt!) Herzlichen Dank. – Es gibt keine Einigung. Ich habe ja das „Spiegel“-In- terview mit Herrn Brinkhaus gelesen, und es ist ja auch (Beifall bei der CDU/CSU) kein Geheimnis, dass zwischen der CDU und der CSU da 19894 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Carsten Schneider (Erfurt) (A) ein Unterschied besteht. Ich hoffe, Sie einigen sich noch. dann nicht mehr geben wird. Auch das gehört – das sei (C) Aber: Es besteht da ein Unterschied. der Fairness halber gesagt – dazu. Der Vorschlag, den Herr Middelberg ausgeführt hat – Wie Herr Straetmanns schlagen auch wir die Einset- eine teilweise Reduzierung der Wahlkreise auf vielleicht zung einer Kommission vor der nächsten Bundestags- 270; Herr Heveling hat das ja auch vorgeschlagen –, ist wahl vor. Weiterhin muss geklärt werden, an welchem allein aufgrund der Zeit gar nicht mehr umzusetzen. Wir Enddatum deren Ergebnis vorliegen muss und welche sind nämlich schon fast bei der Aufstellung der Kandida- Kriterien in etwa zu erfüllen sind. Außerdem soll es ein ten für die nächste Bundestagswahl, und dann muss der Ablaufdatum für unser Brückenmodell geben, weil das Wahlkreiszuschnitt feststehen. Das ist also gar nicht mehr nicht für immer der Standard, sondern nur eine Brücke möglich. für die nächste Bundestagswahl sein soll. (Zuruf des Abg. Dr. Mathias Middelberg Vielen Dank. [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD) – Das ist die Realität, Herr Middelberg, und deswegen müssen Sie und alle Kollegen hier im Bundestag das jetzt Vizepräsidentin Claudia Roth: einmal als Fakt hinnehmen. Vielen Dank, Carsten Schneider. – Letzter Redner in Ich halte die Vorschläge der Opposition auch nicht für dieser Aktuellen Stunde: Philipp Amthor für die CDU/ der Weisheit letzten Schluss, weil diese Vorschläge – eine CSU-Fraktion. Reduzierung auf 250 Wahlkreise – einen sehr harten Ein- (Beifall bei der CDU/CSU) griff in die Größe der Wahlkreise bedeuten würden. Da- bei geht es nicht nur um die Frage, wer direkt gewählt Philipp Amthor (CDU/CSU): wurde. Ich bin dreimal direkt gewählt worden und drei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mal nicht direkt gewählt worden, sondern über die Liste Eines muss man ja wirklich zugestehen: Die Opposition eingezogen. Trotzdem kümmere ich mich immer um mei- ist wirklich beharrlich und auch durchaus erfolgreich da- nen Wahlkreis. Mein Wahlkreis war früher einmal nur die rin, den Eindruck zu perpetuieren, als würden CDU und Stadt Erfurt; jetzt gehören die Stadt Erfurt, die Stadt CSU per se gegen eine Verkleinerung des Bundestages Weimar und das Weimarer Land dazu. Mein Wahlkreis sein, ist um ein Drittel größer geworden. Man kann nicht mehr überall so präsent sein, wie das vorher der Fall war. Aus (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das ist einfach, diesem Grund wäre eine Reduzierung um fast 50 Wahl- weil es ja so ist!) (B) (D) kreise schon gewaltig; das ist schon ein richtiges Wort. als würden wir keine Reform wollen, als würden wir das Das führt dazu, dass die Präsenz aller Abgeordneten in wegen Corona verschleppen wollen und als wäre die ihrem jeweiligen Wahlkreis abnimmt. Ob sie da direkt CSU an allem schuld. Ich kann Ihnen sagen: Sie wissen, gewählt worden sind oder nicht, ist egal. Sie fühlen sich das ist falsch. aber verpflichtet, weil sie dort nominiert waren und zur (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marco Wahl gestanden haben. Das halten wir als SPD für ein so Buschmann [FDP]: Die CSU ist immer schuld! großes Problem, dass wir gesagt haben: Wir wollen für Das stimmt!) die nächste Bundestagswahl keine Reduzierung der Wahlkreise, sondern an den 299 Wahlkreisen festhalten. Es ist so – und das ist auch kein Geheimnis –: Wir lehnen den Oppositionsvorschlag nicht deswegen ab, (Beifall bei der SPD) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man also bei der festgesetzten Größe des Bun- NEN]: Legen Sie doch mal was vor, Herr destages von 598 Abgeordneten eine maximale Größe Amthor!) nicht überschreiten möchte – wir sprechen von 690 –, weil wir etwa sagen würden, dass wir keine Verkleine- dann ist das ohne eine Kappung schlichtweg nicht mög- rung des Bundestages wollen, sondern weil wir ihn nicht lich. Auch das Modell der Opposition mit dem Ziel, dass überzeugend finden. Es ginge einseitig zulasten der der Bundestag kleiner wird, würde mathematisch nur Union und würde das Problem nicht lösen. Deswegen funktionieren, wenn die Zahl der Wahlkreise auf 200 ist Ihr Vorschlag nicht überzeugend. reduziert werden würde – realistisch gerechnet. Wenn es demnach knapp 99 Wahlkreise weniger wären, dann (Beifall bei der CDU/CSU) würde das eine Vergrößerung jedes einzelnen Wahlkrei- ses um etwa ein Drittel bedeuten. Ich jedenfalls würde Gleichzeitig wollen wir natürlich – und zwar noch in das dem Bundestag nicht empfehlen. dieser Legislaturperiode – Aus diesem Grund schlagen wir – das liegt auf dem (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tisch; dazu finden ja auch Gespräche auf der Ebene der NEN]: Wo ist der Vorschlag?) Fraktionsvorsitzenden statt – für die nächste Bundestags- eine Reduktion der Zahl der Mitglieder des Bundestages wahl im Jahre 2021 eine Kappung vor. Ja, das ist ein bei der nächsten Wahl erreichen. Dabei wissen wir, dass Einschnitt. Ja, das ist etwas Neues und bringt auch Härten sich ein guter Kompromiss dadurch auszeichnet, dass die mit sich – sowohl für die direkt gewählten Abgeordneten Schmerzen gleichmäßig verteilt sind. Das beinhaltet, dass als auch im Hinblick auf die Ausgleichsmandate, die es es auch Einschnitte zu unseren Lasten gibt; das ist doch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19895

Philipp Amthor (A) völlig klar. Entsprechend muss eine Kompromissrege- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) lung aussehen. NEN]: Doch!) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Die Grundlage muss doch sein: Entscheiden Sie sich, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Vor- was das Ziel ist. Wollen Sie nur auf dem vollen Verhält- schlag? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ nisausgleich beharren, oder wollen Sie ein Reduzieren DIE GRÜNEN]: Ich brauche die Drucksachen- des Deutschen Bundestages? Beides zusammen geht, nummer!) wenn man sich für ein Höchstgrenzenmodell entscheidet, aber gleichzeitig festlegt: Wer in einem Wahlkreis in den Wenn wir schon über Schmerzen reden, dann sage ich Deutschen Bundestag gewählt wird, der zieht auch ein. Ihnen: Ich persönlich finde es schon sehr schmerzhaft, dass wir jetzt nur noch über das praktisch Machbare Ich kann Ihnen sagen: Die Kappung, dass die ver- und nicht mehr über die theoretisch beste Lösung reden. meintlich schlechtesten Wahlkreissieger nicht in den Deutschen Bundestag einziehen, führt doch zu völlig ab- (Konstantin Kuhle [FDP]: Ja, woran liegt das strusen Ergebnissen. Eine Variante ist: Jemand gewinnt denn?) einen Wahlkreis mit vielleicht nur 24 oder 25 Prozent. Wenn Sie sagen würden, es gehe darum, dass die Zahl der Mitglieder des Bundestages planbar begrenzt wird – (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Sie ha- wenn das Ihr Kernanliegen wäre –, dann würden wir über ben doch gar keinen Vorschlag in der Tasche!) ein echtes Zweistimmenwahlrecht, über das sogenannte Da sagen Sie: Das ist zu wenig; der soll nicht einziehen. – Grabenwahlrecht, reden. Wir wissen aber: Ein solcher Aber über die Landesliste zieht dann der unterlegene Vorschlag hat im Moment keine politische Mehrheit. Kandidat ein, der vielleicht nur 10 Prozent erzielt hat. Das kann doch kein richtiges Ergebnis sein! (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Feigenblattar- gument! Legen Sie doch was vor! – Ulle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das peinlich!) Hinzu kommt, dass bei dem Wegfall der schlechtesten Wahlkreissieger eine Situation eintritt, dass es Wahlkrei- Deswegen müssen wir danach suchen, was uns verbindet, se geben könnte, die ganz ohne direkt gewählten Abge- und nicht danach, was uns trennt. ordneten im Deutschen Bundestag „vertreten“ sind. Was Ich glaube, das gemeinsame Ziel – das hat auch die für einen Sinn macht denn ein Wahlkreis, der gar keinen SPD vorgeschlagen – ist eine Höchstgrenze, eine zahlen- Wahlkreisabgeordneten hat? Gar keinen, liebe Kollegin- mäßige Begrenzung des Bundestages. Ich sage Ihnen: nen und Kollegen. (B) (D) Das kann man mit einer Regelung auch erreichen; es ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aber nur dann sinnvoll, wenn es nicht einseitig zulasten der Direktmandate und der direkt gewählten Abgeordne- Deswegen bleibt es dabei: Wir haben die Verantwor- ten geht. tung, dass wir zeigen, dass uns das eigene Hemd nicht näher ist als der Rock des Gemeinwohls. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Die GroKo (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Doch, kriegt es mal wieder nicht hin!) natürlich! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich doch mal Eine Höchstgrenze muss beinhalten, dass derjenige, ehrlich!) der einen Wahlkreis direkt gewonnen hat, auch in den Deutschen Bundestag einzieht. Das ist ein richtiges Mo- Wir haben die Verantwortung, dass wir diesen Bundestag dell. Ich habe das an dieser Stelle schon mehrfach gesagt: verkleinern. Wir müssen sehen, dass wir 299 direkt gewählte Abge- ordnete und über 400 gewählte Listenabgeordnete haben. (Leni Breymaier [SPD]: Wann, Herr Amthor?) Wir müssen uns in Richtung einer planbaren Richtgröße (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bewegen. Aber für mich ist jedenfalls klar: Das können NEN]: Ja, das wissen wir alles! Wir wollen wir nicht machen zulasten derjenigen, die einen Wahl- Ihren Vorschlag hören!) kreis direkt gewinnen. Wo das Problem liegt, ist doch offensichtlich. Wir wollen, dass diejenigen, die in einem Wahlkreis eine Mehrheit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) erzielen, auch im Deutschen Bundestag sind. Wir werden – auch wenn Sie anderes behaupten – hier (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Schmidt konstruktiv arbeiten und das Wahlrecht ändern, auch als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen. ein Verhältniswahlrecht!) Herzlichen Dank. – Ja, den Zwischenruf, wir hätten ein Verhältniswahl- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) recht, haben wir heute ja mehrfach gehört. Einfachrecht- lich haben wir das so geregelt. Verfassungsrechtlich wären wir offen, sogar in Richtung eines Mehrheitswahl- Vizepräsidentin Claudia Roth: rechts zu gehen. Das heißt, zu sagen, das Verhältniswahl- Vielen Dank, Philipp Amthor. – Damit ist diese Ak- recht sei unantastbar, ist doch nicht die Grundlage. tuelle Stunde beendet. 19896 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zü- 2006 auf die maritimen Anteile der Mission. Mit unserer (C) gig zu tauschen, damit ich den nächsten Tagesordnungs- Korvette tragen wir dazu bei, Waffenlieferungen und punkt aufrufen kann. – Ich rufe den Tagesordnungspunkt Schmuggel über See zu verhindern, und helfen dem Li- 13 auf: banon bei der Sicherung seiner Seegrenzen. Wir unter- stützen den Fähigkeitsaufbau und die Ausbildung der Beratung des Antrags der Bundesregierung libanesischen Marine, damit sie in Zukunft diese Aufgabe Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- noch eigenständiger übernehmen kann. Auf diesem Weg scher Streitkräfte an der „United Nations In- haben wir von Beginn der Mission an wichtige Fortschrit- terim Force in Lebanon“ (UNIFIL) te erzielt. Drucksache 19/19003 Wir haben mittlerweile drei Patrouillenboote überge-

Überweisungsvorschlag: ben, Navigations- und Ausbildungsanlagen geliefert, eine Auswärtiger Ausschuss (f) Küstenradarorganisation zur Überwachung der Seegren- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ze aufgebaut. Somit kann die libanesische Marine immer Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe größere Bereiche des eigenen Seegebietes selbst überwa- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung chen. Aber internationale Hilfe wird dabei noch auf ab- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO sehbare Zeit erforderlich bleiben; denn die soziale und wirtschaftliche Krise des Landes ist noch zu tief. Unser Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Engagement ist deshalb langfristig angelegt – weil es schlossen worden. auch in unserem eigenen Interesse ist, dass die Region Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bundes- stabil bleibt. ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Derzeit ist auch unser UNIFIL-Einsatz durch die Co- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ronapandemie beeinträchtigt. Die Ausbildung kann nur eingeschränkt erfolgen. Einen Teil des benötigten Perso- Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin nals haben wir deshalb vorübergehend abgezogen. Die der Verteidigung: Operationen unserer Korvette, der „Ludwigshafen am Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Rhein“, sind derzeit allerdings nicht betroffen, auch wenn Herren Abgeordnete! Der Nahe Osten ist eine der bedeut- unsere Soldatinnen und Soldaten dort nun besonderen samsten Regionen für unsere Sicherheit; das muss ich Vorsichtsmaßnahmen unterliegen, was insbesondere hier in diesem Haus nicht erklären. Ausgangsbeschränkungen, etwa im Hafen, anbelangt. (B) Dem Libanon kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Er Mein Dank gilt deshalb an dieser Stelle unseren Män- (D) befindet sich nachhaltig und anhaltend in einer schwieri- nern und Frauen, die bei UNIFIL auch in dieser schwie- gen Lage. Das politische System ist in einer tiefen Ver- rigen Phase ihren wichtigen Beitrag zu unserer Sicherheit trauenskrise. Seit Jahren leidet das Land unter einer Wirt- leisten. schafts- und Finanzkrise. Die Folgen des Syrien-Krieges sind für den Libanon eine enorme soziale und wirtschaft- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- liche Belastung: Kein Land hat im Verhältnis zu seiner neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- Bevölkerung mehr Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenom- SES 90/DIE GRÜNEN) men als der Libanon. Der wachsende Einfluss der terro- Ich bitte Sie deshalb, verehrte Damen und Herren Abge- ristischen Hisbollah erhöht die Spannungen mit Israel. ordnete, um Ihre Zustimmung für die Verlängerung des Und nun belastet die Coronapandemie die Lage noch inhaltlich unveränderten Mandates um weitere zwölf Mo- zusätzlich mit all ihren Folgen für das Gesundheitssystem nate. und die soziale und wirtschaftliche Situation. Der Libanon braucht weiter internationale Unterstüt- Vielen Dank. zung, auch um die Region vor weiteren Erschütterungen zu bewahren. UNIFIL ist dabei ein unverzichtbarer Sta- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bilitätsanker, gerade mit Blick auf das Verhältnis zwi- schen Libanon und Israel. UNIFIL trägt als Vermittler Vizepräsidentin Claudia Roth: und Stütze wesentlich dazu bei, die Waffenruhe aufrecht- Vielen Dank, Annegret Kramp-Karrenbauer. – Näch- zuerhalten und größere Auseinandersetzungen zu ver- ster Redner: für die AfD-Fraktion Petr Bystron. meiden. Der etablierte Drei-Parteien-Mechanismus bietet den einzigen offiziellen Gesprächskanal zwischen den (Beifall bei der AfD) Streitkräften des Libanons und Israels. Und UNIFIL ent- lastet die libanesischen Sicherheitskräfte und unterstützt Petr Bystron (AfD): die Überwachung der libanesischen Grenzen. Libanon Liebe Frau Präsidentin! Liebe Frau Minister! Liebe und Israel legen deshalb großen Wert auf eine fortgeführ- Kolleginnen und Kollegen! Frau Minister, Sie haben in te Präsenz der Vereinten Nationen, und beide Staaten Ihren Ausführungen absolut recht; im ersten Drittel hätte legen großen Wert auf eine fortgesetzte Beteiligung ich fast Beifall geklatscht. Aber das hat überhaupt nichts Deutschlands. mit dem deutschen Anteil an dieser Mission zu tun. Ich Meine sehr geehrten Damen und Herren, der deutsche werde es Ihnen jetzt gleich beweisen. Ich möchte Ihnen militärische Beitrag zu UNIFIL konzentriert sich seit etwas vorlesen: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19897

Petr Bystron (A) Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat … Ja, Sie haben recht: Libanon steht vor dem Kollaps. Er (C) einen Bericht einer unabhängigen Expertenkommis- ist wirtschaftlich ruiniert und politisch am Ende; das habe sion vorgestellt, die zu der Einschätzung kommt, ich da selbst erlebt. Ich habe auch die Demonstrationen erlebt. Ich war gerade in der Zeit da, als die Barrikaden – und jetzt zitiere ich – brannten. Nur: Wir helfen dem Land nicht im Rahmen „dass der gegenwärtige Stand der Grenzsicherheit von UNIFIL. Diese Mission ist dafür nicht geeignet. Wir nicht ausreicht, um Schmuggel, insbesondere Waf- sollten heute hier Bilanz ziehen. Die Erfolge, die wir fenschmuggel, auch nur ansatzweise zu verhin- erzielt haben, sollten wir ruhig anerkennen und auch dern“. feiern. Ja, unsere ist da gut angesehen und hat geholfen. Aber was die Mission nicht leisten kann, Das ist ein Zitat aus einer Debatte zu diesem Thema im sollten wir in einem anderen Rahmen angehen, vielleicht Jahr 2007. Es stammt von der Kollegin Homburger von im Rahmen einer Nahostkonferenz, so wie wir, die AfD, der FDP. das vorgeschlagen haben. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Seitdem hat (Beifall bei der AfD) sich einiges gebessert!) Lassen Sie mich – ich habe noch ein bisschen Rede- Aus der gleichen Debatte kann ich Ihnen eine Äuße- zeit – vielleicht mit einer Anekdote schließen. Guido rung von einem Kollegen von der Linken, Dr. Paech, vor- Westerwelle war damals in einer sehr schwierigen Lage, lesen: weil er drei Jahre zuvor in der Opposition immer gegen die Mission sprechen musste. Dann war er plötzlich Au- Die Waffenlieferungen … kommen über das Land ßenminister und musste sie befürworten. Er hat das ganz … Sie haben inzwischen ein solches Ausmaß ange- geschickt gemacht. Er hat gesagt: Alles, was ich früher nommen, dass sich die Führung der Hisbollah heute gesagt habe, ist richtig. Aber ich möchte jetzt die Konti- rühmen kann, die gleiche militärische … Schlag- nuität der deutschen Außenpolitik nicht stören. Deswe- kraft erreicht zu haben wie vor dem Krieg. gen bin ich jetzt dafür. Kollege Trittin – der sitzt heute noch da – hat damals Liebe Kollegen, lassen Sie uns nicht den gleichen Feh- beigepflichtet: ler machen. Lassen Sie uns die Mission nicht nur der Mission wegen fortsetzen. Lassen Sie uns jetzt einen Natürlich stimmt es, dass die Milizen wieder auf- Strich ziehen. gerüstet haben – übrigens nicht nur die Hisbollah. Danke schön. (B) So, jetzt diskutieren wir seit 13 Jahren das gleiche (D) Thema. Sie haben hier Ihren Vortrag damit abgeschlos- (Beifall bei der AfD) sen, zu sagen: unveränderter Antrag. – Nach 13 Jahren hat sich nichts geändert: Vizepräsidentin Claudia Roth: Waffenschmuggel wird durch den Marineeinsatz – wir Danke schön, Petr Bystron. – Nächster Redner: für die sind da mit einer Korvette vertreten – nicht unterbunden; Bundesregierung Staatsminister Niels Annen. er läuft nämlich auf dem Landweg. Die Entwaffnung der (Beifall bei der SPD) Terrormilizen findet seit 13 Jahren eben nicht statt. Im Gegenteil: Die Hisbollah wird immer stärker. Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: UNIFIL bezieht Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten sich aber nicht nur darauf!) Damen und Herren! Im vergangenen August hat der Li- banon wahrscheinlich die schwersten Zusammenstöße – Wir kommen dazu. seit Ende des Krieges 2006 erlebt. Ich will nur einige Punkte nennen: Drohnenbeschuss in Beirut, Angriffe Ich will ganz fair sein. Ich möchte auch die Regie- auf eine israelische Militärstellung mit Panzerabwehrra- rungsvertreter zitieren. Der erste Außenminister, der sich keten und wiederum Artilleriefeuer der israelischen Sei- für diesen Einsatz eingesetzt hat, war Frank-Walter Stein- te. meier. Er hat davon gesprochen, er möchte die innen- politische Stabilität im Libanon stärken.Sein Nachfolger, 15 Jahre Bürgerkrieg hat dieses Land durchlebt, und Guido Westerwelle, war ein bisschen besser dran und hat das wirkt bis heute nach. Die Autorität des Staates ist gesagt, er möchte der libanesischen Marine helfen und sie weiterhin schwach. Der politische Proporz sichert vielen in die Lage versetzen, die Küste und auch die Gewässer Protagonisten des Bürgerkrieges bis heute ihre Pfründe des Landes selbstständig zu überwachen. und ihre Positionen und lähmt das Land. Die Herausfor- derungen jedoch sind enorm. Sie sind schwieriger gewor- Ich war als Berichterstatter unserer Fraktion vor Ort. den, gerade in den letzten Wochen. Die Covid-19-Pande- Ich habe mit den Soldaten gesprochen, auch mit der liba- mie betrifft natürlich auch ein Land wie den Libanon. Das nesischen Regierung. Ja, das haben wir gut gemacht. Land befindet sich aber auch unabhängig davon in der Aber nein, Frau Karrenbauer, wir brauchen das nicht fort- wahrscheinlich schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise zusetzen. Nach 13 Jahren Hilfe sind die Libanesen mitt- seit vielen, vielen Jahrzehnten. lerweile in der Lage, ihre Küste selbst zu verteidigen. Bei den landesweiten Protesten ist – mit ganz wenigen (Beifall bei der AfD) Ausnahmen – der friedliche Charakter doch sehr bemer- 19898 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Staatsminister Niels Annen (A) kenswert. Wer den Libanon ein wenig kennt, wird den aufrechtzuerhalten. Das wäre ohne die Vereinten Natio- (C) überkonfessionellen Charakter dieser Demonstrationen nen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht mög- ebenso bemerkenswert finden. Die Menschen dort for- lich gewesen. Wir haben zu dieser Mission seit ihrer Neu- dern einen umfassenden Wandel. Sie haben im Grunde aufstellung nach dem Krieg zwischen dem Libanon und genommen den Finger in die Wunde gelegt: ein Ende des Israel 2006 lange Zeit mit dem größten deutschen Kontin- Klientelismus und der Korruption, echte Teilhabechan- gent in einer VN-Mission sehr viel beigetragen. cen, umfassende Reformen und gute Regierungsführung, Herr Bystron ist nicht der einzige Abgeordnete gewe- meine Damen und Herren. sen, der diese Region mehrfach besucht hat. Ich bin mehr- Das hat auch einiges ausgelöst. Wir haben den Rück- fach in Naqoura gewesen und will deswegen mal darauf tritt der alten Regierung und den Amtsantritt einer neuen hinweisen: Ja, wir sind stolz und froh über die Arbeit Regierung zu verzeichnen gehabt. Diese Regierung hat unserer Soldatinnen und Soldaten, über den Beitrag, sich sozusagen ein Programm gegeben – „government of den die deutsche Marine leistet. Das ist aber nicht der confronting challenges“; das gilt in gewisser Weise für einzige Beitrag, den wir zu UNIFIL leisten. Es sind dort unsere Regierung im Moment ja auch –, und sie hat die auch deutsche Soldatinnen und Soldaten, ein kleines Auseinandersetzungen mit den dringendsten Herausfor- Kontingent, stationiert, die eine wichtige Arbeit direkt derungen zu ihrem Programm erhoben. an der Blue Line machen. DieDrei-Parteien-Gespräche sind im Moment die einzige Möglichkeit für die Verein- Es gibt eine ganze Reihe von konkreten Dingen, die ten Nationen, um direkte Kontakte zwischen der IDF und schon geschehen sind, etwa eine Verkleinerung des Ka- der libanesischen Seite aufrechtzuerhalten. Wir beteili- binetts. Es gibt in dieser Regierung einen Rekordanteil gen uns daran. Das ist ein wichtiges Symbol, ein wichti- von Frauen, eine stellvertretende Ministerpräsidentin, die ges Zeichen und wird von beiden Seiten auch wertge- gleichzeitig Verteidigungsministerin ist – die erste Ver- schätzt. teidigungsministerin in der arabischen Welt. Ich habe sie in München auf der Sicherheitskonferenz getroffen und Deswegen will ich hier noch mal sagen: Das UNIFIL- vor Kurzem mit ihr telefoniert. Das sind wichtige Schritte Engagement – es besteht in der Tat seit vielen Jahren – in die richtige Richtung. kann das politische Problem in der Region nicht alleine lösen. Wenn man das, was wir Ihnen hier vorlegen, zum In Beirut, meine Damen und Herren, weiß man: Refor- Anspruch und sozusagen zur Grundlage der eigenen Ent- men sind unumgänglich, auch um einen möglichen Kol- scheidung über das Mandat erhebt: Ja, gut, da darf man laps nach dem Zahlungsausfall im März abzuwenden. sich natürlich nicht wundern. Dann kann man auf dieser Deswegen will ich darauf hinweisen, dass wir weiterhin Grundlage alles Mögliche konstruieren. nicht nur wegen der aktuellen Krise zu den wichtigsten (B) bilateralen Gebern und Unterstützern des Libanon zäh- Aber UNIFIL hat über die Jahre Vertrauen aufgebaut. (D) len. Wir setzen unsere bisherige Unterstützung fort. Wir UNIFIL garantiert eine Präsenz und damit auch einen verstärken sie wegen der Covid-19-Pandemie sogar noch, Informationsfluss in einer Gegend, insbesondere im Sü- arbeiten mit den Vereinten Nationen und mit der EU den des Libanon, aus der regelmäßig militärische Opera- zusammen und stellen weitere Gelder zur Verfügung. tionen, vor allem gegen Israel, durchgeführt worden sind, die zu einer Instabilität in der gesamten Region beige- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zum Thema!) tragen haben. Aber die vorhandenen Spannungen in der libanesi- Deswegen erfolgt unsere Unterstützung der Friedens- schen Gesellschaft können jederzeit wieder zum Aus- bemühungen der Vereinten Nationen – das ist wahr- bruch kommen;das wissen wir. Vor allem die zunehmend scheinlich der wichtigste Beitrag –; aber es handelt sich modernen Waffenarsenale der Hisbollah müssen uns al- auch um eine konkrete Leistung gegenüber der libanesi- lergrößte Sorge bereiten. Es ist nicht nur ein Angriff auf schen Marine, der libanesischen Politik, die sich übri- die Stabilität des Landes, sondern eben auch ein direkter gens – das habe ich auch der Verteidigungsministerin Angriff, eine direkte Bedrohung für Israel und für den gesagt – verpflichtet hat, die Präsenz ihrer eigenen Streit- Frieden in der gesamten Region. kräfte, insbesondere im Süden des Landes, zu erhöhen. Das ist nicht immer passiert. Aber UNIFIL erinnert die Ich will aber auf eines hinweisen, meine sehr verehrten libanesische Seite genau daran, dass der libanesische Damen und Herren: Diese 15 Jahre Bürgerkrieg haben Staat mehr tun muss, um die staatliche Präsenz in allen auch einen weiteren Effekt. In allen Parteien, in allen Teilen des Landes zu verstärken. Wählerschichten sagen die Bürgerinnen und Bürger an- gesichts dieser Erinnerung: Keinen Krieg mehr! Keinen Das ist auch ein konkreter Beitrag zur Sicherheit Is- Rückfall mehr in diese militärischen Auseinandersetzun- raels. Ich glaube, dass uns diese sehr am Herzen liegen gen, egal ob sunnitische, schiitische oder christliche Be- muss, dass wir damit einen konkreten Beitrag leisten und völkerungsgruppen! – Das ist ein Grund dafür, weshalb auch zeigen, dass wir in dieser Situation verlässliche dieses Land bisher unter den enormen Lasten – die Minis- Bündnispartner für die Vereinten Nationen sind. terin hat darauf hingewiesen – nicht zusammengebrochen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte über die Verlängerung des UNIFIL-Mandates ist eine Es gibt aber auch einen weiteren Grund: Das ist das Debatte, bei der wir uns sehr genau anschauen sollten, internationale Engagement, und das ist UNIFIL. Es ist wie sich die Lage in der Region weiterentwickelt, wie uns trotz dieser Situation bisher gelungen, eine ja in der sich die libanesische Innenpolitik gestaltet. Dieses Land Tat – wie soll es auch anders sein? – prekäre Stabilität muss gerade in der heutigen Krise wissen, dass Deutsch- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19899

Staatsminister Niels Annen (A) land mit seinem Engagement, dem militärischen, aber Aktuell leisten unsere Soldaten ihren Dienst im Rah- (C) auch dem zivilen, weiter an der Seite des Libanon steht. men des Mandats auf der „Ludwigshafen am Rhein“, im Insofern bedanke ich mich für die bisher immer geleistete Ausbildungskommando in Nakura und Limassol. Sie und große Unterstützung aus diesem Hause, für Ihre Auf- ihre Vorgänger nehmen seit Jahren zuverlässig ihren Auf- merksamkeit und hoffe auf gute Beratungen. trag wahr – wir danken für Ihren Einsatz! –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) und das trotz schwieriger Rahmenbedingungen, hoher Vizepräsidentin Claudia Roth: Auslastung der deutschen Marine und derzeitiger Aus- Vielen Dank, Niels Annen. – Nächster Redner: für die setzung des Kontingentwechsels, bedingt durch Corona. FDP-Fraktion Christian Sauter. Besonders wichtig am Ende ist die Frage: Wie steht es (Beifall bei der FDP) um die Sicherheit der deutschen Soldaten, sollte sich der Konflikt weiter verschärfen?

Christian Sauter (FDP): Nehmen wir diese Fragen sehr ernst! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. legen! UNIFIL gehört zu den langjährigen Auslandsein- sätzen der Bundeswehr und zu den ältesten UN-Einsät- (Beifall bei der FDP) zen. Uns ist bewusst, dass der Charakter dieser UN- Mission auf eine langfristige Stabilisierung des Libanon Vizepräsidentin Claudia Roth: und des Nahen Ostens ausgerichtet ist. Doch nachdem Vielen Dank, Christian Sauter. – Nächste Rednerin für sich die Sicherheitslage in dieser Region in den vergan- Die Linke: Sevim Dağdelen. genen Jahren immer wieder verschärft hat, ist eine Man- datsverlängerung eingehend zu prüfen. (Beifall bei der LINKEN)

In Deutschland gilt nun das Betätigungsverbot der His- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): bollah. Zahlreiche internationale Partner stuften die His- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bollah als Terrororganisation ein. Ganz aktuell erreichen Wenn es nach den gesteigerten Aktivitäten der Bundes- uns Meldungen aus dem Libanon, die Anlass zu großer regierung in den letzten Wochen und Monaten geht, Sorge bieten. Massive wirtschaftliche und finanzielle könnte man wirklich meinen, die Bundesregierung glaubt (B) Probleme, Proteste in der Bevölkerung und die Corona- tatsächlich, dass sie mit Bundeswehreinsätzen im Aus- (D) pandemie haben erhebliche Auswirkungen gehabt. Aber land die Coronapandemie bekämpfen könne. Denn jede die geänderte Lage hatte auf den vorliegenden Mandats- Woche legt das Merkel-Kabinett dem Bundestag Ent- text nur ganz bedingt Einfluss. Und so wird mit jedem scheidungen zum Einsatz der Bundeswehr im Ausland weiterem Jahr deutlicher, dass hinter diesem Auslands- vor. Ich finde es jedenfalls fatal, dass die Bundesregie- einsatz eine noch zu konkretisierende sicherheitspoliti- rung der Öffentlichkeit so den Eindruck vermittelt, als ob sche Strategie der Bundesregierung stehen muss. Das auch in dieser Krise die weltweite militärische Präsenz fordern wir Jahr für Jahr ein. oberste Priorität habe. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt [CDU/ Ob man das Missionsziel in absehbarer Zeit erreichen CSU]: So ein Unsinn! – Peter Beyer [CDU/ kann, ist momentan zweifelhaft. Kernauftrag der deut- CSU]: So ist die verzerrte Wahrnehmung von schen Beteiligung ist neben der Ausbildung der liba- links!) nesischen Streitkräfte die Unterbindung des Waf- Es ist auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten fenschmuggels auf dem Seeweg und die See- und unverantwortlich, sie so zusätzlich noch weiterhin dieser Luftraumüberwachung. Ein Kernproblem kann aller- Coronapandemie auszusetzen. dings nicht verhindert werden: der Waffenschmuggel auf dem Landweg. Aber dennoch: Die deutsche Beteili- (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist ja gung an UNIFIL und die Fortsetzung der Beteiligung hat fürsorglich!) ganz gewiss positive Aspekte. Diese Mission konnte mit – Ja. – Bitte versuchen Sie auch nicht, uns weiszumachen, dazu beitragen, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert dass auf den deutschen Kriegsschiffen oder im Etap-Ho- ist. Sie vermittelt seit Jahren zwischen Israel und dem tel im Hafen von Limassol die nötigen Abstandsregeln Libanon – auf beiderseitigen Wunsch. penibel eingehalten würden. Als Gesprächs- und Vernetzungsplattform leistet UNI- Der Einsatz UNIFIL selbst vor der Küste des Libanon FIL einen wichtigen Beitrag. Deutschland hat gegenüber ist eine abenteuerliche Farce. Seit 14 Jahren bewacht die Israel zudem Verantwortung übernommen. Ein weiterer deutsche Marine gemeinsam mit Ländern wie der Türkei, Faktor für die Übernahme von Verantwortung durch die selbst im Mittelmeer islamistische Terrorbanden mit Deutschland ist die nach wie vor hohe Zahl an im Liba- Waffen beliefert, die Küste des Libanon, damit dort keine non aufgenommenen syrischen Flüchtlingen. Eine mög- Waffen anlanden. Und Sie erzählen uns dann immer wie- lichst stabile Situation vor Ort liegt damit also auch in der auch das Märchen, dass die Waffenschmuggler so unserem Interesse. sehr von der Präsenz dieser Flotte abgeschreckt würden, 19900 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Sevim Dağdelen (A) dass keine einzige Waffe gefunden würde. Ich finde das Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) lächerlich, und das dürften Sie eigentlich auch selbst Vielen Dank, Sevim Dağdelen. – Ich sage es Ihnen nicht glauben, weil Sie nämlich genau wissen, dass, wäh- gleich: Ich bin sehr streng heute mit der Redezeit. Das rend Sie die Vordertür bewachen, die Bewaffnung aller wird heute Abend noch strenger werden, weil wir jetzt Akteure über die Hintertür, nämlich die Landgrenze, un- schon bei einem Sitzungsende nach 23.15 Uhr sind. gerührt weitergeht. Nächster Redner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Woher wollen Grünen. Sie das denn wissen?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, auch das ist ein kostspieliger Widerspruch, auf den ich Sie mal hinweisen möchte: Sie brüsten sich Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei diesem Mandat damit, die libanesische Marine auszu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als bilden, deren Offizierskorps nach einem religiös-politi- Grüne wollen der Verlängerung dieses Mandats die Zu- schen Proporz zusammengesetzt ist, während Sie in stimmung erteilen. Dafür gibt es zwei zentrale Gründe: Deutschland ein Betätigungsverbot gegen die Hisbollah Der erste Grund ist: Die Mission hat einen Krieg be- erlassen, die Teil dieser libanesischen Regierungskoali- endet, und das geht auch weiter. Weiterhin wird ein Krieg tion ist. verhindert. Kürzlich gab es zwischen den Grenzorten Adaisseh im Süden des Libanon und Metulla im Norden Vizepräsidentin Claudia Roth: Israels wirklich eine Eskalation, die von UNIFIL verhin- Frau Kollegin, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwi- dert wurde, bevor es Gefechte gegeben hat. Ich finde, das schenfrage von Herrn Hardt? kann man gar nicht groß genug reden und schreiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sevim Dağdelen (DIE LINKE): sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Gerne danach. Im Übrigen ist das ein UN-Mandat, von den Vereinten (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und Nationen geführt. Wer diesen Einsatz nur auf den deut- der FDP) schen Beitrag reduziert, hat einfach nicht verstanden, wie UN-Sicherheitsmaßnahmen und Friedenserhaltungsme- – Ich möchte gerne diesen Gedanken weiterführen. – Das chanismen funktionieren. Indem alle Staaten etwas bei- heißt: Sie bilden hier Leute aus, die der Hisbollah nahe- tragen, soll das Ganze dann funktionieren. (B) stehen, während Sie sich zugleich der außenpolitischen (D) Linie Trumps anschließen, die politische Partei Hisbollah (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu kriminalisieren. Ich finde jedenfalls: Das ist keine Es ist völlig zu Recht gerade gesagt worden, dass es konsistente Außenpolitik, meine Damen und Herren. eine massive Krise, eine multiple Krise des Libanon gibt. (Beifall bei der LINKEN) Diese Krise hat sehr viele Ursachen. Der Währungsver- fall ist grassierend. Wir erleben eine Explosion der Le- Sie tragen damit auch in einer Zeit, in der der Libanon bensmittelpreise. Mehl, Zucker, Butter sind kaum mehr wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht, massiv zu bezahlbar. Es gibt jetzt wieder massive Proteste von Leu- einer weiteren, nämlich politischen Destabilisierung des ten, die vor der Pandemie schon protestiert haben, dann Landes bei. eine kurze Zeit ausgesetzt haben und jetzt mit dem Slogan auf die Straße gehen: Verhungern ist schlimmer als Co- (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Was? – rona. – Wenn man bedenkt, über welche Potenziale in Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja wohl dem Land wir sprechen, ist es eigentlich undenkbar, ins- völliger Quatsch!) besondere für Leute, die das Land seit Jahren kennen, was da gerade für Armut grassiert. Der Mittelstand ist kom- Und es geht noch weiter. Frau Kramp-Karrenbauer, Sie plett abgerutscht. sagen, der Libanon braucht internationale Unterstützung. Dann frage ich Sie: Warum sorgt die Bundesregierung im All das hat im Kern einen Grund. Wenn man die Strän- Internationalen Währungsfonds mit dafür, dass dem Li- ge, die zu dieser Krise geführt haben, zurückverfolgt, banon die Kredite verweigert werden, was schlimmste dann landet man immer wieder bei derselben Sache, näm- Konsequenzen für die Bevölkerung im Libanon haben lich der konfessionalistisch übermantelten Korruption wird? Wenn diese Politik hier weitergeführt wird, werden der Eliten dieses Landes. Und das führt dazu, dass die viele, viele Menschen gezwungen sein, ihr Heimatland Menschen kaum Vertrauen in die Institutionen haben. Libanon zu verlassen. Wenn es eine Institution gibt, die staatlich ist und nicht Ich finde: Statt die Bundeswehr vor der Küste des in erster Linie Geisel der Hisbollah, wie so viele Institu- Libanon rumschippern zu lassen, sollte die Bundesregie- tionen, dann ist das die Armee. Man bedenke mal, wie rung zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung groß der Stolz der Protestierenden auf den Straßen von des Libanon beitragen. Das wäre tatsächlich mal Über- Beirut auf die Armee war, als sich die Armee, als Hisbol- nahme von Verantwortung. lah- und Armal-Milizen versucht haben, auf die Protest- ierenden einzuschlagen, plötzlich dazwischengestellt (Beifall bei der LINKEN) hat – erstmals seit vielen Jahren. Das hat sie sich jahre- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19901

Omid Nouripour (A) lang nicht getraut. Plötzlich hat die Armee die Protestier- lah, der lange Arm des Iran, inzwischen versucht, UNI- (C) enden vor den Schlägern der Hisbollah geschützt. Wenn FIL zu Lande das Wasser abzugraben, die Arbeit zu er- man das bedenkt, dann weiß man, warum diese Armee schweren. Hier sind Drei-Parteien-Gespräche gefordert, relevant ist, und dann weiß man auch, warum es wichtig und hier müssen wir alles tun, damit der Hisbollah und ist, dass diese Armee weiterhin befähigt wird. Das ist der der dortigen Regierung klargemacht wird, dass das nicht zweite Grund, warum wir diesem Mandat zustimmen zulässig ist. Wir stehen da an der Seite Israels und an der wollen, damit nämlich genau diese Armee von der Bun- Seite dieses UN-Mandats. deswehr vor Ort ausgebildet wird und Hilfe und Unter- stützung bekommt. Dafür bin ich sehr dankbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Das ist die ich weiß nicht wievielte Bundeswehrdebat- te, der ich hier beiwohnen darf. Ich habe selten so leicht- Der dritte Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir herzig meiner Fraktion eine Zustimmung zu einem Man- besprechen hier heute zum einen das UNIFIL-Mandat dat empfehlen können wie in diesem Fall: weil der mit rund 770 Soldatinnen und Soldaten, die seeseitig ein- Libanon genau diese Hilfe gerade in diesem Augenblick gesetzt werden, knapp die Hälfte von deutscher Seite, wir braucht. sprechen aber auch über 10 000 Soldatinnen und Solda- ten, die UNIFIL zu Lande unterstützen, und zwar seit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1978, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sind ja auch erst 42 Jahre!) Vizepräsidentin Claudia Roth: wir als Bundeswehr mit der Marine erst seit 2006. Das ist Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner: für aber nur ein Baustein, den wir in der Region bieten. Wir die CDU/CSU-Fraktion Roderich Kiesewetter. haben das Counter-Daesh-Mandat zur Bekämpfung des IS, und wir haben das Mandat zur Ausbildungsmission (Beifall bei der CDU/CSU) im Irak. All das müssen wir zusammensehen. Dann sehen wir, dass wir mit Blick auf die internationale Lage im Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Libanon ganzheitlicher denken müssen und dieses UNI- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FIL-Mandat eben nicht nur der Stärkung des internatio- Wir sind eben Zeugen einer Rede geworden, die infrage nalen Rechts, der Stärkung der Vereinten Nationen dient, gestellt hat, dass wir in Coronazeiten überhaupt unser sondern vielmehr eben auch ein Baustein zur Stabilisie- Recht wahrnehmen sollten, über Einsätze unserer Parla- rung der Region ist. (B) mentsarmee zu entscheiden. Es ist doch grotesk, dass hier (D) von der linken Seite infrage gestellt wird, dass wir wäh- (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) rend Corona über Auslandseinsätze sprechen. Das ist Erlauben Sie mir abschließend noch eine Anmerkung: doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Zeichen der Wenn wir die Region stabilisieren wollen, müssen wir Handlungsfähigkeit unseres Parlaments, und es ist gut, auch die israelischen Sicherheitsinteressen ernst nehmen. dass wir zeigen, dass wir nicht nur an der Seite unserer Ich warne davor, dass wir Unterstützung leisten bei einer Soldatinnen und Soldaten stehen, sondern auch an der Besetzung der Westbank. Das würde die Region destabi- Seite des internationalen Rechts. lisieren und die Fortschritte, die wir im Libanon haben, womöglich infrage stellen. Hierüber sollten wir gesondert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- debattieren. ordneten der SPD und der FDP) Dass das nötig ist, zeigen ein paar Fakten: Am 9. März (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hat der Ministerpräsident des Libanon die Zahlungsun- Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. fähigkeit des Libanon erklärt. Dieses Land, das im Zuge der syrischen Flüchtlingsbewegung im Verhältnis zur Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- samtbevölkerung mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als ordneten der SPD) jedes andere Land dieser Welt, steht vor einem wirt- schaftlichen Kollaps. Und jetzt kommt auch noch Corona Vizepräsidentin Claudia Roth: dazu. Und da wird hier von Teilen des Hauses, von links Vielen Dank, Roderich Kiesewetter. – Letzter Redner und rechts, vorgeschlagen, wir sollen den Einsatz been- in dieser Debatte: Thomas Erndl für die CDU/CSU-Frak- den oder gar nicht mehr durchführen? Jetzt ist es – ich bin tion. da ganz bei Staatsminister Annen, bei Annegret Kramp- Karrenbauer und auch bei Omid Nouripour – wirklich an der Zeit, unseren Einsatz verstärkt fortzuführen, Thomas Erndl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor fünf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Monaten haben wir in diesem Haus beschlossen, die li- der SPD) banesische Terrororganisation Hisbollah zu verbieten. um klarzumachen, dass der Libanon entsprechende Un- Wir haben die künstliche Trennung zwischen politischem terstützung verdient. und militärischem Arm aufgehoben. Es ist wichtig, dass wir hier keine Unterscheidung mehr vornehmen. Eines wurde diese Woche auch klar: Der israelische UNO-Botschafter hat dargestellt, wie die Krake Hisbol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 19902 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Thomas Erndl (A) Vor zwei Wochen hat der Bundesinnenminister das Betä- Danke schön. (C) tigungsverbot der Hisbollah in unserem Land erlassen. Damit haben wir das deutliche Signal gesendet, dass die- Vizepräsidentin Claudia Roth: se Organisation keine Operationsbasis in Deutschland haben darf und von uns auch keine Legitimität für diese Vielen Dank, Thomas Erndl. – Damit schließe ich die Organisation ausgeht. Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Den AfD-An- Drucksache 19/19003 an die in der Tagesordnung aufge- trag dazu haben Sie abgelehnt!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Mir liegen keine an- Diese Konsequenz müssen wir auch in der Außenpolitik deren Vorschläge vor. Dann verfahren wir genau so. weiter fortsetzen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, rasch die Plät- Die Entwicklungen der letzten Jahre und auch Monate ze zu wechseln bzw. einzunehmen, damit ich den nächs- haben gezeigt, dass die Hisbollah als Ganzes weiter am ten Tagesordnungspunkt aufrufen kann. Das ist der Zu- Terror gegenüber Israel festhält. Das Risiko einer militär- satzpunkt 15: ischen Konfrontation ist nicht gebannt. Das zeigt sich Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- auch an der hohen Anspannung im israelisch-libanesi- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales schen Grenzgebiet. Israel hat wiederholt grenzüber- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten schreitende Tunnel der Hisbollah ausfindig gemacht. Ulrike Schielke-Ziesing, Martin Hebner, Darüber sollten Angriffe auf israelische Zivilisten durch- Sebastian Münzenmaier, weiterer Abgeordneter geführt werden. Im Herbst letzten Jahres kam es zu einem und der Fraktion der AfD Feuergefecht. All das zeigt, dass es weiterhin die Präsenz internationaler Kräfte vor Ort braucht, um die Lage zu Sofortmaßnahme Armutsbekämpfung bei überwachen, zur Deeskalation beizutragen und die Ge- Rentnern sprächskanäle offenzuhalten. Genau das leistet UNIFIL! Drucksachen 19/7724, 19/10033 Buchstabe a Unsere deutsche Korvette sorgt zudem mit Partnerna- tionen dafür, dass über den Seeweg keine Waffen ge- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- schmuggelt werden. Man muss das allumfassend sehen; schlossen. meine Vorredner haben das dargestellt. Natürlich sehen Ich sehe, die Kolleginnen und Kollegen haben Platz wir die Problematik des Schmuggels auf dem Landweg; genommen. Das Wort hat als erste Rednerin für die dieser Problematik sind wir uns bewusst. Gleichwohl SPD-Fraktion Daniela Kolbe. (B) bleibt UNIFIL aber ein wichtiger Faktor für Deeskalation (D) und Stabilität. Beides braucht der Libanon sehr wohl bzw. (Beifall bei der SPD) vermisst es schmerzlich. Daniela Kolbe (SPD): Die libanesische Währung verfällt täglich, das Wirt- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen schafts- und Finanzsystem ist unter enormen Druck; die und Kollegen! Wir diskutieren heute einen Antrag der Zahlungsunfähigkeit ist angesprochen worden. Die Men- AfD-Fraktion zur Rentenpolitik. Das ist doch mal was. schen protestieren trotz Corona seit Monaten für eine bessere Zukunft. Und auch die 1,5 Millionen syrischen (Heiterkeit bei der LINKEN) Flüchtlinge im Libanon müssen erwähnt werden. Das Das hatten wir nicht so oft: ein in Ihrer Fraktion mehr- stellt das Land vor große Herausforderungen. Deswegen heitsfähiges rentenpolitisches Konzept. ist es umso wichtiger, dass wir weiter unterstützen, zu unseren internationalen Verpflichtungen stehen und un- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Premiere!) sere Präsenz vor Ort halten. Dabei ist UNIFIL nur eine Komponente unserer Nahostpolitik. Auch Kollege Auch nach sieben Jahren des Bestehens haben Sie als Kiesewetter hat das ausgeführt. Partei noch kein parteiweites Rentenkonzept verabschie- det. Meine Damen und Herren, unser Land profitiert vom Multilateralismus, und wir verpflichten uns für den Mul- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das tilateralismus auch in der Sicherheitspolitik. Das bedeutet merkt man dem Antrag an!) auch, konkrete Beiträge zu leisten. Wir können natürlich Im Gegenteil! Bisher war zwischen Herrn Meuthen und nicht an jedem Krisenherd der Welt präsent sein; aber klar Herrn Höcke rentenpolitisch deutlich mehr Platz als zwi- ist, dass dieser Einsatz uns besonders wichtig sein muss. schen der FDP und der Linken. Denn hier geht es um die Sicherheit Israels. Und es geht um die Eindämmung terroristischer Aktivitäten. Wir wol- Alle Rentnerinnen und Rentner und alle, die das mal len im Inland keine Antisemiten. Und wir wollen genauso werden wollen, sollten sich klarmachen, dass die, die sich wenig, dass diese an der Grenze Israels stehen. Genau hier gerne als die Rächer der Enterbten aufspielen, seit dem wirkt UNIFIL entgegen. Deshalb müssen wir unser Langem mit sich selber ringen, ob sie die gesetzliche Engagement dort weiter fortführen. Rente abschaffen sollen – was für ein Wahnsinn! – oder ob sie sie ausweiten sollen. Für die gesetzliche Rente mag Herzlichen Dank an alle Soldatinnen und Soldaten, die es gut sein, dass der ulkige parteiinterne Wettstreit wahr- hier im Einsatz sind! Ich bitte darum, dem Mandat in der scheinlich nicht für Herrn Meuthen und seine Abschaf- weiteren Diskussion und Debatte zuzustimmen. fungsfantasien ausgeht. Dass sich jetzt aber de facto der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19903

Daniela Kolbe (A) vom Verfassungsschutz beobachtete und als rechtsextrem für Rentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung. (C) eingestufte Flügel durchsetzt, der daran gerne noch ein Vorliegende private Vorsorge wollen Sie ebenfalls teil- paar völkische Fantasien anknüpfen möchte, weise anrechnungsfrei stellen. Gemeinsam soll das ge- deckelt sein bei maximal 50 Prozent des Regelbedarfsat- (Enrico Komning [AfD]: Den gibt es doch gar zes. Dazu sollte man erst mal die aktuelle Gesetzeslage nicht mehr! – Weiterer Zuruf von der AfD: Sie kennen. Bereits jetzt – Sie können mal raten, wer das haben Fantasien!) durchgesetzt hat – sind Teile der privaten Altersvorsorge bereitet mir und, wie ich vermute, vielen anderen hier anrechnungsfrei: die ersten 100 Euro komplett und da- Übelkeit. nach anteilig 30 Prozent. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie wollen jetzt ein kleines Häppchen aus der gesetz- der LINKEN und des Abg. Markus Kurth lichen Rente dazupacken, übrigens gedeckelt genau bei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der gleichen Stelle, wo es jetzt schon gedeckelt ist, und glauben, Sie hätten das Thema Altersarmut geklärt. Im Es sollte jedem, der für sein Geld arbeiten muss, Unbe- Leitantrag zum Sozialparteitag der AfD, der immer wie- hagen bereiten, dass es in einer deutschen Partei einer der angekündigt und verschoben wurde – die jetzige Ver- wirklich lang sich hinziehenden Debatte bedarf, ob man schiebung haben Sie in der Tat nicht zu verantworten –, nun die gesetzliche Rente abschaffen will oder nicht. ist dieser kleine Anrechnungsmechanismus in der Grund- Zum Antrag. Sie nehmen sich das Thema Altersarmut sicherung aus Ihrem Antrag tatsächlich die Hauptidee zur vor. Das finde ich als Sozialdemokratin erst mal lobens- Bekämpfung von Altersarmut. wert. Das ist ein großes Thema, das wir als Sozialdemo- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haupt- kratinnen und Sozialdemokraten angehen. Dazu gehört idee? Die einzige bisher!) nicht nur die Grundrente, bei der wir darauf bestehen, dass sie noch vor der Sommerpause verabschiedet wird, Kein Wort zur Lohnpolitik, zu Gewerkschaften, zur Ein- damit sie am 1. Januar 2021 in Kraft tritt, und von der kommenssituation von Frauen, von Ostdeutschen! Eine 1,3 Millionen Menschen profitieren, und zwar ohne zum vorausschauende Rentenpolitik geht anders. Amt zu gehen. Unabhängig davon kann es auch nicht Sinn der Sache (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sein, immer mehr Menschen durch eine solche Kombi- der CDU/CSU) rente auf das bedürftigkeitsgeprüfte und antragsbasierte Grundsicherungssystem zu verweisen. Bereits jetzt neh- Wir haben noch mehr. Zu unserem Ansatz gehört der men ja schon ganz viele, die berechtigt wären, den An- (B) Mindestlohn, den wir durchgekämpft und eingeführt ha- spruch gar nicht wahr, entweder aus Überforderung oder (D) ben und den wir weiter erhöhen werden. auch aus Scham. Empirische Untersuchungen gehen von etwa 50 Prozent oder mehr aus. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Durch- gekämpft“ ist ein bisschen Geschichtsklitte- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 60 bis rung!) 68 Prozent!) Dazu gehört ebenfalls die Stärkung der Tarifbindung, für – Der Herr der Zahlen kommt später bestimmt noch. die wir uns unentwegt einsetzen und was jetzt endlich in der Pflege Früchte trägt und hoffentlich noch bessere (Heiterkeit bei der SPD) Früchte tragen wird. Viel zu viele Menschen nehmen es jedenfalls nicht in Anspruch. Die Grundsicherung ist eine Sozialleistung (Beifall bei der SPD) und sollte wirklich nur die letzte Option sein und nicht Wir haben mehrfach die Regelungen für Erwerbsmin- zur Regel werden. Sonst hätte Herr Meuthen doch noch derungsrentner verbessert. Ich habe den Eindruck, dass gewonnen. Das will ja schätzungsweise die Mehrheit Ih- sich der Gedanke durchsetzt, dass man auch etwas für die rer Fraktion nicht, oder doch? Bestandsrentner in der Erwerbsminderungsrente tun muss. (René Röspel [SPD]: Will es auch gar nicht wissen!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur zu! Man weiß so wenig, zumindest wenn es um Rentenpolitik Wir warten darauf!) und AfD geht. – Vielleicht hören Sie auch gerne zu! – Altersarmut be- kämpft man nämlich am besten zweigleisig: einerseits Ihr Vorschlag würde zu einer deutlichen Ausweitung präventiv durch die Sicherstellung guter Löhne, stabiler des Personenkreises führen, der anspruchsberechtigt wä- Erwerbsbiografien, gute Altersvorsorge und andererseits re, aber wahrscheinlich kaum für wenige Euro einen sol- reaktiv, indem wir diejenigen solidarisch absichern, die chen Antrag stellen würde. Ich möchte zudem festhalten, trotz alledem durch das Netz fallen. dass etwa ein Viertel der Grundrentenbezieher gar keine Rentenansprüche, viele weitere nur sehr geringe Renten- Zu vielen Punkten, die ich gerade genannt habe, hat die ansprüche haben. Diese würden von Ihrem Konzept gar AfD noch nichts, was man auch nur annähernd als Hal- nicht oder nur sehr wenig profitieren. Das sind nicht tung bezeichnen könnte. In Ihrem Antrag fordern Sie nun unbedingt faule Leute. Das sind nämlich – Sie wollen ja eine Anrechnungsfreistellung von Anwartschaften der für alle ein bisschen was; das atmet auch Ihr Antrag zum gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 15 Prozent Sozialparteitag – oft Selbstständige, die irgendwann mal 19904 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Daniela Kolbe (A) wirtschaftlich auf die Nase gefallen sind. Damit das nicht Wenn Sie sich heute hinstellen und ein Leben in Würde (C) in der Grundsicherung endet, wollen wir von der SPD die versprechen, dann muss ich Ihnen sagen: Dazu fehlen nun Selbstständigen in die gesetzliche Rente aufnehmen. Ihr einmal die Kinder. Dazu fehlt auch das Geld, und dann Vorschlag hilft dieser Gruppe gar nicht. fehlt am Ende auch die Rente. Das ist das Versagen der etablierten Parteien. (Beifall bei der SPD) Ihr Antrag greift zu kurz, ist nicht zielführend. Den (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Betroffenen ist damit nicht geholfen. Damit ist eigentlich [DIE LINKE]: Die Bevölkerung hat zugenom- alles gesagt. men in den vergangenen Jahrzehnten, nicht ab- genommen!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Und das spüren die Rentner schon heute am immer weiter (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steigenden Renteneintrittsalter – immer länger malochen der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. für immer weniger Rente –, an den sinkenden Lohner- Birkwald [DIE LINKE]) satzquoten, die mittlerweile lächerlich sind, an Renten- auszahlungen von im Schnitt 905 Euro im Monat; davon kann keiner in Würde leben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Daniela Kolbe. – Nächster Redner ist (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion. falsch!) (Beifall bei der AfD) Das führt natürlich auch zum Problem der Altersarmut, das wir hier besprechen. Wir haben 410 000 Altersrent- Norbert Kleinwächter (AfD): ner, 195 000 Erwerbsminderungsrentner, die zusätzlich Vielen Dank. – Frau Präsidentin! – Werte Kolleginnen Grundsicherung im Alter beziehen müssen. Das sind fast und Kollegen! Frau Kolbe, ich darf gerne dazu beitragen, 700 000 Menschen, die gearbeitet haben und deren Rente dass Ihre Fantasien auf harte Fakten treffen; denn wir sind nicht mal reicht für das Existenzminimum, nicht einmal uns in Analyse wie Lösung sehr einig in der AfD, und ich für das Nötigste, die nach einem Leben voller Arbeit aufs möchte das gerne mit Ihnen teilen. Amt gehen müssen. Und das ist eine Schande. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass diese Zahlen steigen werden. Selbstverständlich sind gerade im Corona-Lockdown Wir rechnen mit Millionen solcher Rentner im Jahr 2030 die Sorgen, die die Menschen um das Heute haben, prä- aufgrund Ihrer Politik. senter als die Sorgen um die Rente. Aber wer sich fragt: (B) „Was wird aus Deutschland, mit den Milliarden für die (Beifall bei der AfD) (D) Kompensationen, mit dem kaputten Euro, mit Merkels Aber genau hier greift der Antrag der AfD ein. Millionen Migranten?“, der kann durchaus die Rente als Blaupause verwenden; denn Deutschland wird in 25 Jah- (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und der ren im Vergleich zu heute ungefähr so aussehen wie die LINKEN) Rente heute im Vergleich zu 1995, nämlich ziemlich düs- ter. Denn wir schaffen hier mehr Gerechtigkeit. (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was haben Sie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ha, der eigentlich genommen?) war gut! – Bernd Rützel [SPD]: Lustig!) Heute versuchen wir, zu korrigieren, was der langfris- Wenn im Moment die Rente zu niedrig ist, dann kann tige Effekt jahrzehntelanger Fehlentscheidungen der Grundsicherung im Alter beantragt werden, um damit etablierten Parteien ist. Die Rente heute ist nichts anderes aufzustocken. Aber das Ergebnis ist dann, dass der, der als das Resultat aus 16 Jahren Kohl, 7 Jahren Schröder viel gearbeitet hat, das Gleiche bekommt wie der, der nie und 14 Jahren Merkel. gearbeitet hat. (Beifall bei der AfD) Wir fordern, dass mindestens 15 Prozent anrechnungs- frei bleiben. Das bedeutet: Wer in Grundsicherung Das ist mehr als ein Vierteljahrhundert Fehlsteuerung von kommt, obwohl er eigentlich Rente hat, der erhält eben CDU/CSU und SPD – ich nenne es beim Namen –, wo seine Grundsicherung, und von jeden 100 Euro Rente, die die Rente immer wieder zum Wahlkampfgeschenk ge- er hat, darf er mindestens 15 Euro behalten. Das bedeutet, macht worden ist, wo die Rentenkassen immer wieder dass derjenige, der gearbeitet hat, auf jeden Fall mehr hat geplündert worden sind, wo versicherungsfremde Leis- als derjenige, der nicht gearbeitet hat, und das ist ganz tungen eingeführt worden sind, wo die Schere zwischen wichtig und fair. Pensionen und Renten immer weiter aufging – ein riesi- ges Gerechtigkeitsproblem –, wo Sie in der Lohnpolitik (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Matthias versagt haben und wo Sie vor allem im zentralsten W. Birkwald [DIE LINKE]) Grundpfeiler unseres Rentenversicherungssystems ver- sagt haben, nämlich in der Kinder- und Familienpolitik. Dieses Prinzip ist sowohl fair wie auch finanzierbar, Herr Birkwald. Fair ist es, weil sich Leistung nach wie (Beifall bei der AfD – Kai Whittaker [CDU/ vor lohnt; fair ist es, weil wir das Äquivalenzprinzip der CSU]: Sie werfen uns vor, zu viel Geld ausge- Rentenversicherung erhalten, dass also Einnahmen und geben zu haben?) Ausgaben proportional zueinander ähnlich bleiben, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19905

Norbert Kleinwächter (A) (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir verbessern es Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) noch!) Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege und zwar egal, wie viele Jahre gearbeitet worden ist. Und Frank Heinrich. finanzierbar ist es, weil es passgenau den Menschen am (Beifall bei der CDU/CSU) Rande des Existenzminimums hilft, auch über 2025 hi- naus, wenn sich die Demografieproblematik in der Ren- Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): tenversicherung bemerkbar macht. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und (René Röspel [SPD]: Das geht nach hinten los! Herren! Seitdem Sie den Antrag gestellt haben – ich Das ist eine Mogelpackung!) glaube, im Februar letzten Jahres –, ist einiges passiert. Seither haben CDU/CSU – wir haben das gerade mehr- Ja, der Regierung indes fehlt jegliche Weitsicht und fach gehört – intensiv an der im Koalitionsvertrag ver- Planung. Sie wissen ja noch nicht einmal, ob Sie die sprochenen Vereinbarung zur Grundrente gearbeitet. Das Grundrente durchsetzen wollen. Ehrlich gesagt, mein konnte ja jeder gut verfolgen, wie Sie auch gerade zitiert Kompliment an Sie von der CDU, an Ihren Fraktionsvor- haben. sitzenden, der sagt: Die Grundrente kannst du nicht ma- chen, die funktioniert hinten und vorne nicht. Sie nennen es die Sofortmaßnahme. Wir wissen, dass zwei andere Anträge dies anders nennen: Derjenige von (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das hat er nicht der FDP nennt es Basisrente, der von den Grünen Garan- gesagt, Herr Kleinwächter!) tierente. Unser Modell heißt, wie inzwischen sehr gut bekannt, Grundrente. Wir haben sie, wie gerade auch ge- Das ist völlig richtig, und ich frage mich eigentlich, wa- sagt, im Koalitionsvertrag festgeschrieben; sie beschäf- rum Sie morgen noch die erste Lesung auf der Tages- tigt uns also schon ein ganzes Stück länger. Ich bin dank- ordnung haben, wenn Sie sich sowieso darüber zerstrei- bar, dass wir jetzt die Ziellinie dazu vor Augen haben. ten. Wir haben die Notwendigkeit, etwas Weitreichendes Es ist ja klar: Die Grundrente von Heil ist nämlich gegen Altersarmut zu tun, schon vor längerer Zeit er- weder fair noch finanzierbar. kannt – da sind wir uns übrigens einig, was die Richtung angeht –, länger auf jeden Fall, glaube ich, als Sie das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist erkannt haben. Wie Sie alle wissen, hat dann Mitte Feb- nicht die von Heil, sondern die von der Union ruar dieses Jahres das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zerstörte Grundrente!) zur Grundrente beschlossen. Morgen findet die erste Le- (B) Sie ist nicht fair, weil sie willkürliche Grenzen setzt – sung dazu statt, und am 25. Mai werden wir eine öffent- (D) wieso kriegt die einer mit 32 Jahren Arbeit nicht, mit liche Anhörung haben. Wir befinden uns also mitten im 33 Jahren aber schon? –, und sie richtet sich vor allem parlamentarischen Verfahren, und wir sind eben auf der auch an Leute, die nicht arm sind. Ich kann Grundrente Zielgeraden dazu. von Heil auch als Rentner auf Mallorca beziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Zurufe von der SPD) Der zweite Gedanke. Ihr Antrag ist inzwischen über- Zudem ist sie sowieso nicht finanzierbar; Scholz kam holt, nicht nur wegen seines Alters. Dennoch möchte ich gerade mit einer neuen Steuerschätzung. Das Geld fehlt kurz darauf eingehen. Aus unserer Sicht ist Ihr Antrag hinten und vorne. Die Milliarden, die Sie haben wollen, sehr, sehr knapp gehalten und wenig detailliert. Sie for- werden Sie nicht kriegen, und die fehlen. dern diese Anrechnungsfreistellung der gesetzlichen Rente, die Sie gerade genannt haben, Herr Kollege, in Sie nehmen Geld, das Sie nicht haben, von Leuten, die Höhe von mindestens 15 Prozent maximal bis zur Hälfte es sich sehr, sehr hart erarbeiten, und geben es denen, die des Regelbedarfs von derzeit 216 Euro. Wenn man das es nicht brauchen. Da haben wir ein völlig anderes Kon- mathematisch durchrechnet und es auf die 500- oder 600- zept. Euro-Renten zu übertragen versucht, so kommt bei unse- rer Regelung einfach mehr heraus. Nach unserer Inter- (Beifall bei der AfD) pretation des äußerst kurzen und wenig detaillierten AfD-Antrags geht unsere Rentenregelung weit über diese Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Forderung hinaus. Gerade Menschen mit langjähriger Herr Kollege, kommen Sie zum Ende. Versicherung und geringen Renten werden von der Grundrente stärker profieren als von Ihrem Antrag. Norbert Kleinwächter (AfD): Eine Mindestversicherungszeit kommt in Ihrem An- Werte Damen und Herren, stehen Sie zu Ihren histori- trag gar nicht vor. Für uns ist dieser Punkt aber ganz schen Fehlern. Beenden Sie dieses Projekt der Grund- wesentlich. Wir möchten gerade diejenigen fördern, die rente und unterstützen Sie, was wirklich hilft, nämlich trotz langjähriger Versicherung, Erziehung von Kindern die Sofortmaßnahme „Armutsbekämpfung bei Rentnern“ oder Pflege von Angehörigen nur eine geringe Rente er- der AfD. halten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Des Weiteren macht Ihr Vorschlag aus unserer Sicht eine zusätzliche Altersvorsorge eben vollkommen unat- (Beifall bei der AfD) traktiv, da alles in einen Topf geworfen wird. 19906 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das und auf einen niedrigen Verwaltungsaufwand für Berech- (C) stimmt!) tigte und für die Verwaltung selbst. Wer da Ideen hat, der ist im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Uns ist wichtig: Die zusätzliche Altersvorsorge soll sich herzlich willkommen, sich einzubringen. Ich freue mich auch für Geringverdiener lohnen. Gerade hiermit würde auf diese anstehenden Beratungen und die konstruktive aber nach unserer Auffassung der Aufbau dieser zusätz- Beteiligung aller Fraktionen, zumal wir ja offensichtlich lichen Altersvorsorge für Geringverdiener wieder unat- die gleiche Erkenntnis gewonnen haben und die gleiche traktiv. Richtung vorhaben. Rente basiert auf Beitragszahlung, und wir sind eben Ich hatte gesagt, dass es uns besonders wichtig ist, dass nicht dafür, dass jede Beitragszahlung in die Rentenver- wir nicht nur in diesem Fall auf die Finanzierbarkeit ach- sicherung unabhängig von ihrer Dauer aufgewertet wird. ten. Und ich denke, an einem Tag wie heute, der auch als (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hier Namenstag einer Schutzpatronin für das Geld gewidmet geht es aber um Armutsbekämpfung! Das hat ist, darf man das dann auch doppelt betonen. Spannend mit Äquivalenzprinzip nichts zu tun!) finde ich dabei allerdings ihren Namen: die Heilige Co- rona. Wichtig ist nach wie vor: Altersarmut muss mit den be- kannten drei Säulen bekämpft werden – dazu stehen wir –: Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvor- sorge und private Vorsorge. Darauf gehen Sie in dem (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der Antrag gar nicht ein. Bei der Kürze dessen, was da an SPD) Forderungen steht, war das auch kaum machbar. Das ist einer der Hauptkritikpunkte, weshalb wir heute Ihren An- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: trag ablehnen und Sie eher auffordern, dass Sie unseren Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist Vorschlag mittragen. der Kollege Pascal Kober für FDP-Fraktion. Und dann komme ich zu dem Konzept, worauf wir (Beifall bei der FDP) morgen länger Zeit haben werden einzugehen. In dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Grundrente zeigt die Koa- Pascal Kober (FDP): lition, dass sie zu ihren Vereinbarungen steht und die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir gesetzliche Rente stärkt. Wer mindestens 33 Jahre ge- debattieren unter diesem Tagesordnungspunkt einen An- arbeitet hat und in die Rentenkasse eingezahlt hat, Kinder trag der AfD zur Rentenpolitik, mit dem Sie einen Vor- erzogen hat, wie gerade gesagt, und Angehörige gepflegt (B) schlag vorlegen, wie Sie das Problem der Altersarmut (D) hat, soll durch die Grundrente am Schluss besser daste- angehen wollen. Den Kern Ihres Antrages haben Sie hen als Menschen, die das eben nicht getan haben. Wir von unserem Basisrentenmodell abgeschrieben; insofern wollen zeigen, dass es sich lohnt, in die Rentenkasse ein- ist er richtig. zuzahlen, und da herrscht hier großflächige Einigkeit. Sie sagen, Sie möchten einen Freibetrag auf Ansprüche (Zurufe von der AfD: Nein!) aus der gesetzlichen Rentenversicherung für diejenigen, – Nicht von allen. Ich habe „großflächig“ gesagt. die in der Grundsicherung sind. Das ist richtig; denn es ist in der Tat ungerecht, dass diejenigen, die in der Grundsi- Von der Grundrente werden all diejenigen profitieren, cherung sind, heute von ihren gesetzlichen Ansprüchen die auch von den anderen Fraktionen mit ihren Anträgen aus der Rentenversicherung nichts haben. in den Fokus genommen wurden: Menschen in Ost und West, die im Niedriglohnbereich tätig waren und trotz (Beifall bei der FDP) großer Anstrengungen dann im Alter von Altersarmut Liebe Kolleginnen und Kollegen, passen Sie jetzt mal bedroht werden. Vor allem Frauen werden durch die ganz genau auf. Im Antrag der AfD steht „mindestens Grundrente unterstützt. Das ist notwendig wegen der 15 Prozent“. Das zeigt eindeutig: Sie sind sich innerhalb Lohnunterschiede und weil sie nach wie vor die Hauptlast der eigenen Fraktion gar nicht einig, was Sie denn eigent- bei Kindererziehung und Pflege tragen. lich wollen. Wir sagen: 20 Prozent. Sie sind nicht in der Als Chemnitzer und damit Abgeordneter aus den Lage, sich auf einen Prozentsatz festzulegen. neuen Bundesländern weiß ich, dass insbesondere Men- (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Norbert schen in diesem Teil unseres Landes von der Grundrente Kleinwächter [AfD]) profitieren werden. Sie waren nach der Wende in den letzten Jahren von gewaltigen Umwälzungen betroffen Das ist die erste bemerkenswerte Erkenntnis in dieser und mussten teilweise für sehr geringe Löhne arbeiten. Debatte: Noch immer haben Sie kein schlüssiges Die Einkommensprüfung stellt sicher, dass nur Menschen Rentenkonzept, und das sollen die Wählerinnen und Grundrente erhalten, die sie dann auch benötigen. Da Wähler wissen. haben wir als Union ein sehr wichtiges Anliegen nicht nur vor uns hergetragen, sondern auch durchgesetzt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Jetzt wird es aber spannend. Im zweiten Schritt kumu- (Beifall bei der CDU/CSU) lieren Sie diesen Freibetrag mit einem Freibetrag für die Im Gesetzgebungsverfahren legen wir als Union ganz Ansprüche aus der privaten Rentenversicherung zu einem großen Wert auf solide Finanzierung auch der Grundrente gemeinsamen Freibetrag und deckeln diesen bei 50 Pro- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19907

