Sport M. APPELT / AGENTUR ANZENBERGER (li. u. re.); / AGENTUR M. APPELT AP (Mi.) WM-Fans in St. Anton: „Über tausend Höhenmetern sagt man nur mehr du“ Reizfigur Maier: Die Heilige Dreifaltigkeit des

SKI-WELTMEISTERSCHAFTEN Das Zwitschern der Blaumeise Unabhängig vom Medaillenspiegel sieht sich Österreich schon als Sieger der -WM in St. Anton. Die große Koalition der Vermarkter kalkuliert zweigleisig – liegen Maier und Co. vorn, freut sich das Volk; siegen Ausländer, profitieren Tourismus- und Alpin-Sportindustrie. Von Walter Mayr

m Namen des Volkes spricht Ro- Blaumeisn“ (Fahrerbeine verfärben sich ter eskaliert: Maier grinst, als sein Lands- bert Seeger: „Zwischenzeiiiit – Jawoll. blau – vor Entkräftung). mann Gold verliert; und Eberharter streckt IPasst.“ Es geht „Rot-Weiß-Rot“ in Füh- Tu, felix , glücklich das Volk, das die Zunge raus, als er den Herminator ab- rung, einmal mehr, es riecht nach Gold für solche Bilder findet. Allerdings: läuft’s hängt. Österreich. Vorfreudig vibriert die Repor- nicht, ist schnell Schluss mit lustig. Schon Nur was Gold ist, glänzt zwischen Bren- terstimme, drinnen, in der ORF-Kabine des nach den ersten vertanen Chancen bei der ner und Zirler Berg. 68 alpine WM-Titel in WM-Stadions von St. Anton. Ski-WM, nach dem Sturz von „Speed- 70 Jahren hat Österreich bis zum Beginn Ein Ami steht noch am Start. Ein Kali- Queen“ Renate Götschl und dem Super-G- der WM in St. Anton eingefahren. Das ist fornier, ein Beach-Boy also. Auf Skiern. Sieg von Daron Rahlves über Hermann viel. Wie viel, das wird deutlich, wenn Her- „Wann der uns noch panieren tät“, sagt Maier, intoniert die nationale Presse die mann Maier wieder einmal, „Kronen-Zei- der Co-Kommentator, „um Gottes willen.“ Schicksalsmelodie: „Drama – Die Sekunde, tung“-Logo auf der Brust, ORF-Mikro vor Schnell ist er allerdings. „Platz zwei wäre als ganz Österreich weinte“; oder: „kapi- der Nase, in die Öffentlichkeit muss – als auch genug“, ruft beschwörend Robert taler Fehlstart in die Heim-WM“; und, Sinnbild der Heiligen Dreifaltigkeit des Seeger – für den Ami, soll das heißen. kunstvoll: „Herminator schwer verhärmt“. österreichischen Nationalsports. Skirennen, gewonnene wie verlorene, Das liebe Vaterland mag nicht ruhig sein, „Der Bachér und der Dichand“, hat sind Naturereignisse in Österreich, auch sobald es um den Skisport geht. Die hohen schon Rekordkanzler Bruno Kreisky der- am Fernsehschirm. Ansprüche von außen erhöhen den Druck einst gesagt, haben die Macht im Land – „Dua in Oasch owe“ (hochdeutsch: Senk nach innen, in die Mannschaft hinein. Eher der ORF-Generalintendant und der „Kro- das Gesäß), schreit der in kärntneri- „Vierter werden und bester Österreicher ne“-Herausgeber. Daran hat sich nichts schen Wortgewittern sich entladende Alt- sein, als Zweiter werden und nur zweit- geändert. Jetzt, ein Vierteljahrhundert spä- Star Armin Assinger, live auf Sendung im bester Österreicher“ – das weise Wort von ter, feiert sich im gemeinsam von Dichand ORF. Er stürzt sich, „Deifl nomol nei“, zu Karl Schranz, dem Lokalhelden aus St. An- und ORF betriebenen „Haus Austria“ alles, Beginn jeder Übertragung selbst auf die ton am Arlberg, hat mehr denn je Bestand. was im Skifahrerland Österreich Rang und Piste und kommentiert atemlos seine Er- Als Werner Franz 1998 beim Weltcup- Namen hat. lebnisse. Rennen in Igls auf Rang neun neuntbester Zu besichtigen ist die ungenierte Aneig- In Assingers Worten „losst’s da Lasse Österreicher wird, denkt jeder: Schlimmer nung des nationalen Kulturguts Skisport heite duschen“ (der Norweger Kjus macht geht’s nimmer, für den Werner. Als Werner durch zwei Quasi-Monopolisten, gewisser- Tempo), „pfeifen die Komantschen“, Franz aber vergangene Woche Sechster maßen die Fortsetzung der Großen Koali- „tscheppert’s eina wia in an Klupperln- wird im Super-G, und nur tion mit anderen Mitteln, das erprobte sackerl“ (Fahrt über starke Bodenwellen) Dritter hinter , muss er österreichische Konsensmodell. Hermann und „zwitschern im Zielraum wieder de zusehen, wie der interne Wettbewerb wei- Maier wirbt für die „Krone“, die „Krone“