Pascal Kober (A) zent der Grundsicherungsleistung. Im Ergebnis bedeutet (Dagmar Ziegler [SPD]: Ja, weil wir mitregie- (C) das, dass der, der privat vorgesorgt hat, bei Ihnen der ren und ihr nicht!) Gekniffene ist. das muss da bleiben. Da sage ich: Ich muss euch davor (Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU]: Ge- schützen, dass ihr euch das zu eigen macht. nau!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich sage Ihnen: Das darf nicht sein. Wir dürfen diejeni- gen, die privat vorgesorgt haben, nicht abstrafen. Und das Es ist wirklich der größte Skandal in der Geschichte ist das, was die AfD macht; das soll jeder wissen, der der SPD, dass ihr Geld an 1,2 Millionen Menschen in heute dieser Debatte folgt und zuschaut. dieser Bundesrepublik Deutschland verteilt, die das über- haupt nicht brauchen können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Kleinwächter [AfD]: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Die werden nicht bestraft! Die holen wir aus kann doch nur einer sagen, der zu viel Kohle der Armut raus!) hat! – Zurufe von der SPD) Denn es zeigt eindeutig, wer sich bei Ihnen in der Ich kann Ihnen sagen, liebe Freunde der SPD, – Sozialpolitik durchsetzt: Es sind die Linken in Ihrer Par- tei, die sich da durchsetzen, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? Da Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. gibt es keine Linken, Pascal Kober!) die mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun haben. Pascal Kober (FDP): – Sie machen nichts für die Bekämpfung der Alters- (Beifall bei der FDP) armut hier in Deutschland, und das sollen die Wählerin Ich sage es hier mit aller Deutlichkeit: Privat Vorsorgende und der Wähler am Ende auch wissen. abzustrafen, das darf nicht sein. (Beifall bei der FDP – Bernd Rützel [SPD]: (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hell- Disqualifiziert!) braune Soße mit dunkelblauen Tupfern! Nix Linkes! Keine Linken bei der AfD!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das eigentlich Trau- Für die Fraktion Die Linke macht sich der Kollege (B) rige in dieser Woche ist aber nicht der Antrag der AfD – Matthias W. Birkwald auf den Weg. (D) das ist ja immer traurig –, sondern das eigentlich Traurige (Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker ist das Grundrentenmodell der SPD; denn das droht uns ja [CDU/CSU]: Hat jemand einen Taschenrech- morgen hier im Deutschen Bundestag. Da muss man noch ner?) mal ganz deutlich sagen, was Sie hier veranstalten wol- len. Wir haben 600 000 Menschen in Deutschland, die von Altersarmut betroffen sind. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch! Kollegen! Meine Damen und Herren Abgeordnete von 3 Millionen!) der AfD! Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht Ihr Grundrentenmodell wird gerade mal 100 000 davon für Sie. Die gute Nachricht: Wir werden Ihren Antrag erreichen. Das heißt, 500 000 altersarme Menschen in nicht deshalb ablehnen, weil er von der AfD kommt. Deutschland haben von dem, was Hubertus Heil und die (Enrico Komning [AfD]: Oh!) SPD-Fraktion hier mit aller Gewalt versuchen durchzu- drücken, nichts, aber auch gar nichts. Die schlechte Nachricht für Sie: Ich nehme Ihren Antrag ernst. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bernd Rützel [SPD]: 1,3 Millionen Menschen profi- (Enrico Komning [AfD]: Das ist gut!) tieren von der Grundrente!) Fangen wir gleich mal an. Die Überschrift lautet: „So- Ich appelliere an Sie, Kolleginnen und Kollegen der fortmaßnahme Armutsbekämpfung bei Rentnern“. Also, CDU: Bewahren Sie die SPD vor diesem historischen erstens wissen wir alle hier in diesem Haus, dass vor allen sozialpolitischen Fehler! Dingen Frauen von Altersarmut besonders betroffen sind. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – CDU/CSU gewandt: Auf gar keinen Fall, Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Die gehören CDU! Heben Sie Ihre Blockade auf!) nicht gegendert!) Das dürfen Sie denen nicht durchgehen lassen! Egal wie hoch der Gender Pension Gap angegeben wird: Frauen sind zu zwei Dritteln diejenigen in Altersarmut, (Beifall bei der FDP) und deswegen müssen wir in erster Linie was gegen die Lieber Frank Heinrich, rede niemals von „deinem“ Altersarmut von Frauen tun. Die kommen bei Ihnen aber Grundrentenmodell! Das ist eine Idee der SPD; gar nicht vor. 19908 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Matthias W. Birkwald (A) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter (C) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- [AfD]) ten der CDU/CSU und der SPD) Viel wichtiger wäre, die Abschläge bei den heutigen und Es ist aber noch schlimmer. Bei Altersarmut geht es um künftigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern alle Menschen ab 65 Jahren, die arm sind, also auch um zu streichen. Seniorinnen und Senioren. Die finde ich in dem Antrag nicht. Sie beschränken sich auf Rentner. 27 Prozent der Was den Freibetrag, dieses Minireförmchen, angeht: Menschen in der Grundsicherung hatten aber nie eine Wenn das durchkommt, was Sie vorschlagen, dann sen- Rente. Das ist schon der zweite Punkt. Dazu sagte der ken Sie das, was morgen bei der sogenannten Grundrente Sachverständige Professor Werding in der Anhörung zu beschlossen werden soll, theoretisch um die Hälfte. Da Ihnen: „Im Grunde geht es bei Ihnen“ – der AfD – „nicht sage ich im Namen aller armen Rentnerinnen und um Altersarmut, sondern um die Armut von Rentnern.“ Rentner: Herzlichen Dank an diese Bundesregierung, Das, meine Damen und Herren, ist deutlich zu dünne wenn sie im Gegensatz zu Ihnen sogar das Doppelte hin- Suppe. kriegt! (Beifall bei der LINKEN) (Uwe Schummer [CDU/CSU]: So sind wir!) In Ihrem Antrag steht, es seien 620 000 Betroffene, die Setzen, sechs! in Altersarmut sind; Pascal Kober hat ebenso verharmlo- Danke schön. sende Zahlen genannt. In Wirklichkeit sind 18,2 Prozent aller Menschen ab 65 nach den EU-Kriterien arm. (Beifall bei der LINKEN) 1,7 Millionen Frauen und 1,3 Millionen Männer haben im Monat weniger als 1 136 Euro zum Leben. Das ist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Altersarmut – nicht die 814 Euro, von denen hier immer Der nächste Redner ist für Bündnis 90/Die Grünen der die Rede ist. Kollege Markus Kurth. Dann nehme ich mir mal Ihren wunderbaren Satz auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seite 2 vor. Zitat: Eine wesentliche Erhöhung der niedrigen Bestands- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): renten, sei es durch eine Erhöhung des Rentenni- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe veaus, sei es durch andere Aufwertungsmaßnahmen, Kolleginnen und Kollegen! Dass dieser Antrag, den Herr ist zumindest nicht zeitnah zu erwarten, so dass sich (B) Kleinwächter in einer bemerkenswert bizarren Rede vor- (D) gegenwärtig zur Abmilderung von Altersarmut ein gestellt hat, dafür, dass er so dürftig ist, so viel Aufmerk- Handlungsbedarf ergibt. samkeit bekommt, kann einem eigentlich nicht gefallen, wenn man die Debatte bis hierher verfolgt hat. „Abmilderung von Altersarmut“? Sagen Sie mal, geht’s noch? Auf den Straßen und Plätzen dieser Republik tun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie so, als wenn Sie die großen Systemfeinde wären, aber hier wollen Sie ein bisschen „Abmilderung“ im Hartz-IV- Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, dass man sich ange- Rentner-System? Da sage ich Ihnen nur: Sie sind als sichts der Coronakrise mal wieder grundsätzlich etwas Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Das reicht klarmacht. Man gewinnt bei einigen der Vorrednerinnen vorne und hinten nicht. und Vorredner ja den Eindruck, als würde diese gar nicht stattfinden. Was sich doch jetzt zeigt, ist, wie wichtig es (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni ist, das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme und Breymaier [SPD]) die Stabilität des Sozialstaats zu erhalten, wie wichtig es ist, die Leistungsfähigkeit der sozialstaatlichen Institutio- Nein, wir müssen die Altersarmut nicht abmildern, wir nen zu bewahren und diese zu unterstützen. Das ist das müssen sie bekämpfen, meine Damen und Herren! entscheidende Fundament, um Panikmache, Unsicherheit (Norbert Kleinwächter [AfD]: So steht es bei und Scharlatanerie zurückzudrängen. uns im Antrag: Armutsbekämpfung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehören gute Tarifverträge, Allgemeinverbindlich- Lassen Sie mich noch sagen: Dass der Sozialstaat leis- keitserklärungen, ein gesetzlicher Mindestlohn von tungsfähig sein kann, zeigt sich zum Beispiel beim Kurz- 12 Euro und natürlich ein Rentenniveau von 53 Prozent arbeitergeld, auch wenn wir da sicherlich noch einiges als Prävention, als Prophylaxe. Das brauchen wir. verbessern wollen. Dass aber Lücken vorhanden sind, (Beifall bei der LINKEN – Norbert zeigt sich zum Beispiel beim Regelsatz für die Grundsi- Kleinwächter [AfD]: Und wer soll das bezah- cherung im Alter, wo angesichts der Krise ein Aufschlag len?) von 100 Euro für die Rentnerinnen und Rentner bzw. für alle Grundsicherungsbeziehenden im Alter notwendig Und: Das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung wäre. hat nichts mit Armutsbekämpfung zu tun. Da geht es um Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ist unantastbar. – Das müssen wir einhalten und nicht das Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 200 Euro! Äquivalenzprinzip. Aber sonst richtig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19909

Markus Kurth (A) Noch eines zeigt sich, nämlich dass der Kapitalmarkt Wenn man sich dann auch noch die Bezugsdauer an- (C) die Rente und die umlagefinanzierten Sicherungssysteme schaut, stellt man fest, dass sich die vom Jahr 1960 bis eben nicht ersetzen kann. Das wird in dieser Situation heute fast verdoppelt. Darin liegt der Kern der Heraus- ebenfalls überdeutlich. Denn sicher ist in der kapitalge- forderungen. deckten Altersvorsorge nur eines: Das ist das Risiko. In manchen Fällen lässt sich vielleicht eine überdurch- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und wie schnittliche Altersrente erzielen; aber in anderen Fällen, hat sich die Produktivität in der Zeit entwi- gerade in Krisenfällen, eben nicht. Auch das ist eine ckelt?) wichtige Lehre, die wir beherzigen sollten. Die AfD geht in ihrem Antrag keineswegs darauf ein. Damit komme ich zur Schlussfolgerung. Das Zentrale Ich merke bei vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und ist die Stärkung des Versicherungssystems, seine Verbrei- Bürgern meines Wahlkreises, dass den Menschen bei der terung – sprich: dass alle, die erwerbstätig sind, dort ein- Rente drei Dinge wichtig sind: Erstens muss die Rente zahlen – und seine Stabilisierung. leistungsbezogen sein; das heißt, das Erwerbsleben muss sich widerspiegeln. Zweitens muss die Rente solidarisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein; sie muss soziale Verwerfungen wie Altersarmut ver- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hindern. Und drittens muss die Rente natürlich sicher Damit so ein System attraktiv bleibt und seine Siche- sein, auf der Grundlage eines dauerhaft verlässlichen Ge- rungsfunktion erfüllt, sind zwei Dinge notwendig: Das nerationenvertrags stehen. Erste ist ein langfristig stabiles Rentenniveau, und das Um Altersarmut zu verhindern, müssen wir weiter den- Zweite ist eine Mindestsicherungsleistung, die garantiert, ken, als die AfD das in ihrem Antrag getan hat. dass langjährig Versicherte oberhalb der Grundsicherung sind. Dann brauchen wir uns nämlich über irgendwelche (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das komischen Freibetragsregelungen und dergleichen, die stimmt!) die Leute ja im Grundsicherungssystem festhalten, über- Weitsicht, sehr geehrter Herr Kollege Kleinwächter, ist in haupt gar keine Gedanken zu machen. Ihrem Antrag nicht zu erkennen, und Einsicht bei den großen Herausforderungen der Rentenpolitik auch nicht. Das Instrument, mit dem sich diese Mindestversiche- Wir müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren, rungsleistung erreichen lässt, heißt in unserem Grünen- dafür sorgen, dass es durchgängige Erwerbsbiografien programm Garantierente, und das werde ich morgen – gibt, dass die Kindererziehungs- und Pflegezeiten von dann folgt die Fortsetzung – anlässlich der Einbringung Angehörigen wertgeschätzt und angerechnet werden. des Gesetzentwurfes zur Grundrente hier genauer vorstel- (B) Hier haben wir sehr viel erreicht bei der Mütterrente, (D) len. bei der Steigerung der Erwerbsminderungsrente, aber Vielen Dank. auch bei der Versicherungspflicht für Minijobs. Außerdem, meine sehr geehrten Damen und Herren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) muss natürlich gewährleistet werden – das ist der Kern einer sicheren und auskömmlichen Rente für die Men- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schen in unserem Land –, dass gute Löhne gezahlt wer- Vielen Dank, Herr Kollege Markus Kurth. – Der letzte den. Redner in der Aussprache zu Zusatzpunkt 15: der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Allgemeinverbindlichkeitserklä- (Beifall bei der CDU/CSU) rung?) Die Coronakrise zeigt die vorausschauende Politik der Peter Aumer (CDU/CSU): Bundesregierung. Das Kurzarbeitergeld, das mittlerweile Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und für mehr als 10 Millionen Beschäftigte beantragt wurde, Kollegen! Die Rentenversicherung steht vor großen He- verhindert Arbeitslosigkeit und Unterbrechungen der Er- rausforderungen. Man kann sich das einfach machen, wie werbsbiografie. Das sind gute Sozialpolitik und ein gutes der Kollege Kleinwächter vorhin, und Schuldzuweisun- Krisenmanagement. gen vornehmen, oder man kann sich die Fakten betrach- Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- ten. gen, mit dem Rentenpaket und dem Gesetzentwurf zur Herr Kollege Kleinwächter, alleine wenn man sich das Einführung einer Grundrente, der morgen eingebracht Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern an- wird, zeigen die Bundesregierung und die Koalitionsfrak- sieht, erkennt man: Im Jahr 2000 lag das bei drei zu eins. tionen Handlungsfähigkeit. Wir nehmen uns des Themas Im Jahr 2050 wird das Verhältnis „ein Beitragszahler zu „Rente und Altersarmut“ ganzheitlich und zielgenau an. einem Rentenempfänger“ sein. Dann können wir auf ei- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hat auch ner anderen Grundlage, als Sie das gerade getan haben, lang genug gedauert! – Gegenruf des Abg. Kai diskutieren. Whittaker [CDU/CSU]: Gut Ding will Weile (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE haben!) LINKE] – Zuruf des Abg. Norbert Den Antrag der AfD hätte es dazu nicht gebraucht; denn Kleinwächter [AfD]) wir brauchen in diesem Haus Debatten über Anträge mit 19910 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Peter Aumer (A) Substanz. Wenn dem Redner der AfD der Inhalt des An- nahme Armutsbekämpfung bei Rentnern“. Der Aus- (C) trages nur zwei Sätze wert war, dann spricht das auch für schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- den Antrag selbst. fehlung auf Drucksache 19/10033, den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/7724 abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind Gerade beim Thema Rente bedarf es der notwendigen alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Gegenprobe! – Sachlichkeit und Vernunft, die das Wohl der aktuellen, Die AfD ist gegen diesen Beschlussvorschlag. Enthaltun- aber auch der zukünftigen Rentenbezieher und Beitrags- gen? – Keine. Die Beschlussempfehlung des Ausschus- zahler im Blick hat. Mit Ihrem Antrag, Kollegen der AfD, ses ist damit angenommen. geben Sie keine Antworten darauf, wie Menschen grund- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 e auf: sätzlich Alterseinkünfte oberhalb der Grundsicherung er- zielen können. Sie geben keine Antworten darauf, wie die a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Leistungsgerechtigkeit und der soziale Ausgleich in der tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- Rente bewerkstelligt werden können. ten Entwurfs eines Gesetzes zur Abmilde- rung der Folgen der COVID-19-Pandemie (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) im Veranstaltungsvertragsrecht Sie verschlechtern sogar die bestehende Rechtslage; denn Sie berücksichtigen den im Sozialgesetzbuch bereits ent- Drucksache 19/18697 haltenen Sockelfreibetrag nicht. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat (6. Ausschuss) der Kollege recht!) – Danke schön, Herr Kollege Birkwald. Drucksache 19/19218 (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Dass b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Sie sich das trauen!) Berichts des Ausschusses für Recht und Ver- braucherschutz (6. Ausschuss) Mit Ihrem Antrag werden gerade Rentnerinnen und Rentner mit geringen zusätzlichen Vorsorgeansprüchen – zu dem Antrag der Abgeordneten schlechter gestellt, als das bisher der Fall ist. Dr. Jürgen Martens, Katharina Willkomm, Stephan Thomae, weiterer Abgeordneter Mit Ihrem Antrag gehen Sie auch nicht mit der Zeit. und der Fraktion der FDP Sie haben offenkundig den von der Bundesregierung ein- (B) gebrachten Gesetzentwurf zur Grundrente nicht zur Verbraucherschutz in der Corona-Kri- (D) Kenntnis genommen. Darin verbessern wir die Freibe- se – Gutscheinlösung verbraucher- träge für Menschen, die langjährig geringe Beitragszah- freundlich ausgestalten lungen geleistet haben, weit über das hinaus, – zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Herr Kollege Kleinwächter, was Sie in Ihrem Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern. Faire und freiwillige Gutscheinlösun- (Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Aber erst ab gen im Veranstaltungs- und Freizeitbe- 35 Jahre!) reich Das sollte Ihnen zu denken geben. Drucksachen 19/18702, 19/18708, Mit Ihrem Antrag, meine sehr geehrten Damen und 19/19218 Herren, wird Altersarmut nicht wirkungsvoll bekämpft. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Langjährige Beitragszeiten werden sogar bestraft. Sie Berichts des Ausschusses für Kultur und Me- kommen damit weder dem Leistungsgedanken noch dien (22. Ausschuss) dem Solidaritätsprinzip in der Rente nach. Mit diesem Antrag beweist die AfD, dass sie weder die Gründe für – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas Altersarmut noch die Rahmenbedingungen, denen sich Hacker, Hartmut Ebbing, Katja Suding, unser Rentensystem stellen muss, erkannt hat. Deswegen weiterer Abgeordneter und der Fraktion lehnen wir Ihren Antrag ab. der FDP (Beifall bei der CDU/CSU) Corona-Notfallplan für die Filmwirt- schaft Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: – zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Das war der letzte Redner. – Ich schließe die Ausspra- Ebbing, Thomas Hacker, Katja Suding, che. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Kultur- und Kreativwirtschaft in der Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Sofortmaß- Corona-Krise überlebensfähig machen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19911

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege (C) Hacker, Hartmut Ebbing, Otto Fricke, Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der SPD) Kultur- und Kreativwirtschaft krisen- Dr. Johannes Fechner (SPD): und zukunftsfest gestalten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in der Veranstaltungsbranche ist dramatisch. Es – zu dem Antrag der Abgeordneten Doris fallen nach wie vor Konzerte aus, es fallen nach wie vor Achelwilm, Dr. Petra Sitte, Simone Sportveranstaltungen aus, und viele Freizeitveranstaltun- Barrientos, weiterer Abgeordneter und gen sind abgesagt. Damit entgehen den Veranstaltern der Fraktion DIE LINKE wichtige Einnahmen, auf die sie angewiesen sind. Damit Medienvielfalt und Journalismus in der geraten dann auch Künstlerinnen und Künstler, Sportler Corona-Krise schützen – Demokratie und auch diejenigen, die in der Veranstaltungsbranche braucht kritische Öffentlichkeit ansonsten ihren Arbeitsplatz haben, in Existenznot. Des- wegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieses Gesetz – zu dem Antrag der Abgeordneten Simone leistet einen ganz wichtigen Beitrag dazu, dass wir unsere Barrientos, Dr. Petra Sitte, Doris Kulturlandschaft mit den Events in Deutschland erhalten Achelwilm, weiterer Abgeordneter und und ganz viele Arbeitsplätze sichern. Ein ganz wichtiges der Fraktion DIE LINKE Gesetz! Corona-Hilfen an die Arbeits- und Le- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta bensbedingungen von Kulturschaffen- Connemann [CDU/CSU]) den anpassen Denn wir wollen nicht, dass die Kulturlandschaft in – zu dem Antrag der Abgeordneten Erhard Deutschland mit den vielfältigen Konzerten – ob „Wa- Grundl, Margit Stumpp, Dr. Kirsten cken“, „Rock am Ring“, Nischenkonzerte, Opern – un- Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter wiederbringlich kaputtgeht – auch Sportveranstaltungen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE will ich erwähnen –, was unzweifelhaft der Fall wäre, GRÜNEN wenn wir hier Insolvenzen hätten, die unweigerlich kom- Maßnahmen zur Rettung der kulturel- men würden, wenn wir den Veranstaltern die Liquidität len Infrastruktur in der Corona-Krise nehmen würden. (B) Drucksachen 19/18223, 19/18224, Kurz noch mal zusammengefasst: Wir werden regeln, (D) 19/18668, 19/18691, 19/18692, 19/18715, dass Ticketkäufer beim Konzertausfall statt der Erstat- 19/19202 tung des Kaufpreises einen Gutschein bekommen. Spä- testens im Januar 2022 können sie das Geld zurückfor- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten dern, wenn sie keine alternative Verwendung für den Dr. Marc Jongen, Marcus Bühl, Matthias Gutschein gefunden haben. Also, wir lassen die Veran- Büttner, weiterer Abgeordneter und der Frak- stalter nicht pleitegehen, damit die Events stattfinden tion der AfD können. Die Veranstalter brauchen die Liquidität, um Nothilfen für Kultur- und Kreativwirt- im nächsten Jahr oder vielleicht auch schon in diesem schaft nachhaltig gestalten – Rasch eine Jahr Nachfolgeveranstaltungen organisieren zu können. Exit-Strategie einleiten Ja, ich will offen sagen: Die SPD hätte sich gewünscht, Drucksache 19/19159 noch mehr Verbraucherschutz in diesem Gesetz zu re- geln. e) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Christian Dürr [FDP]: Es ist gar kein Verbrau- Gesetzes zur Änderung des EG- cherschutz drin! Das ist das Gegenteil von Ver- Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes braucherschutz!) sowie des Gesetzes über die Errichtung Gerne hätten wir etwa die Härtefallklausel präziser in des Bundesamts für Justiz Form von Regelungsbeispielen gestaltet, sodass für alle Drucksachen 19/16781, 19/17295, Beteiligten klar ist, wann ein Härtefall vorliegt. Wir hät- 19/17663 Nr. 1.1 ten gerne auch eine Schlichtungsstelle gehabt. Gerne hät- ten wir auch über die Insolvenzabsicherung gesprochen. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Und auch wenn wir davon ausgehen, dass die Gutscheine schusses für Recht und Verbraucherschutz frei übertragbar sind, hätten wir es gerne im Gesetz aus- (6. Ausschuss) drücklich so geregelt. Aber um es deutlich zu sagen: Das Drucksache 19/19213 war mit dem Koalitionspartner leider nicht zu machen. Dennoch: Ich glaube, es ist unterm Strich ein gutes Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Gesetz, weil es für einen wirklich fairen Ausgleich zwi- schlossen. schen den Interessen der Ticketkäufer auf der einen Seite Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte entscheiden Sie und den Veranstaltern auf der anderen Seite sorgt. Wir sich, ob Sie hierbleiben oder rausgehen wollen. sichern den Veranstaltern, wie gesagt, die Liquidität, die 19912 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Johannes Fechner (A) sie jetzt brauchen. Insofern ist es unter dem Strich ein Der Gutschein hat noch andere Nachteile: Wenn Sie (C) gutes Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ihn entgegengenommen haben, dann werden Sie bei sei- ner Einlösung selten genau das bekommen, was Sie eigentlich ursprünglich gebucht oder bezahlt haben. Das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gilt für den Versandhandel, es gilt für Reisen, es gilt auch Entschuldigen Sie, Herr Kollege. – Liebe Kollegen für Veranstaltungen. Im Versandhandel werden Sie die von der AfD, könnten Sie bitte die Abstandsregelungen Ware, die Sie nicht bekommen haben, wahrscheinlich einhalten. – Bitte schön, Herr Kollege. auch in der Zukunft nicht bekommen. Sie müssen etwas aus dem Sortiment des Anbieters nehmen, was Sie viel- Dr. Johannes Fechner (SPD): leicht gar nicht haben wollten. Und bei den Konzerten gilt Weil wir hier jetzt über Gutscheine und Verbraucher- dasselbe: Werden Sie denn, wenn Sie den Gutschein ein- schutz sprechen, möchte ich auch zu einem verwandten lösen, eine Karte für genau das Konzert bekommen, das Thema, nämlich zur Situation im Reiserecht, ein paar Sie ursprünglich gebucht haben, und noch dazu am glei- Takte sagen. Ich glaube, wir müssen für die Reisekunden chen Ort? Höchstwahrscheinlich nicht. schnell eine Lösung finden: Sie wollen jetzt wissen, wie es mit dem bezahlten Reisepreis weitergeht, wie die Pau- Nun ist das eine Überzeugung, die in Zeiten gegolten schalreise in Zukunft abgesichert ist. Und vor allem müs- hat, in denen es eine überschaubare Zahl von Fällen war, sen wir uns um die Reisebranche kümmern; denn sie hat wo Gutscheine angeboten und angenommen oder nicht dramatische Umsatzeinbußen zu verzeichnen. All das angenommen worden sind. Jetzt aber sind wir mit einer diskutieren wir, und ich hoffe, dass wir hier schnell zu massenhaften Anzahl konfrontiert: Es sind nicht nur einer sinnvollen Lösung für die Reisekunden, aber auch Zehntausende, es sind vielleicht Hunderttausende, Mil- für die Reisebranche kommen, liebe Kolleginnen und lionen von Fällen, auf die das zutrifft. Das Geld wird Kollegen. für längere Zeit festgelegt, und es besteht die Gefahr, dass dann, wenn alle Verbraucher auf der sofortigen Rückzah- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lung ihrer Leistung, ihrer Zahlung bestehen, das betrof- der CDU/CSU) fene Unternehmen insolvent wird. Am Schluss meiner Rede werde ich persönlich. Liebe Dennoch, meine ich, ist ein gesetzlicher Zwang zur Eva Högl, das ist heute deine letzte Debatte als Parlamen- Entgegennahme eines Gutscheins auch jetzt nicht not- tarierin. Deswegen möchte ich dir im Namen der wendig. Es gibt Lösungen, die auf Freiwilligkeit beruhen. AG Recht ganz herzlich für die wirklich tolle Zusammen- Ich habe das selber erlebt: Ich hatte über Ostern eine arbeit danken. Wir haben rechtspolitisch, auch verbrau- Reise gebucht, die nicht stattfinden konnte. Ich habe (B) cherpolitisch eine Menge auf die Beine gestellt in den von mir aus – ich staunte über mich selber – dem Unter- (D) Jahren, in denen du Fraktionsvize warst. Deswegen: nehmen die Entgegennahme eines Gutscheins angeboten. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit und alles, alles Gute im neuen Amt. (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So genau wollen wir das nicht wissen!) Vielen Dank. Ich erhielt ihn innerhalb weniger Tage, und es ist eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Zusatzleistung draufgesetzt worden. Das gilt natürlich bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und für alles: Das gilt auch für Konzerte, das gilt auch für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Versandhandel und anderes mehr. Das ist nicht nur auf die Veranstaltungsbranche beschränkt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schreibt der Staat eine Gutscheinlösung vor, dann Der nächste Redner ist für die AfD-Fraktion der Kolle- muss er, meine ich, zumindest auch die Insolvenzsiche- ge Dr. Lothar Maier. rung übernehmen. Er muss dafür sorgen, dass dann, wenn das Unternehmen pleitegegangen ist, der Verbraucher, (Beifall bei der AfD) weil der Staat es so gewollt hat, nicht sein komplettes Geld verliert. Dr. Lothar Maier (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Und noch ein Letztes. Radikal abzulehnen ist die vor- ren! Einer der Kernpunkte dessen, was hier diskutiert gesehene Härtefalllösung. Wenn Sie festlegen wollen, werden soll, ist ja die Frage, ob den Verbrauchern die dass der Gläubiger, also der Verbraucher, nachweisen Gutscheinlösung bei dem Ausfall von Leistungen, der ja muss, dass er sein Geld braucht, und nicht der Schuldner aufgrund der Coronaentwicklungen erfolgen muss, nachweisen muss, dass er es nicht zahlen kann, dann ist schmackhaft gemacht werden soll. Und da ist es nun einer der wichtigsten Rechtsgrundsätze wirklich auf den sicherlich so, dass jeder, der jahrzehntelang im Verbrau- Kopf gestellt. Das ist radikal abzulehnen. In diesem Fall cherschutz tätig gewesen ist – so auch ich –, die Grund- sind wir zwar, was die Gutscheine betrifft, zu Kompro- überzeugung teilt, dass niemand für eine bereits bezahlte, missen bereit; aber wir akzeptieren die jetzige Lösung aber nicht erbrachte Leistung einen Gutschein entgegen- nicht, schon gar nicht mit der vorgesehenen Härtefalllö- nehmen muss. Dafür sieht das Bürgerliche Gesetzbuch sung. drei Wege vor, die sich in der Vergangenheit bewährt Danke für Ihre Aufmerksamkeit. haben, und die lauten: Wandlung, Minderung, Nacher- füllung. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19913

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der lege Thorsten Frei. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

(Beifall bei der CDU/CSU) Thorsten Frei (CDU/CSU): Ja, bitte schön. Thorsten Frei (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist darauf hingewiesen worden, dass sich seit März das Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Kolle- gesellschaftliche Leben, das Freizeitleben, Gewohnhei- ge, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sagten ten und auch das Gemeinschaftserlebnis, das wir von eben: Das sind ja alles kleine Beträge. – Jetzt gibt es aber Kultur- und Sportveranstaltungen gewohnt waren, grund- Familien – vierköpfige, fünfköpfige Familien –, die da- legend verändert haben. Wir sind hier mit Herausforde- rauf sparen, gemeinsam eine größere Unternehmung zu rungen konfrontiert, bei denen es nicht ausreicht, Herr machen, und Tickets kaufen. Diese Familien leiden zur- Professor Maier, Rechtssätze gegeneinanderzustellen; zeit massiv unter den Einschränkungen der Coronakrise; vielmehr brauchen wir in dieser Situation, in der reihen- manche sind in Kurzarbeit oder Ähnliches. weise Insolvenzen von Veranstaltern unmittelbar bevor- stehen, pragmatische Lösungen. Es geht also nicht da- (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Härtefall- rum, in Schönheit zu sterben, sondern es geht darum, klausel!) pragmatische, nützliche Lösungen herbeizuführen, die auch zeitlich befristet sind. – Sie legen für die Härtefallklausel ja keine Regelbei- spiele fest. – Die Regelung, die Sie jetzt einführen, geht (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- allein zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. NEN]: Aber nicht zulasten der Verbraucher!) Halten Sie das tatsächlich für angemessen? Natürlich hat derjenige, der vor dem 8. März eine Kon- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben zertkarte oder eine Eintrittskarte oder eine Dauerkarte für nicht zugehört! – Gitta Connemann [CDU/ eine Sportveranstaltung gekauft hat – und diese Veran- CSU]: Gesetzentwurf lesen! Lesen bildet!) staltung findet nicht statt –, nach den Regularien unseres Zivilrechts einen Anspruch auf Rückerstattung der Leis- Thorsten Frei (CDU/CSU): tung; das ist ja richtig. Das ersetzen wir jetzt durch einen Frau Rößner, Sie haben in Ihrer Frage die Antwort im Wertgutschein. Dass diese Regelung Kritik hervorruft, Prinzip schon angelegt: Wir haben für die extremen Aus- haben wir schon in der ersten Lesung des Gesetzentwur- (B) nahme- und Notfälle im Gesetzentwurf eine Härtefall- (D) fes erlebt: Den einen geht die Regelung nicht weit genug; regelung vorgesehen. sie sagen: Wir müssen weitere Gruppen mit einbeziehen. Und den anderen geht sie zu weit; sie sagen: Das ist ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zinsloses Darlehen; es ist nicht gegen Insolvenz abge- der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) sichert; Damit wollen wir die Fälle lösen, die zu sozialen Härte- fällen führen würden. Wenn Sie beispielsweise als grö- (Katharina Willkomm [FDP]: Richtig! – ßere Familie für alle Familienmitglieder entsprechend Simone Barrientos [DIE LINKE]: Sie geht am teure Karten kaufen, dann kommen auch größere Beträge Kunden vorbei!) zusammen; das stimmt. Allerdings würde ich sagen, dass es ist kein Äquivalent für die Eintrittskarte. Ja, das in der Lebenswirklichkeit die Fälle, dass jemand, der stimmt: Es ist auch eine Zumutung für Verbraucherinnen wenig Geld hat, sehr, sehr viel Geld für kulturelle oder und Verbraucher. sportliche Eintrittskarten aufwendet, doch eher selten vorkommen dürften. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das Risiko liegt bei den Verbrauchern!) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Da sind Sie Und trotzdem muss man abwägen. Worum geht es aber auf sehr dünnem Eis unterwegs! Was ist denn? Auf der einen Seite geht es um Eintrittskarten, das denn?) die einen Wert haben im zweistelligen oder niedrigen Wie gesagt: Wir haben dafür eine Härtefallregelung vor- dreistelligen Eurobereich. Das Geld ist ausgegeben; des- gesehen, die das aus unserer Sicht sehr gut abbildet. wegen gerät keiner in finanzielle Not. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das wis- ordneten der FDP) sen Sie jetzt schon?) Im Übrigen geht es doch um eine Güterabwägung. Auf Was fehlt, ist die kulturelle Gegenleistung. Das ist der die eine Seite der Güterabwägung bin ich schon einge- Punkt. Und dann muss man schauen, was dem gegen- gangen; die andere Seite ist, dass gewachsene Strukturen übersteht. Dem steht gegenüber, dass davon auszugehen im Kulturbereich zerschlagen werden würden. Man muss ist, dass innerhalb kürzester Zeit reihenweise Veranstalter sich doch auch mal mit den Fakten auseinandersetzen. Im in die Insolvenz fallen würden. Das wäre die Konse- letzten Jahr hatte der Veranstaltungsmarkt ein Volumen quenz. Man kann den Anspruch anmelden, in die Insol- von über 5 Milliarden Euro. Wenn wir jetzt nichts tun venztabelle aufgenommen zu werden, und bekommt am würden, dann würden die Veranstalter innerhalb von fünf Ende auch nichts. Monaten mit Rückforderungen in der Höhe von etwa 19914 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Thorsten Frei (A) 4 Milliarden Euro konfrontiert werden. Allein bis Ende Die Partei, die angeblich für die Menschen mit dem klei- (C) August müssen 100 000 bis 120 000 Kulturveranstaltun- nen Portemonnaie kämpft, die vielzitierte Kranken- gen abgesagt und abgewickelt werden. schwester, den oft erwähnten Dachdecker, Im Übrigen ist das nur eine Maßnahme von vielen, mit (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Die haben das denen wir versuchen, Kultur und Unternehmen insgesamt Geld schon ausgegeben!) über diese schwierige Zeit hinwegzuhelfen, beispielswei- se mit Honorarausfallregelungen, mit Soforthilfen – auch diese SPD, die in Gestalt der Verbraucherschutzministe- für freie Orchester und Ensembles – und mit vielem ande- rin kommt und die Frage, wie den Kinos und Clubs, den ren mehr. Wir versuchen, einen Beitrag dafür zu leisten, Theatern und Sportvereinen in ihrer Not zu helfen ist, so dass es nicht zu Insolvenzen kommt und am Ende auch beantwortet: „Wir schneiden genau diesem ,kleinen die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht geschädigt Mannʼ die Verbraucherechte ab.“ – werden. (Christian Dürr [FDP]: So ist es! – Gitta Ich glaube, wir legen hier einen Gesetzentwurf vor, der Connemann [CDU/CSU]: Oh Gott! Die FPD die unterschiedlichen Interessen gerecht gegeneinander als Kämpferin für den kleinen Mann!) abwägt und deshalb nicht nur zu einem vertretbaren, son- wie, meine Damen und Herren, passt das zusammen? dern auch zu einem guten und in dieser Situation notwen- digen Ergebnis kommt. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE] und Tabea Rößner Die letzte Sekunde meiner Redezeit möchte ich Ihnen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) liebe Frau Dr. Högl, widmen. Herzlichen Dank für die angenehme Zusammenarbeit, auch mit unserer Fraktion. Der Gesetzentwurf sollte schon letzte Woche ins Ple- Für die neue Aufgabe wünsche ich Ihnen alles, alles Gute num. Die Coronakrise ist jetzt eine Woche älter; der Ent- und weiterhin viel Erfolg. wurf kein bisschen klüger. Zwangscharakter, Härtefälle, Rückwirkung – alles ist noch genauso drin, alles noch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) genauso schlimm. (Christian Dürr [FDP]: Ja!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Kollege Thorsten Frei. – Für die Fraktion Noch hat der Verbraucher einen Erstattungsanspruch in der FDP hat das Wort die Kollegin Katharina Willkomm. Geld, wenn der Veranstalter seine Leistung nicht erbrin- gen kann. Das nehmen Sie dem Verbraucher heute weg. (Beifall bei der FDP) (B) Mit dem ungesicherten Gutschein machen Sie den Ver- (D) braucher ungewollt zum Kreditgeber, und das auch noch Katharina Willkomm (FDP): zu besonders miesen Konditionen, wie die Unzumutbar- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und keitsregel zeigt. Kollegen! Das Gesetz wird weit über die Krise hinaus das Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, Vertrauen darauf beeinträchtigen, dass im Fall der Nicht- dass der Verbraucher, also der Gläubiger, gegenüber leistung erbrachte Vorauszahlungen zurückgezahlt wer- dem Unternehmer, also dem Schuldner, sämtliche per- den. Die Bereitschaft, nach der Coronakrise auf Vorkasse sönlichen Vermögensverhältnisse offenlegen muss, um zu kaufen, wird sinken, die Unzumutbarkeit nachzuweisen. (Christian Dürr [FDP]: Ja!) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sodass diejenigen Unternehmen, die die Krise überleben, NEN]: Genau! – Martin Rabanus [SPD]: Muss am Ende zusätzlich geschwächt werden – er überhaupt nicht! – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Muss er nicht! Falsch!) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!) Aus Sicht der Freien Demokraten ist Ihr Gesetzentwurf für einen Zwangsgutschein falsch. Es geht nur freiwillig, so die CDU in ihrer klügsten Form, der Vorsitzende des Rechtsausschusses Professor Hirte. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der und das haben wir in unserem Antrag sowohl für den CDU/CSU) Veranstaltungsbereich als auch für den Reisebereich aus- buchstabiert: Die Erstattung in Geld muss möglich blei- Weder der rechtspolitische Sprecher Herr Luczak noch ben, der Gutschein soll nicht personengebunden sein, und der Verbraucherschutzbeauftragte Herr Steineke haben die Einlösung darf nichts extra kosten. Das Gesetz muss widersprochen. sicherstellen: Bei Nichteinlösung bis Ende 2021 erstattet Wenn das allen klar ist: Wer führt eigentlich in dieser der Veranstalter unaufgefordert und unverzüglich den Ti- Koalition? Die Union offensichtlich nicht. Wenn es aber cketpreis. Das Insolvenzrisiko der Unternehmer wird die SPD ist, frage ich mich: Wie kann das sein? nicht ganz auf den Verbraucher abgewälzt. Schließlich sind die Gutscheine abzusichern, indem betroffene Unter- (Christian Dürr [FDP]: Das frage ich mich nehmen Zugang zum Wirtschaftsstabilisierungsfonds er- auch!) halten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19915

Katharina Willkomm (A) Vielen Dank. beitsplatz verloren haben? Die Antwort der Bundesregie- (C) rung ist da lapidar. Da steht: Wem es aufgrund seiner (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Tabea persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist, einen Gut- Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – schein anzunehmen, der bekommt sein Geld zurück. – Im Christian Dürr [FDP]: Das wäre es mal! Sehr Klartext: Man soll dem Theater, dem Kino seine Einkom- gut!) mensverhältnisse offenlegen, um sein Geld zurückzube- kommen. Wo kommen wir denn da hin! Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, liebe Frau Kollegin Willkomm. – Für die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Fraktion Die Linke hat als Nächste das Wort die Kollegin ten der FDP und der Abg. Tabea Rößner Amira Mohamed Ali. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es sind noch nicht einmal Kriterien für die Zumutbarkeit (Beifall bei der LINKEN) im Gesetz geregelt. Wer soll das am Ende entscheiden: der Veranstalter, die Gerichte? Bei allem Verständnis für Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): die Ausnahmesituation, in der wir sind, aber manches Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- treibt hier wirklich bunte Blüten. gen! Es erscheint erst mal als eine gute, solidarische Idee, dass Konzerthäuser und Theater, deren Veranstaltungen (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johannes wegen der Coronakrise ausfallen müssen, jetzt Gutschei- Fechner [SPD]: So schlecht ist es auch nicht!) ne ausgeben dürfen, anstatt den Kunden das Geld zurück- erstatten zu müssen. So, könnte man meinen, leistet jeder Eines möchte ich als Juristin noch mal ausdrücklich Kunde einen kleinen Beitrag für die Erhaltung der Kul- sagen: Sie hebeln hier einen zentralen Rechtsgrundsatz turszene, die Hilfe wirklich bitter nötig hat. Aber das ist unseres Zivilrechts aus, der lautet: Ohne Leistung keine ein Trugschluss. Gegenleistung. – Wenn ich also für ein Konzert bezahlt habe, das dann nicht stattfindet, bekomme ich mein Geld Was die Bundesregierung uns hier vorlegt, das ist nur zurück. Diesen zentralen Grundsatz darf man nicht ein- eine Scheinlösung. fach aufheben. Das hat etwas mit Vertrauen in das Recht zu tun. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist die Fraktion!) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea So werden Sie zum einen die Branche nicht retten, zum Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) anderen höhlen Sie den Verbraucherschutz aus, und bei- (B) Es ist nicht mal eine Insolvenzabsicherung dabei. Das (D) des ist inakzeptabel. heißt: Wenn der Veranstalter pleitegeht, dann gehen die (Beifall bei der LINKEN) Kunden komplett leer aus. Und bei Ihren Plänen für Kunst und Kultur sind die Pleiten leider vorprogram- Ja, die Häuser, die bereits viele Eintrittskarten verkauft miert. haben, profitieren kurzfristig. Aber: Irgendwann müssen die Gutscheine ja auch eingelöst werden, und dann fehlen Wir brauchen einen wirksamen Schutzschirm für die die Einnahmen. Das Problem wird also nur vertagt. Au- Veranstaltungshäuser, aber nicht nur für die, auch für die ßerdem bringt diese Regelung all den kleinen Theatern Künstlerinnen und Künstler. An die denken Sie bei dieser und Konzerthäusern, die einen geringen oder gar keinen Regelung übrigens überhaupt nicht. Vorverkauf hatten, überhaupt nichts. Sie steuern weiter- hin ungebremst in die Pleite, Menschen verlieren ihren (Beifall bei der LINKEN) Arbeitsplatz; kulturelle Vielfalt geht verloren. Genau das Das wäre der richtige Weg: – darf doch nicht geschehen, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kommen Sie bitte zum Ende. Und, meine Damen und Herren von der Regierung: Sie zerstören so auch das Vertrauen der Verbraucherinnen Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): und Verbraucher. Denn wer jetzt sein Geld nicht zurück- – kein Zwangskredit, der wenig oder gar nichts bringt, bekommt, obwohl es eigentlich sein gutes Recht sein auf Kosten des Verbraucherschutzes. Freiwillige Guts- sollte, der überlegt es sich doch später zweimal, ob er cheine: ja. Zwangsgutscheine: ein klares Nein. noch einmal dazu bereit ist, im Vorverkauf Konzertkarten oder Ähnliches zu erwerben. Das wird die ganze Branche Vielen Dank. langfristig schädigen. – Sie haben es richtig gesagt, Frau Kollegin Willkomm. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Und was ist mit den Verbraucherinnen und Verbrau- Der nächste Redner: für Bündnis 90/Die Grünen der chern, die das Geld jetzt dringend brauchen, weil sie Kollege Erhard Grundl. selber in finanziellen Schwierigkeiten sind, weil sie durch die Coronakrise in Kurzarbeit sind, weil sie ihren Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 19916 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Großveranstaltung? Oder: Welche Schutzmaßnahmen (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönheit, sind nötig? Trost, Provokation, Inspiration – Kunst ist vieles. Des- halb wird sie verfolgt. Und darum braucht eine freiheit- (Dr. Eva Högl [SPD]: Das stimmt!) liche Gesellschaft Kunst. Diese Kunst ist derzeit in ihrer Unser Antrag sieht vor, einen Kulturrettungsfonds ein- Existenz bedroht. Auch wirtschaftlich geht es um viel. zurichten, um die Lücken im jetzigen Maßnahmenpaket Die Kultur- und Kreativwirtschaft erzielte 2018 etwa zu schließen. 100 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung. Knapp 1,2 Millionen Beschäftigte arbeiten in der Branche, da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von viele als Selbstständige, mit 21,5 Prozent mehr als in Wir brauchen etwa auch eine zentrale Beratungsstelle, allen anderen Branchen. Sie alle sind quasi mit Arbeits- einen Helpdesk für alle Betroffenen. verbot belegt. Der Shutdown, so notwendig er ist, trifft sie alle hart. Meine Damen und Herren, wir sind zu Recht stolz auf unsere weltoffene Kulturlandschaft. Wir sind dankbar für Manche Maßnahmen des Bundes kamen schnell, aber die kreativen digitalen Angebote von Künstlerinnen und auf die spezifischen Bedürfnisse von Kulturschaffenden, Künstlern weltweit, von Igor Levit bis zu den Klubs, die Künstlerinnen und Künstlern waren und sind sie nicht für uns per „United We Stream“ Livemusik machen, und zugeschnitten. Deren Hilferufe dürfen nicht länger unter- vielen, vielen anderen. gehen. Aber von Luft, Liebe und Dankbarkeit können Kunst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Kultur nicht leben. Eine Soforthilfe etwa, die nur Betriebskosten deckt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – geht an der Lebensrealität von Künstlerinnen und Künst- Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau! Wir lern haarscharf vorbei. Der Zugang zur Grundsicherung, müssen was tun!) den Sie, Frau Grütters, als Allheilmittel immer wieder Dass große digitale Plattformen am Kulturangebot im betonen, kann zur Existenzsicherung beitragen, ja – aber Netz verdienen, Künstlerinnen und Künstler aber leer nur, wenn die unternehmerische Freiheit nicht einge- ausgehen, das muss sich ändern. Lassen Sie uns die schränkt wird und wenn Rücklagen für die Alterssiche- Grundlagen schaffen, damit Kunst – Livekunst – in ihrer rung nicht angetastet werden müssen. Denn diese Rück- Vielfalt, ihrem Reichtum, ihrem Widerspruchsgeist und lagen brauchen befristet Beschäftigte dringend, weil sie ihrer Schönheit trotz der Pandemie erhalten bleibt. Rentenlücken überbrücken müssen. Ich vermisse hier Ihr Ich danke Ihnen. (B) Verständnis, Frau Kulturstaatsministerin, gerade für die (D) Arbeitsrealitäten vieler Kulturschaffender. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir befinden uns im roten Bereich der Gain-Anzeige Die nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion die am kulturpolitischen Mischpult, und das ist schon jetzt Kollegin Gitta Connemann. eine Katastrophe für ganz viele. Für alle angekündigten Hilfsangebote gilt: Es ist oft unklar, was gegebenenfalls (Beifall bei der CDU/CSU) zurückgezahlt werden muss. Das wiederum bedeutet nichts anderes, als in eine unsichere Zukunft hinein Gitta Connemann (CDU/CSU): Schulden anzuhäufen. Bereits bewilligte Fördermittel Danke, Herr Präsident. – König Salomo: Sein Name müssen ausgezahlt und umgewidmet werden können, steht für weise Entscheidungen, die allen Interessen ge- um Kultureinrichtungen und Arbeitsplätze zu erhalten. recht werden – wie unsere heutige Gutscheinlösung. Denn damit helfen wir am Ende Veranstaltern, Künstlern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und den Kunden. Die von Ihnen vorgeschlagene Gutscheinlösung für die Seit Beginn der Coronakrise wurden alle Veranstaltun- Veranstaltungsbranche ist dabei keine Lösung. Sie ver- gen abgesagt. Bis Ende August summiert sich das im teilt die Risiken einseitig und schafft Rechtsunsicherheit. Bereich der Kultur auf 120 000 Veranstaltungen. Darun- Zwangsgutscheine kündigen die Solidarität in unserer ter leiden die Besucher. Aber ins Mark getroffen sind die Gesellschaft ein Stück weit auf; denn Solidarität kann Veranstalter und die Künstler – existenziell. nicht verordnet werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall der Abg. Ulle Schauws [BÜND- Katharina Willkomm [FDP]: Das Geld wird NIS 90/DIE GRÜNEN]) doch nicht weitergegeben!) Wie auch beim Verbraucherschutzgesetz bleibt der Ver- Darauf hat unsere Kulturstaatsministerin Monika braucherschutz auf der Strecke. Grütters reagiert. Liebe Monika Grütters, du kämpfst wie eine Löwin für unsere Künstler, für die Kultur – Wir müssen jetzt auch die Wiedereröffnung der Kultur- von Soforthilfen über Honorarausfallgelder bis hin zu einrichtungen orchestrieren, und alle Kultureinrichtun- Orchesterprogrammen. Gemeinsam mit unseren Rechts- gen brauchen einen Fahrplan. Sie brauchen endlich Ant- und Kulturpolitikern hast du diese Lösung mit auf den worten auf Fragen wie zum Beispiel: Was ist eine Weg gebracht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19917

Gitta Connemann (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Danach dürfen Kulturveranstalter ihren Kunden einen Frau Kollegin, bitte. Gutschein ausstellen. Wer das Geld braucht, bekommt es zurück. Alle anderen dürfen sich weiter auf die Veran- Simone Barrientos (DIE LINKE): staltung freuen; die Eintrittskarte dafür haben sie ja be- Der nächste Punkt ist: Sie haben den Kolleginnen und reits in der Tasche. Kollegen, die vor Ihnen gesprochen haben, nicht zuge- hört; aber Sie haben immer reingerufen: Das Geld ist ja Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schon ausgeben; es ist sowieso egal. – Also ist es dann sowieso egal? Oder bekomme ich einen Gutschein für Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der den Veranstalter oder die Location oder den Künstler oder Kollegin Barrientos? wofür eigentlich? (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nein! Wir sind schon anderthalb Stunden über der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Zeit!) Also, die Frage ist verstanden. – Ich würde sagen, wir lassen jetzt die Frau Kollegin antworten. Bitte schön. Gitta Connemann (CDU/CSU): Ja, gerne. Gitta Connemann (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie haben es genau auf den Punkt ge- Simone Barrientos (DIE LINKE): bracht: Das Geld ist ausgegeben, in Ihrem Fall für ein Ganz vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen Konzert von Bob Dylan, und dazu möchte ich Ihnen darf. – Sie haben gerade gesagt, diese Gutscheinregelung gratulieren; das ist eine kluge Entscheidung. würde sowohl Veranstaltern als auch Künstlerinnen und Künstlern oder wem auch immer, sogar den Verbrauchern (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – helfen. Das ist Unsinn. Es hilft weder den Veranstalterin- Simone Barrientos [DIE LINKE]: Das wird nen und Veranstaltern – es hilft einigen, aber nicht allen –, aber nicht mehr stattfinden!) und es hilft schon gar nicht den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ich möchte mal ein Fallbeispiel aufma- Und das Gute ist – ich glaube, das haben Sie nicht be- chen. griffen –, dass mit dieser Gutscheinlösung ja nicht die Veranstaltung in Gänze aufgehoben ist, sondern dass Sie sich auch im kommenden Jahr genau auf dieses Kon- Gitta Connemann (CDU/CSU): (B) zert freuen dürfen. Damit sind Sie doch Gewinnerin; die (D) Nein, Sie haben eine Frage. Eintrittskarte haben Sie ja bereits in der Tasche.

Simone Barrientos (DIE LINKE): (Zuruf der Abg. Simone Barrientos [DIE LIN- Doch, ich möchte dann die Frage beantwortet haben, KE]) wie Sie sich dieses Fallbeispiel konkret vorstellen. Deswegen sprechen wir, meine Damen und Herren, Ich bin also Kundin A und habe für meine Kinder und hier von einer salomonischen Lösung. Die wird hier im mich einen Konzertbesuch bei Bob Dylan am Strand ge- Haus von der Opposition abgelehnt; wir haben es gehört. bucht. Da gibt es einen Veranstalter, es gibt eine Location, Sie setzen auf Freiwilligkeit; aber, meine Damen und es gibt einen Künstler. Wer profitiert jetzt von dieser Herren, diese Möglichkeit gibt es bereits. Zur Wahrheit Gutscheinregelung, der Veranstalter, der Künstler, der gehört: Sie wird kaum genutzt. Ticketverkäufer oder die Location? Das wäre die erste Im Ernst: Sie singen hier das Hohelied der Liebe für Frage. Kunst und Kultur.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Nee!) Es gibt nur eine Frage, Frau Kollegin. Aber Künstlerinnen und Künstler leben nicht von Luft, nicht von Liebe, nicht von warmen Worten. Sie brauchen Simone Barrientos (DIE LINKE): Geld, keine Almosen, sondern Einkommen. Okay, dann lasse ich die Frage weg – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Kein Künst- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ler bekommt dadurch Geld! Keiner!) Gut. Und hier könnten Sie sich beweisen – für die Künstler –, nicht mit Krokodilstränen, sondern mit entsprechenden Simone Barrientos (DIE LINKE): Worten. Aber ich sage ganz deutlich: Wenn es hart auf – und ergänze meine Frage. hart kommt, etwas für Künstlerinnen und Kultur zu tun, dann sind Sie nicht da. So ist das eben mit Parteien, die (Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜND- nur für den Sonnenschein oder den Sozialismus taugen: NIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlan- warme Worte, falsche Taten. gen] [CDU/CSU]: Herr Präsident, wir sind schon anderthalb Stunden über dem Zeitplan!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 19918 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Gitta Connemann (A) Reden wir an dieser Stelle doch mal Klartext: Wie soll Martin Rabanus (SPD): (C) das funktionieren, wenn jeder sein Ticket zurückgibt? Für Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- den Kunden sind es 12 Euro, 30 Euro oder 60 Euro pro ne sehr verehrten Damen und Herren! In der jetzigen Karte; aber in der Summe sind es 5 Milliarden Euro für Debatte um die zweite und dritte Lesung des Veranstal- den Veranstaltungsbetrieb. tungsvertragsrechtes wollen wir den Veranstaltern die Möglichkeit eröffnen, Gutscheine auszureichen, statt Ti- (Christian Dürr [FDP]: DAX-Konzerne werden cketpreise zu erstatten. Das hilft den Veranstaltern; denn mit Steuergeld gerettet, aber den Mittelstand es hält Liquidität im Unternehmen und verhindert damit muss der Verbraucher retten!) Insolvenz. Das hilft wiederum den Kundinnen und Kun- Der Präsident der Veranstaltungswirtschaft, Jens Mi- den; denn diese haben im Falle der Insolvenz des Veran- chow, hat die Folgen drastisch beschrieben – ich zitiere –: stalters natürlich mit einem Totalverlust zu rechnen. „Wenn die Gutscheinlösung nicht kommt, wird es in der Trotzdem haben alle recht, die sagen, dass das ein tiefer Veranstaltungsbranche ein Blutbad geben.“ Wollen Sie Eingriff in das Vertragsrecht ist. Das hat mein Kollege das? Wollen das die Bürger in unserem Land? Die Ant- Johannes Fechner schon ausgeführt. wort der CDU/CSU-Bundestagsfraktion lautet: Nein. Deswegen haben wir es uns als Sozialdemokratie – übrigens weder in diesem Parlament noch in der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und regierung – nicht leicht gemacht, diesen Schritt zu unter- der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) nehmen. Aber in Abwägung der Vor- und Nachteile, die Die Menschen brauchen gerade jetzt Kultur für ihre See- wir in dieser Coronakrise an vielen Stellen vorzunehmen le, für ihr Überleben. Machen Sie das bitte nicht kaputt! haben, haben wir uns entschlossen, diesen zu machen. Es gibt die Härtefallregelung, die schon besprochen worden Außergewöhnliche Umstände – und in denen befinden ist. Es gibt nach unserer Einschätzung auch die Übertrag- wir uns – erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, barkeit der Gutscheine, die ausgereicht werden. Und es wenn sie dem Einzelnen zumutbar sind. Dafür sorgen gibt am Ende – das ist die notwendige Voraussetzung im wir mit der Härtefallklausel. Diese Gutscheinlösung hilft Umgang mit dieser Regelung – auch die Einsicht, dass allen: unserer Kulturlandschaft, damit sie facettenreich Veranstalter und Kunden mit Augenmaß in einen Aus- bleibt, den Kunden – noch einmal: wenn jetzt alle eine gleich zu bringen sind. Deswegen – Strich drunter –: in Rückzahlung fordern würden, gingen die Veranstalter in der Summe ein gutes und richtiges Gesetz, das hilft, un- die Insolvenz; da gibt es dann für keinen mehr etwas zu sere Strukturen in der Kultur zu erreichen. holen; da ist doch der Gutschein besser – und am Ende Aber darüber hinaus – die Opposition hat eine ganze den Künstlerinnen und Künstlern. So sichern wir ihre Reihe von Anträgen eingebracht mit zu beachtenden (B) Zukunft nach der Krise. (D) Punkten – brauchen wir natürlich konkrete Hilfen für (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Wie ab- Kunst und Kultur. surd!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Für diesen Weg gibt es eine breite Zustimmung. Für Motschmann [CDU/CSU] und Erhard Grundl den Deutschen Kulturrat – vielleicht hätte man sich mit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dem auch mal unterhalten sollen – Deswegen hat die SPD-Bundestagsfraktion dazu vorges- tern ein Positionspapier für sich beschlossen, in dem wir (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ach was!) noch einmal die soziale Lage der Künstlerinnen und ist diese Gutscheinlösung eine – ich zitiere – „richtige Künstler adressieren, über die wir an verschiedenen Stel- und wichtige Maßnahme … Es wird … wichtige Zeit len gesprochen haben. Vor allem wollen wir noch einmal gekauft“. Präsident Michow warnt: Sollte die Regelung die Sicherung der kulturellen Infrastruktur zum Schwer- heute nicht beschlossen werden, „rechnen wir damit, dass punkt machen. 30 bis 40 Prozent … Insolvenz anmelden müssen.“ (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Aber ein Liebe Opposition, übernehmen Sie Verantwortung! Positionspapier reicht nicht!) Stimmen Sie dieser salomonischen Lösung zu, für die Wir haben uns nicht in erster Linie mit den Einrichtungen Besucher, für die Veranstalter und für die Künstler. in alleiniger Bundesträgerschaft, Landesträgerschaft oder kommunaler Trägerschaft befasst, sondern sehr dezidiert (Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) mit der Situation der vielen privaten Kultureinrichtungen, die dringend Nothilfe brauchen, um die Phase des Lock- Denn was wären wir ohne Kultur? Arm dran! downs überstehen zu können. Ansonsten wird es vieler- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) orts gar keinen Neustart mehr geben können, weil die kleinen Kultureinrichtungen das nicht überstehen. Das gilt für Musikklubs ebenso wie für Festivals, für Kinos, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für Theater, für Orchester. Für all diese Bereiche muss Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Für die etwas getan werden. SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Martin Rabanus. Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir Unterstützung für die Kultur über die enge Phase des (Beifall bei der SPD) Lockdowns hinaus. Deswegen bin ich auch der Bundes- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19919

Martin Rabanus (A) kanzlerin und unserem Vizekanzler besonders dankbar, Eingriff in das Leistungsstörungsrecht muss gut begrün- (C) dass sie am Wochenende deutlich gemacht haben und det werden, und wir brauchen eine Härtefallregelung. adressiert haben, dass eine große Aufgabe zu vollbringen Diese Härtefallregelung findet sich im Gesetz. Ich glau- ist. be, dass wir mit dieser Härtefallregelung auch gut zu- rechtkommen. Ich meine, mit dem Verweis auf persön- Herr Präsident, ich komme zum Schluss. liche Gründe ist nicht gemeint – ich will das ausdrücklich betonen –, dass der Gläubiger nachweisen muss, dass er Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das Geld jetzt dringend braucht, sondern dass es für ihn Bitte. wichtig ist, das Geld jetzt zu bekommen. Deswegen, glaube ich, reicht die Härtefallregelung aus, um damit Martin Rabanus (SPD): dem Interessenausgleich gerecht zu werden. Ich weiß, Die SPD unterstützt diese Position mit Nachdruck. Das dass es ein Eingriff in das Vertragsrecht ist. Aber er dient muss uns unsere kulturelle Grundversorgung wert sein. dazu, in einer Kulturnation die Belange von vielen Tausend, von vielen Zehntausend Künstlern und Kultur- Herzlichen Dank. schaffenden zu bewahren. Ich glaube, das ist ein (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tragfähiger Interessenausgleich. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Darüber hinaus müssen wir Sorge dafür tragen, dass Vielen Dank, Herr Kollege. – Der letzte Redner zu wir unabhängig von der Gutscheinlösung über eine Art Tagesordnungspunkt 15 ist der Kollege Dr. Volker Fonds oder über Hilfszahlungen deutlich machen, dass Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. Kulturschaffende, die im Augenblick keine Aufträge ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, nicht sofort in Hartz IV fallen,

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ja, wann Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- denn? Wir reden seit Wochen, und es passiert ren! Das kulturelle Leben und der Veranstaltungsbereich nichts!) in Deutschland stehen seit zwei Monaten still. Gerade im sondern dass sie wegen ihrer Möglichkeiten und ihrer Bereich Kunst und Kultur leben viele Künstler, die enga- Darstellung für die Gesellschaft insgesamt Hilfe erfah- giert arbeiten, oftmals von der Hand in den Mund, und ren. Dafür werden wir uns gemeinsam mit Monika jetzt fehlen ihnen die Einnahmen. Grütters im Kanzleramt einsetzen. (B) (D) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herzlichen Dank. NEN]: Manchen Verbrauchern auch!) Jetzt stellt sich die Frage: Wie geht der Rechtsstaat mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dieser schwierigen Gemengelage um? Nach dem Leis- ordneten der SPD) tungsstörungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches hat jemand, der ein Konzert nicht besuchen kann, weil es Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:1) ausfällt, natürlich einen Anspruch auf die Geldersatzleis- Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Ich schließe die tung – gar keine Frage. Aber wir müssen uns fragen, ob in Aussprache. dieser Gesamtsituation das klassische Leistungsstörungs- recht tatsächlich interessengerecht ist. Es gibt in § 313 Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- des Bürgerlichen Gesetzbuches den Gedanken des Weg- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- falls der Geschäftsgrundlage. Er formuliert eigentlich: wurf zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pande- Was würden beide Parteien regeln, wenn sie wüssten, mie im Veranstaltungsvertragsrecht. dass ein großes Ereignis eintritt, welches die ursprüng- Zur Abstimmung liegt eine Erklärung gemäß § 31 der liche Planung zunichtemacht? Der Umstand, dass wir 2) gesamtgesellschaftlich aus Gründen des Gesundheits- Geschäftsordnung vor. Der Ausschuss für Recht und schutzes einen Lockdown haben, ist eine Art gesamtge- Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner sellschaftlicher Wegfall der Geschäftsgrundlage. Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19218, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/18697 in der Ausschussfassung anzuneh- Deswegen müssen wir dieses Thema anders diskutieren. men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Wir verlangen hier nichts Unzumutbares. Wir verlan- chen. – CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dagegen? – Da- gen nur, dass aus Gründen der Interessenrettung der Kul- gegen stimmen AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die turschaffenden und der Kunst vornehmlich Gutscheine Linke. Die Opposition ist geschlossen dagegen. Enthal- ausgereicht werden. tungen? – Keine. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen an- (Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Es sind genommen. nicht die Kulturschaffenden, die profitieren!)

Damit bleibt das Leistungserleben für eine vorüberge- 1) Siehe Neudruck, 162. Sitzung, Anlage 3, Seite 20211 D ff. hende Periode bestehen. Aber wir sagen auch: Ein solcher 2) Anlage 7 19920 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Dritte Beratung nachhaltig gestalten – Rasch eine Exit-Strategie einlei- (C) ten“. Wer stimmt für diesen Antrag der AfD? – Die und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem AfD. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist damit Das sind wieder die CDU/CSU- und die SPD-Fraktion. abgelehnt. Gegenstimmen? – Das sind alle übrigen Fraktionen: AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – Tagesordnungspunkt 15 e. Abstimmung über den von Keine. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Opposition zes zur Änderung des EG-Verbraucherschutzdurchset- angenommen. zungsgesetzes sowie des Gesetzes über die Errichtung Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- des Bundesamts für Justiz. Der Ausschuss für Recht lung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschluss- auf Drucksache 19/19218 fort. empfehlung auf Drucksache 19/19213, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/16781 Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- und 19/17295 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- tion der FDP auf Drucksache 19/18224 mit dem Titel chen. – CDU/CSU, SPD, FDP, AfD und Bündnis 90/Die „Kultur-und Kreativwirtschaft in der Corona-Krise über- Grünen. Gegenstimmen? – Die Linke. Enthaltungen? – lebensfähig machen“. Wer stimmt für die Beschlussemp- Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung fehlung des Ausschusses? – CDU/CSU, SPD und Linke. gegen die Stimmen der Linken von allen übrigen Fraktio- Wer stimmt dagegen? – FDP, Grüne. Enthaltungen? – nen des Hauses angenommen. AfD. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist da- mit angenommen. Dritte Beratung Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem be c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – 19/19202 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der Das sind wieder alle Fraktionen mit Ausnahme der Lin- FDP auf Drucksache 19/18668 mit dem Titel „Kultur- ken. Gegenstimmen? – Fraktion Die Linke stimmt dage- und Kreativwirtschaft krisen- und zukunftsfest gestal- gen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist ange- ten“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Aus- nommen. schusses? – CDU/CSU, SPD und AfD. Gegenprobe! – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 und den Zusatz- Grüne und FDP. Enthaltungen? – Die Linke. Die Be- punkt 7 auf: (B) schlussempfehlung ist damit angenommen. (D) Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- 16 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- desregierung eingebrachten Entwurfs eines tion Die Linke auf Drucksache 19/18691 mit dem Titel Gesetzes über die Verteilung der Makler- „Medienvielfalt und Journalismus in der Corona-Krise kosten bei der Vermittlung von Kaufver- schützen – Demokratie braucht kritische Öffentlichkeit“. trägen über Wohnungen und Einfamilien- Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – CDU/CSU, häuser SPD und AfD. Gegenprobe! – Die Linke und die Grünen. Drucksache 19/15827 Enthaltungen? – FDP. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist angenommen. – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Christian Kühn (Tübingen), Buchstabe e. Hier empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Britta Haßelmann, Canan Bayram, weiteren nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 19/18692 mit dem Titel „Corona-Hilfen an die Arbeits- 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs und Lebensbedingungen von Kulturschaffenden anpas- eines Gesetzes zur Entlastung von Ver- sen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Aus- brauchern beim Kauf und Verkauf von schusses? – CDU/CSU, SPD, AfD. Gegenprobe! – Grüne Wohnimmobilien (Makler-Bestellerprin- und Linke. Enthaltungen? – FDP. Die Beschlussempfeh- zip- und Preisdeckelgesetz) lung ist damit angenommen. Schließlich Buchstabe f der Beschlussempfehlung: Drucksache 19/4557 Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Grünen auf Drucksache 19/18715 mit dem Titel „Maß- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- nahmen zur Rettung der kulturellen Infrastruktur in der schuss) Corona-Krise“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- lung? – CDU/CSU, SPD und AfD. Gegenprobe! – Linke, Drucksache 19/19203 Buchstabe a und Buch- Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Enthaltungen? – Kei- stabe c ne. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist ange- ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von den Abge- nommen. ordneten Roman Johannes Reusch, Dr. Lothar Tagesordnungspunkt 15 d. Abstimmung über den An- Maier, Stephan Brandner, weiteren Abgeordne- trag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/19159 mit ten und der Fraktion der AfD eingebrachten Ent- dem Titel „Nothilfen für Kultur- und Kreativwirtschaft wurfs eines Gesetzes über die Reduktion der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19921

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Kaufnebenkosten bei der Vermittlung von gemerkt, wie wichtig es ist, eine Wohnung zu haben, in (C) Kaufverträgen über Immobilien der man sich wohlfühlt. Drucksache 19/17120 Als ich hier angefangen habe – im Januar 2009 –, ha- ben wir in Berlin über Leerstand diskutiert; da standen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ganz viele Wohnungen leer. Das hat sich radikal geändert, ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- in kürzester Zeit. Heute reden wir über Verdrängung und schuss) über enorme Mietsteigerungen. Drucksache 19/19203 Buchstabe b Das Thema „Wohnen und Miete“, liebe Kolleginnen Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. und Kollegen – auch das ist bekannt –, ist in der Koalition kein leichtes Thema gewesen. Wir haben wirklich um Ich eröffne die Aussprache und erteile zu ihrer voraus- jedes Komma, um jeden Halbsatz gerungen, bei jedem sichtlich letzten Rede als Abgeordnete des Deutschen einzelnen Gesetzentwurf. Und wenn man berücksichtigt, Bundestages das Wort der Kollegin Dr. Eva Högl. Bitte dass ich zu denjenigen gehöre, die in Berlin den Mieten- schön. deckel mit auf den Weg gebracht haben, und Teile der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan- Unionsfraktion gegen den Mietendeckel in Karlsruhe kla- Marco Luczak [CDU/CSU]) gen, dann weiß man, wie groß die Spannungen bei diesem Thema innerhalb der Koalition sind. Trotzdem möchte ich betonen, dass wir viel auf den Weg gebracht haben Dr. Eva Högl (SPD): in den letzten Jahren. Die SPD war hartnäckig, und in der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Koalition konnte eine Einigung erzielt werden. Ich er- Kollegen! Es freut mich wirklich sehr, dass wir heute den innere daran, dass wir die Mietpreisbremse eingeführt Gesetzentwurf zur Verteilung der Maklerkosten abschlie- haben, das Wohngeld erhöht und angepasst haben sowie ßend beraten und ich in meiner letzten Rede als Abge- die Themen der Förderung des sozialen Wohnungsbaus, ordnete – Herr Präsident hat gesagt: „voraussichtlich“ – der Modernisierungsumlage und – heute – der gerechten um Ihre Zustimmung bitten darf. Verteilung der Maklerkosten angegangen sind. Es ist ja bekannt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Wir haben hier aber noch eine Menge auf der Agenda, die SPD gerne das Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ umge- und ich hoffe, dass das nicht in Vergessenheit gerät; ich setzt hätte. Wir haben auch sehr lange gerungen in der weiß sogar, dass das nicht der Fall sein wird. Es ist wirk- Koalition; aber es ist gut, dass wir jetzt eine Einigung lich dringend nötig, dass wir beim Gewerbemietrecht zu erzielt haben. Und es ist eine gute Einigung: Wir bekom- Regelungen kommen. (B) men jetzt einheitliche, verbindliche Regelungen bei der (D) Vermittlung von Kaufverträgen über Wohnungen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Einfamilienhäuser. Wir bekommen damit Transparenz Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE und Rechtssicherheit. GRÜNEN]) Für die SPD möchte ich betonen: Uns war auch sehr Wir brauchen Regelungen, die eine verbindliche und wichtig, dass die Käufer und Käuferinnen ihren Anteil rechtssichere Aufstellung von Mietspiegeln ermöglichen. erst dann bezahlen müssen, wenn die Verkäuferinnen Und am Baugesetzbuch wird ja auch gearbeitet. und Verkäufer nachgewiesen haben, dass sie ihren Anteil an der Maklerprovision gezahlt haben, sodass wir wirk- Jetzt, ganz zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kol- lich eine hälftige Aufteilung haben, und zwar Zug um legen, möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Elf Jahre Zug. Damit leisten wir wirklich einen ganz wichtigen war ich hier Abgeordnete, und ich bedanke mich für elf Beitrag dazu, dass die Kaufnebenkosten gesenkt werden, Jahre wirklich gute Zusammenarbeit. Vielen lieben Dank gerecht verteilt werden. Wir wissen, liebe Kolleginnen für den kollegialen Austausch! und Kollegen, dass es für viele, die eine eigene Immobilie erwerben wollen, tatsächlich eine hohe Hürde ist, wenn Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit auch dafür die Kaufnebenkosten zu hoch sind. bedanken, dass Sie mir Ihr Vertrauen geschenkt haben und mich zur Wehrbeauftragten gewählt haben. Das be- Gestatten Sie mir ein paar darüber hinausgehende Be- deutet mir sehr viel. Ich freue mich sehr auf die neue merkungen. Das Thema „Wohnen und Miete“ war ein Aufgabe. Ich bin ja nicht weg, sondern wechsele nur wirklich wichtiges Thema – es bleibt wichtig –, das für den Platz, habe alle weiterhin im Blick und freue mich mich als Abgeordnete im Zentrum meiner Tätigkeit dann natürlich in neuer Rolle auf weiterhin gute Zusam- stand, sowohl in meinem Wahlkreis Berlin-Mitte als auch menarbeit. hier im Parlament. Obwohl wir kein Grundrecht auf Woh- nen in unserem Grundgesetz haben, was ich persönlich Ich wünsche Ihnen und euch alles Gute und viel Erfolg sehr bedauere, bei der weiteren Arbeit für unsere Demokratie. Auf ein Wiedersehen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Danke schön. ist das Wohnen für die Menschen doch ganz zentral und – (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, neben Arbeit und anderen Dingen – ganz entscheidend. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Wir haben gerade jetzt in der Coronakrise auch wieder GRÜNEN) 19922 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bundesländern – Berlin, Brandenburg, Hessen, Ham- (C) Vielen Dank, Frau Kollegin. Alles Gute für Ihre neue burg, Bremen – zahlt der Käufer grundsätzlich alles. Aufgabe! – Der nächste Redner für die Fraktion der AfD Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kostenteilung ist ist der Kollege Dr. Lothar Maier. im Prinzip ja akzeptabel, aber sie kann umgangen wer- (Beifall bei der AfD) den, und es besteht die Gefahr, dass der Käufer am Ende auch noch Grunderwerbsteuer auf die Maklerkosten zah- len muss. Dr. Lothar Maier (AfD): Noch einmal: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wie kann ehrte Damen und Herren! Wenn wir heute hier über die sie denn umgangen werden?) Maklerkostenentwicklung reden, dann reden wir im Grunde zumindest auch über die Folgen einer Entwick- Maklerprovisionen wären dann akzeptabel, wenn sie in lung, die zu einer Explosion der Immobilienpreise in einer degressiven Weise nach der Höhe der Kosten des Deutschland geführt hat. Immobilienerwerbs gestaffelt wären. Es wäre vernünftig, bei einem Objekt, das eine Million Euro kostet, eine In vielen Städten ist es innerhalb von nur zehn Jahren Maklergebühr von 2 oder 3 Prozent zu vereinbaren und zu einer Verdoppelung der Immobilienpreise gekommen. bei einem Objekt in einer benachteiligten Region, das Hier in Berlin finden Sie Viertel, in denen diese Verdop- 60 000, 70 000 oder 80 000 Euro kostet, eine Maklerge- pelung der Preise sieben Jahre gedauert hat. Durch- bühr von 6, 7 oder mehr Prozent zu verlangen; denn der schnittlich verdienende Familien, die sich noch vor 10, Einsatz des Maklers ist dort ja auch viel größer. 15 Jahren ohne Weiteres ein Eigenheim, eine Dreizim- merwohnung, leisten konnten, können das heute auf- Schließlich meine ich, auch die Deckelung der Makler- grund dieser Preisentwicklung nicht mehr. kosten auf eine bestimmte Maximalhöhe sollte kein Tabu sein. Es gibt Gebührenordnungen für Ärzte, für Anwälte, Hier müssen wir uns durchaus auch ein Stück an die für Notare. Warum sollte es eine solche Gebührenord- eigene Nase fassen. Wir – nicht nur dieses Hohe Haus, nung nicht auch für die Makler geben? sondern der Staat insgesamt, auch auf der Ebene der Länder und der Gemeinden – haben über Jahrzehnte dazu (Beifall bei der AfD) beigetragen, dass durch immer neue und weitergehende Das wäre zumindest ein Beitrag, um hier eine Situation Auflagen das Bauen systematisch verteuert wurde. wiederherzustellen, in der das Wohnen wieder bezahlbar ist. Das verlangen ja viele von Ihnen – auch in Ihren (Beifall bei der AfD) Wahlkämpfen –: Macht das Wohnen bezahlbar! – Hier (B) Das ist aus verschiedenen Gründen geschehen: Barriere- ist die Gelegenheit dazu. (D) freiheit, Energieeinsparung, Einbruchsicherheit, Lärm- und Brandschutz und vieles andere mehr. Das alles ist Ich danke Ihnen. natürlich wünschenswert, aber je höher die Standards (Beifall bei der AfD) werden, desto höher sind die Preise und am Ende auch die Mieten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vor einer Reihe von Jahren hat ein sehr luzider Mana- Vielen Dank, Professor Maier. – Der nächste Redner ist ger eines großen deutschen Automobilkonzerns mit ei- für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Jan-Marco nem französischen Namen mal gesagt: Unsere Autos Luczak. werden immer besser. Bald werden sie so gut sein, dass sie sich kein Mensch mehr leisten kann. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): So ähnlich ist es in der Bauwirtschaft auch gekommen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst festhalten: Heute ist nicht (Beifall bei der AfD) nur ein guter Tag für die Kultur – aufgrund der gerade Nun heißt es, hier gegenzusteuern. Das wäre zum Bei- beschlossenen Gutscheinlösung –, sondern heute ist auch spiel möglich, indem wir die Grunderwerbsteuer senken. ein guter Tag für das Eigentum. Mit der Regelung, die wir Das machen wir natürlich nicht. Es könnten ja Steuern jetzt beschließen wollen – der Teilung der Maklerkos- verloren gehen. Wir könnten an die Notargebühren ran- ten –, wollen wir als Union und als Große Koalition etwas gehen. Das machen wir natürlich auch nicht. Wir wollen dafür tun, dass die Eigentumsbildung in unserem Land diese Klientel ja nicht verschrecken. besser möglich wird. Ich glaube, das ist ein großer Wunsch von vielen Familien. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Da zuckt die Über 80 Prozent der Menschen träumen davon, in den FDP schon!) eigenen vier Wänden zu wohnen. Das zeigt ja etwa auch Die aktuelle Situation sieht so aus: In einigen Bundes- der große Erfolg des Baukindergeldes; wir können jetzt ländern ist das, was der Gesetzentwurf vorsieht, nämlich schon 180 000 Anträge im Umfang von vielen Milliarden die Teilung der Maklerkosten zwischen Käufer und Ver- Euro verzeichnen. Den Menschen den Traum von den käufer, schon Realität. Es ist aber uneinheitlich. In man- eigenen vier Wänden zu ermöglichen, ist das Ziel dieses chen Bundesländern ist diese Teilung Realität, in anderen Gesetzentwurfs. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19923

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Was hindert die Menschen an der Verwirklichung die- Ich glaube, das ist etwas, was es gerade beim Besteller- (C) ses Traums? Ganz oft sind es die hohen Kaufnebenkos- prinzip, was hier ja gelobt worden ist, nicht gegeben ten. Es gibt zum Beispiel die Grunderwerbsteuer; sie ist hätte. Dort hätte man in der Regel eine einseitige Bera- gerade schon angesprochen worden. Wir als Union strei- tung nur zugunsten des Bestellers gehabt. Das heißt, der ten in besonderer Weise darum, dass diese Grund- andere wäre am Ende schutzlos gewesen. Beim Besteller- erwerbsteuer gesenkt wird. Das ist eine Sache, die wir prinzip – wir haben ja lange darüber diskutiert – wäre es als Bundesgesetzgeber nicht selber machen können; da für den Marktstärkeren darüber hinaus ein Leichtes ge- sind die Länder in der Pflicht. Ich würde mir wünschen, wesen, diesen Provisionsanteil, den er selber hätte zahlen dass sich gerade die Länder, die in besonderer Weise da- müssen, einfach auf den Kaufpreis draufzuschlagen. Das rauf drängen, dass man auch bei den Mieten etwas macht, wären für den Käufer am Ende in der Regel Steine statt vielleicht auch mal an die eigene Nase fassen und gucken, Brot gewesen. Er hätte nicht nur einen höheren Kauf- wo die Kostentreiber sind, gegen die man etwas tun kann, preis, sondern auch eine höhere Grunderwerbsteuer und zum Beispiel eben gegen die Grunderwerbsteuer. höhere Notarkosten zahlen müssen. Das wäre kein guter Mechanismus gewesen. Richtig ist aber: Zu den Kaufnebenkosten gehören zu einem wesentlichen Anteil auch die Maklerkosten. Des- Deswegen ist es richtig, dass wir die Teilung der Mak- wegen setzen wir bei diesem Gesetzentwurf dort an. Wir lerkosten beschlossen haben. Das ist ein guter Tag für das teilen die Maklerkosten zukünftig; halbe-halbe soll es Eigentum, und deshalb bitte ich Sie alle hier herzlich um zukünftig sein. Ich glaube, das ist eine wirklich faire Zustimmung. und gerechte Lösung. Das zeigt sich ja auch daran, dass Vielen Dank. diese Regelung heute schon in 11 von 16 Bundesländern Realität ist, ohne dass der Gesetzgeber dort irgendwie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eingreifen musste; das hat sich als Marktstandard ent- ordneten der SPD) wickelt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir übertragen diese von den Beteiligten als fair und Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin: gerecht empfundene Lösung jetzt auf das gesamte Bun- für die Fraktion der Freien Demokraten die Kollegin desgebiet, weil es in der Tat auch Gebiete gibt, in denen Katharina Willkomm. Wohnungsknappheit herrscht – in den Ballungsgebieten, in den großen Städten – und die Käufer in einer (Beifall bei der FDP) schwächeren Verhandlungsposition sind. Dort müssen sie heute die Provision noch alleine zahlen. Wir sagen Katharina Willkomm (FDP): (B) (D) jetzt: „Nein, zukünftig muss diese Provision geteilt wer- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den“, und wir verknüpfen beides miteinander. Der Anteil, Kollegen! Die absolute Mehrheit der Deutschen träumt den der Verkäufer an der Provision zahlen muss, und der den Traum vom Eigenheim. Die eigenen vier Wände be- Anteil, den der Käufer an der Provision zahlen muss, freien: keine Mietenexplosion, keine Eigenbedarfskündi- müssen zukünftig gleichgewichtet sein. gung, dafür finanzielle Sicherheit bis ins hohe Alter. Wir Freien Demokraten streben daher seit Jahren danach, Damit sorgen wir für einen ganz klugen marktwirt- Deutschland in die Eigentümernation zu verwandeln, in schaftlichen Mechanismus; denn es gibt ja immer Situa- der die meisten Menschen gerne leben würden. tionen, in denen es einen Marktstärkeren und einen Marktschwächeren gibt. In der Regel wird es der Markt- (Beifall bei der FDP) stärkere sein, der mit dem Makler in Kontakt tritt und mit Ein kurzer Blick in die Statistik aber ernüchtert: Das ihm über die Provision verhandelt. Aus seiner Position reichste Land der EU vermag es nicht, seinen Bürgern der Stärke heraus wird er natürlich einen Anreiz haben, den Weg ins Eigenheim zu ebnen. Wohlstand für alle die Provision herunterzuhandeln. Das kann er eben auch, bleibt ein Ideal, Stillstand für viele ist die Realität. Die weil er in der starken Position ist. Das führt automatisch hohe Abgabenlast macht es Familien mit kleinem oder dazu, dass der Marktschwächere am Ende auch davon mittlerem Einkommen nahezu unmöglich, nennenswerte profitiert, weil ein Verkäufer hier in Berlin zum Beispiel Rücklagen für den Hauskauf anzusparen. sagen wird: Ich zahle doch nicht die Hälfte von 7,14 Pro- zent, sondern nur von maximal 5 Prozent. Das heißt, am Immerhin hat die Bundesregierung endlich erkannt, Ende hat tatsächlich auch der Käufer etwas davon. Des- was wir Freien Demokraten seit Jahren sagen: Die Kauf- wegen ist das ein kluger marktwirtschaftlicher Mechanis- nebenkosten sind zu hoch. Vor allem zwei Posten fallen mus, für den wir dort sorgen. dabei ins Gewicht: die Grunderwerbsteuer, die immer anfällt, und die Maklerprovision, falls sie anfällt. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Regierungsentwurf setzt aber alleine bei den Mak- Für uns war an dieser Stelle Folgendes auch noch ganz lerkosten an. Zumindest macht er eines richtig: Er ver- wichtig: Für die meisten Menschen ist der Immobilien- zichtet auf einen starren Provisionsdeckel. Viele Makler erwerb die größte Investition ihres Lebens. Deswegen müssen ihr Geld auf dem flachen Land verdienen; für sie brauchen sie an dieser Stelle auch eine gute Beratung. wäre ein Deckel schlichtweg ruinös. Stattdessen sollen Mit dieser Verknüpfung, dieser Teilung der Maklerprovi- Verkäufer und Käufer zukünftig gemeinsam zahlen; so sion, wird der Makler zukünftig beiden Vertragsparteien hat auch der Verkäufer ein Interesse, die Provision nied- verpflichtet sein. Er muss beide kompetent beraten. rig zu halten. Klingt zunächst logisch. Doch auch in den 19924 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Katharina Willkomm (A) Bundesländern, in denen die Provision schon seit Jahr- Oder eine Begrenzung der Bodenpreise durch einen Bo- (C) zehnten geteilt wird, ist die Provision in Summe genauso denpreisdeckel. hoch wie überall sonst. Die Verkäufer werden ohnehin ihren Provisionsanteil – wenn auch nicht komplett, so (Beifall bei der LINKEN) doch zu einem Teil – einfach auf den Kaufpreis aufschla- Oder dafür sorgen, dass bundesweit Mietendeckel gelten. gen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Sie sagen, Sie wollen die Käufer entlasten. Aber in Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Abwarten, begehrten Ballungsgebieten, wo Häuser zu Mondpreisen was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt!) verkauft werden, wird Ihre Regulierung keine Entlastung bringen. Alles das fordert Die Linke seit vielen Jahren, doch bei der Regierung Fehlanzeige. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zu Der Entwurf krankt zudem an einem Informations- Recht!) problem: Der Käufer muss seinen Teil der Provision erst zahlen, wenn der Verkäufer schon bezahlt hat; Nachlässe Heute sprechen wir über eine andere, über eine kleine- bei der Provision sollen beiden Kaufvertragsparteien zu- re Stellschraube, nämlich über die Begrenzung von Mak- gutekommen. Aber woher sollen die Beteiligten wissen, lergebühren. Wer in Deutschland eine Wohnung kauft, wer was gezahlt hat und welche Provision vereinbart muss in aller Regel neben hohen Kaufpreisen auch noch war? Hier fehlt es an Transparenz. Die hätte eine dekla- hohe Maklergebühren übernehmen, bis zu 7 Prozent des ratorische Klausel im Kaufvertrag bringen können. Aber Kaufpreises zusätzlich. Wer eine Eigentumswohnung für Sie haben das nicht festgeschrieben, Sie haben es ver- 430 000 Euro kauft, muss also zusätzlich 30 000 Euro pennt, und die Käufer werden es ausbaden. Maklerkosten zahlen. Das ist doch eine absurd hohe Summe! In Großbritannien und in den Niederlanden lie- (Beifall bei der FDP) gen die Gebühren unter 2 Prozent; daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen! Wenn Sie den Menschen wirklich helfen wollen, gehen Sie den direkten Weg: Senken Sie die Steuern! Wir Freien (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Demokraten fordern deshalb einen Freibetrag bei der Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ist ein Grunderwerbsteuer; einen entsprechenden Antrag haben ganz anderes System, Frau Kollegin!) wir – leider erfolglos – in diesem Hohen Haus bereits vorgelegt. Damit würde der Kauf des Eigenheims schlag- Diese hohen Gebühren stehen auch in keinem Verhält- artig erheblich günstiger, und Umgehungstricks wären nis zur Leistung des Maklers; denn in angespannten Woh- (B) (D) ausgeschlossen. nungsmärkten ist der Verkauf einer Wohnung oft ohne besonderen Aufwand möglich – weil ja jeder froh ist, Vielen Dank. der überhaupt was abkriegt. Deswegen sagen wir: Mak- lergebühren müssen auch in der Höhe begrenzt werden. (Beifall bei der FDP) 2 Prozent vom Kaufpreis sind genug.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Die Der zweite Weg zu einer Kostenreduzierung wäre in Linke hat das Wort die Kollegin Caren Lay. der Tat das Bestellerprinzip, will heißen: Wie in einer Kneipe sollte gelten: Wer bestellt, der bezahlt. In der (Beifall bei der LINKEN) Praxis ist es aber häufig so, dass der Verkäufer oder die Verkäuferin bestellt und der Käufer die Kosten trägt, zum Caren Lay (DIE LINKE): Teil oder zum großen Teil ganz allein. Das Bestellerprin- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- zip ist im Mietwohnungsmarkt eingeführt worden; es ren! Wohnen wird immer teurer. Das gilt nicht nur für sollte endlich auch beim Kauf von Eigenheimen gelten. Mietwohnungen, sondern auch für Eigenheime; denn die Preise für Boden, für Bau, für Wohnungen sind in (Beifall bei der LINKEN) den vergangenen zehn Jahren explodiert, und sie steigen Und es war ja ursprünglich auch geplant, im Referenten- weiter. entwurf. Aber leider hat die Koalition – ich vermute, Der Traum vom eigenen Haus gerät für viele Men- insbesondere die Union; wie so häufig – dem Druck der schen immer mehr in weite Ferne, für Menschen mit Lobby nachgegeben, in dem Fall der Maklerlobby. Durchschnittseinkommen wird er immer unerschwingli- (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wir sind cher, wegen der steigenden Kosten, aber auch, weil die unserem Verstand gefolgt; das reicht!) Mieten einen immer größeren Teil der Einkommen auf- fressen. Dagegen könnte man sehr viel tun, Ohne eine Begrenzung der Gebühren und ohne das Bestellerprinzip erfüllt das Gesetz einfach nicht seinen (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das Zweck. stimmt!) (Beifall bei der LINKEN) höhere Löhne und niedrigere Mieten zum Beispiel. Meine Damen und Herren, wir als Linke haben klar (Beifall bei der LINKEN) gesagt: Ob Miete oder Eigenheim, Wohnen muss bezahl- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19925

Caren Lay (A) bar sein. Schon wieder wird heute eine Chance vertan, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) Kostenexplosion Einhalt zu gebieten. Und das finde ich Zuruf des Abg. Alexander Hoffmann [CDU/ überaus schade. CSU]) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Wenn jetzt mit dem Gesetzentwurf die hälftige Teilung Luczak [CDU/CSU]: Sie waren schon mal eingeführt wird, sind das bei einer Eigentumswohnung kämpferischer, Frau Kollegin!) für 350 000 Euro immer noch über 12 000 Euro, die der Käufer an den Makler zahlen muss. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das wird Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Der nächste Redner ja weniger!) ist für Bündnis 90/Grüne der Kollege Christian Kühn. Ich meine, das ist wirklich zu viel an Transaktionskosten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angesichts der Digitalisierung, angesichts der Standardi- sierung von Verfahren, angesichts dessen, dass diese Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Märkte massiv überhitzt sind. GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kol- sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) legen! Die Beratungen heute zum Gesetzentwurf zur Maklercourtage offenbaren, finde ich, eines: dass diese Ihnen fehlt der ordnungspolitische Rahmen. Sie haben Große Koalition bei der Frage des Wohneigentums kei- dem Lobbydruck des IVD einfach stattgegeben. Sie ha- nen ordnungspolitischen und keinen marktwirtschaftli- ben selbst von der „fairen Maklercourtage“ gesprochen – chen Kompass hat; das ist leider so. das war ja der Werbeslogan der Kampagne des IVD, Herr Luczak, nichts anderes. (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das sa- gen die Richtigen!) Wenn Sie sich die Anhörung im Rechtsausschuss noch – Das ist so. Denn wir beschließen heute nichts anderes mal vergegenwärtigen, sehen Sie: Rechtlich ist es gar als die Privilegierung von Maklern kein Problem, das Bestellerprinzip einzuführen. Ökono- misch macht es Sinn. Und auch alle Verbraucherschützer (Karsten Möring [CDU/CSU]: Was?) im Ausschuss haben sich klar dafür ausgesprochen. Das Fazit des Ausschusses ist doch ganz deutlich: Die der- und lösen das Versprechen, das in der Marktwirtschaft zeitige Praxis ist für die Käuferseite nicht interessenge- gilt – derjenige, der bestellt, bezahlt –, nicht ein. (B) recht. Das haben die Juristen, die dort saßen, die Profes- (D) Anders als bei den Mietwohnungen und bei der Ver- soren ganz einhellig gesagt. mietung wird es weiter so sein, dass Makler privilegiert (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Deswe- sind im Land. Das halte ich für grundfalsch. gen ändern wir die Praxis ja auch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sage ich Ihnen: Das Bestellerprinzip, das Sie sind heute nichts anderes, Herr Luczak, als der wir Grünen fordern, ist Ihrer hälftigen Teilung rechtlich Schutzheilige der Makler in Deutschland; das muss man deutlich überlegen. einfach so sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Sagen die Es gibt nicht den Diener zweier Herren, weder in der Schutzheiligen der Windkraftanlagen!) Komödie noch auf dem Immobilienmarkt. Ich sage Ihnen auch, warum: Auf drei Vierteln aller Märkte in Deutschland ändert sich einfach gar nichts. Sie haben davon gesprochen, dass die Makler den Herr Frei, in Baden-Württemberg ändert sich gar nichts; Kaufenden sozusagen beraten. Das ist doch falsch. Der da bleibt alles beim Alten. Zu sagen, dass das eine Ent- Makler hat gar keine Pflichten gegenüber dem Käufer. lastung ist für zukünftige Eigentümer und Eigentümerin- Ihm verlangen Sie ja nicht mal Sachkunde ab. Deswegen nen, ist einfach Quatsch, ist einfach absurd, weil sich am macht Ihr Gesetzentwurf gar keinen Sinn. Mit der Digita- Markt in drei Vierteln der Länder nichts ändert. lisierung sinken überall die Transaktionskosten, nur beim Immobilienerwerb nicht – weil Sie eben Ihre schützende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hand über diese Branche halten; ich halte das für einen Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist so! Skandal. Was wir brauchen, ist ein echtes Bestellerprin- Um die Hälfte werden die Leute in Berlin ent- zip in Deutschland wie in England und in den Nieder- lastet!) landen, ein klarer ordnungspolitischer Rahmen. Dann werden die Preise sinken, dann wird die Qualität steigen, Sie nehmen den Exzessen die Spitze, das ist richtig – weil und dann werden auch die Immobilienpreise wieder ins Sie gar nicht anders konnten, weil das so skandalös war, Lot kommen. was an Preisen in Berlin und Hamburg verlangt worden ist und wie dort die Makler aufgetreten sind, dass es gar Danke schön. nicht anders ging. Aber zu sagen, dass Sie in der Breite die Menschen entlasten, ist einfach grundfalsch und auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fehler Ihres Denkens. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 19926 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ben. Es wird einen Wettbewerb um Aufträge geben. Es (C) Für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner der wird so sein, dass die Qualität den Preis macht. Kollege Karsten Möring. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Sicherung, die wir eingebaut haben, nämlich der Zahlungsnachweis oder die Androhung der Verwirkung Karsten Möring (CDU/CSU): der Provision, sind relativ scharfe Schwerter. Natürlich, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich der Nachweis muss erbracht werden. Aber die Idee bei- wundere mich, ehrlich gesagt. Ich wundere mich über so spielsweise, das über den Kaufpreis zu machen und dann manchen Beitrag. Ich wundere mich über die Begeiste- bei der Grunderwerbsteuer diesen Anteil aus dem Kauf- rung der AfD für eine Gebührenordnung wie bei den preis wieder rauszurechnen, erfordert einen Verwaltungs- Ärzten. Ich wundere mich auch, lieber Kollege Kühn, aufwand, der ein bisschen arg üppig ist. Ich hätte mir über die Interpretation, gewünscht, dass dieses Gesetz schon damals gegolten (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hätte, als ich gekauft habe. Aber in Köln gibt es den Satz: NEN]: Ist doch wunderbar!) „Mer muss och jünne künne“, die Sie hier abgeliefert haben, und reklamiere, was Sie (Heiterkeit bei der CDU/CSU) eben gesagt haben: dass in den Ländern Berlin und Ham- zu Deutsch: Man muss auch gönnen können. Deswegen burg, in denen Sie seit längerer Zeit mitregieren, die sage ich: Ich gönne die Neuregelung denjenigen, die größten Exzesse stattfinden. demnächst Hauseigentum erwerben. Sie werden davon (Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Aha!) profitieren. Insgesamt wird sich die Qualität bei dem Maklergeschäft verbessern. Die Provisionen werden be- Ich sage ja nur: Ich wundere mich. grenzt sein und sinken. – Ich schenke Ihnen 23 Sekunden, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ sehe ich gerade. DIE GRÜNEN]: Das sind Stadtstaaten! Aber Vielen Dank. in den Städten wird die Union auch nicht mehr gewählt, Herr Möring!) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Nebenkosten beim Erwerb von Eigentum sind in der Tat im Wesentlichen die Grunderwerbsteuer und die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Maklerkosten. Ich möchte nur ein persönliches Beispiel Wir bedanken uns sehr für Ihr Geschenk. – Der nächste (B) sagen: Als ich vor einigen Jahren – das ist schon mehr als Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Michael (D) einige Jahre her – mein Wohnungseigentum erworben Groß. habe, habe ich für zwei Besichtigungen, durchgeführt von einer Maklerin, einen relativ hohen fünfstelligen Be- (Beifall bei der SPD) trag an Maklergebühren zahlen müssen. Ich habe wahr- scheinlich zu früh gekauft. Auf der anderen Seite wäre Michael Groß (SPD): heute der Kaufpreis höher, nehme ich mal an. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, Herr Präsi- Was wir jetzt mit diesem Gesetz machen, ist: Wir ver- dent, dass ich im Zusammenhang mit diesem Thema auch bessern zwei Faktoren: Es wird nämlich mehr Qualität noch mal Dank ausspreche, und zwar Eva Högl. und mehr Wettbewerb geben – auch wenn Sie das anders sehen. Mehr Qualität, weil wir beispielsweise sagen: Ge- (Beifall bei der SPD) legenheitsmakler wird es nicht geben, sondern es müssen Eva, ich möchte dir insbesondere dafür danken, dass Unternehmen sein. Ein Punkt. Der zweite Punkt betrifft du viele Jahre dafür gekämpft hast, dass das Mietrecht den Wettbewerb: Es ist die Tatsache, dass wir nicht das sozial bleibt, dass es immer sozialer wird, dass die Mieten Bestellerprinzip in Reinkultur einführen, sondern jeden, bezahlbar bleiben. Du hast ja selber gesagt: Wer hat es der bestellt, davon in Kenntnis setzen, dass er maximal erfunden? Der Mietendeckel ist auch eines deiner Werke. die Hälfte davon weitergeben kann. Er hat ein Interesse Aber besonders wichtig ist mir, auch als Kollege, zu daran, dass die Preise, die Provision sinken. Damit ent- sagen: Es ging immer darum, Politik auf Augenhöhe zu steht Wettbewerb. machen und für die Menschen zu erreichen, dass es im Jetzt kommen wir mal zur Seite der Makler. Natürlich, Alltag auf Augenhöhe zugeht. Also herzlichen Dank an da gibt es vielleicht ein paar schwarze Schafe. Aber die dich noch mal. Alles Gute für die neue Funktion! Makler leisten, wenn sie ordentlich arbeiten, einen erheb- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichen Service. Wenn dieser Service dem Verkäufer nicht der CDU/CSU) ausreichend viel wert ist, warum soll er denn dann diese 50-prozentige Gebühr übernehmen? Das heißt, er wird Worüber reden wir? Über die Verteilung der Makler- mit den Maklern darüber reden müssen: Was bietest du kosten. Worum geht es? Es geht darum, Transparenz, mir denn für eine Leistung für mein Geld, wenn ich schon bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen. Das war die Hälfte davon bezahlen muss? – Da entsteht doch schon Thema. Es geht aber auch darum, den Käufer einer Wettbewerb, und das ist gut. Das ist gut für die Makler, Immobilie davor zu schützen, dass er in einer Zwangslage die Leistung anbieten und qualifiziert sind; und das wird zu hohe Provisionen zahlen muss. Ich glaube, dass mit eine positive Wirkung auf die Provisionszahlungen ha- diesem Gesetz eine wesentliche Verbesserung für den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19927

Michael Groß (A) Käufer erreicht wurde. Eva Högl hat es gesagt: Wir woll- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und (C) ten eigentlich das Bestellerprinzip. – Das ist uns mit dem dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Koalitionspartner nicht gelungen. Aber wenn man für eine Immobilie einen Kaufpreis von 400 000 Euro auf- Ich war nämlich durchaus überrascht, als Sie gesagt ha- bringen muss und wir die Kaufnebenkosten um die Hälfte ben, es sei ein offenes Geheimnis, dass die SPD so gerne senken, also zum Beispiel von 28 000 auf 14 000 Euro, ist das Bestellerprinzip gehabt hätte. Ich habe eine Presse- das schon ein richtiger Schritt, und das ist eben ein guter mitteilung vom Kollegen Fechner gelesen, wo er gesagt Weg gewesen. hat, die hälftige Teilung, wie wir sie heute beschließen, sei auf die Initiative der SPD zurückgegangen. (Beifall bei der SPD) (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja, immerhin! – In Anbetracht der Zeit – ich habe leider nicht mehr so Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und dem viel –: Es wurden ja heute schon viele Punkte angespro- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen. Wenn wir über die Nebenkosten reden, komme ich zur Grunderwerbsteuer. Ich schaue jetzt mal insbesonde- Ich glaube, da müssen Sie sich intern irgendwie einigen. re die Kollegen der FDP an. Sie haben bei der NRW-Wahl Trotzdem alles Gute bei Ihrer neuen Aufgabe! versprochen – mit dem Thema haben Sie auch Stimmen gefangen –, die Grunderwerbsteuer zu senken. In NRW Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Immobilien- liegt sie immer noch bei 6,5 Prozent. märkte in Deutschland sind durcheinandergewirbelt. Sie sind differenziert und inhomogen; und wir haben unter- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ schiedliche Konstellationen. Wir haben einerseits Regio- DIE GRÜNEN]: Aha! Aha!) nen, wo es erheblichen Mangel an Wohnraum und einen großen Bedarf gibt. Da ist es sicher so, dass man sagen Fangen Sie doch in NRW an! Dann gehen Sie doch bei muss: Der Verkäufer und der Makler sitzen am längeren den Nebenkosten einen richtigen Schritt und können den Hebel. – Wir wissen auch, dass das in Einzelfällen dazu Bürgern und Bürgerinnen auch den Weg zum Eigentum führt, dass da die Bedingungen im Kaufvertrag diktiert ermöglichen. Lamentieren Sie nicht hier, sondern ma- werden. Aber es gibt auch andere Regionen, dort, wo das chen Sie konkrete Politik in NRW! Angebot größer ist als die Nachfrage, oftmals im länd- (Beifall bei der SPD) lichen Raum. Da ist der Käufer derjenige, der am länge- ren Hebel sitzt. Ich möchte noch zum Schluss darauf hinweisen, dass diese Regierung eine Menge getan hat, um Mieten be- Differenziert, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ist auch die Rolle des Maklers zu (B) zahlbar zu halten, aber auch dafür, dass die Menschen (D) Eigentum bilden können. Das Baukindergeld ist ange- sehen. Ich würde schon noch gerne ein paar Sätze zu sprochen worden. Die 55 000 Empfängerfamilien, die seiner Rolle verlieren, weil mir das an mancher Stelle bisher in den Genuss gekommen sind, sind zum großen zu einfach ist, wie die Grünen oder Sie von der Linken Teil, 60 Prozent, Familien mit unterem und mittlerem die Rolle des Maklers klein- und schlechtreden. Ein guter Einkommen – ein Riesenerfolg, glaube ich. Wir stocken Makler – nur die halten sich auf dem Markt – macht doch die Wohnungsbauprämie auf, verbessern die Einkom- mehr, als die Türe aufzuschließen. Denn selbst in einem mensgrenzen, verbessern die Zuschüsse um 50 Prozent. florierenden Wohnungsmarkt wie in Berlin ist es doch so, Das sind alles Dinge, die dazu führen werden, dass Men- dass er Fragen klärt, und zwar für Käufer und Verkäufer, schen mit mittlerem Einkommen und geringerem Ein- wenn er mit beiden einen Vertrag hat. Er organisiert nicht kommen mehr Eigentum bilden können. Das ist unser nur die Besichtigung. Er klärt zum Beispiel Fragen rund Ziel. Wir wollen vernünftige Mieten und bezahlbares um die Bonität. Er berät auch beim Kaufvertrag. Für diese Wohnen ermöglichen. Leistungen haftet er auch. Deswegen ist es durchaus adä- quat, das angemessen zu vergüten. In den Gebieten, wo Danke schön. das Angebot an Wohnraum stärker ist als die Nachfrage, ist es natürlich so, dass ich, um auf mein Angebot auf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten merksam machen zu können, einen guten Makler brau- der CDU/CSU) che.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir haben Ihnen heute einen guten Gesetzentwurf vor- Vielen Dank, Kollege Groß. – Der letzte Redner zu gelegt. Wir verfolgen drei Ziele: Wir wollen bundesweit diesem Tagesordnungspunkt ist für die CDU/CSU-Frak- einheitliche verbindliche Regelungen, wir wollen den tion der Kollege Alexander Hoffmann. Käufer davor schützen, dass Zwangslagen ausgenutzt werden, und – Kollege Luczak hat es erklärt – wir wollen (Beifall bei der CDU/CSU) einfach mehr Wettbewerb. Das wird zu einer deutlichen Entspannung bei den Kaufnebenkosten führen, zumin- dest was die Maklerprovision angeht. Wir sind auf dem Alexander Hoffmann (CDU/CSU): richtigen Weg. Ich bitte um Zustimmung. Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Högl, auch ich will Sie verab- Danke. schieden, will Danke sagen für eine angenehme Zusam- menarbeit. Aber ich will es natürlich schon mit einem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- letzten Gruß verbinden. ordneten der SPD) 19928 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Beutin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (C) Vielen Dank, Kollege Hoffmann. – Ich schließe die DIE LINKE Aussprache. Ein soziales und ökologisches Konjunktur- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- und Investitionsprogramm gegen die Corona- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Ver- Krise teilung der Maklerkosten bei der Vermittlung von Kauf- Drucksache 19/19142 verträgen über Wohnungen und Einfamilienhäuser. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Finanzausschuss Drucksache 19/19203, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 19/15827 in der Ausschussfas- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Todtenhausen, Michael Theurer, Reinhard entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion das Handzeichen. – Das sind CDU/CSU und SPD. Wer der FDP stimmt dagegen? – AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Vitale Innenstädte durch starken Einzelhan- Enthaltungen? – Die Linke. Dann ist der Gesetzentwurf del – Auch in Zeiten von Corona mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von AfD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Drucksache 19/19118 bei Enthaltung der Linken in zweiter Beratung angenom- Überweisungsvorschlag: men. Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Dritte Beratung Beschlossen ist eine Aussprache von 30 Minuten. – Ich und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem bitte Sie, unter Einhaltung der Abstandsregeln den Saal Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – zu verlassen oder sich hinzusetzen. Das sind wieder CDU/CSU und SPD. Wer stimmt dage- gen? – FDP, Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Enthaltun- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der gen? – Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit angenom- Kollege Bernd Riexinger für die Fraktion Die Linke. men. (Beifall bei der LINKEN) Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bernd Riexinger (DIE LINKE): (B) Bündnis 90/Die Grünen zur Entlastung von Verbrauchern (D) beim Kauf und Verkauf von Wohnimmobilien. Der Aus- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter erleben den größten wirtschaftlichen Einbruch der letzten Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Jahrzehnte. Bereits jetzt sind die sozialen Kosten hoch. 19/19203, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Millionen Menschen haben Lohneinbußen, vor allem die, Die Grünen auf Drucksache 19/4557 abzulehnen. Ich die ohnehin am wenigsten verdienen. Viele bangen um bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- ihre Arbeitsplätze oder fürchten um ihre Existenz, wäh- len, um das Handzeichen. – Das sind die Grünen und die rend andere immer noch Dividenden in Milliardenhöhe Linken. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU/CSU, kassieren. SPD, FDP und AfD. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Nach Wir dürfen uns nicht die Illusion machen, dass auf den unserer Geschäftsordnung gibt es damit keine weitere Einbruch der schnelle Aufschwung folgen wird. Wenn Beratung. wir Beschäftigung sichern, das finanzielle Ausbluten der Kommunen verhindern wollen, wenn wir Betriebs- Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Gesetzentwurf schließungen und Massenentlassungen vermeiden wol- der Fraktion der AfD über die Reduktion von Kaufneben- len, brauchen wir schnell ein anspruchsvolles Investi- kosten bei der Vermittlung von Kaufverträgen über Im- tionsprogramm. mobilien. Hier empfiehlt der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Buchstabe b seiner Beschluss- (Beifall bei der LINKEN) empfehlung auf Drucksache 19/19203, den Gesetzent- Ich verstehe nicht, warum dafür nicht längst Pläne aus- wurf der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/17120 gearbeitet und öffentlich diskutiert werden. abzulehnen. Wer stimmt für den Gesetzentwurf? – Das ist die AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das wissen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Ge- Sie doch gar nicht!) setzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Es Stattdessen wird gezögert, gezaudert oder von der CDU gibt nach unserer Geschäftsordnung keine weitere Bera- sogar gebremst. tung. (Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Woher Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 und den Zusatz- wissen Sie das?) punkt 8 auf: – Ja, Sie bremsen: Ihr Fraktionsvorsitzender. – Wir brau- 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten chen aber dringend einen Schutzschirm für die Kommu- Alexander Ulrich, Fabio De Masi, Lorenz Gösta nen, denen die Einnahmen wegbrechen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19929

Bernd Riexinger (A) Es ist katastrophal, wenn jetzt öffentliche Investitionen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) zurückgefahren oder Ausschreibungen zurückgezogen Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. werden. 36 Milliarden Euro in diesem Jahr und 25 Milliar- den Euro im nächsten für die Kommunen ist an der rich- Bernd Riexinger (DIE LINKE): tigen Stelle investiertes Geld: Für viele von Ihnen ist das unvorstellbar radikal, für (Beifall bei der LINKEN) uns ist das eine Selbstverständlichkeit. für längst fällige Investitionen in Schulen, Kitas und für Vielen Dank. den Aufbau der Infrastruktur. Es ist inzwischen hoffent- (Beifall bei der LINKEN) lich auch in diesem Haus den meisten klar geworden, dass es falsch war, Krankenhäuser zu schließen, zu priva- tisieren und den Pflegenotstand herbeizusparen. Deshalb Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: beantragen wir, dass der Bund 10 Milliarden Euro pro Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Jahr in Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen inves- Kollege Dr. Matthias Heider. tiert, für mehr Personal, bessere Bezahlung, bessere Ar- beitsbedingungen. Loben und Klatschen reichen nicht (Beifall bei der CDU/CSU) mehr aus. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Aber das Falscheste wäre es, nach der Krise einfach ne Damen und Herren! Wie muss man sich das eigentlich wieder den alten Zustand herstellen zu wollen, so, als vorstellen, wenn so ein Konjunkturprogramm in einer gäbe es keine Klimakrise, keine Armut, keine Niedrig- Krisensituation entworfen wird? Schreitet da der Bundes- löhne, kein Auseinanderklaffen von Arm und Reich und wirtschaftsminister in einer stillen Stunde die Fotogalerie keinen Notstand an bezahlbaren Wohnungen. „Krise“ seiner Vorgänger entlang, heißt auch: Wendepunkt. Wir brauchen dringend eine (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Richtungsänderung hin zu sozialer Gerechtigkeit, zu NEN]: So macht er das meistens, ehrlich ge- nachhaltigem, emissionsfreiem Wirtschaften, zu gerech- sagt!) ter Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. um dann aus einem geheimen Raum im Bundeswirt- (Beifall bei der LINKEN) schaftsministerium eine goldene Kurbel zu holen, um Wir brauchen einen sozialökologischen Systemwech- das Gerät in Gang zu bringen? Das ist ein schönes Bild, aber es ist natürlich nicht so; Sie haben es geahnt. (B) sel, einen linken Green New Deal, der die Menschen (D) nicht vor die Entscheidung stellt: Verliere ich meinen Ich sage das nur, Herr Riexinger, weil ich den Eindruck Arbeitsplatz, oder verlieren meine Kinder ihre Zukunft? hatte, dass Sie glauben, dass nichts getan wird. Im Ge- (Beifall bei der LINKEN) genteil, es werden viele Gespräche mit Vertretern der be- troffenen Wirtschaftskreise und Branchen, mit Arbeit- Deshalb wollen wir eine nachhaltige Verkehrswende, den nehmern und mit Arbeitgebern geführt. Die Ressorts Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, der Bahn, der Bundesregierung machen Vorschläge; Vereinigungen der Fahrradwege, für Klimaschutz und sichere Arbeits- und Verbände, Bürgerinnen und Bürger und die Parteien plätze. Wir brauchen einen Industriefonds, der die sozial- machen Vorschläge. Das ist grundsätzlich gut so; wir ökologische Transformation unterstützt. wollen das ja beraten. Alle Vorschläge müssen sich daran (Beifall bei der LINKEN) messen lassen, ob sie wirklich zu Wachstum führen. Füh- ren sie zu mehr Wachstum, oder dienen sie nur dazu, den Kurzum: Wir wollen ein Investitionsprogramm, das so- einen oder anderen lang gehegten Wunsch angelegentlich zial, nachhaltig und gerecht ist. Was wir nicht brauchen, eines bevorstehenden Konjunkturprogramms einfach ein- sind staatliche Hilfen für Konzerne, die Dividende aus- mal wieder zum Vortrag zu bringen? zahlen. Die alte Frage, die immer wieder zu stellen ist, lautet: (Beifall bei der LINKEN) Bediene ich in einem Konjunkturprogramm die Ange- Was wir nicht brauchen, sind Hilfen für Unternehmen, bots- oder die Nachfrageseite? Ich persönlich spreche die keine Tarifverträge kennen, Arbeitsplätze abbauen lieber von einem Wachstumsstärkungspaket; denn wir und die Mitbestimmung mit Füßen treten. Das brauchen wollen Wachstum nicht staatlich programmieren; wir wir nicht. wollen Entwicklung stärken. Dazu braucht es unterneh- merischen und eigenverantwortlichen Handelns. Das (Beifall bei der LINKEN) wollen wir ertüchtigen, und die Nachfrage der Bürger- innen und Bürger. Keine Frage: Dieses ambitionierte und mutige Investi- tionsprogramm kostet Geld. Doch wer jetzt an Investitio- (Beifall bei der CDU/CSU) nen spart, wird das später teuer bezahlen. Und wäre es nicht höchste Zeit, dass endlich einmal die zur Finanzie- Wie war das noch in der letzten Wirtschaftskrise? Er- rung herangezogen werden, die die letzten Jahrzehnte innern Sie sich noch an das Wachstumspaket, an die Kon- unermesslichen Reichtum angehäuft haben? junkturpakete I und II aus den Jahren 2009 und 2010 mit rund 80 Milliarden Euro vor allem für die öffentliche (Beifall bei der LINKEN) Infrastruktur und allein 27 Milliarden Euro zur Reduzie- 19930 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Matthias Heider (A) rung von Steuer- und Abgabenlast? In dieser durch die das ist ungefähr so, als ob man mit einer Pflasterrolle (C) Coronapandemie ausgelösten Krise haben wir es nicht die Blessuren dieser Krise heilen wollte. Was wir brau- nur mit einem nachfrageseitigen Schock zu tun, sondern chen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und mit einem, der gleichzeitig auf Angebots- und auf Nach- Kollegen, sind echte Medizin und Abwehrkräfte, um das frageseite greift. Alle Maßnahmen, die nur Nachfrage, Wachstum zu stärken. Unser Rezept dafür werden wir nur Konsum im Fokus haben, greifen daher zu kurz. Ihnen im Juni vorstellen. So richtig viele Fehler hat man damals bei den Kon- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. junkturpaketen übrigens nicht gemacht, auch wenn der Antrag der Linken das heute insinuiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Westphal [SPD]) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Doch, die Abwrackprämie!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Im Gegenteil: In den Jahren 2010 und 2011 hat es ein Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion enormes Wirtschaftswachstum – um die 4 Prozent – ge- der AfD der Kollege Enrico Komning. geben, und in den nachfolgenden Jahren, zwischen 2012 und 2019, ist die Wirtschaft durchschnittlich um 1,5 Pro- (Beifall bei der AfD) zent gewachsen. Das war nach einer solchen Krise da- mals ein hervorragendes Ergebnis. Und wir hatten 2019 mit 45 Millionen Beschäftigten den höchsten Beschäftig- Enrico Komning (AfD): tenstand, den wir in Deutschland nach dem Zweiten Welt- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- krieg jemals hatten ren Kollegen! Wir debattieren hier heute über zwei Wirt- schaftsanträge, im Übrigen – Herrn Kollegen Houben ist Über 10 Millionen Menschen befinden sich jetzt in es auch aufgefallen – in Abwesenheit des Wirtschafts- Kurzarbeit; bei mir zu Hause, im Sauerland, sind es ministeriums. – Oh, Entschuldigung, Herr Bareiß, ich 50 Prozent der Menschen, die im industriellen Sektor habe Sie nicht gesehen. – Also, das Wirtschaftsministe- beschäftigt sind. Darauf kommt es jetzt an: Es muss Ver- rium ist doch da, ich muss mich revidieren. trauen in die Märkte zurückkehren; wir müssen Zukunfts- felder identifizieren; wir müssen Wachstumskräfte ent- Der eine Antrag wäre auch in Nichtcoronazeiten weit- fesseln; wir müssen die Menschen aus der Kurzarbeit gehend sinnvoll. Der andere Antrag, der von den Linken, zurückbringen. Und es muss schnell gehen, es darf kein war, abgesehen vom Titel, bis heute früh inhaltlich noch Nachfrage-Gap entstehen; das müssen wir vermeiden. ein großes Mysterium. Ohne den Lockdown mit massi- (B) Das erfordert Investitionen, die Beseitigung bürokrati- ven Grundrechtseingriffen hätten wir uns mit mehr Zeit (D) scher Hemmnisse, mehr Effizienz in der öffentlichen Ver- den schon vorher bestehenden strukturellen wirtschafts- waltung und ein klares Ja zu Europa und zum Binnen- politischen Problemen stellen können. Nun jedoch ist markt. Ein erfolgreiches Konjunkturprogramm setzt auf höchste Eile geboten. Die Bundesregierung hat dieses Steuersenkungen, auf Investitions- und Forschungsförde- Land in eine fundamentale Lockdown-Krise geführt, oh- rung, auf eine nachhaltige Entwicklung, auf effizienten ne die Verhältnismäßigkeit ihrer Weichenstellung zu prü- Ressourcenschutz und auf eine zirkuläre Wirtschaft, auf fen. mehr Stabilität in Europa. „Nachhaltigkeit“ und „Effi- (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- zienz“, zwei Worte, die ich in Ihren Anträgen fast ver- gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ha- geblich gesucht habe. Nur zweimal im Antrag der Linken ben von Wirtschaftspolitik überhaupt keine und einmal im Antrag der Liberalen habe ich den Begriff Ahnung!) „Nachhaltigkeit“ gefunden. Sie haben in einer unklaren Lage unzureichend analy- Deshalb sage ich: Wir brauchen gerade jetzt im Auto- siert und dann überstürzt vollkommen einseitig entschie- mobilsektor eine Verstärkung bei innovativen Fahrzeug- den, das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche technologien, so wie es der Wirtschaftsminister heute in Leben über Wochen einzufrieren. Sie haben alle Warn- seiner Pressekonferenz angekündigt hat. Ich warne in ungen von Ökonomen in den Wind geschlagen und aus- diesem Zusammenhang davor, dass wir zu sehr auf Kon- schließlich auf das Robert Koch-Institut gesetzt. Nein, junkturmaßnahmen für einzelne Branchen setzen. meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Sie Zum Antrag der Linken. Mir ist aufgefallen, dass sich haben nicht abgewogen. das, was Sie uns in zwölf Bereichen vorschlagen, auf über 160 Milliarden Euro summiert – wohlgemerkt: jährlich. Der totale gesellschaftliche und wirtschaftliche Shut- Herzlichen Glückwunsch zu dieser Innovationsgießkan- down Deutschlands wird sich als der vierte epochale Feh- ne! Wo sind da die Schwerpunkte? Das sind schöne Maß- ler einer Regierung unter Angela Merkel erweisen. Nach nahmen, aber von denen haben die Beschäftigten in der dem Fanal der Griechenland-Rettung, dem rein emotio- Stahlindustrie und in der Automobilwirtschaft gar nichts. nal motivierten Kernkraftausstieg und dem Migrations- Damit gibt es auch keine Zukunft für die Beschäftigten desaster nun das An-die-Wand-Fahren der viertgrößten im Maschinenbau und auch nicht in der chemischen In- Volkswirtschaft der Welt. dustrie. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Christian Wie sich die Linken in diesem Bereich abgearbeitet Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und dabei einen Milliardenbetrag herausgeholt haben, NEN]: Mein Gott, sind Sie verstrahlt! Absurd!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19931

Enrico Komning (A) Wenn Mitarbeiter im Innenministerium oder Ökono- (Beifall bei der SPD) (C) men eines regierungsnahen Instituts zu dem Schluss kommen, dass der Shutdown keine signifikanten Auswir- Bernd Westphal (SPD): kungen auf die Infektionszahlen hatte und hat, dann lan- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten den solche Papiere im ministerialen Giftschrank und die Damen und Herren! Ich glaube, der Redebeitrag vor mir Verfasser auf der Straße oder eben auch auf der Ankla- hat gezeigt, wie es nicht geht. Wir führen inzwischen fast gebank. So handelt die Bundesregierung, meine Damen wöchentlich eine ähnliche Debatte. Nichtsdestotrotz bin und Herren, wenn es unbequem wird. Sie bezeichnet die ich der Linken und der FDP dankbar für die Anträge, die Kritiker – das ist das Höchste; Achtung: neues Narrativ – mir noch einmal die Chance geben, zu diesem Thema hier als „Verschwörungstheoretiker“. Stellung zu nehmen. (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge Die Ausgangslage ist klar, denke ich. Wir haben eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein schwere Rezession. Die industrielle Produktion hat um neues Narrativ!) 12 Prozent abgenommen. Schlüsselbranchen wie die Au- Meine Damen und Herren, wenn die gegenwärtige tomobilindustrie haben einen Rückgang von bis zu Lockdown-Krise auch nur einen guten Aspekt hat – das 31 Prozent zu verzeichnen. Die Bundesregierung hat zeigt der FDP-Antrag –, dann den, dass wir endlich wie- den Rückgang des BIP mit 6,3 Prozent prognostiziert. der über die wesentlichen Dinge in diesem Land sprechen Das ist wirklich eine schwere Krise für unsere Wirtschaft. können. Die Zeit für den ganzen rot-grünen vorkrisen- Aber im Gegensatz zu anderen Ländern brauchen sich die zeitlichen Firlefanz ist endlich vorbei. Menschen in unserem Land keine Sorgen zu machen. (Beifall bei der AfD) (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) Wir haben einen handlungsfähigen Staat. Wir haben Es ist an der Zeit, über ernsthafte Lösungen zu sprechen, mit einem leistungsfähigen Sozialsystem viele Maßnah- die den Menschen und nicht modernen goldenen Kälbern men auf den Weg gebracht. Mit umfangreichen Maßnah- dienen. men haben wir zum Beispiel das Gesundheitswesen ge- Deutschland liegt wirtschaftlich am Boden – ohne Not, stärkt, im Gegensatz zu den USA, wo eine Erkrankung meine Damen und Herren. Die Industrieproduktion bricht durchaus ein Armutsrisiko darstellt. Wir haben Beschäf- dramatisch ein, die Automobilindustrie sogar um ein tigung gesichert. 10 Millionen Menschen können jetzt Drittel. Ob und was von der Dienstleistungswirtschaft mit Kurzarbeitergeld ihre Jobs sichern, im Gegensatz zu noch übrig bleibt, ist unsicher. den USA, wo es 30 Millionen Arbeitslose gibt. (B) Deshalb stimmen wir vielem zu, was Sie, meine Da- (Marianne Schieder [SPD]: Ganz genau!) (D) men und Herren von der FDP, in Ihrem Antrag fordern. Mit Liquiditätshilfen für Unternehmen haben wir Insol- Es ist auch vieles Bekanntes dabei: Abschaffung des Soli, venzen verhindert und Härten abgefedert. Jetzt geht es Entbürokratisierung, Flexibilisierung der Ladenöff- darum, dass wir unsere ökonomische Basis stärken und nungszeiten. Was aber nicht passieren darf, ist eine wei- erhalten. Dafür braucht es ein ökonomisches Gesamtkon- tere Belastung der Leistungsträger unserer Gesellschaft, zept. der Arbeitnehmer und der mittelständischen Unterneh- mer. Das heißt, dass staatliche Unterstützungsmaßnah- Wie sich die Akteure in einer Volkswirtschaft verhal- men immer nur der Selbsthilfe dienen dürfen. ten, hat viel auch mit Psychologie zu tun. Deshalb geht es jetzt darum, dass Politik für Transparenz und Vertrauen Das beste Konjunkturprogramm, meine Damen und sorgt und Maßnahmen auf den Weg bringt, die nachvoll- Herren, ist vor allem aber dies: Geben Sie den Menschen ziehbar für die Menschen in der Wirtschaft sind und dem- endlich die Freiheit zurück! Schweden macht es uns doch entsprechend Vertrauen schaffen. Es ist gut, dass sich vor. Selbstverantwortung ist das Gebot, und die Deut- auch die anderen Fraktionen dem Vorschlag angeschlos- schen schaffen das, Frau Merkel. sen haben, den wir als SPD im Wirtschaftsausschuss ein- (Beifall bei der AfD) gebracht haben. Wir werden in der nächsten Sitzungs- woche mit Experten einzelne Fragen eines umfassenden Hören Sie auf, immer wieder mit neuen Horrorszenarien Konjunkturprogramms erörtern können. Es wird jetzt da- zu drohen und die Menschen zu verängstigen. Freiheit rauf ankommen, dass wir mit dem Krisenmanagement statt Sozialismus! Liebe Kollegen von der Union, dem dafür sorgen, dass die Maßnahmen zeitnah erfolgen. einen oder anderen dürfte dieser Spruch vielleicht noch Wie kann so etwas aussehen? Ich will einige Kernele- in Erinnerung sein. mente ansprechen. Vielen Dank. Zunächst braucht es sehr schnelle Impulse und die Unterstützung für private und öffentliche Investitionen. (Beifall bei der AfD – Bernd Riexinger [DIE Das sind Maßnahmen zur Modernisierung der Infrastruk- LINKE]: Das war ja gar nichts! – Johann tur, sicherlich der flächendeckende Ausbau des Glasfa- Saathoff [SPD]: Alter Schwede!) sernetzes – am besten in jedes Haus –, auch der Ausbau der 5G-Struktur, damit Digitalisierung, autonomes Fah- Vizepräsident Thomas Oppermann: ren, neue Mobilitätskonzepte möglich sind. Wir müssen Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die SPD Bernd vor allen Dingen auch schauen, dass wir bei den Rege- Westphal. lungs- und Genehmigungsverfahren schneller werden. Es 19932 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Bernd Westphal (A) kann nicht sein, dass wir von der Beantragung bis zur die kommunalen Investitionsrahmenbedingungen an- (C) Inbetriebnahme zum Beispiel eines Funkmastes sechs schaue, dann glaube ich ganz sicher, dass es dringend Jahre benötigen. Hier besteht dringender Handlungsbe- notwendig ist, öffentliche Investitionen in die Infrastruk- darf, auch administrativ besser zu werden. tur – in Schulen, Kindergärten, soziale Einrichtungen, Sportstätten und Schwimmbäder – zu tätigen. Wir kön- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nen mit einer modernen Infrastruktur auch in den Dörfern FDP) dafür sorgen, gesellschaftliches Leben und sozialen Zu- Zusätzlich brauchen wir eine Verzahnung mit der eu- sammenhalt mit konjunkturellen Impulsen zu stärken. ropäischen Ebene. Konjunkturprogramme auf nationaler Ebene helfen nur, wenn sie im Gleichklang mit europä- Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss ischen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Des- einen Satz, was die Finanzierung angeht. Einige reden halb müssen wir innovationshemmende Hürden, die es von Sparen und der schwarzen Null. Ich halte das für sehr zum Beispiel im Beihilfe- und Wettbewerbsrecht auf eu- gefährlich. Wenn es ein Risiko für die nächsten Genera- ropäischer Ebene gibt, abbauen. tionen gibt, dann ist das eine kaputte Infrastruktur, dann sind das fehlende Arbeitsplätze, dann sind das verpasste Der Investitionsattentismus in den Unternehmen muss Innovationen. Deshalb müssen wir jetzt im Rahmen eines durchbrochen werden. Wir sehen, dass in den Unterneh- Konjunktur- und Investitionsprogramms investieren. Da- men eine abwartende Haltung besteht, wenn es um drin- mit verbindet die SPD sozialen, technischen, ökologi- gend notwendige Investitionen zur Modernisierung unse- schen und gesellschaftlichen Fortschritt. res Standorts geht. In der Industrie und im Mittelstand haben wir starke Strukturen und starke Cluster, die inei- Vielen Dank. nandergreifen. Jetzt müssen wir Investitionen mit Ab- schreibungen für die Industrie, die sich zum Beispiel im (Beifall bei der SPD) Transformationsprozess befindet, unterstützen. Warum denn nicht die Stahlindustrie unterstützen, wenn sie in Vizepräsident Thomas Oppermann: neue Hochöfen investiert, wo man nicht nur aus Eisenerz Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der und Kokskohle, sondern aus Eisenerz und Wasserstoff FDP ist der Kollege Manfred Todtenhausen. Stähle erzeugt? Das wäre etwas, was uns nach vorne bringt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Manfred Todtenhausen (FDP): Bei der Energiewende gibt es zahlreiche Projekte, die Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (B) dafür sorgen könnten, dass sich unsere Energiewirtschaft ren! Liebe Kollegen von der Linken, Sie wollen investie- (D) nachhaltig erneuert. Der Klimaschutz darf jetzt nicht mit ren in Nachhaltigkeit, in Gesundheit, in Wohnungsbau – einer Rolle rückwärts ausgebremst werden, sondern muss ein Traumprogramm für Planer und Gestalter, denken weiter forciert werden. Unsere Ziele müssen wir dort Sie. Ihr Motto: Der Staat weiß es besser; der Markt führt weiterverfolgen. Regulatorische Hemmnisse in diesem in die Irre. Die Milliarden werden schon bewilligt. Ihr Bereich kann man wegräumen, ohne dass es öffentliches Prinzip: Was kümmern mich heute die Schulden und Geld kostet. Wenn es zum Beispiel um den Ausbau der die Zinsen von morgen? Ihr Programm mit einem Volu- Photovoltaik, der Sonnenenergie, geht, brauchen wir mu- men von 200 Milliarden Euro ist schon gewaltig, auch für tige Politik, um das zu organisieren. unser Land. Die heutige Steuerschätzung spricht für sich. (Beifall bei der SPD) Die Finanzierung würde schwierig werden. Zur Not erhö- hen Sie dann einfach einmal die Steuern bei denen, die Der zweite Bereich sind sicherlich nachfragestärkende wir gerade jetzt besonders für Investitionen brauchen. Maßnahmen. Nun sind Wachstum und Beschäftigung die Meine Damen und Herren von der Linken, da, wo sich beste Sozialpolitik. Das haben wir bei der Krisenbewäl- diese Politik in der Praxis beweisen muss, wird sie garan- tigung 2008/2009 gesehen. Dann, wenn die Menschen tiert scheitern. feste Jobs, sichere Arbeits- und Ausbildungsplätze haben und wenn sich Wirtschaftswachstum einstellt, steigen die (Beifall bei der FDP) Steuereinnahmen des Staates und auch die Nachfrage Ich schaue nur nach Berlin, auf Ihre Verantwortung im wächst. Deshalb geht es zunächst einmal darum, die Ar- rot-rot-grünen Senat. Da sehe ich nicht, wie Ihre Bause- beitsplätze zu sichern. Mit Kurzarbeit ist das gelungen. natorin den Wohnungsbau nachhaltig anschiebt. Sie ver- Wir müssen Kurzarbeit aber auch nutzen, um Weiterbil- staatlichen lieber Wohnungen, und Sie führen einen Mie- dung zu organisieren. Da kann man Qualifizierung und tendeckel ein, über den jetzt Karlsruhe entscheiden wird. Arbeitsfähigkeit erweitern und dementsprechend Be- schäftigung für die Zukunft fördern. Zum Beispiel könnte Da liegt der große Unterschied, meine Damen und man Unternehmen einen Bonus zahlen, die zusätzlich Herren: Wir Freien Demokraten sehen in der Krise keinen Ausbildungsplätze schaffen. Wir sehen im Moment die Freifahrtschein für ein Wunschkonzert. Uns geht es um Gefahr, dass Ausbildungskapazitäten zurückgefahren Konzepte, um Reformen und Zukunftsfähigkeit. werden. Natürlich gehören auch die Tarifbindung und andere Dinge dazu. (Beifall bei der FDP) Wir haben als weiteren Punkt – das hat der Kollege von Krisen sind genau der Zeitpunkt, da es heißt: Was können der Linken eben erwähnt – die Kommunen. Wenn ich mir wir besser machen? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19933