220 der spiegel 6/2001 österreichischen Nationalsports Ehrengäste Klammer, Haider, Schranz (im „Haus Austria“): Patriotische Vollversammlung

wirbt für Maier. Der ORF filmt Maier, und gewesen als der Sieg der deutschen Fuß- Sport. Als Karl Schranz 1972 vom IOC- Maier versichert, er sehe keine Filme auf baller im Berner Wankdorfstadion 1954: Chef wegen Verstoßes ge- Feindsendern: „I schau koane andern.“ „Wir sind ein kleineres Land und haben gen das Amateurstatut heimgeschickt wird, Vor dem Rennen zeigt der ORF Trailer, in mehr Niederlagen erlebt; man hat wieder marschieren Hunderttausende in Wien denen Maier sagt: „Der ORF macht un- Mut gefasst damals.“ zum Heldenplatz, befeuert vom ORF und haamlich fesche Buidln.“ „Vier Österreicher unter den ersten von dessen Intendanten. Und als 1978 in Die „Krone“ ist, bezogen auf die Ein- drei“, hat einmal die „Krone“ getitelt, das Córdoba Österreich Deutschland 3:2 wohnerzahl, die meistgelesene Zeitung der Orakel in Fragen von nationalem Belang. schlägt im Fußball, freut sich der Wiener Welt. Sie ist darüber hinaus Sponsor des Flächen deckendes Glücksgefühl kommt Bürgermeister nicht nur über Krankls listi- Skiverbands. Der ORF wiederum ist das auf, wenn es Gold setzt im „Land der Häm- ges Siegtor. Er nennt das Ganze „Rache elektronische Zentralorgan des Skisports. mer“, im Land, von dem es in der Hym- für Königgrätz“ – für die 1866 verlorene „Wir sind die Einzigen auf ne weiter heißt: „Heimat Schlacht Habsburgs gegen die Preußen. der Welt, die jedes Welt- Austria bist du großer Söhne“ Wo Sport der Identitätsstiftung dient, cup-Rennen übertragen; (von Töchtern, geschweige sind Politiker nicht weit. Auch Bundesprä- und wir sind die Besten“, auf dem Treppchen denn Ski fahrenden, ist sident Thomas Klestil tritt auf in St. Anton, sagt der gewichtige ORF- Medaillen Österreichs bei nicht die Rede). stark hirschhornknopfbesetzt, samt wäch- Sportchef Elmar Ober- alpinen Skiweltmeisterschaften Die Zweite Republik sern lächelnder Gattin, die den Maier-Her- hauser, dem Zweifel am Österreich, konstatiert mann unlängst sanft erbebend „so stark“ Sinn dieses Aufwands so Anteil an allen Medaillen: der Schriftsteller Robert genannt hat, dass sie ihn nun im Haus fremd sind wie Zweifel an 37%..30%..13%..13%..43% Menasse, sei seines Wis- Austria abbusseln muss, kurz und trocken, seiner Person. 13 sens „der einzige Natio- links, rechts. 11 Oberhauser promeniert nalstaat, der sich zu sei- Der Gatte hält da einen Konter für an- mit der Attitüde des spät- 8 ner Nationswerdung ent- gezeigt und sagt, mit Blick auf den Zigar- sozialistischen Leitungs- 4 4 schlossen hat“. Noch 1956 re rauchenden ORF-Sportchef Oberhau- kaders übers WM-Gelän- waren bei einer Mei- ser: „Die Summe aller Laster ist bei jedem de und mag nicht daran nungsumfrage 46 Prozent Menschen gleich.