Manfred Todtenhausen (A) Zur Erinnerung: Die letzte große Arbeitsmarktreform Wir haben gemeinsam hier im Bundestag um Lösun- (C) hat der damalige Bundeskanzler Schröder im Jahr 2003 gen gerungen, um diese Unternehmen in der Krise zu initiiert, auch mitten in einer Krise. Die Regierung unterstützen. Wir haben das wirklich gemeinsam ge- Merkel hat davon fast 15 Jahre profitiert. Meine Damen macht. Wir haben über Zuschüsse, über Darlehen mit- und Herren, uns geht es um Veränderung, um Reformen einander gesprochen, und es wäre schön, wenn wir jetzt, für die nächsten zehn Jahre; daher auch unser Antrag an wenn wir auf die künftigen wirtschaftspolitischen Maß- dieser Stelle. Wir müssen uns jetzt um die Branchen nahmen schauen, auch ein Stück mehr Gemeinsamkeit kümmern, die seit Corona besonders betroffen sind. hinbekämen. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Johann Saathoff [SPD]) Dazu gehören auch unsere Einzelhändler. Sie leiden unter hohen Abgaben, Stromkosten und zu viel Bürokra- Aber wenn ich mir die Debatte jetzt hier anhöre, die die tie. Das gab es auch schon vor Corona. Aber mit Corona unterschiedlichen Redner über ein mögliches Konjunk- ist alles noch viel schlimmer geworden. Ja, auch die tur- und Investitionsprogramm miteinander geführt ha- schwierige Handhabe mit den verkaufsoffenen Sonnta- ben, dann ist mein Eindruck, dass wir irgendwie wieder gen macht den Einzelhändlern ihr Geschäft schwer. Jetzt in alte Reflexe verfallen. haben wir die Chance, etwas zu ändern. Dazu braucht der Das Erste: Zumindest herrscht anscheinend Einigkeit Handel reale Ziele, Anreize und vor allem Zuversicht. darüber, dass es so etwas wie ein Investitionsprogramm Die fehlt ihm. braucht. Bei den konjunkturellen Maßnahmen gibt es hier anscheinend große Widersprüche. Das finde ich schade, (Beifall bei der FDP) weil wir auf keinen Fall in einer Situation sein werden, Aber wenn Sie lieber von zu Hause einkaufen wollen – dass wir alleine eine angebotsseitige Störung der wirt- bitte schön, auch gut. Dann helfen wir den kleinen und schaftlichen Lage haben, sondern es wird, wenn man sich mittleren Betrieben, dem Einzelhandel, digitale Ver- jetzt die Zahlen zur Kurzarbeit anschaut, wenn man sich triebswege zu erschließen und zu nutzen und geben damit die erwarteten Arbeitslosenzahlen anschaut, auf jeden nicht nur den großen Onlinehändlern das letzte Wort. Fall eine hohe Unsicherheit auch auf der Nachfrageseite geben; dann wird es Einkommensverluste geben, und Die Bundesregierung frage ich außerdem: Wo bleibt deswegen braucht es eine Unterstützung auch auf der die versprochene Teilabsenkung oder Abschaffung des Nachfrageseite. Soli? Alles, was Liquidität und Umsätze stärkt, sorgt auch morgen für ein breites Angebot an Waren, Dienst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) leistungen und Arbeitsplätzen. So geht Förderung. sowie bei Abgeordneten der SPD) (D) Wenn es also weitere Programme braucht, um die Das Zweite – das habe ich bislang von keinem Redner Wirtschaft zu stützen, dann auch bitte mit Augenmaß. in der Debatte gehört, und das verstört mich ein Stück Natürlich sind auch wir für ein Investitionsprogramm in weit –: Wir lösen hier gerade nicht nur eine Krise, son- den Bereichen Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur, dern wir stehen vor der Herausforderung, zwei Krisen aber im Dialog mit der ganzen Wirtschaft und nicht über gleichzeitig lösen zu müssen. Wenn wir Milliarden von ihre Köpfe hinweg und nicht nur als Strohfeuer. Euro in die Hand nehmen, um ein Investitionsprogramm auf den Weg zu bringen, und wir sagen, es brauche Vielen Dank. 500 Milliarden Euro für zehn Jahre an Investitionen, dann können wir dieses Geld nicht in die Hand nehmen, ohne (Beifall bei der FDP) es gleichzeitig so auszurichten, dass es in der Lage ist, die zweite große Krise, nämlich die Klimakrise, mit zu be- Vizepräsident Thomas Oppermann: kämpfen. Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina Dröge. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, meine Damen und Herren: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist wahrscheinlich die beste Chance, die wir noch haben, diese Klimakrise zu bekämpfen, aber es ist viel- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): leicht auch die letzte Chance, die wir noch haben, um diese Klimakrise effektiv zu bekämpfen. Tragisch daran Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ist, dass hier keiner über Klimaschutz spricht, insbeson- Kollegen! Ich glaube, selten war eine Situation wirt- dere Sie, Herr Heider: Sie haben dauernd über Wachstum schaftspolitisch so kompliziert. Wir müssen als Deut- und Innovation geredet, aber das Wort „Klimaschutz“ scher Bundestag Antworten darauf geben, dass Liefer- kein einziges Mal in Ihrer Rede in den Mund genommen. ketten nicht mehr funktionieren, dass zeitgleich in Das Tragische daran ist, dass im Klimaschutz ja auch vielen Ländern die Wirtschaft in den Keller rauscht und noch die beste Innovationsperspektive für unser Land dass gut funktionierende Unternehmen auf einmal vor der liegt. Situation stehen, dass sie nicht mehr arbeiten können, einfach deshalb, weil sie nicht mehr arbeiten dürfen, weil Wenn wir eine Investitionsoffensive in den Ausbau die Kunden ausbleiben, weil richtige und notwendige ge- von Stromnetzen, in den Ausbau der Wasserstoffinfra- sundheitspolitische Auflagen gerade ihr Geschäft nicht struktur, in den Ausbau der Schieneninfrastruktur, in mehr ermöglichen. den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur für die Elektro- 19934 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Katharina Dröge (A) mobilität und in den Ausbau von digitalen Netzen ma- Übrigens zeigt die Krise auch, dass unser Sozialstaat (C) chen, dann schaffen wir doch die Grundlage für eine wirkt. Das Ausland beneidet uns um unser Kurzarbeiter- neue, moderne, innovative und klimaneutrale Wirtschaft. geld. Auch hier haben wir also schnell und zielgerichtet gehandelt. Auch unser Gesundheitssystem ist, wie ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagt, der Maßstab. Das kann man auch einmal ganz nüch- Das ist nicht nur aus Klimaschutzgründen sinnvoll; das tern und mit ein wenig Stolz feststellen, meine Damen ist auch noch ökonomisch sinnvoll. Wenn Sie dann die und Herren. So verfügte Deutschland schon zu Beginn ganze Zeit über Industriepolitik reden, so wie Sie das in der Krise, der Pandemie, über rund 28 000 Spezialbetten, der Vergangenheit gemacht haben, dann fangen Sie doch viele mit Beatmungsgeräten, im Vergleich Frankreich wenigstens jetzt in der Krise mit vernünftiger Industrie- lediglich über 7 000. Die Testkapazitäten sind hoch, und politik an. die Sterblichkeit ist in Deutschland insgesamt geringer als in anderen Ländern, gerade wenn man immer das Der Ausbau der erneuerbaren Energien würde Jobs Beispiel Schweden nennt. sichern, er würde gleichzeitig die Zukunft für die künftige Auch der Rückgang der Wirtschaftsleistung wird in wirtschaftliche Situation schaffen, und er würde nichts Deutschland geringer prognostiziert als in vielen anderen kosten, wenn Sie endlich die Ausbaubremse für die Solar- Ländern. Das alles sind in erster Linie Erfolge, meine energie entfernen würden. sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufgrund der richtigen Maßnahmen haben wir jetzt die sowie bei Abgeordneten der SPD) Chance, schnell wieder aus der Krise herauszukommen. Es wäre so einfach, jetzt in der Krise Industriepolitik Individuelle Freiheiten, ein Mehr an wirtschaftlicher Ak- zu machen. Auch bei den großen Industrien – bei der tivität ist entsprechend mit einem Mehr an Schutzmaß- Automobilindustrie, bei der Stahlindustrie – müssten nahmen, an individueller Verantwortung verbunden. Na- Sie jetzt die Krise nutzen, um eine Chance darin zu sehen, türlich wägen wir ab; wir wägen täglich ab, meine sehr in Richtung nachhaltige Mobilität statt immer nur in geehrten Damen und Herren. Es ist ja klar, dass die Me- Richtung alter Abwrackprämien zur Förderung von Ver- gathemen bleiben, dass Digitalisierung weiter voran- brennungsmotoren zu gehen. schreiten wird und sogar einen Schub bekommt. Auch der Klimawandel wird nicht aufhören, keine Frage. Des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halb ist es auch richtig, dass wir Anstrengungen unter- sowie bei Abgeordneten der SPD) nehmen, um eine resilientere, eine nachhaltigere Wirt- schaft aufzubauen. Wir brauchen in vielen Dingen mehr Ich sage Ihnen: In der Krise muss man manchmal prag- (B) Souveränität, ob bei der Impfstoffproduktion oder auch (D) matisch sein. Wir Grünen haben in dieser Krise ganz klar bei der Antibiotikaherstellung. All das werden wir ver- gesagt: Wir müssen die deutsche Automobilindustrie ret- stärkt angehen. ten, und wir müssen auch die Lufthansa retten. Dann geben Sie sich doch einen Ruck und gehen mit uns den Es ist aber immer eine Gratwanderung zwischen Effi- Weg in eine nachhaltige Zukunft für diese Konzerne! zienz und Resilienz, zwischen Effizienz und Wider- standsfähigkeit. Ja, vielleicht war die eine oder andere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entwicklung in der Vergangenheit zu beschleunigt. Aber klar muss ebenso sein, dass gerade wir als Deutschland Vizepräsident Thomas Oppermann: auch zukünftig auf internationale Lieferketten, auf fairen und freien Handel angewiesen sind. Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Andreas Lenz für die Fraktion der CDU/ Ebenso ist es völlig fehl am Platze, jetzt der Staatswirt- CSU. schaft das Wort zu reden. Wir glauben eben nicht, dass der Staat der bessere Unternehmer ist. Sie wollen Staats- (Beifall bei der CDU/CSU) wirtschaft; wir wollen Marktwirtschaft. Sie wollen Steuererhöhungen; das wollen wir eben nicht. Die Wirt- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): schaft findet nach wie vor in der Wirtschaft statt. Wenn Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und wir staatlicherseits so einsteigen, brauchen wir auch ei- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nen Ausstiegsplan, meine sehr geehrten Damen und Her- jetzt viel gehört, viele Vorschläge; zur Bewertung komme ren. ich noch. Aber zunächst einmal gilt es, zu betonen, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Riexinger wir während der ersten Phase der Krise schnell und rich- [DIE LINKE]: Der Staat steigt doch gerade tig gehandelt haben. Das war auch wirklich wichtig. ein!) Der Blick vom Ausland hilft hier manchmal. Das Aus- Ja, wir werden ein Konjunkturprogramm brauchen: für land beneidet uns um unser Gesundheitssystem, aber mehr Investitionen, für mehr Nachhaltigkeit, für mehr auch um unser Krisenmanagement. Man sieht ja nicht, Innovation und vor allem Zukunft. Wir wollen dabei was passiert wäre, wenn wir nicht so beherzt gehandelt Arbeitsplätze und Nachhaltigkeit in Gleichklang bringen, hätten. Dieser blinde Fleck wird auch entsprechend blei- hohe lokale Wertschöpfung mit hoher internationaler ben. Aber man kann doch mit Stolz konstatieren, dass uns Verflechtung und Arbeitsteilung erreichen. Wir wollen Gott sei Dank Zustände wie beispielsweise in Bergamo gezielte Anreize setzen. Wir können das im Übrigen auch erspart blieben, meine sehr geehrten Damen und Herren. nur deshalb, weil wir in der Vergangenheit nachhaltig Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19935

Dr. Andreas Lenz (A) gewirtschaftet und die öffentlichen Haushalte konsoli- erleben. Es ist lange vorbereitet worden, und es geht in (C) diert haben. Die schwarze Null war eben kein Irrweg. der Tat um die sinnvolle Trennung von ministeriellen Wir haben erst durch die Konsolidierung der letzten Jahre Aufgaben und nichtministeriellen Aufgaben. jetzt die Mittel, um tatsächlich wirkungsvoll zu handeln. Wir haben jetzt auch die Chance, gezielt in den Branchen Der diplomatische Dienst ist durch zwei Prinzipien ge- zu intervenieren, die von der Krise besonders hart getrof- kennzeichnet: Die Angehörigen des diplomatischen fen sind. Wir brauchen eine Kaskade des Helfens und Dienstes müssen zur Rotation bereit sein, und sie ver- werden die Zeit jetzt nutzen; wir nutzen sie ja auch schon, stehen sich als Generalisten. Das heißt im Umkehr- um entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. schluss: Es gibt im diplomatischen Dienst keine ortsfes- ten Spezialisten. Für diese ortsfesten Spezialisten, die wir Wir brauchen also Investitionen in die Zukunft. Wir aber brauchen, gründen wir jetzt das Bundesamt für Aus- werden entsprechend ein kluges Programm erarbeiten, wärtige Angelegenheiten, welches seinen Sitz in Bran- und alle sind eingeladen, daran mitzuarbeiten. Aber die denburg an der Havel haben wird. Anträge, die vorliegen, helfen uns in dieser Hinsicht nicht weiter. Es geht im Wesentlichen um vier große Punkte, die in diesem Bundesamt erledigt werden sollen: Herzlichen Dank. Zum einen geht es um die Bearbeitung von Visaan- (Beifall bei der CDU/CSU) trägen. Im Jahr 2019 hat der diplomatische Dienst der Bundesrepublik Deutschland knapp 2 Millionen Schen- Vizepräsident Thomas Oppermann: genvisa erteilt, verteilt auf mehr als 160 konsularische Vertretungen weltweit. Dass das natürlich eine große Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Vielfalt und große Unterschiede mit sich bringt, kann vor. Ich schließe die Aussprache. man sich schon allein daran vorstellen. 2 Millionen er- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf teilte Visa lassen nicht darauf schließen, wie viele be- den Drucksachen 19/19142 und 19/19118 an die in der arbeitet worden sind; es werden viele abgelehnt. Die An- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – zahl der abgelehnten kenne ich nicht, aber sie machen Weitere Überweisungsvorschläge sind nicht erkennbar. wahrscheinlich genauso viel Arbeit oder sogar mehr Ar- Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. beit als die genehmigten. Wie viel das bedeutet, wissen auch wir Abgeordnete: Wir werden sehr häufig von Bür- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: gerinnen und Bürgern auf die Erteilung von Visa ange- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sprochen, aus welchen Gründen auch immer: Ehegatten- nachzug, Arbeit, Familienzusammenführung. Es gibt (B) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (D) über die Errichtung eines Bundesamts für dazu sehr viele Fragen, die immer wieder gestellt werden. Auswärtige Angelegenheiten und zur Ände- Eine neue Aufgabe, die dort auch bearbeitet werden rung des Gesetzes über den Auswärtigen muss, besteht in der Umsetzung des Fachkräfteeinwan- Dienst, des Aufenthaltsgesetzes und zur An- derungsgesetzes. Da hat das Auswärtige Amt in der letz- passung anderer Gesetze an die Errichtung ten Zeit schon eine gute digitale Struktur aufgesetzt, aber des Bundesamts auch da wissen wir, dass noch einige neue Aufgaben auf Drucksache 19/17292 das Amt zukommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- Der zweite große Punkt ist das Fördermittelmanage- gen Ausschusses (3. Ausschuss) ment. In den letzten Jahren haben Fördermittel tatsäch- lich eine bedeutsamere Position im Auswärtigen Amt Drucksache 19/19182 eingenommen als in vielen Jahren zuvor – denken wir Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der an die humanitäre Hilfe, an die Krisenprävention, an die AfD vor. notwendigen Stabilisierungen, aber auch an Kulturpro- jekte im Ausland. Diese Fördermittel werden zurzeit im Für die Aussprache sind 30 Minuten vorgesehen. Ich Bundesverwaltungsamt abgerechnet; darauf wird meine weise darauf hin, dass das Ende der Sitzung heute erst Kollegin Doris Barnett sicherlich noch eingehen. gegen Mitternacht sein wird. Das nehme ich zum Anlass, von jetzt an die Einhaltung der Redezeit sehr genau zu Der dritte große Punkt betrifft die Zentralstelle für das überwachen. Ich bitte Sie, sich darauf einzurichten. Auslandsschulwesen, ZfA. Auch diese befindet sich zur- zeit im Bundesverwaltungsamt. Es geht darum, die Auf- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste gaben und auch die Stellen vom Bundesverwaltungsamt Rednerin die Kollegin Dr. Barbara Hendricks für die auf das neue Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten Fraktion der SPD. zu übertragen. Die Zentralstelle kümmert sich um 140 deutsche Auslandsschulen und etwa 1 100 Schulen in (Beifall bei der SPD) ausländischen Bildungssystemen, die aber das deutsche Sprachdiplom entsprechend den Vorgaben der Kultusmi- Dr. Barbara Hendricks (SPD): nisterkonferenz anbieten. Auch das ist natürlich eine Tä- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das tigkeit, die weltweit stattfinden muss. Auswärtige Amt ist jetzt 150 Jahre alt geworden und hat in seiner Geschichte noch nie eine nachgeordnete Behör- Nicht zuletzt geht es um die IT-Ausstattung für den de gehabt. Es ist also ein echtes Novum, was wir heute gesamten diplomatischen Dienst mit seinen besonderen 19936 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Barbara Hendricks (A) Anforderungen an weltweite Sicherheit. Dass dies eine (Lachen der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ (C) besondere Herausforderung ist, kann man sich sicherlich DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff vorstellen. [FDP]: Da muss er selber lachen!) Für alle diese Aufgaben braucht man aber darüber dass mehrere Verbesserungen an diesem Gesetzentwurf hinaus Sprachkenntnisse, möglicherweise auch Aus- vorgenommen werden konnten. So wird der Dienstsitz landserfahrung, besondere Kompetenzen. Deswegen ist eben nicht zwischen Brandenburg an der Havel und Ber- es gut, dass das neue Amt dem Auswärtigen Amt zuge- lin aufgeteilt, sondern verbleibt in Gänze in Brandenburg. ordnet sein wird und die Dienst- und Fachaufsicht wie Auch einige Mängel an der Aufbauzulage konnten im- auch die politische Steuerung selbstverständlich im Aus- merhin beseitigt werden. Dazu sagen wir: AfD wirkt. wärtigen Amt verbleiben. (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. Ekin Herzlichen Dank. Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Doch dieses neu zu schaffende Bundesamt ist nur ein der CDU/CSU und der Abg. Kathrin Vogler Symptom. Die Ursache ist im Grunde genommen das [DIE LINKE]) völlige Versagen der Führung des Auswärtigen Amtes im Bereich der Projektförderungen für Krisenprävention, humanitäre Hilfe, Auswärtige Kultur- und Bildungspoli- Vizepräsident Thomas Oppermann: tik. Diese machen zusammengenommen mehr als die Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Hälfte der Gesamtausgaben des Auswärtigen Amtes CDU/CSU der Kollege – – aus. Auch der Bundesrechnungshof hat das schon in den Vorjahren kritisiert. Die Entscheidungsprozesse zu (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nein! – den Projektförderungen waren kaum nachvollziehbar, Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nein, wir so der Bundesrechnungshof. Auch Verwendungsnach- müssen erst noch da durch!) weise in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro wurden weder – Entschuldigung. Ich bin verrutscht. vom Auswärtigen Amt noch von anderen Stellen hinrei- chend geprüft. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jeder verrutscht mal!) Deswegen sagen wir als Alternative für Deutschland: Wir brauchen keine neue Behörde. Diese Prüfung kann Keine falschen Zuordnungen: Nächster Redner ist für die zunächst einmal auch durch einen externen Dienstleister, Fraktion der AfD der Kollege Dr. Anton Friesen. durch einen zertifizierten Dienstleister erfolgen. Sie muss nicht durch eine Bundesbehörde erfolgen. Das ist das (B) (Beifall bei der AfD) (D) Erste. Dr. Anton Friesen (AfD): Zweitens brauchen wir natürlich auch ganz dringend Ja, darüber freue ich mich. – Sehr geehrter Herr Präsi- einen strategischen Ansatz bei der Förderung von Nicht- dent! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lie- regierungsorganisationen im Ausland, der von unseren be Bürger! Zunächst einmal möchte ich einen herzlichen eigenen Interessen ausgeht, einen Ansatz, der diese Inte- Dank für die wunderbare Arbeit aussprechen, die im Aus- ressen erst einmal definiert und dann die Projektförde- wärtigen Amt geleistet wird, um unsere Bürger in Zeiten rung vornimmt, anstatt wahllos und ziellos alle mögli- der Coronapandemie zurück nach Deutschland zu holen. chen Nichtregierungsorganisationen zu fördern. Es fanden über 260 Sonderflüge statt; aus 59 Staaten Vielen Dank. wurden 58 000 deutsche Staatsangehörige nach Deutsch- land geholt wie auch etliche Tausend Staatsangehörige (Beifall bei der AfD) anderer Staaten. Ich finde: Das sollte uns allen einen Dank und einen Applaus wert sein. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der AfD sowie der Abg. Vielen Dank. – Nunmehr spricht für die CDU/CSU der Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Kollege Jürgen Hardt. Gute Arbeit also vom Auswärtigen Amt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber Das kann man allerdings von dem hier vorgelegten mehr Sachlichkeit in die Debatte!) Gesetzentwurf leider nicht sagen. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass der Bundesrechnungshof zu den größ- Jürgen Hardt (CDU/CSU): ten Kritikern dieses Vorhabens gehört, und deswegen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben wir als AfD auch Vertreter des Bundesrechnungsh- wir heute hier vornehmen, ist die Errichtung der ersten ofes in den Auswärtigen Ausschuss eingeladen, die un- und vermutlich einzigen Bundesoberbehörde des Aus- serem Bundesaußenminister ein denkbar schlechtes wärtigen Amtes seit 150 Jahren. Zeugnis ausgestellt haben. Weder wird in dem Gesetzent- wurf erklärt, warum man für dieses neugeborene Bundes- Es hat eine Reihe von Ministerien gegeben, die diesen amt überhaupt gleich Außenstellen braucht, noch werden Weg der Ausgliederung von nichtministeriellen Aufga- die im Gesetzentwurf erwähnten Kosten wirklich belegt. ben aus dem Ministerium in den letzten Jahren bereits Gleichwohl hat die AfD als staatstragende Oppositions- gegangen sind. Ich kann mich zum Beispiel noch sehr kraft erwirkt, gut an den Prozess erinnern, den Thomas de Maizière Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19937

Jürgen Hardt (A) vorgenommen hat mit der deutlichen Verkleinerung des Staatssekretärin –: Wenn dieses neue Amt geschaffen (C) Verteidigungsministeriums, mit der entsprechenden Neu- wird und es die Vereinbarung gibt, dass damit die neuen ordnung der Bundesoberbehörden und der Auslagerung Länder gestärkt werden sollen, dann muss es auch eine von Stellen. Stärkung der neuen Länder geben. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ist auch in die Brandenburg an der Havel ist sicherlich ein geeigneter Hose gegangen!) Standort. Aber wenn im Gesetzentwurf der Bundesregie- rung steht: „Dienstsitz ist Brandenburg und Berlin“, dann Das Finanzministerium und das Justizministerium haben hatte ich den Verdacht, der Zweitschreibtisch am Werder- ähnliche Schritte unternommen. Im Justizministerium schen Markt ist vielleicht für den einen oder anderen Mit- wurde auch ein neues Amt geschaffen, wenn ich es rich- arbeiter höchst erstrebenswert. Es sind genau 46 Minuten tig in Erinnerung habe. Das ist der richtige Weg. mit dem Regionalexpress 1 vom Berliner Hauptbahnhof Im Übrigen: Bei aller Kritik, die der Rechnungshof im zum Brandenburger Hauptbahnhof. Einzelnen hatte an der doch sehr beschleunigten Art und Weise, wie das Gesetz erarbeitet wurde, hat er gesagt: Es (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aha!) gibt auch aus Sicht des Rechnungshofs keinen Zweifel Deswegen sagen wir: Brandenburg an der Havel ist der daran, dass ein solches Amt sinnvoll und richtig ist. – einzige und Hauptsitz dieses Amtes. Natürlich wird es Deswegen war es für uns in der Koalition klar, dass wir Außenstellen geben. Der Minister hat auch uns klar zu- diesen Weg konstruktiv und kritisch begleiten. gesagt, dass die Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes durch diese Bundesoberbehörde nicht gefährdet wird. Wir haben eine ganze Reihe von Aufgaben im Aus- Es gibt eine Reihe von Dienstposten – Kollegin wärtigen Amt, die vielleicht besser in einer solchen Bun- Hendricks hat darauf hingewiesen –, die an der Rhein- desoberbehörde von dauerhaft für diese Aufgaben tätigen schiene angesiedelt sind: Bundesverwaltungsamt in Köln Spezialisten wahrgenommen werden und nicht von den und auch andere Stellen in Bonn. Möglicherweise gibt es Diplomaten, die im Übrigen ähnlich wie Soldaten rotie- auch Dienststellen des Bundesamtes für Auswärtige An- ren. Die Diplomaten werden in ihrer Ausbildung so vor- gelegenheiten in Bonn. Wir glauben, dass das gut ver- bereitet, dass sie unterschiedlichste Dienstposten im In- einbar ist mit den Ansprüchen des Berlin/Bonn-Gesetzes und Ausland wahrnehmen können. Viele von denen wer- und mit dem Ziel der Stärkung der neuen Länder. den vielleicht auch eines Tages Funktionen in diesem neuen Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten über- Dann haben wir gesagt: Das mit der Aufbauzulage nehmen. Aber diejenigen, die dort an den Spezialaufga- haben wir verstanden. – Aufgrund des Rotationsprinzips ben arbeiten, werden sich sicherlich auf den Dienstposten im Auswärtigen Dienst passen andere Zulagen da nicht so (B) über viele Jahre spezialisieren können, und das ist der genau. Aber wir sind schon der Meinung: Nach fünf (D) große Vorteil. Jahren sollte das vorbei sein. – Wenn nach fünf Jahren in irgendeiner Art und Weise die Arbeit in diesem Amt Ich werde auch einige Punkte ansprechen, die Frau besonders honoriert werden sollte, dann, finden wir, soll Hendricks angesprochen hat. Ich glaube, dass wir bald das nur mit Zustimmung des Haushaltsausschusses und mehr als 3 Millionen Visaanträge bearbeiten müssen, des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundesta- wenn das Fachkräfteeinwanderungsgesetz tatsächlich ges erfolgen. Deswegen ist in dem Gesetz ein Prüfver- greift. Das kann nur durch einen neu aufgesetzten, stark merk enthalten. digitalisierten Prozess erfolgen, der in diesem neuen Bun- desamt für Auswärtige Angelegenheiten geleistet werden Ich glaube, dass die Beschäftigten des Auswärtigen muss. Amtes damit gut leben können. Ich hatte den Eindruck, dass es bei der Verlagerung der Führungsstäbe der ein- Wir haben eine Versiebzehnfachung der humanitären zelnen Teilstreitkräfte der Bundeswehr in andere Regio- Hilfe in den letzten zehn Jahren beschlossen. Die Mittel, nen – zum Beispiel der Führungsstab der Marine nach die wir dort verausgaben, müssen natürlich auch ord- Rostock – keine besondere Zulage- und Ausgleichsrege- nungsgemäß abgewickelt werden. Es muss geguckt wer- lung gab. Ich glaube, auch der Personalrat des Auswärti- den, dass sie in die richtigen Hände kommen. Gerade bei gen Amtes kann stolz darauf sein, was er hier erreicht hat. der Fülle der Aufgaben ist das eine Tätigkeit, die ein solches Amt sicher besser übernehmen kann als das Mi- Ich glaube, dass wir mit dieser neuen Bundesoberbe- nisterium selbst. Das Gleiche gilt für die Mittel in der hörde die Schlagkraft des Auswärtigen Amtes erhöhen. Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Wir werden immer unsere großzügige Bereitschaft, diese Institution zu schaffen und gegebenenfalls mit Stellen – Ich finde die Leistung des Auswärtigen Amtes ganz vielleicht auch mit zusätzlichen Stellen – auszustatten, enorm, 230 000 deutsche Staatsbürger – Herr Friesen, immer dann zur Sprache bringen, wenn wir erleben, dass 230 000 deutsche Staatsbürger sind es! – aus dem Aus- die Bearbeitung von Visaanträgen zu lange dauert, indem land zurückgeholt zu haben jetzt in der Coronakrise. Das wir sagen: Wir haben euch doch extra das Amt geschaf- war eine hervorragende Leistung. Aber auch für derartige fen. Jetzt muss es ja eigentlich in den nächsten Jahren ein Spezialaufgaben ist ein solches Amt natürlich im Zweifel bisschen besser werden. – Das wäre mein großer Wunsch. wie geschaffen. Bei der Schaffung des Amtes war uns wichtig – das hat (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE dazu geführt, dass wir innerhalb der Koalition, die Haus- GRÜNEN]: Den Unterschied muss man dann hälter und Außenpolitiker, intensive Gespräche geführt merken!) haben: mit dem Minister persönlich, mit der zuständigen Herzlichen Dank. 19938 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Jürgen Hardt (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich von Kol- (C) Doris Barnett [SPD]) legen angesprochen werde, die aus ihren Wahlkreisen über Antragsteller berichten, die über ein Jahr – manch- Vizepräsident Thomas Oppermann: mal gar anderthalb Jahre – nicht etwa auf das Visum, nein, auf einen Termin zur Vorsprache im Konsulat war- Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion ten, meine Damen und Herren. Darunter sind sogar Sti- der FDP der Kollege Alexander Graf Lambsdorff. pendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdiens- (Beifall bei der FDP) tes oder des Goethe-Instituts. Das ist beschämend für unser Land, und das muss sich ändern. Wir brauchen diese Menschen hier bei uns. Sie sind eine Bereicherung Alexander Graf Lambsdorff (FDP): für unsere Gesellschaft. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Freie Demokraten begrüßen wir, dass das Auswärtige Amt sei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ne Verwaltung besser organisieren will. Denn es ist rich- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tig, Diplomaten und Konsularbeamte aller Laufbahnen von Aufgaben zu entlasten, für die sie nicht besonders Abschließend: Es ist das Privileg einer Regierungs- qualifiziert und auch nicht besonders motiviert sind. Die mehrheit, hier Gesetze zu verabschieden, von denen ihre meisten haben sich ja nicht im Auswärtigen Dienst be- Unterstützer wissen, dass sie mindestens in Teilen fehler- worben, um sich anschließend im Beschaffungswesen behaftet sind. Aufgabe der Opposition ist es, diese Fehler oder im Fördermittelmanagement auszuzeichnen. Sie ha- zu markieren. Zur Standortfrage habe ich deshalb in der ben sich freiwillig einer berufslebenslangen, weltweiten ersten Lesung ausführlich gesprochen. Rotation unterworfen, weil sie gerne im Ausland auf Pos- ten sind, wo sie die Interessen unseres Landes vertreten. Daher jetzt nur in aller Kürze: Es gibt keine Dezentra- lisierung. Dann hätte man sich konsequenterweise für Weil ich weiß, dass es oft falsche Eindrücke über die- Chemnitz oder Rostock entscheiden müssen. Branden- ses Leben gibt, lassen Sie mich sagen, dass es auf den burg an der Havel ist wunderschön; aber es wird nur allermeisten Dienstposten weit weniger angenehm zu- formell Standort des neuen Amtes. Der Bund errichtet geht, als es das gängige Klischee suggeriert. Es gibt ab- dort sozusagen eine Briefkastenfirma: Adresse Branden- solute Härteposten wie Kabul, Bagdad oder Tripolis, wo burg, Eigentümer woanders. Wo? Das wissen wir auch. deutsche Diplomaten dennoch Dienst tun. Aber es gibt es Das neue Amt liegt in „Brandenburg an der Spree“. auch viele Posten, die spannend klingen, wo die Lebens- Selbst die Unterstützer wie Jürgen Hardt weisen darauf umstände aber alles andere als angenehm sind: Dhaka, hin, dass Brandenburg ausgewählt wurde, weil es von (B) Dschibuti, Duschanbe. – Ich glaube, ich trete Ihnen nicht Berlin mit dem Regionalexpress so schnell zu erreichen (D) zu nahe, wenn ich vermute: Die wenigsten würden dahin ist. So ist es ein Etikettenschwindel; denn damit wird kein ziehen wollen. – Die Angehörigen des Auswärtigen Beitrag zur angeblich angestrebten Dezentralisierung ge- Dienstes tun es für unser Land, und dafür gebührt ihnen leistet, im Gegenteil: Es ist ein Beitrag zur Zentralisie- unser Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. rung. Wir werden dem Entwurf der Regierung nicht zu- stimmen, sondern uns enthalten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Herzlichen Dank. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Nun ist es aber so, dass Menschen, die das auf sich nehmen, ja, es sogar interessant und spannend finden, für Verwaltungstätigkeiten oft weniger Interesse mitbrin- Vizepräsident Thomas Oppermann: gen. Das kann nicht verwundern. Diese Aufgaben in ein Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die neues Bundesamt auszulagern – Liegenschaften, Perso- Linke ist die Kollegin Kathrin Vogler. nalverwaltung und anderes –, ist daher richtig. (Beifall bei der LINKEN) Aus Sicht meiner Fraktion ist allerdings eines ganz besonders entscheidend, nämlich dass die Visumsvergabe endlich beschleunigt und verbessert wird. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten hält auch Die Linke prinzi- Die flächendeckende und durchgehende Einführung digi- piell für eine gute und sinnvolle Einrichtung. Derzeit taler Verfahren ist überfällig. werden im Auswärtigen Amt hier in Berlin etliche Auf- (Beifall bei der FDP) gaben erledigt, die in einer nachgeordneten Behörde deutlich besser aufgehoben sein werden. Dazu muss Daher erwarten wir, meine Damen und Herren, dass mit man zum Beispiel wissen, dass die Beamtinnen und Be- der Einrichtung des Bundesamtes das Auswärtige Amt, amten im Auswärtigen Amt nach dem Rotationsprinzip das neue Bundesamt und das Bundesinnenministerium immer nur wenige Jahre an einem Dienstposten bleiben; endlich Verfahren einführen, die die notwendigen Anfor- das ist eine Besonderheit des diplomatischen Dienstes. derungen an die Sicherheit mit einer massiven Steigerung Deswegen müssen sie auch generalistisch aufgestellt sein der Geschwindigkeit verbinden. und sich häufig in neue Aufgabenstellungen einarbeiten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19939

Kathrin Vogler (A) Es gibt aber doch eine ganze Reihe von Aufgaben, die Max Weber wissen wir, wie wichtig eine effiziente und (C) weniger mit dem diplomatischen Dienst zu tun haben und effektive Verwaltung ist, damit all die Beschlüsse, die wir für die es besser wäre, langfristig hochqualifizierte und hier fassen, auch entsprechend umgesetzt werden kön- spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem nen. Ort zu bündeln, etwa die interne Verwaltung, die Förder- projekte oder die Visaanträge; das soll künftig in diesem Warum wir dieses Bundesamt brauchen, ist eigentlich Bundesamt in Brandenburg an der Havel geschehen. Wie schon in allen Reden genannt worden. Den Verweis auf gesagt: grundsätzlich eine gute Idee. Nur im Detail offen- die Visastellen haben wir schon ein paarmal gehört; dem baren sich doch einige Schwierigkeiten. stimme ich zu, da gibt es nichts hinzuzufügen. Bis zu einem Jahr zu warten, bevor man überhaupt einen Antrag Der Bundesrechnungshof hat kürzlich in einer ausführ- stellen kann, ist für Unternehmer, Studierende, für Men- lichen Stellungnahme den Gesetzentwurf der Bundesre- schen, die nach Deutschland kommen wollen, nicht zu gierung bewertet, und die Koalition ist in zwei Punkten akzeptieren; deshalb brauchen wir an dieser Stelle eine der Kritik des Rechnungshofs gefolgt: Sie verzichtet jetzt Modernisierung. auf den zweiten Standort, was wir begrüßen, und be- grenzt die Aufbauzulage für die Beschäftigen der Behör- Ich nenne noch ein zweites Beispiel: die Verwendungs- de zeitlich. Das ist auch okay. Aber die für uns gravier- nachweise für Projektmittel. Insbesondere im Bereich der endsten Kritikpunkte bleiben dennoch bestehen: die humanitären Hilfe gibt es einen Bearbeitungsrückstau fehlende Aufgabenkritik und die mangelnde Klarheit von einem Jahr; da das derzeit zuständige Amt, das Bun- über die zu erwartende Kostenstruktur und mögliche Ef- desamt für Verwaltung, nicht in der Lage ist, diese ent- fizienzgewinne durch die neue Behörde. sprechend zu überprüfen, weil ihnen zum Beispiel die Fremdsprachenkenntnisse fehlen. Es ist leicht gesagt, Das ganze Gesetz wirkt für eine so bedeutende Struk- aber nicht leicht getan, so etwas zu externalisieren. Das turentscheidung tatsächlich ein bisschen grob und schnell muss im Amt geschehen, und auch deshalb brauchen wir gestrickt. Deshalb können wir uns heute leider nur ent- an dieser Stelle ein neues und modernes Verwaltungsamt. halten. Wir werden uns die weitere Entwicklung natürlich gut anschauen und in der Sache prüfen und die Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN regierung regelmäßig nach dem Fortgang befragen; da- sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) rauf können Sie sich verlassen. Ich wünschte mir aber, dass sich noch ein paar Sachen Übrigens ist es ganz spannend, wie sich die FDP hier ändern. Der Haushaltsausschuss hat dazu einen Maßga- als Lobbyklub erwiesen hat. In der letzten Lesung hat sie bebeschluss getroffen und auch viele Kritikpunkte des das Bundesamt nach Bonn verlegen wollen. Nichts gegen Bundesrechnungshofs berücksichtigt. Ich bin der Mei- (B) die Bundesstadt Bonn am Rhein; da habe ich einige der nung, dass wir den Teilbereich der Digitalisierung drin- (D) tollsten Demos meines Lebens erlebt. gend nach vorne ziehen müssen. Warum? Spätestens jetzt – mit den Coronaerfahrungen – wissen wir, dass zu (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – einer modernen Verwaltung auch die Digitalisierung ge- Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Zum Glück wir- hört und zu einer international agierenden Organisation kungslos!) ohnehin. Dieser Bereich ist noch weit hinten; ich hoffe, Aber dort ist eben auch ganz zufällig der Wahlkreis eines dass er vorgezogen wird. Die Tatsache, dass es ursprüng- wichtigen FDP-Außenpolitikers. lich dafür eine Außendienststelle in Bonn geben sollte, ist übrigens nicht diesem Gesetz geschuldet, sondern dem Ablehnen werden wir den Antrag der AfD, da er in eine Berlin/Bonn-Gesetz; das wir nicht durch ein einfaches ganz falsche Richtung geht. Sie wollen, dass das Aus- Gesetz hinfällig machen können. Daher ist es völlig irre- wärtige Amt am besten gar keine Projekte der Zivilge- levant, darüber zu diskutieren. Das Gesetz gibt es. Wenn sellschaft fördert. Das ist klar; mit Menschenrechten, Sie es ändern wollen, dann müssen Sie an das Berlin/ Friedensförderung und humanitärer Hilfe können Sie so- Bonn-Gesetz und nicht an dieses Gesetz Hand anlegen. wieso nicht so viel anfangen. Bei dem Vorschlag, das Abrechnungswesen im Auswärtigen Amt zu privatisie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ren, frage ich mich nur, welche Unternehmensberatungs- lobby Sie da zum Mettigel eingeladen hatte. Selbst wenn wir hier heute beschließen, dieses Bundes- amt zu errichten – das werden wir wahrscheinlich mit (Beifall bei der LINKEN) einer großen Mehrheit tun –, entbindet es uns nicht von dem Auftrag, die Verwaltung des Hauses weiterhin zu Vizepräsident Thomas Oppermann: modernisieren. Dazu gehört auch, die freien Stellen zeit- nah zu besetzen und an der Personalreserve zu arbeiten Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion und sie entsprechend auszustatten. Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Ekin Deligöz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abge- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ordneten der CDU/CSU) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- Solange wir keine Menschen haben, die dort arbeiten und türlich wäre es, ehrlich gesagt, spannender, hier jetzt über die Aufgaben erfüllen, nutzt uns die beste Verwaltungs- die neuen Herausforderungen der Außenpolitik zu debat- struktur nichts. Das eine bedingt das andere. In dieser tieren anstatt über die Verwaltung. Aber spätestens seit Reihenfolge müssen wir auch vorgehen. 19940 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Ekin Deligöz (A) Vielen Dank. arbeiter in Bonn angesiedelt sein; tatsächlich sind es (C) 11 Prozent. Wir übertreiben hier also nicht. Das Auswär- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tige Amt wird dort vernünftig geführt, und sie machen sowie bei Abgeordneten der FDP) auch alles, was notwendig ist. Dass die IT-Abteilung in Bonn bleibt und ausgebaut Vizepräsident Thomas Oppermann: werden muss, ist nicht der Einrichtung des Bundesamtes Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion geschuldet, sondern wir reden schon seit Jahren darüber, der SPD die Kollegin Doris Barnett. dass die IT-Abteilung ausgebaut werden muss. Das Aus- (Beifall bei der SPD) wärtige Amt hat ja auch die Aufgabe, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Bundesminis- Doris Barnett (SPD): terien ihre Aufgaben auch im Ausland wahrnehmen kön- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vie- nen. les ist jetzt schon zum Bundesamt gesagt worden, warum Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema Personal sa- es einzurichten ist, warum es notwendig ist, und natürlich gen: Personal gewinnt man nicht, indem man sagt: Du stehen wir da auch hinter Ihnen. darfst da hin; wir streichen dir aber als Allererstes das Als ich 2014 als Berichterstatterin für das Auswärtige Geld zusammen. – Wenn man das Personal halten will, Amt den ersten Bundeshaushalt zu betreuen hatte, betru- wenn man Expertise haben will, dann muss man es auch gen die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention vernünftig bezahlen. Jeder hier weiß, dass der öffentliche zusammen gerade einmal 400 Millionen Euro. Jetzt, Dienst nicht gerade der Ort ist, wo in diesem Land die 2020, reden wir über fast 2,4 Milliarden Euro. Das zeigt, üppigsten Gehälter gezahlt werden. Deswegen sage ich: wie hoch der Aufgabenzuwachs in diesem Amt ist und Die vorgesehenen Zulagen, um die wir uns mit dem Bun- weshalb wir hier auch einmal etwas genauer hinschauen desrechnungshof gestritten haben, sind alle verkraftbar. müssen, wie die Arbeiten gemacht werden, wer sie noch Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die Errichtung des machen kann und ob wir hier nicht umgestalten müssen. Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten jetzt mit großer Unterstützung beschließen könnten. Es wurde schon viel darüber gesagt, dass die Visastel- len überrannt sind. Alle, die schon einmal im Ausland Vizepräsident Thomas Oppermann: unterwegs waren und eine Botschaft besucht haben – Alois, du weißt es; wir machen es immer –, wissen, wie Frau Kollegin. überrannt sie sind. Ihnen steht oft nur begrenzt Personal Doris Barnett (SPD): (B) zur Verfügung, um das alles abzuarbeiten. Deswegen ist (D) es notwendig, eigenes Personal zu haben, anstatt Wir haben uns, was die Zulagen angeht, ja geeinigt. Ich plötzlich zu überlegen, ob man das alles ausgliedern hoffe, dass das auch unsere Nachfolger in Zukunft ent- kann. Nein, das ist Sache des Staates, und da muss es sprechend handhaben und den Mitarbeitern ebensolche auch bleiben. Deswegen ist es richtig, dass auch Visa- Hochachtung entgegenbringen – auch was die Bezahlung stellen, also die Visabeantragung, in dem neuen Amt an- angeht. gesiedelt sind. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die Fachkräfteeinwanderung wurde schon genannt; das ist richtig. Im Zusammenhang mit der humanitären Vizepräsident Thomas Oppermann: Hilfe – auch wenn sich da viel getan hat – möchte ich Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der darauf hinweisen, dass alleine im Auswärtigen Amt Kollege Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU. 44 Millionen externe E-Mails einlaufen, dazu kommen 4 Millionen interne E-Mails, die zu bearbeiten sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Man kann sich vorstellen, wie groß der Zuwachs an Ar- beit hier ist und weshalb dieses Amt dringend eingerich- Alois Karl (CDU/CSU): tet werden muss. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Natürlich gibt es auch Probleme; der Bundesrech- 150 Jahren – wir schrieben das Jahr 1870; daran können nungshof hat sie aufgezeigt. Allerdings hat der Bundes- wir uns nicht mehr so gut erinnern – wurde das Aus- rechnungshof sogar auf die Einrichtung des Amtes ver- wärtige Amt des Norddeutschen Bundes gegründet. Ein wiesen, er hat fast darauf gedrungen, hat gesagt: Ihr könnt Jahr später, 1871, wurde es das Auswärtige Amt des so nicht mehr weiterarbeiten; da muss es eine Lösung Deutschen Reiches. Eigentlich wären also in diesen Wo- geben. – Der Bundesrechnungshof echauffiert sich zum chen größere Geburtstagsfeiern angesetzt; diese fallen Teil über den Standort. Natürlich bleibt der Sitz der Be- aber aufgrund der Coronakrise aus. hörde in Brandenburg; das ist richtig. Aber dass man noch eine kleine Abteilung in Berlin haben muss, ist doch Trotzdem macht der Deutsche Bundestag dem Aus- logisch, zum Beispiel um Veranstaltungen vorzubereiten. wärtigen Amt mit dem Bundesamt für Auswärtige Ange- Wie soll das sonst gehen? legenheiten ein Geschenk. Nach dem Berlin/Bonn-Gesetz – darauf wurde schon (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE hingewiesen – müssten eigentlich 17 Prozent der Mit- GRÜNEN]: Ja!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19941

Alois Karl (A) Es ist kein kleines und kein billiges Geschenk. Wir haben weg 27 Stellen geschaffen. Wir werden, Frau Staatsmi- (C) nicht 150 Jahre darauf hingearbeitet, aber es hat schon nisterin, im Endstadium wahrscheinlich 700, möglicher- etwas länger gedauert. Der Bundesrechnungshof hat – weise bis 1 000 Stellen dort haben, allerdings nicht allein das ist schon gesagt worden – verschiedentlich kritisch für Visaangelegenheiten, aber die sollen dann natürlich in angemerkt, dass beim Auswärtigen Amt die ministeriel- ganz anderer Qualität und in ganz anderer Geschwindig- len und nichtministeriellen Aufgaben nicht so scharf ge- keit bearbeitet werden. Also: Warten Sie zu! Aus den 27 trennt sind und eine Aufgabentrennung durchaus erfolgen wird eine wunderbare Stellenvermehrung, ähnlich wie im sollte. Alten Testament. Wir haben darauf reagiert und in den Haushalt 2020 (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der bereits 3,5 Millionen Euro für Vorlaufkosten eingestellt CDU/CSU) sowie 27 Stellen ausgewiesen. Wir haben seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs vielfach Gespräche geführt, Das wird sich dann gut aufschaukeln und gut anwachsen. und unsere Intention ist klar: Wir möchten die Trennung Unsere Intention ist, meine Damen und Herren, dass von ministeriellen und nicht ministeriellen Aufgaben die Arbeit im Auswärtigen Amt, über die wir uns ansons- konsequent vornehmen. ten sehr freuen, im Hause und in den 227 Auslandsver- Die nichtministeriellen Aufgaben, die im Auswärtigen tretungen dadurch deutlich besser organisiert werden Amt miterfüllt werden, sind außerordentlich stark ange- kann und zu besseren Ergebnissen führen wird. wachsen; wir haben das gehört. Doris Barnett hat die Die Neugründung ist für uns in Brandenburg richtig humanitäre Hilfe angesprochen. Seit 2012 haben sich angesiedelt. Was haben wir nicht alles an Kritik gehört: unsere Leistungen für humanitäre Hilfe verfünfzehnfacht dass kein Ministerialer in die Provinz gehen möchte, dass und seit 2005 verfünfundzwanzigfacht. All das kann das nicht zumutbar sei, dass die Lebensqualität dort nicht nebenbei mitbearbeitet werden. Das gilt auch für schlechter sei. – Fake News, sage ich dazu. Brandenburg die Milliarde, die wir für die Auswärtige Kultur- und ist eine lebenswerte und liebenswerte mittlere Stadt, Bildungspolitik ausgeben. Die Zahlen bei den Visaanträ- gen steigen, die Bearbeitung solcher Anträge im Zusam- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- menhang mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ordneten der SPD) kommt hinzu, ebenso das Zuwendungsmanagement, IT- die in der Tat eine großartige Kultur aufzubieten hat, eine Aufgaben usw. usf. Das ist schon alles angesprochen reiche Geschichte hat und inmitten einer wundervollen worden. Landschaft liegt. Meine Damen und Herren, wer die Naherholung und (B) (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: auch die große Stadt Berlin sozusagen vor der Haustür Herr Karl, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der hat, wer in einer solch wundervollen Umgebung, wo AfD? andere Urlaub machen, einen krisensicheren Arbeitsplatz (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nein! hat, der spielt doch in der Premier League, der könnte Keine Zwischenfrage!) geradezu in den erblichen Adel aufgenommen werden. So schaut mir das aus. Ich glaube fast, dass die Mitarbei- Alois Karl (CDU/CSU): ter sich künftig noch darum balgen werden, nach Bran- Ja, gerne. denburg an der Havel zu kommen. Die Stadt hat eine großartige Historie. Otto I. war Vizepräsident Thomas Oppermann: damals nicht nur König, sondern auch deutscher Kaiser. Bitte sehr. Er hatte einen tollen Enkel, der auch Otto I. hieß, aus Brandenburg stammte und dann, lieber Stefan Müller, Armin-Paulus Hampel (AfD): als Herzog nach Bayern gekommen ist. Danke schön, Herr Kollege Karl. Ich freue mich. – Wir (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aber haben vorhin die Zahl gelernt: über 2 Millionen Visaan- damit habe ich nichts zu tun!) träge. Sie haben gerade 27 Stellen erwähnt. Können Sie mir mal vorrechnen, wie 27 Beschäftigte über 2 Millionen Wenn man sich all diese Verbindungen anschaut, muss Visaanträge schneller bearbeiten sollen, als es bisher in man sagen, dass die Wahl von Brandenburg an der Havel sämtlichen Konsulaten aller deutschen Botschaften welt- doch eine ganz besondere und die richtige gewesen ist. weit der Fall gewesen ist? Aber kommen wir zurück zur Jetztzeit. Wir möchten die Qualität natürlich dadurch verbessern, dass wir es Alois Karl (CDU/CSU): tüchtigen Mitarbeitern ermöglichen, in das neue Amt An Ihnen gefällt mir Ihre ungeduldige Art. – Darauf nach Brandenburg zu gehen. Es ist schon gesagt worden: komme ich noch zu sprechen. Wir können natürlich nicht sagen „Geh nach Branden- burg!“ und zugleich die jetzt gezahlte Ministerialzulage (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich habe Sie für streichen. Deswegen ersetzen wir die Ministerialzulage einen guten Rechner gehalten!) durch eine Aufbauzulage, die fünf Jahre lang gezahlt Natürlich kann man das nicht – das weiß jeder aus Kirche wird. Wenn die Aufbauarbeit abgeschlossen ist, soll da- und Schule – mit 27 Stellen machen. Aber wir sind ja erst mit Schluss sein. Für die Mitarbeiter, die dann nicht mehr in der Aufbauphase. Für die Anlaufaufgaben werden vor- im Auswärtigen Amt arbeiten, sondern im Bundesamt, 19942 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Alois Karl (A) wird auch die Rotation enden. Wir zahlen dann auch noch Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marc (C) Ausgleichszulagen für diejenigen, die später kommen, Jongen, Martin Erwin Renner, Thomas Ehrhorn, allerdings nicht für diejenigen, die von auswärts kom- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD men, sondern nur für diejenigen, die vorher im Ministe- rium tätig gewesen sind. Der Trauer um die deutschen Opfer des Zwei- ten Weltkrieges mit einer Gedenkstätte Aus- Wir haben mit dem Minister und der Staatsministerin druck verleihen vertrauensvoll zusammengearbeitet, sozusagen, lieber Kollege Hardt, auch Vergleiche geschlossen. Wir sind, Drucksache 19/19156 lieber Herr Minister, „maas-voll“ miteinander umgegan- Überweisungsvorschlag: gen. Ausschuss für Kultur und Medien (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- schlossen. Unsere Intention ist erhalten geblieben: Wir möchten Effizienzgewinne erzielen, Kompetenzgewinne erzielen, Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Ressourcengewinne erzielen. Dann hat sich das alles ge- Wort der Kollege Dr. Marc Jongen für die AfD. lohnt. Ich bitte Sie, zuzustimmen. (Beifall bei der AfD) Vielen herzlichen Dank. – Ich danke auch für die Zwi- schenfrage. Dr. Marc Jongen (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ul- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ende rich Lechte [FDP]) des Zweiten Weltkriegs jährte sich am 8. Mai zum 75. Mal. Coronadringlichkeit schön und gut; es kann aber nicht sein, dass der Deutsche Bundestag keine halbe Vizepräsident Thomas Oppermann: Stunde Zeit findet, um über den richtigen Umgang mit Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. diesem erinnerungspolitisch so wichtigen Datum zu dis- kutieren. Auch wenn sich das mit dem neuen Bundesamt nach Auffassung des Kollegen Karl alles aus dem Alten Testa- (Beifall bei der AfD) ment ergibt, müssen wir über den Gesetzentwurf der Bun- desregierung abstimmen. Der Auswärtige Ausschuss Nachdem von der Regierungskoalition nichts kam, hat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache also die AfD-Fraktion dieses Thema auf die Tagesord- nung gesetzt. Und inzwischen nannte ja Bundespräsident (B) 19/19182, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf (D) Drucksache 19/17292 in der Ausschussfassung anzuneh- Frank-Walter Steinmeier, gespenstisch einsam vor der men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Neuen Wache in Berlin stehend, den 8. Mai 1945 den Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- „Tag der Befreiung“. chen. – Das sind die Fraktionen SPD, Grüne, CDU/CSU. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Recht hat er!) Wer stimmt dagegen? – Das ist die Fraktion der AfD. Wer enthält sich? – FDP und Linke. Damit ist der Gesetzent- Und er fügte hinzu: „Damals wurden wir befreit. Heute wurf in zweiter Beratung bei Enthaltung von FDP und müssen wir uns selbst befreien!“ Er zählt dann auf: von Linken gegen die Stimmen der AfD mit der Mehrheit der „Versuchung eines neuen Nationalismus“, von „Ab- des Hauses angenommen. schottung“, „Fremdenfeindlichkeit“ und von „Hass und Hetze“, die nichts anderes seien – Zitat – „als die alten Es folgt die bösen Geister in neuem Gewand“. dritte Beratung (Marianne Schieder [SPD]: Recht hat er! – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Martin Rabanus [SPD]: Ganz schlimme Ent- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – wicklungen!) Das sind wiederum CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen Diese politische Geisterbeschwörung des Bundespräsi- und SPD. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der AfD. denten gipfelte in der Losung: Scheitert Europa, dann Wer enthält sich? – Wiederum FDP und Die Linke. Damit scheitert das „Nie wieder!“! ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit des Hauses wie- derum bei Enthaltung von FDP und Linken gegen die Meine Damen und Herren und werter Herr Bundes- Fraktion der AfD angenommen. präsident, ich rufe es Ihnen von dieser Stelle aus zu: Sie missbrauchen die Erinnerung an ein historisches Datum, Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie- um notwendige und legitime Debatten in der Gegenwart ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache zu unterdrücken! 19/19195. Darüber stimmen wir direkt ab, also nicht über eine Beschlussempfehlung. Wer stimmt für diesen Ent- (Beifall bei der AfD) schließungsantrag? – Das ist allein die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle übrigen Fraktionen Jeder, der die Nation als Garant der Demokratie vertei- des Hauses. Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist der digt, der die skandalöse Politik der offenen Grenzen Entschließungsantrag abgelehnt. ablehnt oder der keinen zentralistisch regierten EU-Su- perstaat will, wird von ihnen quasi unter Nazigeneralver- Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf: dacht gestellt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19943

Dr. Marc Jongen (A) (Marianne Schieder [SPD]: Nein, nein! Das (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wenn Sie wie- (C) war schon sehr differenzierter! Das wissen der hier sich als Frauenrechtler darstellen! Das Sie genau!) ist ja ekelhaft!) Das ist historisch und politisch abwegig, es spaltet die Allein die Pietät diesen keineswegs Befreiten gegen- Gesellschaft, und es ist eines Bundespräsidenten unwür- über verbietet es, den 8. Mai zum Feiertag zu erheben, dig. meine Damen und Herren,

(Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: [SPD]: Das, was Sie hier tun, ist eines Abge- Nichts aus der Geschichte gelernt!) ordneten unwürdig!) es sei denn, man ginge von einer Kollektivschuld aller Und eines noch: Sie können ja der Meinung sein, Herr Deutschen aus, was aber massiv zynische Implikationen Bundespräsident und viele hier im Saal ebenso, dass man hätte Deutschland „nur mit gebrochenem Herzen lieben“ kann. (Martin Rabanus [SPD]: Das ist so geschichts- (Martin Rabanus [SPD]: So ein Quatsch!) vergessen, was Sie hier machen! Unfassbar! – Marianne Schieder [SPD]: Tief in die Motten- Ich sage Ihnen: Es gibt Deutsche – und es sind nicht kiste!) wenige –, die ihre Heimat mit vollem Herzen lieben, und was jedenfalls Richard von Weizsäckers Diktum wi- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Mit ganzem derspricht – hören Sie mal zu! –, der nämlich sagte: Herzen!) „Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. und sie werden sich auch nichts anderes verordnen lassen Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persön- von Ihnen. lich.“ (Beifall bei der AfD – Martin Rabanus [SPD]: (Beifall bei der AfD) Wer hat denn diesen Blödsinn aufgeschrieben?) Lassen Sie uns daher diesen Jahrestag zum Anlass Doch kommen wir zu dem Schlagwort „Tag der Be- nehmen, um endlich auch für die deutschen Opfer des freiung“, das Richard von Weizsäcker in seiner berühm- Zweiten Weltkrieges eine Gedenkstätte zu errichten. ten Rede 1985 durchaus noch differenzierter verwendet Zentral in der Bundeshauptstadt gelegen, sollte sie über hat. SPD und Grüne wollen ja einen solchen Feiertag, wie die einzelnen Opfergruppen, wie ich sie vorhin nannte, (B) man hört, Die Linke sowieso, in bester DDR-Tradition, aber auch über die Opfer des Bombenkrieges in einem (D) wo es darum ging, mit dem Tag der Befreiung vom un- angeschlossenen Dokumentationszentrum auf dem heuti- freien Charakter der SED-Diktatur abzulenken. gen Stand der Forschung informieren. Ein Wettbewerb sollte ausgeschrieben werden und ein Expertengremium (Beifall bei der AfD) eingesetzt, das dem Deutschen Bundestag gegenüber re- chenschaftspflichtig ist. Ja, natürlich, meine Damen und Herren, Deutschland und die Welt wurden am 8. Mai 1945 befreit: vom ver- Zu den bestehenden Gedenkstätten für die Opfer des brecherischen NS-Regime und vom Ausnahmezustand NS-Regimes, allen voran dem Denkmal für die ermorde- der Vernichtung, den dieses in Europa entfesselt hatte. ten Juden Europas, soll diese Gedenkstätte ausdrücklich Es war ohne Einschränkung ein Tag der Befreiung für nicht ins Konkurrenz-, sondern ins Ergänzungsverhältnis die von den Nazis verfolgten Gruppen: die Juden Euro- treten, ganz im Sinne der Worte des ehemaligen Bundes- pas, die überfallenen und misshandelten Nachbarvölker, präsidenten Herzog: „… man kann weder Ruhe noch Ver- auch für weite Teile des eigenen Volkes, soweit sie sich in söhnung finden, wenn man sich nicht der ganzen Ge- Sicherheit befanden. schichte stellt“ – der ganzen Geschichte.

Aber – und diese Ambivalenz der Geschichte gilt es (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder auszuhalten –: Es war eben keine Befreiung für die 2 bis [SPD]: Das sollten Sie mal tun, sich der ganzen 3 Millionen Deutschen, die in den ehemaligen deutschen Geschichte stellen!) Ostgebieten durch Vertreibung, Flucht und Verschlep- pung nach 1945 noch umgekommen sind. Es war keine – Das tun wir, im Gegensatz zu Ihnen. Befreiung für die rund 11 Millionen deutschen Kriegsge- fangenen, von denen 1,6 Millionen gar nicht mehr zu- Wir glauben auch – ich komme zum Schluss –, dass die rückkehrten, die meisten anderen erst nach jahrelanger Freundschaft zu den ehemaligen Kriegsgegnern inzwi- unmenschlicher Lagerhaft. schen gefestigt genug ist, dass diese auch den Deutschen die Trauer um die eigenen Kriegsopfer zugestehen wer- (Marianne Schieder [SPD]: Das hat auch nie- den, wenn wir diese umsichtig, würdig und im Einklang mand behauptet außer Ihnen!) mit den historischen Fakten begehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger fordert unser Antrag. Und es war definitiv keine Befreiung für die geschätzt 2 Millionen nach dem 8. Mai noch vergewaltigten deut- Vielen Dank. schen Frauen und Mädchen, von denen 10 Prozent star- ben, die übrigen teils schwer traumatisiert wurden. (Beifall bei der AfD) 19944 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Richard von Weizsäcker nutzte im Mai 1985 eine klare (C) Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Sprache, eine befreiende Sprache für das, was 40 Jahre der CDU/CSU die Kollegin Elisabeth Motschmann. zuvor geschehen war. Auch ich zitiere ihn: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): befreit von dem menschenverachtenden System der Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Kollegen! Der Antrag der AfD ist der traurige Versuch, das Verbrechen der Deutschen mit dem Unrecht an Deut- Dieser Gedanke von Richard von Weizsäcker wird von schen zu vergleichen, aufzurechnen und damit zu relati- der AfD in seiner Intention verdreht und nicht verstan- vieren, den, und das ist beschämend. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Reinzuwa- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- schen! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Er hat KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – doch genau das Gegenteil gesagt! Genau das Zuruf von der AfD: Unglaublich!) Gegenteil!) Ich erinnere an eine Rede von Björn Höcke 2017 in Und genau das wollen und dürfen wir nicht. Dresden. Er sagte damals: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE uns heute noch ... Wir brauchen nichts anderes als GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Schämen Sie sich! Das hat er nicht gesagt! Er Genau diese Wende wollen wir nicht. hat das Gegenteil gesagt, Frau Motschmann!) Das trägt nicht zur Versöhnung bei. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schämen Sie GRÜNEN) sich dafür! – Gegenruf des Abg. Martin Und die AfD folgt mit ihrem Antrag dieser Forderung Rabanus [SPD]: Überhaupt nicht! Recht hat von Björn Höcke, und das, liebe AfD, ist erbärmlich. sie! – Gegenruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]: Er hat genau das Gegenteil ge- (Marianne Schieder [SPD]: Ja, widerlich! – sagt! Sie haben es gerade gehört! – Gegenruf Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ein Quatsch!) des Abg. Martin Rabanus [SPD]: Das gibt’s Ja, Deutschland hat die Grausamkeit des Krieges auch (B) doch überhaupt nicht! Das ist eine Unver- selbst erlitten und einen hohen Preis gezahlt. (D) schämtheit!) – Ich glaube, wir machen weiter; die Emotionen gehen Vizepräsident Thomas Oppermann: hoch. Frau Motschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Dezember fol- des Kollegen Jongen? genden Satz in Auschwitz gesagt – ich zitiere –: Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbari- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): schen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt Nein, lieber hinterher. – Unsere Städte lagen in Schutt wurden – Verbrechen, die die Grenzen alles Fassba- und Asche. Viele Millionen Menschen haben ihr Leben ren überschreiten. Vor Entsetzen über das, was verloren. Die Wirtschaft lag am Boden. 14 Millionen Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort ange- Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten Deutschlands tan wurde, muss man eigentlich verstummen. haben alles verloren, vor allem ihre Heimat. Niemand bestreitet das. Wir dürfen auch dieses Leid nicht verges- (Beifall der Abg. Katrin Budde [SPD]) sen. Das tun wir auch nicht. Es gibt überall im Land Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – aber ich mache Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Fast in jeder Kirche natürlich weiter. befinden sich Gedenktafeln für die gefallenen Soldaten. Der Holocaust hat insgesamt 6 Millionen Juden das (Marianne Schieder [SPD]: In jedem Dorf!) Leben gekostet. Sie wurden von Deutschen ermordet. – In jedem Dorf. – Wir haben Soldatenfriedhöfe in ganz Weltweit sind 60 Millionen Menschen dem Zweiten Europa. Gedenksteine für die Toten der Weltkriege be- Weltkrieg zum Opfer gefallen. Dieser Krieg war ein An- finden sich auf vielen Marktplätzen. griffs- und Vernichtungskrieg, Auch die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- (Nicole Höchst [AfD]: Zum Antrag!) nung hat die Aufgabe, die Erinnerung an alle Opfer des ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschulde- Nationalsozialismus aufrechtzuerhalten. Mit dem Bun- tes Verbrechen. Die Anerkennung dieser Schuld muss desprogramm „Jugend erinnert“ wollen wir die Bildungs- immer im Mittelpunkt unserer Erinnerungskultur stehen. arbeit zur Aufarbeitung aller Facetten des Nationalsozia- Nur so können wir nämlich das „Nie wieder!“ an die lismus stärken. Priorität müssen aber immer die nächste Generation weitergeben. authentischen Orte des NS-Terrors an Juden, Sinti und Roma, Behinderten und vielen anderen Opfergruppen ha- (Nicole Höchst [AfD]: Zum Antrag!) ben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19945

Elisabeth Motschmann (A) Ganz besonders wichtig ist die Zeitzeugenarbeit. Die (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (C) meisten Zeitzeugen leben leider nicht mehr, aber ihre [SPD]: Sie sollten mal zuhören!) bewegenden Zeugnisse sind in Büchern und in digitaler Form dokumentiert und damit erhalten. Dafür können wir Vizepräsident Thomas Oppermann: dankbar sein. Frau Motschmann. Die Würdigung aller Opfer des Nationalsozialismus ist durchaus gewährleistet. Deshalb lehnen wir die Forde- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): rung der AfD nach einer zusätzlichen Gedenkstätte nur Herr Kollege Jongen, ich brauche von Ihnen keinen für die deutschen Opfer ab. Das wäre das völlig falsche Nachhilfeunterricht. Signal. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist aber (Beifall bei der SPD und der LINKEN) hochnäsig!) Es darf keine Relativierung, keine Verharmlosung der Selbstverständlich habe ich die Rede von Richard von deutschen Verantwortung und Schuld für den grausamen Weizsäcker mehrmals und immer wieder gerne im Zu- Zweiten Weltkrieg geben. sammenhang gelesen. Ich habe Ihnen zu Recht unter- stellt, dass Sie die Intention dieser Rede nicht verstanden (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP haben. und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Ein Mitglied der AfD hat das Denkmal der ermordeten der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Juden als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Vor die- GRÜNEN) sem Hintergrund hat die AfD jede Berechtigung verloren, ein anderes Denkmal zu fordern. Dabei bleibe ich auch. Ich könnte noch hinzufügen, dass ich sowieso nicht verstehe, warum man, wenn man das Vielen Dank. Dritte Reich als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnet, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, noch ein Denkmal braucht. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: So ein Blödsinn!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Völlig Vizepräsident Thomas Oppermann: (B) falscher Zusammenhang! Er hat 20-mal rich- (D) Vielen Dank. – Ich gebe dem Kollegen Jongen die tiggestellt, wie er es gemeint hat!) Gelegenheit zu einer Kurzintervention. Vizepräsident Thomas Oppermann: Dr. Marc Jongen (AfD): Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für Vielen Dank, Herr Präsident, für diese Gelegenheit. – die Fraktion der FDP der Kollege Thomas Hacker. Frau Motschmann, ich weiß nicht, welche Rede Sie ge- hört haben oder welches Übersetzungsprogramm sozu- (Beifall bei der FDP) sagen in Ihrem Kopf läuft. Ich habe völlig anderes zum Ausdruck gebracht. Ich habe auch ausdrücklich das Thomas Hacker (FDP): Denkmal für die ermordeten Juden Europas gewürdigt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und gesagt, dass wir uns ergänzend dazustellen wollen Kollegen! Erst vor wenigen Tagen gedachten wir des und dass wir hier kein Konkurrenzverhältnis wollen. Endes des Zweiten Weltkrieges, der bedingungslosen Ka- Aber meine Frage bezieht sich auf die Rede Richard pitulation Deutschlands. Der 8. Mai 1945 markiert das von Weizsäckers, die Sie auch zitieren und wo Sie uns Ende der Nazidiktatur. Deutschland war am Ende. Für unterstellen, wir würden sie falsch verstehen und den Tag viele Täter und Opfer gab es keine Hoffnung mehr, keine der Befreiung falsch verstehen. Ich frage Sie: Kennen Sie Menschlichkeit, keine Zukunft. denn das Zitat aus dieser Rede von Richard von Dieser Tag ist für uns Deutsche ein Tag der Trauer und Weizsäcker? Er sagte: der Scham. Wir trauern um die Millionen Toten, die im Als Deutsche gedenken wir in Trauer der eigenen Krieg und durch die Nazis ihr Leben lassen mussten. Und Landsleute, die als Soldaten bei den Fliegerangriffen wir sind beschämt, weil der Krieg und die furchtbarsten in der Heimat, in Gefangenschaft und bei der Ver- Verbrechen gegen die Menschlichkeit von deutschem Bo- treibung ums Leben gekommen sind. den ausgegangen sind. In diesem Jahr war es ein stilles, ein einsames Geden- (Martin Rabanus [SPD]: Wer hat denn hier ken. Die politischen Spitzen der Bundesrepublik nicht zugehört?) Deutschland legten Kränze nieder in der Neuen Wache, Kennen Sie dieses Zitat überhaupt? Glauben Sie wirklich, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und dem Geist Weizsäckers gerecht zu werden, indem sie Gewaltherrschaft, von Flucht und Vertreibung, der Ge- dieser Trauer eine vollständige Absage erteilen? denkstätte übrigens für alle Opfer. Danke. (Marianne Schieder [SPD]: Genau!) 19946 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Thomas Hacker (A) Zurzeit erinnern wir uns an viele 75. Jahrestage aus den Marianne Schieder (SPD): (C) Schlussmonaten des Zweiten Weltkriegs: die Befreiung Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Kollegen! Als ich den Antrag der AfD vor wenigen Tagen Dort wurden Menschen systematisch gequält, ihrer Wür- gelesen habe, musste ich mich erst hinsetzen und wirklich de beraubt, industriell ausgelöscht, ermordet, vernichtet. tief durchatmen. Denn es ist unglaublich, wie hier mit Menschen aus Polen, aus Deutschland, aus Ungarn, aus unserer Geschichte umgegangen wird, und unsäglich, in Frankreich und aus vielen anderen Ländern Europas, welch infamer Weise die Rede des Bundespräsidenten Menschen jüdischen Glaubens, Christen, Sinti, Roma, Richard von Weizsäcker, aber auch historische For- Homosexuelle, Angehörige anderer Minderheiten – den schung benutzt, passend gemacht werden, um die eigene Nazis war die Nationalität ihrer Opfer egal. Wir erinnern rechte und braune Ideologie zu stützen und zu rechtfer- uns an die Bombardierung Dresdens genauso wie an die tigen. Todesopfer in den zuvor bombardierten Städten anderer Länder – London oder Coventry –: Kinder, Frauen, Män- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie ner. Den Bomben war die Nationalität ihrer Opfer egal. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Krieg ist grausam und unmenschlich. Völkerrechtlich Ich möchte es einmal vortragen. Da wird davon ge- mag ein Krieg definierbar sein. Urteile über Schuld und sprochen, dass die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Unschuld einzelner können verwischen. Befreiung“ eine „verkürzende Deutung“ sei. Es ist die Rede von einer „undifferenzierten Befreiungsrhetorik“, Sind Täter immer Täter und Opfer immer Opfer? So der jetzt – ich zitiere – „ein differenzierteres Bild entge- einfach ist das häufig nicht. Schnell können aus Opfern gengesetzt werden“ müsse, „das der historischen Wahr- Täter und aus Tätern Opfer werden. Wir haben aufgrund heit näher kommt und das namentlich den deutschen Op- unserer Geschichte Schwierigkeiten im Umgang mit die- fern des Zweiten Weltkriegs gerecht wird“. ser Ambivalenz. Wie gehen wir mit Menschen um, die zugleich Täter und Opfer sind? Wiegt die Schuld der Tat Es seien zwar am 8. Mai – so heißt es da außerdem – schwerer als das erlittene Leid? Fragen wie diese müssen das „nationalsozialistische Unrechtsregime“ beendet und wir uns immer wieder stellen. Sie gehören zu uns, zu „die von ihm verfolgten Ethnien, politischen Gruppen unserer Geschichte. Nur wenn wir uns damit auseinan- und Personen befreit worden“. Aber – so geht es dann dersetzen, können wir für die Zukunft lernen. weiter – der 8. Mai stehe „auch für die unter großen Opfern erzwungene bedingungslose Kapitulation und in- Der 8. Mai 1945 war Schlusspunkt unvorstellbarer folgedessen für den Verlust beträchtlicher Teile des ehe- Grausamkeiten und Verbrechen. Gleichzeitig konnte maligen Staatsgebietes“. (B) (D) Neues entstehen, auch wenn viele das in den zertrümmer- (Martin Rabanus [SPD]: Das ist unfassbar!) ten Städten oder Kriegsgefangenenlagern noch nicht se- hen konnten. Befreit von der Nazidiktatur wurde die Und es wird unterstellt, dass gezielt nicht darüber geredet Grundlage für ein freies, ein demokratisches Deutschland werde, dass es auch nach dem 8. Mai „Vertreibung, geschaffen: zuerst in der Bundesrepublik, nach der fried- Zwangsverschleppungen und Vergewaltigungen“ sowie lichen Revolution 1989 dann im vereinten Deutschland, Hunger und Elend gegeben hätte. Das Ganze gipfelt dann freundschaftlich verbunden mit unseren Nachbarn in Eu- in dem Satz: ropa. All diese nach dem 8. Mai 1945 noch ums Leben Gekommenen haben das Kriegsende nicht als Be- In unseren Gedenkstätten und Erinnerungsorten, an freiung erlebt. Jahrestagen wie dem 8. Mai setzen wir uns mit unserer Geschichte auseinander. Wir erinnern an die Opfer und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) ihr Leid, unabhängig davon, wo sie lebten oder woher sie kamen. Wichtiger als diese Frage sind die Lehren, die wir Und, wie zu erwarten, wird – wie es wörtlich heißt – aus unserer Vergangenheit ziehen, die Erkenntnisse, die „konstatiert“, dass es eine „weitgehende Ausschließung wir an die junge Generation weitergeben: das klare Be- der deutschen Kriegsgeneration als ‚Täterʼ aus der Er- kenntnis zum „Nie wieder“ – nie wieder nationale Über- innerungsgemeinschaft“ gebe. Und auch von einer „un- heblichkeit, nie wieder Hass, Intoleranz, Gewalt gegen- terschwelligen Behauptung einer Kollektivschuld der über anderen Nationen, anderen Religionen, anderen Deutschen“ ist die Rede, die, wie es weiter heißt, „in Meinungen, nie wieder Krieg. dem Schlagwort ‚Deutsche Täter sind keine Opferʼ ihre äußerste Zuspitzung findet“. Das stelle man sich einmal Danke. vor! (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Stimmt doch al- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten les!) der CDU/CSU und der SPD) Und dann stellen die sich hierhin und sagen, es sei ihnen ernst mit einer vernünftigen Bewältigung unserer Vergan- Vizepräsident Thomas Oppermann: genheit. Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion der SPD ist die Kollegin Marianne Schieder. (Dr. Marc Jongen [AfD]: Was ist daran unver- nünftig? – Zuruf von der CDU/CSU: Unerträg- (Beifall bei der SPD) lich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19947

Marianne Schieder (A) Es sei 75 Jahre nach Kriegsende an der Zeit, heißt es (Dr. Marc Jongen [AfD]: Was ist da schlecht (C) dann schließlich, das „stahlharte Gehäuse normierten Ge- dran?) denkens“, in dem das Leiden der deutschen Kriegsgene- ration kaum mehr einen Platz habe, mit einer eigenen Ich sage Ihnen: Anträge wie diese zeigen, dass wir Gedenkstätte zu durchbrechen. nicht aufhören dürfen, uns mit unserer Geschichte aus- einanderzusetzen; denn die Aufarbeitung ist noch lange Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schäme mich als nicht abgeschlossen. Und die Ewiggestrigen lassen nicht deutsche Staatsbürgerin und ich schäme mich erst recht locker, die Geschichte so hinzubiegen und zu frisieren, als Abgeordnete dieses Deutschen Bundestages zutiefst, wie es ihnen gerade passt, um ihre braune Soße im Land zu verbreiten und dafür möglichst viele Anhänger zu (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aber warum finden. denn?) dass es heute wieder möglich ist, dass Sätze, die von einer (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie so rechten und braunen Ideologie nur triefen bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Marc Jongen [AfD]: Wo denn?) Wir dürfen wirklich nie vergessen, welches Unrecht und und die sowohl die Geschichte wie auch die gesellschaft- welches Leid von Deutschland in die Welt getragen wur- liche Realität in ein so falsches Licht rücken, den und welche Gräueltaten im Namen des deutschen Volkes begangen wurden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Zusammen mit meiner Fraktion bin ich der Meinung, GRÜNEN) dass wir einen Ort der Dokumentation, des Lernens, des Erinnerns und der Begegnung brauchen, einen Ort, an in unserem Parlament gesagt werden können. dem an die NS-Besatzungsherrschaft zwischen 1939 (Dr. Marc Jongen [AfD]: Nennen Sie doch die und 1945 und ihre Folgen für ganz Europa, aber im Be- Stelle!) sonderen für die Länder in Mittel- und Osteuropa erinnert wird und an dem die Besatzungsherrschaft und ihre Fol- Ich schäme mich, und ich schäme mich wirklich zutiefst. gen aufgearbeitet werden. (Dr. Marc Jongen [AfD]: Bringen Sie doch ein Weite Teile Europas waren bei Kriegsende vollkom- Argument!) men verwüstet, rücksichtlos ausgeplündert und nach Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine „undif- dem Prinzip der verbrannten Erde unbewohnbar gemacht. (B) ferenzierte Befreiungsrhetorik“ in unserem Land und Die Blutspur der Nationalsozialisten hinterließ überall (D) ebenfalls kein „stahlhartes Gehäuse normierten Geden- unvorstellbares Leid. kens“, wo die Erinnerung und die Trauer um die deut- schen Opfer keinen Platz haben. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das bestreitet kein Mensch!) (Zuruf des Abg. Dr. Marc Jongen [AfD]) Gerade dieser Teil unserer Geschichte ist in unserer Be- Das wissen Sie alle ganz genau. Frau Kollegin völkerung in der Breite wenig bekannt. Motschmann hat darauf hingewiesen: In jedem Dorf – jedenfalls ist es in Bayern so – Ein solcher Ort sollte im Austausch mit den von der deutschen Besatzung betroffenen Nachbarn entstehen steht ein Denkmal für die vermissten, für die ermordeten, und sollte dauerhaft ein Ort des Gesprächs bleiben. Ein für die gefallenen solcher Austausch eröffnet einen Raum für transnationale Geschichtssicht und wirkt im Übrigen gegen die um sich (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Geht keiner mehr greifende populistische Geschichtsmanipulation, die man hin!) jetzt wieder überall antreffen kann. Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Überall finden Veran- staltungen statt, und zwar alle Jahre wieder, wo aller (Thomas Seitz [AfD]: Sie projizieren!) Opfer von Gewalt, Terror und Krieg gedacht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemein- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, sam an einem solchen Konzept arbeiten. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. GRÜNEN) Es gibt überall Gedenkorte, Dokumentationsstätten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- ganz vielfältiger Art. Sie werden getragen von wissen- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftlichen Analysen ebenso wie vom bürgerschaftli- sowie bei Abgeordneten der FDP) chen Engagement. Und selbstverständlich werden die deutschen Opfer nicht vergessen. Ich erinnere an die all- Vizepräsident Thomas Oppermann: jährlich stattfindende Gedenkstunde hier in diesem Hause Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion anlässlich des Volkstrauertages. Auf die Rede des Herrn Die Linke die Kollegin Brigitte Freihold. Bundespräsidenten in der Neuen Wache ist bereits hinge- wiesen worden. (Beifall bei der LINKEN) 19948 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Brigitte Freihold (DIE LINKE): oder ein Denkmal für die polnischen Befreier von Berlin? (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokrati- ren! Die AfD will der deutschen Opfer gedenken. Sie will schen Fraktionen, angesichts der neuen Provokation der aber nicht der planmäßigen Ermordung deutscher Juden AfD sollten wir auch selbstkritisch über den Zustand durch ihre deutschen Nachbarn gedenken, unserer Erinnerungskultur reflektieren. Theodor Adorno (Dr. Marc Jongen [AfD]: Doch! – Dr. Bernd kritisierte den Gestus der deutschen „Aufarbeitung der Baumann [AfD]: Blödsinn!) Vergangenheit“, der mehr der Tilgung der Erinnerung dient und weniger Ausdruck gesellschaftlicher Mündig- der deutschen Sinti, keit ist. Angesichts des wachsenden Antisemitismus und (Dr. Marc Jongen [AfD]: Doch!) Antiziganismus sowie der Morde von Halle und Hanau wäre es zu einfach, den Missstand auf die AfD zu ver- der deutschen Opfer von Zwangsarbeit, „Kinder-Eutha- kürzen. nasie“ oder der als Homosexuelle und Asoziale Verfolg- ten. Ein Selbstverständnis moralischer Überlegenheit in der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung mani- (Dr. Marc Jongen [AfD]: Doch! – Dr. Bernd festiert sich in jahrzehntelang verweigerten Entschä- Baumann [AfD]: Wo haben Sie denn das her? digungen und Ghettorenten, fehlender Anerkennung Stimmt doch nicht! – Zuruf von der LINKEN: marginalisierter Opfergruppen, der ausgebliebenen Reha- Buh!) bilitierung der Opfer der Polenstrafrechtsordnung. Sie verschweigt damit (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Überhaupt Solange zwei Drittel der deutschen Familiennarratio- nichts!) nen aus Opfer- und Heldengeschichten bestehen und ent- die entrechteten Deutschen in den deutschen KZs, deut- gegen den historischen Erfahrungen die Täterschaft und sche Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten, deut- die Mittäterschaft kaum thematisiert werden – Studien sche Widerstandskämpfer, Deserteure und Soldaten der belegen das – , solange bleibt unsere Erinnerungskultur Anti-Hitler-Koalition. Allein im polnischen Untergrund weiterhin brüchig. oder der französischen Résistance kämpften etliche deut- Danke schön. sche Wehrmachtsdeserteure. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (B) Ja, deutsche Soldaten starben – weil sie einen Vernich- (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: tungskrieg geführt und verloren hatten. Der deutsche Ver- nichtungswille fiel auf Deutschland zurück, weil die Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für Deutschen nach wie vor an Hitler glaubten und unfähig die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Erhard zur Kapitulation waren. Wer waren denn die Nazis? Die Grundl. Deutschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Marc Jongen [AfD]: Aha!) Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die meisten ihrer Millionen Opfer gab es aber bei den Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und versklavten und verfolgten Nachbarn in Europa. Die Herren! Am Anfang des vorliegenden AfD-Antrags steht meisten Opfer der Deutschen haben die Befreiung nicht der Versuch, Geschichte umzudeuten. Sie reißen Zitate mehr erlebt. Für die Mehrheit der Deutschen war es keine aus der Weizsäcker-Rede von 1985 aus dem Zusammen- Befreiung; sie folgten Hitler bis zuletzt. hang, Die AfD will nun eine Gedenkstätte für die Deutschen, (Dr. Marc Jongen [AfD]: Zitate sind immer aus die bis zum Schluss und auch Jahrzehnte danach Hitler dem Zusammenhang!) folgen wollten. Das lehnen wir ab. Täter sind keine Opfer. um damit Ihr braunes Süppchen am Köcheln zu halten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Verhetzung, was Sie ma- (Thomas Seitz [AfD]: Sie missbrauchen chen!) Weizsäcker!) Gedenken sollte denen gelten, an die man sich gerade Sie betreiben Geschichtsklitterung und wollen die deut- nicht erinnert. Das sind nicht die eigenen Toten; das sind sche Täterschaft relativieren. Das wird Ihnen nicht ge- die von unseren Vorfahren in Deutschland und Europa lingen. ermordeten Menschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In diesem Sinne frage ich Sie, meine Damen und Her- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – ren von der AfD: Warum unterstützen Sie nicht zum Bei- Dr. Bernd Baumann [AfD]: Belegen Sie das spiel den Vorschlag für ein deutsch-polnisches Museum doch mal!) in Gedenken an die circa 5,6 Millionen polnischen Opfer der deutschen Besatzung, die Hälfte davon Juden, Ich möchte hier eine Zeitzeugin zitieren, meine Mutter. Meine Mutter war bei Kriegsende 15 Jahre alt, eine junge (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Frau aus einem Bauerndorf in Niederbayern, sehr katho- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19949

Erhard Grundl (A) lisch, eher unpolitisch. Mit ihr habe ich später oft über die stellt sich auf die Seite der Leuteschinder und kann hier (C) Zeit des Nationalsozialismus und den Krieg gesprochen, im Deutschen Bundestag nicht glaubhaft Trauer für die und ihre Worte möchte ich Ihnen eigentlich ans Herz Opfer des Kriegs einfordern. legen, auch wenn da vielleicht nichts mehr ist. Meine Mutter hat gesagt: Wer im Dritten Reich bei uns nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ganz bewusst weggeschaut hat, der hat sehr wohl sehen bei der SPD und der LINKEN) können, was passiert ist. Vizepräsident Thomas Oppermann: Der Zweite Weltkrieg war eine Tragödie. 60 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Er war eine Tragödie, die Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der von Deutschen über die Menschen in Europa gebracht Kollege Eckhard Pols für die Fraktion der CDU/CSU. wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, wir trauern. Wir trauen um Deutsche, um deutsche Eckhard Pols (CDU/CSU): Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgte, kritische Künst- lerinnen und Künstler. Wir trauern um die Euthanasie- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten opfer, um Sinti und Roma, um Zwangssterilisierte, um Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion beobachtet ermordete Homosexuelle, um die Opfergruppen der als mit großer Sorge, dass die Erinnerungskultur und die asozial und als Berufsverbrecher Diffamierten und um Deutung des Zweiten Weltkrieges widersprüchlicher, ja, die in den KZs Ermordeten. Viele müssten noch genannt umstrittener sind denn je. Historiker sprechen gar von werden. einem Erinnerungskrieg, der das Potenzial hat, neue Kon- flikte in Europa zu schüren. Sie alle waren Deutsche – von Deutschen ermordet. Sie alle bleiben unerwähnt in Ihrem Antrag. Sie alle ge- Der „Spiegel“ schreibt Anfang Mai: „Dabei verläuft hören genauso zu unserer Geschichte wie die zivilen die am schwersten umkämpfte Frontlinie zwischen Polen Bombenopfer, die Jugendlichen, die in einem längst ver- und Russland.“ Das sind erstaunlicherweise die Länder, lorenen Krieg als Kanonenfutter dienten, die Frauen, die die am meisten unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten Opfer von Vergewaltigung wurden, die Menschen, die als haben. Streitpunkte sind etwa die eigene Opferrolle, der Folge des Kriegs ihre Heimat verloren. Doch auch die Hitler-Stalin-Pakt, der 1939 zur Aufteilung Polens führte, Vertreibung von vielen Millionen Deutschen ist letztend- und die damit verbundene Frage, ob die Sowjetunion eine lich eine Folge der mörderischen Expansionspolitik Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trägt. Deutschlands gewesen. Diese historische Einordnung Meine Damen und Herren, diese Auseinandersetzung vermisse ich im Antrag der AfD. wird auch hierzulande geführt, und die versuchte Ein- (B) flussnahme reicht bis in den Deutschen Bundestag. Auf- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grund der deutschen Verantwortung für die Millionen und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Opfer der größten Tragödie des 20. Jahrhunderts muss der CDU/CSU, der SPD und der FDP) sich die Bundesrepublik Deutschland dieser geschicht- Meine Damen und Herren, Deutsche waren auch Op- spolitischen Herausforderung stellen. fer, aber viel zu viele waren Täter. Es waren Deutsche, die Warum ist diese Entwicklung so brandgefährlich? Weil im Krieg mit Regeln brachen, die zuvor galten. Es waren in Deutschland die politische Rechte unter Führung der Deutsche, die als Erste die Zivilbevölkerung ganzer Städ- AfD eine Neubewertung des Nationalsozialismus an- te bombardierten. strebt. Bewusst werden einzelne Ereignisse des Weltkrie- An alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erin- ges, wie die Bombardierung Dresdens, instrumentalisiert nern wir uns heute in der Neuen Wache in Berlin und und Deutsche ausschließlich als Opfer thematisiert. im Zentrum gegen Vertreibungen. Wir vergessen anders als die AfD eben nicht, dass es die Ausgrenzung und (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Verfolgung Andersdenkender, der fanatische Nationalis- Quatsch!) mus und der menschenverachtende Rassenwahn waren, Dahinter steckt die Strategie, den Fokus auf die Kriegs- die diesen Krieg und den Massenmord an sechs Millionen verbrechen der Alliierten zu richten, um die deutsche Jüdinnen und Juden erst möglich machten. Und wir ver- Schuld zu relativieren. gessen nicht, dass wenige Widerstand leisteten, aber die große Mehrheit mitmachte. (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Auch Quatsch!) Der vorliegende AfD-Antrag benutzt in geradezu skan- Wir werden die Erinnerung an die deutschen Verbre- dalöser Weise die wegweisende Rede des Bundespräsi- chen wachhalten; denn das ist unsere historische Verant- denten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945, um wortung – nicht als Selbstzweck, sondern damit wir nie eine Gedenkstätte für deutsche Opfer des Zweiten Welt- wieder wegschauen, damit wir nie wieder Täter werden. krieges zu begründen. Dabei blendet sie die Vorgeschich- Wer wie Sie von der AfD den Nationalismus bagatelli- te des Krieges, die Machtergreifung der Nationalsozialis- siert und damit die Opfer verhöhnt, ten, und die Millionen NS-Opfer, die Weizsäcker (Dr. Marc Jongen [AfD]: Das ist falsch! Ge- selbstverständlich in den Vordergrund gestellt hat, völlig logen! Das ist gelogen!) aus. wer wie Sie beklagt, die deutsche Kriegsniederlage habe (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aber die anderen einen „Verlust von Gestaltungsmöglichkeit“ bedeutet, der eben auch!) 19950 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Eckhard Pols (A) Weizsäcker erinnerte aber eben auch an die deutschen Medien vorgeschlagen. – Andere Überweisungsvorschlä- (C) Opfer des Widerstands oder an die Heimatvertriebenen. ge sehe ich nicht. Dann haben wir das so beschlossen. (Dr. Marc Jongen [AfD]: Zu Recht!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: Die AfD hantiert, etwa bei Flucht und Vertreibung, mit a) – Zweite und dritte Beratung des von der höheren Opferzahlen, als sie in der aktuellen Forschung Bundesregierung eingebrachten Entwurfs als gesichert gelten. Es ist ein Angriff auf die deutsche eines Achten Gesetzes zur Änderung Erinnerungskultur, die uns Achtung in der Welt ver- des Bundesfernstraßengesetzes schafft hat, wenn die AfD den Opfermythos der 50er- (8. FStrÄndG) Jahre wiederbeleben will. Zudem ist der Antrag hand- werklich miserabel. Der Antrag ist gemessen an wissen- Drucksache 19/17290 schaftlichen Standards wahrhaftiger Aufarbeitung des Beschlussempfehlung und Bericht des Zweiten Weltkriegs eine absolute Niederlage, und Sie Ausschusses für Verkehr und digitale In- werden damit auch nicht durchkommen. frastruktur (15. Ausschuss) (Marianne Schieder [SPD]: Um das geht es Drucksache 19/19132 ihnen auch nicht!) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung sich seit 1949 für Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den NS-Opfern und für Solidarität und Lasten- Drucksache 19/19133 ausgleich in der eigenen Bevölkerung eingesetzt, die von den Kriegsfolgen unterschiedlich betroffen war. Wir ver- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des urteilen deshalb jede Form von Geschichtsklitterung in Berichts des Ausschusses für Verkehr und Bezug auf den Zweiten Weltkrieg auf das Schärfste. digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung (Marianne Schieder [SPD]: Gut!) Zweite Verordnung zur Änderung der Angesichts der neuen geschichtspolitischen Herausforde- Sechzehnten Verordnung zur Durchfüh- rungen ist es zwingend erforderlich, über die bisherigen rung des Bundes-Immissionsschutzgeset- Initiativen zur Erweiterung des Gedenkens an den Zwei- zes(Verkehrslärmschutzverordnung – 16. ten Weltkrieg und dessen Opfer hinauszugehen. BImSchV) (B) Die zukünftige Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges Drucksachen 19/18471, 19/18779 Nr. 2, (D) muss mit einem umfassenden Ansatz erfolgen. Dabei 19/19197 müssen alle Aspekte seiner Geschichte – von der Besat- zungsherrschaft über die Zwangsarbeit bis zum Bomben- Zu beiden Vorlagen liegt je ein Entschließungsantrag krieg – ausgewogen berücksichtigt werden. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Unsere Fraktion hält am Postulat von Weizsäcker fest: Für die Aussprache sind 30 Minuten vorgesehen. Wir müssen der historischen Wahrheit ins Auge sehen, Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem „ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit“. Kollegen Gero Storjohann für die Fraktion der CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – CSU. Dr. Marc Jongen [AfD]: Genau, „ohne Einsei- (Beifall bei der CDU/CSU) tigkeit“!) Ich stimme daher dem Staatsminister Michael Roth Gero Storjohann (CDU/CSU): vollkommen zu, der am 8. Mai in der „Frankfurter Rund- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- schau“ äußerte, dass Erinnern kein Kampfinstrument der ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Achte Gesetz politischen Auseinandersetzung sein darf. Gedenken darf zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes, das ist das, nicht spalten! womit wir uns beschäftigt haben und was heute abschlie- ßend beraten wird. Beim Siebten Gesetz zur Änderung (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das wäre schön! – des Bundesfernstraßengesetzes haben wir uns darauf ge- Dr. Marc Jongen [AfD]: Das wäre schön! Wün- einigt, dass Radschnellwege zukünftig eine Bundesauf- schen wir uns!) gabe sein sollen. Beim Achten Gesetz ist es schon wieder Vielen Dank. der Radverkehr, der hier im Fokus steht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall des Abg. Mathias Stein [SPD]) Der Radverkehr leistet einen wichtigen, wachsenden Teil Vizepräsident Thomas Oppermann: des Gesamtverkehrsaufkommens. Immer mehr Men- Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht schen verzichten, insbesondere bei Distanzen von bis zu vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. 15 Kilometer, auf ihr Auto und nutzen stattdessen das Fahrrad, meistens, um zur Arbeit zu pendeln. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/19156 an den Ausschuss für Kultur und (Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19951

Gero Storjohann (A) Gerade in Zeiten des Coronavirus hat sich der Radver- Meine Damen und Herren, wir haben das Potenzial der (C) kehr als geeignetes Verkehrsmittel herausgestellt. Radschnellwege erkannt. Wir haben festgestellt, dass es schwierig ist, ganz auf die Schnelle solche Radschnellwe- Die Infrastruktur für den Radverkehr ist ein entscheid- ge zu entwickeln. Da sind wir auf einem guten Weg. Dies ender Faktor für den Anteil des Radverkehrs am Gesamt- ist jetzt eine zusätzliche Ergänzung. Auch der Pkw-Ver- verkehrsaufkommen. Da sind viele gute Dinge in den kehr wird Nutzen davon haben; denn dadurch, dass die letzten Jahren gemacht worden; aber es kann immer noch Betriebswege verbreitert werden, kann man die Unter- besser sein. Bis zum Jahr 2023 stellen wir dem Ministe- haltungsabläufe optimieren; wenn die Betriebswege rium über 900 Millionen Euro zur Verfügung allein für breiter sind, ist es nicht unbedingt notwendig, die Straßen Radverkehrsinfrastruktur. Aber Finanzmittel alleine ma- während der Wartungsarbeiten zu sperren. Insofern be- chen den Radverkehr nicht attraktiver; wir müssen auch kommen wir auch eine größere Kapazität der ganzen dafür sorgen, dass Radfahrende sich im Verkehr sicher Straße. fühlen und ein großes Radverkehrsnetz zur Verfügung steht. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Die Änderungsanträge, die wir als Union im Aus- den Radverkehr ist ein wichtiger Baustein, gerade für schuss eingebracht haben – der Kollege Alois Rainer urbane Zentren. Die multiple Verkehrsnutzung kann ein wird einige ergänzende Ausführungen dazu machen –, wichtiger Beitrag zum Umweltschutz sein. beinhalten noch etwas Weiteres: Es geht um die Ermäch- tigung für die Länder, dass Parkausweise für Bewohner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von städtischen Quartieren mit einer gewissen Gebühr Ich bin dankbar, dass das Ministerium unter Leitung versehen werden können. Das ist bisher schon möglich, von Andi Scheuer die Förderung des Radverkehrs zu aber nur mit einer Obergrenze von 35 Euro, wenn ich das einem eigenständigen Politikbereich erklärt und dass richtig weiß. der Minister aktiv in die Pedale tritt. Das ist neu. Es macht Spaß, als Radverkehrspolitiker da mit dem Ministerium (Mathias Stein [SPD]: 30,70 Euro!) zusammenzuarbeiten. Mathias Stein kann mir da sicher- - 30,70 Euro. Mein Sohn zahlt mehr; ich weiß nicht, lich beipflichten. warum. – Wir haben jetzt auf Wunsch der Länder eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ermächtigungsgrundlage geschaffen, sodass die Länder des Abg. Mathias Stein [SPD]) die Möglichkeit haben, den Kommunen die Kompetenz zu übertragen, eigene Gebühren zu erlassen, um den Worum geht es jetzt? Mit dem vorliegenden Gesetzent- Parkraum zu bewirtschaften und letzten Endes für sinn- wurf schaffen wir nun die Grundlage, Betriebswege auf volle Bewirtschaftung im innerstädtischen Bereich zu (B) Brückenbauwerken im Zuge von Bundesautobahnen und sorgen. Das ist aber kein Automatismus; denn es steht (D) Bundesstraßen, die als Kraftfahrtstraßen ausgewiesen den Ländern und den Kommunen frei, ob sie davon Ge- sind, bedarfsabhängig so zu bauen, dass auf diesen auch brauch machen. Wir werden sehen, wie sich das auswirkt. öffentlicher Radverkehr stattfinden kann. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Also: Der Bund ist Jedenfalls freue ich mich, dass wir heute ein Gesetz nicht zuständig für Radverkehr auf Autobahnen. Der verabschieden, das den Radverkehr stärkt, das uns in Bund ist nur zuständig für die Entflechtung der Verkehrs- Deutschland in diesem Bereich voranbringt, dass wir träger Rad und Auto. Auf Autobahnen dürfen keine Fahr- den Ländern mehr Eigenverantwortung und damit den räder fahren. Deswegen war es bisher nicht möglich, an Kommunen mehr Eigenverantwortung übertragen. Des- Autobahnbrücken einen Fahrradweg zu hängen. Aber an wegen können Sie mit Freude zustimmen. Autobahnbrücken gibt es natürlich Betriebswege, und wenn man die vernünftig gestaltet, dann ist es möglich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dort auch Radverkehr abzuwickeln. Das ist das, was die- ordneten der SPD) ses Gesetz möchte. Vizepräsident Thomas Oppermann: In den nächsten Jahren werden an die 32 große Brü- ckenbauwerke saniert oder vielleicht auch neu gebaut, Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der hauptsächlich über große Wasserstraßen. Dort ist dann Kollege Wolfgang Wiehle für die Fraktion der AfD. auch noch Radverkehr möglich. Zum Beispiel im Ruhr- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) gebiet oder über den Rhein ist es durchaus sinnvoll, ent- sprechende Radwege längszuführen; es sind meistens Radschnellwege, die dann diese Funktion haben. Deswe- Wolfgang Wiehle (AfD): gen ist die Kritik, die kommen wird, dass nämlich an die Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- Fußgänger gar nicht gedacht wird, nicht zielführend; gen! Bis zur Sitzung des Verkehrsausschusses in der ver- denn es führt gar kein Fußweg an diese Brücken heran. gangenen Woche hatte das Achte Gesetz zur Änderung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des Bundesfernstraßengesetzes einen simplen und guten Zweck. Viele Autobahnbrücken – wir haben es gerade Insofern ist das eine gute Initiative, die jetzt auch den schon gehört – haben an jeder Seite einen Betriebsweg Planern die Sicherheit gibt, dass sie Radwege an diesen für die Wartung. Den kann man, wenn es Sinn hat, auch großen Brückenbauwerken bauen können und dass es so breit anlegen, dass er sich auch als Fahrradweg eignet. dann auch keinen Ärger gibt mit dem Rechnungsprü- Auf einfache Weise neue Brücken für Radfahrer schaffen, fungsamt oder Rechnungshof; man kennt ja so einiges. da ist doch jeder gerne dabei. 19952 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Wolfgang Wiehle (A) Letzte Woche tischte die Koalition im Ausschuss einen (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Daniela (C) Änderungsantrag auf, der den Titel des Gesetzes zu einer Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) glatten Verfehlung des Themas macht. Jetzt soll das neue Dasselbe gilt auch in der Gesamtsicht für das Gesetz Gesetz auch ganz andere Brücken bauen: Brücken für zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes. Die poli- klamme Städte und Gemeinden, mit dem Ziel, die Auto- tische Giftpille zulasten der Anwohner mit Auto in den fahrer noch mehr abzukassieren. Städten schlucken wir nicht mit! (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der Vielen Dank. LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) – Hören Sie gut zu, meine Damen und Herren! – Zukünf- tig werden die Gebühren für Anwohnerparkausweise Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht mehr durch eine Regelung des Bundes auf gut Vielen Dank, Wolfgang Wiehle. – Schönen guten 30 Euro gedeckelt, sondern die Länder können eigene Abend, liebe Kollegen! Willkommen zur Nachtschicht! Gebührenordnungen erlassen oder das gleich an die Städ- te delegieren. Viele Städte in Deutschland werden diesen Nächster Redner: Mathias Stein für die SPD-Fraktion. Freibrief für saftige Erhöhungen gerne nutzen. Beim (Beifall bei der SPD) Preis des Anwohnerparkausweises soll nämlich neben dem Verwaltungsaufwand nun auch ein sogenannter wirt- Mathias Stein (SPD): schaftlicher Wert berücksichtigt werden. Und was ist für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Autofahrer schon kostbarer als ein Stellplatz in Wohn- Kollegen! Heute Abend beraten wir einige kleine gesetz- ortnähe? Orientiert sich der Wert in den Augen vieler liche Änderungen im Bereich der Verkehrspolitik, die Städte bald an den horrenden Mieten für Tiefgaragen- durchaus kräftige Wirkungen entfalten werden: im Rad- plätze? Dann, meine Damen und Herren, sind wir bald verkehr, im Mobilfunk, beim Klimaschutz und für mehr bei 30 Euro im Monat und darüber. Hier in Berlin könnte Lebensqualität in unseren Städten. die Gebühr so von rund 20 Euro für zwei Jahre auf mehre- re 100 Euro steigen. Gerade jetzt, wo 10 Millionen Men- Die AfD hat eben unsere Pläne zum Anwohnerparken schen von Kurzarbeit betroffen sind und viele durch den scharf kritisiert. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, Shutdown vor der Arbeitslosigkeit stehen, ist dies absolut dass Sie Politik mehr für Autos anstatt für Menschen unverantwortlich. machen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Diese Politik gegen die Autofahrer zeigt konsequent eine linksgrüne Schlagseite der Gesetzgebung. Wir geben mit der Aufhebung des Gebührendeckels von 30,70 Euro im Jahr den Ländern und Kommunen (Lachen bei der LINKEN und dem BÜND- vor Ort mehr Möglichkeit, mehr Lebensqualität für die NIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen in den Städten zu schaffen. Die Zahl der an- Auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- gemeldeten Autos in den Städten steigt, der Druck auf Fraktion muss ich hier mit allem Nachdruck ansprechen: Parkraum nimmt zu, und die Städte verlieren an Lebens- Sie verlieren die Selbstbestimmung der Bürger in Mobi- qualität und Grünflächen. litätsfragen immer mehr aus den Augen und driften in (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Richtung Nanny-Staat ab. NEN]: Genau!) (Beifall bei der AfD) Hier bekommen die Kommunen ein Instrument an die Ein weiterer Punkt aus diesem Gesetz sorgt jetzt für Hand, die Anzahl der Autos im öffentlichen Raum zu eine heftige Diskussion: ob Erdgas-Lkw länger von der reduzieren, und mehr Spielraum, eine lebenswerte Stadt- Maut befreit werden sollen. Meine Damen und Herren, teilgestaltung zu schaffen. Und das ist gut so. wenn jetzt als angebliche Alternative Elektro-Lkw ins (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Spiel gebracht werden, geht das an der Wirklichkeit kom- der LINKEN und der Abg. Daniela Wagner plett vorbei. Wer den Lkw-Fernverkehr CO2-ärmer ma- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen will, wird vor allem an synthetischen Kraftstoffen nicht vorbeikommen. Die Grünen kritisieren uns, dass wir im Bundesfernst- raßenmautgesetz noch die Mautbefreiung für Erdgas- (Zuruf von der LINKEN: Und wo kommt der Lkws um drei Jahre verlängern. Sie haben sich dabei Strom her?) sogar die Schützenhilfe eines großen Lkw-Herstellers Die Anpassung der Berechnungsregeln für Straßen- aus Stuttgart organisiert. Ich weiß, Erdgas-Lkws sind lärm trägt die AfD-Fraktion gerne mit, einschließlich weit davon entfernt, klimaneutral zu sein, aber sie sind der Praxisauswertung, die wir gestern im Ausschuss be- derzeit im Güterfernverkehr in der Masse die umwelt- sprochen haben. freundlichste Alternative: bis zu 30 Prozent weniger CO2 – bei der Benutzung von Biomethan können wir Den Entschließungsantrag der Grünen, der hier auf sogar noch deutlich mehr Einsparungen erzielen –, rund eine überzogene Verschärfung zulasten des Straßenver- 99 Prozent weniger Rußpartikeln und Feinstaub, 37 Pro- kehrs zielt, wird die AfD-Fraktion konsequent ablehnen. zent weniger Stickoxide und 43 Prozent weniger Lärm. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19953

Mathias Stein (A) Also, wenn man schnell sein will beim Klimaschutz und Dr. Christian Jung (FDP): (C) beim Umweltschutz, dann muss man auch dieses Ziel Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen unterstützen: drei weitere Jahre Mautbefreiung für Erd- und Herren! Wir begrüßen als Freie Demokraten, dass gas-Lkws. mit der Änderung des Bundesfernstraßengesetzes der Ausbau von Radwegen auf Brücken von Bundesfernstra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ßen ausgeweitet werden soll. Das Fahrrad erhält als Ver- der CDU/CSU) kehrsmittel somit eine wichtige Förderung. Gerade ak- tuell nutzen immer mehr Menschen individuell das Aber wir haben auch Gesetzesänderungen im Angebot, Fahrrad als Fortbewegungsmittel, um öffentliche Ver- über die sich ausnahmslos hier alle freuen können: Das kehrsmittel zum Schutz vor Corona zu vermeiden. Wir sind die längst überfälligen Verbesserungen im Bereich unterstützen deshalb im Grundsatz die geplanten Anpas- des Ausbaus des Mobilfunks. Bisher gibt es ein Verbot sungen für Radwege. Die Idee muss sein, dadurch lokale des Baus von Mobilfunkmasten links und rechts von Radwegesysteme noch sinnvoller miteinander zu vernet- Bundesfernstraßen. Wir sorgen jetzt dafür, dass unsere zen. Straßenbauverwaltungen einen Mobilfunkstandort ent- lang von Bundesfernstraßen nur dann ablehnen dürfen, (Beifall bei der FDP) wenn es gewichtige Gründe gibt. Mit der Bereitstellung von Standorten entlang der Bundesfernstraßen wird die Wir begrüßen außerdem die gezieltere Aufstellung von Mobilfunkversorgung auf den Straßen deutlich verbes- Mobilfunkmasten in direkter Nähe zu Bundesfernstraßen. sert. Das erscheint auch dringend notwendig, wenn wir Wie in der Deutschen Bahn ist es auch auf Bundesstraßen einen Blick auf die Versorgungsauflagen bei der letzten und Autobahnen nicht immer möglich, normal zu telefo- Frequenzversteigerung werfen. nieren und Daten zu übertragen. Deutschland ist hier nach wie vor teilweise ein Entwicklungsland. (Zuruf von der SPD: Richtig!) (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Ja geh!) Wir alle kennen die Funklöcher-Gesprächsabbrüche, Wir Freie Demokraten setzen uns schon lange für eine wenn wir in unseren Wahlkreisen unterwegs sind. An leistungsstarke digitale Infrastruktur ein. Gerade entlang 5G oder vernetztes Fahren ist dann gar nicht mehr zu von Fernstraßen sind solche Masten mit Blick auf das denken. Wir bewegen mit dieser Änderung im Fernstra- autonome Fahren und 5G absolut unerlässlich. ßengesetz einen großen Hebel, um digitale Infrastruktur in die Fläche zu bekommen. (Beifall bei der FDP) Für den Antrag auf den Umweltbonus sollen die Daten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian (B) zukünftig automatisch übermittelt werden. Wir halten (D) Oßner [CDU/CSU]) wenig vom Umweltbonus und von einseitigen Kaufprä- Oder, wie es mein Kollege Gustav Herzog scherzhaft zu mien für Elektroautos. So eine Subventionierung hilft nur sagen pflegte: Freie Fahrt für die Datenautobahn! denjenigen, die sich einen Neuwagen sowieso leisten können. Außerdem ignoriert er die ökologisch vergleich- Freie Fahrt haben wir natürlich auch für den Radver- baren Ansätze bei synthetischen Kraftstoffen und E- kehr. Danke, lieber Gero Storjohann, für die großen Aus- Fuels. Richtig ist aber, dass der digitale Ausbau in Be- führungen zum Fahrrad! Wenn die Sitzung nachher um hörden und Bundesämtern insgesamt vorangetrieben Mitternacht beendet ist, nehme ich mein rotes Fahrrad werden muss. und radle los. (Beifall bei der FDP) Wir haben mit diesen kleinen Gesetzesänderungen Die Verlängerung der Mautbefreiung für gasbetriebene großartig auf die Herausforderungen der Verkehrspolitik Lkws ist für uns durchaus ein positives Zeichen. Sie reagiert. Man nennt das Omnibusgesetze. Das ist ein or- bedeutet für die Besitzer der betroffenen Lkws Planungs- dentlicher Omnibus. Ich wünsche mir, dass wir in der sicherheit. Wir dürfen durch diese Förderung aber nicht Verkehrspolitik noch viele ordentliche Omnibusgesetze den Schienengüterverkehr und den kombinierten Verkehr machen. schwächen und damit die Transportwirtschaft gegenei- nander ausspielen. Danke schön. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für mich wäre daher denkbar, dass es zeitnah eine neunte Änderung gibt und wir dabei eine Mautbefreiung beim Vor- und Nachlauf zu den Terminals für Lkws im kombi- Vizepräsidentin Claudia Roth: nierten Verkehr durchführen. Das wäre, glaube ich, ein Vielen Dank, Mathias Stein. – Wir versuchen ja, vor fairer Ausgleich, um den kombinierten Verkehr nicht zu zwölf Uhr fertig zu sein; das will ich nur mal sagen. Ich schwächen. habe auch schon einige Reden zu Protokoll. Der Änderungsantrag beinhaltet insgesamt viele posi- Nächster Redner – er redet live –: Dr. Christian Jung tive Anpassungen. Wir sehen aber bei wichtigen Punkten für die FDP-Fraktion. Bedarf an Nachbesserungen. Deshalb werden wir uns zu dem Gesetz und dem Änderungsantrag der Regierungs- (Beifall bei der FDP) koalition enthalten. 19954 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Christian Jung (A) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (C) (Beifall bei der FDP) Nun, mit der Gesetzesänderung wird kein Automatis- mus für höhere Parkgebühren ausgelöst. Die Länder bzw. Kommunen können, aber müssen nicht die Gebühren Vizepräsidentin Claudia Roth: erhöhen. Die Entscheidungskompetenz wird jedoch dort Vielen Dank, Dr. Jung. – Für Die Linke ist der nächste angesiedelt, wo sie hingehört, und ich bin davon über- Redner Andreas Wagner. zeugt, dass damit sorgsam umgegangen wird. Wir begrü- (Beifall bei der LINKEN) ßen daher die beabsichtigte Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes. Andreas Wagner (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Und wir bleiben dabei: Verkehrsplanung muss immer Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Kluge Park- auch diejenigen im Blick haben, die sich kein Auto leis- raumbewirtschaftung kann einen Umstieg vom Auto auf ten können oder aufgrund des Alters oder gesundheitli- andere Verkehrsmittel fördern und so Parksuchverkehr cher Gründe nicht fahren dürfen. Es ist unsere Aufgabe, und Staus in den Innenstädten reduzieren. Gleichzeitig dafür zu sorgen, dass alle mobil sind, und Parkraumbe- können die erzielten Einnahmen durch Parkgebühren in wirtschaftung ist Teil eines modernen Verkehrskonzepts. den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und der Fahrradinfrastruktur investiert werden. Wir wollen Herzlichen Dank. lebenswerte und menschengerechte Städte! Städte, die zum Flanieren einladen und in denen sich alle gerne auf- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- halten! Städte mit wenig Lärm und sauberer Luft! Wir neten der SPD) wollen Städte, in denen alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sicher unterwegs sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Andreas Wagner. – Der nächste Redner: (Beifall bei der LINKEN) für Bündnis 90/Die Grünen Matthias Gastel. Der öffentliche Raum ist wertvoll, und ich finde, wir müssen damit behutsam umgehen. Es ist auch eine Frage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der sozialen Gerechtigkeit, wie städtische Flächen ge- Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nutzt werden. Das betrifft auch die Frage, wie der Platz für Autos, Fahrräder und Fußgänger aufgeteilt wird. Be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Güterverkehr stellt innerhalb des (B) reits jetzt sind in vielen Innenstädten mehr Autos unter- (D) wegs, als Parkplätze zur Verfügung stehen. Folge davon Verkehrsbereichs das große Sorgenkind dar; denn wegen sind Parksuchverkehr, Staus und damit einhergehende ihm drohen die Ziele im Verkehrsbereich in Sachen Kli- Belastungen für Anwohnerinnen und Anwohner. Es ist maschutz deutlich verfehlt zu werden, und unter ihm zer- daher notwendig, den Verkehr anders zu organisieren bröckeln auch die Straßen und die Brücken. Klar ist, dass und knappen Parkraum zu bewirtschaften. wir im Bereich der Logistik ohne Lkw nicht auskommen können. Wenn es darum geht, Güter auf die Bahn zu (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bringen, dann werden wir den Lkw natürlich brauchen. neten der SPD) Es kommt aber auf zwei wesentliche Dinge an, und genau Nach derzeitiger Rechtslage sind die Kommunen an da liegt der Schwachpunkt im Konzept der Koalition. einen vorgegebenen Gebührenrahmen für das Anwohner- Das eine ist: Wir müssen raus aus den fossilen An- parken gebunden. Mit der beabsichtigten Änderung des trieben, auch beim Lkw. Aber da geht es mit Ihnen nicht Straßenverkehrsgesetzes und der Gebührenordnung für voran. Maßnahmen im Straßenverkehr werden die Länder nun ermächtigt, eigenständig Gebührensätze für das Ausstel- Das Zweite ist die Verlagerung von Güterverkehren len von Anwohnerparkausweisen festzulegen. Die Län- auf die Bahn. Auch hier kommen Sie leider nicht voran. der können ihrerseits die Ermächtigung auf die Kommu- Mit dem Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, nen übertragen. Wenn zukünftig von dieser Regelung wird das nicht erreicht, im Gegenteil! Es wird Flüssig- Gebrauch gemacht wird, erhalten Städte und Gemeinden erdgas weiter durch die Mautbefreiung für Erdgas-Lkw für die Parkraumbewirtschaftung und für die Verkehrs- gefördert. Wir wissen, dass Erdgas in der Verbrennung planung erheblich mehr Gestaltungsspielraum, und das nur geringfügig klimafreundlicher als Dieselkraftstoff ist. ist richtig so. Wir wissen aber auch, dass es eine Vorkette gibt: Flüssig- erdgas muss hergestellt und getankt werden. Hierbei ent- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. weicht Methan. Methan ist klimaschädlicher als CO2. Michael Schrodi [SPD]) Deswegen ist die Gesamtklimabilanz dieses Kraftstoffs kaum besser als die von Diesel. Es ist geradezu ein Witz, dass beispielsweise in Mün- chen die Ausstellung eines für ein Jahr gültigen Park- Weiterhin kann das Ziel der Verlagerung von Gütern ausweises für Anwohner derzeit 30 Euro kostet. Das sind von der Straße auf die Schiene nicht erreicht werden, weil Parkgebühren von 2,50 Euro im Monat. Damit sind die Sie eine Dreifachförderung von Erdgas-Lkw vornehmen: Parkgebühren niedriger als der Preis für eine Einzelfahr- einmal eine Anschaffungsförderung für Erdgas-Lkw, karte im MVV; die kostet für Erwachsene 3,30 Euro. Ich dann ist Erdgas im Verkehrsbereich steuerbegünstigt, finde, das Verhältnis passt beim besten Willen nicht. und jetzt wollen Sie – das ist Gegenstand einer der vor- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19955

Matthias Gastel (A) geschlagenen Gesetzesänderungen – die Mautbefreiung weitere drei Jahre bis Ende 2023. Damit wird der Markt- (C) über dieses Jahr hinaus verlängern. Das heißt eine Drei- hochlauf der klimafreundlicheren Lkw als Alternative fachförderung von Erdgas-Lkw, eine Überförderung der zum Diesel weiter unterstützt. Lkw. Und das macht die Bahn schlicht und ergreifend kaputt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Mathias Stein [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem schaffen wir mit dieser Maßnahme weiterhin Fazit ist: So traurig es ist, Sie tun nichts fürs Klima, Sie Planungssicherheit für die Unternehmen, die Fahrzeuge tun aber etwas dafür, Güter von der Schiene auf die Stra- anschaffen müssen. ße zu verlagern. Das ist eine Politik, die genau das Ge- genteil von dem macht, was notwendig ist. Deshalb ha- Anfang Februar waren insgesamt 2 866 Erdgasfahrzeu- ben wir einen Entschließungsantrag gestellt, in dem wir ge in der Liste der mautbefreiten Fahrzeuge bei der Toll die Richtung aufzeigen, in die es gehen könnte, damit die Collect registriert. Damit sich diese Zahl weiter erhöht, Klimaziele erreicht werden können: Sie müssen unbe- braucht es einen entsprechenden Investitionsanreiz. Erste dingt das Dieselprivileg schrittweise abbauen. Sie müs- Reaktionen aus der Transportbranche zeigen, dass wir so sen auch kleinere Lkw in die Straßenmaut aufnehmen. den richtigen Schritt gehen. Das ist gut fürs Klima – jeder Sie müssen endlich ernsthaft den Masterplan Schienen- kann das anders werten –, und was dem Klima nützt, güterverkehr umsetzen. nützt auch der Lebensqualität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜND- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Gastel, Sie können viel glauben, aber glauben Sie Sie müssen Gleisanschlüsse entsprechend ausbauen eines nicht, nämlich dass Sie den kompletten Güterver- durch attraktive Förderprogramme. Und: Sie müssen die kehr von der Straße auf die Bahn bringen. Das werden Sie Trassenpreise senken, und zwar dauerhaft und nicht im heute nicht schaffen, nicht nächstes Jahr und auch in zehn Rahmen von Aktionismus, wie Sie ihn an den Tag gelegt Jahren nicht. haben. Es muss endlich Schluss sein mit Ihren Sonntagsreden, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wo Sie immer sagen: mehr Güter auf die Schiene. – Sie Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen auch etwas dafür tun, NEN]: Nicht mit Ihrer Politik!) Wir arbeiten daran, dass es besser wird, aber nur mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ideologie wird es nicht funktionieren, lieber Herr Kolle- (B) (D) und das geht eben nur dann, wenn Sie den Lkw unattrakti- ge. ver machen und die Bahn stark machen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu einer positiven Lebensqualität trägt heutzutage na- türlich noch viel mehr bei, vor allem eine leistungsstarke Vizepräsidentin Claudia Roth: digitale Infrastruktur. Vielen Dank, Matthias Gastel. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Alois Rainer. (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich dachte, noch mehr Lkw!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sie ist die Grundvoraussetzung, um am digitalen Leben Mathias Stein [SPD]) teilhaben zu können. Durch milliardenschwere Förder- programme, die Vergabe von Frequenzen und regulatori- Alois Rainer (CDU/CSU): sche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den letzten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Jahren bereits vieles auf den Weg gebracht, um den Breit- Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute band- und Mobilfunkausbau entsprechend voranzutrei- abschließend beraten, ist ein weiterer positiver Schritt für ben. den Radverkehr. Unser lieber Kollege Gero Storjohann hat das sehr ausführlich dargestellt. Jede Maßnahme, mit Mit der Novelle des Bundesfernstraßengesetzes ma- der wir das Fahrradfahren attraktiver machen, hilft, denke chen wir nun einen weiteren wichtigen Schritt. ich, uns allen. Es hilft aber vor allem denjenigen, die mit (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dem Fahrrad in vielfältiger Art und Weise unterwegs sind, vor allem nützt es ihnen bei der persönlichen Ge- – Ich weiß nicht, was Sie daran aufregt, wenn man bei der sundheit und Fitness. Fahrradfahren tut ja gut. Digitalisierung besser wird. (Beifall des Abg. Mathias Stein [SPD]) (Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unter Ihnen wird aber nichts besser!) Meine Damen und Herren, mit der Novelle des Bun- desfernstraßengesetzes ergreifen wir aber noch weitere Die Grünen wollen anscheinend nicht Maßnahmen. Kollege Gastel hat gerade seine drei Minu- ten Redezeit verwendet, um über die Lkw-Maut zu spre- (Zuruf des Abg. Dr. Christian Jung [FDP]) chen, das ist gut so, das liegt ganz bei ihm. Die bestehen- und die FDP auch nicht, dass wir hier besser werden. de Mautbefreiung für Erdgas-Lkw verlängern wir nun um Aber das ist okay. 19956 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Alois Rainer (A) Wir wollen die sogenannte Anbauverbotszone von stellen uns auch beim Lärmschutz vor neue Herausforde- (C) 40 Metern bei Autobahnen und 20 Metern bei Bundes- rungen. Deswegen haben wir bei der vorliegenden Ver- straßen ändern. Meine Damen und Herren, damit können ordnung nicht nur das Geräuschverhalten der Fahrzeuge, die Mobilfunkmasten näher an die Bundesstraßen ran. Es sondern auch gleich die Baumaterialien der Straßen auf ist dann nicht mehr so einfach, zu verhindern, dass da den Prüfstand gestellt. Die uns jetzt vorliegenden Ände- Masten aufgestellt werden. Wie gesagt, hier wird ein rungen der 16. Bundes-Immissionsschutzverordnung ha- weiterer wichtiger Schritt gegangen. Es ist dann auch ben einen modernen Lärmschutz zum Ziel. nicht mehr so einfach für die Mobilfunknetzbetreiber, zu sagen: „Wir können nicht, wir dürfen nicht“; denn Die Richtlinie für den Lärmschutz an Straßen aus dem wir schaffen jetzt die Möglichkeit dazu, dass sie dürfen Jahr 1990 wurde nun, nach 30 Jahren, endlich runder- und dass sie auch können. neuert und an den Stand der Technik angepasst. Fahr- zeuge haben sich seitdem technisch doch einigermaßen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. verändert. Verkehrszusammensetzungen gestalten sich Mathias Stein [SPD]) heute anders als früher, und auch Straßenbeläge – Stich- Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum An- wort: Flüsterasphalt – können Lärm schlucken. Die An- wohnerparken sagen. Erstens war es ein Wunsch der passung der sogenannten Straßendeckschichtkorrektur Bundesländer, das selbst regeln zu können. Zweitens ist stellt nichts anderes dar als eine rechtsverbindliche Regel, es, denke ich, ganz gut – ich war selbst Bürgermeister –, um die Ausbreitung von Lärm auf unterschiedlichen Stra- wenn die Städte und die Kommunen selbst entscheiden ßenoberflächen neu zu berechnen. Und auch das wird können; darüber freuen sie sich. Wenn wir Entscheidun- effektiv in den allermeisten Fällen für mehr Lärmschutz gen an Kommunen delegieren können, dann ist es gut, das sorgen. auch zu tun; denn gerade sie wissen am besten, wie es in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der jeweiligen Kommune ausschaut, der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Neu ist auch, dass künftig Kreisverkehre in die Be- und gerade sie wissen, was sie an Parkgebühren verlan- rechnung der Lärmemissionen einbezogen werden. Mo- gen sollten bzw. müssen. Deshalb ist es vollkommen torräder werden als Lärmquellen eingestuft, die mit Lkws richtig, dass wir die Entscheidung darüber in den Verant- vergleichbar sind. Im Ergebnis führt die aktualisierte Be- wortungsbereich der Länder zurückgegeben haben. rechnung des Verkehrslärms also dazu, dass vor allem in den Nachtstunden höhere Werte zugrunde gelegt werden. Ich freue mich, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Unterm Strich bedeutet das, dass Planungsbehörden einen weiteren Schritt in Richtung einer modernen Mobi- (B) künftig noch stärker angehalten werden, gegen nächtliche (D) lität machen. Lärmquellen vorzugehen. Vielen Dank. Der technische Fortschritt gestaltet sich aber schnell. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Europäische und nationale Regelungen sind ständig im ordneten der SPD) Fluss. Das Recht darf der Wirklichkeit aber nicht hinter- herhinken. Deswegen habe ich mich dafür stark gemacht, dass wir diese Verordnung in sechs Jahren erneut über- Vizepräsidentin Claudia Roth: prüfen. Vielen Dank, Alois Rainer. – Sie haben vorhin wahr- scheinlich „Gastel“ gemeint, wo ich „Gerstel“ gehört (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten habe; aber Gerstensaft wäre auch nicht schlecht. der CDU/CSU) (Heiterkeit) Wir setzen als SPD also einmal mehr Ziele um, auf die wir uns mit der Union im Koalitionsvertrag verständigt So, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt bitte ich um haben, und wir tragen dazu bei, den durch Mobilität ver- Ihre besondere Aufmerksamkeit und vielleicht einen ursachten Lärm auf Straßen zu reduzieren. Wir nehmen Auftaktapplaus, weil die nächste Rednerin, die letzte in also für vorsorgenden Lärmschutz genauso wie für kon- dieser Debatte, jetzt ihre erste Rede im Deutschen Bun- krete lokale Lärmschutzmaßnahmen das notwendige destag hält; und die soll sie nicht vergessen. Geld in die Hand, um die Lebensqualität und die Gesund- Ich begrüße zu ihrer ersten Rede Bela Bach für die heit der Menschen in diesem Land erheblich zu verbes- SPD-Fraktion. sern. (Beifall) Vielen Dank.

Bela Bach (SPD): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LIN- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Damen und Herren! Der Straßenverkehr ist seit Jahrzehn- NEN) ten der vorherrschende Lärmverursacher in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Menschen fühlt sich in diesem Land durch Straßenverkehrslärm beeinträchtigt. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: wachsende Mobilität der Menschen, von Corona einmal Vielen Dank, Bela Bach. Ich gratuliere zu Ihrer ersten abgesehen, und die Verbesserungen der Transportwege Rede. – Damit schließe ich diese Aussprache. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19957

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wir kommen jetzt zur Abstimmung – Tagesordnungs- der FDP. Enthalten haben sich die Fraktionen der Linken (C) punkt 20 a – über den von der Bundesregierung einge- und von Bündnis 90/Die Grünen. brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfernst- raßengesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale (Stephan Thomae [FDP]: Sicher?) Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung – Herr Thomae, Probleme? auf Drucksache 19/19132, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksache 19/17290 in der Ausschuss- (Stephan Thomae [FDP]: Die Grünen haben fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- sich gestritten!) setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, – Gut, Abstimmung ist Abstimmung. Das muss man sich jetzt um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer vorher überlegen. Aus die Maus! enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- nen von SPD und CDU/CSU, dagegengestimmt hat die ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Fraktion der AfD, enthalten haben sich die Fraktionen der Drucksache 19/19205. Wer stimmt für diesen Entschlie- Linken, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Dritte Beratung Zugestimmt haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Grünen und der Linken. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kann sich die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Fraktion der Grünen entscheiden? – Der Gesetzentwurf ist angenommen, gleiches Abstimmungsverhalten: Zu- Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin stimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen der Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios AfD, Enthaltungen von Linken, FDP und nach einer ge- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- wissen Bedenkzeit der Grünen. tion der FDP Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Auswirkungen des Coronavirus auf die Jus- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf tiz – Virtuelle Gerichtsverhandlungen ermög- Drucksache 19/19166. Wer stimmt für diesen Entschlie- lichen ßungsantrag? - Drucksache 19/19120

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) (B) GRÜNEN]: Das war jetzt einfach!) Ausschuss Digitale Agenda (D) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- Ich warte, bis Ruhe eingekehrt ist. Ich bitte die Kol- ßungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung von Bünd- legen der SPD, ihre Plätze einzunehmen. Ich würde gerne nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke. Dagegen- weitermachen. Würden Sie bitte die Debatte mit Frau gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bach draußen fortführen? FDP und AfD. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Tagesordnungspunkt 20 b. Beschlussempfehlung des schlossen. Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die FDP- Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bun- Fraktion Katrin Helling-Plahr. des-Immissionsschutzgesetzes. (Beifall bei der FDP) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 19/19197, auf eine Katrin Helling-Plahr (FDP): Änderung oder Ablehnung der Verordnung auf Druck- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- sache 19/18471 zu verzichten. Wer stimmt für diese Be- ren! Anfang März sorgte ein Richter aus meiner Heimat- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- stadt noch bundesweit für Aufsehen, als er anordnete, gen? – Ich sehe keine. Die Beschlussempfehlung ist dass er nur noch mit Schutzmaske verhandle, und selbst angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen der beschaffte Masken an die Beteiligten ausgab. Seitdem ist SPD, der CDU/CSU, der FDP und der AfD. Dagegenge- die Welt eine andere geworden. Masken gehören zu un- stimmt haben die Fraktionen von Linken und Bündnis 90/ serem Alltag. Und noch etwas anderes ist nicht nur für Die Grünen. uns Abgeordnete zum Alltag geworden: Es vergeht kein Tag ohne Videokonferenzen. Sie bieten eine großartige Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Möglichkeit des Austauschs in Zeiten, in denen es besser fiehlt der Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern, ist, wenn sich möglichst wenige Leute persönlich begeg- bis spätestens zum 1. Juni 2026 einen Bericht über die nen. Aber sie vereinfachen Gespräche auch sonst, zum Praxiserfahrungen bei der Anwendung der Richtlinie für Beispiel mit Personen, die aus gesundheitlichen Gründen den Lärmschutz an Straßen vorzulegen. Wer stimmt für nicht so gut aus dem Haus gehen können oder über weite diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Distanzen. Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, Unsere Gerichte sind leider noch nicht wirklich in die- CDU/CSU und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion ser neuen Welt angekommen. Parteien, Zeugen, Anwälte 19958 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Katrin Helling-Plahr (A) reisen stundenlang durch die Republik, um vielleicht nur Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) ein paar Minuten vor Gericht auszusagen oder zu ver- Vielen Dank, Katrin Helling-Plahr. – Nächster Redner: handeln. Termine werden immer wieder verschoben, bis für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Volker Ullrich. auch alle Zeit haben für solche zeitaufwendigen Anrei- sen. Gerade in Zeiten von Corona bleibt die Akte im (Beifall bei der CDU/CSU) Zweifel auf dem Schreibtisch liegen und liegen und lie- gen. Oder es wird dann doch irgendwann bei entspre- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): chendem Ansteckungsrisiko verhandelt. Das müsste Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nicht sein. Denn die Digitalisierung bietet gerade für Herren! Die FDP schlägt vor, sogenannte virtuelle Ge- Zivilprozesse tolle Chancen, mit weniger Ansteckungs- richtsverhandlungen im Zivilrecht zu ermöglichen. Wer risiko, aber auch zügiger, effektiver und transparenter zu den Antrag liest, der fühlt sich ein wenig erinnert an den verhandeln. Damit Videoschalten im Zivilprozess auch Wahlslogan der FDP: Digital first. Bedenken second. im Jahr 2020 nicht weiterhin Rarität und Zukunftsmusik (Beifall bei der FDP) bleiben, müssen wir zwei Dinge ändern. Oder anders ausgedrückt: Digitales fordern und dann erst Erstens. Die seit immerhin 18 Jahren im Zivilprozess nachdenken. bestehende theoretische Möglichkeit der Verhandlung im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wege der Bild- und Tonübertragung braucht ein Update! Noch steht es allein im Ermessen des Gerichts, ob im Es wäre vielleicht besser, wenn Sie erst mal nachdenken, Wege der Videokonferenz verhandelt werden kann. Das bevor Sie einen Antrag stellen; denn das, was hier in ist für das Zivilrecht schon völlig unpassend. Anders als Ihrem Antrag verarbeitet ist, hält weder rechtsstaatlichen im Strafverfahren sind es im Zivilprozess immer die Par- Standards stand, noch ist es irgendwie praktisch tauglich. teien, die den Ton angeben dürfen. Die Dispositionsma- xime ist der wichtigste Verfahrensgrundsatz im Zivil- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- prozess. Deshalb schlagen wir vor, dass eine Partei neten der SPD – Stephan Thomae [FDP]: Weit beginnend mit der Güteverhandlung im Wege der Bild- hinter der Zeit zurück!) und Tonübertragung zugeschaltet werden muss, wenn sie Ich will Ihnen kurz sagen, weshalb. dies beantragt. Die andere Partei kann ebenfalls per Vi- Nach § 128a ZPO kann nach Ermessen des Gerichts deokonferenz teilnehmen. Es bleibt ihr aber auch unbe- eine Zeugeneinvernahme oder auch eine Anhörung per nommen, wenn sie dies möchte, trotzdem vor Ort in den Bild- oder Videoübertragung stattfinden. Was Sie aber Gerichtssaal zu gehen. fordern, ist ein völliger Paradigmenwechsel. Sie wollen nämlich, dass, wenn dies eine Partei bereits beantragt, (B) Zweitens. Prozessuale Möglichkeiten zu schaffen, ist (D) dann automatisch diese Sitzung als Videoübertragung schön und gut, wenn die tatsächliche Umsetzung dann an stattfinden muss, und das ist, ehrlich gesagt, mit Arti- der oft schlicht fehlenden technischen Ausstattung vor kel 103 Absatz 1 Grundgesetz nicht vereinbar, Ort scheitert. (Stephan Thomae [FDP]: Problemlos!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) weil nämlich nach der Rechtswegegarantie des Grund- Daher wollen wir, dass Bund und Länder im Zuge eines gesetzes jeder den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Digitalpakts das nachholen, was man bereits vor Jahren Gericht hat. Das heißt, die Verhandlung muss am Gericht hätte angehen sollen – nämlich die Gerichte endlich mo- stattfinden. Wir können es nicht in einen virtuellen Raum dern auszustatten. verlagern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Friedrich Und wenn wir die Säle so ausstatten, dann ergibt es Straetmanns [DIE LINKE] – Stephan Thomae Sinn, über einen weiteren Punkt nachzudenken, nämlich [FDP]: Nicht mal semantisch passt das!) über den der Öffentlichkeit. Nur ganz selten im Zivil- Zudem haben Sie ein Folgeproblem gar nicht bedacht. prozess besteht diese aus einem oder zwei interessierten Es gibt vor den Amtsgerichten keinen Anwaltszwang, Bürgern oder einer Schulklasse – die gehen nämlich lie- sodass es jedem Bürger unbenommen ist, auch selbst ber zu den Strafsachen. Sie dient aber der Kontrolle und vor Gericht zu erscheinen und seine Rechte wahrzuneh- der Transparenz der durch die Gerichte handelnden men. Staatsgewalt. Daher ist es Zeit, Öffentlichkeit nicht nur als Saalöffentlichkeit zu verstehen, sondern von unseren (Katrin Helling-Plahr [FDP]: Das kann er verfassungsrechtlich gegebenen Spielräumen Gebrauch doch!) zu machen und bei Zustimmung der Parteien zusätzlich Damit werden Sie, wenn Sie auf Antrag einer Partei ein zur Saalöffentlichkeit eine begrenzte, registrierte Live- Videoverfahren zulassen, letztlich die Menschen benach- stream-Öffentlichkeit zuzulassen. Denn auch wer virtuell teiligen und juristisch ein Stück weit ins Abseits drängen, verhandelt, muss dennoch real kontrolliert werden. die das typischerweise gar nicht können und wollen: Äl- tere, Rentner, Menschen, die Schwierigkeiten damit ha- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ben. Aber der Zugang zum Gericht ist für jeden da, (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19959