“ Da er, Klestil, nicht rau- 1991 93 96 97 1999 erinnert werden, dass er der Bevölkerung der An- che, müsse bei ihm etwas anderes zu Bu- Angestellter eines öffent- sicht, dass Österreicher che schlagen. Die Gemahlin lächelt huld- lich-rechtlichen Senders ist. Oberhauser ist „zum deutschen Volk gehören“. Erst zö- voll und ohne zu erröten. sauer, weil die Auslandsrechte der Ski- gernd begann das staatlich beförderte Anti- „Danke vor allem dem ORF“, sagt Kles- Übertragungen aus Österreich ab 2002 für Piefke-Ressentiment zu greifen, das Boll- til und überbringt Hans Dichand „herzliche 21 Millionen Mark an Leo Kirch und RTL werk gegen die deutsche Volksgemein- Glückwünsche für Erfolg in seinem großar- gegangen sind. Oberhauser möchte, dass schaft und gegen zu viel Mithaftung für die tigen Beruf des Herausgebers der ,Kronen- alles so bleibt, wie es immer war, außer Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Zeitung‘“ – jenem Dichand, dessen Blatt dass er gern Intendant würde. Das wäre Heute halten sich über 90 Prozent der im letzten Wahlkampf Meldungen über dann, in Gestalt der Promotion eines Österreicher für Angehörige einer Nation – schwarzafrikanische Drogendealer mit ent- Sportchefs zum obersten Fernsehmann, freilich ohne präzise sagen zu können, sprechenden FPÖ-Anzeigen synchronisiert eine für Nachkriegs-Österreich logische worin das Wesen dieser Nation bestünde. und Haider so lange gestützt hat, bis er Entwicklung. Ihr hervorstechender Zug sei ein entschie- dann wirklich ante portas war. Denn die Rolle des Sports beim Aufbau den bejahtes „Entweder-und-Oder“, spot- Jörg Haider selbst, wettergegerbt und in der nationalen Identität in der Zweiten Re- tet Menasse. Österreich definiere sich Skikleidung, ganz Bergfex, posiert mittags publik kann kaum überschätzt werden. als „staatliche Negation Deutschlands“, für Fans vor dem Stadion und zeigt sich Sagt , der „Blitz von Kitz“. Sei- schreibt Armin Thurnher. abends mit Volkshelden wie Franz Klam- ne drei Goldmedaillen 1956 seien wahr- Es gab sie, Stunden nationalen Schul- mer im Haus Austria, wo fast permanent die scheinlich „noch wichtiger“ für Österreich terschlusses nach dem Krieg, vor allem im patriotische Vollversammlung tagt. Neben

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Dass Hermann Maier inzwi- schen geschätzte 10 bis 14 Millio- nen Mark jährlich „abcasht“, wie das in Österreich heißt, macht ihn neben seiner Medienge- schmeidigkeit zum einsamen Mann im Team. Sein Vermögen hat Maier einem umtriebigen Tiroler Millionär zu verdanken, der sich selbst „der klaane Schröcksi“ nennt, offiziell Peter Schröcksnadel heißt und dieser Tage in einer mit Skaileder-Ses- seln ausstaffierten VIP-Lounge Hof hält. Schröcksi ist Präsident des Ski- verbands, Professor honoris cau- sa aus der Gnade des Wissen- schaftsministeriums, Bergbesitzer, Liftbesitzer und Yacht-Owner in einem, reich geworden durch Pis- tenmarkierungen. Er weiß, wo das Geld liegt. Er hat aus dem Ski- verband ein Wirtschaftsunterneh-

AP men und aus dem Ski fahrenden Deutsche Weltmeisterin Ertl: Den Ski aus Österreich Maurer Maier einen Multimil- lionär gemacht. Klestil läuft Vizekanzlerin Susanne Riess- Schröcksi hält nichts von der These, die Passer ein, die unlängst noch ihren nie- Österreicher könnten sich im Weltcup tot- derösterreichischen Parteichef Ernest Wind- siegen („in anderen Sportarten verlieren holz geherzt hat, kaum dass der sich mit wir ohnehin genug“) und dadurch Touris- dem SS-Motto „Unsere Ehre heißt Treue“ mus und Ski-Industrie schädigen. Der Prä- für höhere Aufgaben empfohlen hatte. sident verströmt Winner-Karma. „Über tausend Höhenmetern sagt man Hochkarätiger Skisport produziere Tou- nurmehr du“, verkündet der Moderator rismus, weil Urlauber am liebsten ins Land des Kameradschaftsabends „Medaillen von Siegern führen, sagt der Verbandsprä- glänzen immer“, und eingeklemmt zwi- sident. Der Werbewert aller seiner Mit- schen Sailer, Schranz und Klammer passt glieder liege bei derzeit knapp einer halben der Haider-Jörg an diesem Abend auf, dass Milliarde Mark. Dieser Summe sei mit pro- alle sich dran halten. Am Duzen und Ge- fessionellem Auftreten gerecht zu werden. duztwerden hat er das größte Interesse. Also sagt Hermann Maier nach seiner „Wir sind ein Land des Skilaufs, und wir Super-G-Schlappe gegen den Amerikaner bleiben ein Land des Skilaufs. Unser Land Rahlves: „Der Sieg von Daron ist gut für ist stolz, und die Republik Österreich ist den US-Markt.“ Für den Tourismus, be- stolz“, lässt sich der Tiroler Landeshaupt- stätigt der Fremdenverkehrschef von St. mann mit einem patriotischen Fahnenap- Anton, „hilft uns das sehr“. Die Zeitungen pell vernehmen. „Das, was man mit Öster- würdigen Martina Ertls Gold in der Kombi- reich aufgeführt hat, ist nicht zulässig. Habt nation und Hilde Gergs Bronze im Super-G ihr gesehen, wie sie uns g’watscht haben unter expliziter Verbeugung vor dem 80- mit den Sanktionen?“, fragt Karl Schranz. Millionen-Menschen-Markt Deutschland. Draußen, auf der „Krone“-Open-Air-Büh- Es ist dies der klassisch österreichische ne, steht derweil Hermann Maier und tut Spagat, die bis zur Vervollkommnung per- was gegen Ausländerhass. fektionierte Daseinsform des austriaki- Hermanns Hand liegt auf der milch- schen Normalbürgers, das Gegenteil der kaffeefarbenen Taille eines Samba-Girls. hysterischen Reaktion deutschen Kalibers. Knapp, aber doch über dem Tanga. Geht’s nicht so, geht’s auch anders; gibt’s „Kalt?“, fragt Hermann. „Ja“, sagt das kein Gold für die Rennläufer, gibt’s Geld Samba-Girl. Aber der ORF braucht noch für Fabrikanten und Hoteliers. eine Einstellung, und die „Krone“ braucht Der ORF-Mann Seeger macht da phä- noch ein Bild. notypisch keine Ausnahme. Er freut sich Dabei müsste Hermann längst weiter. mit dem US-Weltmeister Rahlves oder der Der Kopfsponsor wartet mit dem Dinner, Lenggrieserin Ertl – „da springt halt ein an- nur der Brustsponsor lässt ihn nicht los. derer mit österreichischen Atomic-Ski in Zum Glück will der zweite Brustsponsor – die Bresche“ –, er freut sich aber auch mit er bringt Zigaretten unters Volk – an die- den Landsleuten: „A feine Linie foans scho, sem Abend nichts von Hermann. Endlich, unsere Buaschn.“ nach neun, nach Gnocchi in Steinpilzsah- Seeger sagt: „I bin stolz, a Österreicher nesauce mit Mangold, darf Maier heim, ins zu sein.“ Und er bittet, das nicht falsch zu mannschaftsfern angemietete Apartment. verstehen. ™

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