Dr. Volker Ullrich (A) nicht nur für diejenigen, die ein Webcam-Equipment ha- (Beifall bei der AfD) (C) ben. (Stephan Thomae [FDP]: Die müssen das ja Jens Maier (AfD): nicht!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren! Herr Dr. Ullrich hat schon viel gesagt. Ich werde da Und dann fordern Sie unabhängig von dieser Frage, noch einen draufsetzen. dass der Öffentlichkeitsgrundsatz, auch ein verfassungs- rechtlich verbrieftes Recht, durch einen Livestream im (Heiterkeit bei der AfD und der CDU/CSU) Internet ersetzt werden kann. Offenbar gibt die Coronapandemie einigen die Mög- (Stephan Thomae [FDP]: Ergänzt werden, lichkeit, das, was man irgendwie schon immer vorhatte, nicht ersetzt werden!) unterzumischen und mit den momentan angeblich beste- henden Erfordernissen zu begründen. So wollen die Lin- Damit ändern Sie völlig den Charakter von Gerichtsver- ken als besonders abstoßendes Beispiel, dass während der handlungen. Coronazeit Schwangerschaftsabbrüche auch ohne Bera- Die Sitzungsöffentlichkeit ist deswegen ein wichtiges tungshilfe möglich werden und so die Fristenlösung ein- Instrumentum, weil es jedem Bürger unbenommen bleibt, geführt wird. Die Linken nennen ihren Antrag in jederzeit zum Gericht zu gehen beispielloser Geschmacklosigkeit „Reproduktive Rechte auch während der Corona-Krise schützen – Beratungs- (Stephan Thomae [FDP]: Die Saalöffentlich- pflicht aussetzen und Schwangerschaftsabbrüche absi- keit besteht ja fort, sie wird nur ergänzt!) chern“. Corona als Lizenz zum Töten – schämen Sie sich! und sich von der Ordnungsmäßigkeit der Verhandlungen (Beifall bei der AfD – Sabine Leidig [DIE zu überzeugen. Aber wenn Sie es ins Internet übertragen, LINKE]: Schämen sollten Sie sich!) dann haben Sie möglicherweise das Phänomen – das ris- kieren Sie vollen Bewusstseins –, dass die Verhandlung Die FDP, die Partei der Schönen und Reichen, aber mitgeschnitten wird, dass Bilder aufgenommen werden, auch der inhaltlichen Beliebigkeit, geht im Prinzip ge- und so machen Sie aus der Sitzung ein Medienspektakel. nauso vor, wenn auch auf deutlich höherem Niveau. Auch Das wird auch dem rechtsstaatlichen Anspruch an einen sie reitet auf der Coronawelle. Ihr Antrag lautet: „Aus- ordentlichen Zivilprozess nicht gerecht. wirkungen des Coronavirus auf die Justiz – Virtuelle Ge- richtsverhandlungen ermöglichen“. Auch hier will man (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Coronakrise nutzen, um das, was man schon immer (B) neten der SPD und der Abg. Volker Münz wollte, mit Aktualität zu versehen. Dabei wird vom Titel (D) [AfD] und Friedrich Straetmanns [DIE LIN- her so getan, als ob man jetzt irgendetwas Neues hier KE]) erfinden würde. Der Flaschenhals besteht darin, dass wir die Akten § 128a ZPO sieht aber für den Zivilprozess die Mög- digitalisieren müssen, damit die Akten schneller laufen. lichkeit von Videoverhandlungen schon vor, und das in Wir sorgen mit dem Pakt für den Rechtsstaat dafür, dass völlig ausreichender und ausgewogener Weise. Nun will die Justiz besser ausgerüstet wird und die Verfahren be- die FDP aber, dass die Durchführung der mündlichen schleunigt werden. Wo Sie also noch formulieren, haben Verhandlung als Videoverhandlung nicht mehr im Ermes- wir bereits gehandelt. sen des Gerichts liegen soll, sondern auf Antrag einer Partei durchgeführt werden muss. Das heißt, eine Partei (Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Thomae bestimmt jetzt darüber, in welcher Form eine mündliche [FDP]: Das wäre das erste Mal!) Verhandlung durchgeführt wird, entweder normal im Ge- Um es abschließend zu sagen: Auch der Begriff „vir- richtssaal oder als Videoverhandlung. Das ist nicht sinn- tuelle Gerichtsverhandlung“ ist übrigens ein Fehlgriff. voll, und Sie, Herr Dr. Ullrich, haben ja auch zu den Nach dem Duden heißt virtuell „nicht echt“, also nur echt rechtlichen Dingen Stellung genommen. Das ist auch erscheinend. wohl nicht möglich, und es ist vor allen Dingen ein An- griff auf die richterliche Unabhängigkeit. Dem Richter (Heiterkeit bei der AfD sowie bei Abgeordne- wird ein Teil der Hoheit über die Verfahrensführung ge- ten der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: nommen. Wie das Verfahren geführt wird, unterliegt Da haben Sie eine alte Ausgabe!) nicht mehr seinem Ermessen. Wir wollen aber keine nicht echten Gerichtsverhandlun- Dann stellt sich die Frage, wie das realisiert werden gen, sondern wir wollen wirkliche Gerichtsverhandlun- soll. Weder die Gerichte noch alle Rechtsanwälte oder gen haben, und wir bleiben dabei. Deswegen lehnen wir Parteien verfügen über die erforderliche technische Aus- Ihren Antrag ab. stattung. Es wird auch ein allgemeingültiger Standard in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sachen Digitalisierung nicht oder nur schwer zu erzwin- bei Abgeordneten der LINKEN) gen sein. Da wird auch ein Digitalpakt zwischen Bund und Ländern nicht helfen, so wie Sie von der FDP sich das vorstellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Nächster Redner: (Manuel Höferlin [FDP]: Dann lassen wir das für die AfD-Fraktion Jens Maier. doch mit der Digitalisierung!) 19960 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Jens Maier (A) Güteverhandlungen virtuell durchzuführen, wie die Liebe Kolleginnen und Kollegen, gleichwohl werden (C) FDP es fordert, ist schon eher ungewöhnlich. In der Zöl- wir diesem Antrag keinesfalls zustimmen. Bisher ist eine ler-Kommentierung zu § 128a ZPO wird dazu passend Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung auch die Auffassung vertreten, dass dies dem Zweck auch schon möglich, aber nur, wie Herr Dr. Ullrich es der Güteverhandlung nicht gerecht wird, weil die Präsenz ausgeführt hat, wenn es vom Gericht gestattet wird, dass der Parteien im Rahmen der Güteverhandlung von erheb- sich die Parteien, ihre Bevollmächtigten, Zeugen, Sach- licher Bedeutung ist. Ich kann das bestätigen; ich bin verständigen etc. pp. an einem Ort aufhalten und dann schließlich 20 Jahre lang Zivilrichter gewesen. eine Übertragung dieser Vernehmung oder der Zeugen- aussage in den Sitzungssaal stattfindet, allerdings keine (Beifall bei der AfD) Übertragung in oder für die Öffentlichkeit. Das muss man Dann vom Grundsätzlichen her: Es heißt von alters her schon auseinanderhalten. für die Parteien: Wir gehen vor Gericht. – Wenn eine Videoschalte auf Antrag zu erfolgen hat, dann geht man Zunächst wird der Antrag der FDP mit den Auswirkun- nicht mehr vor Gericht, dann holt man sich das Gericht gen der Pandemie auf die Arbeitsfähigkeit der Justiz be- auf seinen Bildschirm. Was für ein Bild wird da vermit- gründet. Ja, die Arbeitsabläufe verzögern sich momentan telt? Der zuschaltbare Richter, der sozusagen wie ein nicht unerheblich. Und ja, die Gerichtstermine werden Netflix-Abo ins Haus geholt werden kann. derzeit aufgehoben und verlegt. Und ja, die Öffentlich- keit, also die Zuschauer bei Gericht, werden in der An- (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) zahl begrenzt, um Abstandsregelungen einzuhalten. Das Wie lässt sich das mit der Stellung eines Gerichts verein- alles ist aber kein Grund, die von der FDP geforderten baren? Schließlich verkörpert das Gericht staatliche Au- Maßnahmen unbefristet zu ermöglichen, so wie es in dem torität. Diese wird durch das von der FDP vorgeschlagene Antrag steht, und dies für die Zukunft zum Regelfall Antragsrecht noch weiter untergraben, als das bisher werden zu lassen. schon durch die allgemein negative politische Entwick- Wir hören von Ihnen: aus der Krise lernen. Aber die lung geschehen ist. Einschränkungen in dieser Krise lassen sich durchaus Bedenklich ist auch der Vorschlag, der Allgemeinheit auch anders kompensieren, ohne dass zukünftig ein wich- die Teilnahme an der virtuellen Verhandlung per Live- tiger Grundsatz verletzt wird, nämlich der eines fairen stream zu ermöglichen. Über diesen Weg wird eine me- Verfahrens. Gerade dieser Grundsatz ist es aber, der das diale Öffentlichkeit hergestellt, die für alle Beteiligten Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat unüberschaubare Risiken mit sich bringt. Auch das Zu- stärkt. stimmungserfordernis ist da kein Korrektiv. Insbesondere Für mich bedeutet der Antrag der FDP, die Krise zu (B) können Livestreams aufgezeichnet und verbreitet werden (D) nutzen, um die Verfügungsbefugnis der Parteien, die am und so dauerhaft zu einer Gefährdung von Persönlich- Zivilverfahren beteiligt sind, zu stärken und die hoheit- keitsrechten führen. Darum sollten wir am § 169 GVG liche Befugnis der Richterinnen und Richter einzuschrän- festhalten, der eine Direktübertragung ausschließt und ken. Der Markt bzw. die Parteien sollen es dann richten. auch die Speicherung der Aufnahme für spätere Veröf- Nein, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, fentlichungen nicht zulässt. ein Richter oder eine Richterin, der oder die über einen Vielen Dank. bestimmten Sachverhalt entscheiden muss, der oder die muss auch den Rahmen und den Verfahrensablauf be- (Beifall bei der AfD) stimmen, der zu einer angemessenen Würdigung der vor- getragenen Tatsachen und Beweise führt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Maier. – Nächste Rednerin: für die (Otto Fricke [FDP]: Aber doch nur im Rahmen SPD-Fraktion Esther Dilcher. der Anträge!) (Beifall bei der SPD) Selbst einer befristeten Regelung würden wir da als SPD- Fraktion nicht zustimmen. Esther Dilcher (SPD): Anhand einiger Beispiele will ich die Probleme der Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen von der FDP gewünschten Regelungen einmal aufzeigen. und Kollegen! Gerichtsverhandlungen im Livestream, Zunächst sei vorangestellt, dass es für die Durchführung das mag auf den ersten Blick eine moderne, bürgernahe, einer Gerichtsverhandlung, wie es Herr Dr. Ullrich auch vertrauensbildende Maßnahme sein, um den Menschen in schon gesagt hat, bestimmte Verfahrensgrundsätze gibt, unserem Land den Rechtsstaat wieder näherzubringen. auf die sich auch die Antragsteller zum Teil beziehen: Stärkung des Rechtsstaates – wir haben es gehört – ist rechtliches Gehör, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und auch das Anliegen der SPD-Fraktion und unserer Bun- der sogenannte Beibringungsgrundsatz. Die spielen in desjustizministerin, die bereits viele gute Gesetze auf den Ihrem Antrag aber gar keine so große Rolle. Weg gebracht hat und sich für den Pakt für den Rechts- staat mit lauter Stimme starkmacht. Bund und Länder Beschäftigen wir uns mit den weiteren Grundsätzen, haben ihre Einigkeit bekundet, dass die Digitalisierung die eingehalten werden müssen, etwa dem Beschleuni- der Justiz einen wichtigen Beitrag dazu leistet, um Ver- gungsgrundsatz. Danach muss das Gericht das Verfahren fahren zu beschleunigen, und in dieses Bemühen haben zügig durchführen. Nach Auffassung der FDP würden wir auch großes Vertrauen. virtuelle Gerichtsverhandlungen zu Kosten- und Zeiter- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19961

Esther Dilcher (A) sparnis führen. Dabei werden aus meiner Sicht aber ver- keit hat, den Geschädigten zu sehen, weil dieser bean- (C) schiedene Dinge vermischt. tragt, da einfach nicht hinzugehen? Virtuelle Gerichtsverhandlungen, wie von der FDP ge- Ich denke, es muss weiterhin dem Gericht überlassen fordert, betreffen hauptsächlich eine neue Möglichkeit, bleiben, wie es das Verfahren gestaltet, damit es ein faires nämlich die Übertragung von Gerichtsverhandlungen Verfahren bleibt, das auch die Objektivität und Neutrali- per Livestream in die Wohnzimmer der Bevölkerung. tät des Gerichts und ganz besonders die Willkürfreiheit Das mag zunächst ein charmanter Vorschlag sein, damit des Verfahrens gewährleistet. mehr Menschen einer Gerichtsverhandlung folgen und somit die Öffentlichkeit herstellen können. Manch ein Vizepräsidentin Claudia Roth: Zuschauer würde sich dann aber schon wundern, dass Frau Kollegin. eine Verhandlung live eben doch anders abläuft als bei Richter Hold oder Richterin Barbara Salesch. Man muss auch sehen, dass es sich da um Strafverhandlungen han- Esther Dilcher (SPD): delt, die sowieso etwas interessanter sind als normale Wenn wir daran festhalten wollen, dürfen wir den For- Zivilverhandlungen, auf die sich ja Ihr Antrag bezieht. derungen der FDP nicht zustimmen. Aber zu einer Beschleunigung trägt eine Herstellung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der Öffentlichkeit im Wohnzimmer keinesfalls bei, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Katrin Helling-Plahr [FDP]: Aber zu Trans- parenz!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Verhandlungen sind derzeit abgesagt worden, weil Vielen Dank, Frau Kollegin Dilcher. – Nächster Red- Kontaktverbote oder -beschränkungen Richter dazu ner: für die Fraktion Die Linke Friedrich Straetmanns. veranlasst haben, Termine zu verschieben, und weil Rich- terinnen und Richter den Kontakt zu Parteien und Anwäl- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jürgen Martens tinnen und Anwälten – und auch den Kontakt untereinan- [FDP]: Was war das für ein Theater!) der – vermeiden wollten. Gerade für diesen Fall hätten sie aber auf die nach § 128a ZPO bereits bestehende Mög- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): lichkeit zurückgreifen können, Vernehmungen in den Sit- Guten Abend, Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe zungssaal zu übertragen. Dafür brauchen wir den Vor- Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns heute schlag der FDP also nicht; denn zwischenzeitlich gibt mit dem Antrag der FDP zur verpflichtenden Einführung (B) (D) es Plexiglasscheiben, Händedesinfektion, Masken, die von virtuellen Gerichtsverhandlungen. Das ist sicherlich man im Gerichtssaal tragen kann. Parteien können sich eine berechtigte Anfrage in der Zeit der Coronakrise, begegnen, ohne dass eine Ansteckungsgefahr gegeben aber – ich schließe mich da den Vorrednern an – die Ant- ist. Aber der Grundsatz der Öffentlichkeit bedeutet: Jeder wort, die Sie auf diese berechtigte Anfrage geben, ist aus muss sich Kenntnis von Ort und Zeit einer Sitzung ver- meiner Sicht eindeutig falsch. schaffen können und im Rahmen der tatsächlichen Gege- benheiten Zutritt erhalten. Zweck ist die Sicherstellung (Beifall bei der LINKEN) der Transparenz der richterlichen Tätigkeit zur Förderung Die aktuelle Krise und der aus den notwendigen Si- des Vertrauens in eine unabhängige und neutrale Rechts- cherheitsvorkehrungen resultierende Verfahrensstau bei pflege. den Gerichten macht auch aus Sicht meiner Fraktion die Anwendung des § 128a ZPO notwendig, nach dem das Die FDP erklärt uns jetzt, die zivilgesellschaftliche Gericht auf Antrag der Beteiligten entscheiden kann, ob Kontrolle der dritten Gewalt müsse auch in diesen Kri- es eine Bild- und Tonübertragung der Vernehmung von senzeiten möglich sein, und eine Teilnahme der Öffent- Verfahrensbeteiligten, von Sachverständigen in den Ge- lichkeit müsse auch ohne persönliche Präsenz der Zu- richtssaal ermöglicht. Aber wohlgemerkt: Nach der jetzi- schauer im Gerichtssaal möglich sein. Aber warum gen gesetzlichen Regelung steht dies im Ermessen des wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Gerichts, und das ist aus Sicht meiner Fraktion richtig dann die Liveübertragung von Gerichtsverhandlungen und wichtig. im Internet grundsätzlich auch in Nichtkrisenzeiten in die ZPO aufnehmen? Ein Schelm, wer Böses dabei (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- denkt! ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie ein Richter dann eine Zeugenaussage würdigen soll oder was es für Ich bin mir mit der Fraktion der FDP einig, dass die einen Beklagten bedeutet, wenn er dem Kläger nicht ge- Gerichte insoweit technisch besser ausgestattet werden genübersitzen kann? Der Richter muss die gesamte Ver- müssen und dass hier in einem gewissen Umfang auch handlung würdigen, und die Gelegenheit dazu bietet sich der Bund in der Pflicht steht, diese finanziell aufwendige ihm nicht, wenn er die Verhandlung nur auf einem Bild- technische Ausstattung der Gerichte zu ermöglichen. schirm verfolgt. Der Richter muss eventuell auch wür- digen, wie sich die Parteien verhalten, wie sie miteinan- (Otto Fricke [FDP]: Ach!) der umgehen. Was macht zum Beispiel der Chirurg, der Aber genug des Lobes. Ich komme jetzt zu den einzel- eine Operation verpfuscht hat und der nicht die Möglich- nen Kritikpunkten. Ich kann mich da fast allem, was hier 19962 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Friedrich Straetmanns (A) von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt wur- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) de, anschließen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen hatten wir alle mitei- Eine Unzulänglichkeit des Antrages sehe ich insbeson- nander viel Gelegenheit, die Vor- und Nachteile der vir- dere in einer Schieflage zwischen den Verfahrensbeteilig- tuellen Konferenzen und Kommunikation in der Praxis ten, die in einer virtuellen Verhandlung durchaus noch zu testen. Klarer Vorteil: Die Fahrzeiten entfallen. Das verstärkt werden kann. So kann zum Beispiel eine man- wäre sicherlich auch ein Vorteil für Parteien und Anwälte gelnde technische Ausstattung, eine – es ist schon ange- in virtuellen Gerichtsverfahren. Es gibt Zivilprozesse, bei sprochen worden – fehlende anwaltliche Vertretung oder denen die Prozessbevollmächtigten Hunderte von Kilo- auch mangelndes Technikverständnis als Grund für diese metern durch die Republik reisen, nur um das Gericht Ungleichheit angeführt werden. sagen zu hören: „Sie stellen den Antrag aus der Klage- Aus meiner Sicht als Richter ist es auch nicht in Ord- schrift …“, „Sie stellen Klageabweisungsantrag“, „Ter- nung, dass das Gericht nach Ihrem Antrag in einen sol- min zur Verkündung einer Entscheidung am …“. Das ist chen Verfahrensablauf gezwungen wird. Ich habe es eben in Anbetracht der technischen Möglichkeiten sicher nicht angesprochen: Es ist wichtig, dass das Gericht, das am der Weisheit letzter Schluss. Ende die Entscheidung treffen muss, auch jederzeit Herr (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- oder Frau über den Weg zu der Entscheidung bleibt. SES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. neten der FDP) Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) – Ja, Vorsicht! Die Qualität einer Vernehmung – es ist angesprochen Es gibt aber auch andere Prozesse, wo die Parteien worden – ist bei Zeugen in Bezug auf Gestik, Mimik und persönlich betroffen oder gar emotional involviert sind. Verhalten eingeschränkt. In der Güteverhandlung, die be- Da macht die beste Technik den Grundsatz der münd- sonders wichtig ist, ist gerade der persönliche Kontakt lichen Verhandlung nicht obsolet. Schließlich haben wir ungeheuer wichtig, weil auch eine Moderation erforder- alle durchaus auch die Nachteile der virtuellen Debatten lich ist, und die gelingt halt nur bei einer gewissen Nähe erleben dürfen. im Gerichtssaal. Es sind Interessen auszugleichen. All das berücksichtigen Sie in Ihrem Antrag nicht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!) Für den Rechtsfrieden ist aber auch ein ganz anderer Die Chatoption bei Zoom-Konferenzen kann die Wahr- Punkt wichtig. Es ist für die Beteiligten wichtig, gesehen nehmung dessen, was zwischen den Zeilen gesagt wird, (B) zu werden. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber es ist nicht ersetzen. Für denjenigen, der in einer persönlichen (D) wichtig, seinen Fall persönlich bei Gericht anzubringen Angelegenheit vor Gericht unterliegt, ist es für die Ak- und vorzutragen. Auch das trägt zum Rechtsfrieden bei. zeptanz des Urteils wichtig, sich richtig gehört und ver- Es ist nicht immer nur die gerichtliche Entscheidung standen zu fühlen. durch Urteil, sondern auch eine moderierte Vergleichs- lösung oder gar eine Rücknahme aufgrund von Einsicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch Erklärung. sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]) Ich könnte noch vieles aufzählen. Die schnelle Erledigung des Verfahrens ist eben nicht der alleinige Maßstab für ein gutes Urteil. Auch und ge- rade bei Güteverhandlungen kommt es häufig auf die Vizepräsidentin Claudia Roth: Atmosphäre im Gerichtssaal an, ob eine Einigung gefun- Nein. den werden kann oder nicht. Ich halte es daher für richtig, dass Güteverhandlungen nicht von § 128a ZPO erfasst (Heiterkeit) sind.

Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nein? – Ich werde zum Ende meiner Rede kommen. – Wir werden das im Ausschuss sicherlich diskutieren, aber Außerdem habe ich Zweifel, ob es mit dem Grundsatz ich mache Ihnen keine Hoffnung, dass wir diesem Antrag der Waffengleichheit vor Gericht vereinbar ist, wenn die zustimmen können. eine Partei virtuell und die andere in persona an der Ver- handlung oder der Zeugenvernehmung teilnimmt. Und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- letztlich muss auch das Gericht selbst die Freiheit haben, ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- sich einen persönlichen Eindruck von einem Zeugen oder NISSES 90/DIE GRÜNEN) auch von einer Partei zu machen, wenn es das für ent- scheidungserheblich hält. Es geht daher auf jeden Fall zu Vizepräsidentin Claudia Roth: weit, die virtuelle Verhandlung auf Antrag nur einer Par- Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Redne- tei zwingend vorzuschreiben, wie Sie es vorschlagen. rin in dieser sehr spannenden Debatte: Katja Keul für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. Ich halte es vielmehr für richtig, auf die sachgerechte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Handhabung durch die Gerichte zu vertrauen, wenn es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19963

Katja Keul (A) um den Einsatz der Videotechnik geht. Unstreitig gibt es Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- (C) einen großen Bedarf in der Justiz, was den Ausbau der nis 90/Die Grünen vor. digitalen Arbeitsabläufe betrifft. Wenn wir das, was das Gesetz heute schon in § 128a ZPO vorsieht, erst mal Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- verlässlich erreichen wollen, haben wir noch einen lan- gesehen. gen Weg vor uns. Es muss also dringend investiert wer- Ich bitte, die Plätze zügig einzunehmen. Bevor ich den den. ersten Redner aufrufe, warte ich darauf, dass Ruhe ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tritt. – Erster Redner in der Debatte: Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. Die Forderung nach einem Digitalpakt ist richtig. Auch ein Livestream-Angebot für die Öffentlichkeit bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einvernehmen der Parteien halte ich für diskussionswür- dig. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, die Men- Jens Koeppen (CDU/CSU): schen per Gesetz auf digitale Wege zu zwingen, wo sie Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen das nicht selber wollen oder können, und sie damit dem und Kollegen! Wir brauchen über diese Mininovelle gar Risiko der Diskriminierung auszusetzen. nicht groß zu reden; das haben wir in der vergangenen Ob analog oder digital – der Zugang zum Recht muss Woche bereits getan. für alle Bürgerinnen und Bürger gleich und niedrig- schwellig sein. Gerichte müssen den Sachverhalt so um- (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fassend wie möglich ermitteln können, um nach bestem NEN]: Wir reden lieber über das, was fehlt!) Wissen und Gewissen ein Urteil zu fällen, dem die Men- Es geht hauptsächlich um die Verlängerung von Fristen, schen vertrauen. Darauf kommt es letztlich an. die bedingt durch die Coronakrise erforderlich ist. Aber Vielen Dank. es geht auch um die Abschaffung des fragwürdigen Pri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vilegs der sogenannten Bürgerenergiegesellschaften, die sowie der Abg. Esther Dilcher [SPD]) letztendlich ohne BImSchG-Genehmigung an Ausschrei- bungen teilnehmen durften. Da gab es große Verwerfun- gen; die haben wir geheilt. Die Regelung wurde bereits Vizepräsidentin Claudia Roth: zweimal ausgesetzt und wird jetzt endgültig gestrichen. Vielen Dank, Katja Keul. – Der nächste Redner, Hans- Das ist auch richtig so. Jürgen Thies, gibt seine Rede zu Protokoll.1) Dazu noch eine Fußnote: Wenn wir noch mal dazu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (B) kommen sollten, Bürgerenergie zu unterstützen – das (D) SPD und der LINKEN) muss ja nicht finanziell sein –, dann sollten wir das auf – Andere können sich auch einen Applaus holen. alle Fälle außerhalb des EEGs tun und nicht innerhalb des EEGs. (Heiterkeit) Damit schließe ich die Aussprache. Es gab verschiedene andere Anpassungen – energie- rechtliche Fristen usw. –; darauf will ich gar nicht groß Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf eingehen. Ich würde – weil wir so schön zusammensit- Drucksache 19/19120 an die in der Tagesordnung aufge- zen – ganz gerne auf die größere Novelle des EEGs führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weitere Überwei- abzielen, die wir ja demnächst vor der Brust haben, und sungsvorschläge gibt es nicht. Dann verfahren wir so. dazu gerne ein paar Wünsche unsererseits formulieren, Ich möchte mich wirklich herzlich bei Ihnen für diese die wir mit in die Sommerpause nehmen können bzw. spannende rechtspolitische Debatte bedanken. Ich habe bis zum Sommer besprechen können. wieder einiges gelernt. Danke schön. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD] NEN]: Herr Bareiß ist schon ganz gespannt!) und Friedrich Straetmanns [DIE LINKE] – Beim EEG besteht großer Reformbedarf – das weiß je- Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE der –, weil die verkrusteten Strukturen, die nun mal da GRÜNEN]: Wir haben alle was gelernt!) sind, nicht zukunftsfähig sind. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- NEN]: Verkrustete Strukturen! – Timon nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Gremmels [SPD]: Verkrustete Strukturen sind wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Er- in Ihrer Fraktion!) neuerbare-Energien-Gesetzes 2017 und weiterer energierechtlicher Bestimmungen Erstens. Da geht es in allererster Linie natürlich um die Drucksache 19/18964 Akzeptanz. Ohne Akzeptanz sind die Erneuerbaren nicht Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- lebensfähig. ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) (Timon Gremmels [SPD]: Die Akzeptanz für Drucksache 19/19208 die Abschaffung des Solardeckels ist da?) – Und natürlich geht es auch um den 52-GW-Solardeckel; 1) Anlage 8 vielen Dank für den Hinweis. 19964 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Jens Koeppen (A) (Timon Gremmels [SPD]: Bitte!) bedingt anpassen müssen. Das heißt: bei negativen (C) Aber das Klimakabinett in seiner gesamten Weisheit hat Strompreisen in Zukunft keine Vergütung mehr. definitiv gesagt: Der 52-GW-Deckel und die Abstände (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – werden zusammen verhandelt. – Das ist auch richtig so; Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Wir sind dabei!) Wann tritt das mal wieder zusammen, das Kli- Weiterhin müssen Produkte an den Markt gebracht makabinett? Das wäre doch gerade jetzt inte- werden. Wenn Sie immer sagen, die haben Marktanteile ressant!) von 40 Prozent, warum braucht man nach 20 Jahren denn wir sind mittlerweile das vierte Mal aus der Kurve EEG-Förderung dann noch eine staatliche Förderung? geflogen mit unserem Vorschlag, ordentliche, akzeptable Das müssen Sie mir mal erklären. Abstände zwischen Windkraftanlage und Wohnbebauung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hinzubekommen. Das werden wir diesmal nur so verhan- der AfD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE deln. GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Das wird nicht mehr zu halten sein. Es ist aber zu schön Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für die Branche, in der abgefederten Komfortzone zu sein NEN]: Das nennt man Erpressung!) und sich nicht bewegen zu müssen; das ist das Problem. Zweitens. Die Situation am Strommarkt macht deut- Das ist das Problem des EEG, und deswegen müssen wir lich, dass eine wirkliche Reform des EEG unabdingbar da ran. ist; denn die Kluft zwischen dem Börsenstrom – Sie ken- (Timon Gremmels [SPD]: Wer hat sich denn nen alle das Problem – und der EEG-Umlage ist riesig. die letzten 20 Jahre nicht bewegt? Die hat sich Die jetzige Situation mit dem Rückgang an Strommenge mehr bewegt als die CDU/CSU! – Zurufe vom führt dazu, dass die Kosten des EEG auf deutlich weniger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strommenge verteilt werden und so die einzelne Kilo- wattstunde im nächsten Jahr deutlich teurer wird, – Sie sind auch in der Komfortzone. Auch wenn es weh- tut, (Johann Saathoff [SPD]: Falsch! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Genau! Wenn Quatsch!) man so einen Schwachsinn hört, das tut weh!) und das haben die Bürger zu bezahlen. Daran müssen wir wenn man sich in den Wind stellen muss – das weiß ich (B) arbeiten; denn der sinkende Börsenstrompreis, der sich alles –, müssen wir das machen. Dann werden die Haare (D) massiv auf den Anstieg der EEG-Umlage auswirkt, ist ein bisschen zerzaust; aber am Ende ist es richtig. ein lange beklagter und lange bekannter Systemfehler, Ein weiterer Punkt, der sehr wichtig ist, wenn wir die und der muss endlich angegangen werden. Reform im Auge haben: der Emissionshandel. Wir müs- Jetzt hört man über den Buschfunk, dass das über den sen den europaweit massiv ausbauen; Haushalt ausgeglichen werden soll. Aber ich warne jeden (Beifall der Abg. Sandra Weeser [FDP] – Finanzminister und jeden Haushälter im Deutschen Bun- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- destag davor, dabei mitzumachen; denn die EEG-Umlage NEN]: Das versteht kein Mensch!) um 1 Cent zu senken, bedeutet 1 Milliarde Euro pro Jahr. Wenn wir also nächstes Jahr bei 10 Cent sind und wieder denn dann können endlich andere Instrumente, die weni- auf 7 Cent runter wollen, dann sind das über den Daumen ger wirksam sind, die weniger effizient sind, die weniger gepeilt 10 Milliarden Euro; marktwirtschaftlich sind und die weniger transparent sind, nach und nach auslaufen. Dafür sind wir gerne zu (Johann Saathoff [SPD]: 3 Milliarden!) haben. 10 Milliarden Euro, die wir pro Jahr aus dem Haushalt Vielen Dank. nehmen. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU – Johann Saathoff [SPD]: Wer ist „wir“? – Zurufe vom BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer NIS 90/DIE GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drei mal zwei ist fünf!) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Dass das keine Probleme für Sie sind, weiß ich. Aber Vielen Dank, Jens Koeppen. – Nächster Redner: für die für uns und für die Bürger sind das Probleme. AfD-Fraktion Steffen Kotré. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: NEN]: Lernen Sie erst mal rechnen!) Wieder die alte Schallplatte!) Drittens. Bis zum 30. April hatten wir für 168 Stunden einen negativen Strompreis in Deutschland. Wir müssen Steffen Kotré (AfD): also dafür bezahlen, dass uns die Nachbarn den Strom Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen abnehmen, den wir teuer erzeugt haben. Das ist der und Herren! Ich bin ja ganz bei meinem Vorredner, und nächste Irrsinn des EEG, der nächste Punkt, den wir un- das stimmt ja auch alles. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19965

Steffen Kotré (A) (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des Schon 2011 wurde der Bundesregierung eine Gefah- (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) renanalyse für einen katastrophalen Blackout vorgelegt; er rückt leider näher. Aber das lässt nur einen Schluss zu: (Timon Gremmels [SPD]: Der Blackout steht (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- vor uns!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Seit Corona wissen wir, dass die Bundesregierung auf Das EEG ist leider nicht reformfähig; es muss weg. ihre eigenen Analysen nicht reagiert und sie auch igno- riert. Nehmen wir zum Beispiel die Analyse des Krisen- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Stefan managements aus dem Referat KM 4, Schutz kritischer Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So Infrastrukturen. Darin wird ganz klar gesagt, dass der weit ist es gekommen!) Kollateralschaden durch die Coronamaßnahmen höher Wenn wir den Debattenstand aus der ersten Lesung ist als der Nutzen; vermutlich sind bei dieser Feststellung von letzter Woche zusammenfassen, dann sehen wir: auch die Todeszahlen inbegriffen. Aber so etwas interes- EEG bedeutet Planwirtschaft, also staatlich festgelegte siert die Bundesregierung nicht; so etwas interessiert die Erzeugerpreise, steigende Verbraucherpreise, Strom zu- Bundesregierung auch bei unserer Stromversorgung lei- nehmend als Mangelware, nicht zeitpunktgerechte Be- der nicht. Der Bericht sprach auch von Desinformation reitstellung und am Bedarf vorbeiproduziert. durch die Bundesregierung; der Bericht sprach auch vom Staat als größtem Falschbehauptungsproduzenten. (Timon Gremmels [SPD]: Die gleiche Platte wie letzte Woche!) (Timon Gremmels [SPD]: Der größte Falsch- behaupter steht vor uns!) Alles in allem: mangelnde Qualität. Das ist eigentlich nichts Neues; genau das Gleiche (Timon Gremmels [SPD]: Von mangelnder sehen wir auch in der Energiewende. Vor dem Hinter- Qualität ist Ihre Rede!) grund der kommenden Wirtschaftskrise, die aufgrund der falschen Maßnahmen der Bundesregierung auf uns Das heißt, wir können das EEG gar nicht mehr retten. Wir zukommt, können wir uns diese aberwitzigen Klimamaß- können es so oft wir wollen novellieren: Es wird nichts nahmen gar nicht mehr leisten. So wie Helmut Schmidt anderes dabei herauskommen, als dass es eben falsch ist. 1977 in der Ölkrise sagte, dass wir die Umweltauflagen (Beifall bei der AfD) jetzt mal beiseitelegen, so müssen wir das EEG jetzt mal beiseite- und auf Eis legen. Besser noch: Wir nehmen es (B) 20 Jahre EEG sind ein Armutszeugnis. Wenn die instabi- einfach vom Markt. (D) len erneuerbaren Energien so tragfähig wären, dann bräuchten sie diese Subventionen, (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: Wir legen die AfD auf Eis! Das wäre besser!) (Timon Gremmels [SPD]: Es sind Umlagen, Es wird ab und zu behauptet, wir hätten keine Ideen. keine Subventionen! Aber den Unterschied Ganz im Gegenteil: Wir haben Ideen; wir haben Lösungs- kennen Sie ja nicht!) vorschläge. diese Zwangsmaßnahmen nicht, und dann gäbe es auch keine Stromabschaltungen, die damit verbundenen sind. (Lachen bei der SPD und der LINKEN) Sie wollen CO2 einsparen. Wir wollen eine verlässliche Mit jedem Zubau der instabilen erneuerbaren Energien und bezahlbare Stromversorgung. Da kommen wir doch verschlimmert sich die Lage – Herr Koeppen hat es an- zusammen; da gibt es doch einen Weg, wie wir das zu- gesprochen –: Wir müssen überschüssigen Strom ver- sammen machen können. Sie ahnen, worauf ich hinaus knappen, statt ihn ins Ausland zu liefern und dafür noch möchte. Geld hinzulegen. Dadurch wird der Strom natürlich teu- rer; die Strompreise steigen. Wenn wir zu wenig Strom (Zuruf von der SPD) produzieren, dann müssen wir Strom importieren; dann haben wir eben teuren Importstrom. Wie wir es auch – Genau, richtig: die Kernenergie! drehen und wenden: Es wird teurer. (Weitere Zurufe von der SPD) (Timon Gremmels [SPD]: Nein! Strom wird Lassen Sie uns den Weg der Kernenergie gemeinsam gerade billiger!) gehen. Das sagen alle: Der EON-Chef sagt, dass es teurer wird, (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE und viele, viele andere. GRÜNEN]: Bestimmt nicht!) Unsere Stromversorgung beruht damit auf einem völlig Sie und wir können beide Ziele unter einen Hut bringen. falschen System, ganz zu schweigen von der mangelnden Versorgungssicherheit und Netzstabilität. Die Energie- (Timon Gremmels [SPD]: Mit Sicherheit versorgung eines Hochtechnologielandes muss an der nicht!) Stabilität des Netzes ausgerichtet sein, an nichts anderem. Deswegen: Lassen Sie uns die Kernenergie vorantreiben. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. 19966 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Steffen Kotré (A) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD und (C) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Meine Damen und Herren, wir regeln außerdem Frist- Vielen Dank, Herr Kotré. – Nächster Redner: Johann verlängerungen wegen der Coronakrise, und wir regeln, Saathoff für die SPD-Fraktion. dass dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrogra- phie Kompetenzen übertragen werden, die notwendig (Beifall bei der SPD) sind, um den weiteren Ausbau im Offshorebereich sicher- zustellen. Und was mich persönlich freut – keiner soll Johann Saathoff (SPD): sagen, dass die Arbeit nicht in den Ausschüssen gemacht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wird –: Wir haben gestern noch im Ausschuss die Frist- Kollegen! Eines will ich an dieser Stelle mal sagen: Das verlängerung für die Flexibilitätsprämie für Betreiber von EEG ist und bleibt ein Erfolgsgesetz, Biogasanlagen vereinbart. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bernhard Loos [CDU/CSU]) der LINKEN und des Abg. Peter Bleser [CDU/ CSU] – Timon Gremmels [SPD]: Gut ge- Das kann man so oft schlechtreden wollen, wie man will: macht!) Am Ende wird der Erfolg dadurch belegt, dass das Gesetz zigmal in der ganzen Welt kopiert wurde. Es war ein guter Denn Netzdienlichkeit ist die neue Grundlastfähigkeit. Es Anker, um erneuerbare Energien endlich in die Energie- geht um Netzdienlichkeit, und Biogas hat in Sachen welt einzubringen. Und deswegen lassen wir uns das Netzdienlichkeit durchaus Potenziale: einmal bei Sub- nicht schlechtreden. stratspeichern, aber auch bei Gasspeichern und auch im Hinblick auf die Möglichkeit, Methan aus der Atmosphä- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ re zu filtern, wenn es güllegeführte Biogasanlagen sind; DIE GRÜNEN) die brauchen wir. Wir haben viel zu tun in der Energiepolitik, um das mal klar zu sagen. Und zugegebenermaßen ist der Regelungs- Spannender als das, was im Gesetz geregelt ist, ist umfang der Novellierung des EEG-Gesetzes, um den es eigentlich, was wir nicht geregelt haben. sich heute handelt, eher begrenzt. Das ist eigentlich scha- (Timon Gremmels [SPD]: Leider!) de. Wir haben das 65-Prozent-Ziel nicht geregelt, obwohl das (B) (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE in unserem Koalitionsvertrag steht. Das ist schade! Wir (D) GRÜNEN]: Ja!) haben nicht geregelt, wie wir das 65-Prozent-Ziel errei- Was regeln wir in dieser Mini-EEG-Novelle? Wir regeln, chen wollen. Das ist schade und gibt vielleicht dem einen dass die Privilegierungen für Bürgerenergiegesellschaf- oder anderen Gelegenheit, zu zweifeln, ob wir es denn ten letzten Endes ausgesetzt werden, und zwar ganz und wirklich erreichen wollen. Für die sozialdemokratische gar und nicht nur befristet. Diese Privilegierungen sind Seite der Koalition kann ich definitiv sagen: Jawohl, missbraucht worden, insbesondere im Hinblick auf das das wollen wir erreichen. Planungsrecht und Genehmigungen nach dem Bundes- Immissionsschutzgesetz bzw. der Befreiung davon. Alle (Beifall bei der SPD) anderen Bürgerenergieprivilegien gelten natürlich nach Wir haben nicht geregelt – das ist im Kanzleramt längst wie vor. vereinbart –, dass bis 2030 nicht nur 15 Gigawatt, son- Wir wollen eine Energiewende, die von einer breiten dern 20 Gigawatt aus dem Offshorebereich kommen sol- Mehrheit der Menschen getragen wird. Wir sehen auch, len. Das ist auch schade! dass es Akzeptanz geben muss für die Energiewende; aber wir haben komplett andere Vorstellungen von Ak- Wir haben das Mieterstromgesetz nicht geregelt – das zeptanz für Windenergie als Sie. Wir definieren Akzep- ist uns vom Minister eigentlich schon zugesagt worden –; tanz über Beteiligung und nicht über Abstände. das sollten wir Ende letzten Jahres bekommen. Das ist nicht nur schade, sondern es ist auch nicht in Ordnung, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass man so mit dem Parlament umgeht. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Moderner Ablasshan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten del!) der LINKEN -Timon Gremmels [SPD]: Das ist Wortbruch!) Ich bin ganz überrascht und auch ein bisschen froh, dass der Minister in dieser Woche einen Vorschlag ge- – Man könnte auch sagen, das sei Wortbruch. macht hat, der vorsieht, den Bürgerinnen und Bürgern in den Windenergiekommunen Geld zu zahlen. Dieser Vor- Was nicht geregelt ist: wie die Altanlagen, die nach schlag umschreibt das, was wir „Bürgerwindgeld“ ge- 2020 aus dem EEG fallen, weiter abgewickelt werden. nannt haben; das haben wir vor zwei Monaten auch Und wir haben nicht geregelt – und das ist unverantwort- bekannt gegeben. Mir fällt dazu das Schweizer lich –, dass der PV-Deckel endlich abgeschafft wird, und Kräuterbonbon ein: Wer hat es letzten Endes erfunden? wir haben nicht geregelt, wie wir mit der Windenergie Es ist made by Sozialdemokratie, und das ist gut so. weiter umgehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19967

Johann Saathoff (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich (C) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE habe keine Angst – ein Kind von der Küste kennt zwei GRÜNEN) Dinge nicht: Geld und Angst –, Tausende von Menschen bangen um ihren Arbeits- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der platz, nicht nur wegen der Coronakrise, sondern weil LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE wir in dieser Koalition – das muss man selbstkritisch GRÜNEN) sagen – nicht in der Lage sind, hierfür die notwendigen Regelungen zu schaffen. aber ich mache mir Sorgen über schmelzende Gletscher, über steigende Meeresspiegel und über Dürren, die die (Beifall bei der SPD) Bauern in echte Schwierigkeiten bringen; das sind meine Die Verantwortung dafür liegt bei der Union, und wer eigentlichen Sorgen. einen Beweis dafür braucht, der muss sich nur die Rede Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben in der von Herrn Koeppen noch mal anhören. Es ist unverant- Energiepolitik noch viel zu regeln. In Ostfriesland wür- wortlich, dass das BMWi hier auch nicht liefert; es ist den wir sagen: Wi hebben noch Halswark to doon. – energiepolitisch, klimapolitisch und auch industriepoli- Lassen Sie uns endlich anfangen! tisch unverantwortlich. Von daher hoffe ich, dass wir jetzt bald aus dem Quark kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir haben über Konjunkturprogramme gesprochen, GRÜNEN) und mein Kollege Bernd Westphal hat eindrucksvoll da- rauf hingewiesen, dass es im Konjunkturprogramm eben auch darum gehen muss, Anreize für Speichertechnolo- Vizepräsidentin Claudia Roth: gien für Wasserstofflösungen zu schaffen; Vielen herzlichen Dank, Johann Saathoff. – War der letzte Satz jetzt die Übersetzung? Das müssen Sie mir – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ich komme aus Schwaben, aus dem Süden – sagen. Was es muss darum gehen, digitale Netze auszubauen. Wenn haben Sie uns denn sagen wollen? wir jetzt schon viel Geld ausgeben müssen für die Coro- nahilfen, dann lassen Sie es uns doch so machen, dass wir Johann Saathoff (SPD): gleichzeitig auch die Transformationsanreize schaffen, „Wi hebben noch Halswark to doon“ kann man nicht die wir sowieso hätten setzen müssen in diesem Kontext. wörtlich übersetzen. (Beifall bei der SPD) (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) Meine Damen und Herren, es geht eine Angst um, die Angst, dass die EEG-Umlage steigt; wir haben das heute Dann ungefähr. auch noch mal gehört. Ich finde es immer wieder beein- druckend, wie Gegner der erneuerbaren Energien immer Johann Saathoff (SPD): ein Argument gegen die erneuerbaren Energien haben: Es heißt so viel wie: Wir haben noch eine ganz Menge Entweder steigt die EEG-Umlage, oder es steigt der vor uns zu tun. Strompreis generell. Der Kanon lautet immer: Uh, Vor- sicht mit den Erneuerbaren; hier steigt irgendwas. – Aber Vizepräsidentin Claudia Roth: der Zusammenhang wird verkannt. Warum steigt eigent- Gut. – Vielen Herzlichen Dank. Ich freue mich immer lich die EEG-Umlage in der nächsten Zeit? Weil der auf den Sprachunterricht. Marktpreis für Strom sinkt. (Johann Saathoff [SPD]: Ich auch!) (Jens Koeppen [CDU/CSU]: Eben! – Gegenruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/ Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Sandra DIE GRÜNEN]: Hören Sie gut zu, Herr Weeser. Koeppen!) (Beifall bei der FDP) Das sind zwei korrespondierende Größen, die miteinan- der in Zusammenhang stehen. Wenn das eine mit dem Sandra Weeser (FDP): anderen zu tun hat, kommt am Ende die gleiche Summe Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und heraus. Deswegen, Herr Koeppen, ist es falsch, zu sagen: Kollegen! Ich sehe in dieser Debatte: In der Energiepoli- Der Strompreis steigt automatisch. Es ist schlichtweg tik der GroKo tun sich wieder Gräben auf. Es ist wunder- falsch. bar, dieses Schauspiel hier zu verfolgen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP – Oliver Krischer [BÜND- DIE GRÜNEN – Jens Koeppen [CDU/CSU]: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das finde ich Aber der Bürger bezahlt es doch am Ende, kein nicht wunderbar!) anderer! – Gegenruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Herr Koeppen, dann schafft Es zeigt sich ganz deutlich, wo hier der Hase im Korn die Industrieprivilegien ab!) liegt. Und weil es falsch ist, muss man keine Angst davor (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zurufe haben. von der SPD: Pfeffer!) 19968 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Sandra Weeser (A) – Darf ich jetzt einfach mal weitermachen? – Danke. bauen. Sonst drohen die steigenden Kosten die Verbrau- (C) cherinnen und Verbraucher und unsere Unternehmen zu Den Inhalt des Gesetzentwurfes haben wir in den letz- überfordern, meine Damen und Herren. ten Tagen ja nun wirklich hinreichend besprochen. Also können wir dem auch, wie bereits letzte Woche ange- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Alles klar: Be- kündigt, zustimmen. triebswirtschaft!) Die kurzfristigen Änderungen im Ausschuss zur Frist- Die Photovoltaik als Technologie zur klimaneutralen verlängerung bei Biogas zeigen aber auch wieder dieses Stromerzeugung ist zunehmend kostengünstig und in der energiepolitische Chaos im Bermudadreieck zwischen Bevölkerung akzeptiert. Deswegen sollte sie auch weiter Ministerium, der Unions- und der SPD-Fraktion. Auch ausgebaut werden. Allerdings muss nach 20 Jahren EEG der Vorwurf an Sie, liebe GroKo, dass Sie wesentliche ein Weg aus der Dauersubvention aufgezeigt werden. Nur zeitkritische Probleme nicht rechtzeitig lösen, bleibt. auf diese Weise kann Deutschland seine Energiewende zum Erfolg bringen. Wir sind gerne bereit, dafür Lösun- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was?) gen anzubieten und daran mitzuwirken. Vor allem die lang angekündigte Streichung des Solar- Vielen Dank. deckels sorgt weiter für Unsicherheit bei Anlagenbauern, Handwerkern und bei vielen anderen. Ich fordere die (Beifall bei der FDP – Timon Gremmels Koalition deshalb auf: Hören Sie endlich auf, einzelne [SPD]: Ich habe keine einzige Lösung von energiepolitische Sachfragen gegeneinander auszuspie- Ihnen gehört!) len! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Claudia Roth: der SPD) Vielen Dank, Frau Sandra Weeser. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Lorenz Gösta Beutin. Wenn ich das schon höre: Sie, Jens Koeppen, haben die einzelnen Bedingungen genannt. Sie nehmen aber mit (Beifall bei der LINKEN) diesen Spielchen die Verbraucher in Geiselhaft. Die EEG-Umlage droht, massiv anzusteigen. Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Man könnte tatsächlich erschüttert sein, erschüttert darü- GRÜNEN]: Da hat sie sicher recht!) ber, dass wir sowohl von der AfD, von der wir die Fake Hier zeigt sich dringender Reformbedarf. News ja gewohnt sind, als auch diesmal von der CDU, (B) nämlich von Herrn Koeppen in gewohnter Weise, einen (D) Da bin ich auch nicht bei Ihnen, Herr Saathoff; denn Generalangriff gegen die Energiewende gehört haben. dieser Anstieg hat nichts mit sinkenden Strompreisen zu Nein, das ist genau der falsche Weg. Deshalb war es tun. Natürlich haben wir geringe Strompreise, aber so- richtig, dass Kollege Saathoff hier deutlich gemacht hat, lange wir eine EEG-Umlage haben, werden wir immer worum es bei der Energiewende eigentlich gehen müsste. höhere Strompreise haben als der Rest Europas oder der Welt. Die große Dramatik ist, lieber Kollege Saathoff: Schon seit zwei Jahren und nicht erst seit zwei Monaten, als die (Beifall bei der FDP – Oliver Krischer [BÜND- SPD das eingebracht hat, fordern Vereine, Verbände, Um- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der erste Teil war so weltverbände und die Kommunen, die Akzeptanz bei der gut!) Windenergie zu steigern, eine Konzessionsabgabe einzu- Es muss jetzt mal gehandelt werden, und zwar zügig. Es führen und die Einnahmen aus der Windenergie auch den reicht nämlich nicht – da gebe ich wiederum Herrn Kommunen zugutekommen zu lassen. Koeppen recht –, liebe Grüne, einfach weiterzumachen (Beifall bei der LINKEN) wie bisher und die Kosten im Haushalt lediglich zu ver- schieben. Damit kommen wir auch nicht weiter. Und jetzt, in dieser Situation, kommt Herr Altmaier und sagt: Okay, vielleicht ist das doch eine ganz gute Idee; (Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD]) vielleicht könnte man das doch machen. – Das ist die Idee, vor der er jahrelang die Ohren verschlossen hat. Wir sind uns aber einig, dass die Unsicherheiten ange- Deswegen loben wir hier jetzt nicht die Weitsicht von sichts des baldigen Erreichens des Solardeckels behoben Herrn Altmaier – denn das ist keine Weitsicht –, sondern werden müssen. Gleichzeitig brauchen wir aber einen wir loben die Vereine, die Verbände, die Gewerkschaften, grundlegenden Wechsel im System. die Kommunen, die Klimabewegung, die Druck gemacht Wir als Freie Demokraten lehnen es ab, weiter den haben auf der Straße, dass selbst jemand wie Herr reinen Zubau an Kapazitäten zu fördern. Stattdessen for- Altmaier sich bewegen muss, und das ist schon mal eine dern wir systemische Lösungen, Anreize über den Markt, Menge. um damit auch die Erneuerbaren in die Systemverant- wortung zu nehmen und Kosten zu begrenzen. Die Zu- (Beifall bei der LINKEN – Alexander Ulrich kunft liegt in einem Verbund von erneuerbaren Energien, [DIE LINKE]: Und schwer!) steuerbaren Kraftwerken, Speichern und Power-to-X- Aber es geht leider noch weiter. Herr Altmaier plant, Technologien sowie mehr Flexibilität. Dieser Verbund eine neue Bremse bei der Windenergie einzuziehen. Er gedeiht nur, wenn wir zukunftsfähige Leitplanken ein- will größere Abstände, und er will die geltenden Regel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19969

Lorenz Gösta Beutin (A) ungen noch weiter verschärfen. Das heißt, er droht damit: Denn davon hängt ab, ob weiterhin im Rahmen der För- (C) Wir werden die Photovoltaik ausbremsen, wenn unser derung nach dem EEG Solarstromanlagen auf die Dächer Koalitionspartner, die SPD, nicht mit uns gemeinsam gesetzt werden oder ob in wenigen Wochen Schluss da- die Windkraft ausbremst. – Nein, liebe Kolleginnen und mit ist – mit allen Konsequenzen für Arbeitsplätze und Kollegen von der Union, hören Sie auf mit dieser Erpres- Klimaschutz. sung. Heben Sie endlich den PV-Deckel auf! Einmal zur Historie dieses Theaters, das die CDU/CSU (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem hier aufführt: Herr Pfeiffer, Herr Linnemann, Herr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lämmel und Herr Koeppen von der CDU sind energie- politisch im letzten Jahrhundert stehen geblieben. Wind- In der Befragung der Bunderegierung haben wir ges- räder finden sie blöd, fossile dreckige Kraftwerke ziem- tern Bundeskanzlerin Merkel erlebt, die auf die Frage lich schick. Damit stehen diese Männer aber ziemlich nach dem PV-Deckel geantwortet hat: Ja, Sie können alleine da in Deutschland; aber das ist Ihnen ja egal. mir vertrauen. Die Aufhebung des PV-Deckels ist verein- bart, und sie wird auch kommen. – Ganz ehrlich, ich habe (Karsten Hilse [AfD]: Nein, eben nicht!) da kein Vertrauen; denn wenn die Union das gewollt – Ja gut, vielleicht machen Sie von der AfD noch mit; hätte, hätte sie es mit dieser Reform des Erneuerbare- würde ich mir nix drauf backen. Energien-Gesetzes machen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und bei der LINKEN) neten der SPD) Sie schmieden einen perfiden Plan, und Sie wollen Genau deshalb brauchen wir auch in dieser Situation einen Keil treiben zwischen die verschiedenen Technolo- weiterhin den Druck von Umweltverbänden, von Par- gien der Erneuerbaren. Sie wollen den weiteren Ausbau teien und der Klimabewegung, damit diese Union sich der Solarenergie nur dann ermöglichen, wenn im Gegen- endlich bewegen muss. zug der Ausbau der Windkraft quasi unmöglich gemacht wird. Wohlgemerkt: Alle wissenschaftlichen Studien zei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gen, alle Wirtschaftsverbände fordern, dass wir einen Timon Gremmels [SPD]) weiteren Ausbau von Solar- und Windenergie brauchen. Die Situation haben wir ja nicht nur beim Ausbau der Aber die Energiewendesaboteure der Union erpressen PV, sondern auch beim Wind. Es gibt jetzt einen Kom- ihren Koalitionspartner SPD und nehmen die Solarener- promiss. Die Kanzlerin sagt: Wir müssen auf europä- gie als Geisel – samt ihren zigtausend Arbeitsplätzen. Das schmutzige Angebot für den Deal lautet: Die Union (B) ischer Ebene die Lasten beim Klimaschutz wieder ge- (D) recht verteilen, wenn wir den Klimaschutz stärker schafft erst dann den Solardeckel ab, wenn die SPD mit- machen wollen. – Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen macht beim Todesstoß für die Windenergie. und Kollegen der Union: Es geht doch nicht nur um die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lasten, sondern es geht vor allem um die Chancen, die und bei der SPD sowie des Abg. Lorenz Gösta die Energiewende bietet. Wir können die Gesellschaft Beutin [DIE LINKE]) nach Corona solidarischer, gerechter und demokratischer machen – mit einer gelingenden Energiewende. Das sind Und was macht eigentlich Minister Altmaier? Minister nicht Lasten, das sind Chancen. Altmaier tut so, als sei das ja alles überhaupt nicht sein Problem, nicht? Er sagt, er wolle den Solardeckel ja so Vielen Dank. schnell wie möglich streichen; aber leider könnten sich die Fraktionen nicht einigen. Da fragt man sich schon: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Hat der Minister eigentlich überhaupt keinen Einfluss in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) seiner eigenen Fraktion?

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Lorenz Gösta Beutin. – Nächste Redne- der SPD) rin: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Julia Verlinden. Ich finde es unglaublich, dass es auch dem Fraktionsvor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sitzenden offenbar schnuppe ist, dass es ihm ziemlich egal ist, dass dieses destruktive Taktieren hier offenbar Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zum Alltag gehört. Am Ende wird das Ganze nämlich nur Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Verlierer in der Energiebranche produzieren. ren! Sie haben richtigerweise im Erneuerbare-Energien- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetz einige Fristen verlängert. Das ist wegen Corona sowie bei Abgeordneten der SPD) notwendig, und das unterstützen wir auch. Aber die wirk- lich spannende Entscheidung hier heute Abend ist doch Weil die politischen Rahmenbedingungen Investitio- eine ganz andere, nämlich die Abstimmung darüber, ob nen gerade unsicherer machen, geben die Banken keine der Deckel für Solarenergie im Gesetz gestrichen wird Kredite mehr für neue Solaranlagen oder nehmen höhere oder nicht. Zinsen. In wenigen Wochen wird der Solardeckel erreicht sein, und während die Union dieses Drama weiterführt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist Deutschland wegen Corona längst am Beginn einer 19970 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Julia Verlinden (A) Wirtschaftskrise. Alle machen sich Gedanken darüber, Für mehr Akzeptanz für Windkraftanlagen hat Bun- (C) wie man jetzt die Konjunktur ankurbelt, wie man Arbeits- desminister Altmaier einen tollen Lösungsvorschlag vor- plätze sichert, wie viel Milliarden Euro man in welche gelegt, der vorsieht, dass die Kommunen, in deren Ge- Branche steckt, um sie zu unterstützen. Die erneuerbaren markung Windkraftanlagen errichtet werden, auch an den Energien bräuchten keinen Cent Steuergelder; Sie Gewinnen beteiligt werden. In meinem Wahlkreis Rhein- bräuchten einfach nur bessere Gesetze. Dann würden Hunsrück mit 280 Windkraftanlagen, die mehrheitlich Investitionen von alleine fließen. Und trotzdem beharren auf gemeindlichem Grund stehen, funktioniert das schon. Herr Pfeiffer und Herr Koeppen von der Union auf ihrer Dort werden – zur Freude der Bürger – die Mittel aus Blockade. Sie sind das Investitionsrisiko für Deutsch- diesen Windkraftanlagen für weitere CO2-Einsparmaß- land! nahmen genutzt, zum Beispiel zum Bau von Nahwärme- netzen, für Zuschüsse für die Anschaffung von energie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sparenden Haushaltsgeräten, E-Autos; ich könnte noch bei der SPD und der LINKEN) weitere Dinge nennen. Gestern hat die Kanzlerin in der Regierungsbefragung Meine Damen und Herren, die Energiewende ist eine gesagt, sie würde sich dafür einsetzen, dass der Solar- Generationenaufgabe. deckel schnellstmöglich abgeschafft wird. „Schnellst- möglich“, das bedeutet: heute, hier, jetzt, heute Abend. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir sind schon seit 30 Jahren dabei!) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nein, jetzt nicht mehr!) Die einen sehen die Risiken, die Kosten, die Schwierig- keiten; ich sehe die Chancen. Wir alle haben uns dazu Hier haben Sie die Möglichkeit dazu, das schnellstmög- bekannt, dass Deutschland bis 2050 nahezu energieneut- lich zu tun. Stimmen Sie also dafür, was Ihre Minister- ral werden soll. präsidenten aus den Ländern, was der Bundesrat, die Energiewirtschaft, der Mittelstand vor Ort, was alle for- (Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dern: Schaffen Sie endlich den Solardeckel ab! Heute ist NEN]: Klimaneutral! – Oliver Krischer besser als vielleicht irgendwann. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klimaneut- ral!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten - „Klimaneutral“; vielen Dank für die Hilfe. der SPD) Diese Grundsatzdiskussion müssen wir also nicht mehr führen. Worüber wir aber streiten müssen – im wahrsten (B) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sinne des Wortes –, ist der Weg dorthin. Keine Frage: (D) Vielen Dank, Dr. Julia Verlinden. – Letzter Redner in Eine Energieversorgung mit fast ausschließlich Erneuer- dieser Debatte: Peter Bleser für die CDU/CSU-Fraktion. baren wird sehr anspruchsvoll; aber wir können das. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Wirtschaftsministerium hat bereits 2017 5 SIN- TEG-Projekte für intelligente Energie und aktuell 20 Re- allabore auf den Weg gebracht. Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist (Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schon mehrfach gesagt worden: Wir beraten heute die Na dann! Läuft!) kleine EEG-Novelle, Sie testen in großtechnischem Maßstab die Energiewen- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- de. Ich habe mir viele Projekte selber angesehen. Mir NEN]: Zu kleine EEG-Novelle!) wurden neue Netzbetriebskonzepte vorgestellt, wo mit Schwarmspeichern und Anreizen für den gesteuerten die, bedingt durch die Coronakrise, notwendig ist. Aber Verbrauch Netzstabilität gesichert werden kann. Der in Gedanken sind wir längst, wie auch Sie alle, bei der wertvolle Überschussstrom von PV- und Windkraftanla- großen Novelle. Diese wird hochkomplex und viel, viel gen, der heute noch verloren geht, sogar Kosten verur- weitreichender sein als das, was wir heute hier beraten. sacht, kann durch die Elektrolyse als Wasserstoff gespei- Ja, es stimmt: Wir sind in der Großen Koalition noch chert werden, und dieser Wasserstoff – das wissen Sie nicht einig, wie wir diese Novelle gestalten wollen. Aber alle – kann in Brennstoffzellen genutzt werden und als wir werden das hinbekommen, genauso wie wir gestern Rohstoff in der Industrie Verwendung finden. im Ausschuss den Konflikt beim Thema Biogasanlagen Noch stehen viele technologische Schwierigkeiten vor lösen konnten. Danke auch an Andreas Lenz und Johann uns, und noch ist die Wirtschaftlichkeit selten gegeben. Saathoff, dass das noch so schnell möglich war. Ich bin Aber das Potenzial, das dort liegt, müssen wir erkennen. sicher, dass wir auch den Konflikt bei dem PV-Deckel Allerdings wird es derzeit noch durch hohe Steuern und und den Abständen von Windkraftanlagen rechtzeitig lö- Abgaben behindert. Gerade bei der Speicherung und dem sen. ganzen Bereich Power-to-X müssen diese auf den Prüf- stand. Die anstehende große EEG-Novelle muss daher (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Weichensteller sein. NEN]: Nein! Das ist nicht mehr rechtzeitig! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Keine Frage: Es wird auch Geld kosten. Aber ich mei- GRÜNEN]: Ist jetzt schon zu spät!) ne, es ist eine gute Investition in die Zukunft. Und wenn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19971

Peter Bleser (A) wir es richtig machen, haben wir nicht nur die Chance, Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat (C) unsere Klimaziele zu erreichen, sondern auch die Chan- eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur ce, Technologieführer bei der Energiewende und bei der Änderung des Strafgesetzbuches – Strafrecht- Dekarbonisierung der Wirtschaft zu werden. licher Schutz bei Verunglimpfung der Europä- ischen Union und ihrer Symbole (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 19/14378 Viele Länder warten auf unsere Lösungen. Damit können wir in Deutschland und Europa Wertschöpfung sichern Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- und zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Daran mitzu- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- arbeiten ist mir eine Freude. schuss) (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 19/19201 Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Plät- Vizepräsidentin Claudia Roth: ze möglichst schnell einzunehmen oder den Raum zu Vielen Dank, Peter Bleser. – Damit schließe ich die verlassen. – Hierzu liegt uns ein Änderungsantrag der Aussprache. Fraktion der AfD vor. Für die Aussprache ist eine Dauer Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- von 30 Minuten beschlossen. tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der De- wurf zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes batte: Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. 2017 und weiterer energierechtlicher Bestimmungen. (Beifall bei der SPD) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19208, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Dr. Johannes Fechner (SPD): SPD auf Drucksache 19/18964 in der Ausschussfassung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! anzunehmen. Vor 75 Jahren endete das Terrorregime der Nationalso- zialisten in Deutschland und damit die grausame mörder- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- ische Verfolgung der jüdischen Mitbürgerinnen und nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/19215 vor. Wer Mitbürger. Der Massenmord der Nazis war ein unvor- stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage- stellbares Verbrechen. gen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Änderungsan- (B) trag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen von Dass wir heute, 75 Jahre nach dem Ende der Nazi- (D) Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Dagegenge- barbarei, in Deutschland wieder jüdisches Leben haben, stimmt haben die Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP finde ich einfach großartig. Das müssen wir fördern und und AfD. unterstützen. Deswegen ist eine Aufgabe bei dieser Un- terstützung, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass in Zum Gesetzentwurf, über den wir jetzt abstimmen Deutschland die Symbole des Staates Israel oder die is- wollen, liegen uns massenhaft Erklärungen vor, also ein raelische Flagge verbrannt werden, so wie es in Berlin der ganzer Stapel an Erklärungen nach § 31 unserer Ge- Fall war. In Deutschland dürfen keine israelischen Flag- 1) schäftsordnung. gen brennen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache LINKEN sowie des Abg. Dr. Jürgen Martens 19/18964 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, [FDP]) um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Nach heutiger Rechtslage ist die Verbrennung einer tung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen ausländischen Flagge straffrei, wenn die Flagge kein von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. fremdes Eigentum ist. Diese Strafbarkeitslücke wollen Dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD. Enthalten wir mit diesem Gesetz schließen. Zukünftig macht sich hat sich die Fraktion der Linken. strafbar, wer eine ausländische Flagge verbrennt. Dritte Beratung Den gleichen strafrechtlichen Schutz wollen wir auch der Flagge der Europäischen Union zukommen lassen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Europäische Union ist Friedensnobelpreisträger und Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – sorgt seit Jahrzehnten dafür, dass wir Frieden auf unse- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- rem Kontinent haben. Bei allem Reformbedarf der EU ist entwurf ist angenommen bei Zustimmung der Fraktionen eines klar: Europa ist die Zukunft. Deswegen ist es richtig SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei und wichtig, dass wir gegen die Feinde Europas vorge- Gegenstimmen der Fraktion der AfD und Enthaltung von hen, insbesondere wenn sich diese Feindschaft darin der Fraktion Die Linke. äußert, dass die Flagge der Europäischen Union ver- brannt wird. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 1) Anlagen 9 bis 11 der CDU/CSU und der LINKEN) 19972 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Dr. Johannes Fechner (A) Das dulden wir nicht. Deswegen erweitern wir auch hier Die Begründung des Bundesrates spricht allen Ernstes (C) das Strafgesetzbuch. von der Autorität der Hoheitsmacht der EU, die es zu schützen gelte. Das ist nah an einem archaischen Begriff Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz von Majestätsbeleidigung und einer freiheitlichen regeln wir die Streichung einer Vorschrift. Sie erinnern Rechtsordnung unwürdig. sich alle noch an die Affäre Jan Böhmermann. Da ein Kollege das Gedicht über Herrn Erdogan hier schon ein- (Beifall bei der AfD) mal vorgetragen hat, muss ich es jetzt nicht wiederholen. Der Entwurf imitiert den existierenden § 90a StGB. Sie kennen den Fall. Damals kam es zu einer kleinen Der schützt die Symbole unserer Republik und in ihren Regierungskrise, als nämlich im Bundeskabinett die Symbolen die Republik selbst und ihre Verfassung. Da- CDU-Minister anders abstimmten als die SPD-Minister mit ist auch klar, was dieser Gesetzentwurf bezweckt. bezüglich der Frage, ob Deutschland die Zustimmung Man will unter Strafandrohung die EU im allgemeinen gibt, dass die Strafverfolgung von Herrn Böhmermann Bewusstsein des Volkes auf eine Stufe mit unserer Repu- auf die Anzeige von Herrn Erdogan erfolgen darf. Wir blik stellen und demnächst an deren Stelle. Die Republik haben damals schon gesagt, dass das eine unnötige Vor- ist der Rahmen, in dem Demokratie und Rechtsstaat ver- schrift ist. Wir brauchen diese Zustimmung nicht. Des- wirklicht werden. Mit der Republik verschwinden auch wegen streichen wir diese Vorschrift. Wir haben in diese. Deshalb wollen wir an der deutschen Republik Deutschland eine kompetente, eine verantwortungsvolle festhalten und widersetzen uns ihrer Abschaffung zu- Justiz. Deswegen brauchen wir diese Vorschrift, die Zu- gunsten einer EU. stimmung der Bundesregierung nicht; vielmehr kann un- sere Justiz hier kompetent und verantwortungsvoll selbst (Beifall bei der AfD) entscheiden, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird oder Die Historiker kennen das Schlagwort von der Repu- nicht. blik ohne Republikaner. Es meint die Zeit vor hundert (Beifall bei der SPD) Jahren, als es in Deutschland zwar eine republikanische Verfassung gab, aber wesentliche Parteien und Gesell- Sie sehen, wir wollen wichtige Maßnahmen, wichtige schaftsschichten die Republik ablehnten. Unter völlig Regelungen heute in zweiter und dritter Lesung verab- veränderten Umständen nähern wir uns offenbar heute schieden. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, dass erneut einer Zeit, in der man fragen muss, wer denn die wir mit diesem Gesetz verhindern, dass Bilder um die deutsche Republik gegen ihre Abschaffung zu verteidi- Welt gehen, dass die israelische Flagge in Deutschland gen bereit ist. verbrannt wird. Das ist mir ein ganz wichtiges Anliegen. (Zuruf des Abg. René Röspel [SPD]) (B) Vielen Dank. (D) In diesem Parlament ist das offensichtlich nur die AfD. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Hirte [CDU/CSU]) (Beifall bei der AfD) Kommen wir zum zweiten Inhalt dieser Vorlage. Die- Vizepräsidentin Claudia Roth: ser zweite Aspekt ist veranlasst durch Ereignisse, die sich Vielen Dank, Dr. Fechner. – Nächster Redner: für die vor einiger Zeit hier in Berlin abgespielt haben. Auf AfD-Fraktion Fabian Jacobi. Berliner Straßen fanden nämlich Demonstrationen statt, die durch Fahnenverbrennungen und einschlägige Par- (Beifall bei der AfD) olen ein offen antisemitisches Gepräge hatten. Die linke Stadtregierung von Berlin sah sich nicht in der Lage, das Fabian Jacobi (AfD): zu unterbinden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hätte (Zuruf von der AfD: Pfui!) alles so einfach sein können. Wir hätten gemeinsam aus diesem Desaster von einem Gesetzentwurf etwas Sinn- Auch wenn die Begründung der Regierungsfraktionen volles machen können. Die AfD-Fraktion hat im Rechts- diesen Zweck nur noch verschämt andeutet – warum ausschuss einen Vorschlag vorgelegt, dem hätten Sie nur eigentlich? –, geht es in dem zweiten Teil darum, solche zustimmen müssen. Schade. Aufzüge in Zukunft zu verhindern. Lassen Sie mich eines in aller Deutlichkeit sagen: Dieses Ziel teilen wir. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD) In der Form, in der dieser Gesetzentwurf den Rechts- ausschuss verlassen hat, vermengt er zwei Dinge, die Leider mangelt es den Regierungsfraktionen aber an jeweils eine eigene Bewertung verdienen. der Kompetenz, das dann auch vernünftig umzusetzen. Sie wollen eine Vorschrift im dritten Abschnitt des Straf- Das Erste lehnen wir rundheraus ab. Es ist eine Straf- gesetzbuches ändern, der von Straftaten gegen auswärti- vorschrift, die sich gegen Kritik an der EU richtet. In ge Staaten handelt. Das Ansehen fremder Staaten ist aber einem freiheitlichen Rechtsstaat kann das Parlament aber kein ausreichend gewichtiges Rechtsgut, um Eingriffe in nicht einfach mal irgendetwas mit Strafe bedrohen, das die Meinungsfreiheit zu tragen. Dazu bedarf es höher- der Mehrheit gerade missfällt. Strafrecht im Rechtstaat ist wertiger Schutzgüter. Dafür kommt dann eigentlich nur Rechtsgüterschutz. Ein überragend wichtiges Rechtsgut, das Schutzgut des öffentlichen Friedens infrage. Damit das diesen Eingriff in die Kunstfreiheit und die Mei- sind wir im siebten Abschnitt des Strafgesetzbuches. Dort nungsfreiheit rechtfertigen könnte, gibt es aber nicht. gehört die Gesetzesänderung hin. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19973

Fabian Jacobi (A) Dementsprechend sieht unser Änderungsantrag vor, Deshalb finden wir es auch richtig, dass wir es unter (C) dass der unsägliche erste Teil zur EU gestrichen wird Strafe stellen, wenn die Symbole der Europäischen Union und der zweite Teil an der richtigen Stelle im Gesetz und damit die dahinterstehenden Werte verunglimpft eingefügt wird. Im Ausschuss haben Sie unseren Ände- werden, meine Damen und Herren. rungsantrag abgelehnt. Wir geben so schnell aber nicht auf, und deshalb haben wir ihn hier noch einmal ins (Beifall bei der CDU/CSU) Plenum mitgebracht. Ich höre die Zwischenrufe von der AfD. Herr Jacobi, glauben Sie mir: Wir haben uns diesen Änderungsantrag Sie haben also jetzt gleich eine neue Chance. Stimmen der AfD angesehen, auch wenn es manchmal schwerfällt. Sie unserem Änderungsantrag zu, und dann haben wir heute doch noch gemeinsam etwas Sinnvolles getan. (Fabian Jacobi [AfD]: Da müssen Sie durch!) Vielen Dank. Aber dass ausgerechnet Sie sich jetzt auf Meinungsfrei- heit berufen! Wissen Sie, es geht hier um die Werte, um (Beifall bei der AfD) die Grundfreiheiten der Europäischen Union, unter ande- rem um die Meinungsfreiheit, die garantiert, dass man Vizepräsidentin Claudia Roth: hier alles vertreten darf, dass man sich hier an dieses Pult stellen darf und solche Reden halten darf, wie Sie es ge- Danke schön, Fabian Jacobi. – Nächster Redner: für rade getan haben. die CDU/CSU-Fraktion Ingmar Jung. (Fabian Jacobi [AfD]: Ich bin gerührt, dass Sie (Beifall bei der CDU/CSU) mir das zugestehen! Ich bin gerührt! Wirklich!) Und dass Sie behaupten, wenn wir diese Werte schützten, Ingmar Jung (CDU/CSU): beschränkten wir die Meinungsfreiheit, ist wirklich ge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als radezu absurd. Das muss man wirklich sagen. CDU/CSU-Fraktion unterstützen diesen Gesetzentwurf, weil wir es nicht hinnehmen wollen, dass Gruppierungen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, die sich Parteien nennen, einen Marsch über die Flagge der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE der Europäischen Union veranstalten und damit die Werte GRÜNEN – Fabian Jacobi [AfD]: Studieren der Europäischen Union symbolisch mit Füßen treten. Sie einfach die Rechtsprechung zu § 90a! Dann Und wir wollen es nicht hinnehmen, dass Flaggen ande- lernen Sie noch was!) rer Staaten, insbesondere die Flagge des Staates Israel, in Der zweite Punkt: das Unter-Strafe-Stellen des Be- (B) Deutschland verbrannt werden, ohne dass wir dem straf- schädigens und Zerstörens ausländischer Flaggen. Übri- (D) rechtlich begegnen können. Deswegen halten wir den gens wird nicht nur verschämt angedeutet: Ja, der Anlass vorliegenden Gesetzentwurf im Grundsatz für absolut war das, was letztes Jahr mit der israelischen Flagge richtig und unterstützenswert. passiert ist. Das braucht hier niemand zu verschweigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das war der Anlass. Deswegen ist es auch richtig, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt ha- Lassen Sie mich auf die beiden Punkte noch im Ein- ben. zelnen eingehen: Da sage ich auch ganz offen: Dass ausgerechnet in Der erste Punkt: die Einführung des § 90c StGB, das Berlin, in der Nähe des Reichstags, vor dem Unter-Strafe-Stellen der Verunglimpfung der Flagge, der Brandenburger Tor – Herr Fechner hat es angedeutet –, Symbole der Europäischen Union. Übrigens: Der Tatbe- nach 75 Jahren die Flagge des Staates Israel verbrannt stand des Verunglimpfens ist – anders als wir es eben werden kann, ohne dass da strafrechtlich reagiert werden gehört haben – nicht dann erfüllt, wenn jemand Kritik kann, ist schlicht und ergreifend nicht hinzunehmen, mei- an der EU übt. ne Damen und Herren. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – GRÜNEN]: Ja, eben! Genau!) Fabian Jacobi [AfD]: So ist das!) Das ist im Rahmen unseres Pluralismus, unserer Mei- Deswegen ist auch das Strafrecht das richtige Mittel und nungsfreiheit erwünscht, das kann jeder tun, das zeichnet nicht das Ordnungswidrigkeitenrecht. uns gerade aus, und das ist einer der Werte, die auch Man muss es doch einfach mal sehen: Ich bin zwar durch diese Flagge verkörpert werden. Der Tatbestand immer dagegen, auf einzelne Ereignisse mit Mitteln des des Verunglimpfens ist dann erfüllt – das hätte man auch Strafrechts zu reagieren; aber man kann nicht leugnen, in der Anhörung im Rechtsausschuss erfahren können –, dass der zunehmende Antisemitismus, auch das zuneh- wenn man grundsätzlich das infrage stellt, was das Zu- mende Infragestellen des Staates Israel, ein Phänomen sammenleben in unserer staatlichen Gemeinschaft und ist, das in Deutschland in den letzten Jahren größer ge- dann auch in der Europäischen Union ausmacht. Frieden, worden ist. Deswegen ist es auch richtig, an der Stelle als Freiheit, Zusammenleben und Solidarität in Europa – das Staat zu reagieren. sind die Werte, die wir für schutzwürdig halten. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen – ich habe das neu- (Fabian Jacobi [AfD]: Das hat aber nichts mit lich gesehen –: Eine große Tageszeitung hat ein Experi- der Flagge der EU zu tun! Gar nichts!) ment gemacht, hat die israelische Flagge an verschiede- 19974 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Ingmar Jung (A) nen Orten Deutschlands aufgehängt und hat mal ge- päische Union als Ersatz für die Bundesrepublik nehmen (C) schaut, was damit passiert. Kaum länger als zwei Stunden würde, ist sie hängen geblieben, egal wo – an unterschiedlichen Orten in Deutschland. Ich will jetzt nicht sagen, wo sie (Fabian Jacobi [AfD]: So ist das!) am kürzesten hing. Sonst klänge es so, als wollte man dann wird diese Exklusivität – lassen Sie mich das klar- damit eine bestimmte Aussage treffen. Aber teilweise stellen – gemeinhin als eine Vorstufe extremistischer passierte es, dass innerhalb einer Stunde die Flagge ab- Wahrnehmungsstörungen gesehen. gehängt wurde und diejenigen, die sie abgehängt haben, sich selbst dabei filmten, wie sie versuchten, die Flagge (Heiterkeit der Abg. Gabriele Katzmarek anzuzünden. Das passierte vielfach. Deshalb ist das ein [SPD] und Canan Bayram [BÜNDNIS 90/ Phänomen, das man ernst nehmen muss. Deshalb ist es DIE GRÜNEN] – Fabian Jacobi [AfD]: Aber auch richtig, dass wir an der Stelle auch strafrechtlich sonst geht es Ihnen gut, ja? Was soll der Un- reagieren, meine Damen und Herren. sinn?) Sie sollten sich wirklich mal Hilfe holen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Lassen Sie mich vielleicht noch etwas zu unserem Än- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE derungsantrag im Anschluss sagen, weil er zeigt, dass die GRÜNEN – Fabian Jacobi [AfD]: Mehr fällt Anhörung, die wir durchgeführt haben, sinnvoll war. Wir Ihnen nicht ein als dumme Beschimpfungen! nehmen beim § 104 StGB an zwei Stellen Korrekturen Das ist entlarvend! Das ist so peinlich!) vor. Zum einen haben die Sachverständigen uns darauf hingewiesen, dass wir einen gewissen Wertungswider- wenn Sie tatsächlich meinen, mit dieser Regelung hier spruch hätten haben können, wenn möglicherweise der- solle die Vorstufe eines Ersatzes der deutschen Republik selbe Beschädigungsakt bei einer ausländischen Flagge durch die EU vorbereitet werden. in einer bestimmten Situation hätte strafbar sein können, Aber lassen Sie mich zur Sache kommen. Der Gesetz- aber bei der deutschen Flagge nicht, weil dort immer das entwurf ist in der Tat die Folge aus verschiedenen Ent- Verunglimpfen erforderlich ist. Bei ausländischen Flag- wicklungen, die wir alle nicht begrüßen können. Das Ver- gen war das nicht unmittelbar im objektiven Strafbestand brennen von Flaggen anderer Länder oder auch die enthalten. Deshalb fügen wir jetzt noch das Tatbestands- Kalamitäten, in die die Bundesrepublik in der Affäre merkmal „… und dadurch verunglimpft“ ein, damit die- Böhmermann gekommen ist, finden hier ihren Nieder- ser Widerspruch nicht entsteht. schlag. Trotzdem haben wir – genauso wie die Kollegin- nen und Kollegen von den Grünen – Kritik an diesem Zum anderen haben wir uns mit dem Problem ausei- (B) Gesetzentwurf. Denn wir sagen: Strafrecht muss in der (D) nandergesetzt, wann denn überhaupt eine Darstellung zu Tat Ultima Ratio sein; das Aufnehmen von Sanktionen, einer Flagge wird. Wir hatten das Beispiel eines weißen die Erstreckung auf das Strafrecht bedarf einer besonde- Blatts Papier mit zwei roten Streifen drauf. Die Frage ren Rechtfertigung. war, ob das die Flagge der Republik Österreich ist. Das ist jetzt dadurch gelöst, dass wir ausdrücklich klarstellen, Wir sehen es mit gemischten Gefühlen, wenn wir stän- dass hier nur die echten Flaggen und die, die ihnen zum dig neue strafrechtliche Vorschriften schaffen, um damit Verwechseln ähnlich aussehen, gemeint sind. den Bereich strafbaren Verhaltens zu erweitern, ohne zu- gleich dafür zu sorgen, dass die Ermittlungsbehörden ent- Insofern sieht man, dass das parlamentarische Verfah- sprechend ausgestattet sind, um den neuen Anforderun- ren eine sehr gute Funktion hat, eine Anhörung Sinn gen gerecht zu werden. macht und der Gesetzentwurf dadurch noch besser wur- de. Jetzt würde ich mich freuen, wenn Sie alle einfach Für uns steht im Mittelpunkt einer rationalen Straf- zustimmen. rechtspolitik immer die Frage nach dem Rechts- güterschutz. Es ist klar, dass der überkommene Herzlichen Dank. Ehrenrechtsgüterschutz, wie er sich früher mal in der Majestätsbeleidigung gefunden hat und auch heute noch (Beifall bei der CDU/CSU) ansatzweise im Schutz von Symbolen anderer Staaten findet, den Anforderungen einer rationalen Strafrechts- Vizepräsidentin Claudia Roth: politik nicht genügt. Deswegen hatten wir auch den Vor- Vielen Dank, Ingmar Jung. – Nächster Redner: für die schlag gemacht, das Verbrennen und Verunglimpfen von FDP-Fraktion Dr. Jürgen Martens. Fahnen – der deutschen, auch der europäischen Fahne – dann als Straftat zu werten, wenn dies in einer Art und (Beifall bei der FDP) Weise geschieht, die geeignet ist, den öffentlichen Frie- den zu stören. Dr. Jürgen Martens (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren! Herr Jacobi, was Sie vorhin wieder zum Besten ge- Da hätten wir nämlich dann den Rechtsgüterschutz, der geben haben, war ein Lehrbeispiel. Wenn Sie erklären, erforderlich ist. die AfD sei exklusiv die einzige Kraft in diesem Haus, die die von Ihnen exklusiv so wahrgenommene Bedrohung Ansonsten würden wir uns dafür aussprechen, das Ver- entlarven könne, die darin bestünde, dass man die Euro- unglimpfen und auch das Verbrennen von Flaggen ande- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19975

Dr. Jürgen Martens (A) rer Staaten als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Ich glau- Wenn man eklige Bilder brennender israelischer Fah- (C) be, damit würden wir den Prinzipien, die ich eben ge- nen bei Demonstrationen verhindern will, dann kann man nannt habe, eher nachkommen, obwohl man auch zuge- das bereits heute über versammlungsrechtliche Auflagen ben muss, dass die jetzt in Rede stehenden Vorschriften auch tun. eine nur geringe kriminalpolitische Bedeutung haben werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine Damen und Herren, die FDP wird dem vorlie- Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf auch deshalb ab, weil genden Gesetzentwurf aus den genannten Gründen jetzt er unvereinbar mit der Meinungsfreiheit ist; nicht zustimmen. (Fabian Jacobi [AfD]: Hört! Hört!) Vielen Dank. denn der Begriff des Verunglimpfens in dem Tatbestand (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katja Keul ist zu unbestimmt. Ist es bereits ein Verunglimpfen, wenn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) etwa jemand die Sterne der EU-Fahne durch sinkende Rettungsboote im Mittelmeer ersetzt, um auf das Sterben Vizepräsidentin Claudia Roth: im Mittelmeer und die Ignoranz der EU aufmerksam zu Vielen Dank, Dr. Jürgen Martens. – Nächster Redner: machen? Zumindest verunsichern Sie Menschen mit dem für die Fraktion Die Linke Niema Movassat. Gesetz, und Sie halten sie möglicherweise davon ab, ihre Meinung kundzutun. Ein solcher Eingriff in die Mei- (Beifall bei der LINKEN) nungsfreiheit ist mit uns als Linken nicht zu machen. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Wenn man schon meint, dass die EU ein Ehrgefühl hat: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Je weiter Dieses Ehrgefühl wird nicht durch eine zerstörte Fahne diese Legislatur voranschreitet, umso mehr beschleicht verletzt. Verletzt wird es vielmehr durch die elendigen mich das Gefühl, dass die Koalition in ihrer Strafrechts- Bedingungen, unter denen Zehntausende Menschen im politik einen Rollback hinlegen will. Sie wollen das EU-Flüchtlingslager in Moria auf Lesbos leben müssen. Strafrecht bei immer mehr Verhaltensweisen eingreifen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Schon der Begründer der modernen deutschen Straf- Meine Damen und Herren, die meisten demokrati- rechtstheorie, Anselm von Feuerbach, forderte, dass nicht schen Staaten verzichten darauf, die Verunglimpfung (B) jedes anstößige Verhalten Gegenstand strafrechtlicher ausländischer Staaten unter Strafe zu stellen. So haben (D) Verbote sein dürfe. Das nennt man Ultima-Ratio-Prinzip. 20 von 27 EU-Staaten keine solche Regelung. Der Schutz staatlicher oder europäischer Symbole hat im Strafrecht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nichts zu suchen. Es handelt sich nicht um ein strafrecht- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liches Problem, sondern um ein politisches Problem, und Das Strafrecht soll nur das letzte Mittel sein, um uner- wir müssen es auch politisch lösen. wünschtes Verhalten zu verhindern. Anselm von Feuer- Danke schön. bachs Forderungen sind aus dem 19. Jahrhundert, und er war damit weiter, als es die Koalition im 21. Jahrhundert (Beifall bei der LINKEN) ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächste Rednerin: Jetzt soll die sogenannte Verunglimpfung der EU und für Bündnis 90/Die Grünen Canan Bayram. ihrer Symbole und das Zerstören ausländischer Flaggen ein Straftatbestand werden. Sie verleihen damit Staaten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und im Fall der EU einem Staatenverband de facto ein Ehrgefühl. Ein Ehrgefühl sprechen wir aber üblicherwei- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): se nur Menschen zu. Mit der Änderung im Strafgesetz- Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen buch mystifizieren und verabsolutieren Sie den Staat. Das und Kollegen! Wir wollen das öffentliche demonstrative ähnelt einem monarchistischen Staatsverständnis, und Zerstören oder Beschädigen von Flaggen und Wappen das können wir als Linke nur ablehnen. der Staaten und überstaatlicher Verbindungen, wie zum Beispiel der Vereinten Nationen, verbieten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir als Linke sind der Ansicht, dass nicht jede Ge- Wir wollen demonstrative friedensstörende Angriffe auf schmacklosigkeit und nicht jedes anstößige Verhalten in die Europäische Union verhindern – und das alles, ohne das Strafrecht gehört – auch nicht die Verunglimpfung die Grundrechtsausübung unverhältnismäßig zu beein- von Flaggen und Symbolen. Wir selbst erdulden in die- trächtigen. sem Parlament Woche für Woche Geschmacklosigkeiten und Menschenverachtung von Rechtsextremen, und wir Warum? Weil solche demonstrativen Handlungen mit ertragen sie, weil sie größtenteils wohl unter die Mei- unseren Verfassungszielen des friedlichen Zusammenle- nungsfreiheit fallen. bens der Völker und der Völkerverständigung unverein- 19976 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Canan Bayram (A) bar sind. Wir entrümpeln zugleich das antiquierte Staats- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) schutz-Strafrecht und schaffen klare Grundlagen für Ver- Vielen Dank, Canan Bayram. – Der nächste Redner, sammlungsteilnehmer, Versammlungsbehörden und Poli- Axel Schäfer für die SPD-Fraktion, gibt seine Rede zu zei. Protokoll, und der übernächste Redner, Alexander Hoffmann für die CDU/CSU, gibt seine Rede auch zu Ein staatsrechtlicher Schutz von Hymnen und Landes- Protokoll.1) farben unter anderem gegen das Verüben beschimpfen- den Unfuges ist selbst nichts anderes als schlichter Un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fug. ordneten der SPD und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – So kriegt man Applaus. Der stets witzige Joseph Haydn und der musikalische Damit schließe ich die Aussprache. Revolutionär Ludwig van Beethoven würden sich wegen dieser Art Schutz für ihre Musik eher im Grabe umdre- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf hen. des Bundesrates zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafrechtlicher Schutz bei Verunglimpfung der Europä- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) ischen Union und ihrer Symbole. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be- Die Koalition und die Bundesregierung haben aus dem schlussempfehlung auf Drucksache 19/19201, den Ge- Böhmermann-Fall nichts gelernt. Die damals erzwunge- setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 19/14378 ne Streichung von § 103 Strafgesetzbuch war gut begrün- in der Ausschussfassung anzunehmen. det, weil auch für den Ehrschutz von Organen und Ver- tretern ausländischer Staaten das für alle geltende Recht Hierzu liegt uns ein Änderungsantrag der Fraktion der ausreicht und es keines anachronistischen Sonderrechts AfD auf Drucksache 19/19206 vor, über den wir jetzt bedarf. zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan- trag? – Wer stimmt dagegen? - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nichts anderes gilt für die Flaggen und Hoheitszeichen (Fabian Jacobi [AfD]: Wider besseres Wissen!) ausländischer Staaten. Deshalb fordern wir die Strei- Enthaltungen sehe ich keine. Der Änderungsantrag ist chung von § 104 Strafgesetzbuch. Wir schlagen eine ein- abgelehnt. Zugestimmt hat die AfD-Fraktion, alle ande- heitliche Schutzregelung für die Flaggen und Wappen ren Fraktionen des Hauses haben dagegengestimmt. aller Staaten dort vor, wo es hingehört, nämlich im Ord- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf des (B) nungswidrigkeitengesetz. (D) Bundesrates auf Drucksache 19/14378 in der Ausschuss- (Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Ganz starker fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Einfall!) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zuge- Ich frage die Koalition: Was ist eigentlich mit der stimmt haben die Fraktionen von SPD und CDU/CSU, Flagge der Vereinten Nationen? Die ist nach Ihrem Ge- dagegengestimmt haben die Fraktionen von AfD, FDP setz offenbar nicht schutzwürdig. Genauso wenig denken und der Linken, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Sie an die Wappen der Staaten. Militanten Israel-Feinden Grünen. erlauben Sie so zum Beispiel das demonstrative öffent- liche Verbrennen des Staatswappens Israels, das die Me- Dritte Beratung nora, den Siebenarmigen Leuchter, zeigt. Beim Bundes- wappen oder beim bayerischen Staatswappen bleibt das und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem dagegen strafbar. Ihr Gesetzentwurf ist auch hier völlig Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – inkonsistent. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen von SPD und CDU/CSU, dagegengestimmt haben die Fraktionen der Linken, der FDP und der AfD, und Bei der EU beschränken Sie sich auf bloßen äußeren enthalten hat sich die Fraktion von Bündnis 90/Die Grü- Symbolschutz. Auch das greift angesichts der militanten nen. Rechtsextremen zu kurz. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Wir wollen den Schutz der EU dagegen dort regeln, wo es hingehört, nämlich in den strafrechtlichen Bestimmun- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- gen zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung (Fabian Jacobi [AfD]: Das wäre ja noch schö- ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmi- ner!) gungsverfahren während der COVID-19-Pan- Deswegen: Stimmen Sie dem Antrag von uns und dem demie (Planungssicherstellungsgesetz – Plan- Antrag der FDP-Fraktion zu. Dann klappt es auch wieder SiG) mit den Wappen und den Flaggen. Drucksache 19/18965 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP]) 1) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19977

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- während der Coronazeit arbeiten, liebe Kolleginnen und (C) ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Kollegen. Drucksache 19/19214 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stephan Thomae [FDP]: Diesmal Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktio- sind Sie auch dabei!) nen Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen vor. Es geht uns darum, dass wir sagen: Die Planungsver- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- fahren, die sonst möglich waren durch Auslegung von schlossen. Unterlagen in den Rathäusern, sollen in den Zeiten von Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, zügig Platz zu Corona, wo wir den Publikumsverkehr in den Rathäusern nehmen, damit ich den ersten Redner aufrufen kann. reduzieren wollen, möglich werden durch Auslegung im Internet. Das hat bei manchen Unternehmen natürlich Ich eröffne die Aussprache und gebe Philipp Amthor Sorgen hervorgerufen: über den Schutz von Betriebsge- für die CDU/CSU das Wort. heimnissen, über den Schutz ihrer Planungsunterlagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich haben wir dieses Anliegen sehr ernst genom- men und dem mit einer Regelung im parlamentarischen Philipp Amthor (CDU/CSU): Verfahren Rechnung getragen, eine Geheimschutzvor- schrift implementiert. Deswegen können wir an dieser Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Stelle sagen: Das war konstruktive Gesetzgebungsarbeit. ist 23.10 Uhr, und wir treten ein in die Schlussberatung des Planungssicherstellungsgesetzes. Das ist zugegebe- Wir haben vor allem gesagt: Wir wollen aus der Not nermaßen jetzt nicht die Primetime parlamentarischer von Corona mit Blick auf die Digitalisierung von Pla- Debatten. Ich fühle mich ein bisschen erinnert an die nungsverfahren eine Tugend machen. allgemeine Diskussion über das Verwaltungsrecht für Ju- risten – angehende Juristen –; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen haben wir uns in einem Entschließungsantrag viele finden das nicht besonders spannend. Aber ich sage, dazu bekannt, dieses Gesetz zu evaluieren; es ist zunächst wir sind uns einig: Für eine Optimierung des deutschen befristet. Aber ich finde auch: Wenn die digitale Öffent- Verwaltungsrechts gibt es auch im Parlament keine Un- lichkeitsbeteiligung im Planungsverfahren möglich ist, zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. dann gibt es doch keinen Grund, in die analoge Welt zurückzukehren, wenn sich dieses Instrument bewährt. (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Deswegen in der Tat unser Anspruch: aus der Not von Stephan Thomae [FDP]: Das ist die beste Zeit! Corona eine Tugend zu machen. Der Höhepunkt des heutigen Tages!) Deshalb ist es gut, dass wir uns heute mit dem Planungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sicherstellungsgesetz beschäftigen. Es ist ein Beitrag für des Abg. Stephan Thomae [FDP]) eine Anpassung unserer Verwaltungsverfahren, für eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines – will ich am Anpassung von Planungs- und Genehmigungsverfahren Schluss sagen – hat mich bei diesem konstruktiven Ver- an die Besonderheiten der Coronapandemie. fahren dann doch gewundert: Die Alternative für Wir wollen mit der Möglichkeit digitaler Angebote zur Deutschland stimmt dem Entschließungsantrag zu, der Ersetzung von Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungs- sagt, dieses Gesetz soll evaluiert werden, das Gesetz und Genehmigungsverfahren ein Aufrechterhalten der selbst lehnt sie aber ab. Das ist ja ein bisschen merkwür- Wirtschaft und von Planungsverfahren ermöglichen. Da- dig: dass man ein Gesetz evaluieren und entfristen will, bei war es uns besonders wichtig, mit diesem Gesetz den das man eigentlich ablehnt. Da muss man nicht mal Ver- Interessen aller Beteiligten Rechnung zu tragen: dem fassungsrecht auf dem Hochreck machen: Wenn man mit Interesse der Öffentlichkeit an der Transparenz der Ver- null multipliziert, bleibt es null, liebe Kolleginnen und waltungsverfahren, aber eben auch dem Interesse der Kollegen. Da können wir an der Stelle auch noch was Wirtschaft an effektiven und schnellen Genehmigungs- dazulernen. verfahren. Das ist konstruktive Regierungsarbeit. Wir werben um Dabei haben wir zugegebenermaßen in einem Zustimmung. schnellen, aber trotzdem in einem gewissenhaften Ge- Herzlichen Dank, liebe Kollegen. setzgebungsverfahren diesen Entwurf des Planungssi- cherstellungsgesetzes vorgelegt. Ich will ausdrücklich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der an dieser Stelle sagen: Herzlichen Dank für die konstruk- SPD und der FDP) tive Mitwirkung auch der Oppositionsfraktionen! (Konstantin Kuhle [FDP]: Eben!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Philipp Amthor. – So, wir sind mitten in Die FDP rühmt sich ja immer als große Digitalisierungs- der Debatte, es kommt der nächste Redner – da bitte ich, partei – in diesem Fall haben Sie unter Beweis gestellt: zuzuhören –; das ist Marc Bernhard für die AfD-Fraktion. Sie sind es auch. Ich finde es gut, dass wir an dieser Stelle gemeinschaftlich an einer Beschleunigung von Verfahren (Beifall bei der AfD) 19978 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Marc Bernhard (AfD): gelten sollen. Also, ich will doch nicht hoffen, dass die (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Es ist ja ge- Regierung ernsthaft glaubt, diesen Ausnahmezustand radezu erstaunlich, was in Coronazeiten auf einmal alles noch fast ein Jahr aufrechterhalten zu können. möglich ist: Sogar Grenzen können wie von Zauberhand plötzlich geschützt werden. (Beifall bei der AfD – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sollten Sie mal eine Alternative Durch eine Flut von neuen Gesetzen versucht die Re- anbieten!) gierung, die riesigen Kollateralschäden ihrer eigenen Co- Wir stehen vor der größten Wirtschaftskrise seit 1929. ronamaßnahmen einzudämmen. Nach ifo-Berechnungen beträgt der wirtschaftliche Seit Jahren drängen Unternehmen, Verbände und Schaden des Corona-Shutdowns heute bereits 400 Mil- Bürger inständig auf die Einführung digitaler Verfahren, liarden Euro, und jetzt zwingt ein Virus die Regierung, ihre jahrelang verschleppten Reformen wie die Digitalisierung von Pla- (Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) nungsverfahren endlich anzugehen. und mit jeder Woche des Shutdowns erhöht sich der Schaden um weitere 40 Milliarden Euro. Allein im Ein- Das Problem dieses Gesetzentwurfes ist es jedoch, zelhandel wird mit 50 000 Insolvenzen gerechnet. Millio- dass er nicht auf dem Willen beruht, das Land voranzu- nen Menschen droht die Arbeitslosigkeit. bringen, sondern einzig und allein die völlig überzogenen Coronamaßnahmen kaschieren soll. (Zuruf des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ CSU: Wollen Sie Corona mit der Digitalisie- Bereits jetzt befinden sich über 10 Millionen Arbeitneh- rung bekämpfen?) mer in Kurzarbeit. Dass aber der Shutdown nicht alternativlos ist, zeigt der 83 Millionen Menschen Blick nach Taiwan. Dort wurde die Coronapandemie be- reits im Keim erstickt. Die Regierung von Taiwan hat (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Ist doch entschlossen und vernünftig gehandelt, sodass ein Shut- Quatsch!) down dort nicht mal diskutiert wurde. Obwohl gerade sind in ihren Grundrechten massiv eingeschränkt. mal 180 Kilometer von China entfernt, hat Taiwan bei 24 Millionen Einwohnern gerade mal 440 Infizierte und (Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU] – sieben Coronatote, alles ohne Shutdown. Zuruf des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Was hat (D) denn das mit dem Thema zu tun?) Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- land sind Grundrechte so flächendeckend und so radikal Und die planlose Bundesregierung schafft es nicht mal, eingeschränkt worden. sich für die aus Taiwan gelieferten Schutzmasken zu be- danken. Anstatt durch die Änderung von Gesetzen den Aus- nahmezustand um fast ein Jahr verlängern zu wollen, (Beifall bei der AfD – Marian Wendt [CDU/ muss der schon längst nicht mehr verhältnismäßige Shut- CSU]: Das stimmt nicht!) down sofort beendet werden. Ihr Gesetzentwurf ignoriert völlig, dass es in Deutsch- Vielen Dank. land über 10 Millionen Menschen gibt, die noch nie on- line waren. Sie wollen unter anderem die Abgabe von (Beifall bei der AfD – Gabriele Katzmarek mündlichen Erklärungen zur Niederschrift bei einer Be- [SPD]: Verteilt ihr wieder Aluhüte? – Gegenruf hörde ausschließen. des Abg. Marc Bernhard [AfD]: Wozu dann bis zum 31. März nächstes Jahr? – Gegenruf des (Zuruf des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ja, Digita- Dadurch werden viele Menschen, viele Millionen Men- lisierung geht doch danach auch!) schen in unserem Land, die nicht über die notwendigen technischen Mittel, Kenntnisse und Möglichkeiten ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: fügen, von ihren Mitwirkungsrechten praktisch ausge- Vielen Dank. – Nächster Redner: Mahmut Özdemir für schlossen. Was machen zum Beispiel die rund 6,2 Millio- die SPD-Fraktion. nen Erwachsenen in Deutschland, die nicht richtig lesen und schreiben können? (Beifall bei der SPD)

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Die vielen Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): AfD-Wähler?) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Diese Menschen werden von Ihnen völlig ignoriert. Was Kollegen! Mit dem Planungssicherstellungsgesetz verän- aber am meisten, was aber viel mehr irritiert, ist, dass Sie dern wir sicherlich nicht grundlegend das Verwaltungs- in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf davon aus- verfahren. Vielmehr sorgen wir dafür, dass Planverfahren gehen, dass es sich bei der Coronapandemie nicht um in diesen Zeiten und deren Abschlüsse, auf die die An- eine kurzfristige Ausnahmesituation handelt, sondern tragsteller dringend warten, sich nicht verzögern oder gar die Beschränkungen noch bis Ende März nächsten Jahres auszusetzen sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19979

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) Gerade wenn ein Verwaltungsverfahren die ortsübliche stellen und mitwirken. So wie jeder Häuslebauer seine (C) Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend gesetzlich vor- Nachbarn unterrichten muss, müssen Großansiedlungen schreibt, stellt die derzeitige Situation die berechtigten sich, ihrer Dimension angemessen, den berechtigten, wi- Interessen ebenjener Öffentlichkeit vor Herausforderun- derstreitenden Interessen stellen. gen. Die Amtsstuben, die Berge von offengelegten Unter- lagen beherbergen, sind derzeit nicht wie gewohnt zu- Unsere Rechtsordnung kennt in § 30 Verwaltungsver- gänglich, und die sonst gewohnten Versammlungen in fahrensgesetz eben eine solche Regelung. Den Rechtsge- den Gemeindesälen mit Hunderten von Menschen sind danken dieser Regelung greifen wir auf und legen die ebenso wenig denkbar. Entscheidung in die Hand des Vorhabenträgers, ob er diese Geheimhaltung durchsetzen möchte oder ob er eben Offenheit und Öffentlichkeit sind tragende Pfeiler un- die Nachsicht hat und sagt: Wenn ich etwas geheim halten serer Demokratie und eben auch solcher Planverfahren. möchte, kann ich auch diese Beschleunigung des Verfah- Entscheidungen nach Recht und Gesetz müssen sich im- rens durch dieses Planungssicherstellungsgesetz nicht in mer auch im Lichte dieser Werte messen lassen. Reihen- Anspruch nehmen. – Das haben wir mit dem Änderungs- häuser genauso wie millionenschwere Investitionen müs- antrag auch, denke ich, zu einem gerechten Ausgleich sen sich auch dieser Öffentlichkeit stellen. gebracht. Mit dem Entschließungsantrag wollen wir ebendiese gewinnbringenden Erkenntnisse in die Zeit All diese Verfahren wollen wir unbeschadet durchfüh- der Normalität übertragen. ren und bestenfalls auch beschleunigen. Deshalb bedarf es dieses Gesetzes, das erst durch den Entschließungsan- Kurzum: Das ist ein Gesetz, das Möglichkeiten eröff- trag und den Änderungsantrag – im Ausschuss vorgelegt – net, neue Erfahrungen zu machen und die Öffentlichkeit zu einem harmonischen, zu einem ausgewogenen Geset- und das Demokratieprinzip, das dem innewohnt, weiter zespaket und Maßnahmenbündel in Zeiten dieser Pande- zu stärken und weiterzuentwickeln, diese Erkenntnisse mie wird. aus den Zeiten der Pandemie in die Zeiten der Normalität mitzunehmen und diese Digitalisierung weiter voranzu- (Beifall bei der SPD) treiben. In Rathäusern offengelegte Akten ermöglichen den Berechtigten – ich betone ausdrücklich: den Berechtig- Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetz und bedanke ten – überhaupt erst die Überprüfung, ob eigene Rechte mich für Ihre Aufmerksamkeit. betroffen sind. Diese Betroffenenrechte zu erkennen und (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der im Verfahren auch geltend zu machen, ist erst mit einer FDP) solchen Öffentlichkeit möglich. Diese analoge Amtsstu- (B) be wollen wir ins digitale Zeitalter spiegeln, nicht an- (D) stelle, nicht alternativ, sondern zusätzlich. Die Erörte- Vizepräsidentin Claudia Roth: rungstermine, ob in Gemeindesälen oder bei der Vielen Dank, Mahmut Özdemir. Verwaltung, sind wichtige, den Rechtsfrieden wahrende Veranstaltungen. Deshalb haben wir Sozialdemokraten (Abg. Konstantin Kuhle [FDP] begibt sich zum uns auch dafür eingesetzt, dass jetzt und künftig diese Rednerpult – Die Präsidentin spricht mit Abg. Erörterungstermine auch nicht gestrichen werden. Das Konstantin Kuhle [FDP] – Marian Wendt ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen, obwohl [CDU/CSU]: So, jetzt bin ich aber gespannt! es einige Bestrebungen gab – das darf man hier nicht Jetzt erwarten wir ein Gegenlob!) verheimlichen –, auch vom Koalitionspartner, diese Er- – Ich musste seine Frisur loben, die ist nämlich echt cool. örterungstermine zu streichen. Dem haben wir Sozialde- mokraten einen Riegel vorgeschoben. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD) – Ja, ich sehe Sie ja immer von hinten, liebe Kollegen und Kolleginnen; und wenn es was zu loben gibt, dann mache Durch die Möglichkeit von Onlinekonsultationen und ich das. Onlineeinsichtnahmen der Unterlagen schaffen wir ein Stück mehr Barrierefreiheit schwer zugänglicher Orte. Jetzt geht es aber um was anderes. Nächster Redner: Denken wir an das Rathaus, das möglicherweise nicht für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle. barrierefrei zugänglich war: Es erhält ein Upgrade. Die- ses Upgrade ermöglicht zugleich ein Mehr an Öffentlich- (Beifall bei der FDP) keit. Mit dem Entschließungsantrag wollen wir Sozial- demokraten durchsetzen, dass dieses Mehr an Konstantin Kuhle (FDP): Barrierefreiheit Stück für Stück weiter verbessert wird Vielen herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Zu später und auch umgesetzt wird. Stunde sorgt das Verwaltungsrecht für gelöste Stimmung Auch dieses Gesetz wurde naturgemäß von Wirt- im Plenum. schaftsinteressen kritisch begleitet. Wir Sozialdemokra- (Stephan Thomae [FDP]: Für Begeisterung ten haben relativ wenig Verständnis für geschwärzte Ak- geradezu!) ten. Es geht um den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Wer als Vorhabenträger jedoch Das mag daran liegen, dass in der Tat die Große Koalition verpflichtet ist, eine Genehmigung einzuholen, muss hier mit dem Planungssicherstellungsgesetz einen sinn- durch Öffentlichkeit und Offenheit sich diesem Verfahren vollen Gesetzentwurf vorgelegt hat, 19980 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Konstantin Kuhle (A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie tobahn, 50Hertz will eine neue Hochspannungstrasse (C) bei Abgeordneten der SPD) bauen, und Bayer möchte genmanipulierten Mais verkau- der das deutsche Verwaltungsrecht in die richtige Rich- fen. Die Projekte haben eins gemeinsam: Vor ihrer Ge- tung weiterentwickelt. nehmigung haben Bürgerinnen und Bürger, betroffene Kommunen und Verbände die Möglichkeit, das Recht, Es ist ja so, dass jeder von uns, der mit Kommunal- informiert zu werden und in öffentlichen Erörterungster- politik zu tun hat, weiß, dass überlange Planungsverfah- minen Hinweise zu geben, auf Konflikte einzugehen und ren für Enttäuschung und für Unverständnis sorgen. Des- Kompromisse zu fordern. Das ist Demokratie, und das ist wegen setzen wir Freie Demokraten uns, Corona hin, gut so. Corona her, dafür ein, dass wir die Digitalisierung nutzen, um Planungsverfahren in Deutschland zu beschleunigen. (Beifall bei der LINKEN) Das wird hier, befristet auf die Coronakrise, gemacht. Wir hätten uns auch vorstellen können, das gleich unbefristet Für Die Linke, für Bürgerinnen und Bürger sind des- einzuführen. Aber da Sie eine entsprechende Evaluation halb die Auslegungen unverzichtbar. Doch nun, in Zeiten vorhaben, unterstützen wir dieses Vorhaben und finden es von Corona, platzten einige Termine, und die Koalition gut, dass insbesondere mit Blick auf Bekanntmachungen, beglückt uns mit dem neuen Planungssicherstellungsge- auf Auslegungen und auf Erörterungstermine zusätzliche setz. Nur: Die Hektik, mit der in sieben Tagen der Ge- Digitalisierungsschritte eingeführt werden. setzentwurf durch den Bundestag gepeitscht wird, ist un- nötig, passt nicht mehr und widerspricht demokratischen Nun ist es so, meine Damen und Herren, dass wir viele Gepflogenheiten. Nachrichten bekommen haben, dass auch im Innenaus- schuss des Deutschen Bundestages über diese Frage dis- (Beifall bei der LINKEN) kutiert worden ist und immer die Frage gestellt worden ist: Ist das nicht eine Rechtsverkürzung, die hier statt- Inzwischen sind die strengen Infektionsschutzregeln findet? Die Wahrheit ist aber doch: Momentan können gelockert. Friseure und Gaststätten öffnen, Unterricht aufgrund der Coronasituation gar keine Erörterungster- findet statt, Parlamente tagen mit Lösungen zum Infek- mine stattfinden. Momentan können aufgrund der Coro- tionsschutz, trotz Corona. Ich bin überzeugt: Unsere Be- nasituation gar keine Auslegungen stattfinden. Indem hörden wären in der Lage, jetzt öffentliche Auslegungen, man das Ganze in der Coronakrise digital ermöglicht, Erörterungstermine mit Infektionsschutz zu organisieren. findet also eine Erweiterung des Rechtskreises statt. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, die Kolleginnen und Kollegen von Union, SPD, FDP und (B) Digitalisierung ist für uns kein Ausnahmezustand, son- (D) dern hoffentlich wird es auch nach der Coronakrise mit Grünen, wir haben den Entwurf uns genau angesehen und digitalen Lösungen für die Verwaltung weitergehen. deshalb eine Anhörung gefordert, um die Mängel zu be- seitigen. Leider haben Sie zusätzlichen Sachverstand ab- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gelehnt und die Anhörung verhindert. Das ist schon sehr der CDU/CSU) selbstherrlich.

Deswegen ist dieses Gesetz ein richtiger Schritt in Rich- (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Hört! tung einer Antwort auf die Frage, was man aus dieser Hört!) Krise lernen kann. Meine Damen und Herren, es ist auch schon gesagt Der Entwurf ermöglicht es, dass es im Ermessen der worden, dass das Thema Geschäftsgeheimnisse eine be- Behörden liegt, ob Erörterungstermine komplett entfal- sondere Rolle spielt. Es ist gesagt worden, dass das The- len. Das zerstört die letzte Akzeptanz für Großprojekte ma Barrierefreiheit eine besondere Rolle spielt. Beides ist wie Starkstromtrassen. Die Ankündigung im Internet im Ausschuss beraten worden. Beides ist in einem ent- muss erfolgen, aber wo und auf welcher Seite? Hierzu sprechenden Entschließungsantrag und einem Ände- gibt es keine Definition. Die Unterlagen der Projekte sind rungsantrag enthalten. Insgesamt ist eine gute Geschichte in ZIP-Dateien zusammengefasst, gigabytegroß. Viele rausgekommen. Wir stimmen zu. Menschen in breitbandfernen Orten, von Rügen bis Pas- sau, schütteln den Kopf und fragen sich, wie sie einen Vielen Dank und guten Abend! stundenlangen Download sicherstellen sollen, ohne dass der Download zwischendurch unterbrochen wird. So (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schließen Sie viele Menschen von Beteiligung aus.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Liebe Bürgerinitiativen gegen SuedLink, SuedOstLink Vielen Dank, Konstantin Kuhle. – Nächster Redner: oder gegen Gas-Fracking, liebe Bürgerinnen und Bürger, für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert. die keine Gentechnik wollen: Zukünftig müssen Sie nicht nur die Zeitung und Amtsblätter genau studieren, sondern (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Sie müssen zusätzlich auf den Behördenseiten suchen; Ralph, mach keinen Fehler jetzt!) denn sonst entgeht Ihnen eine Ankündigung zu einer Auslegung oder der Termin zu einer Onlinekonsultation. Ralph Lenkert (DIE LINKE): In der Folge stehen überraschend Strommasten da, der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- Frack-Turm produziert oder der Genmais wächst neben- legen! Die Bundesfernstraßengesellschaft plant eine Au- an. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19981

Ralph Lenkert (A) Kolleginnen und Kollegen, die Gefahr, dass dies durch lagen nicht in den Rathäusern ausliegen oder Erörte- (C) Ihren Entwurf passiert, ist real. Die Linke sagt Nein zu rungstermine entfallen? Das ist nicht plausibel. diesen Behinderungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Wir fordern Internetankündigungen, Onlinetermine und Damit wir uns nicht falsch verstehen: Gut ausgestal- -konsultationen als Zusatzangebot, aber nicht als Ersatz. tete digitale Verfahren bieten zweifellos die Chance, Bür- gerinnen und Bürger umfassend zu beteiligen. Es gibt auch bei den klassischen Beteiligungsverfahren einige Vizepräsidentin Claudia Roth: Zugangshürden: Menschen sind beispielsweise nicht mo- Kommen Sie bitte zum Schluss? bil, zeitlich eingeschränkt oder haben Schwierigkeiten, vor großen Menschengruppen zu sprechen. Hier kommen digitale Verfahren ins Spiel und bieten die Möglichkeit, Ralph Lenkert (DIE LINKE): sich zu beteiligen, vorausgesetzt, diese Angebote sind Stimmen Sie für unseren Entschließungsantrag! Er ausreichend barrierefrei. heilt die Fehler, er sichert Akzeptanz und gewährt Rechtsfrieden in unserem Land. Digitale und analoge Beteiligungsformate sollten da- her zukünftig Hand in Hand gehen. Dazu müssen digitale Vielen Dank. Beteiligungsformate in der Praxis allerdings erst erprobt werden. Ich sehe durch die Coronapandemie durchaus (Beifall bei der LINKEN) eine Chance für die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren; insofern ist die Krise auch eine Chance. Wir sollten die digitale Beteiligung aber wissen- Vizepräsidentin Claudia Roth: schaftlich begleiten und evaluieren, damit die Verfah- Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Nächster Redner: rensqualität sichergestellt ist und wir Erkenntnisse darü- Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen. ber gewinnen, wie alle Menschen künftig beteiligt werden können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen dringend klare Leitfäden für die Be- Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hörden, aus denen hervorgeht, wie sie unter Beachtung NEN): der notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen bewährte Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen analoge Termine weiterhin vor Ort abhalten können, da- (B) (D) und Kollegen! Wir brauchen eine Lösung, damit Pla- mit eben nicht der Fall eintritt, dass man mit Hinweis auf nungs- und Genehmigungsverfahren in der Coronakrise die Coronakrise einfach auf Beteiligungsverfahren ver- nicht ins Stocken geraten. Insofern ist die Intention Ihres zichtet. Wenn das die Intention des Gesetzes ist, wäre Gesetzentwurfes richtig. Zeitverzögerungen beim Aus- es verheerend. bau wichtiger Infrastrukturen, zum Beispiel im Energie- und Verkehrssektor, gilt es angesichts der Klimakrise zu Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. vermeiden. Wir debattieren im Bundestag häufig darüber, wie wir durch gute Bürgerbeteiligung mehr Akzeptanz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für Infrastrukturplanungen gewinnen können. Ich habe allerdings Zweifel, dass das Gesetz dazu beiträgt, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: das erfolgreich sein wird. Vielen Dank, Stephan Kühn. – Jetzt nähern wir uns Der Gesetzentwurf sieht vor, dass zum Beispiel Erörte- dem letzten Redner in dieser Debatte und am heutigen rungstermine und mündliche Verhandlungen durch On- langen Sitzungstag. Letzter Redner in der Debatte: linekonsuItationen ersetzt werden können. Das würde Michael Kießling für die CDU/CSU-Fraktion. aber voraussetzen – es ist schon angesprochen worden –, (Beifall bei der CDU/CSU) dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zum Internet haben und über die notwendige technische Ausstattung Michael Kießling (CDU/CSU): verfügen; Gleiches gilt übrigens für die zuständigen Be- hörden. Leider entspricht das nicht der Realität. Solange Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen der Zugang aller Menschen zu digitalen Verfahren nicht und Kollegen! Die aktuelle Krise verstärkt die Heraus- gewährleistet ist, dürfen diese nicht zur Regel werden, forderung auf dem angespannten Wohnungsmarkt in vie- sondern sollten eine zusätzliche Möglichkeit während len Regionen Deutschlands. Die positiven Tendenzen bei der Coronakrise darstellen. den Baugenehmigungen im letzten Jahr – mit über 360 000 genehmigten Wohnungen – und die durchwegs Auch weiterhin müssen Beteiligungsformate vor Ort positiven Zahlen Anfang des Jahres werden aktuell aus- unter Beachtung der Infektionsschutzmaßnahmen mög- gebremst. Deshalb müssen wir die Grundlage schaffen, lich sein. Zahlreiche Covid-19-bedingte Beschränkungen die geübte und eingefahrene Praxis zu optimieren, um sind mittlerweile aufgehoben oder zumindest gelockert dringend benötigtes Baurecht zu schaffen; denn bezahl- worden. Wie will man den Bürgerinnen und Bürgern er- bares Wohnen wird in und auch nach der Epidemie be- klären, dass sie wieder ins Fitnessstudio gehen oder an nötigt. Bauherren, Mieter, Unternehmen, Investoren und Demonstrationen teilnehmen dürfen, aber Planungsunter- Kommunen brauchen Planungs- und Verfahrenssicher- 19982 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

Michael Kießling (A) heit sowie die Chance auf Wachstum oder einfach nur die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) Erfüllung des Wunsches nach den eigenen vier Wänden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir brauchen schon jetzt die Möglichkeit, Verwal- Vielen Dank, Michael Kießling. – Die Reden von tungsverfahren mit Beteiligungsverfahren trotz der Kon- Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion und von taktbeschränkungen weiterhin effizient durchzuführen. Claudia Tausend für die SPD-Fraktion sind zu Protokoll Eine mögliche Lösung ist die Digitalisierung. Schon im gegeben worden.1) Deswegen kann ich jetzt die Ausspra- Koalitionsvertrag haben wir zum Beispiel beschlossen, che schließen. die Digitalisierung auch im Bauleit- und Bauplanungs- recht stärker voranzutreiben. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- Nach den bisherigen Maßnahmen und Anträgen zur wurf zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Digitalisierung des Planens und Bauens folgt nun das Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pan- Planungssicherstellungsgesetz. Damit ermöglichen wir demie. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt handlungs- und arbeitsfähige Verwaltungen, Digitalisie- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/19214 rung der Bauleitplanungsverfahren, die Bekanntmachung , den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der Verfahrensunterlagen über digitale Plattformen oder SPD auf Drucksache 19/18965 in der Ausschussfassung die Nutzung digitaler Beteiligungsverfahren, zum Bei- anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf spiel die Einführung von Onlinekonsultationen anstatt in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das physischer Anwesenheit bei Erörterungsterminen und Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? - Antragskonferenzen. (Abg. Stephan Brandner [AfD] fotografiert im Vereinfacht gesagt: Wir erleichtern es, Informationen Plenarsaal) auszutauschen und allen Beteiligten zur Verfügung zu – Herr Brandner, das haben wir eigentlich nicht so gerne. stellen, Transparenz herzustellen und die Kommunika- Das wissen Sie ganz genau. tion sowie die Einbindung der Beteiligten und Betroffe- nen trotz der bestehenden Beschränkungen zu ermögli- chen. Dadurch schaffen wir Alternativen zu den (Stephan Brandner [AfD]: Das war in Richtung weiterhin bestehenden analogen Prozessen und gleichzei- meiner Fraktion!) tig mehr Akzeptanz für neue Wege der Digitalisierung, – Das macht es auch nicht besser. und das alles natürlich unter der Maßgabe digitaler Bar- (B) rierefreiheit. Dabei geht es aber nicht nur um Transparenz Ich frage noch einmal: Wer stimmt dagegen? – Wer (D) und öffentliche Beteiligung, sondern auch um die Verein- enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter fachung der Bürokratie und die Möglichkeit, Kosten zu Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- senken. nen der SPD, der CDU/CSU und der FDP. Dagegenge- stimmt haben die Fraktionen der Linken und der AfD. Liebe Opposition, ein kurzer Blick in Ihre Anträge. Sie Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. scheinen lediglich Achslastbeschwerer zu sein, das heißt, Dritte Beratung da steht nichts Neues drin, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – nichts Neues!) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- weder im Antrag der Linken noch im Antrag der Grünen. nen von SPD, CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt Entsprechende Punkte haben wir bereits mit unserem haben die Fraktion der AfD und die Fraktion der Linken. Planungsbeschleunigungsgesetz abgedeckt. Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nein!) Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wir haben schon in früheren Anträgen Potenziale aufge- zeigt und erste Schritte bereits eingeleitet. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/19219. Wer stimmt für diesen Antrag? – (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Dann können Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- Sie ja zustimmen, wenn das nichts Neues ist!) schließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat Die Lin- Vieles wurde initiiert, aber wir wissen auch, dass wei- ke. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, terhin Potenzial besteht. Deshalb müssen wir diese Situa- CDU/CSU, FDP und AfD. Enthalten hat sich Bündnis 90/ tion als Chance zur verstärkten Digitalisierung wahrneh- Die Grünen. men, um die Prozesse schneller, zuverlässiger und transparenter zu gestalten. Ich wünsche uns eine schöne Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Abstimmung. Grünen auf Drucksache 19/19220. Wer stimmt für diesen

Herzlichen Dank. 1) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19983

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (C) Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die tages auf morgen, Freitag, den 15. Mai 2020, 9 Uhr, ein. Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. AfD. Enthalten hat sich die Fraktion Die Linke. Die Sitzung ist geschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen langen Tagesordnung. (Schluss: 23.42 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19985

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/DIE Rupprecht, Albert CDU/CSU GRÜNEN Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Bluhm-Förster, Heidrun DIE LINKE Schimke, Jana CDU/CSU Brand (Fulda), Michael CDU/CSU Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD Bülow, Marco fraktionslos Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/DIE Daldrup, Bernhard SPD GRÜNEN De Ridder, Dr. Daniela SPD Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/DIE Charlotte GRÜNEN Domscheit-Berg, Anke DIE LINKE Schnieder, Patrick CDU/CSU Esdar, Dr. Wiebke* SPD Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/DIE Franke, Dr. Edgar SPD GRÜNEN Freudenstein, Dr. Astrid CDU/CSU Sitta, Frank FDP Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Spaniel, Dr. Dirk AfD Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/DIE Strack-Zimmermann, FDP GRÜNEN Dr. Marie-Agnes (B) Hänsel, Heike DIE LINKE Strenz, Karin CDU/CSU (D) Helfrich, Mark CDU/CSU Suding, Katja FDP Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Huber, Johannes AfD Weisgerber, Dr. Anja CDU/CSU Kamann, Uwe fraktionslos Wellenreuther, Ingo CDU/CSU Kapschack, Ralf SPD Witt, Uwe AfD Korkmaz-Emre, Elvan* SPD Zdebel, Hubertus DIE LINKE Kühne, Dr. Roy CDU/CSU Zimmermann, Pia DIE LINKE Link, Michael Georg FDP *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Magnitz, Frank AfD Mieruch, Mario fraktionslos Anlage 2 Müller, Bettina SPD Nord, Thomas DIE LINKE Erklärung nach § 31 GO Petry, Dr. Frauke fraktionslos des Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den Ände- Pohl, Jürgen AfD rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/19221 Remmers, Ingrid DIE LINKE (Tagesordnungspunkt 8 a) Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Ich möchte meine Stimmabgabe korrigieren und stimme mit Nein. 19986 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Anlage 3 fachberufe zu erlassen. Dies und auch die anderen (C) Rechtsverordnungsermächtigungen sind teils gravieren- Erklärungen nach § 31 GO de Grundrechtseingriffe. zu der namentlichen Abstimmung über den von Weiterhin unbeantwortet bleibt auch in dieser Novelle, den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- in welchem Verhältnis die Anordnungsbefugnisse des brachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Bundesgesundheitsministers zu den fortbestehenden Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen La- Ausführungsermächtigungen der Ländereigenverwaltung ge von nationaler Tragweite eigentlich stehen. (Tagesordnungspunkt 8 a) Außerdem fehlt weiterhin die von unserer Fraktion schon im März geforderte Mindestregelung, um das ver- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich ursachte Demokratiedefizit wenigstens zu mildern, dass stimme mit Nein gegen diesen Gesetzentwurf sowie ge- jedenfalls Bundestag und Bundesrat die Aufhebung sol- gen die befürwortende Beschlussempfehlung der Aus- cher Rechtsverordnung sollen durchsetzen können. Lei- schussmehrheit. der hat die Mehrheit der Koalitionsfraktionen in den Aus- schüssen sogar dies abgelehnt. Erstens. Denn dieser Gesetzentwurf verstetigt und ver- schärft eine Rechtsproblematik im Infektionsschutzge- Drittens. Soweit § 5 Absatz 2 Nummer 9 IfSG künftig setz, die sich schon durch dessen grundlegende Neufas- dem Bund erlauben soll, Gesundheitsämter der Länder sung im Gesetz vom 27. März 2020 (BGBl. I Seite 587) und Kommunen finanziell zu unterstützen (laut Ent- ergab. Bereits gegen jene Neufassung habe ich zuvor am wurfsbegründung 100 000 bis 150 000 Euro für jedes 25. März 2020 hier im Plenum meine intensiven Beden- der 375 Gesundheitsämter), ist dieses Ziel zwar grund- ken in einer persönlichen Erklärung geäußert (Plenarpro- sätzlich ehrenwert, doch die Ausführung kollidiert scharf tokoll Seite 19192 D, Ziffer 1: http://dipbt.bundestag.de/ mit der Finanzverfassung des Artikel 104a GG. Solche doc/btp/19/19154.pdf#BM22 ). kleinen Geschenke an die Länder lenken auch nur ab von deren Unterfinanzierung als eigentlichem Problem. Da- Diese Bedenken richteten sich vor allem dagegen, dass gegen hilft nur eine gerechtere Verteilung des Steuerauf- die Neuregelung in § 5 Absatz 2 und 3 IfSG den Bundes- kommens zwischen Bund, Länder und Kommunen ge- gesundheitsminister bei einer epidemischen Lage von na- mäß Artikel 106 GG. tionaler Tragweite zu weitreichenden Rechtsverordnun- gen und „Anordnungen“ ermächtigt. Dies habe ich schon Viertens. In Artikeln 1, 2 und 15 des Gesetzentwurfs damals „Blankett-Ermächtigung“ genannt. Denn entge- werden zahlreiche systematische und dauerhafte Ände- (B) gen Artikel 80 des Grundgesetzes waren und sind Inhalt, rungen des IfSG vorgenommen, deren aktuelle Notwen- (D) Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigungen höchst unbe- digkeit nicht ersichtlich ist. Doch das im Lichte der ak- stimmt. tuellen Pandemie zu tun, ist meines Erachtens verfrüht. Denn als Grundlage dafür sieht das Gesetz ohnehin einen Andere Kritiker haben dies später geschichtsbewusst bilanzierenden Bericht zum 31. März 2021 vor. Der sollte „Hindenburg-Klausel“ genannt oder „Selbstentmächti- also abgewartet werden. gung“ des Parlaments. Die genannten Anordnungen – also „direkte Ministerialverwaltung“ durch Verwaltungs- Fünftens. Leider enthält der Novellierungsentwurf akte – wäre nur ausnahmsweise gemäß Artikel 87 Ab- nicht die nötigen Überarbeitungen der Gefahrenabwehr- satz 3 Satz 1 GG zulässig, dessen Voraussetzungen aber regelungen gemäß §§ 15a–32 IfSG: etwa ob und gege- hier nicht vorliegen. benenfalls unter welchen Voraussetzungen Personen, die Zudem führt die nicht nachvollziehbare Unterschei- nicht bestätigt ansteckend sind, trotzdem kontrolliert, in dung, warum der Bundesgesundheitsminister teils durch Quarantäne geschickt oder anderen Maßnahmen ausge- Einzelanordnungen soll handeln dürfen, in anderen Fäl- setzt werden dürfen. len aber durch Rechtsverordnung, zu nicht einsichtigen Fazit: Ich kann diesem Gesetzentwurf nicht zustim- Folgefragen, etwa zu dann verschiedenem Rechtsschutz. men, vor allem weil dieser die eingangs genannte Ver- Angesichts all dessen bestehen meine Bedenken gegen letzung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips des diese zentralen, meines Erachtens heute schon verfas- Grundgesetzes fortsetzt und erweitert. sungswidrigen Regelungen fort und sind seither noch ge- wachsen; daher kann ich auf meine damaligen Begrün- Maik Beermann (CDU/CSU): Ich stimme diesem Ge- dungen verweisen. setz zwar zu, spreche mich aber zudem ausdrücklich für Zweitens. Der heute zur Abstimmung stehende Ge- eine Verlängerung der bisherigen Entschädigungsrege- setzentwurf der Koalitionsfraktionen eines Zweiten Be- lung für Eltern nach § 56 Absatz 2 aus, die im aktuellen völkerungsschutzgesetzes spitzt die Probleme zu, inso- Gesetz nicht enthalten ist. Aufgrund der von den Landes- fern in Artikel 1 Nummer 3 (zu § 5 Absatz 2 IfSG) jene behörden angeordneten Schließung von Schulen und Ki- tas müssen viele Eltern ihre Kinder derzeit selbst be- Anordnungs- und Verordnungsermächtigungen nochmals erweitert werden. treuen. Für diese Eltern gilt nach dem Ersten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen La- Zum Beispiel soll § 5 Absatz 2 Nummer 10 IfSG den ge von nationaler Tragweite, dass ihnen für die Zeit von Bundesgesundheitsminister nun dazu ermächtigen, etwa bis zu sechs Wochen eine Lohnersatzleistung/Entschädi- das Ausbildungs- und Prüfungsrecht für Gesundheits- gung in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19987

(A) Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls ge- So wird im Artikel 1, Änderung des Infektionsschutz- (C) währt wird. gesetzes, § 23a wie folgt geändert: Aus familienpolitischer Sicht halte ich eine Verlänge- „a) Satz 1 wird wie folgt gefasst: rung/Entfristung dieser Regelung für dringend notwen- ‚Soweit es zur Erfüllung von Verpflichtungen aus § 23 dig. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass andere Absatz 3 in Bezug auf übertragbare Krankheiten erforder- Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzge- lich ist, darf der Arbeitgeber personenbezogene Daten setz gemäß des § 56 Absatz 2 auch über einen Zeitraum eines Beschäftigten über dessen Impf- und Serostatus von sechs Wochen hinaus erfolgen. Solange der Schul- verarbeiten, um über die Begründung eines Beschäfti- und Kitabetrieb weiter eingeschränkt bleibt, ist es unsere gungsverhältnisses oder über die Art und Weise einer Verantwortung, den Eltern eine finanzielle Sicherheit zu Beschäftigung zu entscheiden.ʼ geben und ihnen die Existenzängste zu nehmen. Denn selbst bei einer schrittweisen Erweiterung des Notbet- b) Nach Satz 1 wird folgender Satz eingefügt: riebs in den Einrichtungen ist davon auszugehen, dass ‚Dies gilt nicht in Bezug auf übertragbare Krankheiten, nicht alle anspruchsberechtigten Eltern erfasst werden die im Rahmen einer leitliniengerechten Behandlung können und damit ein Teil dieser Eltern weiterhin nicht nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nicht oder nur eingeschränkt ihrer Berufstätigkeit nachgehen mehr übertragen werden können.ʼ“ kann. Das ist meines Erachtens nichts anderes als ein Immu- Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung und die nitätsnachweis, zumindest ein Teilelement dessen bzw. Landesregierungen in den nächsten Tagen kurzfristig ei- ein Vorgriff auf das, was der Bundesgesundheitsminister ne Lösung für die Verlängerung der Entschädigungszah- zunächst dem Ethikrat zur Stellungnahme vorlegen woll- lung erarbeiten. Bund und Länder haben über die Schlie- te, ehe es Gesetzeskraft erlangt. ßung der Einrichtungen gemeinsam beraten. Die Länder haben die Schließung der Einrichtungen letztendlich um- Mit einer solchen Verfahrensweise kann ich mich nicht gesetzt und arbeiten nunmehr an einer schrittweisen Er- einverstanden erklären. weiterung des Notbetriebs. Bund und Länder sind daher Da aber die Gesetzesänderungen im Artikelgesetz wie gemeinsam in der Verantwortung den Eltern gegenüber, die sich in einer paritätischen Kostenteilung widerspie- – dass Testungen in Bezug zu COVID-19 symptomun- geln sollte. abhängig Bestandteil des Leistungskatalogs der ge- setzlichen Krankenversicherung werden sollen, Veronika Bellmann (CDU/CSU): Der vorgelegte – dass Pflegeeinrichtungen zur Zahlung von gestaffel- (B) Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevöl- ten Sonderleistungen (Coronaprämien) an ihre Be- (D) kerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Trag- schäftigten verpflichtet werden und die Aufwendun- weite ändert in 20 Artikeln 18 Gesetze. Das sind im gen für diese Coronaprämien den Pflegeeinrichtungen Wesentlichen Folgeänderungen des Infektionsschutzge- durch die soziale Pflegeversicherung und im ambulan- setzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I Seite 1045), das zuletzt ten Bereich anteilig durch die gesetzliche Krankenver- durch Artikel 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I sicherung im Wege der Vorauszahlung erstattet wer- Seite 587) geändert worden ist. Heute muss ich feststel- den sollen, len, dass ich diesem Gesetz, insbesondere bezüglich des § 5, Epidemische Lage von nationaler Tragweite, seiner- – die Klarstellung, dass Landesbehörden bestimmen, in zeit unter dem Eindruck von seitens der Regierung völlig welchem Umfang Neuzulassungen in ländlichen oder überzogener Auswirkungen und Perspektiven der Pande- strukturschwachen Teilgebieten vorgenommen wer- mie auf das Gesundheitswesen, aber ohne vorherige Vor- den können, lage einer ganzheitlichen Folgenabschätzung zugestimmt – die Sicherstellung der Reserve von ausreichend Grip- habe. Das war eindeutig ein Fehler, im Hinblick auf die peimpfstoffen für die kommende „Grippesaison“, daraus folgenden unverhältnismäßigen Grundrechtsein- griffe durch weitreichende Ermächtigungsbefugnisse für – die Sicherstellung der palliativ-pflegerischen Versor- den Bundesgesundheitsminister. Insofern lehne ich wei- gung und Betreuung in Hospizen bezüglich coronabe- tere Änderungen am Infektionsschutzgesetz ab. dingter Erstattungen von außerordentlichen Aufwen- dungen und Einnahmeausfällen, Über diese grundsätzliche Einstellung hinaus betrachte ich den Rückzug des Planes für einen Immunitätsnach- – das Wechselrecht bezüglich Tarifen in der PKV, um weis durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Personen, die aufgrund einer vorübergehenden finanz- lediglich vordergründig. iellen Notsituation hilfebedürftig geworden sind und die ihre Hilfebedürftigkeit überwinden konnten, zu Das ehemalige Mitglied des Ethikrates, Frau Professor stärken, Claudia Wiesemann, bemerkt dazu, dass die Gefahr der Diskriminierung von Nichtinfizierten und besonders ge- enthalten sind, werde ich mich bei der Schlussabstim- fährdeten Menschen bestünde. Es könnte bewusste mung zu oben genannter. Gesetzesvorlage enthalten. Selbstansteckung und Betrug geben. Arbeitgeber könnten womöglich nach einer Immunität fragen. Gitta Connemann (CDU/CSU): Ich stimme diesem Gesetz zu. Denn dieses enthält viele Regelungen, die Genau die letztgenannte Gefahr ist aber im vorliegen- wichtig sind. Dazu zählen die Einführung einer Sonder- den Gesetzentwurf sogar bereits festgeschrieben. prämie für Altenpfleger, die Übernahme der Kosten für 19988 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) symptomunabhängige Tests, die Erhöhung des An- volle Regelung ist gestrichen worden. Die Gründe sind (C) spruchs auf Kurzzeitpflege in einer Rehaeinrichtung oder nicht nachvollziehbar. die Möglichkeit zur besseren Unterstützung unserer Ge- sundheitsämter. Veterinärlabore haben keine Qualitätsprobleme. Im Gegenteil. Sie sind zertifiziert wie Humanlabore. Sie ha- Leider fehlen dort aber aus meiner Sicht zwei Regel- ben Erfahrung mit standardisierten und großen Untersu- ungen: chungsreihen. Das gilt sowohl für PCR-Tests als auch für ELISA-Nachweise von Antikörpern nach überstandener Erstens. Zum einen erfolgt keine Verlängerung der Covid-19-Infektion. Es handelt sich um Mediziner und bisherigen Entschädigungsregelung für Eltern nach § 56 Assistenten, die in akkreditierten Laboren tätig werden. Absatz 2. Nach wie vor haben die Länder Kindertages- Diese sollten trotz ihrer Grundqualifikation eine Einwei- stätten, Schulen und Einrichtungen für Menschen mit sung erhalten. Das ist ein Mehr an Anforderungen an Behinderungen geschlossen. Eine Öffnung erfolgt nur einen Humanmediziner, der als qualifiziert gilt – egal, schritt- und teilweise. Deshalb müssen viele Eltern ihre wie lange seine Ausbildung zurückliegt, egal, in welchem Kinder seit den Schließungen selbst betreuen. Darauf Bereich er bis dato tätig war. haben wir reagiert und einen Anspruch auf eine Lohn- ersatzleistung/Entschädigung von 67 Prozent des entstan- Niemand – auch nicht die anerkannten Epidemiolo- denen Verdienstausfalls geschaffen. gen – kann derzeit abschätzen, ob die vorhandenen Test- kapazitäten zukünftig ausreichend sind. Denn auch nie- Ich halte eine Verlängerung dieser Regelung für drin- mand kann den weiteren tatsächlichen Epidemieverlauf gend erforderlich. Denn die Schließungen dauern an. Nur sicher prognostizieren. Daher ist es Aufgabe des Gesetz- wenige Eltern haben einen Anspruch auf Notbetreuung. gebers, dafür Sorge zu tragen, dass zu keinem Zeitpunkt Die anderen können nach wie vor nicht oder nur einge- Coronatestungen, ausgehend von unzureichenden Kapa- schränkt ihrer Berufstätigkeit nachgehen. Ihnen fehlt mit zitäten, nicht durchgeführt werden können. Leider wurde dem Auslaufen der Regelung ihre finanzielle Grundlage. in dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Chance vertan Die zuständigen Länder haben eine Verlängerung bis und die Testkapazitäten veterinärmedizinischer Labore dato abgelehnt. Dies ist umso unverständlicher, als ande- nicht berücksichtigt. re Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutz- Angesichts der Dringlichkeit des Gesetzes und der vie- gesetz auch über einen Zeitraum von sechs Wochen hi- len wichtigen Regelungen werde ich aber dennoch zu- naus gewährt werden. Wer am Muttertag den Müttern und stimmen. Eltern dankt, sollte am Montag danach seine Worte auch mit Taten untermauern. (B) (D) Ich erwarte daher, dass Bundes- und Landesregierun- Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit diesem Gesetz gen in den nächsten Tagen kurzfristig eine Lösung für die wird der Bundesgesundheitsminister in die Lage versetzt, Verlängerung der Entschädigungszahlung erarbeiten. durch Rechtsverordnungen oder Anordnungen von Bun- desgesetzen abzuweichen. Die Abweichung von zahlrei- Zweitens. Zum anderen ist die eigentlich unter § 5b chen Gesetzen durch Rechtsverordnung wurde dem Bun- vorgesehene Regelung kurzfristig gestrichen worden. desgesundheitsminister bereits durch das Erste Gesetz Bislang ist es dank des entschlossenen Handelns der Bun- zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen La- desregierung und des Bundestages gelungen, einen Flä- ge von nationaler Tragweite ermöglicht. Diese Befugnis chenbrand an Covid-19-Infektionen zu verhindern. Dabei tritt erst zum 31. März 2021 außer Kraft. handelt es sich aber um eine Daueraufgabe. Oberstes Ziel bleibt es, die Zahl von Neuinfektionen so gering wie Zwar kann sich der Bundestag immer mit diesen The- möglich zu halten. Ein zentrales Instrument dafür sind men beschäftigen und Beschlüsse fassen, doch kann er Testungen auf eine Infektion mit dem Coronavirus. Ge- die Rechtsverordnungen weder ändern noch aufheben. rade vor dem Hintergrund der zunehmenden Lockerun- Gerade weil aber in der Öffentlichkeit derzeit kritisiert gen ist daher sicherzustellen, dass ausreichend Testkapa- wird, dass viele Entscheidungen ohne Legitimation und zitäten vorhanden sind. Zurzeit beläuft sich die Kapazität ohne ausreichende Beratung erfolgen würden und weil auf knapp 900 000 Tests pro Woche. Davon werden die Rechtsverordnungen teilweise erheblich in Grund- 350 000 Tests pro Woche genutzt. Allerdings ist dieser rechte eingreifen werden, wäre es sinnvoll, aus meiner Überhang bei einem erneuten Aufflackern verbraucht. Sicht notwendig gewesen, in § 5 des Infektionsschutzge- Deshalb sollen die Kapazitäten erhöht werden. setzes ausdrücklich einen Zustimmungsvorbehalt des Bundestages und Bundesrates, zumindest aber ein nacht- Dies soll mit dem Zweiten Gesetz zum Schutz der rägliches Kontrollrecht des Bundestages zu normieren. Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Der Bundestag hätte so ausdrücklich die Möglichkeit Tragweite erreicht werden. Die entsprechenden Möglich- im Infektionsschutzgesetz normiert, Gesetzesabweichun- keiten bieten die akkreditierten Labore in Deutschland. gen, unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe des Bun- Ursprünglich war vorgesehen, die erforderlichen labor- desgesundheitsministers zeitnah zu korrigieren oder so- diagnostischen Untersuchungen durch Mediziner durch- gar aufzuheben. Ohne diese Regelung ist das Erste und führen zu lassen – egal ob Human- oder Veterinärmedizi- Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer ner. Voraussetzung sollte die Einweisung durch eine epidemischen Lage von nationaler Tragweite äußerst be- Fachärztin/-arzt für Laboratoriumsmedizin oder für Mik- denklich im Hinblick auf Artikel 80 Absatz 1 GG und den robiologie und Infektionsepidemiologie sein. Diese sinn- Wesentlichkeitsgrundsatz. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19989

(A) Des Weiteren wäre es sinnvoll gewesen, in § 28 IfSG setz gemäß des § 56 Absatz 2 auch über einen Zeitraum (C) ausdrücklich die sehr einschneidenden Maßnahmen zur von über sechs Wochen hinaus erfolgen. Solange der Beschränkung von Aufenthalt und Ausgang zu normie- Schul- und Kitabetrieb weiter eingeschränkt bleibt, ist ren. Derart weitgehende Eingriffe in die Grundrechte der es unsere Verantwortung, den Eltern eine finanzielle Si- Bürger durch die örtlichen Gesundheitsbehörden sollten cherheit zu geben und ihnen die Existenzängste zu neh- auf eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage im Ge- men. Denn selbst bei einer schrittweisen Erweiterung des setz gestützt werden und nicht nur auf die in § 28 IfSG Notbetriebs in den Einrichtungen ist davon auszugehen, geregelte Generalklausel. dass nicht alle anspruchsberechtigten Eltern erfasst wer- den können und damit ein Teil dieser Eltern weiterhin Trotz dieser massiven Bedenken meinerseits werde ich nicht oder nur eingeschränkt ihrer Berufstätigkeit nach- für das Gesetz stimmen, insbesondere weil es den in der gehen kann. Pflege tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen finanziellen Bonus für ihre wichtige Arbeit in dieser Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung und die schwierigen Zeit ermöglicht. Die Pflegekräfte leisten auf- Landesregierungen in den nächsten Tagen kurzfristig ei- opferungsvolle Arbeit und dies nicht selten unter Gefähr- ne Lösung für die Verlängerung der Entschädigungszah- dung ihrer eigenen Gesundheit beim Umgang mit infi- lung erarbeiten. Bund und Länder haben über die Schlie- zierten Pflegebedürftigen. Deshalb haben sie dringend ßung der Einrichtungen gemeinsam beraten. Die Länder eine Sonderzahlung verdient, die wir mit diesem Gesetz haben die Schließung der Einrichtungen letztendlich um- ermöglichen wollen. Darüber hinaus regeln wir, dass be- gesetzt und arbeiten nunmehr an einer schrittweisen Er- rufstätige pflegende Angehörige bei einem durch das Co- weiterung des Notbetriebs. Bund und Länder sind daher ronavirus verursachten pflegerischen Versorgungseng- gemeinsam in der Verantwortung den Eltern gegenüber, pass Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatz für bis zu die sich in einer paritätischen Kostenteilung widerspie- 20 Tage erhalten. Insbesondere wegen dieser beiden geln sollte. wichtigen Maßnahmen werde ich trotz meiner massiven Bedenken für dieses Gesetz stimmen. Dabei bedauere ich Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): Ich stimme diesem sehr, dass die CDU/CSU-Fraktion nicht bereit war, der Gesetz zu, um die dort enthaltenen vielen wichtigen und oben beschriebenen Normierung eines nachträglichen guten Regelungen zu unterstützen. Zusätzlich spreche ich Kontrollrechts des Bundestages zuzustimmen. mich ausdrücklich für eine Verlängerung der bisherigen Entschädigungsregelung für Eltern nach § 56 Ab- Yvonne Magwas (CDU/CSU): Ich stimme diesem satz 2 aus, die im aktuellen Gesetz nicht enthalten ist. von CDU/CSU- und SPD-Fraktion eingebrachten Ent- Aufgrund der von den Landesbehörden angeordneten wurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölke- Schließung von Schulen und Kitas müssen viele Eltern (B) (D) rung bei einer epidemischen Lage von nationaler Trag- ihre Kinder derzeit selbst betreuen. Für diese Eltern gilt weite (19/18967) zu, um die dort enthaltenen vielen nach dem Ersten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei wichtigen und guten Regelungen zu unterstützen. Zusätz- einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, dass lich spreche ich mich ausdrücklich für die Verlängerung ihnen für die Zeit von bis zu sechs Wochen eine Lohn- der bisherigen Entschädigungszahlungen für Eltern nach ersatzleistung/Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des § 56 Absatz 2 aus, die im aktuellen Gesetz nicht enthalten dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Ver- ist. dienstausfalls gewährt wird. Seit Beginn der Coronakrise müssen Eltern aufgrund Aus familienpolitischer Sicht halte ich eine Verlänge- der von den Landesbehörden angeordneten Schließung rung/Entfristung dieser Regelung für dringend notwen- von Schulen und Kitas enorme Herausforderungen und dig. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass andere Mehrfachbelastungen durch Homeoffice, Homeschoo- Entschädigungszahlungen nach dem lnfektionsschutzge- ling und häusliche Kinderbetreuung bewältigen. Für die- setz gemäß des § 56 Absatz 2 auch über einen Zeitraum se Eltern gilt nach dem ersten Gesetz zum Schutz der von sechs Wochen hinaus erfolgen. Solange der Schul- Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler und Kitabetrieb weiter eingeschränkt bleibt, ist es unsere Tragweite, dass ihnen für die Zeit von bis zu sechs Wo- Verantwortung, den Eltern eine finanzielle Sicherheit zu chen eine Lohnersatzleistung/Entschädigung in Höhe geben und ihnen die Existenzängste zu nehmen. Denn von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtig- selbst bei einer schrittweisen Erweiterung des Notbet- ten entstandenen Verdienstausfalls gewährt wird. riebs in den Einrichtungen ist davon auszugehen, dass Die Entschädigungszahlungen für Eltern, die aufgrund nicht alle anspruchsberechtigten Eltern erfasst werden behördlicher Schließung von Kitas und Grundschulten können und damit ein Teil dieser Eltern weiterhin nicht ihre Kinder selbst betreuen müssen, dürfen nicht nach oder nur eingeschränkt ihrer Berufstätigkeit nachgehen sechs Wochen eingestellt werden. Da es vor allem die kann. Frauen sind, die die Mehrfachbelastungen in den Fami- lien tragen, ist dies nicht nur aus familien-, sondern auch Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung und die aus frauenpolitischer Sicht von zentraler Bedeutung. Landesregierungen in den nächsten Tagen kurzfristig ei- Deshalb halte ich sowohl aus frauen- als auch familien- ne Lösung für die Verlängerung der Entschädigungszah- politischer Sicht eine Verlängerung/Entfristung dieser lung erarbeiten. Bund und Länder haben über die Schlie- Regelung für dringend notwendig. ßung der Einrichtungen gemeinsam beraten. Die Länder haben die Schließung der Einrichtungen letztendlich um- Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass andere gesetzt und arbeiten nunmehr an einer schrittweisen Er- Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzge- weiterung des Notbetriebs. Bund und Länder sind daher 19990 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) gemeinsam in der Verantwortung den Eltern gegenüber, fektionsschutz, mehr Flexibilität für Auszubildende und (C) die sich in einer paritätischen Kostenteilung widerspie- Studierende im Gesundheitswesen, mehr finanzielle An- geln sollte. erkennung für Pflegekräfte, mehr Unterstützung für den öffentlichen Gesundheitsdienst, mehr Flexibilität und Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Persön- weniger Bürokratie und für mehr Solidarität mit unseren liche Erklärung gemäß § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung europäischen Nachbarn als wichtigen Beitrag zur Bewäl- des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über den tigung der Coronakrise. von der CDU/CSU- und SPD-Fraktion eingebrachten Ich bedauere allerdings sehr, dass es während der Be- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevöl- ratungen im Parlament in den Gesprächen des Bundes mit kerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Trag- den Ländern nicht gelungen ist, den zunächst auf sechs weite (19/18967) Wochen befristeten Ausgleich des Verdienstausfalls von Ich stimme dem von der CDU/CSU- und SPD-Frak- Eltern bei Schul- und Kitaschließungen in Höhe von tion eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum 67 Prozent des Nettoeinkommens bis maximal 2 016 Eu- Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von ro/Monat zeitlich befristet bis zu einer Wiederaufnahme nationaler Tragweite (19/18967) zu, um die dort enthalte- des Regelbetriebs an Kitas und Schulen zu verlängern. nen vielen wichtigen und guten Regelungen zu unterstüt- Eine Einigung ist leider seitens der Länder bislang an zen. Zusätzlich spreche ich mich ausdrücklich für eine der Frage der Finanzierung der Maßnahme gescheitert. Verlängerung der bisherigen Entschädigungsregelung Bund und Länder haben sich am 6. Mai 2020 auf wei- für Eltern nach § 56 Absatz 2 aus, die im aktuellen Gesetz tere Lockerungen der Beschränkungen in der Coronakri- nicht enthalten ist. Aufgrund der von den Landesbehör- se verständigt. Vom 11. Mai an kann eine erweiterte Not- den angeordneten Schließung von Schulen und Kitas betreuung in Kitas in allen Bundesländern eingeführt müssen viele Eltern ihre Kinder derzeit selbst betreuen. werden. Allen Schülern soll schrittweise bis zu den Som- Für diese Eltern gilt nach dem Ersten Gesetz zum Schutz merferien eine Rückkehr an die Schulen ermöglicht wer- der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von natio- den. Das ist eine große Erleichterung für Eltern und Kin- naler Tragweite, dass ihnen für die Zeit von bis zu sechs der. Wochen eine Lohnersatzleistung/Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtig- Dennoch wird es auf absehbare Zeit keinen Regelbe- ten entstandenen Verdienstausfalls gewährt wird. trieb an Schulen, keine Nachmittagsbetreuung für Grund- schulkinder und keine Betreuung für alle Kitakinder ge- Aus familienpolitischer Sicht halte ich eine Verlänge- ben. Mit der Inanspruchnahme von Urlaubstagen oder rung/Entfristung dieser Regelung für dringend notwen- Überstundenabbau ist die Kinderbetreuung zu Hause (B) dig. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass andere schon nach den ersten sechs Wochen längst nicht mehr (D) Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzge- zu gewährleisten. setz gemäß des § 56 Absatz 2 auch über einen Zeitraum von sechs Wochen hinaus erfolgen. Solange der Schul- Eltern brauchen diese materielle Absicherung in der und Kitabetrieb weiter eingeschränkt bleibt, ist es unsere unverschuldeten Krise. Sie unterstützt gerade Frauen, Verantwortung, den Eltern eine finanzielle Sicherheit zu die jetzt überwiegend die Kinderbetreuung zu Hause si- geben und ihnen die Existenzängste zu nehmen. Denn cherstellen. selbst bei einer schrittweisen Erweiterung des Notbet- riebs in den Einrichtungen ist davon auszugehen, dass Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): Ich nicht alle anspruchsberechtigten Eltern erfasst werden stimme diesem Gesetz zu, um die dort enthaltenen vielen können und damit ein Teil dieser Eltern weiterhin nicht wichtigen und guten Regelungen zu unterstützen. Zusätz- oder nur eingeschränkt ihrer Berufstätigkeit nachgehen lich spreche ich mich ausdrücklich für eine Verlängerung kann. der bisherigen Entschädigungsregelung für Eltern nach Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung und die § 56 Absatz 2 aus, die im aktuellen Gesetz nicht enthalten Landesregierungen in den nächsten Tagen kurzfristig ei- ist. Aufgrund der von den Landesbehörden angeordneten ne Lösung für die Verlängerung der Entschädigungszah- Schließung von Schulen und Kitas müssen viele Eltern lung erarbeiten. Bund und Länder haben über die Schlie- ihre Kinder derzeit selbst betreuen. Für diese Eltern gilt ßung der Einrichtungen gemeinsam beraten. Die Länder nach dem Ersten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei haben die Schließung der Einrichtungen letztendlich um- einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, dass gesetzt und arbeiten nunmehr an einer schrittweisen Er- ihnen für die Zeit von bis zu sechs Wochen eine Lohn- weiterung des Notbetriebs. Bund und Länder sind daher ersatzleistung/Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des gemeinsam in der Verantwortung den Eltern gegenüber, dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Ver- die sich in einer paritätischen Kostenteilung widerspie- dienstausfalls gewährt wird, sofern sie keine anderweiti- geln sollte. ge zumutbare Betreuungsmöglichkeit finden. Aus familienpolitischer Sicht halte ich eine Verlänge- Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Dem von den rung/Entfristung dieser Regelung für dringend notwen- Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf dig. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass andere eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzge- einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite setz gemäß des § 56 Absatz 2 auch über einen Zeitraum (Drucksache 19/18967) stimme ich zu. Ich unterstütze von sechs Wochen hinaus erfolgen. Solange der Schul- die darin getroffenen Maßnahmen für einen besseren In- und Kitabetrieb weiter eingeschränkt bleibt, ist es unsere Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19991

(A) Verantwortung, den Eltern eine finanzielle Sicherheit zu gerinnen und Bürger zu erhalten. Denn die Arbeit auf (C) geben und ihnen die Existenzängste zu nehmen. Denn dem Feld und im Forst ist körperlich besonders hart. Dies selbst bei einer schrittweisen Erweiterung des Notbet- wäre Aufgabe des Gesetzgebers gewesen. Allerdings war riebs in den Einrichtungen ist davon auszugehen, dass mit dem Koalitionspartner eine entsprechende Öffnung nicht alle anspruchsberechtigten Eltern erfasst werden nicht erreichbar. können und damit ein Teil dieser Eltern weiterhin nicht Wir haben im ersten Sozialschutz-Paket ebenfalls An- oder nur eingeschränkt ihrer Berufstätigkeit nachgehen reize geschaffen, damit bereits in Deutschland befindli- kann. che Saisonarbeitskräfte länger sozialversicherungsfrei ar- Ich erwarte daher, dass die Bundesregierung und die beiten dürfen. Für eine problemlose Umsetzung der Landesregierungen in den nächsten Tagen kurzfristig ei- befristeten 115-Tage-Regelung bedarf es aber zwingend ne Lösung für die Verlängerung der Entschädigungszah- einer befristeten Aufhebung des Kriteriums „Berufsmä- lung erarbeiten. Bund und Länder haben über die Schlie- ßigkeit“ (§ 8 SGB IV). Wer A sagt, muss auch B sagen. ßung der Einrichtungen gemeinsam beraten. Die Länder Auch hier wäre der Gesetzgeber gefordert gewesen. Ge- haben die Schließung der Einrichtungen letztendlich um- scheitert ist diese wichtige Maßnahme an der fehlenden gesetzt und arbeiten nunmehr an einer schrittweisen Er- Einsicht des Koalitionspartners. weiterung des Notbetriebs. Bund und Länder sind daher Ich erwarte, dass hier in weiteren Gesetzespaketen zur gemeinsam in der Verantwortung den Eltern gegenüber, Bewältigung der Coronakrise entsprechend nachgebes- die sich in einer paritätischen Kostenteilung widerspie- sert wird. geln sollte.

Anlage 5 Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Frank Schwabe (SPD) zu der der Abgeordneten Gitta Connemann (CDU/CSU) namentlichen Abstimmung über die Beschlussemp- zu der Abstimmung über den von den Fraktionen fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- dem Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, nes Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämp- Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Abgeordne- fung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II) ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (B) (Tagesordnungspunkt 9 a) Mit einem Corona-Aufschlag in der Grundsiche- (D) rung das Existenzminimum sichern Dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Ent- (Tagesordnungspunkt 9 b) wurf eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Be- kämpfung der Coronapandemie stimme ich grundsätzlich Zahlreiche sehr persönliche und sehr detaillierte Bei- zu. spiele von Bürgerinnen und Bürgern in Grundsicherung zeigen mir, dass in der aktuellen Krise die ehedem Allerdings sind die Regelungen aus meiner Sicht nicht schwierige Bestreitung des Lebensunterhalts noch viel ausreichend. Dazu hätte es weiterer Änderungen bedurft, schwieriger geworden ist. Um mir die aktuell gestiegenen nämlich die Schaffung der Möglichkeit eines anrech- Lebenshaltungskosten ganz konkret zeigen zu lassen, bin nungsfreien Hinzuverdienstes im Fall des Kurzarbeiter- ich dazu zu einem Einkauf mit einem Grund- geldes im Falle des Einsatzes in der systemrelevanten sicherungsempfänger in meinem Wahlkreis am Samstag Land- und Forstwirtschaft sowie die befristete Aufhe- verabredet. bung des Kriteriums „berufsmäßig“ in § 8 SGB IV. Insofern begrüße ich im Kern die Intention des Antrags Aktuell ist dank der herausragenden Arbeit von Land- der Grünen, eine vorübergehende Form des Zuschlags in wirten und Gartenbauern die Versorgungssicherheit in der Grundsicherung zu finden. Den konkreten Vorschlag unserem Land mit regional erzeugten Lebensmitteln finde ich allerdings noch diskussionsfähig und stimme weitgehend sichergestellt. Zur Wahrheit gehört aber, dass ihm heute noch nicht zu. Dieses allerdings mit dem festen unser Selbstversorgungsgrad beispielsweise bei Obst und Willen, mich für einen gemeinsamen Vorschlag der Koa- Gemüse im Schnitt zwischen nur 22 und 38 Prozent liegt. litionsfraktionen einzusetzen. Dazu ist es notwendig, dass Die Saisonbetriebe brauchen die Saisonarbeitskräfte, um insbesondere der Koalitionspartner aus CDU und CSU die Krise zu überstehen. einer solchen Unterstützung für Grundsicherungs- Wir haben darauf in einem ersten Schritt durch das empfängerinnen und -empfänger zustimmt. erste Sozialschutz-Paket reagiert. Wir haben Anreize ge- schaffen, damit inländische Beschäftigte in die Saisonbe- triebe gehen (und das auch dürfen). Dafür haben wir eine Anlage 6 Möglichkeit zum anrechnungsfreien Hinzuverdienst im Fall des Bezugs von Kurzarbeitergeld geschaffen. Ange- Erklärung nach § 31 GO sichts der Erhöhung des Kurzarbeitergeldes wäre eine Öffnung der Hinzuverdienstgrenze nötig gewesen, um der Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, die Attraktivität für sich in Kurzarbeit befindende Bür- Grigorios Aggelidis, Christine Aschenberg- 19992 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Dugnus, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), und ausgewogenes Leistungsstörungsrecht bereit, das (C) Thomas Hacker, Pascal Kober, Konstantin Kuhle, insbesondere auch Situationen wie die jetzige Corona- Ulrich Lechte, Stephan Thomae und Johannes krise mehrfach verarbeitet und erfolgreich bewältigt hat. Vogel (Olpe) (alle FDP) zu der namentlichen Ab- Zu nennen sind die Erfahrungen zweier Weltkriege, die stimmung über den Antrag des Bundesministe- Wiedervereinigung und die Finanzkrise des Jahres 2008. riums der Finanzen: Bereitstellung des ESM-In- Rechtsinstitute wie der Wegfall bzw. die Störung der Ge- struments ECCL Pandemic Crisis Support (PCSI) schäftsgrundlage (heute kodifiziert in § 313 BGB) gehen auf diese Erfahrungen zurück. hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Abs. 1 ESM- Dass wir als Gesetzgeber auf die jetzige tiefgreifende Finanzierungsgesetz (ESMFinG) Krise reagieren müssen, ist klar: Ich hatte deshalb schon (Tagesordnungspunkt 11) viele Wochen vor den einschneidenden Maßnahmen auf die Notwendigkeit verwiesen, die (straf- und haftungs- Bei der heutigen namentlichen Abstimmung über die bewehrte) Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) auszuset- Grundsatzentscheidung zur Bereitstellung des ESM-In- zen, wie wir dies auch früher schon in vergleichbaren struments ECCL Pandemic Crisis Support (PCSI), Ein- Fällen (Naturkatastrophen) gemacht haben. Doch hier holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen geht es (nur) darum, Zeit zu gewinnen, weil in einer Bundestages nach § 4 Absatz 1 ESM-Finanzierungsge- Krisensituation, wie wir sie gegenwärtig haben, die Ent- setz (ESMFinG) auf Drucksache 19/19110, stimme ich scheidungsträger (auch die staatlichen) sonst nicht in der gemeinsam mit meiner Fraktion mit „Enthaltung“. Lage wären, langfristig richtige – und damit auch der Nachhaltigkeit dienende – Entscheidungen zu treffen. Jedoch betone ich, dass diese Stimmabgabe das Er- gebnis einer innerfraktionellen Mehrheitsentscheidung Dem dient es auch, wenn durch die Änderung des ist. Persönlich halte ich in diesem Fall eine Zustimmung EGZPO die Zwangsvollstreckung in die staatlichen Hil- für angemessen, nachdem es in der Euro-Gruppe gelun- fen (befristet) ausgeschlossen werden soll, die gerade der gen war, insbesondere durch das Einwirken der Nieder- Überwindung der Krise dienen soll. Auch die verschiede- lande und Finnlands, hinreichende Kriterien und Aufla- nen durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der gen für einen Einsatz des ESM zu erreichen, der den COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafver- Anforderungen des ESM-Vertrages genügt. fahrensrecht“ vom 27. März 2020 (BGBl. I, Seite 569) Eine Weiterentwicklung der Einsatzmöglichkeiten des eingeführten Moratorien (Artikel 240 § 1 und § 3 Absatz 1 ESM im Lichte der Coronakrise halte ich für sachlich und EGBGB n. F.) und die zugunsten von Mietern und Päch- politisch sinnvoll. Schließlich war zum Zeitpunkt der tern greifenden Kündigungsbeschränkungen (Artikel 240 (B) Schaffung des ESM ein Sachverhalt wie die Coronakrise § 2 Absatz 1 Satz 1 EGBGB n. F.) lassen sich noch mit (D) nicht einkalkuliert bzw. nicht vorhersehbar. diesem Ziel rechtfertigen. Sie konkretisieren und sie mo- difizieren auch teilweise die allgemeinen Grundsätze zur Dies rechtfertigt die Nutzbarmachung des ESM in der Störung der Geschäftsgrundlage. Umgekehrt ist deshalb wie in der vorliegenden Drucksache konditionierten, also den teilweise erhobenen Forderungen nach einer Ab- zeitlich begrenzten, im Volumen gedeckelten und in der schaffung dieser neuen Regeln oder – gar noch weiter Verwendung kontrollierten Form. gehend – der Regeln über die Störung der Geschäfts- grundlage eine Absage zu erteilen. Zweitens. Die im jetzt beschlossenen „Gesetz zur Ab- Anlage 7 milderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Ver- anstaltungsvertragsrecht“ verankerte „Gutscheinlösung“ Erklärung nach § 31 GO (die zudem Vorbild für weitere vergleichbare Lösungen sein soll) geht in vielfacher Weise darüber hinaus: des Abgeordneten Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen Denn erstens wandelt sie Geldzahlungsansprüche in der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- bloße Sachleistungsansprüche mit zudem häufig nicht nes Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der CO- klarem Inhalt um. Das ist ein – zumal (wenn auch nur VID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht unecht) rückwirkender und deshalb verfassungsrechtlich problematischer – Eingriff in bestehende Vertragsbezie- (Tagesordnungspunkt 15 a) hungen und Eigentumsrechte. Er könnte vor allem auch Dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der CO- in anderem Zusammenhang Schule machen, weil nun- VID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht“ habe mehr der Gesetzgeber selbst einen solchen Schritt legiti- ich zugestimmt, insbesondere weil es in der Zeit der miert – was etwa bei der AGB-Kontrolle Bedeutung er- Coronakrise außerordentlich wichtige Anliegen verfolgt. langen kann. Die Erfüllung von (auch deliktischen) Denn es will unbürokratisch Insolvenzen vermeiden, in Schadenersatzverbindlichkeiten durch bloße Gutscheine, dem es grundsätzlich lebensfähigen Unternehmen die wie sie im Bereich von Sammelklagen in den USA üblich notwendige Liquidität sichert. Allerdings bin ich hin- ist, sollte für uns nicht Schule machen. sichtlich des eingeschlagenen Weges in zentralen Punk- Sie gibt zweitens – im Ergebnis – das für das Zivilrecht ten anderer Ansicht, die ich hier skizzieren will: geradezu fundamentale Gegenleistungsprinzip auf, nach Erstens. Zunächst ganz grundsätzlich: Das deutsche dem Leistung und Gegenleistung in einem „synallagmati- Zivilrecht hält seit Jahrzehnten ein ausdifferenziertes schen“ Verhältnis stehen, und eine Gegenleistung nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19993

(A) geschuldet ist, wenn die Leistung nicht erbracht wurde – schon heute noch weiter gefördert. Das bislang allseits (C) und dementsprechend eine als „Vorkasse“ gezahlte Ge- geteilte Ziel, diesen Mechanismus zu stärken, wird mit genleistung im Falle der Nichtleistung zurückgefordert der vom Gesetz jetzt vorgesehenen (und auch undifferen- werden kann (§§ 275, § 326 Absatz 1, 4 i. V. m. § 346 zierten) Gutscheinlösung zudem konterkariert. Absatz 1 BGB). Mit den schon angesprochenen Morato- rien ist dies schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dort Scheitern können solche Vereinbarungen vor allem um deutlich kürzere Fristen geht und diese eine Wirkung dann und weil es – anders als im Insolvenzverfahren zugunsten der Verbraucher erzeugen. selbst – an einer einfachen Möglichkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung gleichartiger Gläubigerinteressen Damit ändert sie massiv die Verteilung des wirtschaft- fehlt. Hier hätte das schon vor einiger Zeit vom Gesetz- lichen Risikos, dessen Zuweisung an im Vorhinein von geber geschaffene Instrument der Musterfeststellungkla- den Parteien festgelegte Marktteilnehmer unserer sozia- ge – gegebenenfalls nach Weiterentwicklung in einigen len Marktwirtschaft immanent ist. Die Verschiebung des Punkten – schon genügend Hilfestellung geben können. Risikos zulasten einer bestimmten Gruppe in der Wirt- schaftskette führt zu einseitigen Belastungen und schiebt Drittens. Besondere Sorge macht mir der Blick in die das Problem lediglich auf die nächste Stufe, sodass es an Zukunft: Denn das Gesetz wird weit über die Krise hinaus anderer Stelle wieder ausgeglichen werden muss. Damit das Vertrauen darauf beeinträchtigen, dass im Falle der besteht die Gefahr einer Dominoreaktion von – für den Nichtleistung erbrachte Vorauszahlungen zurückgezahlt Rechtsanwender schwer einschätzbaren, aber dennoch werden. Die Bereitschaft, in der Zukunft, also nach der notwendigen – Folgegesetzesänderungen. Dies führt zu Coronakrise, Tickets auf Vorkasse (ohne „Sicherungs- einer massiven Rechts- und Planungsunsicherheit, die schein“, also ohne Schutz vor der Insolvenz des Veran- auch die Entscheidungsbereitschaft der einzelnen Wirt- stalters) zu kaufen – sei es für Musik , Theater- oder schaftsteilnehmer massiv einschränken und damit die Sportveranstaltungen oder möglicherweise demnächst wirtschaftliche Entfaltung behindern und hemmen kann. auch für Reisen – wird sinken, sodass diejenigen Unter- nehmen, die die Krise überleben, am Ende zusätzlich ge- Sie lässt drittens Grundprinzipien des Insolvenzrechts schwächt werden. außer Acht. Denn es ist zwar richtig, dass die Coronakrise Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb typischerweise Diese Schwächung droht zusätzlich auch deshalb, weil mit im Wege der Vorkasse erbrachten Zahlungen finan- die (nicht übertragbaren) Gutscheine alle Ende 2021 doch zieren, jetzt einem „Klumpenrisiko“ ausgesetzt sind, wieder in Geld rückzahlbar werden – und damit ein ge- wenn sie quasi alle bereits erhaltenen Vorauszahlungen waltiges (Insolvenz-)Risiko nur vor den Unternehmen gleichzeitig zurückzahlen müssen – und dadurch zah- hergeschoben wird. (B) lungsunfähig werden könnten. Doch hat das Insolvenz- (D) recht diesen Fall seit Langem adressiert, durch die – nur dem Schuldner zustehende – Möglichkeit, bei „drohender Anlage 8 Zahlungsunfähigkeit“ einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 18 InsO), eine Möglichkeit, die auch jetzt – trotz Aus- Zu Protokoll gegebene Rede setzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) – noch besteht. In einem auf solcher Grundlage durchgeführten zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Insolvenzverfahren – in der Regel in der Form eines so- Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios genannten Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) – wür- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion den alle (Insolvenz-)Gläubiger gleich behandelt, würden der FDP: Auswirkungen des Coronavirus auf die ihre Rechte kollektiv wahrnehmen und kämen in der Tat Justiz – Virtuelle Gerichtsverhandlungen ermögli- möglicherweise zu dem Schluss, dass ein Herausschieben chen der Rückzahlungspflicht hinsichtlich des vorausbezahl- ten Leistungsentgelts oder das Versprechen einer späteren (Tagesordnungspunkt 21) Erfüllung eine angemessene Lösung sein könnte. Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Der FDP-Antrag Allein das Wissen um dieses insolvenzrechtliche In- ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. strumentarium hat deshalb – zu Recht – schon in vielen Fällen zu vergleichbaren vertraglichen Vereinbarungen Bei der Durchführung einer virtuellen Gerichtsver- geführt. Dabei spielt die Frage, ob etwaige Ansprüche handlung werden zahlreiche Verfahrensgrundsätze tan- abtretbar (und damit handelbar) sind, eine entscheidende giert, die in einem Rechtsstaat von fundamentaler Bedeu- Rolle. Denn Abtretbarkeit (bzw. Handelbarkeit) erlaubt tung sind. Zu erwähnen ist die Konzentrationsmaxime, einen „Markttest“ hinsichtlich der Seriosität der auf die der Mündlichkeitsgrundsatz, der Unmittelbarkeitsgrund- Zukunft ausgestellten Wechsel. Dass das jetzt von beiden satz und der Öffentlichkeitsgrundsatz. Außerdem muss Koalitionsfraktionen im Sinne einer Handelbarkeit zu- einer Prozesspartei in hinreichendem Maße rechtliches mindest im Bericht des Rechtsausschusses noch klarge- Gehör gewährt werden, was unter anderem eine barriere- stellt wurde, ist daher wichtig. freie Verfahrensbeteiligung voraussetzt. Eine schnellere Umsetzung (gegebenenfalls auch nur Virtuelle Gerichtsverhandlungen können zu einer Ver- von Teilaspekten) der ohnehin in der Umsetzung befind- fahrensbeschleunigung, zu einer Zeitersparnis und zu ei- lichen europäischen „Richtlinie über präventive [sic!] ner erheblichen Kostenersparnis, beispielsweise durch Restrukturierungsrahmen“ (Restrukturierungsrichtlinie) den Wegfall einer aufwendigen Reise zum Gerichtsort, hätte solche vorinsolvenzlichen Sanierungsbemühungen beitragen. 19994 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) In vielen Verwaltungs- und Finanzgerichtsverfahren, Festzuhalten bleibt somit, Onlineverhandlungen kön- (C) in denen es häufig nur um den Austausch von zuvor nen Zivilprozesse beschleunigen, sie sind aber kein All- schon schriftsätzlich vorgetragenen Rechtsstandpunkten heilmittel. Die Vorschläge im FDP-Antrag sind jedenfalls geht, kann die Ausweitung der Möglichkeit von Online- untauglich und werden deshalb abgelehnt. verhandlungen sinnvoll sein. Gleiches gilt für sogenannte Durchlauftermine und solche Termine, bei denen Par- teien nicht persönlich geladen sind und es keine Beweis- Anlage 9 aufnahme gibt. Häufig lassen sich gerichtliche Präsenz- verhandlungen auch durch Entscheidungen in schriftlichen Verfahren vermeiden, vergleiche § 128 Ab- Erklärung nach § 31 GO satz 2 ZPO. der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Nach § 278 Absatz 2 ZPO ist der mündlichen Verhand- Dr. Eberhard Brecht, Bernhard Daldrup, lung eine Güteverhandlung unmittelbar vorgeschaltet, zu Dr. Barbara Hendricks, Gabriele Katzmarek, der das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet Christian Lange (Backnang), Sylvia Lehmann, Ulli werden soll. Ein solches Streitschlichtungsgespräch kann Nissen, Marianne Schieder, Ursula Schulte und ein Gericht mit seiner ganzen richterlichen Autorität und Frank Schwabe (alle SPD) zu der Abstimmung Überzeugungskraft aber nur im Rahmen einer Präsenz- über den von den Fraktionen der CDU/CSU und verhandlung mit den Naturalparteien führen. SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017 Ist im Zivilprozess zur Tatsachenfeststellung und zur und weiterer energierechtlicher Bestimmungen Wahrheitsfindung eine Parteianhörung oder eine Zeugen- (Tagesordnungspunkt 23) vernehmung geboten, dann kann zur Wahrung des Un- mittelbarkeitsgrundsatzes auf eine Präsenzverhandlung Mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur nicht verzichtet werden. Zur zwischenmenschlichen Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017, das Kommunikation gehört eben nicht nur das gesprochene der Deutsche Bundestag am heutigen Donnerstag in Wort, sondern auch die Körpersprache. Dies sowie etwai- zweiter und dritter Lesung beraten wird, sollen wichtige ge äußere Beeinflussungen der Zeugen bei ihrer Verneh- zeitkritische Änderungen vorgenommen werden, damit mung lassen sich in einer virtuellen Verhandlung nur die Verfahren zum Ausbau der erneuerbaren Energien unvollständig feststellen. auch in Zeiten der Coronapandemie durchgeführt werden können. Da wir die geplanten Änderungen der Streichung Nach dem FDP-Antrag sollen Onlineverhandlungen der Sonderregelungen für Bürgerwindenergieprojekte, (B) „auf Antrag einer Partei verpflichtend angeordnet“ wer- die Verlängerung von Antrags- und Genehmigungsfristen (D) den müssen. Dabei gilt es aber zu bedenken, dass in für Erneuerbare-Energien-Projekte und die Schaffung der Amtsgerichtsprozessen viele Naturalparteien gar nicht Voraussetzungen für die Feststellung der Eignung von anwaltlich vertreten sind und somit keinen Zugang zu Flächen für Windenergie auf See grundsätzlich für sinn- verschlüsselter Übertragungstechnik haben. voll erachten, werden wir dem Gesetzentwurf zustim- men. Aber nicht nur Naturalparteien, sondern auch die aller- meisten Zivilgerichte verfügen noch nicht über die tech- Wenngleich es sich hier um einen Gesetzentwurf mit nischen Voraussetzungen für die rechtskonforme Durch- zeitkritischem Änderungsbedarf handelt, halten wir die führung von Videoverhandlungen. Um den Grundsatz der vorgeschlagenen Änderungen für nicht ausreichend: Die Verhandlungsöffentlichkeit zu wahren, müsste dem Pub- gesetzliche Verankerung des im Koalitionsvertrag von likum die Möglichkeit eröffnet werden, den Verlauf der SPD, CDU und CSU vereinbarten 65-Prozent-Ziels samt mündlichen Verhandlung optisch und akustisch in Gänze der hierfür erforderlichen Anhebung der Ausbaupfade verfolgen zu können. Dem Lösungsvorschlag der FDP, der erneuerbaren Energien im EEG, die Novelle des Mie- dem Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 Absatz 1 terstromgesetzes, eine finanzielle Beteiligung der Stand- GVG dadurch zu genügen, dass die Verhandlung per ortkommunen, ein Regionalisierungsbonus oder auch der Livestream im Internet übertragen wird, kann nicht zuge- Abbau von Genehmigungshemmnissen und die Be- stimmt werden. schleunigung von Planungsprozessen bei der Windkraft müssen zeitnah im Rahmen einer großen EEG-Novelle Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben in den nachfolgen. zurückliegenden Wochen der Coronabeschränkungen an einer Vielzahl von Videokonferenzen teilgenommen. Da- Neben diesen überaus wichtigen energiepolitischen bei war immer wieder festzustellen, dass es bei der Über- Vorhaben beobachten wir mit zunehmender Sorge, dass tragungstechnik klemmte. Mal setzte der Ton aus, mal die – im Oktober 2019 per Beschluss der Bundesregie- war das Bild für einige Sekunden eingefroren. Derartige rung vereinbarte – Abschaffung des sogenannten Solar- Übertragungsdefizite sind offenbar nach gegenwärtigem deckels noch nicht gesetzlich umgesetzt worden ist. Da- Stand der Technik nicht auszuschließen. Für die Durch- mit droht die Förderung von Photovoltaikneuanlagen führung einer rechtskonformen Videoverhandlung sind zeitnah auszulaufen und der Ausbau der Solarenergie in solche Störungen, auch wenn sie nur für wenige Sekun- Deutschland schon in wenigen Monaten stark einzubre- den andauern, schädlich. Erforderlich ist nämlich eine chen; ein Szenario, das Tausende gut bezahlte Arbeits- zeitgleiche und vollständige Video- und Audioübertra- plätze in einer Zukunftsbranche aufs Spiel setzen würde gung. und das es unbedingt zu verhindern gilt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19995

(A) Gemeinsam mit unseren Fraktionskolleginnen und Deckel“ gefährdet Unternehmen, Arbeitsplätze, Innova- (C) -kollegen setzen wir uns für eine zügige und bedingungs- tionen und die auch von der Union proklamierten CO2- lose Abschaffung des Solardeckels ein und stehen bereit, Ziele. eine entsprechende Gesetzesinitiative im Eilverfahren zu Um unter den gegebenen Umständen wenigstens die verabschieden. Damit der drohende Förderstopp bei So- guten Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht laranlagen noch rechtzeitig abgewendet werden kann, zu gefährden, lehnen wir daher den Änderungsantrag von muss die gesetzliche Abschaffung des Solardeckels noch Bündnis 90/Die Grünen ab, obwohl wir ihm inhaltlich vor der parlamentarischen Sommerpause erfolgen. zustimmen. Dies geschieht vor allem aus den folgenden Obwohl die Bundesregierung nach § 49 Absatz 6 des zwei Gründen: EEG dazu verpflichtet ist, rechtzeitig vor Erreichen des Erstens. Wenn eine Koalition aus zwei oder – wie ge- Deckels eine Anschlussregelung vorzulegen, bleibt das genwärtig – mehreren Fraktionen gebildet wird, verab- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen ent- reden die Koalitionsparteien, nicht gegeneinander zu sprechenden Gesetzesvorschlag bislang schuldig. Zu stimmen, oder genauer: einem Antrag nur zuzustimmen, unserem großen Bedauern wäre die Abschaffung des So- wenn alle drei zustimmen. (So gibt es sogar den absurden lardeckels ohne die Stimmen der CDU/CSU-Bundestags- Fall, dass man gegen einen Antrag stimmt, den man zuvor fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch auch im schon selbst eingebracht hat, der aber nun nur deshalb Deutschen Bundestag nicht mehrheitsfähig. von der Opposition eingebracht wird, um diesen Wider- Um unter den gegebenen Umständen den Abschluss spruch zu erzeugen. Und dies wissen natürlich auch jene, der Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht die solche Anträge erneut einbringen.) Diese gegenseiti- zu gefährden, lehnen wir den Änderungsantrag von ge Versicherung ist eine Notwendigkeit, um verlässliches Bündnis 90/Die Grünen ab. Regieren zu ermöglichen. Hätte die SPD diesem Antrag der Grünen oder einem anderen Antrag einer Opposi- Wir begrüßen weiterhin jede unterstützende Initiative, tionspartei zugestimmt, hätte sie somit eine der zentralen die die kurzfristige Abschaffung des Solardeckels zum Vereinbarungen einer jeden Koalition aufgekündigt. Eine Ziel hat. Im Sinne einer möglichst raschen Einigung wer- der möglichen Folgen wäre gewesen, dass sich CDU und den wir uns für einen konstruktiven Abschluss der lau- CSU – wenn sie die Koalition nicht gleich aufkündigen – fenden Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen zukünftigen sozialdemokratischen Vorhaben mit dem und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Verweis auf die fehlende Verlässlichkeit der SPD verwei- weiterhin einsetzen. gern oder – im Zweifel noch schlimmer – für die Anträge anderer (rechter und rechtsextremer) Oppositionsfraktio- (B) nen stimmen. Am Ende könnten wir – betrachtet man die (D) Anlage 10 Forderungen aus der Union, die Klimaziele nicht mehr so ernst zu nehmen – sogar mit Rückschritten im Klima- schutz dastehen. Erklärung nach § 31 GO Zweitens. Selbst wenn die SPD-Bundestagsfraktion der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), diesem Änderungsantrag zugestimmt hätte, wäre der An- Leni Breymaier, Michael Groß, Josip Juratovic, trag abgelehnt worden – die Mehrheit in unserem Parla- Detlef Müller (Chemnitz), Aydan Özoğuz, ment liegt leider rechts der Mitte, und von unseren im Christian Petry, Axel Schäfer (Bochum), Mathias Parlament vertretenen sogenannten christlichen Parteien Stein und Dagmar Ziegler (alle SPD) zu der Ab- ohne Nächstenliebe ist hier keine Einsicht zu erwarten. Es stimmung über den von den Fraktionen der CDU/ wäre folglich nicht zur Aufhebung des PV-Deckels ge- CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- kommen, aber Deutschland hätte stattdessen zusätzlich zes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Ge- zu den derzeitigen massiven politischen Problemen eine setzes 2017 und weiterer energierechtlicher Bestim- handfeste Regierungskrise. – Das ist eine der Folgen der mungen gescheiterten Koalition aus CDU, CSU, Bündnis 90/Die (Tagesordnungspunkt 23) Grünen und FDP. Anstatt also dem Änderungsantrag der Grünen zuzu- Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist wich- tig, weil damit kurzfristig unverzichtbare Änderungen am stimmen und effektiv gar nichts zu verbessern, haben wir EEG vorgenommen werden, die den Ausbau der erneuer- die Möglichkeiten genutzt, die uns als an der Regierung baren Energien auch während der Coronapandemie mög- beteiligte Fraktion offenstehen und werden den Druck auf lich machen, beispielsweise die Verlängerung von An- die bremsenden Unionsministerien weiter aufrechterhal- trags- und Genehmigungsfristen für Erneuerbare- ten. Energien-Projekte. Übrigens: Die Grünen stimmen – sobald sie in Verant- wortung sind, wie etwa in Baden-Württemberg – eben- Die im Gesetz geplanten Änderungen sind jedoch nicht falls nicht gegen ihren Koalitionspartner. So sichern Koa- ausreichend, und wir hätten wenigstens auch die Ab- litionsverträge Regierungsfähigkeit. schaffung des Solardeckels beschlossen. Leider ist dies mit CDU/CSU bisher nicht durchzusetzen. Ein Drama. Eigentlich möchten wir diesen Streit mit den Grünen Es gilt also, die guten Punkte im Gesetzentwurf „über nicht entwickeln – wenn wir ehrlich sind, gibt es ohne die die Ziellinie“ zu bringen und danach weiter an der öko- SPD, ohne die Linken aber eben auch ohne die Grünen logischen Wende zu arbeiten. Der jetzt noch gültige „PV- keine nachhaltige fossilfreie Energiepolitik. Wir sind 19996 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) ihnen daher auch sehr dankbar, dass sie die Grund- Arbeitsplätze in einer Zukunftsbranche aufs Spiel setzen (C) richtung des Gesetzentwurfes generell mittragen. Nach würde und das es unbedingt zu verhindern gilt. seiner Verabschiedung können wir uns dann gemeinsam mit der Union dransetzen, auch den Solardeckel endlich Gemeinsam mit meinen Fraktionskolleginnen und abzuschaffen. -kollegen setze ich mich für eine umgehende und bedin- gungslose Abschaffung des Solardeckels ein und stehe Wir begrüßen weiterhin jede unterstützende Initiative, bereit, eine entsprechende Gesetzesinitiative im Eilver- die die kurzfristige Abschaffung des Solardeckels zum fahren zu verabschieden. Damit der drohende Förder- Ziel hat. Im Sinne einer möglichst raschen Einigung wer- stopp bei Solaranlagen noch rechtzeitig abgewendet wer- den wir uns für einen konstruktiven Abschluss der lau- den kann, muss die gesetzliche Abschaffung des fenden Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen Solardeckels noch vor der parlamentarischen Sommer- und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie pause erfolgen. weiterhin einsetzen. Obwohl die Bundesregierung nach § 49 Absatz 6 des EEG dazu verpflichtet ist, rechtzeitig vor Erreichen des Deckels eine Anschlussregelung vorzulegen, bleibt das Anlage 11 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen ent- sprechenden Gesetzesvorschlag bislang schuldig. Zu Erklärungen nach § 31 GO meinem großen Bedauern wäre die Abschaffung des So- lardeckels ohne die Stimmen der CDU/CSU-Bundestags- zu der Abstimmung über den von den Fraktionen fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch auch im der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- Deutschen Bundestag nicht mehrheitsfähig. nes Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare- Energien-Gesetzes 2017 und weiterer energierecht- Um unter den gegebenen Umständen den Abschluss licher Bestimmungen der Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu gefährden, lehne ich den Änderungsantrag von Bünd- (Tagesordnungspunkt 23) nis 90/Die Grünen ab. Ich begrüße weiterhin jede unterstützende Initiative, Doris Barnett (SPD): Mit dem Gesetzentwurf der die die kurzfristige Abschaffung des Solardeckels zum Koalitionsfraktionen zur Änderung des Erneuerbare- Ziel hat. Im Sinne einer möglichst raschen Einigung wer- Energien-Gesetzes 2017, den der Deutsche Bundestag de ich mich für einen konstruktiven Abschluss der lau- am heutigen Donnerstag in zweiter und dritter Lesung fenden Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen beraten wird, sollen wichtige zeitkritische Änderungen (B) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (D) vorgenommen werden, damit die Verfahren zum Ausbau weiterhin einsetzen, nicht zuletzt um zukunftsträchtige der erneuerbaren Energien auch in Zeiten der Coronapan- Arbeitsplätze gerade jetzt zu erhalten! demie durchgeführt werden können. Da ich die geplanten Änderungen der Streichung der Sonderregelungen für Dr. Lars Castellucci (SPD): Der Gesetzentwurf der Bürgerwindenergieprojekte, die Verlängerung von An- Koalitionsfraktionen ist wichtig, weil damit kurzfristig trags- und Genehmigungsfristen für Erneuerbare-Ener- unverzichtbare Änderungen am EEG vorgenommen wer- gien-Projekte und die Schaffung der Voraussetzungen den, die den Ausbau der erneuerbaren Energien auch für die Feststellung der Eignung von Flächen für Wind- während der Coronapandemie möglich machen, bei- energie auf See grundsätzlich für sinnvoll erachte, werde spielsweise die Verlängerung von Antrags- und Geneh- ich dem Gesetzentwurf zustimmen. migungsfristen für Erneuerbare-Energien-Projekte. Allerdings halte ich die vorgeschlagenen Änderungen Die im Gesetz geplanten Änderungen sind jedoch nicht für nicht ausreichend: Die gesetzliche Verankerung des ausreichend, und wir hätten wenigstens auch die Ab- im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU verein- schaffung des Solardeckels beschlossen. Leider ist dies barten 65-Prozent-Ziels samt der hierfür erforderlichen mit CDU/CSU bisher nicht durchzusetzen. Ein Drama. Anhebung der Ausbaupfade der erneuerbaren Energien Es gilt also, die guten Punkte im Gesetzentwurf „über im EEG, die Novelle des Mieterstromgesetzes, eine fi- die Ziellinie“ zu bringen und danach weiter an der öko- nanzielle Beteiligung der Standortkommunen, ein Regio- logischen Wende zu arbeiten. Der jetzt noch gültige „PV- nalisierungsbonus oder auch der Abbau von Genehmi- Deckel“ gefährdet Unternehmen, Arbeitsplätze, Innova- gungshemmnissen und die Beschleunigung von tionen und die auch von der Union proklamierten CO - Planungsprozessen bei der Windkraft müssen zeitnah 2 Ziele. im Rahmen einer großen EEG-Novelle nachfolgen. Um unter den gegebenen Umständen wenigstens die Neben diesen überaus wichtigen energiepolitischen guten Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht Vorhaben beobachte ich mit zunehmender Sorge, dass zu gefährden, lehne ich daher den Änderungsantrag von die – im Oktober 2019 per Beschluss der Bundesregie- Bündnis 90/Die Grünen ab, obwohl ich ihm inhaltlich rung vereinbarte – Abschaffung des sogenannten Solar- zustimme. Dies geschieht vor allem aus den folgenden deckels immer noch nicht gesetzlich umgesetzt worden zwei Gründen: ist. Damit droht die Förderung von Photovoltaikneuan- lagen zeitnah auszulaufen und der Ausbau der Solarener- Erstens. Wenn eine Koalition aus zwei oder – wie ge- gie in Deutschland schon in wenigen Monaten stark ein- genwärtig – mehreren Fraktionen gebildet wird, verab- zubrechen; ein Szenario, das Tausende gut bezahlte reden die Koalitionsparteien, nicht gegeneinander zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19997

(A) stimmen, oder genauer: einem Antrag nur zuzustimmen, Gemeinsam mit meinen Fraktionskolleginnen und (C) wenn alle drei zustimmen. Diese gegenseitige Versiche- -kollegen setze ich mich für eine zügige und bedingungs- rung ist eine Notwendigkeit, um verlässliches Regieren lose Abschaffung des Solardeckels ein und stehe bereit, zu ermöglichen. Hätte die SPD diesem Antrag der Grü- eine entsprechende Gesetzesinitiative im Eilverfahren zu nen oder einem anderen Antrag einer Oppositionspartei verabschieden. Damit der drohende Förderstopp bei So- zugestimmt, hätte sie somit eine der zentralen Vereinba- laranlagen noch rechtzeitig abgewendet werden kann, rungen einer jeden Koalition aufgekündigt. Eine der muss die gesetzliche Abschaffung des Solardeckels noch möglichen Folgen wäre gewesen, dass sich CDU und vor der parlamentarischen Sommerpause erfolgen. CSU – wenn sie die Koalition nicht gleich aufkündigen – zukünftigen sozialdemokratischen Vorhaben mit dem Obwohl die Bundesregierung nach § 49 Absatz 6 des Verweis auf die fehlende Verlässlichkeit der SPD verwei- EEG dazu verpflichtet ist, rechtzeitig vor Erreichen des gern. Am Ende könnten wir – betrachtet man die Forde- Deckels eine Anschlussregelung vorzulegen, bleibt das rungen aus der Union, die Klimaziele nicht mehr so ernst Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen ent- zu nehmen – sogar mit Rückschritten im Klimaschutz sprechenden Gesetzesvorschlag bislang schuldig. Zu dastehen. meinem großen Bedauern wäre die Abschaffung des So- lardeckels ohne die Stimmen der CDU/CSU-Bundestags- Zweitens. Selbst wenn die SPD-Bundestagsfraktion fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch auch im diesem Änderungsantrag zugestimmt hätte, wäre der An- Deutschen Bundestag nicht mehrheitsfähig. trag abgelehnt worden – die Mehrheit in unserem Parla- ment liegt leider rechts der Mitte, und von unseren im Um unter den gegebenen Umständen wenigstens die Parlament vertretenen sogenannten christlichen Parteien guten Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf nicht ohne Nächstenliebe ist hier keine Einsicht zu erwarten. Es zu gefährden, lehne ich daher den Änderungsantrag von wäre folglich nicht zur Aufhebung des PV-Deckels ge- Bündnis 90/Die Grünen ab, obwohl ich ihm inhaltlich kommen, aber Deutschland hätte stattdessen zusätzlich zustimme. zu den derzeitigen massiven politischen Problemen eine handfeste Regierungskrise. Übrigens: Die Grünen stimmen – sobald sie in Verant- wortung sind, wie etwa in Baden-Württemberg – eben- Anstatt also dem Änderungsantrag der Grünen zuzu- falls nicht gegen ihren Koalitionspartner. So sichern Koa- stimmen und effektiv gar nichts zu verbessern, haben wir litionsverträge Regierungsfähigkeit. die Möglichkeiten genutzt, die uns als an der Regierung beteiligte Fraktion offenstehen, und werden den Druck Eigentlich möchte ich diesen Streit mit den Grünen auf die bremsenden Unionsministerien weiter aufrechter- nicht entwickeln – wenn wir ehrlich sind, gibt es ohne (B) halten. die SPD, ohne die Linken, aber eben auch ohne die Grü- (D) nen keine nachhaltige fossilfreie Energiepolitik. Ich bin Übrigens: Die Grünen stimmen – sobald sie in Verant- ihnen daher auch sehr dankbar, dass sie die Grund- wortung sind, wie etwa in BadenWürttemberg – ebenfalls richtung des Gesetzentwurfes generell mittragen. Nach nicht gegen ihren Koalitionspartner. So sichern Koali- seiner Verabschiedung können wir uns dann gemeinsam tionsverträge Regierungsfähigkeit. mit der Union dransetzen, auch den Solardeckel endlich Ich begrüße weiterhin jede unterstützende Initiative, abzuschaffen. die die kurzfristige Abschaffung des Solardeckels zum Ziel hat. Im Sinne einer möglichst raschen Einigung wer- Ich begrüße weiterhin jede unterstützende Initiative, de ich mich für einen konstruktiven Abschluss der lau- die die kurzfristige Abschaffung des Solardeckels zum fenden Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen Ziel hat. Im Sinne einer möglichst raschen Einigung wer- und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie de ich mich für einen konstruktiven Abschluss der lau- weiterhin einsetzen. fenden Gespräche zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie weiterhin einsetzen. Esther Dilcher (SPD): Der Gesetzentwurf der Koali- tionsfraktionen ist wichtig, weil damit kurzfristig unver- zichtbare Änderungen am EEG vorgenommen werden, die den Ausbau der erneuerbaren Energien auch während Anlage 12 der Coronapandemie möglich machen, beispielsweise die Verlängerung von Antrags- und Genehmigungsfristen für Zu Protokoll gegebene Reden Erneuerbare-Energien-Projekte. zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Die im Gesetz geplanten Änderungen sind jedoch nicht Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Straf- ausreichend, und wir hätten wenigstens auch die Ab- gesetzbuches – Strafrechtlicher Schutz bei Verun- schaffung des Solardeckels beschlossen. Leider ist dies glimpfung der Europäischen Union und ihrer Sym- mit CDU/CSU bisher nicht durchzusetzen. Ein Drama. bole Es gilt also, die guten Punkte im Gesetzentwurf „über die Ziellinie“ zu bringen und danach weiter an der öko- (Tagesordnungspunkt 22) logischen Wende zu arbeiten. Der jetzt noch gültige „PV- Deckel“ gefährdet Unternehmen, Arbeitsplätze, Innova- tionen und die auch von der Union proklamierten CO2- Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Der vorliegende Ziele. Gesetzentwurf besteht aus zwei Bausteinen: 19998 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020

(A) Zum einen stellen wir es unter Strafe, wenn jemand die weltweit der erste Staatenverbund mit supranationaler (C) Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschä- Ausprägung. digt und dadurch verunglimpft. Seit dem 9. Mai 2011 ist die Europaflagge neben dem Wir alle haben die Bilder im Kopf von der Verbren- „schwarz-rot-goldenen Banner“ auf unserem Reichstag nung der israelischen Flagge am Brandenburger Tor im für alle sichtbar. Und ein Blick auf unsere Autokennzei- vorletzten Jahr. Genau das wollen wir unterbinden, sol- chen macht deutlich, dass Kommune, Land und Bund in che Bilder darf es aus Deutschland nicht geben. Europa beheimatet sind: Waren Fahnen über Jahrhunder- te hinweg im Besonderen ein Symbol für kriegerische Führen wir uns diese heute nochmals vor Augen, dann Auseinandersetzungen und Orientierungspunkte für So- merken wir, dass mit diesen Bildern falsche Botschaften lodaten, so sind sie das heute in Europa fast bis nie – zu übermittelt und schädliche Emotionen erweckt werden unserem Glück: Aber: Auch jetzt werden noch Fahnen können, zumal solche Bilder in der digitalen Welt immer verbrannt, quasi als Akt feindlicher Eroberungen und entsprechend inszeniert und in Szene gesetzt werden kön- Zerstörungen. nen. Doch die europäische Idee ist die Überweindung des Uns allen ist die drohende Konsequenz sofort klar: Die Krieges als Mittel der Politik. Schon die Väter und Mütter diplomatischen Beziehungen Deutschlands können nach- unserer Verfassung definierten als Staatsziel, dass haltig und unwiederbringlich geschädigt werden. Deutschland „als gleichberechtigtes Glied in einem ver- Genau deshalb haben wir in diesem Haus einen so einten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ hat (Prä- breiten Konsens, was die Notwendigkeit dieses ersten ambel des Grundgesetzes). Bausteins angeht. Während die Bundesflagge in Artikel 22 Absatz 2 fest Ich frage Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, verankert ist, fehlt das wichtige europäische Identitäts- warum all diese Überlegungen dann nicht auch für die merkmal sowohl in der Verfassung als auch im Strafge- Europäische Union gelten sollen, zumal in einer Zeit, in setzbuch – Hoheitszeichen der EU sind nicht geschützt. der sich die EU Anfeindungen gegenüber sieht in einem Es ist an der Zeit: „Strafrechtlichen Schutz bei Verun- noch nie dagewesenem Ausmaß. Denn im zweiten Bau- glimpfung der Europäischen Union und ihrer Symbole“ stein dieses Gesetzentwurfs wollen wir die Verunglimp- gesetzlich zu verankern. fung der Europäischen Flagge oder Hymne unter Strafe stellen. Denn auch dort können Bilder erzeugt werden, Das tun wir heute: aus Überzeugung, aus Erfahrung, welche die diplomatischen Beziehungen erheblich ge- als Abgeordnete in einem europäischen Deutschland, fährden können, zumal gerade die diplomatischen Bezie- auch mit einem Zeichen für den Frieden! (B) hungen die Existenzgrundlage der Europäischen Union (D) sind. Deshalb bin ich sehr verwundert, dass die Opposition Anlage 13 gerade das hier nicht schützen will. Dabei sind ihre Ar- gumente nicht stichhaltig. Im Ausschuss wurde darge- Zu Protokoll gegebene Reden legt, dass nicht klar sei, wann die Flagge oder die Hymne verunglimpft würden. Ich kann das nur als vorgeschobe- zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ nes Argument einstufen. Denn der Begriff des Verun- CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- glimpfens ist seit Beginn an im StGB verwendet, und setzes zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Pla- die Rechtsprechung hat ihn über die Jahre ausreichend nungs- und Genehmigungsverfahren während der definiert. COVID-19-Pandemie (Planungssicherstellungsge- setz – PlanSiG) Dass die AfD heute hier wieder ihren Feldzug gegen die Europäische Union zelebriert, das war klar. Ich kann (Tagesordnungspunkt 24) nur den Rest der Opposition auffordern, sich mit solchen durchsichtigen Manövern nicht gemein zu machen. Al- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Das Gesetz zur leine der Umstand, dass und wie heftig die AfD die Eu- Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Geneh- ropäische Union bekämpft, zeigt, wie sehr sie uns am migungsverfahren während der Covid-19-Pandemie ist Herzen liegen müsste. ein gutes Gesetz. Das automatische Auslaufen des Ge- setzes ist ein Modell, um das Dickicht der deutschen Ge- Daher bitte ich um Ihre Zustimmung. setzgebung etwas zu lichten. Es kann als ein Vorbild für die weitere Gesetzgebung des Deutschen Bundestages Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Vor fast genau am gelten. gleichen Tag 1949 wie die Bundesrepublik Deutschland – Verabschiedung des Grundgesetzes – wurde der Europa- Aufgrund der Covid-19-Pandemie und den damit ver- rat gegründet, am 5. Mai 1949. bundenen Ausgangsbeschränkungen haben die Länder, aber auch die Kommunen aktuell Probleme bei Durch- Ebenfalls im gleichen Jahr 1955, als unser Staat mehr führung von Genehmigungsverfahren. Selbstständigkeit erlangte, wurde der „Kranz von zwölf goldenen, fünfzackigen Sternen auf ultramarinblauem Das bekannteste Beispiel hierfür ist der geplante öf- Hintergrund“ zur offiziellen Flagge des Europarates, fentliche Erörterungstermin zum Bau einer Tesla-Fabrik 1986 dann auch die Fahne der Europäischen Union – in Brandenburg am 18. März dieses Jahres. Das Tesla- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Mai 2020 19999

(A) Projekt ist nur eines von vielen Bauvorhaben in Deutsch- führung von Verwaltungsverfahren war und ist davon be- (C) land, die wegen Corona ins Stocken geraten sind. troffen. Generell sind vor allem Großvorhaben betroffen, die in Die aktuellen Kontakteinschränkungen in öffentlichen aufwendigen Genehmigungs-, Planfeststellungs- und Be- Räumen und die Schließung von Verwaltungsgebäuden bauungsplanverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu- für den Publikumsverkehr haben dazu geführt, dass die gelassen werden müssen. Der Bearbeitungsstau von heu- Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planungs- und Genehmi- te ist die Auftragslücke in der Bauwirtschaft von morgen. gungsvorhaben gar nicht oder nur unter sehr erschwerten Um die Kontinuität der Antragsbearbeitung ohne Ein- Bedingungen möglich ist. schränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu sichern, Wir wollen aber nicht, dass das Baugeschehen ins Sto- sollen die Möglichkeiten des Internets und anderer For- cken gerät oder gar begonnene Planungen eingestellt wer- men der elektronischen Kommunikation zur Verfügung den müssen. Denn gerade auf dem Wohnungsmarkt stehen, genutzt werden. zeichnet sich keine Entspannung ab. Mit diesem Gesetz wird auf die veränderte Lage in Ich bin deshalb froh, dass die Koalitionsfraktionen Zeiten von Corona reagiert. Nach einer Evaluierung sol- schnell und zielgerichtet darauf reagieren und mit dem len die Maßnahmen auch nach der Pandemie möglicher- Planungssicherstellungsgesetz den gesetzlichen Rahmen weise weiter gelten. schaffen, um auch digitale Öffentlichkeitsbeteiligung zu Aber die Veröffentlichung im Internet bringt auch neue ermöglichen. Probleme mit sich. Die Verwendung sensibler Daten von Mit dem Gesetz geben wir den Kommunen und Be- Unternehmen, die Datensicherheit und ein weltweiter Zu- hörden vor Ort die Möglichkeit, Antragsunterlagen auch – griff auf Planungsunterlagen sind zu beachtende Punkte. ich betone auch – über das Internet zugänglich zu machen Ein Unternehmen hat einen Anspruch darauf, dass seine und Onlinekonsultationen durchzuführen, zusätzlich zur Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von der Behörde räumlich gebundenen Auslegung von Unterlagen und der nicht unbefugt veröffentlicht werden. Dazu haben wir Durchführung von Erörterungsterminen. Ganz wichtig im Gesetz einen Passus eingebaut, der es dem Unterneh- finde ich, dass der gesetzliche Rahmen bewusst schlank men erlaubt, einer Veröffentlichung im Internet zu wider- gehalten wurde, um den Kommunen den Beteiligungs- sprechen, wenn es die Gefährdung von Betriebs- oder spielraum entsprechend der örtlichen Gegebenheiten ge- Geschäftsgeheimnissen oder wichtiger Sicherheitsbelan- stalten. ge befürchtet. Widerspricht das Unternehmen der Ver- öffentlichung im Internet, hat die Behörde das Verfahren Das Gesetz ist richtigerweise bis zum 31. März 2021 bis zu einer Auslegung auszusetzen. Das war uns als befristet. Wir haben uns als Koalitionsfraktionen· aber in (B) Union besonders wichtig. Der Know-how-Schutz der einem Entschließungsantrag darauf geeinigt, dass wir auf (D) Unternehmen sowie die Verhinderung von Spionage der Basis der neuen Erfahrungen und Erkenntnisse prüfen Wettbewerber ermöglichen den Schutz des deutschen werden, inwieweit bestimmte Formen der öffentlichen Wirtschaftsstandorts. Beteiligung an Planungs- und Genehmigungsverfahren auch dauerhaft digital zu ermöglichen sind. Denn eine Gleichzeitig eröffnet sich die Chance, für eine bürger- bürgerfreundliche Digitalisierung der Verwaltung hat freundliche Digitalisierung der Verwaltung wichtige Er- nicht nur mit Corona zu tun. fahrungen zu sammeln. Ein weiterer Vorteil durch die Nutzung des Internets in Genehmigungsverfahren ist eine Das aktuelle Planungssicherstellungsgesetz ist in sei- barrierefreie Kommunikation. ner jetzigen Form also ein Krisengesetz. Für eine lang- fristige Etablierung sind zusätzliche Debatten und Exper- Dieses Gesetz zeigt, dass in der Coronapandemie auch tenanhörungen nötig. Ein wichtiger Aspekt wird dabei etwas Positives für die Zukunft liegen kann. Mit dem sein, dass alle Behörden vor Ort sowohl personell als Gesetzeswerk besteht nun ein leichterer Zugang für auch technisch dafür ausgerüstet sind. Bürger zu Informationen, aber auch eine Unterstützung für Unternehmen in Genehmigungsprozessen mit öffent- Für mich als Baupolitikern ist es ganz besonders wich- lichen Verwaltungen. tig, dass die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum trotz der aktuellen Krisensituation nicht in Verzug gerät. Dafür ist das Planungssichersteilungsgesetz ein wichtiger Bau- Claudia Tausend (SPD): Die Coronapandemie hat in stein. den vergangenen Wochen weitreichende Teile von Wirt- schaft und. Gesellschaft beeinträchtigt. Auch die Durch- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333